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Wenn es auch, wie jedermann bekannt, zu allen Zeiten und an allen Orten mitunter wunderliche Käuze gegeben hat, so lieferte doch sicherlich das Völkchen der Maler, Poeten und Musikanten die wunderlichsten. Man braucht nur hineinzugreifen in ihre Reihen aufs Gerathewohl: eine jede der Schattengestalten, die man irgend heraufbeschwört, trägt eine Seltsamkeit, eine Eigenthümlichkeit, einen fremden Zug, wie ein wunderlich und altmodisch geschnittenes Kleid zur Schau. Und solche Sonderbarkeiten darf man bei der Beschreibung ihres Lebens und Seins eben so wenig verschweigen, als der gewissenhafte Zeichner bei Anfertigung eines getreuen Conterfeis die Fältchen auf der Stirn, die Warze an der Nase, die scharfen Linien an den Mundwinkeln weglassen dürfte.
Die gute Stadt Haarlem war am 12. Juni des Jahres 1534 in großer Bewegung. Hohe und Niedere hatten sich vereint ein Fest zu geben zu Ehren eines ihrer Mitbürger, des vielgerühmten Meisters Martin van Hemskerken, der dazumal eben erst aus Rom heimgekehrt war, um sich in seiner Lieblingsstadt niederzulassen. Die Haarlemer waren nicht wenig stolz auf den Vorzug, den er ihrer Stadt gab und wollten sich ihm dankbar beweisen. War doch der Genannte der beste Schüler des großen Meisters Johannes van Schorel, dieses strahlenden Nachfolgers der Geschwister van Eyk; hatte er doch von ihm die Anmuth und Wahrheit der Gestalten entlehnt, und sein zartes Colorit sich in einer Weise angeeignet, daß man in der That oft Mühe hatte, die Arbeiten des Schülers von denen des Lehrmeisters zu unterscheiden. Eigentlich war der Martin van Hemskerken kein Haarlemer Kind, sondern zu Hemskerken, einem kleinen Dorfe unweit der Stadt, im Jahre 1498 geboren. Sein Vater hieß Jacob Willm van Veen, und war ein gewöhnlicher Bauer.
Wie denn aber in jener Zeit jedes Auge gar achtsam war auf die geringste Aeußerung eines Talentes für die hochgefeierte Kunst der Malerei, so hatte van Veen auch bald genug in den reichen Verzierungen der Wände, die sein Sohn mit schwarzer Kohle auszuführen pflegte, den künftigen Maler gewittert und brachte seinen Martin nach Haarlem in die Lehre zu einem Maler Cornelis Willems. Wußte er doch, daß die farbenbestrichenen Tafeln eines solchen Malermeisters mit schwerem Gelde bezahlt wurden; und daß aus seinem derben Burschen, der so viel Kraft in den Fäusten hatte, ein Meister werden müsse, daran zweifelte er keinen Augenblick. Vergnügt überlegte er alle Tage, was er mit dem erworbenen Gelde seines Sohnes anfangen wollte, und wie er dann mit der Pfeife im Munde vom Morgen bis zum Abend vor der Thür sitzen und nichts thun könnte. Wagte dann die Mutter zuweilen zu sagen, daß sie beide doch keinerlei Anrecht an das sauer Erworbene des Kindes hätten, so fuhr er ganz wild auf und vermaß sich hoch und theuer, daß der Martin keinen Heller bekommen solle, bis er groß geworden sei. Denn daß der Martin Bilder malen lerne, könne ja eben gar nicht lange dauern, und wie sollte ein vernünftiger Vater wohl solch einem blutjungen Gesellen die Taschen voll Geldes lassen!
Jeden Sonnabend, wenn er mit seinen Gänsen und Eiern nach Haarlem zu Markte zog, sah er nach, ob sein Martin noch nicht auf dem directen Wege zum Meister sei, und immer schmollte und brummte er mit ihm, daß er noch kein großes Bild male.
