Rudolf Presber
Theater
Rudolf Presber

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Das Kleid auf der Bühne

(Zukunftsbildchen durch die Brille des Bühnenvereins gesehen)

Der Bühnenleiter Ja, mein lieber junger Freund, Sie haben da leider ein historisches Stück geschrieben. Das ist an sich schon ein Unglück. Denn solche historischen Stücke pflegen historisch zu werden, ehe sie wer aufführt.

Dichter Ich dachte doch gerade die Gestalt Heinrichs VIII. würde interessieren. Und der Herzenskonflikt . . .

Bühnenleiter Herzenskonflikt?! Wenn ich das schon höre! Das ist's ja eben: ein »Herzenskonflikt« braucht Weiber. Weiber im Pluralis. Weiber brauchen Kleider . . .

Dichter (verwirrt) Allerdings. Ich dächte . . .

Bühnenleiter Ja, Sie denken. Sie »denken« auch die Kleider bloß. Aber ich muß – bezahlen. Rechnen wir, Verehrtester! Ein vollbesetztes Haus bringt mir viertausend Mark. Davon gehen tausend Mark für Pacht, Heizung, Gagen und das Selterswasser ab.

Dichter Was, für Selterswasser?

Bühnenleiter Nun, es wird doch in jedem Stück »Schaumwein« getrunken. Ich habe vierzehntausend Flaschen Selterswasser auf meiner letzten Quartalsrechnung gehabt. Also es bleiben dreitausend Mark. In Ihrem Stück ist Heinrich VIII. im ersten Akt noch verheiratet mit Katharina. Katharina tritt in drei Akten auf, macht drei Toiletten einer Königin. Keine unter tausend Mark. Kommt hinzu die Krone. Schön, wir können die verwenden, welche neulich die Germania in dem Lauff'schen Festspiele getragen hat. Aber sie muß anglisiert und stilisiert werden. Seit Max Reinhardt's Tode anno 1940 ist das ja besser geworden mit dem Stilisieren. Der Kerl hat uns ein Vermögen gekostet! Aber einerlei, die Umarbeitung der Krone kostet 500 Mark. Kämen hinzu zwei Hofdamen. Zwei Toiletten mit Courschleppen je 500 Mark, zwei Nachtgewänder für den dritten Akt mit Valenciennesspitzen.

Dichter Ja, aber warum denn Valenciennesspitzen?

Bühnenleiter Mein Lieber, das verstehn Sie nicht. Das Stück wird ausgepfiffen, glatt ausgepfiffen, wenn das mit der Kleidung nicht stimmt. Und je weniger sie anhaben, desto echter muß es sein. Ein Bühneninstitut in unserm Range muß Valenciennesspitzen an den Nachthemden haben. Also pro Hemd sagen wird dreihundert Mark. Es sitzt irgendwo immer ein Börsianer im Konkurs, von dessen Freundin man so was unter der Hand billig haben kann . . . Im zweiten Akt hat Heinrich VIII. sein Auge schon auf Marie Boleyn geworfen. Ja, meinen Sie denn, ein König wirft sein Auge auf etwas, was nicht gut verpackt ist? Also das Kostüm der Marie Boleyn – ich denke mir: Brokat und ein schwerer Sammet – ist nicht zu machen unter tausend Mark. Oder wenn's zu machen ist, Sie kennen doch die Valeska Birschitzky, die die Rolle spielen muß? Die zieht Ihnen nichts an, wenn's nicht echt und teuer ist. Im dritten Akt hat er genug von ihr und bekurt ihre Schwester Anna. Sagen Sie mir bloß warum das?

Dichter Ja, aber erlauben Sie, das ist doch historisch.

Bühnenleiter Das ist ja das Unglück, daß es »historisch« ist. Wäre es nicht historisch, brauchten auch die Kostüme nicht historisch zu sein: und dann könnten sich die Mädchen den Plunder selbst bezahlen. Aber so! Die Anna Boleyn soll schöner sein als die Schwester. Das wird mir natürlich die Mieze Maska unter die Nase reiben, wenn ich ihr die Rolle schicke. Also setzen wir 1200 Mark an für das Kleid. Im vierten Akt ist Hofball. Hofbälle gehören zu den unglücklichsten Erfindungen auf der Bühne; das kostet acht neue Kostüme für die Quadrille. Rechnen wir billig: zusammen 1600 Mark. Und die Anna Boleyn kann nicht auch noch in dem Tausendmark-Fähnchen kommen, das sie vorher getragen hat. Die echten Steine will ich garnicht rechnen, die hat sie noch von der »Cameliendame«.

