Henrik Pontoppidan
Aus jungen Tagen
Henrik Pontoppidan

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V

Liebe! . . . Wie viele Hunderte von Malen haben wir nicht in unsrer Kindheit Unschuld in Romanen und Erzählungen über dies Wort hinweggelesen, ohne uns etwas dabei zu denken, weil wir nicht wußten, was es bedeutete. Aber dann kommt ein Tag, wo es von einem zitternden Lichte, einem mystischen Schein, einer göttlichen Glorie umgeben ist. Wenn wir die Hand vor die Augen halten und in unsern Gedanken das Wort wiederholen, senkt sich uns eine ernste Feierlichkeit in das Gemüt. Halb neugierig, halb ängstlich ahnen wir mit Leib und Seele die düstere Glückseligkeit, die diese sechs Buchstaben enthalten.

Und dann vergehen wieder ein paar Jahre, und wenn wir nun auf das Wort stoßen, strahlt es vor unsern Augen wie mit goldenen Buchstaben gedruckt oder von Rosen umrankt oder mit dem rotesten Herzblut geschrieben. Liebe! Liebe! . . . Es sproßt neues Leben in uns, wenn wir nur das Wort vor unsern Ohren klingen hören. Es ist die Musik der Sphären. Es ist Engelsgesang. Der Himmel tut sich über unserm Haupte auf. Wir schauen hinein in die Ewigkeit.

Und wieder geht ein Jahr dahin, ein langes, wundervolles Jahr. Der Himmel hat sich geschlossen; aber die Welt ist eine andre geworden, ist reicher geworden und tiefer, und das Geheimnisvolle in ihr macht uns süß erschauern. Die Luft ist mit Tausenden von eigenartigen Klängen angefüllt. Der Wald und der Wind flüstern den Namen der Geliebten. Jedes noch so geringe Geschehnis füllt unser Auge mit Tränen. Die Gedanken haben keine Ruhestätte. Alles macht uns träumen. Ein plötzlicher Windstoß wird zu einer heimlichen Botschaft von der Geliebten. Ein flatterndes Blatt, das unsre Wange streift, wird ein Kuß und macht uns erbeben. Und sitzen wir in der Dämmerstunde am Fenster, während ein schweres, abendliches Sausen durch die Bäume des Gartens geht, gleich zaubern wir aus den Wolken des Sonnenuntergangs ein ganzes Paradies der Liebe hervor, einen Liebesgarten voll Rosenduft und Nachtigallensang.

Aber wenn der Gedanke von solchen seligen Wanderungen zwischen goldenen Wolken sich wieder auf die Erde herabsenkt, füllt sich das Herz mit Mißmut, ist es zum Zerspringen voll von Angst. Alles hier unten erscheint dann so trostlos und öde, am meisten natürlich für denjenigen, den das Leben auf seine Schattenseite gesetzt hat. Das arme Mädchen faltet hilflos die Hände im Schoß und sieht sich in dem leeren Zimmer um. Nie wird das Wunderreich ihr seine Tore erschließen. Nie wird sie die seligste Lust kennen lernen. Es geschieht ja nur im Märchenbuch, daß Ritter Robert an die Tür der armen Hirtin pocht. Jedenfalls weiß sie jetzt, was es gilt. Ein Spiel, das Entehrung kostet. Ein kurzer Tanz, der im Torfmoor endet.

Martha wurde in diesem Sommer immer wunderlicher. Ich war nicht der einzige, der das bemerkte; auch ihre »Vormünder« fingen an, den Kopf bedenklich zu schütteln und nach dem Grunde zu ihrem veränderten Benehmen dem Mann gegenüber zu fragen, den sie für sie ausersehen hatten. Jesper selbst hatte offenbar Mißtrauen gegen mich gefaßt. Er ging mit blutunterlaufenen Zügen umher und sah mich wütend an, wenn ich kam. Er verließ seine Arbeit mitten am Tage, um sie überlisten zu können, und des Nachts stand er, mit einem großen Knüttel bewaffnet, unter ihrem Fenster auf der Lauer. Dies erfuhr ich von Männern aus Lihme, die vorübergefahren waren. Aber Martha verriet ich nichts davon.