Weil aber nun, selbst in der damaligen reichen Zeit, die wirklichen Meister nicht vom Himmel fielen, sondern insgesammt harte Lehr- und Wanderjahre durchmachen mußten, so rieb auch der Martin Wochen lang nur Farben in der Werkstatt des Cornelis Willems, zeichnete, was ihm sein Lehrherr zu zeichnen befahl, und bemalte einstweilen in höchster Seelenruhe seine eigne Haut und seine Kleider. Van Veen wurde von Woche zu Woche mißvergnügter und seine arme Ehefrau hatte zu Hause schwere Zeit mit ihm.
Eines Tages endlich erklärte er denn auch seinem erschreckten Sohne, daß er ihn binnen einem Monat wieder zurücknehmen würde in sein Dorf und Haus, wenn er nicht bis dahin ein ordentliches thürhohes Bild zu Stande gebracht hätte, das man verkaufen könne. Sein Knecht koste ihm ohnedies so gewaltig viel an Essen, Trinken und Lohn, sagte er, und nun müsse er noch gar Lehrgeld für den Sohn zahlen, der doch nichts lerne; er könne und wolle das nicht länger ruhig ansehen.
Und als der Monat vergangen und kein Bild fertig geworden war, mußte der arme Bursche, trotz alles Einredens seines Lehrherrn, trotz der Thränen der Mutter mit dem unerbittlichen Vater wieder zurück hinter den Pflug und in den Kuhstall. War der Martin vorher aber schon ein Tolpatsch gewesen, so griff er jetzt alles doppelt ungeschickt und verkehrt an, und der Vater hatte, trotz der derben Fäuste des Sohnes, keinerlei Nutzen, wohl aber viel Schaden von ihm. Des Scheltens, der Püffe und Spottreden war von früh bis in die Nacht kein Ende im Hause des alten van Veen. Die Mutter freilich hatte großes Mitleiden mit dem Sohne, und half ihm wo sie nur konnte, denn eine echte Mutter breitet ihre Flügel über ihr Kind und vertheidigt es, und wenn der Habicht, der auf ihr Küchlein stoßen will, ihr eigener Ehemann wäre. Sie war es am Ende auch, die ihm eines Tages den Rath gab, auf und davon zu gehen, und sein Heil in der Fremde als Schüler irgend eines Meisters noch einmal zu versuchen. Allerlei Wunderbares hatte ihr ja doch von jeher von ihrem Martin geträumt und so glaubte sie fest, daß er zu etwas besonders Großem bestimmt sei.
Einen wohlgefüllten Schnappsack schenkte sie ihm, auch einiges Reisegeld dazu, das sie sich schon lange heimlich durch allerlei Entbehrungen am Munde abgespart, küßte und segnete ihn mit reichlichen Thränen, hing ihm das Bildniß seines Schutzheiligen um den Hals, und er ließ sich's nicht zweimal sagen und wanderte wirklich fürbaß.
Der Vater durfte nichts merken; deshalb mußte Martin in stockfinsterer Nacht aufbrechen. Die Mutter gab ihm bis an die Hofthür das Geleit; er hätte sie gern noch ein gut Stück weiter mitgenommen. Es war ihm gar zu übel und wehe zu Muth, so ganz allein in die entsetzlich weite Welt hinauspilgern zu müssen. Er war aber sein Lebtage kein Held gewesen, und fürchtete sich insbesondere ganz über die Maßen vor drei Dingen: vor großen Hunden nämlich, vor Räubern mit Schießgewehren, auch vor Schießgewehren allein, und – vor Weibern. Woher ihm diese letztere Furcht angeflogen war, wußte kein Mensch, er selber am allerwenigsten, aber die Furcht war eben da; er ging jeder Gestalt, die einen Weiberrock und eine Schürze trug, so weit er konnte, aus dein Wege und blinzelte nicht einmal nach dem weiß und rothen Angesicht einer solchen Gestalt.
