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Wieder saß Slavatz im Bauch eines Bootes, wieder zitterte die Bordwand von der schnellen Fahrt, wieder schollen die vertrauten Segelgeräusche, das Knattern der Masten und Steven, das Knallen der Leinwand und die hellen, gesunden Seemannsrufe hinab in seine Dämmerung. Der Wind schien günstig zu sein. Ohne zu landen segelten sie den ganzen Tag. Am Abend wurde an einer Reede angelegt, Slavatz hörte, wie ein paar Männer an Land gingen und nach einiger Zeit gröhlend wiederkehrten, die übrigen stiegen in den Schiffsraum nieder und wieder vollzog sich das Essen von Weißbrot und Käse, das Trinken und Singen und endliche Verstummen.
Am nächsten Morgen, als das Boot den Hafen hinter sich hatte, wurde Slavatz bedeutet, er könne auf Deck gehen. Obwohl es ihm widerstrebte, von der Milde seiner verhaßten Wächter Gebrauch zu machen, erklomm er doch die Leiter, weil ihm das Herz vor Begierde brannte, zu wissen wo er war und wohin gesegelt wurde.
Das ziemlich große Boot, dessen braun und blutrot gefärbte Segel von frischem Wind gebläht waren, befand sich auf offenem Meer in voller Fahrt. Eine große gebirgige Insel, aus deren Bereich das Boot sich schnell segelnd davonmachte, rückte verblassend in 62 die Ferne. Hinter ihr lagen andere Inselrücken und am Himmelssaum blaute sehr fern ein Gebirge, über dessen Grat die Sonne soeben aufgegangen war.
Slavatz suchte sich auf Deck einen Platz und da er zu achter Golub mit einigen Gesellen sitzen sah, humpelte er zwischen Taurollen und Fässern an die Spitze und ließ sich dort nieder. Niemand hinderte ihn. Hier saß er nun Stunde um Stunde, er sah die Sonne steigen und gipfeln, er sah in unabsehbarer Weite das von frischen Wellen gekräuselte Meer blauen, er sah Möven in weißen Geschwadern dem Schiff folgen und dunkle Delphine, deren schwarzzackige Rückenflossen groß aus dem Meer ragten, seine Breitseite begleiten. Und als ob seine Seele der Klage und des Leids müde wäre, gedachte er während dieser Reisestunden seines Unglücks nicht. Das Geschrei und Gelächter der Möwen, das sich rastlos erneute, schien ihm voll gewichtiger Botschaft zu sein und die drolligen Sprünge der Delphine erheiterten sein müdes Herz.
Als die Sonne sich neigte, entfachten die Schiffer ein Feuerchen auf Deck, an dem sie in einem großen Topf ein Bohnengericht wärmten. Sie boten Slavatz davon an und er nahm es und aß, denn er war hungrig. Auch trank er Wein aus einem Krug, den sie ihm reichten. Doch sprach er zu niemandem.
Sehr groß und strahlenlos sank die Sonne ins Meer und da der günstige Wind zu wehen fortfuhr, so segelten sie weiter, geradewegs in den blutig versinkenden Sonnenball hinein. Da sah Slavatz, daß sie nach Westen fuhren.
Als es dunkelte, erschien vor ihnen eine winzige Sandbank, an dieser legten sie über Nacht an, und 63 am Morgen fuhren sie weiter. Wieder strahlte die Herbstsonne über dem salzigen Meer, wieder wehte der günstige Wind, folgten die Möwen schreiend dem Schiff und tanzten die Delphine ihm zur Seite. Slavatz saß auf einer Taurolle und wünschte, das Schiff möge niemals landen. Aber noch vor Abend kam eine kleine Insel in Sicht, man unterschied Häuser darauf und einige Bäume und, als man sich näherte, braune und gelbe Segel in einem schmalen Hafen, dahinter Weinstöcke auf niederen Hügeln. Und man hörte das abendliche Geblök von Schafen, die in den Pferch getrieben wurden.
Das Boot fuhr in den Hafen ein; gleich liefen Leute aus den Häusern herbei, die sehen wollten, wer da käme.
