Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
»Messieurs, faites votre jeu, rien ne va plus.« …

Du hast gewonnen, Toller, sagte Konrad, und seine Mienen verzerrten sich: Aber noch sind wir nicht zu Ende, es klimpert da noch etwas in der Ficke – da, halte dies – und doppelt oder nichts.

Es ist eine Sünd' und Schande, meinte einer von den Umstehenden, indem er das verlorene Geld über den Tisch schob, daß wir vernünftige Kerle unser Geld verlieren sollen an solchen Tropf; da ist keine Vernunft mehr in der Welt, wenn die Narren gewinnen und die Klugen müssen's leiden.

Ja, sagte der Wirth, der, eine ernsthafte, trockne Gestalt, die Hände in den Taschen, am Tische stand und dem Spiel mit kaustischer Miene zuschaute: mit ihm arbeiten mögt Ihr nicht, aber mit ihm spielen, das schmeckt Euch.

Und wenn es ihnen schmeckt, was kümmert es uns? eiferte die Wirthin dazwischen: du wärst auch besser Leichenbitter geworden mit Deinem sauern Gesicht, als Gastwirth. Das sind Männer hier – Heiner, unterbrach sie sich selbst, es waren zwei Flaschen, die ich brachte, nicht eine … so, nun stimmt's – und keine Kinder, da hat Niemand was drein zu reden, und das soll meinem Hause nicht nachgesagt werden, daß die Gäste hier beten müssen, wenn sie anderwärts tanzen. Spaß muß sein, das versteht sich, und wegen meiner kann hier ein Jeder thun, was ihm beliebt; wer's Glück hat, kriegt die Braut. – Ich meine, setzte sie hinzu, so lang er bezahlt.

Es ist, sagte ein Anderer, wie mit den Lottozahlen: diesen selbigen Menschen, als welche nicht recht im Kopfe sind, wohnt allemal ein eigenthümliches Glück bei: und wenn ich mir den Heiner so recht betrachte, so möcht' ich wetten, er weiß im Stillen recht gut, warum er toll geworden ist.

Du, Toller, rief der Erste wieder: wo hast du das Geld hergestohlen, mit dem du spielst? Aus dem Kirchstock wenigstens, weil du solch greuliches Glück hast.

»Dieb ist Alles!« jauchzte der Wahnsinnige, indem er die Würfel rollen ließ, und sogleich in eine andere Stelle überspringend: »den Platz gewechselt und die Hand gedreht! Wer ist Richter, wer Dieb? Sahst du wol je eines Bauern Hund einen Bettler anbellen?«

Deine Sprüche sollst du lassen, schrie Konrad …

Der Landstreicher hatte zum zweiten und zum dritten Mal gewonnen und feierte sein Glück mit einem Schwall von Citaten, Ausrufungen und Declamationen, die von seinem Publikum um so lebhafter bejubelt wurden, je weniger sie davon verstanden.

Jetzt gebt Acht, sagte ein baumlanger, vierschrötiger Gesell, der dem Landstreicher gegenüberstand, und winkte seinen Nachbarn vergnüglich mit den Augen: jetzt ist er im Zuge, jetzt kriegt er's. Ich könnte mich todt lachen über den schnak'schen Kerl – he, Hanne? wo ist Hanne? Hanne muß das auch hören …

Es war die Liebste des langen Goliath, die Hanne. Aber in diesem Augenblick, von Tanz und Branntwein überwältigt, lag sie unter einem Pfeiler des Saals und schlief.

Jammerschade, meinte ein Anderer (er war ehemals Kornhändler gewesen, von mittelmäßigem Wohlstand; aber Trunk und Liederlichkeit und ein unglückseliger Hang zu allerhand Projecten und Erfindungen hatten ihn heruntergebracht, daß er kaum noch als Karrenschieber sein dürftiges Brod fand) … Jammerschade um den Mann! das hätte einen Prediger gegeben – man hört's ihm ordentlich noch an.

Nun? sagte Herr von Lehfeldt zu dem Poeten, der sprachlos, mit verdutzten Augen, in das Gewirr zu seinen Füßen starrte: was meinen Sie dazu? und wie gefällt Ihnen dieser Anfang Ihrer Studien?