Als er an jenem Abend sein väterliches Haus verließ, hörte er natürlich immerfort bald neben, bald hinter, bald vor sich ein fernes Hundegebell, auch knallte es bald hier bald dort, und zum Ueberfluß flüsterte und wisperte es in den Bäumen wie lauter Weiberstimmen. Für sein Leben gern wäre er schon in der ersten Viertelstunde wieder umgekehrt, wenn er sich vor einem Dinge nicht am allermeisten gefürchtet hätte: vor seines Vaters dickem Knittel.
Die böse Nacht ging auch vorüber; er schlich sich vorsichtig durch Haarlem bis nach Delft, wo er in der Werkstatt eines Malers, namens Johann Lukas die beste Aufnahme fand.
Der Meister war unverehelicht, und das gefiel dem Martin ganz besonders. Beide gewöhnten sich auch recht bald an einander, und der junge Bursche lernte so tüchtig, daß der Alte recht seine Freude an ihm hatte.
Mehrere Jahre blieb er da, bis der hochberühmte Johannes van Schorel nach Haarlem zog, und seine Werkstatt Lehrlingen eröffnete. Da schied denn Martin von Hemskerken von seinem alten Lehrer und siedelte zu dem neuen Ankömmling über, der ja auch unbeweibt war und blieb. Hier ging ihm denn eine wahrhafte Sonne auf in des vielgepriesenen Meisters gründlicher Unterweisung und seine Fortschritte in der Malerei waren erstaunenswerth. Johannes van Schorel selbst rühmte seinen Schüler aller Orten und freute sich seines tiefen Blicks für die Natur, sowie seiner äußerst zarten und doch schwungvollen Pinselführung.
Schon fing man an auch um des Schülers willen die Werkstatt des Meisters zu besuchen, als zum allgemeinen Erstaunen plötzlich der Martin van Hemskerken sich von Johannes van Schorel zurückzog, dessen Haus verließ, eine eigene Werkstatt einrichtete, und für sich allein zu arbeiten anfing. Man schüttelte die Köpfe über diese Trennung, und Uebelwollende redeten schon allerlei von dem Neide des großen Meisters ob der Fortschritte des Schülers; man munkelte dies und jenes: das Rechte erfuhren nur wenige.
Ein reicher Kunstliebhaber hatte nämlich für ein kleines Miniaturbild in einem Gebetbüchlein, das ihm Johannes van Schorel gemalt, dem Meister einen prachtvollen großen Hund von seltener Race geschenkt. Das riesenhafte Thier hatte sich so schnell an seinen neuen Herrn gewöhnt, daß es ihm überall hinfolgte und auch in seiner Werkstatt allezeit bei ihm blieb. Gegen jeden andern war aber der Hund unfreundlich und zeigte häufig die Zähne, und dem Martin van Hemskerken war er gar einmal in die Beine gefahren. Das war nun freilich mehr als der Schüler Schorel's ertragen konnte, und da der Meister sich nicht entschließen wollte den Hund zu verbannen, so packte Martin seine Sachen und verließ die Malerwerkstatt für immer. Er zog in eine ganz entfernte Straße, in das Haus eines Goldschmieds, Jan Foysen genannt, Oheim eines seiner Mitlehrlinge, und stattlicher Junggeselle. Martin fühlte sich ganz wohl und zufrieden in seinem neuen Asyle, wo es weder Hunde noch Schießgewehre noch Weiber gab.
Als nach kurzer Zeit des friedlichen Lebens Jan Foysen ihn bat, ihm doch seine große Bettstelle in der Hinterstube durch seinen geschickten Pinsel zu verzieren, that er es mit Freuden, und ließ sich den Wein, den ihm der Goldschmied während der Arbeit reichlich schenkte, gar trefflich schmecken. Er malte ihm in Lebensgröße Sol und Luna, auf der andern Seite auch Adam und Eva, von allerlei seltsam gestaltetem Gethier umgeben. Wer aber beschreibt seinen Zorn und Schrecken, als nach Vollendung des Kunstwerkes der Goldschmied ihm schalkhaft lächelnd sagte, daß seine junge Frau ihm selbst danken solle nach der Hochzeit, die er in acht Tagen zu halten gedenke, und zu welcher er ihn freundlichst einlade.