Golub stieg als erster an Land, richtete befehlende Fragen an die Menschen am Ufer und ging sodann, als ihm geantwortet worden war, auf ein geräumiges Haus zu, das etwas erhöht nahe am Hafen stand. Slavatz wurde an Land geholfen und man führte ihn hinter Golub her.
Der König trat mit seinen Wächtern in einen steinernen Flur und sah durch eine Tür, wie Golub mit einem großen, breiten Mann redete. Aus einer anderen Tür blickten eine Frau und ein sehr junges, schwarzhaariges Mädchen neugierig heraus, bis der Mann ihnen zurief, sie sollten sich trollen. Die Wächter wußten nun nicht, wohin sie mit Slavatz sollten, und blieben stehen. Da trat Golub aus der Tür und nachdem er sich mit dem Mann besprochen hatte, befahl er, daß die Wächter mit Slavatz in das Gelaß gehen sollten, aus dem die Frau und das Mädchen herausgelugt hatten. Es war ein niedriges Gemach mit einer 64 Herdstatt, auf der ein Feuer von Wacholderholz brannte. Die Frau war dabei, Fische am Rost zu braten.
Sie wies die Männer an, sich auf eine Bank an der Wand zu setzen, das Mädchen ging fort und kam mit mehr Fischen wieder, die gleichfalls gebraten wurden. Die Frau reichte jedem der Männer einen von Fett triefenden Fisch und ein Stück Brot und auch der König erhielt davon, und das Mädchen brachte ihnen Wein. So saßen sie und aßen, aber niemand sprach, bis Golub an der Tür rief, man möge den Kačić hereinführen. Slavatz trat nun in das Gemach, wo Golub mit dem Mann, der der Hausherr zu sein schien, geredet hatte. Dieser sah ihn mit großen Augen sehr neugierig und fast gerührt an, schwieg aber; Golub jedoch redete Slavatz an und eröffnete ihm, er sei hier am Ziel seiner Fahrt, hier werde er bleiben. Er möge dem Geschick und seinen Besiegern dankbar sein, denn er werde nicht gerichtet und auch nicht eingekerkert werden, was er für seine Haltung wohl verdient hätte; hier auf dieser Insel werde er leben, nichts würde ihm mangeln und niemand würde ihn kränken, falls er keinen Versuch machen würde zu entfliehen oder Botschaften nach Kroatien zu senden. Täte er aber dies, so wäre ihm der Tod gewiß.
»Nicht mehr König sein ist schlimmer als der Tod«, sagte Slavatz mit bebenden Schläfen und flammenden Augen, und es war das erste Wort, das er je zu Golub gesprochen hatte.
»Du hast dir dein Los selbst bereitet«, entgegnete Golub finster und sodann teilte er Slavatz mit, was dieser schon wußte, womit er ihn jedoch völlig zu überraschen und zu vernichten gedachte, daß nämlich 65 die Krönung des Dimitrije Zvonimir beschlossene Sache sei.
»Ich weiß es, daß ihr einen von den Volksfeinden wählen wollt. Gott wird euch strafen und ihn, der ohne Recht den Thron besteigt«, sagte Slavatz in ohnmächtigem Zorn, dabei schämte er sich, daß er sich herabgelassen hatte, zu Golub überhaupt zu reden.
Dieser ließ nur ein kurzes Lachen hören. »Ohne Recht!« sagte er höhnend. »Bist etwa du der rechtmäßige Erbe gewesen, Kačić?« Der König wollte sagen: »Ich bin von den Stämmen gewählt worden«, aber seine Wut über die Frechheit, die Golub sich anmaßte, war so groß, daß er sich zitternd abkehrte.
Golub zuckte die Achseln und wollte sich zu dem großen Mann wenden, der sich still und erschrocken abseits gehalten hatte, da aber hörte er seinen Gefangenen stockend und gequält ihn nochmals anreden:
»Wird meine Frau auch hierher gebracht werden? Und mein Sohn?«
»Deine Leute gehen mich nichts an. Vielleicht kommt jemand anderer, den du um sie fragen kannst.«
»Wer wird kommen?« fragte Slavatz angstvoll und dringlich, aber Golub antwortete nicht mehr, er ging mit großen Schritten aus dem Zimmer, ohne sich nochmals nach Slavatz umzusehen.
