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Lyrisch-sentimentales Singspiel aus Berlin N
Breimaul-Aujust, Kaschemmenvater »Zum Hundeknochen«.
Krawatten-Willy, »Gelegenheitsarbeiter«.
Die rote Lina, seine »Braut« aus Nummer 7.
Die Polka-Lowise, seine »Braut« aus Nummer 11.
Gummi-Karlchen, sein Freund.
Ein toter Nachtwächter (singt nicht).
Zwei lebendige Nachtwächter.
Ein fremder Herr.
Chor der Mädchen aus Nummer 6-129.
Eine kleine und noch schmutzigere Straße in Berlin N. So dunkel, daß man die Hand nicht vor den Augen sieht. Diese Hand maust während der Vorstellung die Uhrketten in den ersten Parkettreihen. Links der Keller des Breimaul-Aujust »Zum Hundeknochen«, wo die gestohlenen Sachen verschärft werden. An den Häusern drücken sich rote und grüne Federhüte entlang. Ab und zu trottelt ein Betrunkener quer über den Fahrdamm. Krawatten-Willy und Gummi-Karlchen, die mit Erfolg von einer Bierreise kommen, schwanken auf die Szene und einigen sich nach kurzem Wortwechsel und einigen Messerstichen zu folgendem Antrittslied:
Krawatten-Willy – Gummi-Karlchen
In der Ackerstraße
Ist een jroßer Fêz –
Eene uff die Nase,
Eene uff'n Deez! –
Mächen, was is Lü–be?
Ewig bleibste »Braut«,
Wenn mer wer die Rü–be
Von de Schultern haut!
Gummi-Karlchen (elegisch):
Bist de aus 'n Kittchen
Und riskierst 'nen Ton,
Hat Dir am Schlafittchen
So'n Blauer schon –
Krawatten-Willy (munter).
Wat sich neckt, det liebt sich –
Gloobst nich – bist'n Schaf.
»Hundertfünfundsiebzig«
Heest en Parajraph.
Krawatten-Willy – Gummi-Karlchen
Is nur Eener tüchtig,
Schuften braucht er nich . . .
Det Jeschäft is richtig,
Und et blüht für sich.
Mancher erbt 'n Dahler
Bloß so im Jedräng;
Aber Steuerzahler . . .
Nich in die la mäng!
Krawatten-Willy Ne, weeßte, Gummi-Karlchen, was mer nu det vor ne Freude macht, det Du nu wieder aus'n Kittchen bist.
Gummi-Karlchen Du, det gloob ick. Denn wenn ick jepfiffen hätte, so hätt'ste mir man Jesellschaft leisten können.
Krawatten-Willy Quatsch nich, ick hab dafür uff Deine Braut uffjepaßt. Det Mächen macht sich. Vorjestern hat se zwee Herrn aus Stargard kennen jelernt, feine Kavaliere, die so besoffen waren, det se'n Mond vor'n Jemüse jehalten haben. Von Eenen hab ick den Siegelring als Andenken, und den Andern hab ick jeholfen det Reisejeld nachzählen. Da kam's nu zu ne kleene Meinungsverschiedenheit, verstehste.
Gummi-Karlchen Jawoll. Du hast jesagt, et wären zweehundert, und er hat jemeint, et müßten dreihundert sein.
Krawatten-Willy Dussel! Ick hab'n jezeijt, det es bloß hundert waren, und er hat mir wat von vierhundert erzählen wollen. Na, ick hab jesacht: hochverehrter Freund und Jönner, halten Se de Luft an und machen Se mir nich fuchtig. Un nu det Ende von der Besprechung war, det ick ihm mit'n blutigen Einsatz die Treppe runterfeuern mußte. Und wenn mir nich allens täuscht, wat mer nachher da zusammenjekehrt haben, so kaut er nu ohne Zähne.
Gummi-Karlchen Na und die Uhr? Jeht se noch?
Krawatten-Willy Danke die Nachfrage. Woll'n wa sehn, ob der Breimaul-Aujust 'n Interesse dran hat, zu wissen, wie spät's is?
(Sie gehen nach dem »Hundeknochen«.)
Halt, eens noch, – een Momang, würdiger Jeschäftsfreund. Deine Braut – nicht zu sagen, 'n nettes Mächen, die Polka-Lowise – det is nu meine Braut.
Gummi-Karlchen Krist de Motten! Du hast doch die rote Lina.
Krawatten-Willy Die is man jeschäftlich zu sehr in Anspruch jenommen, seit se det neie Haar hat. Strohgelb sag' ick Dir – fein!
Gummi-Karlchen Na, die kannst de Dir an'n Hut stecken. Aber wat mein is, is mein.