Natürlich wartete der Martin van Hemskerken nicht so lange, sondern zog noch in derselben Woche in das Haus eines andern Goldschmieds, Jan Cornelis, eines tiefbetrübten Witwers, der eben erst sein Weib unter die Erde gebracht. Hier fand er Ruhe, freilich nur in seiner Werkstatt. Auf den Straßen nämlich liebten es die Mägdelein den weiberscheuen Maler weidlich zu necken. Sie faßten sich in langen Reihen unter die Arme, und versperrten ihm kichernd den Weg, sie sammelten sich an den Brunnen und bespritzten ihn mit Wasser, wenn er vorüber ging, sie drängten sich an den Kirchthüren geflissentlich zu ihm, daß er ihnen das Weihwasser reichen mußte. Es war immer ein helles Lachen und ein liebliches Flüstern hinter ihm her. Gar manche bedauerte aber doch im stillen, daß gerade dieser hübsche stattliche Mann eilt so seltsamer Weiberfeind war, und hätte ihn für ihr Leben gern bekehrt.
Mittlerweile verbreitete sich sein Ruhm im Lande. Die Natur und Wahrheit, die Anmuth, das Leben und der Glanz seines Pinsels erweckten laute Bewunderung. Man stellte die Gebilde, die aus seinen fleißigen Händen hervorgingen, den herrlichsten Schöpfungen der Gebrüder van Eyk zur Seite. Aber nun standen viele auf, die dem Meister so lange vorredeten, er solle und müsse sich in Rom die rechte Weihe holen von den Schülern eines Raphael und Tizian, daß er sich endlich, erst in seinem 34. Jahre, entschloß, die Reise in das gelobte Land der Künste zu unternehmen.
Diesmal wurde ihm das Auswandern nicht so schwer als damals, wo er von Hemskerken nach Delft zog. Er ließ sich ein lammfrommes Roß satteln und ein Diener, ebenfalls zu Pferde, sollte ihn begleiten. Da ließ sich's schon gut reisen. Auch hatte man ihm auf seine angelegentlichen Erkundigungen allen Ernstes versichert, daß in Italien die Hunde bei weitem nicht so gefährlich seien als hier zu Lande, und wegen der großen Hitze ohnehin fast allezeit schlafend anzutreffen wären. Wegen der Räuber konnte man ihm freilich weniger guten Trost geben; aber sein Diener war ja bis an die Zähne bewaffnet und mußte dicht hinter ihm her traben, auch ließ sichs zu Roß flinker das Weite suchen als zu Fuß. Auch vor den bildschönen Weibern als den gefährlichsten Zauberinnen hatte man ihn gewarnt, und er nahm sich fest vor, nur bei Nachtzeit seine Werkstatt zu verlassen, und immer nur zu reiten.
Ehe er Haarlem verließ, malte er ein großes Bild, das er der dortigen Malergilde zum Angedenken schenkte. Es stellte den Apostel und Schutzheiligen der Maler, den heiligen Lucas vor, wie er die göttliche Jungfrau mit dem Christuskinde abmalt. Die himmlische Maria hält einen reichen Teppich auf ihren Knieen und darauf sitzt das holdselige Jesuskind. Die Palette des heiligen Lucas war insbesondere so täuschend gemalt, daß man meinte, sie rage aus dem Bilde vor und man müsse sie ihm abnehmen. Die Köpfe und Gestalten waren voller Schönheit und Leben, der Faltenwurf so trefflich und die Farbenpracht so leuchtend, daß alles herbeiströmte von nah und fern, um das Meisterwerk anzustaunen und den Schöpfer desselben zu preisen. – Martin van Hemskerken aber führte seine alte halbblinde Mutter vor das Bild, die von ihm treulich versorgt, schon seit Jahren ein gemächliches Leben führte; der Vater konnte es freilich nicht sehen, der schlief schon lange seinen Zorn über den davongelaufenen Sohn in der kühlen Erde aus. Das Schluchzen der alten Frau, ihr stummes, fast anbetendes Händefalten vor dem Werke ihres Sohnes, das ihr doch nur wie ein wirres Farbenmeer vor den blöden Augen zitterte, däuchte ihm besser als das begeistertste Lob aller seiner Freunde und Kunstgenossen.
