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» O amor qui semper ardes.«
In der stolzen Handelsstadt Antwerpen wohnte, etwa um das Jahr 1600, als sie noch in ihrem vollsten Glanze strahlte und die schwerbeladenen, ungeheuren Schiffe auf der breiten Schelde sich drängten, ein Fischhändler in einer ganz engen düstern Gasse, die nach dem Flusse hinauslief. Der Mann konnte eben leben mit den beiden Buben, die er hatte; die Matrosen und Schiffer kauften ihm immer seine Waare ab, ehe sie verfaulte, und er gab sie billig her; auch hatte er zugleich einen kleinen Schenktisch in der niedern Stube stehen und einige Holzbänke, und da konnte denn jeder, der da wollte, ausruhen, ein lustiges Wort reden und einen Schluck Branntwein dazu nehmen, und es fand sich immer der eine oder der andere, der das gern wollte.
Sein ältester zwölfjähriger Sohn, Geraart, half dem Vater den Gästen die Krüge füllen und die Fische verkaufen; die Mutter war bei der Geburt des jüngsten zehnjährigen Daniel gestorben. Das konnte denn Jan Seghers sein Lebtag nicht vergessen, und es kostete ihm viele Mühe, den Daniel nicht ganz und gar von sich zu stoßen; freundlich ansehen konnte er ihn nicht; er hätte es am liebsten gesehen, wenn der Junge auf und davon gelaufen wäre. Das that der aber leider nicht, weil er von Natur äußerst schüchtern und verzagt war. Er ging nur dem Vater aus dem Wege, denn er fühlte, daß der ihn nicht lieb hatte, wie das ja ein Kinderherz so leicht gewahrt, und wuchs auf wie eine Blume im Schatten. Die wilden Buben auf der Straße lachten über ihn, sein eigner Bruder spottete über sein scheues Wesen, und so blieb er immer für sich. Auch war er so häßlich als Geraart hübsch war, das sagte ihm der Vater wohl hundert mal. Geraart tummelte sich denn immer in der Trinkstube herum, trank auch schon tapfer mit, und gab den Gästen viel zu lachen durch die lustigen Fratzen und Figuren, die er mit einem Stückchen Kohle an die Wand zu malen verstand. Da trieb denn einmal ein gewaltiges Unwetter den vielgenannten Meister in der Kunst der Malerei, Heinrich van Baalen, in die Schenkstube des Jan Seghers. Der besah ganz ernsthaft und aufmerksam alle die kecken Striche und Linien an den Wänden und auf dem Tische, fragte nach dem, der solches gekritzelt, und sagte dann: »Jan Seghers, laßt Euren Jungen Maler werden, es steckt etwas in ihm. Ich will's wohl mit ihm versuchen!« Der Vater wollte erst nicht recht beistimmen, er dachte daran, wer ihm die Krüge füllen helfen und die Gäste belustigen solle; der schüchterne, blöde Daniel war ja zu nichts zu gebrauchen; da aber Geraart so flehentlich bat, so gab er ihn endlich her und nahm nun an seiner Statt eine ältere, gesetzte Base ins Haus. Die fegte und schalt aber vom Morgen bis zum Abend in allen Winkeln und Ecken umher, und der arme Daniel fürchtete sich gar sehr vor ihren boshaft funkelnden Augen und verkroch sich noch mehr als sonst. – Oben auf dem Boden, nahe bei dem einzigen runden Dachfensterchen war sein Spielplatz, dort saß er immer. Ein paar Scherben mit Erde standen da, in denen ein paar arme Blumen wuchsen, die er selbst eingepflanzt: weiße Sternblümchen waren es. Mit diesen Sternblumen hatte der Knabe viel Arbeit und allerlei Noth und Sorgen. Er trug sie in die Sonne, wenn sie eben durch das Dachfenster lugte, und trug sie wieder in den Schatten, wenn sie zu heiß brannte; er zählte die Blättchen und konnte Stunden lang zusehen, wie sie aus der grünen Hülle krochen, sich leise zitternd streckten, sich langsam auseinander falteten und endlich glatt und glänzend wurden; er begoß sie vorsichtig, säuberte sie vom Staube und hütete sie unablässig. Und die weißen Blumen lohnten ihm seine treue Pflege; sie wuchsen so üppig auf, sie sahen ihn so freundlich an, daß das arme einsame Kind ganz froh wurde, und wachend und träumend immer in helle liebe Augen blickte und dabei an die Mutteraugen dachte, die es nie gesehen.
