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Ich habe den nächsten Dienstag auf meinem Kalender mit einem Kreuz bezeichnet. Es ist der 19. August, und an diesem Tage wird meine Tugend in den Armen Duzarts unterliegen. Es verursacht mir ein sonderbares Gefühl, genau auf den Tag zu wissen, daß es also dazu kommen wird, und eigentlich ist es ganz interessant und belustigend für mein unerfahrenes Gemüt. Mir ist, als ob ein leichtes Feuer in meinen Adern brenne, und darin liegt ein gewisser Reiz. Ich fange an, Geschmack für dieses monotone Pariser Leben zu bekommen, bei dem man sich, wenn man zehn Jahre lang mitgemacht hat, mehr langweilt, wie eine alte Betschwester auf dem Lande. Ja, ich empfinde den ganzen Reiz, der im Verbotenen, in der Sünde liegt, – um es ganz offen zu sagen, im Unanständigen. Dabei kommen mir die Erinnerungen an meine Schulmädchenzeit, wo wir halbwüchsige Rangen uns an unserem halb naiven, halb perversen Spiel erregten und belustigten. Und doch, die Medaille hat auch ihre Kehrseite. Wenn ich einen Augenblick ruhig darüber nachdenke oder wenn irgend ein zufällig ausgesprochenes Wort mir plötzlich die brutale Thatsache vor die Augen rückt: Du sollst Dich einem Manne hingeben, der nicht Dein Gatte ist, – so überkommt mich eine physische Angst, die mich vom Kopf bis zu den Füßen durchschauert und mir gradezu Schmerzen verursacht, woher mag das kommen? Ist es mein Körper, der sich dagegen empört? Oder regt sich etwa das Gewissen in mir? Ich weiß es selbst nicht. Ich möchte aber eher glauben, daß es mein Körper ist, denn ich besitze eigentlich kein Gewissen mehr. Und das ist nicht meine Schuld. Man hat es in mir getötet. Das Leben selbst hat es in mir getötet. Ich war ebenso gut wie alle anderen, als ich mich verheiratete, aber ich habe zu oft vom Ehebruch reden hören, wie von einer Bagatelle. Man hört so oft: »Mme. X. hat ein Verhältnis mit Herrn Y.« oder: »Diese und jene Dame aus der Gesellschaft hat sehr viel hinter sich,« und dann sah ich, wie man Mme. X. umarmte und Mr. N. die Hand schüttelte und sich geradezu drängte, um bei einer gewissen Dame eingeladen zu werden, die, wie alle Welt weiß, Kokotte war. Dann und wann dringt irgend eine Legende von einem betrogenen Ehemann oder einer eifersüchtigen Frau, die zum Revolver greifen, an mein Ohr, aber eigentlich nur im Theater. In unseren Kreisen – wo wäre da ein Mann oder eine Frau zu finden, die so etwas thäte. Höchstens einmal irgend ein verkommenes Subjekt, dem man keine fünf Louisdors borgen möchte und in dessen Vergangenheit regelmäßig schmutzige Geldgeschichten oder Sittlichkeitsverbrechen spielen (so etwas kommt gewöhnlich erst vor Gericht an den Tag) aber in der wirklichen guten Gesellschaft – niemals. Eine anständige Scheidung genügt selbst den aufgeregtesten Gemütern, und die meisten beschränken sich darauf, ein Auge zuzudrücken – wie ich es bis jetzt gethan habe, oder – Gleiches mit Gleichem zu vergelten – wie ich es nächsten Dienstag zu thun gedenke.
Nein, wirklich, ich habe das Gefühl für die Moral in der Ehe verloren; aber ich lege Wert auf die Ästhetik und darum schaudert mir bei dem Gedanken, zwei verschiedenen Männern gleichzeitig anzugehören. Das, glaube ich, charakterisiert am besten meine Empfindung. Darum mochte ich auch mit meinem Mann nichts mehr zu thun haben, sobald ich wußte, daß er sich mit anderen Frauen abgab. Die Sinnenlust der anderen widerte mich an.
Ich bin überzeugt, daß von den Pariser Frauen viele so denken wie ich. Was sie ihr Gewissen nennen, ist nur eine Art nervöser Gereiztheit in dem Gedanken an die Liebesfreuden anderer.