Auch in den andern Dörfern fing man an, darüber zu reden, und man stichelte auf Jesper, wo er sich zeigte. Eines Tages hatte einer der andern Waldarbeiter ihn geradeheraus gefragt, ob er seine Braut jemals geküßt habe. Der Scherz kostete den Burschen ein blutiges Maul und einen gebrochenen kleinen Finger; und dadurch kam die Sache noch mehr in der Leute Mund.

Eines Tages kam auch im Pfarrhaus das Gespräch darauf. Ich entsinne mich, daß ich gewissermaßen selbst die Veranlassung dazu war, und ich will nun ein wenig davon erzählen.

Es war ein warmer Tag, wohl im Juni; ich machte nach der Schulzeit meinen gewöhnlichen Sonnabendgang nach Lihme, um mir die Gesangnummern von dem Propst zu holen. Auf dem Wege begegnete ich einem kleinen, watschelnden Mann, den ich gut kannte. Er hatte kürzlich ein Stück Heideboden nördlich von Lihme gekauft und hieß Mads Madsen oder »der kleine Mads«, wie er meistens genannt wurde, weil er so kurzbeinig war. Sein rundes Gesicht strahlte vor Freude und Zufriedenheit, und ich brauchte nicht nach dem Grund zu fragen. Er war nämlich mit einem schönen jungen Mädchen aus Lihme verlobt und wollte an einem der nächsten Tage Hochzeit machen.

Auch seine Braut und ihre Eltern waren mir nicht unbekannt. Es waren arme Kätner, der Mann ein unglücklicher Krüppel, der meistens auf seinem Bett lag und hustete; die Frau aber hatte eine geschickte Hand, war tüchtig in ihrer Arbeit und bestimmt. Man sagte, daß sie auch die Partie zustande gebracht und daß sich das Mädchen selbst bis zuletzt gesträubt habe.

Wir standen eine Weile still und sprachen von seinem neuen Haus, das er zur Hochzeit frisch hatte decken und weißen und auch inwendig instandsetzen lassen. Als wir uns trennten, bat er mich, gelegentlich einmal einzusehen; dann sollte ich sehen, sagte er, wie hübsch er alles für seine Frau bereitet habe. Ich dankte für die Einladung und setzte meinen Weg fort.

Als ich nach dem Pfarrhause kam, machte der Propst gerade sein Mittagsschläfchen. Ich konnte ihn, indem ich am Fenster vorüberging, im Studierzimmer sitzen sehen. Er saß in seinem großen Lehnstuhl, die Lesebrille hing ihm ganz auf die Nasenspitze herunter. Eine Zeitung lag über seinen Knien ausgebreitet. Kaplan Berthelsen war ebenfalls nicht zu treffen, er machte einen Krankenbesuch. So ging ich denn in den Garten hinaus, wo ich Fräulein Rebekka in der Geißblattlaube antraf, die ihr Lieblingsaufenthaltsort im Sommer war. Es befanden sich außer dieser noch drei Lauben in dem großen Garten: »die Lindenlaube«, »die Fliederlaube« und »das Tabernakel«, wie die vierte hieß, weil sie aus vier Pfählen mit einem kegelförmigen Strohdach darüber aufgebaut war. Namentlich von hier aus hatte man eine herrliche Aussicht über das offene Land.

Fräulein Rebekka trug einen kleinen, hellblauen, seidenen Schal über den Schultern, auf ihrem Schoß lag ein Buch mit Goldschnitt. Ich konnte sehen, daß es Gedichte waren; wahrscheinlich handelten sie von Liebe. Jedenfalls wurde sie ein wenig rot, als ich kam, und legte gleich das Buch weg.