Aber diese stille Freude sollte enden; schon längst hatte die Base sich weidlich ergrimmt über den »faulen« Burschen, der nichts konnte als essen und trinken und »alberne« Blumen hin und her schleppen, und der so häßlich war. Eines Tages rief sie ihn und gab ihm einen Krug mit der Weisung, ihn den lärmenden Gästen hineinzutragen. Daniel zitterte und zögerte, da faßte sie ihn hart an den Arm und stieß ihn über die Schwelle der Trinkstube. Der Knabe strauchelte, fiel – und das kostbare Getränk floß über den Fußboden und der Krug lag in Scherben. Jan Seghers riß seinen Buben wüthend in die Höhe und warf ihn zur Thür hinaus. »Warum schickt Ihr ihn auch!« herrschte er die Base an. Die aber kreischte in hellem Zorn: »wart', ich will Dich schon strafen, träger Bube!« sprang in zwei Sätzen die schmale Stiege hinauf, rannte auf den Boden, riß die Blumen aus den Scherben und zertrat sie mit ihren plumpen Füßen. – Als Daniel die Zerstörung sah, wurde er todtenblaß, packte schweigend seine schlechten Kleider zusammen und verließ an demselben Abend noch seines Vaters Haus für immer, und Jan Seghers hielt ihn nicht zurück. »Die Base ist rauh,« sagte er, als Daniel vor ihn hintrat und Abschied nahm, »draußen in der Welt ist's aber noch rauher; sieh' zu, wie Du fertig wirst; durchschlagen muß sich ein jeder. Geh zu meinem Vetter, dem Schiffer in dem kleinen Hause an der Schelde, der hat ein Marktschiff, er wird Dich schon aufnehmen, denke ich. Du brauchst nur die Früchte und das Gemüse zu hüten, das er von Antwerpen nach Gent auf und nieder führt.«
Der Vetter nahm auch den kleinen Daniel an, aber er blieb doch nicht lange auf dem Marktschiff; das Fahren auf dem Wasser bekam ihm schlecht, und er wurde ganz krank und elend. Da hörte er einmal, daß der berühmte Meister Jan Breughel einen Farbenreiber noch wohl gebrauchen könne, ging hin zu ihm und bot ihm seine Dienste an. Als der Meister den Daniel Seghers sah und seine Bitte vernahm, hatte er eine Weile Lust »nein« zu sagen; der Knabe war wirklich sehr häßlich. Aus dem magern gelben Gesicht standen die Backenknochen scharf hervor, die Nase war lang und spitz, der Mund groß und das hellbraune Haar sträubte sich in die Höhe. Als er aber seine traurige Geschichte erzählte und den Meister dazu so kummervoll anschaute, da mußte in diesen Augen wohl etwas stehen, das dem Meister ins Herz drang, denn er sagte plötzlich ganz sanft: »Ich will Dich behalten, armer Schelm, Du magst auch oben in der Dachkammer in meinem Hause schlafen und an Speise und Trank soll es Dir auch nicht fehlen. Wenn Du brav und fleißig bist und Geschick zeigst, kannst Du späterhin vielleicht gar mein Schüler werden.«
Da küßte Daniel dem Meister Jan die Hand und blieb bei ihm.
Die Leute nannten den Lehrherrn Daniels nur den »Sammetbreughel«, wegen des prächtigen violettnen Sammetüberwurfs, den er immer trug. Seinen Bruder Peter aber, der in Brüssel lebte und auch ein berühmter Maler war, hieß man den Höllenbreughel, weil er auf seinen Bildern immer mit allerlei Teufelsbrut sich zu schaffen machte und nichts lieber malte, als den leibhaftigen Gottseibeiuns und dessen ehrwürdige Großmutter, Flammen, Hexen, Räuber und dergleichen gräßliche Dinge, daß einem das kalte Grauen über den Rücken lief, wenn man solche Bilder nur von weitem sah. Des Sammetbreughels Pinsel war viel sanfter und weicher; der malte friedliche klare Landschaften mit schönem sonnigen Himmel darüber und wunderbar feine zierliche Menschenfiguren darin. Der Meister selbst war auch so klar und freundlich wie seine Bilder, und jeder hatte ihn lieb, der in seine Nähe kam.