In der alten heiligen Stadt Rom ging der schlichte Martin van Hemskerken umher wie im Traume. Alles blendete und verwirrte ihn. Mit glühendem Eifer warf er sich auf das Studium der Antiken, lebte wie ein Einsiedler, kümmerte sich um keinen seiner Landsleute, die dort verweilten und malten, und nahm an keinem ihrer Feste und Lustgelage theil, aus Furcht Zeit zu verlieren oder gar den gefährlichen italienischen Weibern in die Hände zu fallen. Den ganzen Tag malte und zeichnete er nach den herrlichen Ueberresten der antiken Baukunst, nach Statuen und Basreliefs, und beschäftigte sich mit den Schöpfungen Michel Angelo's, die ihn vor allen andern wunderbar fesselten und entzückten. Wie in einem Fieber lernte, schaute und schasste er, und seine einzige Erholung waren abendliche Spazierritte mit seinem alten Diener.
Dies gleichmäßig stille Leben in der ruhelosen Riesenstadt wurde aber doch durch einen heftigen Schrecken unterbrochen. Martin van Hemskerken, Martino Tedesco genannt, mußte erleben, daß man ihm aus seiner wohlverschlossenen und verwahrten Werkstatt zwei der besten Bilder aus den Blendrahmen raubte, so wie auch andere werthvolle Zeichnungen. Nun war es um seine Ruhe geschehen. Zwar gelang es den angestrengten Bemühungen einiger gefälligen Landsleute, so wie den Nachforschungen seines hohen Gönners, eines kunstsinnigen Cardinals, den größten Theil der verlornen Schätze wieder zu erlangen, aber der arme Martin war nicht wieder zu beruhigen. Es knallte wieder Tag und Nacht vor seinen Ohren, Dolche aller Art blitzten ihm in die Augen, Räuber und Mörder lugten aus jedem Winkel hervor, alle schlafenden Hunde Roms waren urplötzlich aufgewacht und bellten, auf den Treppen zu seiner Werkstatt rauschte es von Weiberröcken: kurz – er ertrug es nicht länger. Zwar waren ihm noch bedeutende Aufträge geworden, die er auszuführen gelobt hatte; er ließ sie aber, so sehr er sonst das Geld liebte, ohne Seufzer im Stich, vollendete nur noch in Hast die Gemälde, die er für den Einzug Karls V. in Rom grau in grau malte, packte dann sein Hab und Gut zusammen und that nicht eher wieder einen freien Athemzug, als bis er wieder zu den Thoren des friedlichen Haarlem hineinritt.
Hier war nun, wie schon am Eingang dieser Geschichte erwähnt wurde, große Freude über den Heimgekehrten, der nun auch allsogleich in seiner Werkstatt verschiedene Bilder, die er in Rom gemalt hatte, zum Staunen von jung und alt aufstellte. Das war nun vornehmlich ein überaus herrliches Bildniß des Kaisers Karl V. in voller Rüstung, dann eine andere Tafel, die Auffindung des heiligen Kreuzes durch die Kaiserin Helene vorstellend. Auch einen heiligen goldlockigen Johannes mit einer wunderbar schönen heiligen Katharina, eine Kreuzigung mit einer in Schmerz zusammengebrochenen mater dolorosa und einer lieblichen, von Thränen erschöpften heiligen Magdalena, in einem Gewande von roth und blau schillernder Seide, wie es eben die italienischen Maler zu malen pflegen, hatte er mitgebracht.
Das prachtvolle Fest, ein Schmaus, der bis in die tiefe Nacht währen sollte, und dazu die Vorstellung eines Schauspiels, das die Rhetoriker der dortigen Schule ihm zu Ehren aufführen wollten, machte schon im voraus viel von sich reden. Man hatte die Frauen davon ausgeschlossen, da man wußte, wie bitterlich der Meister sie verabscheute. Das gab böse Blicke aus schönen Augen und scharfe Reden von süßen Lippen.