Der große Mann winkte dem König zögernd und führte ihn über eine schmale Steintreppe in ein geräumiges Gelaß im Stockwerk und lud ihn ein, sich zur Ruhe zu begeben. Slavatz jedoch war so verzweifelt und von einer so wütenden Angst befallen, daß man ihn nun für immer hier aussetzen würde, daß er eilig aus dem Zimmer laufen wollte, um zum Schiff 66 zurückzukehren. Der Hausherr aber drückte ihn ohne Grobheit auf das Bett und ging schnell aus der Tür, die er von außen verriegelte.
Slavatz humpelte im Zimmer hin und her, das von einer Öllampe spärlich Licht empfing. Er rüttelte an der Tür, dann trat er an das Fenster, riß den Holzladen auf und starrte in die Nacht hinaus. Etwas unterhalb des Hauses, aber nahe genug, rauschte das Meer an den Strand und ein riesiger dunkelblauer Himmel blickte mit kalten Herbststernen darauf nieder. Kein Mensch war am Ufer zu erspähen, auch im Haus schien alles still. Wieder rüttelte der König an der Tür, dann trat er nochmals ans Fenster und rief hinaus: »Hallo, gute Leute! Ist niemand da?« Aber nichts rührte sich. Nur das Meer redete herüber, unermüdlich, unwidersprochen, und es schien zu sagen: »Gib dich darein!«
Am nächsten Morgen war Golub mit Schiff und Gefolge fort. – Viel später, als der große Mann, der Tomaso hieß, sein Freund geworden war, hörte Slavatz von ihm, daß Golub weiter nach Apulien gesegelt war, wo er zum Lohn dafür, daß er den gefangenen König der Kroaten sicher vom Ort der Schlacht bis auf die Insel gebracht hatte, ein Landgut zum Lehen erhalten sollte.
Es war eine sehr kleine Insel, auf der Slavatz sich befand. Außer dem aus wenigen Häusern bestehenden Hafenort, der in einer schmalen Bucht an der Westseite lag, gab es an der Ostseite noch ein paar Anwesen von Fischern, Weinbauern und Schafhirten, die nahe beieinanderliegend, nochmals einen kleinen Weiler bildeten. Die Insel war so wenig ausgedehnt, daß sogar 67 der langsam humpelnde Slavatz nicht viel mehr als eine Stunde brauchte, um den schmalen Pfad auszugehen, der den felsigen und kiesigen Strand dicht begleitete, Er hatte nach seiner Ankunft diesen Weg unternommen, weil er auskundschaften wollte, ob andere Inseln oder eine Festlandküste irgendwo zu erspähen wären, doch hatte er außer ein paar Riffen, auf denen Möwen zu nisten schienen und die einem schmalen Felsvorsprung im Norden vorgelagert waren, weit und breit keine Spur von Land entdecken können. Auch schien die Insel weitab von allen Schiffahrtswegen zu liegen, denn es vergingen viele Tage, ehe Slavatz einmal ein mächtiges Schiff mit großgeblähten Segeln in der Ferne vorbeiziehen sah.
»Wohin fährt es?« fragte er seinen Wirt Tomaso.