Daniel Seghers war nach Verlauf von kaum zwei Jahren Breughel's Schüler geworden; der Meister entdeckte an ihm einen ungewöhnlichen Farbensinn. Er war ihm recht von Herzen gut, dem stillen fleißigen Knaben, der nur da zu sein schien, ihm zu dienen. Immer und immer begegnete der Meister, wenn er aufschaute, jenem sanft fragenden, schwermüthigen Augenpaar, er hätte diese Augen gar nicht missen können. – Daniel Seghers verstand seinen Meister, noch ehe dieser gesprochen, er errieth fast seine Gedanken. Er erhob sich geräuschlos, um ihm die Staffelei anders zu rücken, ehe Jan Breughel es ihm befohlen, er zog die dunklen, schweren Vorhänge, die das Atelier der Schüler von dem des Meisters trennten, auf und zu, je nachdem er zu bemerken glaubte, daß es diesem angenehm sei, er holte den silbernen Becher und den Steinkrug voll edlen Weines herbei, wenn eben sein Lehrherr der Labung bedurfte; er brachte ihm sein sammetnes Barett mit der dunklen Feder, wenn er ausgehen wollte, er lockerte ihm die Schnallen an den Schuhen, wenn er heimkam, und das alles that er just zur rechten Zeit, keine Minute zu früh, keine zu spät. Nur mit dem Malen wollte es nicht recht gehen, trotz allen Fleißes. Seghers malte wohl ganz leidliche kleine Landschaften, ganz artige Gruppen aus der heiligen Geschichte und copirte mit wunderbarer Treue, aber es fehlte seinem Pinsel die höhere Weihe, die höhere Kraft, die Bilder sahen matt und alltäglich aus. Das fühlte Daniel ebenso gut wie sein Meister, und grämte sich im stillen recht von Herzen darüber. Und doch, wenn er bei seinen Farben saß, wenn ihn das schöne Ultramarinblau ansah, wenn das Gelb vor seinen Augen flammte, das Grün sanft glänzte und das Roth glühte, so war ihm als wäre bei ihnen sein eigentlicher, wahrer Platz, das einzige echte und rechte Stückchen Heimat auf Erden. Dort allein fühlte er sich nicht einsam, dort allein vergaß er, daß sein Vater ihn nie geliebt, und daß ihn nie eine Mutter geküßt.
So verging sanft die Zeit; Daniel Seghers war 18 Jahre alt geworben. – »Der Junge muß schöne Mädchenaugen sehen,« sagte oft der Sammetbreughel schalkhaft lachend, »dann wird sicher noch etwas Tüchtiges aus ihm.« Aber Daniel wollte auf keiner lustigen Jahrmarktsfeier tanzen, besuchte niemals eine Schenke und ging jedem hübschen Mädchen aus dem Wege, so weit er konnte. Er wußte ja, daß er so gar häßlich war, und daß die Frauenaugen immer nur mit dem Ausdruck von Mitleid oder Spott sein Gesicht und seine hagere Gestalt streiften. Nur Einer sollte er nicht aus dem Wege gehen: diese eine war seine Verwandte Dortchen, jenes Schiffers in dem kleinen Hause an der Schelde einzig Töchterlein, seit einer Woche erst wieder heimgekehrt von Gent, woselbst es bei einer Muhme erzogen. Des Mädchens Mutter war auch gestorben, als sie ihr Kind kaum geboren, aber der Vater war weniger grausam als Daniels Vater; er liebte sein Töchterchen darum doch, ja er liebte es mit doppelter Liebe, es war ihm das Abbild und das Vermächtniß seines Weibes. Da ging denn eines Abends etwa um die sechste Stunde Daniel Seghers an einem kleinen Hause vorüber; der Schiffer stand vor der Thür und rief ihn herein: »kommt, bietet meinem Kinde guten Tag,« sagte er und sah so froh aus, als käme er von einem lustigen Jahrmarktsfest. Daniel ging mit in das Stübchen, er freute sich auf Dortchen, von der er wußte, daß sie auch mutterlos war, er glaubte endlich eine Leidensgefährtin zu finden, ein häßliches trauriges Menschenkind wie er selber war, denn er dachte, jeder Mensch, den nie eine Mutter geküßt, müsse gezeichnet sein mit solchem dunklen Zeichen. Aber wie erschrak er! ein wunderschönes Mädchen stand vor ihm, kaum 16 Jahre