Nun war aber zu jener Zeit ein reicher Bürger in Haarlem, Coninghs mit Namen, der hatte ein einziges wunderschönes Töchterlein, Maria geheißen. Sie war die Rose in dem Garten seines Herzens, und wenn sie ihn bat mit den Augen seines heißgeliebten frühverstorbenen Weibes, so war es wohl nicht leicht zu denken, daß er ihr etwas abzuschlagen vermocht hätte. Diese allerliebste sechzehnjährige Kleine wünschte denn nun von ganzem Herzen, den berühmten Meister von Angesicht zu Angesicht einmal recht behaglich anzusehen, wozu sich sonst gar keine Gelegenheit darbot, da sich der Martin van Hemskerken niemals von Weiberaugen anschauen ließ. Und sie ließ nicht ab mit bittender und schmeichelnder Rede und Kosen und allerlei lieblicher Verführung, um den Vater zu bewegen, sie »auf ein Stündlein nur« gegen Abend, in Pagenkleidern, einzulassen in den großen Saal des Stadthauses, wo das Fest gefeiert werden sollte. Wirklich willfahrte der Vater ihren Wünschen; und als schönster aller Pagen drängte sie sich keck durch die Menge bis in die Nähe des Meisters. Aber just als ihre großen blauen Augen sein Antlitz neugierig trafen, begegnete sie seinen Blicken, dunkeln forschenden Blicken aus prächtigen Maleraugen, und da war's um beide geschehen!
»Führt mir doch den schönen Pagen dort zu!« sagte der Meister. »Nie sah ich ein freundlicheres Engelsgesicht. Ich will ihn malen!«
Und den ganzen Abend durfte Maria nicht mehr von seiner Seite; sie mußte ihn bedienen und hinter seinem Sessel stehen, und der Meister richtete mehr freundliche Worte an die Erröthende, als an alle die reichen und vornehmen Herren, die sich um ihn drängten. Vater Coninghs schwitzte indessen große Tropfen Angstschweißes bei alle den forschenden neugierigen Blicken, die auf sein Kind fielen, das jetzt auch wohl einsehen mochte, wie keck es gewesen. Und als hie und da einer oder der andere sich herandrängte, dem bildhübschen Pagen recht ins Gesicht starrte, über seine Wangen strich, oder gar sein Kinn emporhob, um das Gesichtchen betrachten zu können, da kam die mädchenhafte Scheu und Angst über sie, und über des Meisters Sessel geneigt flüsterte sie plötzlich bittend: »Herr, laßt mich hinweg gehen, es wird mir so beklommen zu Sinn!«
Und als er ihr verwundert, aber gewährend die Hand zum Abschied hinreichte, sah er Thränen in den Augen des hübschen Pagen. Dann hing sich die zierliche Knabengestalt an den Arm des alten Coninghs und verschwand.
Martin van Hemskerken hatte die schlechteste Nacht in seinem Leben, nicht etwa von dem reichlichen Genusse kostbaren Weines oder von aufregenden Hin- und Widerreden: der schöne Page allein tanzte vor seinen Augen unablässig auf und ab, aber – o Graus, – er trug einen Weiberrock, und statt des Barettes mit der nickenden Feder darauf hatte er eine Schneppenhaube aufgesetzt. Und die stand ihm noch zehntausendmal schöner!
Am frühen Morgen schon erschien mit einem Armensündergesicht Vater Coninghs, beichtete alles und bat den Meister im Namen seines Kindes um Verzeihung. – »Sie ist ganz zerknirscht über ihren kecken Streich,« sagte er, »sie weint unablässig, und wenn ich ihr Eure völlige Vergebung nicht bringe, edler Herr, so geht mir vielleicht gar mein einzig Kind in ein Kloster.«
Lange stand Martin van Hemskerken unschlüssig da. Es kämpfte allerlei in seinem weiberfeindlichen Herzen. Der schöne Page blieb aber doch Sieger.
»Ich will ihr meine Verzeihung selber bringen!« erwiderte er endlich.
