Stanislaw Przybyszewski
Vigilien
Stanislaw Przybyszewski

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VI.

Ich denke drei Jahre zurück.

Wie viel Glückseligkeit damals, wie viel Begierden, die mir seitdem zum Ekel wurden, wie viel Hoffnungen, die nun zerstört sind, und wie viel Herzenswärme – oh ja, Herz, Herz ...

Um meinen Schreibtisch spielt mein zweijähriger, blonder Sohn. Schmerz hat ihn geboren. Schmerz spricht aus seinen Zügen, schmerzhafte, kranke, alte Wehmut aus seinen Bewegungen. Denn Schmerz ist das Ewige, das alles geboren hat; Schmerz ist das, was endlos die Vergangenheit enträtselt, und aus Schmerz wird alle Zukunft geboren.

Ich und mein Sohn, wir beide ewig und schmerzgeboren, wir beide mächtig in dem Größenwahne unsrer Nichtigkeit.

Um meinen Schreibtisch spielt mein Sohn mit dem Kaninchen, dem weißen, rotäugigen Kaninchen. Ich liebe meinen Sohn; er ist die große Idee meiner Vernichtung. Tag für Tag zerstört er mir ein Stück meines Daseins durch seine Mutter.

Und mein blonder Sohn ist schön und klug mit diesen mystischen Augen und den schmerzhaften Zügen.

Und eine Flut von Erinnerungen stürzt über mich; mein Gehirn wühlt sich zurück und sieht die Zeit, als der Jubel des werdenden Vaters in mir jauchzte.

Damals warst du so jung, und deiner Brüste schwellende Keime pochten scheu an deine harte, frische Haut mit wachem Verlangen.

Damals warst du so schön, und über dein Gesicht hin lag es wie ein Dunsthauch über der hoffenden Frühlingserde.

Mit zwei Sternenaugen sahst du mich an, unschuldig, sündlos, unwissend; dein Blick kam über mich, wie aus einer fremden Welt, aus einer grauen Vergangenheit.

Etwas Fremdes, Fernes – ja; denn aus diesen Mädchenaugen zuckte zu mir her der Strahl des Willens, der das Daseinswort, das uns geschaffen, erst erfüllen sollte.

Kind, Geliebte! Der Messiasgedanke eines großen Gottes, auf daß der Menschenewigkeit kein Ende werde.

Und erinnerst du dich?

Unter meinem Arme führt' ich dich, stolz, weil alle Menschen uns um unser Glück beneideten. Durch den schwarzen, einsamen Park, durch das heimliche Rauschen der Blätter, durch das mystisch hochzeitliche Zittern der Natur führten wir uns an den Teich. Rings im Kreise standen silberblaß die Pappeln, und der Himmel tauchte unter in der glatten Flut mit seiner sternenglühenden Ewigkeit und blickte so verführerisch zu uns herauf mit seiner selbstgewissen Pracht.

Und da war es still und Wollust in uns, und du zittertest in meinen Armen.

Nachtschauer schnitten mir mit leisen, sammetweichen Stichen durch die Glieder, und der Himmel blühte von Millionen sechsblätteriger Sternenkelche – hei, wie lachte die Himmelswiese mit den glühenden Sternenblumen!

Und wir beide so trunken von unserm Glück, und wir beide in einander versinkend und verflochten wie zwei Sterne zweier Hemisphären, und wir beide in einander gewirkt wie Tugend und Sünde, Unschuld und Verbrechen.

Und schwellend keimte der Same.

Geliebte, Weib, Heilige, du meiner Seele zuckendes Herz, du meines Weltenhirnes kreisende Achse: meiner Zukunft ewiges Schicksal gebierst du mir!

Um deine Stirne wind' ich einen Kranz, gewunden aus den großen, blutenden, schwarzen Blumen meiner Sehnsucht, und in das taube, weite Sturmgewand meiner verzweifelten Nöte hülle ich dich ein, und einen Sternenregen goldener Kindesvergangenheit schütte ich auf dich herab, du meine Heilige, Gottgeschwängerte!

Und alles schwindet, sinkt. Nur Du: Du über tausend Jahre hingestreckt, Du durch Millionen Weltenräume ausgebreitet, Du an meinem Herzen –

Ehebrecherin du!


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