Auf ihre stille und freundliche Weise bat sie mich Platz zu nehmen, und wir plauderten eine Weile über allerlei. Unter anderm erzählte ich unglücklicherweise, wem ich auf dem Wege begegnet war, und worüber wir gesprochen hatten. Ich dachte in diesem Augenblick nicht daran, daß der »kleine Mads« und seine Verlobung großen Unwillen im Pfarrhaus erregt hatten, nicht zum mindesten bei Fräulein Rebekka. Ich merkte, daß sie verstimmt wurde. Ohne etwas zu sagen, zog sie den kleinen Schal fester um die Schultern, als sei plötzlich eine Wolke vor die Sonne getreten.

Des kleinen Mads Braut, Grethe Andersen hieß sie, hatte einstmals gleichsam ihr zweites Heim im Pfarrhause gehabt. Hierüber erzählte man sich im Kirchspiel folgendes: Seit der Zeit, als Grethe als siebenjähriges Ding die Gänse auf dem Stoppelfelde hütete, hatte die Pröpstin das hübsche Kind mit den frischen, hellen Augen und dem kornblonden Haar beachtet. Jedesmal, wenn die Pröpstin sie auf ihren Spaziergängen mit den bloßen Füßen dort mitten in den Stoppeln stehen sah, den kleinen runden Bauch vorgeschoben und die Hände mit der Gänsegerte auf dem Rücken, mußte sie hin und der Kleinen die Wange streicheln. Dies führte dazu, daß sie sie eines Tages mit nach Hause nahm, wo ihre eigene Rebekka zwischen ihren Puppen saß, und seit jener Zeit hatte Grethe ihren täglichen Gang im Pfarrhause gehabt. Die beiden kleinen Mädchen wurden Spielgefährtinnen, und die Freundschaft hielt stand, bis Grethe nach der Einsegnung von Hause und in Dienst kam. Da wünschte die Pröpstin das Verhältnis nicht weiter fortgesetzt; aber die jungen Mädchen sollten einander trotzdem heimlich geschrieben haben, und Grethe war auch nie auf Besuch zu Hause, ohne in das Pfarrhaus hinüber zu kommen.

Aber was ich nun erzählen wollte, ist, daß Fräulein Rebekka, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, anfing, von Martha zu reden. Sie kannte ja, wie alle andern, mein Verhältnis zu Krug-Ellen und ihrer Tochter, und sie wollte nun wissen, ob es wahr sei, daß Martha schon versprochen sei. Ich antwortete weder ja noch nein, und wir redeten dann über andre Dinge. Nach einer Weile kam der Propst mit seiner Pfeife heraus. Der Kaffeetisch wurde in der Laube gedeckt, und der Propst bat mich, zu bleiben und eine Tasse mitzutrinken. Einen Augenblick später erschien auch der Kaplan.

Fräulein Rebekka fing jetzt wieder an, von Martha zu reden, und zwar mit einer eigenartigen Heftigkeit. Sie beklage sie, sagte sie, falls es wahr sei, daß sie einem Manne, den sie nicht liebe, in die Arme geworfen werden sollte. Ich sah sie überrascht an. Das sonst so beherrschte und schweigsame Mädchen redete sich allmählich ganz warm über die Sache; aber ich merkte während der ganzen Zeit, daß sie dabei nicht an Martha, sondern an ihre eigene Kindheitsfreundin dachte. Deswegen schwieg ich auch zu ihrer Anklage und versuchte gar nicht, mich zu rechtfertigen.

Der Propst wollte nicht gern näher auf die Sache eingehen. Es war ganz klar, daß dies ein alter Zankapfel dort im Pfarrhaue war und daß man seiner Ansicht nach jetzt genug darüber geredet hatte. Er begnügte sich damit, einem allgemeinen Bedauern über den unentwickelten Sinn im Volke für den Wert der veredelten Gefühle Ausdruck zu verleihen, und suchte dann dem Gespräch eine andre Wendung zu geben. Aber die Nachsicht des Vaters machte Fräulein Rebekka nur noch kampfeifriger; sie ließ sich zu der Äußerung hinreißen, daß den Eltern Zuchthausstrafe gebühre, die ihre Kinder zwängen, sich zu verheiraten, ohne Liebe zu empfinden. Der Propst unterbrach sie, ein wenig beschämt, wie es mir erschien, und tadelte sie strenge; aber sie war nun in eine solche Erregung geraten, daß sie nicht mehr imstande war, sich zu beherrschen. Ihr ganzer Körper zitterte, die Lippen waren ganz blau. Und plötzlich stand sie auf und eilte fort, das Taschentuch vor den Augen, in krampfhaftem Schluchzen.

