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Der treulose Gatte

2.

Man sollte es garnicht erst versuchen, sich gegenseitig etwas vorzumachen, wenn man sechs Jahre zusammengelebt und sich wenigstens während zwei Drittel dieser Zeit geliebt hat. Wenn ich mich damit befasse, im Herzen meines Mannes zu lesen, liegt es offen vor mir da wie mein Gebetbuch. Für gewöhnlich ist mir diese Lektüre allerdings zu langweilig, ich mag kaum das Titelblatt ansehen oder es überhaupt aufschlagen.

Gestern abend nun hat es mir Spaß gemacht, es einmal anzuschauen und etwas darin herumzublättern. – Gewöhnlich reden wir bei unseren gemeinsamen Mahlzeiten nicht viel miteinander, – was hätten wir uns auch schließlich zu sagen? Alles, was uns gemeinsam berührt, haben wir so und sovielmal durchgesprochen, wozu sollten wir immer wieder das Inventar davon aufnehmen, was uns wirklich interessieren würde, wäre eben gerade das, was jeder ängstlich vor dem anderen verbirgt. Aber wie ich vorhin schon gesagt habe, um die Gedanken der anderen zu erforschen, bedarf es keiner weiteren Konfidenzen.

So beobachtete ich denn meinen Gatten, während er in tiefstem Stillschweigen seine Artischocken aß und dabei an alles mögliche andere dachte, nur nicht an mich. Dann fragte ich mich: »Gefällt er mir eigentlich oder ist das vorbei?« Aber wirklich, ich war nicht imstande es zu entscheiden. Darüber allerdings war ich mir klar, daß seine körperlichen Vorzüge mich nicht mehr reizten wie in alten Zeiten, wo ein gewisses Aufleuchten seiner blauen Augen oder eine Bewegung seiner schönen schlanken Hände mir das Herz erbeben machte und meinem Selbstgefühl schmeichelte. Ich hätte laut rufen mögen: wie hübsch ist er doch und nur mir allein soll er gehören.

Jetzt dagegen verzieh ich ihm gern alle jene kleinen Mängel und Unvollkommenheiten seines äußeren Menschen, unter denen ich damals so gelitten habe, bis ich nach verzweifelten Anstrengungen es dahin brachte, sie zu übersehen. Seine Ohren sind nämlich schlecht angewachsen, am oberen Ende abgeplattet wie ein eingebogenes Stück Pergament, und das Ohrläppchen fehlt gänzlich. In der ersten Zeit unserer Ehe machte mir das förmlich Kummer; ich hätte es lieber gesehen, wenn er nur ein Ohr oder überhaupt keins gehabt hätte. Das hätte mein Glück nicht getrübt und ich hätte ihn darum doch geliebt. Außerdem brachte es mich zur Verzweiflung, daß er etwas zu dick war, besonders im Gesicht, und daß er ein Doppelkinn hat.

Aber jetzt ist mir sein Äußeres ebenso gleichgültig wie seine Gedanken. Und er weiß das ganz gut. Er giebt sich meinetwegen, das heißt, wenn wir unter uns sind, keine besondere Mühe, sich hübsch zu machen. Sonst gilt er allgemein für sehr eitel, aber das thut nichts zur Sache.

Während ich diese traurigen Thatsachen feststellte, vergaß ich nicht meine Beobachtungen auch auf das moralische Gebiet auszudehnen, und alles bestätigte mir, daß der mit Mme. Vigilance unterzeichnete Brief die Wahrheit sagt. Ja, mein Mann ist mir untreu, in jeder Beziehung untreu und ganz besonders jetzt. Erster Beweis, dieser sonst schon so soignierte Mann legt jetzt womöglich noch mehr wert aus sein Äußeres. Es fiel mir ein, daß er sich kürzlich neue Hemden angeschafft hat mit einem Einsatz aus lauter kleinen parallel laufenden Falten ohne Mittelstück. Ich meinesteils finde sie nicht schön, aber sie sind jedenfalls nach dem Geschmack meiner Freundin Lehugueur, die der berühmte Brief mir verraten hat. Ebenso die mächtige Kravatte und der Biedermeierrock. Ich erinnere mich, daß der Anzug heute vor 14 Tagen ins Haus gebracht wurde. Dieses Datum ist von großer Wichtigkeit. Wenn eine Frau ihrem Geliebten Ratschläge in Toilettenfragen erteilt, so ist die Zeit des »Sündenfalls« sehr nahe. Manche Frauen machen derartige kleine Abänderungen feierlich zur Bedingung, wenn sie einem Mann ihre Gunst erweisen wollen. Die Baronin Lespérant – sie ist so amüsant mit ihrem Zynismus, wenn sie uns jungen Frauen von ihren lustigen Abenteuern, wie sie selbst sich ausdrückt, erzählt – sagte neulich, während sie im Theater den kleinen Luc Delespant mit der Lorgnette fixierte: »Da ist wieder einer, den ich angezogen habe.«