»Wer kann das wissen!« antwortete der Mann, der immer freundlich zu Slavatz war, dem aber aufgetragen schien, ihn über alles und jedes im Dunkeln zu lassen. »Wer kann das wissen! In ein fremdes Land. Zu uns nicht.«
Immerhin legten von Zeit zu Zeit, doch immer seltener, je weiter der Winter fortschritt, ähnliche Boote, wie die, mit denen Slavatz geschifft war, in dem kleinen Hafen an. Sie brachten Säcke mit Mehl, Fässer mit Wasser und Öl, Tongeschirr, eisernes Werkzeug und Bretter, und die Schiffsleute pflegten einen oder zwei Tage auf der Insel zu bleiben, um von der langen Überfahrt auszuruhen. Mit diesen Schiffen kamen auch mitunter Leute vom Festland, sei es, daß sie von der Insel stammten und ihre Heimat wiedersehen wollten, sei es, daß sie aus den dalmatinischen oder apulischen Küstenstädten kamen, um irgendwelche 68 Geschäfte abzuwickeln. Jedenfalls aber hatte Slavatz nie Gelegenheit, mit diesen Fremden zu sprechen, denn Tomaso hielt sie sorgfältig von ihm fern.
Tomaso war der reichste Mann der Insel. Außer dem Haus am Hafen besaß er zwei starke und schöne Fischerboote, mit denen er ausfuhr, sooft das Wetter günstig war. Nach den Fischzügen pflegte er seine Netze am Strand zu trocknen und dann konnte jeder sehen, daß sie neu und tadellos waren. Außerdem gehörte ihm eine große Schafherde und im Innern der Insel ausgedehnte Weingärten. Eben zur Zeit, als Slavatz ankam, wurde mit Jubel, Gestampf und Geschrei Weinlese gehalten.
Das Innere der Insel war von einem Hügel gekrönt, auf dem sich eine Mönchszelle mit einem kleinen Kirchlein befand. Dort entsprangen zwei Quellen, von denen die eine ihr Wasser nach Osten, die andere das ihre nach Westen aussandte. Doch waren die Bächlein zur Zeit, als Slavatz auf die Insel kam, ausgetrocknet und die Inselleute waren gezwungen, mit dem Wasser, das die Segler brachten, peinlich hauszuhalten, denn auch die wenigen Zisternen waren ganz leer.
In der ersten Zeit, die Slavatz auf der Insel verbrachte, wartete er auf denjenigen, den Golub ihm mit den undeutlichen Worten verheißen hatte: es werde vielleicht ein anderer kommen, den er um Kunde von Jelena und dem Knaben werde fragen können. – Er wartete Tag und Nacht auf ihn und dieses Warten ließ ihm die Zeit vergehen. Es kam aber niemand. Landete ein Trabakel und traten Fremde ins Haus, um sich mit Tomaso in dem unteren Gelaß rechts vom Flur zu unterreden, mit ihm Wein zu trinken und 69 Fische oder Schaffleisch zu essen, so klopfte dem Einsamen das Herz und er meinte, nun würde Tomaso ihn rufen und er werde eine gute Botschaft aus der Heimat empfangen. Immer wieder hoffte er, die Krönung des Dimitrije Zvonimir werde doch nicht vollzogen werden, die Stämme würden die Oberhand gewinnen, die Kačićleute eine Flotte rüsten und ihn im Triumph heimholen. So dachte er, wenn muntere, blaue Bora blies, die das Herz zuversichtlich schlagen läßt. Wehte aber Schirokko, der feuchte, trübe Wind, der sich aufs Gemüt legt wie ein Siechtum, so glaubte er mit Sicherheit zu wissen, daß alle ihn aufgegeben und vergessen hatten, und er wünschte sich einen baldigen Tod.
Eines Abends saß er in Tomasos Küche und wartete auf seine Mahlzeit. Die Frauen drehten eine Lammkeule am Spieß. Einige Schiffer, die am Nachmittag mit einem Trabakel gelandet waren und Mehl geliefert hatten, hockten in der anderen Ecke des Raumes und führten lärmende Reden, gleichfalls ihr Abendbrot erwartend. Da merkte Slavatz, daß sie von der bevorstehenden Königswahl in Kroatien redeten; sie mochten wohl von der Küste und nicht von den Inseln sein. Sie lobten Dimitrije Zvonimir und meinten, er würde das Land wohl zurechtbringen; auch sei er mit dem mächtigen ungarischen König verwandt. Das könne nicht schaden. Und er sei kein Ketzer, wie jener andere, Slavatz, der dem Land nur Unglück gebracht habe, Krieg und die Feindschaft des Papstes. Was mit dem Ketzerkönig geschehen sei, redete einer dazwischen. Ob er denn das nicht wisse, entgegnete der Vorige, der Ketzerkönig sei doch in der Schlacht gegen den 70 Normannen gefallen. Jedes Kind in Kroatien könne ihm das sagen.