Krawatten-Willy Det jloobst de doch selber nich, wenn Du Dir den Schaden besiehst.
Gummi-Karlchen Wat, Du Jroß-Mogul? Ick sitz vor Dir und Du verjreifst Dir derweil an meine heiligsten Jefühle . . .
(Die Polka-Lowise geht mit dem fremden Herrn vorüber und huscht lachend in das Haus Nummer 11.)
Solch ne Freunde hat det Mächen, Schentelmänns mit'n doppelten Stehkragen und'n weißes Hemde. Und so'n Mächen soll ick jutwillig herjeben? So eene soll ich treulos verlassen?
(Er zieht ein Stehmesser aus der Hose.)
Krawatten-Willy (ebenso). Nu, wenn de durchaus frikassiert sein willst. (Hält das Messer hin.) Da lauf man jejen!
(Der Chor der Mädchen von Nummer 6-129 tritt auf. Links die Mädchen von siebzehn bis siebenunddreißig Jahren; rechts die Mädchen von siebenunddreißig bis fünfundsechzig Jahren.)
Chor der Mädchen
Wenn die Lampen fackeln trübe,
Dann erwacht die heiße Lübe
In der Brust des männlichen Geschlechts.
Schlürfend auf zerriss'nen Socken,
Zieh'n wir mit jebrannten Locken
Längs den grauen Mauern links und rechts.
Im stillen Gäßchen
Gibt's Ulk und Späßchen,
Und dem Besoffnen wird die Seele weich.
Ob er ein Prinz ist,
Aus der Provinz ist –
Die Liebe macht uns alle, alle gleich!
In dem Schatten dunkler Tore
Steht der »Bräut'jam« con amore,
Folgt mit wilden Blicken unserm Gang;
Und entstehen Differenzen,
Ei, dann sieht man lustig glänzen
Die geschärften Messer blank und lang.
Im stillen Gäßchen
Gibt's Ulk und Späßchen,
Und wenn den Schaden man besehen tut,
Dann liegt, o Trauer,
So'n armer Blauer
Im Rinnstein steif und kalt im roten Blut.
Die rote Lina
Was jeht hier vor? Was seh ich denn?
Zwei wutherhitzte Schäntelmänn.
Zwei edle Ritter, stolz und stramm . . .
Der Eene is mein Bräutijam.
Auch mit dem Andern, kampferprobt,
War ich verschiedentlich verlobt.
Chor der Mädchen
Ach, laß se man, se stechen nur
En jroßes Loch in die Natur.
Krawatten-Willy
Wenn mir wer dumm kommt,
Der bleib' jeduckt,
Weil er sonst umkommt,
Bevor er spuckt.
(Er avanciert und sticht.)
Gummi-Karl
Du denkst, du kannst en
Beerben schon . . .
Du bist am dransten,
Mein Kronensohn!
Chor der Mädchen (die rote Lina zurückhaltend).
Laß se man feste!
Die Hände weg!
Det is das Beste
Vor Kummerspeck!
(Während der Chor dieses schöne Lied immer munterer im Rhythmus wiederholt, geht eine wüste Messerstecherei los. Wenn die Sache fertig ist, sind die Gegner gesund, aber ein Nachtwächter ist tot.)
Chor der Mädchen
Det is zum Weinen
Nu guck daher!
Der drinkt jetzt keinen
Jespritzten mehr.
Gummi-Karlchen Schade um ihn. Jott jeb' ihn 'n hübsches Bejräbnis mit Musike.
Breimaul-Aujust (ist aus der Kaschemme getreten). Jotte doch, det arme Luder . . . wat hat er nu vom Leben! Als wie nischt. Wat macht er nu mit die scheene silberne Remontieruhr, die wo er jehabt hat.
Gummi-Karlchen – Krawatten-Willy (gleichzeitig). Wo is se?
Die rote Lina Mir hat er se immer vermachen wollen.
Gummi-Karlchen Erzähl uns blos keene Opern! Dir hat er immer wegen »Übertretung« anjezeigt.
Die rote Lina Weil er eifersüchtig war, Du Dussel. Wat willste überhaupt von mir? Dir is wohl ne Laus über die Leber geloofen.
Krawatten-Willy (triumphierend). Ick hab' se!
Die rote Lina Die Laus?
Krawatten-Willy Quatsch. Die Uhr.
Breimaul-Aujust (nimmt sie an sich). Jib her, ick werd' se der taxieren.
(Er verschwindet eilfertig im »Hundeknochen«).
Zwei lebende Nachtwächter (kommen aus den Seitenstraßen). Wat is denn hier los?
Krawatten-Willy Es is eener in' offenes Messer jefallen.
Der erste lebendige Nachtwächter Na den, dem det Messer gehört hat, den wern wer schon bei de Hammelbeene kriejen. (Zum Krawatten-Willy.) Sie Männeken mit de klebrigen Finger – mir scheint – –
Krawatten-Willy Ihnen hat wohl lange nich die Neese geblut?
Der fremde Herr (kommt mit der Polka-Lowise aus Nr. 11).
Die Polka-Lowise So'n jeriebenes Aas, hat bloß noch fünf Märker bei sich und will Frühlingsjefühle simulieren. Scheibe, mein Herzeken!
Der fremde Herr Nu heeren Se, Kuteste, so gäben Se mer wänigstens das Fünfmarkstück wieder.
Die Polka-Lowise (kreischend). Ick wer mal mein Bräutijam rufen, wat? Du, Gummi-Karlchen, der Herr da will zu Hause jehn.
Gummi-Karlchen (ergreift den fremden Herrn am Kragen). Hamm wer Dich, Männeken mit de belämmerte Fassade? Det war er, Herr Kommissar.
Chor Det war er!
Krawatten-Willy Iber det Mädchen is et losjejangen. Ihnen Ihr Kollege, Herr Kommissar, sagt en Wort, da zieht det poplige Aas da 'n Messer und – rinn in die Rippen!
Der fremde Herr Erlauben Se – wann Se kittigst erlauben dähten – das is Sie nämlich erstunken und erlogen. Ich bin Sie nämlich bloß so zum Verknügen in Berlin – verstähn Se – und ich bin mit dem Fräulein dort mit de Platternarben . . .
Gummi-Karlchen Wat untersteh'n Se sich, Sie miesiger Potsdamer, meine Braut hat 'ne Haut so glatt, wie die Mächen vom Forkenbecken! Erst sticht det Aas hier königliche Beamte dot, und nachher macht er anständige Mächens schlecht, die wo morgen uff's Standesamt jehn.
Die Polka-Lowise Wat – Standesamt? . . . Als wie ich?
Gummi-Karlchen (leise zu ihr). Stille doch – ja. Du mußt aber schwören, verstehst De.
Die Polka-Lowise Jott, nee doch! Allens schwör ick. Ick schwöre, det de Wände wackeln.
Der erste lebende Nachtwächter Fassen Sie zu, Kollege. Wir haben ihn.
(Sie packen den fremden Herrn, der in großer Verzweiflung ist.)
Der fremde Herr In meiner Brieftasche . . . (er sucht) o Gott, wo ist meine Brieftasche?! Die muß mir Jemand . . .
Die Polka-Lowise (leise zum Gummi-Karlchen). Det jibt die Aussteuer, verstehste.
Der zweite lebende Nachtwächter So, und nun Männeken, meiern lassen wir uns nich! Kommen Sie friedlich mit, sonst wer'n wir Ihnen die Flötentöne schon bei bringen.
(Sie legen dem fremden Herrn Handschellen an und führen den Trostlosen mit Rippenstößen ab.)
Krawatten-Willy
Polizei, so lang ich denke,
Klugheit zeigt sich stets und Takt –
Gummi-Karlchen
Macht ein Fremder hier Menkenke,
Wird der Stiesel jleich jepackt.
Alle
Vor Tau und Tagen
Schon hat sie ihn,
Wat will det sagen
Vor 'ne Stadt wie Berlin!
Krawatten-Willy
Hat es Senge wo jejeben
Und liegt irgend wer im Blut –
Gummi-Karlchen
Ei, wir schwören bloß »daneben«
Und – 's is allens wieder jut.
Alle
Man muß wat wagen,
Dann wird verzieh'n –
Wat will det sagen
Vor 'ne Stadt, wie Berlin!
Gummi-Karlchen Und nun, Kinners, verkrümeln wir uns in'n »Hundeknochen« – Verlobung feiern. Und morgen um elfe, Mäuseken, uffs Standesamt.
Die Polka-Lowise Um elfe –? Du, da kann ick nich, da hab' ick dem Dicken versprochen, ihn zu besuchen. Weeßt, den mit de zehn Märker.
Gummi-Karlchen Nu also, dann jeh'n wer um zehne uffs Standesamt, dann biste um elfe dort. Und nu wollen wa wat uff de Lampe jießen. Los!
(Sie ziehen, alle untergefaßt, in den »Hundeknochen«.)
Chor im Abgehen
In der Ackerstraße
Is en jroßer Fez,
Eene uff die Nase,
Eene uff'n Dez
Ist das Leben trü–be,
Schöner, als in W.
Blüht bei uns die Lü–be,
Junge, sag' mal: nee!