Dichter Ja, spielt sie denn die Cameliendame auch?

Bühnenleiter Blos im Privatleben. Aber nun kommen Sie da auf den unglücklichsten Einfall, die Anna Boleyn hinrichten zu lassen. Eine Heirat wäre viel billiger. Ein Hochzeitskostüm ist noch aus dem »Hüttenbesitzer« da. Hochzeitskostüme ändern sich wenig, weil die Dummheit, die ihnen zu Grunde liegt, auch immer dieselbe bleibt.

Dichter Ja, aber die Anna Boleyn ist doch hingerichtet worden.

Bühnenleiter Ist doch ganz wurscht! Sie geben doch keinen Geschichtsunterricht. Aber wenn Sie drauf bestehen, rechnen wir weiter. Ein Kostüm für den Gang nach dem Schafott ist immer besonders teuer. Für die Anna Boleyn könnte man ja allenfalls das Maria Stuart-Kostüm für den Gang zum Schafott neu herrichten lassen. Aber das kostet auch seine vier- bis fünfhundert Mark. Wenn Sie nun wenigstens mit dem Schafott ein Ende machten. Aber Sie müssen noch die Jane Seymour herbeischleppen. Wozu das um's Himmelswillen! Das kostet wieder eine Verpackung. Und Käthchen Muhmichel, die die Jane spielen müßte, hat eine so empfindliche Haut. Sie trägt nur auf Seide gearbeitet. Das hat sie kontraktlich. Wissen Sie was, streichen wir die dumme Pute einfach!

Dichter Aber, Herr Direktor, das ist doch unmöglich. Der achte Heinrich läßt doch die Anna Boleyn nur hinrichten, weil sie ihn mit der Jane Seymour auf dem Schoß getroffen hat.

Bühnenleiter Nu, wenn Sie darauf bestehen. Ein Kostüm, das eine Person anhat, die Heinrich VIII. auf den Schoß nimmt, ist nicht unter zweitausend Mark herzustellen. Die Dessous ungerechnet, die bei solcher Gelegenheit besonders chik sein müssen.

Dichter Sie könnte ja dem Publikum den Rücken drehen in dieser Szene.

Bühnenleiter Sie haben 'ne Ahnung! Keine Katz ginge in das Stück. Wenn schon die Szene kommt, müssen wir für die Dessous unsere 700 Mark ansetzen. Nun rechnen Sie gefälligst zusammen. Katharina drei Toiletten dreitausend Mark. Hierzu die Krone 500 Mark, macht dreitausendfünfhundert Mark. Zwei Hofdamen à 500 Mark bei Tag und à 300 Mark bei Nacht mit Valenciennesspitzen, zusammen 1600 Mark. Macht mit den dreitausendfünfhundert Mark zusammen 5100 Mark. Hierzu acht Kostüme für die Quadrille 1600 Mark. Kommen hinzu die Kostüme für Marie Boleyn 1000 Mark, für Anna Boleyn zum Leben 1200 Mark, für's Schafott 500 Mark, macht zusammen 4300 Mark. Für Jane Seymour für die Szene, wo sie steht, 2000 Mark und für die Szene wo sie sitzt, 700 Mark extra. Macht zusammen 2700 Mark. Rechnen wir dazu die 5100 Mark, so bekommen wir 12 100 Mark Toilettenkosten für Ihren Heinrich VIII. Mehr als zweimal wird bei Hof kein Kleid getragen. Die Unterhaltung im Konservationszimmer ramponiert auch leicht die Toiletten. Wie soll ich dabei was verdienen? Besten Falles 3000 Mark Einnahmen und 12 100 Mark Toilettengelder.

Dichter Ja, das ist entsetzlich!

Bühnenleiter Es ist mehr als entsetzlich. Es ist die Wahrheit. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Ändern Sie das Stück, machen Sie's modern. Heinrich VIII. wird Direktor der Englischen Hypothekenbank. Katharina ist eine geborene Cohn-Veilchenstein aus Breslau oder aus Frankfurt. Die Schwestern Anna und Marie Boleyn sind Pariser Kokotten. Und die Jane Seymour ist eine Volksschullehrerin. Das ist hübsch und neu. Hauptsache bleibt natürlich die Szene mit den Dessous. Das ist der Clou des Abends. Glauben Sie mir. Ohne die Szene ist das Stück überhaupt nichts wert. Ob's nun am Hof von England oder im Boudoir des Direktors der Hypothekenbank spielt.

 


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