Gleich darauf erhoben wir andern uns schweigend. Ich begriff in dem Augenblick den Zusammenhang dieses leidenschaftlichen Ausbruches noch nicht und wunderte mich daher über die verhältnismäßige Ruhe des Propstes. Kaplan Berthelsen dahingegen war leichenblaß; seine dunklen Augen brannten. Er hatte während des ganzen Wortwechsels schweigend dagesessen, die langen Beine gekreuzt, und hatte an seinem Kinnflaum gezupft, wie das seine Gewohnheit war. Aber ich hatte bemerkt, daß er seiner Braut im geheimen beifällig zunickte und lächelte, und daß sich ihre Augen überhaupt häufig über den Tisch hinweg in zärtlichem Verständnis begegneten.

Während der Propst seiner Tochter fast alles hingehen ließ, pflegte er den Kaplan kurz abzufertigen, sobald er sich aussprechen wollte. Herr Berthelsen ließ deswegen am liebsten Fräulein Rebekka das Wort führen, wenn der Propst zugegen war, und auf diese Weise wurden ernstere Zusammenstöße im allgemeinen glücklich vermieden. Aber ich hatte ein Gefühl, daß das Verhältnis dennoch auf bedenkliche Weise im Begriff war, einer Explosion entgegenzugleiten. Deswegen machte ich mir auch nichts daraus, meinen Besuch in die Länge zu ziehen, sondern nahm schnell Abschied.

Nun weiß ich nicht, wie es zuging, aber als ich draußen vor dem Pfarrhof stand und nach Hause gehen wollte, kam mir plötzlich der Gedanke, bei Grethe und ihren Eltern einzusehen, die ich so weit kannte, wie alle auf dem Lande einander kennen, wenn man innerhalb desselben Kirchspiels wohnt. Erfüllt von dem Gedanken an Martha, wie ich war, ist wohl plötzlich das Verlangen in mir wach geworden, zu sehen, wie ihre Leidensgefährtin ihr Schicksal trug.

Grethes Mutter kam mir gleich in der vorderen Tür entgegen. Sie hatte mich kommen sehen und lud mich auf eine sonderbar hastige und bestimmte Weise ein, näher zu treten. Sie war eine kleine, rundliche Frau, schnell in ihren Bewegungen und zierlich mit ihrer Person. Der Mann hatte sich auf dem Bettrande aufgerichtet, als ich hereinkam. Alt und verbraucht, wie er war, saß er da und starrte mit seinen rotgeränderten Augen vor sich hin. Grethe saß am Fenster und säumte. In ihrem überraschten Ausdruck, als sie mich sah, lag etwas, das in mir den Gedanken an einen zum Tode verurteilten Gefangenen wachrief, der noch im letzten Augenblick auf Begnadigung hofft.