Freudestrahlend ging der wackere Bürger Coninghs heim. Und auch ein Wunder geschah: Martin van Hemskerken folgte ihm nach und wirklich bis in das Haus hinein, nachdem er freilich erst zwei Mal an der Schwelle umgekehrt war. Als er aber die holdselige Maria gesehen in ihrem weiten faltigen Kleide, das auf die kleinen Füße niederwallte, in der goldnen Schneppenhaube, die ihr in der Thal zehntausendmal schöner ließ als das Barett, da begriff er seine Furcht nicht mehr; und als er wieder heimkehrte, da war er – ein strahlend froher Bräutigam und hatte die reinsten süßesten Lippen der Welt geküßt.
Kaum sechs Wochen nachher feierte er seine glänzende Hochzeit mit der Rose von Haarlem. Aber es war, als solle ihm nun eine Strafe werden für seine lange Verachtung der schönsten Blumen auf Erden: Gottes Hand brach ihm seine süße Rose, sein junges zärtliches Weib, als sie ihm das erste Töchterlein geschenkt, und auch das Kind nahm er mit der Mutter in den Himmel. Da war nun Jammer und Leid, wo erst Freude und Glück gewohnt. Der Meister trauerte lief und schwer. Er malte nun zwar eifriger, als zuvor, er schloß sich sogar in seiner Werkstatt ein und ließ niemanden zu sich; aber diejenigen, die es echt mit ihm meinten, schüttelten die Köpfe über seine fertigen Bilder und nur die große Menge bewunderte sie, weil sie von seiner Meisterhand kamen. Es war etwas Fremdes, Verzerrtes, Unwahres in den Gestalten, etwas Grelles in den Farben. Jener Martin van Hemskerken, der den heiligen Lucas und den prächtigen Kaiser Karl gemalt, war mit der schönen Maria gestorben. Die Menge schrie aber desto lauter, je unnatürlicher seine Bilder wurden, und vielleicht betäubte ihn dieser zweifelhafte Beifall, so daß er sich immer tiefer in die Unnatur hineinmalte, und zuletzt sich selbst ganz und gar verlor. Seine früheren Bilder verwarf er. Einer seiner Schüler fragte ihn einmal schüchtern, warum er früher so ganz anders gemalt hätte; da gab er ihm barsch zur Antworte »Damals wußte ich nicht, was ich that, damals war ich Sclave, jetzt bin ich freier Herr!« Viele seiner Freunde sagten: »Rom hat ihn verdorben!« Andere sahen tiefer und erkannten, daß der erste heiße Schmerz diesen klaren Sinn, dies freie Auge umwölkt hatte. Ach, nicht viele werden von den Wellen solchen Schmerzes an ein Eiland seliger Ruhe getragen, wo sie nun aufleben und größer und thatenreicher werden können; die meisten Herzen gehen in solchen Stürmen unter. Eines oder das andere versucht wohl im Kampfe mit den grausamen Wellen nach den goldnen Sternen zu greifen, die so fest und hell über ihm glänzen; manchem gelingt der Griff und er schwingt sich empor; die meisten aber versinken ohne Rettung. Martin van Hemskerken war unter ihnen. Er schien für nichts mehr Sinn zu haben, als recht viel Geld zu sammeln, und das gelang ihm; er wurde reich und immer reicher, denn seine Bilder verkauften sich des Namens wegen immerhin sehr glänzend.
Aber es sollte noch trauriger mit ihm werden. Etwa zwei Jahre nach dem Tode seiner wunderschönen Maria geschah es dem Meister, daß er eines Morgens der Haarlemer Schützengilde in den Weg lief, die gerade ihren Umzug hielt. Die blinkenden Büchsen kamen ihm plötzlich so absonderlich drohend vor, seine alte Furcht zog ihm so fest ein schwarzes Tuch über den Kopf, daß er blitzschnell kehrt machte und in der Angst seines Herzens in eine Kirche lief, was ihm sonst nicht absonderlich oft in den Sinn kam, obwohl ihn seine Mitbürger schon längst zum Kirchenrath gemacht hatten.