Der Poet probirte mit der Miene eines tiefbekümmerten Mannes den Glühwein, den die Wirthin ihm soeben frisch hingesetzt hatte; dann, das Kinn tief in die Binde drückend, was seinem vollen, frischen Gesicht einen eigenthümlichen Ausdruck von Würde verlieh, fast wie ein Truthahn, welcher die Federn plustert:

Ach, sagte er mit einem tiefen Seufzer, ich sehe schon, mein bester Herr … Schmidt: es hat mit dieser socialen Frage doch mehr auf sich, als ich dachte. Gott, welche Verdorbenheit! und welche Stürme für die bürgerliche Gesellschaft müssen hervorgehen aus diesem Abgrund! Auf Elend war ich gefaßt, und auf eine Hand voll Thaler hätte es mir auch nicht sollen ankommen, ganz gewiß nicht. Actionair der großen Wohlthätigkeitslotterie bin ich ja so schon, Sie haben doch gehört davon? wo der dicke Heymann an der Spitze steht und statt der garantirten Leinwand, die den armen Webern abgekauft werden soll, bringt er mit der Manier seine eigene alte Baumwolle an den Mann? Die ganze Stadt weiß es; aber weil es ein Almosen sein soll und weil Niemand den Schein haben mag, als hätt' er für seine Wohlthätigkeit auch noch einen reellen Vortheil haben wollen, so schweigen die Leute und der dicke Heymann hat den Profit davon. Ob ich also mein bischen Geld so verliere oder so, bleibt sich's nicht gleich? Aber dies ist mehr, als ich erwartet, ja als ich für möglich gehalten. Trinken – nun, es ist menschlich und ich habe Nachsicht damit; Tanzen – ein dummes Vergnügen im Grunde, wiewohl, wem es Spaß macht, da mag es sein. Aber Spielen! Spielen um Geld!! Nein wahrhaftig, das heißt die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft erschüttern. Ich bin kein Ascetiker, Sie wissen es … oder können es mir doch glauben, Herr Schmidt; ich habe nichts gegen ein Spielchen an sich, sogar ich liebe es, und ein Ecartéchen nach Tisch, in der Fensterecke, Partie zum Dukaten, wirkt ganz angenehm auf die Verdauung. Aber ein Unterschied muß sein; Schranken müssen aufrecht erhalten werden. Sie – und wir, da liegt es! Wir wissen, was wir thun, und haben das Geld dazu. Dagegen wenn Bettler und Tagelöhner nun auch schon anfangen wollen zu spielen …

Die Wirthin, die noch hinter dem Stuhl des Dichters stand und seiner Rede mit großer Aufmerksamkeit gelauscht hatte, wollte es gern mit keiner Partei verderben.

So ist es, gnädigster Herr, sagte sie, und das ist eben meine Meinung; nur daß man sie nicht immer so heraussagen darf von wegen der Leute. Es ist ein schrecklicher Hochmuth eigentlich von der Art Volk und ich schäme mich im Stillen genug darüber, daß so was in meinem reinlichen Hause passiren kann. Du, sag' ich immer zu meinem Mann, wenn das einmal einer von unsern Freunden in der Hauptstadt hört, was müssen sie denken? Sie müssen ja denken, Gott verzeih' mir die Sünde! sag' ich, als ob unser Haus ein Spielhaus wäre. Aber da sollte mir Einer kommen! Das könnt' ich gerade leiden! Ein Spielhaus? Ei ja doch: sehen Sie wohl, ob mein eigener Mann spielt? Er möchte wohl, der Sauertopf, ich kenn' ihn recht gut! und darum schimpft er auch darauf und stellt sich ungeberdig. Aber eine ordentliche Frau muß immer Obacht haben, sonst verwirft sich der beste Mann. Und darum, Mann, hab' ich gesagt, daß du mitspielst, das darf nicht sein, das leid' ich nicht, Mann! Ja ich leide das Spielen in meinem Hause überhaupt gar nicht, gnädigster Herr, gar nicht – als bloß des Sonnabends, gnädigster Herr, wo die armen Schelme das bischen Lohn ausgezahlt kriegen – Nu, du lieber Himmel, so was ist das nicht gewohnt, da brennt das bischen Geld in der Tasche und ihr menschliches Plaisir wollen sie doch auch haben, alle Woche einmal; es ist doch noch immer besser, als wenn sie sich betrinken und schlagen uns Stühle und Fenster entzwei, nicht wahr? Und der zottige Mensch da, der so sehr gewinnt, das denken Sie nur ja nicht, gnädigster Herr, der ist nicht so ohne, der hat studirt, ei ja! wenn der seinen richtigen Verstand hätte …

Dem Dichter wurde angst bei der Beredsamkeit, welche die Wirthin entwickelte.