Ich sehe noch ganz deutlich die kleine Stube vor mir. Es war eins der alten aus Lehm aufgeführten Häuser, die jetzt fast ganz aus dieser Gegend verschwunden sind. Ich weiß wohl, daß dies als Fortschritt gilt, aber ich bin der Ansicht, daß man wärmer hinter einer Lehmwand sitzt als hinter einer aufgemauerten. Überhaupt, ich finde selten Traulichkeit in diesen neumodischen Häusern mit ihrem Bretterfußboden und den großen Fenstern und den offenen Bettstellen, in denen man immer gleichsam vor aller Welt Augen lebt. Für mich war mehr Freude in den altväterischen Stuben und namentlich in den allerältesten, so wie ich mich ihrer aus meiner Kindheit erinnere, nach Norden zu, unter anderm auf meiner Muhme Gehöft in Galtum. Sicher habe ich hier die einzigen ganz glücklichen Augenblicke meines Lebens verlebt, wenn ich an den langen Winterabenden auf der Muhme Garnkiste vor dem Herd saß, wo ein kräftiges Heidefeuer brannte. Während sich die Älteren die Zeit mit Geplauder oder einem Spiel Karten oder mit irgendeiner Handarbeit beim Schein einer Tranlampe vertrieben, saß ich ganz still und hörte den Sturm oben unter dem Rauchlochbrett bullern und verfolgte die Feuerfunken, die in den Raum zwischen den rußigen Dachsparren hinaufflogen. Feierlich war es namentlich, wenn der Mond durch das Loch da oben schien und lange, sonderbare Schatten auf die Wand herabwarf. Da schweiften die Gedanken auf weite Reisen in das Traumland hinein, und die Gestalten der Märchen und Gespenstergeschichten erhielten für die kindliche Phantasie Leben und Wirklichkeit.

Aber ich kehre zurück zu meinem Besuch bei Hans Andersen. Der alte Mann hatte es endlich fertig gebracht, die Füße in ein Paar Flickenpantoffel zu stecken, die vor dem Bett standen, und kam heran und sagte Guten Tag. Er sah verstohlen zu seiner Frau und zu Grethe und wieder zu mir hinüber und wußte offenbar nicht, was er sagen sollte. Die Frau hatte währenddessen eine frischgebügelte Schürze aus der Lade genommen und band sie schweigend mit ein paar festen Bewegungen um. Es lag etwas in diesem Schweigen, was mich aufmerksam machte. Ich mußte daran denken, daß sie wahrscheinlich beide wußten, woher ich kam, und daß sie mich nun im Verdacht hatten, als Abgesandter der Propstfamilie zu kommen. So beeilte ich mich denn zu sagen, daß ich mit meinem Besuch nichts weiter bezwecke, als Grethe Guten Tag zu sagen, die ich noch nicht gesehen hatte, seit sie am ersten Mai aus ihrer Stellung in dem benachbarten Kirchspiel nach Hause gekommen war.

Diese meine Worte beruhigten die gute Frau offenbar. Aber als das Gespräch nun auf die bevorstehende Hochzeit und die Vorbereitungen dazu kam, konnte sie es doch nicht lassen, auf die Familie im Pfarrhaus zu sticheln, ja mit verblümtem Hohn äußerte sie sich sogar über ihre Wohltaten gegen Grethe. Die Leute sollten es lieber lassen, ihre Nase in anderer Angelegenheiten zu stecken, sagte sie in ihrer derben Sprache, während sie ein Tischtuch über den Tisch breitete und Kaffeetassen aufstellte. Es wären auch nur Narrenspossen, den jungen Leuten so viel von Dichtung und Gewäsch vorzuschwatzen. So was passe am Ende für die Vornehmen, die sich den Hintern in einem Sammetstuhl warmhalten könnten, aber es wär, weiß Gott, ein Verderben für die Leute, die so gestellt wären, daß sie nach ihrem Brot rennen müßten, ehe sie es sich in den Mund stecken könnten.

Ich sah zu Grethe hinüber, auf die die Worte, wenn sie auch ins Blaue hineingesprochen wurden, doch im Grunde gemünzt waren. Wie alle Welt wußte, liebte sie ihren Vetter, einen jungen und flotten Burschen aus der innern Harde, der aber, ebenso wie sie, arm an allem andern als an Leibeskräften war. Darum hatte die Mutter auch nichts von ihm als Schwiegersohn wissen wollen, und aus Groll darüber hatte er sich dann mit seiner Herrin, einer alten, reichen Bauernwitwe, verheiratet, und den Tausch soll er übrigens später nicht bereut haben.

