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XX.

Eduard erinnerte sich zwar daran, daß ihm Mr. Williams damals auf dem Schiffe gesagt hatte, er würde sich seiner und seines Frauchens während des Tages nur sehr wenig annehmen können, aber für ganz so in Anspruch genommen hätte er ihn doch nicht gehalten. Auch fing ihm sein Aufenthalt in diesem reichen Hause an etwas peinlich zu werden, und er hatte das Gefühl, als ob er sich eine eigene Wohnung suchen müsse, jetzt, wo er ja auch – o, wie freudig ihn das immer wieder stimmte! – »Kalifornier«, »San Franziskaner«, wie sich Klärchen scherzend ausdrückte, geworden war.

Er war es nun schon fünf Tage – unvergleichliche, herrliche Tage – hatte dank der Güte der drei lieben Geschwister das Beste und Schönste genossen, aber, wie gesagt, es beklemmte ihn nun auch, noch länger diese uneigennützige, und im Grunde so rätselhafte Gastfreundschaft anzunehmen.

Als er sich nun endlich ein Herz faßte und zu seinem Wirte hiervon sprach, schien dieser fast beleidigt. »Ach, was fällt Ihnen denn ein!« rief er fast rauh aus, »so haben wir nicht gewettet! Ich habe Ihnen damals auf dem Dampfer gesagt, ich würde Ihnen San Franzisko gründlich zeigen oder zeigen lassen, und Sie haben noch lange nicht alles gesehen, noch lange nicht! Nein nein«, fuhr er in seiner großherzigen Weise fort, »Ihr Besuch ist mir zu lieb und wert, als daß ich Sie so schnell fort ließe. Sie bleiben einfach bis zum Schluß dieses Monats hier, und dann können wir vielleicht einmal wieder über die Sache reden; bis dahin aber auch nicht, verstanden?«

Dagegen war nun nichts zu machen, und Eduard dankte ihm nur mit erneuerter Dankbarkeit, die aber Williams nur als lästig und unnötig ablehnte. –

Der Wagen fuhr langsam die Market Street, die teilweise beflaggt war, dahin, und Cäcilie machte das Paar auf die schönen, turmhohen Gebäude aufmerksam, wofür Eduard, der ja in New York und Chicago weit höhere und prächtigere Bauten gesehen hatte, mit jener liebenswürdigen Artigkeit dankte, die ein Mann einem schönen Mädchen so gern erweist; denn – so flüsterte er sich heimlich zu – mochte auch in jenen beiden Riesenstädten alles noch reicher und großartiger sein: solche Frauen, wie diese beiden Mädchen vor ihm hatte er dort nicht gesehen. Und wie eine, wenngleich bescheidenere Wiederholung dieser herrlichen Mädchen tauchten bald auf allen Seiten Frauengestalten auf, rosig, mit gebräunten, lächelnden Wangen, feurig blickenden Augen und – liebeglühender Brust! –

Ja wahrlich, so dachte nun Eduard, wie kann es auch anders sein, in diesem holden Himmelslicht, dieser kosenden, goldenen Luft und diesem steten, brünstigen Rosenduft, dazu noch mit der schönsten Landschaft von der ganzen Welt rings umher? Nein: Liebe! flüstert hier der Wind, Liebe! glüht die Sonne herab, Liebe! hauchen die Blumen, und das menschliche Herz sollte diesen heißen Ruf nicht widerhallen!

»Sie kommen! Sie kommen!« rief jetzt Franziska aus und dann dem Kutscher zu: »Den Wagen auf die Seite, Charles! Die Parade ist sehr breit!«

Nun hörte man bald den tausendfältigen dröhnenden Tritt von Männern, die geflissentlich, übermütig laut den Boden stampften.

Eduard sah, daß sich die Miene des Hauptmanns mehr und mehr verdüsterte, seine festgeschlossenen Lippen schienen aufs neue den heranziehenden Jungen Warnungen und Drohungen ins Gesicht schleudern zu wollen; als nun aber Cäcilie verstohlen seine Hand berührte, verschwand all sein Unmut wie mit einem Zauberschlage, – er lächelte wieder zärtlich und glücklich.