So hat also auch Mme. Lehugueur meinen Gemahl nach ihrem Geschmack gekleidet. Seine Schuld verrät sich nicht nur in dem M-förmigen Einschnitt seines Rockkragens, in der Kravatte à la Collin und in der leicht markierten Biedermeierlocke, sie spricht auch aus einer gewissen Heiterkeit, die über sein Gesicht ausgegossen ist, aus einer ungewöhnlichen Geschmeidigkeit in den Bewegungen und dem unbewußten Lächeln, das seine geschlossenen Lippen kräuselt. Er hält stumme Selbstgespräche, ohne daran zu denken, daß ich ihn beobachten könnte. Mit innerer Befriedigung geht er noch einmal die Ereignisse des Tages durch und lächelt in der Erinnerung an die zweifelhaften Scherze, die er selber gemacht oder von Mme. Lehugueur gehört hat. Ach, er ist sehr zufrieden mit sich selbst, mein guter Mann, er ist stolz darauf, daß er immer noch ein Don Juan und mit 40 Jahren noch der Liebhaber einer Weltdame ist. Er trinkt seinen Wein und ist ganz voller Selbstbewunderung – da plötzlich begegnen sich unsere Blicke, und weil er ebensogut in meinem Innern zu lesen vermag, wie ich in dem seinen, so fühlt er, daß ich ihn erraten habe oder besser, er fürchtet es, er wittert Gefahr. Und nun beginnt er schleunigst nach einem Gesprächsthema zu suchen (und zwar verfällt er darauf, vom Salon zu sprechen – er, der ungefähr soviel von Kunst versteht, wie ich von Mechanik), er macht sich liebenswürdig, schenkt mir sehr zuvorkommend ein. – Ach, wie habe ich innerlich darüber gelacht.

Wenn ich schlau gewesen wäre, so hätte ich die völlig Ahnungslose gespielt und ihn den ganzen Abend seine Mätzchen machen lassen. Aber das kommt nur auf dem Theater vor, im wirklichen Leben möchte man immer zu bald merken lassen, daß man sich nicht so anschwindeln läßt, und will dem anderen seine eingebildete Überlegenheit nehmen. Ich spitzte die Situation zu, und als Henri mir irgend ein fades Kompliment über meine Haare machte, um sich galant zu zeigen, fuhr es mir heraus: »Ja sie haben wenigstens darin etwas vor anderen voraus, mein Lieber, daß ich mir weder das Haar noch die Farbe dazu gekauft habe.« (Mme. Lehugueurs Haare sind zur Hälfte falsch, und die andere Hälfte ist auf Grund der allerneuesten Erfindungen auf dem Gebiete der Chemie gefärbt, etwa in dem Ton wie nagelneue Mahagonimöbel.)

Mein Mann erwiderte nichts. Er fühlte wohl, wie gefährlich seine Lage war und wußte sich nicht zu verteidigen. Ich war kindisch genug, ihn noch mehr aus dem Konzept zu bringen, indem ich mich über seinen neuen Anzug moquierte und ihm sagte, bei einem ganz jungen Mann könne man derlei kleine Extravaganzen immerhin noch begreifen, aber ein Vierziger mache sich dadurch einfach lächerlich.

Er fing an zu stottern: »Aber ich bitte dich, lieber Schatz, meine sämtlichen Freunde im Klub bringen der Mode diese kleinen Opfer – man könnte uns sonst ebensogut für Oberkellner halten.«

Dann verabschiedete er sich, um Waffenstillstand zu machen und sagte, er müsse noch auf einen Augenblick zum Empfangsabend des Ministers. – Nun ja, hingehen wird er wohl, aber den ganzen Abend wird er sicher nicht dort bleiben.

Ich blickte ihm nach, wie er fortging, und meine Bosheit reute mich. Ich fühlte, was in der Seele dieses braven Mannes vorging, – er ist ein Egoist, aber bösartig ist er dabei nicht. Gewiß, es thut ihm weh, seiner Frau solchen Schmerz zu bereiten – er verließ mich ganz niedergeschlagen und voller Angst. Aber welche Wonne, um fünf Uhr ein gewisses Entresol im Quartier Marbeuf aufzusuchen und dort auf eine Dame zu warten, als wäre man erst 25 Jahre alt. Es wäre traumhaft schön, wenn man diese Liebschaft beibehalten könnte, ohne seiner Frau damit weh zu thun. So'n bischen für die Sinne, ein bischen für die Eitelkeit und dabei kein allzu schlechtes Gewissen.

Aber so haben wir nicht gewettet, mein teurer Gatte!


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