Lassen wir das, schöne Frau, unterbrach er sie, und sagen Sie mir lieber, wenn Sie es wissen, wer die junge Frau ist, jene dort, die schwarzhärige, mit dem weißen Kopftuch – Schon seit einer Viertelstunde seh' ich ihr zu, wie sie sich durchzudrängen sucht zu den Spielern … eben wieder, sehen Sie? Die dort um den Pfeiler hervorguckt – nein, jetzt steht sie an der Thür, dort, bei dem Kinde … Arme Frau, rief er mit rasch entzündetem Mitleid: was sie bekümmert aussieht! und welch edles Antlitz unter all diesen verworfenen Gesichtern!

Dieser letztere Zusatz klang für das Ohr der Wirthin denn freilich nicht sehr schmeichelhaft. Vielleicht war es also deshalb, daß sie, nach einem flüchtigen Blick in der von Herrn Florus angedeuteten Richtung, den Kopf halb geringschätzig hintenüberwarf und in merklich gereiztem Ton erwiderte …

Aber machen wir zuvor unsere Leser selbst bekannt mit der Erscheinung, um die es sich handelt. Eine Frau mit schwarzem Haar und tiefschwarzen, melancholischen Augen, dem Anschein nach in Mitte der Zwanziger; doch war sie möglicher Weise auch jünger und nur der tiefe Gram, der ihr feines, aber abgehärmtes Antlitz beschattete, legte ihr einige Jahre zu. Sie war sehr bleich; das Haupt trug sie leicht vornüber, was ihrer übrigens feinen und wohlgebildeten Gestalt Abbruch that. Ihr Anzug war ärmlich, ja mehr als das: aber durch Eines dennoch stach er vor allen übrigen hervor: er war reinlich; das Kopftuch, das sie um die dichten, wohlgescheitelten Haare trug, war sauber gefältelt und von tadelloser Weiße. Trotz der Hitze im Saal schien die Aermste zu frieren; sie hatte beide Arme dicht unter ihre Schürze eingeschlagen, und wenn man genauer hinsah, so schien es, als ob ihre Zähne gegeneinander schlugen.

Oder war es vielleicht vor Angst? Denn wie von Angst getrieben, ruhelos, drängte sie sich zwischen den Uebrigen umher. Jetzt trat sie einige Augenblicke durch die offene Thür hinaus ins Freie und horchte mit aufgerichtetem Haupt; jetzt wieder ganz eng zusammengedrückt, ganz leis, so leis –! glitt sie durch die dichten Gruppen, welche die Spielenden umlagert hielten, vorsichtig, immer näher, aber auch immer leiser, immer demüthiger, mit immer stehendern Blicken …

Was war das? Warum jetzt zuckt sie zusammen? Aus welchem Auge droht der Strahl, vor dem sie den keuschen Glanz des ihren verbirgt? Jawohl: arme Frau! Wie sie jetzt mit gebrochenen Gliedern zurückwankt! wie sie das Kopftuch dicht, dicht in die Stirne zieht, die Thränen zu verbergen, die ihr über die bleichen Wangen rieseln …!

Selbst die Umstehenden schienen Mitleid mit ihr zu haben, wenigstens die Weiber.

Er ist schlimm heut, gelt? sagte ein dickes, ältliches Frauenzimmer, das auf der Bank an der Thür saß, und nickte ihr halb frech, halb mitleidig zu: da – laß los, wilder Satan, unterbrach sie sich selbst, und zog einem kaum dreijährigen, verkümmerten Knaben, der zwischen ihren Füßen hockte, das Branntweinglas aus den Händen, daß er vor Unwillen laut aufkreischte: trink eins, kleine Frau – sie sind Alle nicht anders und du wirft es auch schon gewöhnen.

Die Unglückliche schüttelte heftig abwehrend mit dem Haupt.

O nur dem Kinde nicht, um Gottes willen! sagte sie, und mitten in ihrem tiefen Kummer blieb sie vor dem schreienden Kinde stehen, zog es mit Inbrunst an sich und streichelte seine unsaubre Wange.

