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Heute versuchte ich zu arbeiten.
Es geht nicht!
Die ziellose Sehnsucht fehlt mir. Sie hat mit ihrer lächerlichen Leiblichkeit mir ihr Urbild zerstört. Was einst unbewußt hier in mir ruhte, durch alle Empfindungen hingestreut, wie Goldfäden in alle Erinnerungen eingewoben, duftend aus dem breitgesponnenen Gewebe meiner Heimatsmelodien, das hat sie wie in einem Brennspiegel in sich gesammelt. Was sich einst in steigender Potenz dem unbekannten Reich entgegenreckte, das gipfelt jetzt nur in der leiblichen Sehnsucht nach ihr.
Aus jedem Pinselstrich, aus jedem Tonsatz grinst mir ihr Gesicht entgegen, ihre Bewegungen seh ich unter meinen Fingern entstehen, ihr heißes Lachen trübt mir jeden goldreinen Klang.
Anders, an ihr vorbei, kann ich nicht schaffen. Ich kann sie nicht bei Seite schieben. Meine Kunst ist nur der einzige Typus: ihr Typus.
Ich kann nicht mehr arbeiten, wenn ich nicht verbluten soll.
Die unpersönliche, undifferenzierte Sehnsucht fehlt mir.
Oh, die Sehnsucht, die mich als Knaben in Mondscheinnächten auf den nassen, weichen Frühlingsacker warf, daß ich mich mit meinen Händen in die frische Krume grub, meine heimatliche Erde über mich schüttend wie ein weiches, wollüstiges Daunenbett.
Die Sehnsucht des Künstlers, in dessen Seele etwas auf und nieder wogt, von einem Pol zum andern, ohne die Achse finden zu können, und in wilden Strömen dem Gehirne zukreist, den Urbildern zu, die dort vom Weibe aufgespeichert liegen und die nach Wiedergeburt, nach neuer Schönheit, neuer Kraft verlangen.
Oh, die herrliche Sehnsucht des reifenden Knaben und hoffenden Weibes und des zeugenden Künstlers, die Sehnsucht des Beginnens und des Werdens, die große Sehnsucht der Dämmerung, die sich in das Nachtbett legen, und die Sehnsucht des Morgengrauens, die in dem blutigen Erlöser-Rot der Auferstehung ihr Begehren stillen will.
Die heilige, zeugende, zukunftschwangere Sehnsucht Deines Urbildes: Geliebte, Du!
Ich hasse dich, im kranken Schmerz haß' ich dein Blut, weil du dich in mir zerstört hast, weil du, Blut, die Quelle meines Schaffens vergiftet hast.
Jetzt hab' ich eine andere Sehnsucht, eine schauerliche, körperliche Sehnsucht.
Im Granite meines einstmals festgefügten Wesens zieht sie sich hin, wie Gänge fremden Gesteins, bis der Granit auswittert und brüchig wird an seinen kranken Adern.
In jede meiner Sensationen biß sie sich, saugt ihnen das Mark des Willens aus, zernagt den Lebensstrang, der mein Empfinden mit der Urkraft der Instinkte füllte; sie wickelt sich wie eine Scheide um den nackten, lebenslüsternen, nach Licht und Sonne klopfenden Nerven und sperrt ihn ein in eine dunkle Höhle qualvoll träumender Schmerzensmysterien, weltentrückten Ringens zwischen Ohnmacht und fiebrigem Wünschen.
Aber in der Tiefe, da ringt etwas nach Glück; etwas streckt da seine Hände in ächzender Verzweiflung nach dem Becher der erlösenden Arzenei, etwas windet und zuckt und dreht sich nach der Lichtseite, wie die Pflanze, die in stetem Schatten steht, und zwei Schritte weiter lacht das helle, licht- und farbentrunkene Erdreich.
O Gott, vielleicht doch ein klein wenig Glück! vielleicht das Glück des Tieres bloß, das unwissende, unbewußte Glück der Herde, sonnenhaft umstrahlt von der verblutenden Heilandsmajestät meines wissenden Gehirnes!
In der starken Mutterkrippe des Sonnengeflechtes müßte es von selbst, wie mit der Wünschelrute hingezaubert, plötzlich liegen; von dort, ja, von dort müßte es kommen, das prometheische Licht der Erlösung.
Und mit weit gen Westen offenem Portal steht die Kirche meiner Seele da, das zertrümmerte Jerusalem meines Gehirns, palmengeschmückt, um den Bräutigam zu empfangen, den Sohn der Gottestrunkenheit, der neuen, ewigen Beglückung.
Und wie ein Erzpriester steh' ich armer Menschensohn auf den Stufen des Altars und warte. Mit ausgestreckten Armen, mit starr gen Morgen gerichteten Augen steh ich da und warte.
Palmenwedel um mich, die Hand getaucht ins heilige Feuer des Opferbeckens, vom geweihten Rauch der Glut und Räucherwerk umdampft, so steh' ich da, ich alter Simeon des Gehirnes, um das Kindlein, das neue, zu empfangen, – das Kindlein, den neuen Heiland der Erlösung.
Erlösung – Erlösung!