Plötzlich rief Klärchen laut aus: »Die Erde bebt!« und als sie nun all die andern halb verwundert, halb forschend anblickten, fuhr sie lächelnd fort: »Ach, verzeihen Sie mir nur, aber ich hatte so deutlich das Gefühl, als ob die Erde wirklich unter den schallenden Schritten jener Soldaten dort erbebte!«

»Vielleicht hat sie wahrhaftig einen Augenblick gebebt, vor Schrecken nämlich, daß Sie die unreifen, nichtsnutzigen Bengel für Soldaten halten,« sagte Davenport mit bitterem Spott, aber sofort fuhr er auf einen ernst verweisenden Blick Cäciliens fort: »Entschuldigen Sie gnädige Frau, es war nicht so böse gemeint; ich selber bin ein rauher Soldat, und das Gebaren dieser Zieraffen ist mir wirklich im höchsten Grade widerlich!«

Aber nun waren sie da, diese Milizsoldaten; in einem schier endlosen Zuge marschierten sie vorüber, diese kecken, oft schon halb- oder ganz abgelebten Söhne der Millionäre und Milliardäre in ihrer militärischen Mummerei, die wirklich etwas zirkusartiges, clownhaftes hatte. Eduard glaubte sie alle wieder zu erkennen von jenem Abend im Pacific-Union-Klub, diese feingeschnittenen, frechen Gesichter, die vor nichts als vor Arbeit und echter, tüchtiger Mannestat zurückzuschrecken schienen, und der junge Bergmann verstand auf einmal die tiefe Abneigung Davenports, dieses wirklichen Mannes gegen diese bunte, nichtige Ziererei, die eitle Sucht martialisch erscheinen zu wollen ohne die geringste Macht und Kraft zu haben, es sein zu können. –

Aber die jungen Leute bekümmerten sich um nichts als sich selbst. Mit schlaffen Beinen und krummer Haltung, das Gewehr in irgend welcher Stellung auf der Schulter, die scharfen, harten Augen nach allen Seiten umherwerfend, ohne doch irgend etwas bestimmtes zu sehen, schritten sie dahin. Hin und wieder stimmten sie ein Lied an: » The star spangled banner« oder » Hail to the Chief«, » My country 'tis of Thee« und ähnliche, sangen aber nie eins zu Ende. Besonders schönen Frauen warfen sie im Gefühl ihres » Soldatenstandes und Soldatenrechts« sehr gewagte Worte zu, was aber die Holden in ihrem schönen, glücklichen Gleichmut gar nicht bemerkten.

»Gott sei Dank!« rief der Hauptmann aus, als die letzte Reihe in der Mason Street verschwunden war, »das hat sich auch gelohnt hierherzukommen, um ...«

Wer weiß, mit welch neuen Ehrentiteln er seine Feinde wieder schmücken wollte, aber diesmal unterbrach ihn Franziska.

»Kapitän!« sagte sie bloß, doch ihre auf das junge Paar weisende Geberde mußte wohl eindringlicher sein als alle Worte, denn er verstummte sogleich.

»Charles, fahre jetzt nach dem Palace Hotel!« rief nun Franziska aufs neue dem Kutscher zu, und gegen die andern gewendet fuhr sie fort; »Meine Herrschaften, der große Signor Caruso, Madame Marcella Sembrich und noch mehrere andere der strahlenden Opernsterne sollen ja dort abgestiegen sein; vielleicht gelingt es uns, einen Blick von ihnen zu erhaschen!«

Das war echt amerikanisch-weiblich! Diese rücksichtslose Neugierde, die über alle Grenzen der Form hinausgeht und irgend einer Berühmtheit, einem Könige sogar, auf zwei Schritte Entfernung ohne jede Scheu in die Augen starrt, wobei es denn auch gar nicht ankommt, eine andere, die ebenso begierig starren möchte, einfach über den Haufen zu stoßen! –

Es war nur eine kurze Strecke bis zur Montpomery Street, und schon nach wenigen Minuten hielten die prächtigen Apfelschimmel vor dem riesigen Hotel, das jeden Tag zwölfhundert Gäste aufzunehmen vermag.

»Also, gehen wir hinein«, sagte Franziska, während sie zuerst ausstieg.

Die andern folgten, und bald standen alle in dem wundervollen Lichthofe, der mit seinen wahren Wald von Palmen, exotischen Pflanzen und Blumen zauberhaft an ein Märchen aus den Tropen erinnerte. »Signor Caruso hier?« fragte nun die ältere Schwester ein vorübergehendes, bildhübsches Kammerkätzchen.

Aber das schöne Kind versetzte lächelnd: »Ich weiß es nicht; wir erfahren fast nie den Namen der Gäste, aber wie viele Damen haben mich heute schon genau dasselbe gefragt!«

Nun errötete Franziska tief, und mit einemmal schien sie das sonderbare, ihrem sonstigen schönen und vornehmen Wesen so durchaus widersprechende ihres gegenwärtigen Vorgehens einzusehen. Sie fragte nur Eduard und Klärchen: »Möchten Sie noch mehr von unserm größten Hotel sehen?« Und als beide verneinten, sagte sie kurz: »Gehen wir! Übermorgen sehen und vor allem: hören wir ihn ja doch!«


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