alt, ein rosiges Gesicht lachte ihn an, und eine kleine volle Hand schüttelte derb die seine. Der grautuchene Rock fiel in schweren Falten herab bis auf die Knöchel der Füße der schönen Gestalt, die Kontusche saß ihr so stramm um die vollen Schultern und die junge Brust, der große, steife, spitz geschnittene Kragen ließ noch ein Stückchen von dem Halse sehen. O! über das schöne Weiß dieses Halses! Es war so viel Karmin hineingemischt, die Mischung war so wohl gelungen, der Fleischton so köstlich warm, daß die Maleraugen des Daniel sich nicht satt daran sehen konnten. Auf dem Kopfe trug Dortchen die steife weiße Haube der Bürgermädchen Antwerpens. Daniel fand sich nicht zurecht mit seinen Gedanken, er hörte nur, daß der Schiffer sprach, daß Dortchen antwortete und beide endlich hell lachten. Wie ein Träumender schlich er bald nach Hause und schlief die ganze Nacht nicht.
Von nun an ging Daniel Seghers, wie jeder Verliebte, tagtäglich wenigstens einmal an dem Hause seiner Schönen vorüber, und jeden Tag öffnete Dortchen den Riegel ihres niederen Fensterchens, neigte sich heraus und sagte munter: »guten Tag, Daniel!« An ihrer Brust steckte immer ein frischer Strauß, sie hatte die Blumen so lieb, und an dem Fenster standen dicht neben einander Scherben voll bunter Tulpen, Rosen und Goldlack, und blühten, daß es eine Lust war. Dies Frauenbild in Blumen, dies Köpfchen mit den glanzvollen lachenden Augen, rothen Wangen und dem schönsten Munde der Welt, tanzte und gaukelte denn dem schüchternen stillen Daniel vom Morgen bis zum Abend, und die ganze Nacht hindurch, vor den Augen auf und nieder. Was Wunder, daß er gar bald zerstreut ward bei der Arbeit und noch zerstreuter in seinem Dienst. Jan Breughel merkte bald genug die Veränderung seines treuen Gefährten, der ihm jetzt oft einen Becher Wassers brachte statt Wein, oder sein Barett statt Pinsel und Malerstock, oder ihm gar die Staffelei in die Sonne rückte und nachher so blutroth wurde, wenn er den Irrthum bemerkte im dem Lächeln des Meisters. Und wunderliche Farben waren es, die Daniel aufsetzte auf seiner eignen Palette, und wunderliche Landschaften, die er malte. – Der Sammetbreughel lachte dazu und sagte endlich: »guter Daniel, Ihr seid verliebt, und den Heiligen sei Dank dafür! Zum ersten Kuß seid Ihr aber noch nicht gekommen, das seh' ich an Eurer Malerei; wenn Ihr ihn Euch nur bald holtet!«
Aber er holte sich keinen Kuß, der zaghafte Schüler Jan Breughels; er begnügte sich grüßend an dem kleinen Fenster vorüber zu gehen, und so ging der Sommer darüber hin und der halbe Herbst, da kam noch einmal ein recht wunderschöner Tag ins Land. Die Sonne schien so warm, als ob in der Nacht gar kein Reif gefallen, als ob sie das todte Leben auf dem Boden der Erde wieder aufwecken wollte, wie eine Mutter wohl ihr todtes Kind küßt und meint, es könne wieder lebendig werden. Es war noch obendrein ein Sonntagnachmittag, die Leute tummelten sich alle geputzt und lustig vor den Thoren herum, oder saßen in den Schenkstuben, spielten und tranken. Daniel lenkte seine Schritte nach dem kleinen Hause an der Schelde, Schön-Dortchen schaute heraus im Sonntagsschmuck, aber das »guten Tag, Daniel!« klang diesmal nicht so lustig als sonst, es kam ordentlich matt über die Lippen. Auf ihrer hellen Stirn stand ein seltner Gast: der Kummer! – Daniel erschrak darüber. Beklommen trat er näher und fragte: »was fehlt Euch?« Sie wies stumm mit der Hand auf ihr leeres Fenster und auf die ungeschmückte Brust: »heute Nacht sind mir all meine Blumen erfroren,« sagte sie und das Weinen zuckte um ihre Lippen. Daniel aber faßte ihre Hand, denn wenn er ein leidvolles Menschenkind sah, hatte er immer Muth.
