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Erst jetzt, während sie immer noch wie im halben Traume der Eigentümlichkeit ihrer Lage gegenüber die helle breite Treppe hinabstiegen, bemerkten die beiden Gatten, daß ein feiner, fast unbeschreiblicher Wohlgeruch – »Opulenzduft« hätte man es nennen können – das ganze Haus durchwehte: wie nach Schokolade, Lavendel und schönem, altem Holz, Holz, das von einem Lande hergekommen war, wo es keine Armut und kein menschliches Elend gibt. –
Vor einer hohen Doppeltür machte der Negerknabe endlich Halt, klopfte leise, aber mit jener kecken Sicherheit an, die des Hauses verzogenen Liebling verriet, und verschwand lautlos.
Im nächsten Augenblick wurde die Tür weit geöffnet, und in ihrem Rahmen erschien eine wunderholde Frauengestalt: hochgewachsen, das erstaunte Paar bei weitem überragend, mit fast überreichem, blühend schwarzen Haar, derselben rötlichen, Gesundheit und Frohsinn verratenden Gesichtsfarbe und ganz ähnlichen tiefblauen, guten Augen wie Mr. Williams.
»Bitte, treten Sie näher!« sagte sie mit einer starken, glockenreinen Altstimme, »und seien Sie mir und meiner Schwester herzlich willkommen! Mein Bruder hat uns so viel liebes und gutes von Ihnen beiden erzählt, daß wir unser Verlangen, Sie nun endlich zu sehen, nicht länger beschwichtigen konnten. Hier meine Schwester Cäcilie – Herr Hauptmann Davenport – Herr Professor Swing – Herr und Frau Treubach! Und nun, bitte, wollen sich sämtliche Herrschaften wieder setzen!«
Es hatte das bei solchen Gelegenheiten wohl stets eintretende Unbehagen des Paares noch vermehrt, als sich bei seinem Eintritt außer der zweiten jungen Dame noch zwei Herren erhoben hatten. Doch dieses Unbehagen verschwand mehr und mehr, als Eduard und Klärchen erst die beiden Männer näher geprüft hatten. Kapitän Davenport hätte für einen Italiener oder Spanier gelten können: so dunkel war seine Haut, so dunkel seine blitzenden Augen und so tiefschwarz sein kurzgehaltenes Lockenhaar und sein martialischer Schnurrbart. Wie unser Paar später erfuhr, war er der Chef einer der im »Presidio« lagernden Kompagnien.
Eine wohltuende Erscheinung war Professor Swing. Wohl schon sechzig Jahre alt, mit wallendem, weißem Haar, völlig bartlos und von einer Gesichtsfarbe, die man fast als kupferbraun hätte bezeichnen können, war er eigentlich beim ersten Anblick häßlich, zumal weil sein Mund ungewöhnlich groß und wulstig war; aber wer erst einmal aufmerksam in diese goldbraunen, warmen Augen geschaut hatte, dem verschwand der Begriff von Häßlichkeit vollständig und es blieb ihm nur der Eindruck eines vornehmen Weisen, eines tiefen, dabei großangelegten Menschenkenners. –
Fräulein Cäcilie war nicht ganz so groß wie ihre Schwester, sie schien auch nicht ganz so kräftig zu sein. Sie war blond und schielte ein ganz klein wenig, aber mit jenem allerliebsten Schielen, das bei wirklich schönen Mädchen nur ein neuer Reiz ist, indem es all der sichtbaren Pracht des Antlitzes noch die Ahnung anderer, erhöhter Reize hinzufügt. Namentlich wenn Cäcilie die ebenfalls tiefblauen Augen senkte, war es, als ob sie einen Einblick in ihre eigene Seele halten wollte.
»Entzückende Mädchen!« hatte damals auf dem Schiffe der Professor Cyliax ganz begeistert ausgerufen, aber damit hatte er den Liebreiz, die Hoheit dieser beiden Frauen, bei denen wohl zunächst keiner daran dachte, daß sie Mädchen seien, noch lange nicht erschöpft, denn außer dem Entzücken, das ihr Anblick gewährte, überschütteten sie noch den Glücklichen, der in ihre Nähe kommen durfte, mit einer Flut der schönsten und erhabensten Gefühle, – sie waren beide wie die Wiederspiegelung, die Konzentration der sie umgebenden verschwenderischen Schönheit der Natur! –
Aber nun nahm Franziska wieder das Wort: »Leider konnte mein Bruder Sie nicht persönlich empfangen, ein wichtiges Geschäft rief ihn sogleich zum Gouverneur, der ihn schon gestern zu sprechen wünschte, – Ihr Schiff ist nämlich ziemlich verspätet angekommen, – ich hoffe aber ihn zum Mittagessen wieder bei uns zu haben, den Unrast, den Ewigbeschäftigten!«
Sie lächelte still vor sich hin.