Auf eigene Weise wird also hier eine alte Erzählung veranschaulicht, die ich einmal von einem Mütterchen auf der Staruper Heide habe berichten hören. Es war zu jener Zeit, so erzählte sie, als der liebe Gott unerkannt hier auf dänischem Boden mit Sankt Peter als Begleiter wanderte; da hatten sie sich einmal in einer Einöde verirrt und konnten nicht wieder auf die Landstraße zurückfinden. Da erblickten sie ein Pfluggespann, das ganz still mitten auf dem Felde stand, und als sie näher kamen, sahen sie auch den Pflugknecht; er hatte sich auf das Brachfeld niedergelegt und schlief ganz sanft mit seinem Holzschuh unter dem Kopf. Es gelang ihnen, ihn zu wecken, und sie fragten ihn nach dem Weg. Aber der Knecht war ein träger und ungefälliger Bursche (was Grethes Vetter nämlich auch gewesen sein soll), er steckte nur den Fuß in die Höhe und zeigte mit der großen Zehe. »Das war doch ein abscheulicher Kerl,« sagte Sankt Peter, und die heiligen Wanderer gingen im Zorn von dannen. Nach einer Weile trafen sie eine junge Magd, die dasaß und molk. Auch sie fragten sie nach dem Wege, und sie war leicht zu Fuß, sprang schnell von ihrem Melkschemel auf und geleitete sie auf ihren nackten Füßen auf einen Hügel hinauf, von wo aus sie die Gegend überschauen konnten. Um sie nun für ihre Gefälligkeit zu belohnen, sagte Sankt Peter mit der Billigung des Herrn zu ihr, sie solle einen Wunsch äußern, den sie am liebsten erfüllt sehen wolle; dann wollten sie dafür sorgen, daß es geschehen würde. Das Mädchen wurde blutrot und wollte lange nichts sagen. Endlich sagte sie und wurde auf einmal sonderbar ernsthaft, sie wolle wünschen, daß der Person, an die sie denke, der innigste Wunsch in Erfüllung gehen möge. Dazu sagte Sankt Peter ja. Aber die Person, an die sie dachte, war gerade der träge Knecht, der da hinten auf dem Felde lag und schnarchte. Und das, wovon der Bursche in seinem innersten Innern träumte, obwohl das Mädchen seine Braut war, das war das große Gehöft seines Brotherrn und seine schweren Geldkisten und seine Kühe und Schafe und Pferde; und das alles wurde auch wirklich bald darauf sein Eigentum. Der alte Bauer fiel eines schönen Tages von einer Kornmiete herunter und brach den Hals, und die Frau, die jung war und schon lange ein Auge auf den Knecht geworfen hatte, nahm ihn zum ehelichen Gemahl. Aber das arme Mädchen welkte hin und starb vor Kummer. – Nur dieser Schluß der Erzählung stimmte nicht mit der Wirklichkeit hier überein.

Freilich hatte sich Grethe sehr verändert; aber bei den Mädchen auf dem Lande ist es in der Regel mehr der innere als der äußere Mensch, der von den harten Schlägen des Schicksals gezeichnet wird. Selbst bei dem schwersten Herzenskummer, ja selbst bei einer Verzweiflung, die zum Selbstmord führt, bewahren sie in der Regel ihr frisches Aussehen und gehen mit roten Wangen in den Tod. Grethe bildete in dieser Beziehung keine Ausnahme. Wie sie dort auf dem Tritt unter dem Fenster saß, während die Abendsonne auf ihren gesenkten Kopf und auf den breiten Arbeitsnacken schien, war sie noch ein schönes Bild körperlicher Gesundheit und Kraft. Aber ihr Lebensmut war gebrochen. Sie, das einst so lebhafte und redselige Mädchen, war stumm wie eine Mauer geworden. Ganz still saß sie da und sah nicht von ihrem Saum auf, außer wenn sie die Nadel einfädelte. Ich hatte das innigste Mitleid mit ihr. Und während ich an Martha dachte, weinte ich im Herzen über uns alle drei.

Zehn Tage später fand ihre Hochzeit statt. Es war dies ein Tag, der aus andern Gründen ein Merktag und ein Wendepunkt in dem Leben der Gegend und – leider – auch in meinem eigenen wurde. Ich will deswegen ein wenig eingehender davon reden.


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