Diese Frau also war es, und in diesem Augenblick, welche die Wirthin, dem Fingerzeig des Poeten folgend, ins Auge faßte. Ah so, rief sie, in gereiztem, süßsaurem Ton: freilich wohl, das muß man sagen, die Herren aus der Stadt verstehen sich darauf. Je nun, das ist auch kein Frauenzimmer wie die andern: das ist auch unsere Prinzeß, ei ja, unsere Meisterstochter ist das …

Herr Florus, dem mit dieser Antwort noch wenig gedient war, wollte eben um weitere Auskunft bitten. Allein die Aufmerksamkeit der Wirthin war bereits wieder durch einen andern Gegenstand in Anspruch genommen: ein schlanker Jäger, in glänzender herrschaftlicher Livree, sah mit vorgebogenem Hals in den Herrenwinkel hinein, offenbar in der Absicht, sich selbst darin niederzulassen; da er jedoch vornehmere Gäste darin erblickte, so zog er sich sogleich zurück und schritt der Ausgangsthüre zu.

Die Wirthin eilte ihm nach. Nun wohl gar, Herr Wilhelm, rief sie: Sie werden doch nicht schon nach Hause wollen? Das Vergnügen soll ja erst recht angehen.

Muß wohl, antwortete der Jäger misvergnügt, bin noch in Dienst heut …

So spät? und wo denn da, Herr Wilhelm, wenn man fragen darf? sagte die Wirthin mit einem vielsagenden Schmunzeln.

Spät zum Verzweifeln, erwiderte der Jäger, und ich wollt' auch, ich läge im Bett, zumal mit etwas Hübschem. Aber Frauenzimmer, wissen Sie wohl von sich selbst, Frau Wirthin, haben in Allem ihre eigene Manier; das reist, wo Andere schlafen, und verdirbt darüber einem ehrlichen Kerl die Nacht. Wir warten noch auf unser gnädiges Fräulein …

Auf das Engelchen? wirklich?! rief die Wirthin, indem sie vor Verwunderung beide Arme in die Hüften stemmte: Nu da wird die Freude ja groß sein!

Ungeheuer groß, wiederholte der Jäger sarkastisch: und Beide, die Hände zum Abschied ineinander schlagend, brachen in ein widerwärtiges Gelächter aus. –

Herr von Lehfeldt, wiewohl scheinbar ganz in Betrachtung der Spielenden versunken, ließ sich doch in Wahrheit von Allem, was um ihn her vorging, nicht das Mindeste entgehen. Auch von dem Gespräch zwischen der Wirthin und dem Jäger hatte sein geübtes Ohr keine Sylbe verloren; auch den Ton nicht, den es annahm, als es sich auf das gnädige Fräulein wandte, und am Allerwenigsten das grobe, schadenfrohe Gelächter, mit dem es schloß. Es war auch das ein neuer Posten, den er eintrug in seine kunstvolle Berechnung: er zog die Summe in Gedanken – und siehe da, seine Rechnung stimmte. Die Wirthin war inzwischen zurückgekommen und nahm die frühere Unterhaltung wieder auf. Es ist Meisters Margareth, sagte sie, seine einzige Tochter, die Frau von dem rothen Konrad. Aber ich glaube, der Alte ließe sich zwei Finger der rechten Hand abnehmen, daß sie es nicht wäre. Er wollte auch gar nicht heran, sie ihm zu geben; er wußte, denk' ich mir, was es für ein Früchtchen war, der rothe Konrad – sehen Sie? der da, gerade gegen Sie über, dem unser Toller eben das Geld abnimmt – baff, da liegen sie, alle drei Sechsen! Nun sag' mir noch Einer, daß die Verrückten es nicht am Besten haben.

Der rothe Konrad hatte den letzten Heller verspielt; ingrimmig fluchend, wühlte er die Taschen um …

»Sein Beutel ist schon leer, alle seine goldenen Worte sind schon ausgegeben – stirb, schnöder Trojer!« jauchzte der Bettler und trommelte mit beiden Fäusten einen Triumphmarsch auf dem Haufen gewonnenen Geldes, der vor ihm lag, daß die Stücke klirrend durcheinander rollten.