Da rannte er denn einer alten Jungfer, die mit dem Meßbüchlein in der Hand gar ehrsam daher trippelte, schnurstracks in die Arme. Die erhob denn auch sogleich, trotz des heiligen Ortes, ein durchdringendes Zetergeschrei, und drohte in einem nie enden wollenden Redefluß mit schwerer Klage und harter Strafe und ließ dabei den Arm des zu Tode erschrockenen Meisters keinen Augenblick los. Neugierige jeden Alters und Standes drängten sich alsbald herbei und standen lachend umher. Plötzlich neigte sich ein Schalk zu dem Ohr des Bedrängten und flüsterte ihm geheimnisvolle Worte zu. Gleich darauf wandte sich der Meister zur Jungfrau und redete leise und eindringlich eine Weile zu ihr. Seine Worte wirkten wunderbar, denn die wüthende Löwin verwandelte sich zur Stelle in ein sanftes Täubchen. Die andern erfuhren des Räthsels Lösung erst eine Woche nachher, wo der Martin van Hemskerken die steinreiche Jungfer Brigitta zum Altare und nachher als Ehegemahl in sein Haus führte.
Er war kaum drei Tage mit ihr verehelicht als er mit einem Male wußte, weshalb er sich all sein Lebtag so vor den Weibern gefürchtet.
Eine gute Natur muß er doch gehabt haben, denn er ließ sich von seinem bösen Weibe martern und quälen Tag und Nacht und wurde 76 Jahre alt dabei. An seinem 74. Geburtstag erst erlöste ihn der Engel der Barmherzigkeit von seinem Plagegeiste.
Von Stund an wurde Martin van Hemskerken ein anderer. Er legte seinen Pinsel zur Ruhe und bestellte sein Haus. Von all seinen Bildern waren nur noch wenige in Haarlem; die Spanier, als sie im Jahre 1572 die Stadt belagerten, hatten all dergleichen als gute Beute mit fortgeschleppt. Aber eine Verkündigung Mariä war noch da, wo die Gestalt des Engels Gabriel sich im Marmorgetäfel des überaus kunstvoll gemalten Fußbodens so klar spiegelte, als stände sie auf durchsichtigem Eise. Auch den heiligen Lucas, den er damals für die Malergilde gemalt, hatte man gerettet. Lange stand der Meister eines Tages vor diesen seinen beiden Schöpfungen. »Es war doch besser so!« sagte er endlich zu seinem Freunde und Schüler Jacob Rauwaart, und zeigte mit dem Finger auf die Apostelgestalt.
Hab und Gut vermachte er den Armen und der Kirche. Insbesondere setzte er eine große Summe aus zur jährlichen Ausrüstung eines liebenden Paares am Marientage. Seinen Eltern ließ er ein prachtvolles Denkmal errichten auf dem alten Kirchhofe von Hemskerken, und bestimmte ebenfalls ein Capital für die Erhaltung dieser Ruhestätte auf ewige Zeiten.
Sein eigenes Grab ließ er sich neben seiner Maria rüsten; die ehemalige Jungfrau Brigitta, seine zweite Gattin, ruhte weit davon und ihr hatte er einen recht schweren Stein auf das Grab legen lassen, den allerlei Genien mit allen Kräften festzuhalten schienen.
Noch am letzten Septembertage 1574 wanderte er hinaus auf den Friedhof, in den Blumengarten, in welchem Maria schlief mit seinem Kindlein. Die Rosen an ihrem Hügel waren schon verblüht, nur ein halberschlossenes Knösplein nickte ihr noch zu Häupten. Er brach es sinnend und ging langsamen Schrittes wieder heim. Am Morgen des 1. October fand man den hochberühmten Meister Martin van Hemskerken auf seinem Lager todt.
In der Hand hielt er eine herrlich erschlossene Rose und auf seinen Lippen stand das Lächeln derer, die den Ruf des Herrn vernahmen:
»Kommt her zu mit, die ihr mühselig und beladen seid!«