»Betrübt Euch doch nicht,« sagte er sanft und sah sie mit den guten Augen an, »ich will Euch andere Blumen holen, auch einen frischen Strauß sollt Ihr haben, ich weiß ja, wie weh das thut, wenn man seine Blumen sterben sehen muß!«
Und die Erinnerung an seine armen zertretenen Sternblumen daheim am Dachfensterchen trieb ihm Thränen in die Augen.
»Ich kann mir selbst neue Blumen kaufen,« antwortete sie ein klein wenig trotzig, »ich mag aber nicht, der Winter nimmt sie mir doch wieder. Warum müssen die Blumen auch so kläglich erstarren und sterben, und man hat sie doch so lieb und hegt und pflegt sie so treulich!«
»Ich möcht' Euch gleich Blumen aus dem Himmel holen, die nimmer welken, ich ertrag's nicht, Euch so traurig zu sehen!«
Da lachte sie hell. »Macht's Euch bequemer, malt mir lieber einen schönen Strauß, der welkt auch nicht! Habt Ihr bei Eurem großen Meister noch nicht gelernt eine Rose zu malen, so ist's noch nicht weit her mit Eurer Kunst!«
Da starrte er sie wie erschreckt an, dann seufzte er tief, wie einer, der aus einem bleischweren Schlaf erwacht, und eine unaussprechliche Freude breitete sich langsam wie Sonnenschein über seine Züge. Er neigte sich so nahe hin zu dem Mädchen, daß er den würzigen Hauch ihres Athems fühlte an seinen Wangen, dann flüsterte er rasch und zitternd:
»Ihr habt recht, noch ist's nicht weit her mit meiner Kunst, Ihr habt mir aber einen neuen Weg gezeigt! Einen Strauß sollt Ihr haben, seid nur geduldig, ich bringe ihn Euch, ehe draußen die ersten Rosen wieder blühn! Aber Ihr seht mich vordem nicht wieder. Und wenn ich den Strauß dann bringe, Dortchen, dann gebt Ihr dem armen Daniel, den nie eine Mutter, den nie ein süßer Frauenmund geküßt, – einen Kuß!«
Schön-Dortchen zog lachend, halb schmollend den Kopf von dem Bittenden weg und schlug das Fenster zu. Und doch nickte sie hocherröthend dem blassen Daniel, und als er wegeilte, drückte sie ihre hübsche Stirn an die trüben runden Scheiben, und sah ihm nach, so lange ihre hellen Augen ihn erreichen konnten.
Fünf Monate später pochte, am Morgen des 10. April, Daniel Seghers mit festem Finger an Schön-Dortchens braune schmale Hausthür. In seiner rechten Hand trug er eine sorgfältig verhüllte viereckige Holztafel. Sein Gesicht war nach dem Fenster gerichtet und die Sonnenstrahlen fielen auf seine Stirn. – Aber war das wirklich der schüchterne häßliche Schüler des berühmten Sammetbreughels? – Was war denn so plötzlich über ihn gekommen? – Schön waren diese Züge freilich nicht geworden, aber wer dachte daran, der diese verklärte Stirn sah und die fried- und freudvollen Augen! Auch trug er sich nicht mehr gebückt, sondern hoch aufgerichtet wie einer, der gar wohl weiß, daß er ein Recht hat, mit der erhabenen Stirn unter den Menschen zu wandeln. Er klopfte und lauschte noch einmal. Alles blieb still. – Sollte Schön-Dortchen noch schlafen? Ihr Fensterchen blieb geschlossen, aber die knarrende Hausthür öffnete sich endlich, eine alte schwarzgekleidete Frau erschien auf der Schwelle und winkte ihm. Sie drückte die Stubenthür auf, drinnen im Stübchen stand ein schwarzer Sarg, in ihm lag die, die er suchte, ganz weiß und ganz still. Der alte Schiffer saß bei ihr, thränenlos und starr. Das rosige Mädchen war nach kurzem heftigen Kampfe am hitzigen Fieber gestorben, so erzählte die Frau. Der Tod hatte den armen Daniel auch um den Kuß von diesen Lippen betrogen! Es lagen nur ein paar Frühlingsblumen im Sarge, weiße kleine Sternblumen, just solche, wie sie die böse Base damals zertreten.