Geld hab' ich nicht mehr, knirschte Konrad: aber so fortlassen thu' ich dich nicht, Toller, und ob ich meinen eigenen Kopf einsetzen sollte. Da, spielen wir um den Ring – was hältst du gegen?

Und damit zog er einen einfachen silbernen Reif vom Finger, mit einem kleinen rothen Stein in der Mitte – seinen Trauring.

Margareth, von rastloser Angst hin und hergetrieben, den Saal bald verlassend, bald wieder betretend, stand seit einigen Minuten dicht hinter ihres Mannes Schemel. Als sie sah, wie er die leeren Taschen umkehrte, hatte sie unwillkürlich die Lippen geöffnet …

Aber kein Ton ward laut! Nur das Haupt neigte sie noch tiefer nach vorwärts, als sonst, schloß die langen schwarzen Wimpern und lehnte sich, erschöpft, an die Säule, unter der sie stand und von der man sie selbst für einen Theil hätte halten mögen, so regungslos stand sie da. Als sie jetzt aber hörte, wie ihr Mann von dem Ringe sprach – die Augen riß sie weit auf, der letzte Tropfen Blut war ihr entwichen, ihre Kniee bebten und neigten sich, die Arme hob sie, als wollte sie beschwörend niedersinken, den Spielern zu Füßen …

Aber nein, nein, auch das war nur ein Augenblick: wie der Ring vom Finger glitt, mit hellem Klang auf den Tisch klirrte, wandte sie sich lautlos, mit krampfhaft zuckendem Mund – und schritt zur Thür hinaus.

Um den Ring spiel' ich nicht, sagte der Tolle mit tiefer Stimme, und sein Gesicht, wie verzerrt noch den Augenblick zuvor, wurde bei diesen Worten ganz ernsthaft und verständig. Aber abkaufen will ich ihn dir …

Es ist gutes Silber, betheuerte Konrad.

Sehr gutes Silber, wiederholte der Bettler mit seltsamem Kopfwiegen, indem er den Ring anstarrte, so fest, so glühend, als sollt' er schmelzen unter dem brennenden Strahl seines Auges: zu gutes, Konrad, zu gutes! Es ist Schad' um das schöne Silber, daß solch ein Reif daraus geworden ist – da, rief er und schob ihm eine Handvoll Geld über den Tisch zu, das ist für den Ring, kein Jude hätte ihn besser bezahlt – nimm das! und spiele weiter, wenn du magst. Ich aber will schlafen gehen.

Mit diesen Worten stand er auf, scharrte den Rest des Geldes zusammen und wollte gehen.

Nimmermehr, schrie Konrad, indem er ihn am Aermel niederzerrte: du darfst jetzt nicht, Heiner, ich lasse dich nicht fort, du mußt mir gegenhalten …

Die Umstehenden mischten sich in den Streit; es sei Unrecht, sagten sie, und da Konrad jetzt wieder Geld habe, so müsse der Bettler mit ihm weiter spielen. Hast du Verstand genug gehabt, uns das Geld abzugewinnen, Toller, sagte der lange Karrenschieber, so mußt du jetzt auch noch so viel haben, zu thun, was sich schickt.

Der Vagabond lachte, daß ihm die Seiten schütterten: »'s ist Fluch der Zeit«, rief er, »wenn Tolle führen Blinde.« Wenn Ihr denn so wollt, gut:

ein alter Römer bin ich, nicht ein Däne,
hier ist noch Trank zurück –

Komm an, rothhäriger Macduff:

Vor die Brust
Werf ich den mächt'gen Schild: nun magst dich wahren;
Wer Halt! zuerst ruft, soll zur Hölle fahren!

Die Würfel klapperten und das Spiel begann aufs Neue, unter allgemeinster Spannung der Umstehenden. – Anfangs schien es, als ob das Glück dem rothen Konrad jetzt geneigter geworden sei. Allein es schien auch nur. Indem er die Einsätze in thörichter Hast verdoppelte, hatte er den erreichten Vortheil nach wenigen Minuten wieder verscherzt; Fortuna war zurückgekehrt zu seinem Gegner und stand ihm treulicher bei als je. Nicht lange – und das ganze Geld war in die Tasche des Bettlers zurückgerollt.

Als zum zweiten Mal der letzte Heller hinüberwanderte, suchte Konrad ein spöttisches Gelächter auszustoßen. Aber es gelang ihm nicht.