Gestern Abend gab es eine Scene zwischen meinen Mann und mir, die für einen eingeweihten Dritten sehr komisch gewesen wäre – eine Scene zwischen zwei Eheleuten, die scheinbar ganz gut miteinander leben, und von denen einer den andern seit mehr wie einem Jahr hintergeht, während dieser andere sich gerade anschickt, es dem einen mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Henri kam schweigsam und verstört nach Hause und zeigte nichts von jener gezwungenen Munterkeit und künstlichen Liebenswürdigkeit, mit der er mir sonst nach seinen Rendezvous in der Rue de la Terrasse begegnet (trotzdem kam er natürlich von dort). Er war kaum imstande etwas zu essen, obwohl er sich alle Mühe gab und schien wirklich nicht wohl zu sein. Ich dachte mir gleich, um was es sich handelte. Er litt wieder am Herzen, – das heißt – dieses Mal in physischer Beziehung. Er hat nämlich häufig Herzklopfen und Beklemmungen. Und in diesem Zustand ist die geringste Bewegung und das unbedeutendste Geräusch geradezu eine Folter für ihn. Wahrscheinlich hatte Mme. Lehugueur an diesem Tage ihre Verführungskünste ganz gefährlich spielen lassen, denn ihr bedauernswerter Liebhaber machte wirklich einen trostlosen Eindruck. Er verzichtete auf sein Mittagessen, noch ehe der Braten kam und legte sich im anderen Zimmer auf die Chaiselongue, kaum imstande zu atmen und sichtlich bemüht, jede Bewegung zu vermeiden, damit die abscheulichen Schmerzen nicht noch ärger würden.
Wenn ich ihn so sehe, schlagen alle meine Gefühle in Mitleid um. Ich machte die barmherzige Schwester, kleidete meinen Kranken ganz behutsam aus, um ihm jede Bewegung zu ersparen und brachte ihn dann zu Bett. Schweratmend legte er sich nieder. Dann rieb ich ihm die Brust mit Branntwein, diese Brust, auf die Mme. Lehugueur ach, wie oft, ihre Lippen gepreßt hatte – schraubte die Lampe herunter und setzte mich an sein Bett. Es giebt bei diesem Leiden kein anderes Mittel, wie absolute Ruhe, ein dunkeles Zimmer und Geduld, Henri leidet in solchen Momenten keinen Menschen außer mir in seiner Nähe. Das habe ich also doch vor Mme. Lehugueur und Mme. Vigilance voraus.
Ich verlor meine Zeit übrigens nicht mit Betrachtungen über den Widerspruch zwischen meiner Rolle als hingebende Krankenpflegerin von heute und der treulosen Gattin von morgen. Ich habe mich nur bemüht, mir darüber klar zu werden, wieviel aufrichtiges Gefühl für diesen Kranken, an dessen Lager ich wachte, noch in mir zurückgeblieben war. Und da empfand ich es doch, daß sein Verlust ein schwerer Kummer für mich sein würde, vielleicht noch schwerer, wie der eines Kindes, dem gegenüber man sich doch nichts vorzuwerfen hat. Ja wirklich, es schmerzt mich, ihn körperlich leiden zu sehen, es macht mich wider Willen traurig. Und ich bin überzeugt, daß auch er totunglücklich wäre, wenn ich stürbe, oder schwer krank würde. Denn, abgesehen von dem bischen Sinnlichkeit und den kleinen Bosheiten, besteht doch noch etwas anderes zwischen uns: eine undefinierbare Zusammengehörigkeit, die nichts mit materiellen Interessen zu thun hat, sondern weit über diesen und über dem gegenseitigen Egoismus steht – mit einem Wort, etwas Höheres und Besseres.
Ich möchte wissen, woraus sich dieses seltsame Gefühl zusammensetzt, das uns nicht daran hindert, auf dem Gebiete der Liebe als Feinde einander gegenüberzustehen und uns alles mögliche Leid zuzufügen. Ist es Liebe? Nein – Oder Gewohnheit? Vielleicht ist es das. Henri und ich haben nun schon fünf Jahre lang gemeinschaftlich das Joch des Lebens getragen, und ich glaube, wir haben uns darum gern, weil ein jedes von uns während dieser Zeit die gleichen Leiden durchgemacht hat.
Nach und nach erholte Henri sich wieder, die Ruhe und die Stille thaten ihm wohl und er schlief ein paar Minuten. Beim Erwachen regte sich plötzlich das Gefühl der Dankbarkeit gegen mich, die so gut zu ihm war; er suchte mit der Hand mein Gesicht zu berühren. Ich beugte mich über ihn und er küßte mich liebevoll auf den Hals. Ich ließ es geschehen, ich empfand sogar Freude darüber.
Selbstverständlich wird dieses kleine Intermezzo von häuslichem Glück weder an dem Lebenswandel meines Gatten, noch an meinen Vorsätzen für morgen etwas ändern.