Daniel Seghers neigte sich über die Leiche und weinte bitterlich. Dann legte er die kleine Holztafel auf die Brust der Todten, wendete sich und ging hinaus.
Der alte Schiffer sah hin und erschrak fast über den Glanz und die Farbenpracht, die ihm plötzlich in die Augen fielen. Aus dem mattgrünlichen Grunde der Tafel hob sich ein Rosenstrauß, rothe und weiße Rosen mit grünen Blättern, so wunderbar frisch, so strahlend, so thaufunkelnd, daß es ordentlich war, als ströme wundersüßer Duft aus ihren tiefen Kelchen. Alle Leute, die hinkamen, die schöne Todte zu sehen, bewunderten die Herrlichkeit der gemalten Blumen, einer erzählte es dem andern und die Menschen liefen herbei von allen Seiten, um das Werk des stillen Malers zu preisen. Schön-Dortchen war längst begraben, da redete man noch immer von den flammenden Rosen in ihrem Sarge, und dabei flüsterten sich die Leute noch eine andere seltsame Mär in die Ohren. – Als der alte Schiffer nämlich am Morgen des Begräbnißtages, ehe der Sarg zugeschlagen werden sollte, sein Kind noch einmal angeschaut, habe er mit heftigem Schrecken die Hände Schön-Dortchens festgefaltet gefunden über dem gemalten Strauß, als hätte sie ihn recht innig ans Herz drücken wollen, und so habe man sie denn auch mit dem Bilde in die Erde gesenkt.
Daniel Seghers trat noch in demselben Monat in den ernsten Orden der Väter Jesu, nahm von seinem Lehrer Abschied, und zog sich in die tiefste Einsamkeit zurück. Jan Breughel versuchte umsonst alle Ueberredungskunst, um ihn zu bewegen bei ihm zu bleiben, er prophezeite seinem Schüler, dessen Genie ja jetzt erst den richtigen Weg gefunden, glänzenden Ruhm und Ehren aller Art, alles war vergebens, Daniel Seghers' verwundetes Herz sehnte sich nach nichts als nach Stille. Hatte doch der grausaume Tod die Rolle der bösen Base übernommen und ihm die schönste aller Sternblumen unbarmherzig zertreten. Er malte fortan nur Blumen und sein Pinsel schuf wahre Wunder von Zartheit und Naturwahrheit. Menschen vermied er, es war ihm nur wohl unter seinen gemalten und lebendigen Blumen. Die Fenster seiner zellenartigen Wohnung waren immer geschmückt wie einst Schön-Dortchens Fenster.
Später schickten ihn die frommen Väter nach Rom, er benutzte die Zeit seines dortigen Aufenthalts, um zu schauen und zu lernen. Er sah dort auch seinen Bruder Geraart wieder, der ein tüchtiger Maler geworden war, und glanzvolle fromme Bilder aus der Geschichte der Heiligen für die Kirchen und Klöster malte. Sonst führte Geraart aber ein gar vergnügliches Leben mit schönen Frauen und lustigen Freunden.