Aber Eduard freute sich innig, aus dem Munde dieses holden Wesens die Bestätigung seines eigenen Urteils über diesen lebhaften Mann zu hören; und plötzlich kam es ihm auch nicht mehr sonderbar vor, daß Mr. Williams vorhin seinen Wagen nicht hatte anhalten lassen: die Energie dieses Amerikaners unterdrückte alle Gefühle, die für den Deutschen zur Anmut des Lebens gehört. –
Bald aber war unser Held von der Macht und dem Zauber, der diesen beiden Frauen unausgesetzt entströmte, so eingenommen, daß er schließlich nur nicht mehr wußte, welcher von ihnen er den Vorzug geben sollte; doch mehr und mehr zog ihn der geheimnisvolle Liebreiz Cäciliens zu dieser hinüber. –
Inzwischen hatten die Schwestern und die beiden Herren ihr Gesprächsthema, das wohl durch die Ankunft der Eheleute unterbrochen worden war, der erneute Ausbruch des Vesuvs, wiederaufgenommen und dabei stellte sich heraus, daß auch diese Männer die Umgegend des Vulkans genau kannten. Selbst der sanfte Professor Swing pflichtete Eduards Äußerungen, die sich auf die völlige Rat- und Tatenlosigkeit der Bewohner jener Ortschaften bezogen, lebhaft bei, und der Kapitän rief nun mit wild funkelnden Augen aus: »So etwas sollte hier 'mal passieren! Ich würde jeden, der nicht mit all seinen Kräften Hülfe leistete zusammenschießen lassen, wie einen tollen Hund!«
»O, Kapitän!« sagte Cäcilie sanft verweisend.
Sowie ihre lieben Augen die seinen trafen, wurde seine dunkle Gesichtsfarbe um einen Schein röter, er schlug sich leicht auf den Mund und entgegnete: »Sie haben recht – vergeben Sie mir!« Und er sah sie lange an, etwa wie ein Sklave die heimlich angebetete Herrin. Eduard empfand einen Stich der Eifersucht. Aber Klärchen, die sich weder von dieser lauten noch der stummen Unterhaltung sonderlich angezogen fühlte, sah verstohlen in diesem Prunkgemache um, und hatte sie schon oben die Üppigkeit, den verschwenderischen Luxus angestaunt, so wurde hier ihre Verwunderung fast zur Ekstase. Allein diese Gemälde! Weit über eine Million Dollars mußte in den Bildern verspendet sein; denn Klärchen wußte sehr wohl, daß solch ein Bougerau, Jules Bonnat, Lefèbre oder Carolus Durand mit einem Vermögen aufgewogen werden mußte. Und wie wunderbar: friedlich zwischen diesen anspruchsvollsten Kunsterzeugnissen zeigten sich Pfuschereien der schlimmsten Art, Dilettantenarbeiten auf dem Gebiete der Lithographie, Zeichnung und Malerei, – welch ein Widerspruch! dachte Klärchen. Und doch war dieser Widerspruch tatsächlich nur scheinbar: er war nur ein stummes, aber beredtes Zeugnis von dem guten Herzen, der Nächstenliebe und Barmherzigkeit der drei Geschwister, denn in diesem Gefühl hatten sie jene Schülerarbeiten teuer bezahlt und in ihrer Großherzigkeit neben die kostbaren Meisterwerke anbringen lassen, nur um die Urheber jener Stümpereien nicht zu verletzen!
Aber Klärchen setzte ihre Betrachtungen fort.
Von der Decke herab hing ein großer Kronleuchter, eingerichtet für elektrisches Licht und augenscheinlich aus getriebenem Golde. Die unzähligen gläsernen Birnen über den Drahtschlingen wiesen alle Regenbogenfarben auf; auf den vielen Nipptischchen, deren Platten aus Lapislazuli, Malachit oder der wunderbarsten Mosaikarbeit bestanden, waren echte Brüsseler Spitzendecken ausgebreitet; eine große Sammlung der teuersten, meterhohen japanischen und chinesischen Vasen standen – als ob sie ganz billiger Tand wären – überall umher und die Dutzende von vergoldeten Stühlen und Sesseln zeigten, ähnlich wie oben, die schwersten, bunten Seidenstoffe. Fußdicke, persische Teppiche deckten den Boden.
Eigentlich in einem ganz merkwürdigen Gegensatz zu dieser wahrhaft asiatischen, erdrückenden Pracht stand die Kleidung der beiden Mädchen. Diese trugen nur ein einfaches, faltiges Hauskleid, das aber doch vielleicht aus einem sehr teuren Stoff angefertigt sein mochte.
Eduard schien sich schnell an diese ungewohnte glänzende Umgebung gewöhnt zu haben, oder er hatte sie in seiner stetig zunehmenden Bewunderung für diese beiden Engel bisher noch gar nicht gesehen; jedenfalls plauderte er angeregt und redselig frisch darauf los und glaubte sich noch nie so wohl und frei gefühlt zu haben. – Ach, wenn es ihm doch irgendwie vergönnt würde, in Frisko zu bleiben! Vielleicht schafften die »Herren der Fabrik« doch irgend welchen Rat ...
Über diesen Gedanken erschrak er nun selbst, und sein Blick glitt ängstlich forschend hinüber zu seiner Gattin; doch diese sah nichts oder wollte nichts sehen, jedenfalls studierte sie jeden Gegenstand im Gemach mit ungenierter Aufmerksamkeit.
In diesem Augenblick erschien der farbige Knabe wieder und meldete mit ausgezeichnet geschickter Pomphaftigkeit: »Señor Don Salvador Ruiz y Gutierrez!«
Alle lachten laut auf, und kaum konnte sich Franziska so weit bemeistern, daß sie den Neger endlich zurufen konnte: »Er soll nur kommen, der gute Gutierrez!«
Worauf sich der Junge mit übermütig blitzenden Augen, aber leise wie eine Katze, zurückzog.
»Ein Original, – Sie werden sehen!« flüsterte Cäcilie dem Paare zu, »übrigens sonst ein harmloser Mensch und einer unserer reichsten Großgrundbesitzer; seine Schrulle ist, sich für einen Schöngeist und Dichter zu halten!«
Bei den Worten: »einer unserer reichsten ...« blickte Eduard zum ersten Male forschend in diesem glänzenden Raume umher und unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf: »Kann denn noch jemand reicher sein als ihr?« –
Aber jetzt trat Señor Don Salvador ein. Es war ein kleines, rundes Männchen, ganz blond und von auffallend weißer Hautfarbe, etwa vierzig Jahre alt. Wie man den amerikanischen Kapitän Davenport recht gut für einen Spanier hätte halten können, so wäre dieser Spanier – denn als solchen verrieten ihn die ersten Laute seiner Sprache – wohl von jedermann als Deutscher, Däne oder auch Amerikaner eingeschätzt worden.
Er flog trotz seiner Körperfülle leicht auf die Damen zu, küßte beiden die Hand und rief anscheinend ohne alle anderen zu sehen schwärmerisch aus: »Ach, Doña Franziska, – Doña Cäcilia, – wenn Sie wüßten, was für ein Segenstag es immer für mich ist, Sie, die Blüte der Frauen ...«
Er brach schnell ab, denn in diesem Augenblicke gewahrte er Klärchen, die ihn lächelnd betrachtete.
Nach der Vorstellung verneigte er sich tief vor ihr und sagte: »Verzeihen Sie mir nur, gnädige Frau, meinen scheinbaren Mangel an Galanterie, neben der Blüte gibt es ja aber auch bekanntlich vollerschlossene Blumen, und dieses Gleichnis hatte ich mir für Sie aufgespart!«
Er schien diese Worte selber für sehr fein und geistvoll zu halten, denn er blähte sich förmlich auf vor innerem Wohlgefallen und bemerkte gar nicht, daß sich die anderen unverhohlen über ihn lustig machten, hauptsächlich wohl, weil seine prunkenden Worte in grellem Widerspruch zu seinem abscheulichen Englisch standen.
Nun wandte er sich an Professor Swing: »Ich bin am letzten Sonntag in Ihrer Kirche gewesen, Professor, und habe Sie predigen hören ..., valgame Dios! ... Sie alle wissen, ich bin ein guter Katholik, aber solch einen Redefluß ... tanta dominación del idioma ... habe ich nie zuvor gehört!«
»Ach, das verstehen Sie ja nicht, das können Sie ja gar nicht beurteilen,« fiel hier Kapitän Davenport ein, »bei Ihrem miserablen Englisch!«
Und als sich hierauf der Spanier tief gekränkt von ihm wegwenden wollte, machte ihn der Hauptmann sogleich wieder gut durch die Frage: »Sagen Sie doch, Don Salvador, wann werden Sie uns nun endlich das längst versprochene Stiergefecht vorführen?
»O, reizen Sie ihn doch nicht noch zu diesem blutigen, entsetzlichen Schauspiel an!« raunte Swing ihm vorwurfsvoll zu.
»Lassen Sie nur gut sein,« erwiderte der Offizier ebenso leise, »es kommt ja doch nicht dazu! Das verbrauchte, unfähige Blut des Spaniers kann ja nur noch bombastisch wünschen und versprechen, – handeln nicht mehr!«
Ein Vergleich dieser beiden so grundverschiedenen Gestalten hätte genügt, erkennen zu lassen, daß Gutierrez wirklich einem verfallenden Volke angehörte, während der Kapitän zu einem emporblühenden Geschlecht zählte. –
Aber Don Salvador schien nichts von dem leisen Gespräche der beiden Männer gehört zu haben. Ganz glücklich und mit leuchtenden Augen rief er aus: »Sonntag über acht Tage ganz bestimmt! Ich hätte es schon längst stattfinden lassen, aber es ist sehr schwer, eine gute Cuadrilla Stierfechtergesellschaft. und namentlich einen guten Espada Der Matador oder Stiertöter, der Hauptmann der »Quadrilla«. aufzutreiben, denn die besten Leute sind fortwährend besetzt; und wenn Don Salvador Ruiz y Gutierrez schon einmal etwas gibt, dann muß es auch ...«
Und nun sprach er lang und breit über die Anforderungen, denen ein ideales Stiergefecht gerecht werden müsse, wobei er fortwährend spanisch und englisch durcheinanderwarf und zuletzt in seinem Eifer ein ganz unverständliches Kauderwelsch hören ließ.
Den beiden Schwestern, diesen vom Schönheitsdrange beseelten Wesen, wurde dieses Geschwätz schließlich unausstehlich, und sie erhoben sich, wie von genau demselben Gedanken geleitet. Franziska klingelte, und als gleich darauf der Negerknabe erschien, rief sie ihm kurz zu: »Laß anrichten, Snowball!« Der Junge verneigte sich stumm, warf dann einen diebisch lächelnden Blick auf den Spanier und eilte hinaus.
»Sie bleiben doch zu Tisch, Señor Gutierrez?« wandte sich nun die ältere Schwester an diesen.
»O nein, Señorita,« erwiderte er, »leider bin ich für heute schon versagt, so wehe es mir auch tut! Ach, Señorita,« fuhr er nun wieder schwärmerisch fort, »wissen Sie, was meinen Nächten oft den Schlaf raubt?«
»Daß die Mexikaner bei der Gründung dieser Stadt nicht schon Sie gekannt haben: sie hieße dann heute nicht San Franzisko, sondern ganz gewiß »Santa Franziska«!
Und mit einem unbeschreiblich selbstgefälligen Lächeln stand er nun ebenfalls auf, küßte von neuem den Damen – diesmal auch Klärchen – die Hände, lud alle auf seine große Farm in Sonoma Valley ein, stellte sich selbst, seine Frau, sein Haus mit allem, was drum und dran hing, zur unbedingtesten Verfügung und empfahl sich endlich.
»Gott sei Dank!« rief Davenport laut aus.
Aber sofort schnitt ihm Cäcilie jedes weitere Wort ab, indem sie sanft verweisend sagte: »Still, Kapitän! Keine böse Zunge über die Abwesenden!«
Und wieder färbte sich seine dunkle Gesichtsfarbe rot, wieder blickten seine dunklen Augen wie anbetend in die ihren, und noch einmal flüsterte er: »Sie haben recht, – Verzeihung!«
Ach, jetzt wußte es Eduard, dem die Eifersucht aufs neue einen schmerzhaften Stich ins Herz gab: dieser sonst gewiß sehr trotzige und unbändige Soldat war hoffnungslos in den Fesseln dieses schönen, stillen Mädchens; wurde er wieder geliebt? –
Snowball erschien in diesem Augenblick und sagte nur: » Dinner!«
»Also bitte, meine Herrschaften, zu Tische! Wir müssen leider ohne meinen Bruder speisen, aber es geschieht ihm schon recht, dem Herumtreiber!«
Alle erhoben sich nun und gingen, ohne einander zu führen, sowie ohne jegliche andere Förmlichkeit, zwanglos wie zuvor plaudernd, nach dem Speisesaal.