Er stand auf, knöpfte mehrmals hintereinander die Weste auf und zu; er wollte etwas sagen, aber der Kopf schwirrte, die Zunge versagte ihm.

Der Bettler hatte mit Gelassenheit die Neigen geleert. Dann, vorsichtig, bündelte er das Geld zusammen und schob es in seinen Zwerchsack.

Konrad stand noch immer und knöpfte. Die Umstehenden, ihre Meinung austauschend über den Gang des Spiels und wenn der rothe Konrad damals so und das nächste Mal so gesetzt hätte, so hätt' es ja müssen mit dem leibhaftigen Teufel zugehn, oder er hätte den Vagabonden ausgebeutelt, wie dieser jetzt ihn – zerstreuten sich durch den Saal.

Toller, sagte Konrad mit halber Stimme – er sprach es gerade vor sich hin, ohne ihn anzusehen, und so leise, daß man kaum sah, wie er die Lippen bewegte: es war all mein Geld aus acht Tage, das du mir abgenommen hast, nicht einen Bissen Brod hab' ich im Hause …

Der Bettler lachte.

Ich will es ja nicht geschenkt haben, murmelte Konrad weiter, blos geborgt. Wozu ist das viele Geld dir nutz? Und ich will es dir ja wiedergeben als ehrlicher Kerl.

Gute Nacht, rief der Bettler und schüttelte sich vor Behagen.

Es ist nicht um meinetwillen, fuhr Konrad fort: aber meine Frau, meine Frau, Heiner – bist du so toll, daß du nicht weißt, was das heißt?!

Der Bettler pfiff und fühlte dabei nach dem Ring, den er in Papier gewickelt und sorgfältig unter seinem Hemd verborgen hatte.

Meine Frau, sagte Konrad, mit einer Stimme, die immer leiser, immer gepreßter ward und seine Rechte, wie von einem magnetischen Strom ersaßt, glitt unmerklich seitwärts über den Tisch, wo ein aufgeschlagenes Brodmesser auf einem Teller lag …

Meine Frau ist ohne Speise seit gestern, sagte er, sie muß verhungern, Toller, hörst du: verhungern …?!

Der Bettler, aus dem übergeschütteten Wein, der auf dem Tische stand, zog mit dem Finger Kreise und Sterne – und schwieg.

Toller, sprach Konrad weiter – aber dies war kein Sprechen mehr, nur ein heiseres Stöhnen, ein tonloses Röcheln, wie der letzte verzweifelte Athemzug eines Sterbenden; seine Hand aber schob sich immer näher, immer dichter an das Messer: Hast du gehört, Toller? Geld will ich haben, Geld – meine Frau verhungert – Geld …! Oder, beim ew'gen Gott, ich thue, was nicht recht ist –

Und indem er dies hervorstieß aus der zugeschnürten Kehle, zuckten seine Finger bereits an dem Griff des Messers …

Als plötzlich von draußen ein wilder Lärm in den Saal drang; scheltende Männerstimmen, Flüche und Drohungen, dazwischen das Wehklagen einer weiblichen Stimme …

Alles im Saal fuhr in die Höhe. Horch, rief die Wirthin, das ist die Stimme des Meisters!

In demselben Moment stürzte Margareth in den Saal, auf Konrad zu. Um Gottes willen, Konrad, schrie sie, zu Hilfe! Mein Vater, mein Bruder – zu Hilfe, Konrad!

Konrad murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen; er schleuderte das Messer von sich, so heftig, daß es zwischen ihm und dem Bettler in die Erde fuhr. Dann folgte er seinem Weibe.

Die ganze Versammlung gerieth in Aufruhr. Brennt es? brennt es? riefen die Einen. Ja, ja, schrieen Andere …

Nichts von Brennen, schmetterte die dicke Wirthin dazwischen: dem armen Narr, dem Meister ist die Galle übergelaufen, er macht sich Luft …

Aber diesmal hatte Niemand Lust, auf die Scherzreden der Wirthin einzugehen; Alles, wild durcheinander rennend, stürzte erwartungsvoll ins Freie: Fort, fort, zum Hause des Meisters! murmelte es …

Auch Herr von Lehfeldt und der Maler ließen sich mit fortschieben von dem Strom.


 << zurück weiter >>