Als Slavatz das hörte, legte er den bärtigen Kopf auf die Krücke seines Stockes und blieb in dieser Stellung, und als Lucia, Tomasos Tochter, ihm sein Essen geben wollte, sah er sie aus großen, verzweifelten Augen an, schüttelte den Kopf, stand auf und humpelte in seine Stube.
»Wer war das«, fragten die Leute, als er gegangen war.
»Ein armer Krüppel, der aus Issa hergekommen ist«, entgegnete Lucia.
Die Männer wollten wissen, ob er aus der Verwandtschaft sei; denn Lucias Mutter war eine Kroatin aus Issa. Aber Lucia schien die Frage nicht gehört zu haben, sie bückte sich über den Herd und antwortete nicht.
Es war Slavatz bald nach Golubs Abfahrt klargeworden, daß Tomaso über seine Umstände genau unterrichtet sein mußte. Zwar sprach er nie ausdrücklich über Slavatz' hohe Herkunft und sein Unglück. Aber an seiner ungeschickt verbindlichen und zugleich mitleidigen Art, an seinen Bemühungen, ihn von den übrigen Bewohnern, ganz besonders aber von fremden Schiffern fernzuhalten, und dem zähen Eifer, mit dem er ihn hinderte, in die Nähe seiner eigenen oder fremder Boote zu kommen oder gar je eines zu betreten, erkannte Slavatz, daß Tomaso von Golub strenge Weisungen erhalten haben mußte, die wohl mit Schenkungen und Versprechungen verbunden gewesen sein mochten, für den Fall, daß es Tomaso gelang, Slavatz unerkannt auf der Insel festzuhalten. Neben 71 seinem alten Stammesnamen Slavatz hatte der König in der Taufe den Namen Peter erhalten und Herr Peter wurde er, wohl auf Golubs Anordnung, auf der Insel genannt. Daß er ein Verwandter von Tomasos Frau und aus Issa gekommen sei, um auf der kleinen Insel bei seinen Gefreundeten zu leben, mußte gleich zu Beginn ausgestreut worden sein, denn wenn er jemals mit einem Menschen ins Gespräch kam, tauchte unfehlbar jene Frage nach Issa auf, der er zu erwidern pflegte, ja, aus Issa sei er gekommen; was nicht gelogen war, denn Tomaso hatte ihn belehrt, daß die gebirgige Insel der letzten nächtlichen Landung vor der Ankunft eben Issa gewesen sei.
Slavatz wurde gut gehalten. Er erhielt reichliches, fettes Essen, an Fleisch und Fisch wurde so wenig gespart wie an Schafmilch und Wein. Sein Gelaß wurde durch Tomasos Frau, die sich ihm gegenüber schweigsam und scheu verhielt und über seine Herkunft nicht unterrichtet schien, in Ordnung gehalten; mitunter tat die junge Lucia die Arbeit anstatt der Mutter. Sie pflegte Slavatz, wann immer sie ihn sah, mit großen, fragenden, tief aufmerksamen Blicken zu umfangen, sichtlich bemüht, durch ihr stummes, eindringliches Schauen sein Geheimnis zu ergründen. Doch sprach sie selten ein Wort zu ihm.
Über Slavatz' gramvollem Warten auf eine Nachricht von den Seinen war der Winter mit wochenlangem Regenwetter und später mit schweren Südweststürmen, die freilich oft durch heiterblaues Nordostwetter abgelöst wurden, hingegangen.
Wenige Segler hatten auszulaufen gewagt, dennoch hatte Slavatz die Gewohnheit angenommen, selbst bei 72 dem stärksten Sturm den Küstenpfad entlangzuwandern und nach nahenden Seglern zu spähen. Dies schien ihm tröstlich und er war zu dieser Winterszeit nicht ganz hoffnungslos. Ja, er rechnete noch immer darauf, daß der Kaiser von Byzanz einen verbündeten König nicht könne fallen lassen, und entschuldigte bei sich das lange Ausbleiben jeder Hilfe mit der weiten Entfernung, der schlechten Jahreszeit und kriegerischen Hindernissen, die sich eingestellt haben mochten. Daß der Basileus der Wahl des lateinisch gesinnten Dimitrije Zvonimir zustimmen könne, schien ihm unmöglich, ja die geplante Krönung des römisch gesinnten slavonischen Bans, die der Basileus als Faustschlag empfinden mußte, schien ihm eine fast sichere Voraussetzung für ein späteres aber um so kräftigeres Eintreten Michaels zu seinen Gunsten.
So erlebte er die kalten und stürmereichen Monate des Winters nicht ganz ungetrost. Wiewohl das Wort der Vila, er werde im Westen leben, sich erfüllt hatte, glaubte er ihm doch nicht, denn obgleich er Tomasos Gefangener war, trug er doch keine Fesseln, und zum Fischfang war er nie zugelassen worden. Auch Stjepans Worte, die ihn so hoffnungslos betrübt hatten, er möge sich dreingeben, ihm sei Verzicht beschieden, weil er die wahren Zeichen der Zeit mißdeutet habe, schienen ihm nun, da er einigen Abstand von ihnen gewonnen hatte, überspannt, ja fast hämisch, während er der zuversichtlichen Rede Petar Junaks, des treuen Mannes, der sein Leben für ihn gegeben hatte, wieder und wieder gedachte. Gewiß würden immer zahlreichere seiner Anhänger sich mit der Zeit sammeln, und zum Frühling, wer wollte daran zweifeln, würden ein Heer und eine 73 Flotte zu seiner Rettung und Wiedereinsetzung bereit sein.
Der Südweststurm brandete oft tagelang wild um die kleine, verlorene Insel; Slavatz sah auf seinen einsamen Wegen, wie die Brandung turmhoch aufspritzte und wie sich im Westen, mitten im rasch segelnden Gewölk, ein heller Fleck bewahrte, der schräge Sonnenstrahlen durchbrechen oder einen Schimmer von Himmelsblau sehen ließ, und er hörte von Tomaso, daß die Seeleute diese wunderliche Erscheinung das »Auge des Südwest« nannten. Wenn das Meer in der Bora blau funkelte, liebte er es, an die Ostseite der Insel zu wandern und trotz des starken Windes sein Gesicht der kalten Luft entgegenzuhalten, so als könnte sie ihm Gruß und Nachricht von der Heimat bringen. Wehte aber Schirokko, der feuchte Südostwind, so pflegte sein lahmes Bein ihn sehr zu schmerzen; dann wanderte er nicht, sondern er setzte sich traurig auf sein Lager und stützte die Stirn in die Hand.
In der kleinen Zelle auf dem Hügel inmitten der Insel wohnten zwei Mönche; sie trugen die nämlichen schwarzen Kutten wie Stjepan, und Slavatz sah sie häufig durch die Insel wandern oder ein karges Feld neben ihrem Klösterchen von Steinen reinigen und umgraben. Er grüßte sie nicht, wenn er sie traf, sondern sah fort, denn war auch Stjepan freundlich zu ihm gewesen, so konnte er seine Abneigung gegen die römischen Mönche doch nicht überwinden. Einmal trat er in das ärmliche und kahle Kirchlein ein, als er es unverschlossen und leer fand, und sah, daß die Wand hinter dem Altar von einer Malerei bedeckt war. Man gewahrte darauf drei in den verschiedensten 74 Lebensaltern stehende heiligenscheingeschmückte Mönchsgestalten im schwarzen Benediktinerhabit: einen schmalen und ganz kindlichen Knaben, der mit den Wellen eines blauen Gewässers kämpfte und von einem wie Christus über das Wasser hinschreitenden Jüngling gerettet wurde, während man im Hintergrund einen bärtigen Mann am Fenster einer Zelle mit steifgefalteten Händen beten sah. Darunter stand: Sancti Maure et Placide, orate pro nobis! Das fromme Bild war steif und grob gemalt und Slavatz gedachte mit Sehnsucht und Schmerz der prunkvollen, aus goldenem Hintergrund hervortretenden Mosaikgestalten des Erlösers, seiner Erzengel und Heiligen, die er vor Zeiten, die ihm unmeßbar schienen und die doch nur wenige Jahre gewesen waren, in Byzanz stockenden Herzschlags bewundert hatte. Trotzdem ergriff ihn das ungeschickte Bild; er grübelte nach, welche Bewandtnis es mit den drei Heiligen haben möchte, ob sie etwa Patrone der Seefahrer oder der Schiffbrüchigen waren; wenn er nun den Strand entlang ging, trat ihm beim Anblick der tanzenden Wellen immer wieder die Gestalt des mit der Flut ringenden kindlichen Mönchs und seines Retters entgegen.
Unterdessen kam mit großen Stürmen der Frühling heran. Die kärgliche, noch vom Vorjahr braungebrannte Grasnarbe der Hügel und Mulden begann sich grün zu erneuern und mit vielfarbigen Krokussternen und großen, wohlriechenden Veilchen zu bedecken, die Mutterschafe auf den Inselweiden warfen kläglich blökende Lämmer und bei den Fischern der beiden Dörfer war eine eilige und freudige Tätigkeit zu bemerken. Allenthalben war man dabei, Netze und Segel 75 auszubessern, die Boote mit Teer zu streichen und die Waghalsigsten liefen schon zum Fischfang aus. Lange vor der Äquinoktie setzte statt der Stürme heiteres, blaues und warmes Wetter ein und Slavatz begann nun mit großer Zuversicht und Sicherheit auf einen baldigen günstigen Wandel seines Geschicks zu hoffen. Er wanderte rastlos am Strand hin und her, Tag für Tag die Ankunft geheimer Boten oder einer Flotte, die mächtig genug sein würde, sich nicht verbergen zu müssen, erwartend.
Als nach Ablauf einer und einer zweiten Woche seit Beginn des Frühlingswetters sich jedoch außer dem Neuwerden der kargen pflanzlichen und tierischen Welt nichts ereignete, wurde der König von einer so wilden und gramvollen Verzweiflung überwältigt, wie er sie selbst in den ersten bösen Zeiten nach der Schlacht nicht erlitten hatte. Die erstarkende Sonne und die wiederbelebte Erde weckten alle Manneskräfte in ihm. Daß er gezwungen war, als der Gefangene eines Inselfischers mit lahmendem Bein täglich die gleiche Strecke auf einem elenden und weltverlorenen Eiland dahinzuhinken oder in einem kahlen Gelaß die Tage zu versitzen und beides, wie es nun wirklich schien, für immer; das wollte ihm völlig unerträglich scheinen. Das sich erneuernde Licht ließ ihm mit wütendem Schmerz die gleichen Tage des Vorjahres erleben, da er in königlicher Herrlichkeit als der Gatte der schönsten Frau und Vater eines hohe Erfüllungen verheißenden Knaben bereits von den feindseligen Absichten der Normannen gewußt und ihre Vereitlung mit jugendlicher Zuversicht geplant hatte. Die von Papst Gregor unterstützten Machenschaften des Comes Amicus hatten ihm dazumal 76 zur reinsten Freude gereicht, so sicher war er seines eigenen Sieges gewesen, so wild hatte er für die Sache des Volkes, für seine uralte Sitte und das Recht, seine wichtigsten Belange, die auf Gott bezüglichen, in der eigenen heiligen Sprache üben zu dürfen, gebrannt. Einige Vorschläge, die ihm damals auch von treuen Verfechtern seiner eigenen Richtung gemacht worden waren, sich etwa doch mit dem Papst nicht ganz zu entzweien und einen offenen Kampf zu vermeiden, hatte er mit Hohn zurückgewiesen.
Langsam und auf seinen Stock gestützt den nun schon gewohnten Küstenpfad dahinschleichend, erinnerte er sich eines Geschehnisses aus dem Frühling des Vorjahres, dessen er seit seiner Gefangennahme nie zu denken gewagt hatte, aus Angst vor der Reue und Qual, die ihn bei dieser Erinnerung unfehlbar befallen mußten. Es war zu Beginn der Fastenzeit gewesen, die er mit Frau und Sohn und dem ganzen Hofstaat in Biograd na Moru, der nördlichen Königsstadt, hatte verbringen wollen, daß ein vertrauter junger Ritter, Svačić, der gleich ihm dem Stamme Kačić angehörte, und ihm nahe verwandt war, Slavatz eines Abends um geheimen Empfang gebeten und ihm mitgeteilt hatte, er sei durch einen mächtigen Mittelsmann beauftragt, König Slavatz den Besuch des päpstlichen Legaten Gerhard, der in Spalato seinen Sitz hatte, in der Königsburg zu Biograd für den dritten Fastensonntag anzukündigen. Auch habe er zu melden, daß der Papst von Rom durch seinen Legaten gern manchen unklaren Punkt mit dem König der Kroaten bereinigt und Verständnis und Freundschaft statt Argwohn und Mißtrauen gesetzt sähe. Auf diese Nachricht hin war Slavatz die halbe 77 Nacht allein in seinem großen Beratungssaal hin und wider gewandert, hatte mit sich selbst geredet und geschrien und wilde Gesten gemacht, was glücklicherweise niemand gehört und gesehen hatte. Am Morgen hatte er den Ritter mit der Nachricht abgesandt, der Legat möge am dritten Fastensonntag kommen, er würde geziemend empfangen werden. Zwei Nächte später aber war der König mit der Königin, dem Knaben und einem knappen Gefolge trotz des rauhen Wetters heimlich zu Schiffe gegangen und nach der Narenta gesegelt, wo er sich mit den Seinen auf das Hauptschiff der Flotte eingeschifft hatte und nach dem Süden gefahren war. Als der päpstliche Legat Gerhard am dritten Fastensonntag, begleitet von mehreren Priestern und Rittern in der Burg von Biograd eingeritten war, hatte er außer den geringeren Mitgliedern des Königsgefolges, die auf den hohen Besuch in keiner Weise vorbereitet gewesen und nur die vor zehn Tagen erfolgte Abreise des Königs vermelden konnten, niemand vorgefunden. Der Ritter Svačić aus dem Stamme Kačić habe doch den König noch angetroffen, fragte Herr Gerhard bleich und mit spielenden Schläfenmuskeln, doch mit gebändigter Stimme. Freilich habe er ihn noch angetroffen, entgegneten die Schranzen, die nicht zu lügen wagten. Er habe sich mit dem König unterredet und sei am nächsten Tag wieder fortgeritten. So hätten sie also hier weiter nichts zu suchen, sagte Herr Gerhard, immer noch ruhig, aber mit harter Stimme, wandte sein Pferd und verritt mit seinen Herren.
Slavatz, Jelena und der Knabe Michael hatten mittlerweile mit der Flotte gekreuzt. Als aber die Zeit 78 herankam, da die heilige Karwoche nach dem späten griechischen Datum gefeiert werden sollte, waren sie in die Narenta heimgekehrt und hatten zu Vido die Zeremonien der Schmerzenstage und des hohen Osterfestes nach griechischem Ritus gefeiert und keinem, der dabeigewesen, aufgetragen, es geheim zu halten.
Von damals an war die Feindschaft offen gewesen. Slavatz hatte sich, als es geschehen war, gefreut und vor sich selbst mit seiner kühnen Handlungsweise gebrüstet. Da er aber nun auf dem schmalen, steinigen Weglein dahinschritt, wußte er, daß er dazumal den Papst auf frevelhafte Weise herausgefordert hatte. Er starrte hoffnungslos vor sich auf die Kiesel des Pfades und schüttelte immer wieder langsam den Kopf. 79