Als Daniel wieder nach Antwerpen zurückkehrte, lebte er zwar in seiner klösterlichen Einsamkeit weiter, nahm aber doch Schüler an, die er sorgfältig unterwies und von denen gar mancher hochberühmt wurde, wie z. B. Ottomar Ellinger. Die Bestellungen häuften sich; jeder Edelmann, jeder hohe Herr wollte Blumenstücke haben von Daniel Seghers. Rubens und andere hochberühmte Meister suchten den Einsamen auf und baten ihn, ihre heiligen Bilder zu verzieren mit Guirlandeneinfassungen, oder sie mit Bouquets zu schmücken. Sie fanden ihn meist in seinem kleinen Garten, unter seinen Blumen. Er erklärte den Besuchern so gern ihre Art und Gattung, zeigte ihnen den Sammetschimmer dieser und den Atlasglanz jener Blüte, die Zierlichkeit der Staubfäden und die tiefe Färbung der Kelche. Wie aufmerksam belauschte er ihr geheimstes Leben, ihr Spiel mit den Schmetterlingen und Insecten und ihr Sterben. Und es war, als ob alle diese Knospen und Blüten ihn kannten, den stillen Mann mit den guten Augen. Keine Blume ging ein, die Daniel Seghers' Hand berührt, jedes dürre Reis, das er in die Erde senkte, sproßte frisch und fröhlich auf. Die Blumen wollten ihm die Liebe ersetzen, die ihm unter den Menschen nicht begegnet war, und wenn Daniel seine blassen Lippen leise in den eben aufgeschlossenen Kelch einer jungen Rose drückte, dachte er, träumte er vielleicht von den Küssen einer Mutter, einer Geliebten, die er nie gefühlt.
Zeigte er sich einmal auf den Straßen der Stadt, um in die Kirche zu gehen, so neigte sich jeder mit ehrfurchtsvollem Gruße vor der ernsten ruhigen Gestalt, die Kinder aber liefen sonder Scheu auf ihn zu und brachten ihm Blumensträuße. Seine Bilder wurden immer verklärter; Kaiser und Könige trachteten nach dem Besitz solcher Werke. – Bisweilen wurden sie den hohen Häuptern dargebracht als Geschenke des Jesuitenordens, wofür dann immer reiche Spenden flossen. Der Prinz und die Prinzessin von Oranien schenkten dem Maler Daniel Seghers für zwei Blumenvasen mit Bouquets eine goldne Palette, einen emaillirten Rosenkranz und ein goldnes pfundschweres Crucifix. Außerdem erhielt er einen Geleitsbrief durch ganz Holland, um die Intressen des Hauses Oranien zu besorgen. – Sein » Meisterwerk« nannte man die Guirlande um das Bild Rubens', Maria mit dem Kinde, für die Jesuitenkirche zu Antwerpen. Man begreift, wenn man diese Blumen anschaut in ihrer Ueppigkeit, in ihrem Glanz, in ihrer bis ins kleinste Detail ausgeführten Zierlichkeit, in ihrer keuschen Schönheit, daß solche Schöpfungen nur eine blumenhaft reine Seele schaffen konnte. Die Blüten lassen sich von keinem profanen Auge so ins Herz, so ins innerste Leben schauen. Aber immer fand man in seinen »Kränzen«, in seinen »Guirlanden«, in den köstlichen »Bouquets« jene kleinen weißen Sternblumen wieder aus dem Eckchen am Dachfenster und aus Schön-Dortchens Sarge.
An einem Frühlingstage des Jahres 1660 fand man Daniel Seghers in seinem Garten – todt. Er saß auf einer niedern Holzbank in seiner schwarzen ernsten Ordenstracht, mit dem Rücken an einen blühenden Baum gelehnt. Tulpen und bunte Frühlingsblumen blühten zu seinen Füßen, sein Haupt, seine Brust, sein Schoß und die gefalteten Hände waren mit weißen Blütenblättern bestreut. Das dünne weiße Haar war weggeweht von der Stirn, die Augen sanft geschlossen, um den Mund aber spielte das Lächeln der Seligen. Hatten endlich wohl Mutter und Geliebte in Gestalt wunderschöner Engel die verwaisten Lippen geküßt?
Drinnen auf der Staffelei aber stand in glühender Farbenpracht und Herrlichkeit sein letztes, eben vollendetes Bild, ein reichlich drei Fuß hohes Blumenstück: eine Blumenguirlande von unnachahmlicher Frische und Schönheit, aufgehängt an den Verzierungen einer Nische, in welcher eine Monstranz mit der Hostie stand. – Unter derselben las man die Worte: