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Die fremde Schwester.

»Manch Bild vergessener Zeiten
Steigt auf aus seinem Grab.«

Heine.

 

Am Ende des 13. bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts etwa gab es in den ganzen gesegneten Niederlanden keine fröhlichere Jahrmarktsfeier als in dem großen Dorfe Maaseyk am Ufer der Maas. Von nah und fern kamen die Landleute herbei zu solchen Tagen, und des Jubels, Trinkens und Tanzens war dann kein Ende. Die Schenke hatte eine große Tanzstube, und da ging's denn immer lustig zu; da flogen, schlürften, sprangen die kräftigen jungen Paare durcheinander, und die Alten sahen zu und gedachten der Zeit, wo sie auch so gesprungen. Wie lachten die runden Gesichter der frischen Mädchen, wie leuchteten die rothen Wangen unter den knapp umschließenden weißen Hauben, wie üppig waren die Gestalten in den kurzen Röcken, die damals nicht sehr faltig herabfielen. In den Breughelschen Jahrmarktsbildern findet man sie noch aufbewahrt, diese warmen vollwangigen Dirnen, diese selig wankenden Bursche, diese ehrbar dareinschauenden Frauen, denen die frohe Jugend noch im vollen Busen klopfte, diese verliebt blickenden Alten, diese schäumende, fast übersprudelnde Lebenslust, von der unsere heutige matte Zeit nichts mehr weiß.

Aber nicht nur in der Schenke gab's Freude, draußen auf der Wiese wirbelte es wohl noch bunter durcheinander. Da waren viele hübsche seltsame Dinge zu kaufen und zu schauen; und wie wenig kostete alles! man wunderte sich, daß der Beutel davon leer wurde, denn es waren ja immer nur wenige Deut, die man herzugeben brauchte um ein Band oder eine Pfeife oder einen geschnitzten Heiligen oder einen blitzenden Knopf. Und ein Mann war da, der einen zottigen Bären und lustigen Affen zeigte, und ein anderer ließ Puppen gehen und sprechen wie Menschen. Das Schönste und Beste blieb aber doch der kleine Mann mit dem blassen Gesicht und rothem Rock, der allen Leuten helfen konnte, wenn sie auch noch so krank waren, der die größten Zähne herausriß, wenn auch manches Mal der Kranke so fest daranhing, daß er ein Stück weit mit fortgezogen wurde, der den unglücklich verliebten Burschen Liebestränkchen braute für ihre Spröden, und den Dirnen die Namen ihrer künftigen Ehemänner zu sagen wußte. Um ihn herum schaarten sich die Gesunden wie die Kranken, und für jeden hatte er einen guten Rath.

Da stand denn auch einmal am zweiten Tage solch eines lustigen Maaseyker Jahrmarkts ein junges Weib recht nahe bei dem Wundermanne. Sie war blond und blühend, an ihre lange weiße Schürze hielt sich ein etwa sechsjähriger Knabe, ein anderer, der noch nicht flink laufen konnte, saß auf ihrem Arme. Ihr Mann, Jan van Eyk, war einer der reichsten und klügsten Bauern im Dorfe, er plauderte just mit einem Nachbar von dem wunderbarlichen Lebenselixir des Doctors im rothen Rocke. Der aber winkte verstohlen dem jungen Weibe; und als sie schüchtern herantrat, da sagte er geheimnißvoll: »Ihr seid reich, Ihr habt zwei Buben, Ihr könntet ein Mägdlein wohl gebrauchen! Wollt Ihr eins haben, ich geb's Euch umsonst. Sehr nur her, es ist schon groß und gar fein! Man hat mir's zugesteckt, 's ist eigentlich ein Königskind, die Mutter ist aber todt und der Vater mag's nicht.« Während dieser Rede hatte der Wunderdoctor die Frau hinter seinen rothen Vorhang gezogen, und da sah sie auf der Erde ein Kind von drei oder vier Jahren sitzen, das malte mit einem Stücklein Kohle allerlei Striche und Kreise auf den Fußboden der Bude und schaute rührend mit bangen schwarzen Augen zu ihr hin. Aber es war so wunderschön und auf seiner Stirne stand so viel Licht, daß die Frau die Hände faltete und sagte: »ja, das ist gewiß ein Königskind!« Und Hubertus, der älteste, lief gleich auf das fremde Mägdlein zu und sagte: »komm mit!« und zog es an der kleinen Hand in die Höhe. Johannes aber, der auf dem Arm der Mutter saß, streckte die Arme nach dem fremden Kinde aus und weinte heftig, daß er nicht hinab konnte. Da sagte das junge Weib zärtlich: »ja, gebt mir das verlassene Mädchen, ich will's treu hegen, es soll die Schwester meiner wilden Buben sein, und mein Eheherr wird's lieben wie ich. Wie heißt es wohl?« – »Margareta,« antwortete der Wunderdoctor leise, schob das Kind schlau lächelnd der Barmherzigen zu und Hubertus nahm es fest bei der Hand und so zogen sie alle glückselig hinaus und suchten den Mann und Vater auf. Als nun Jan van Eyk die große Schönheit und Lieblichkeit der fremden Kleinen sah, da fühlte auch er eine gar innige Neigung zu ihr und war's wohl zufrieden, daß sie in seinem Hause bleibe und mit den Buben spiele.

Und Margareta wurde die gute willige Tochter des Hauses und wuchs fröhlich heran. Die beiden Knaben hingen mit heftiger Zärtlichkeit an der neuen Schwester, und wetteiferten mit einander, ihr zu dienen, und kein härteres Strafwort konnte für sie ersonnen werden als die Drohung: »der rothe Mann holt Margareta wieder.« Das Mädchen wußte die wilden Buben wunderbar zu sänftigen, und was keinem Drohen der Mutter, keinem Schelten des Vaters gelang, vermochte ein einziger Bittblick ihrer großen schwarzen Augen. Hubertus war von sanfterer Gemüthsart, Johannes aber heftig und duldete keinerlei Zwang, und doch bändigte ein Wink von Margaretens Hand den jungen Löwen. Die Lieblingsbeschäftigung der Kinder wurde bald auch, allerlei Figuren, Blumen und Häuser mit Kohle auf den breiten Holztisch zu malen, oder gar auf die weiße Wand, und bei solchem Thun entstand ein Wetteifer, in welchem meist der besonnene Hubertus Sieger blieb. Der wackere Jan van Eyk und sein Weib sahen diesem Treiben eine lange Zeit still und achtsam zu, endlich aber beriethen sie sich miteinander und meinten, daß ihrem schlichten Hause vielleicht das hohe Glück beschieden sein möchte, der Welt einen Meister in der Kunst der Malerei zu schenken. Denn damals, in jenen guten alten Zeiten, galt es noch für eine Gnade von Gott, einen Maler zum Sohne zu haben; ein solcher war so angesehen und gefeiert wie der Höchste im Lande, ja seine Kunst zog einen hellen Heiligenschein um sein Haupt. Mußte der nicht selbst ein halber Heiliger sein, dessen Pinsel Gott und den Heiland, die gebenedeite Jungfrau und die lieben Engelein malen durfte allen Menschen zur Erbauung, daß sie unwillkürlich die Knie beugen mußten vor dem Himmelsglanz solcher Gestalten?

Das ist freilich jetzt anders, ganz anders geworden; seit der Pinsel der Maler nicht mehr dem Göttlichen, sondern nur dem Weltlichen dient, sind die Maler zu gewöhnlichen Erdenkindern herabgesunken, und keine überirdische Herrlichkeit entschleiert sich mehr ihren Augen. Beim Anschauen jener alten wunderbaren Altargemälde von Rubens, van Dyk, Dürer, van Eyk, Leonardo da Vinci, jener Madonnen und Heiligen von Rafael, Murillo, Guido Reni umweht uns der Hauch aus einem Paradiese, aus dem wir uns selbst längst vertrieben, kommt eine Erschütterung über uns und eine Sehnsucht, wie wir sie vielleicht nur in unserer Todesstunde gefühlt haben würden. Jahrhunderte lang wirkt so die tiefe heilige Frömmigkeit nach, die alle diese Werke geschaffen. Ganz im verborgensten Winkel unserer Seele faltet vor solchen Bildern unser besseres Selbst die Hände und schaut so gläubig und selig zum Himmel auf, wie der Maler selbst im Augenblick des Schaffens, und die Madonna della Sedia von Rafael, und die Kreuzerhöhung und Kreuzabnahme von Rubens hat gewiß an manchem verstockten Herzen größere Wunder gethan, als die wunderthätige Mutter Gottes zu Kevelaar.

Jan van Eyk verkaufte eines Tages sein kleines reinliches Haus zu Maaseyk und alle seine Felder und Wiesen, und zog mit seiner Familie nach der großen Stadt Brügge. Dort wurden die Kinder unterwiesen in der Kunst des Zeichnens und auch des Malens auf Holz mit bunten Farben, und alle drei bewiesen sich wunderbar gelehrig zur Freude des Vaters und der Mutter.

So vergingen die Jahre in Friede und Liebe, und man redete schon in der ganzen Stadt von den drei Geschwistern und ihrer Geschicklichkeit. Hubertus hatte nun das 18. Jahr erreicht, Margareta war 16 und Johannes 14 Jahre alt geworden. Das Mädchen hatte sich zu hoher Schönheit entfaltet und stand zwischen den beiden wie eine fremde Blume. Aber niemand wußte, daß sie nicht das wirkliche Schwesterlein war, denn alle Berichte aus der damaligen Zeit über das Leben der berühmten van Eyks nennen immer als dritte im Bunde die Malerin Margaret: nur meinen einige, sie sei die Schwester der Brüder, andere, sie sei die Gattin des einen gewesen, alle stimmen jedoch überein in dem Lobe ihrer Schönheit und Sittsamkeit. Sie war auch wie eine Königin anzuschauen in dem langen faltigen dunkelblauen Kleide, das sie immer trug, und in den schweren blonden Flechten, die wie eine leuchtende Krone um ihr Haupt lagen. Dazu waren ihre Augen so dunkel und tief wie ein See im Walde, daß man sich hätte darein versenken mögen mit Leib und Seele, um süßen Todes zu sterben. Ihre Wangen waren sanft geröthet, ihre Bewegungen langsam und stolz, ihre Redeweise fest und klar. Gegen ihre Pflegeältern war sie aber demüthig wie eine Magd und zärtlich wie ein Kind. Sie war erfahren in allen weiblichen Künsten und schaltete im Hause wie eine kluge Hausfrau, und Jan van Eyk und sein Weib segneten den rothen Wundermann wohl viele tausend Male, der ihnen solchen Schatz ins Haus gebracht. Wenn Margareta zwischen ihren Brüdern zur Messe ging, da kam wohl mancher weit her, um sie nur anzuschauen, und mancher hätte um ein kleines Heiligenbild, von ihrer Hand gemalt, willig sein Hab und Gut dahingegeben, um die Liebe der wunderholden Jungfrau aber wohl gar seine Seele dem Bösen verschrieben.

Viele Freier klopften an die Thür, Margareta wies sie aber alle freundlich ab, ihr Herz redete für keinen von ihnen. Hubertus war auch gar stattlich geworden, sein Angesicht war mild und klug, seine Locken braun und seine Augen blau und klar wie der Himmel im Frühling. Sein Name flog schon auf leuchtenden Schwingen durch das Land, seine frommen Bilder wurden hoch gepriesen, er allein war der Lehrmeister seines jüngern Bruders Johannes, dessen wunderbares Talent von Tag zu Tage sich herrlicher entfaltete.

In dieser ersten Zeit des Ruhmes und Verdienstes war es, als der Todesengel sanft die Häupter des Vaters und der Mutter berührte; sie schieden in Frieden von der Erde. Die drei Geschwister standen nun allein. Sie blieben in den liebgewordenen Räumen des Hauses und Margareta sorgte treulich für das leibliche Wohlergehen ihrer Brüder und waltete still und geräuschlos, um die gestorbene Mutter zu ersetzen.

Trotz größerer Mühe und Arbeit blieben aber doch die schönen hellen Tagesstunden ihrer lieben heiligen Kunst geweiht. Die Malerstuben der Geschwister lagen nebeneinander, die von Margareten war in der Mitte. Die Thüren standen immer offen und da war ein beständiges leises Hin- und Wiedergehen, ein Fragen und Rathen. Und bald durchlief die Kunde von den wunderbarsten Entdeckungen und Erfindungen der Geschwister die Niederlande, Schaaren von Bewunderern sammelten sich um die Bilder der van Eyks, die aber auch in einem Glanze schimmerten und Dinge zeigten, wie man sie noch nie geschaut. – Johannes, der blonde feurige Jüngling, hatte ja die Wunder der Perspective erfunden, die man bis dahin noch nicht gekannt. Er malte Landschaften, die in einer blauen Ferne leise versanken, hohe Berge, tiefe Thäler, näher und ferner umherwandelnde Menschen, Kirchgänge, die sich in dunklen Schattentiefen verloren, endlose Straßen, ein Himmelsgewölbe mit Wolken und sanfter Tageshelle, ohne den bisher üblichen grellen Sonnenschein. Wie staunte man solche Schöpfungen an! Beide Brüder waren es auch, die zuerst statt des Leimwassers oder Eiweißes, mit welchem damals die Maler ihre Farben mischten, das Oel zur Farbenbereitung anwendeten und so jenen Glanz hervorbrachten, der nur der Oelmalerei eigen und nimmer verwischt werden kann. Auch erfanden sie einen Firniß, theils zum Schutze ihrer Gemälde, theils um ihren Farbenschimmer zu erhöhen.

So zog sich immer hellerer Schein um ihre Namen und ihr Ruhm breitete sich aus wie das Sonnenlicht. Da aber hienieden nun einmal kein Glück ungetrübt strahlen darf, so senkten sich allmählich auch schwere Schatten auf das Stilleben der Geschwister. Beide Brüder entbrannten in heißer Liebe zu der wunderschönen Schwester, die ja nicht ihre Schwester war, und diese Liebe war so heimlich über sie gekommen, so langsam mit ihnen gewachsen, daß sie ihre Gewalt erst gewahrten, als die Flammen über ihren Häuptern zusammenschlugen. Aber beide schwiegen. Der sanfte Hubertus wurde bleicher und bleicher, seine Gestalt verfiel, und er wagte es nicht mehr, die Hand Margaretens beim Morgen- und Abendgruß zu berühren, schlug vor ihrem sanften Blick scheu die Augen nieder und saß oft Stunden lang regungslos in tiefe Träume verloren vor seiner Staffelei. Den feurigen Johannes trieb es rastlos von einem Ort zum andern, in quälender Unruhe irrte er oft Tage lang im freien umher, Pinsel und Palette ruhten. Wenn er dann wiederkam und in sein Gemach stürmte, und durch die offene Thüre die stille wunderschöne Gestalt der qualvoll Geliebten ruhig vor der Staffelei stehen sah, da rief er oft in bitterstem Weh und Verlangen laut ihren Namen. Und sie wandte sich und ihr holdselig Angesicht blühte vor ihm auf wie eine weiße Blume, und ihre Augen sahen ihn an so mild lächelnd, so beruhigend, als hätte der Engel des Friedens selbst ihn angeschaut. Aber wenn sie wieder auf ihre Malerei blickte, und er dann das köstliche ernste Profil sah, und die warme Färbung der Wangen und des Nackens und seine weiche Beugung, und den herrlichen Arm, an dem der bauschige Aermel weit zurückgeschoben war, und die weiße schmale Hand, da schrie das Verlangen laut auf in ihm, und er hätte sein reiches Leben hingeworfen um einen Augenblick an ihrer Brust. Aber lange trug er's auch nicht; eines Abends beim Schlafengehen stürzte er seinem geliebten Bruder ans Herz und gestand ihm die verzehrende Qual seiner jungen Seele. Hubertus van Eyk wurde todtenbleich und schwere Thränentropfen fielen auf die Stirn des Beichtenden. Endlich sagte er wie gebrochen: »ach! ich liebe sie ja selbst so sehr!« Und nach langer schmerzvoller Unterredung umarmten sich die Brüder und beschlossen hinzugehen zur schönen Margarete und ihr alles zu sagen, damit sie selbst wähle und entscheide. Der, den sie verschmähe, solle dann hinausgehen in die weite Welt zur Nimmerwiederkehr.

Hand in Hand traten sie ein bei ihr am nächsten Morgen; sie saß neben ihrer Staffelei und hatte das schöne Haupt, wie müde, an die Lehne ihres Sessels gelegt. Johannes nahm nun das Wort, und redete in seinem und seines Bruders Namen von der unbezwinglichen Liebe ihrer Herzen und bat sie gar flehentlich um ein Wort der Entscheidung, und sagte ihr, daß solches Wort den Frieden und die Liebe unter ihnen nimmer stören solle, nur daß der eine dann fortwandern wolle, und so des andern Weib ehren. Margareta erzitterte gar sehr bei dieser rührenden Rede und sagte leise: »ach, ich wußte ja längst, daß es so kommen mußte, und habe viel geweint und gebetet deshalb. Aber da Ihr nun gesprochen, will auch ich frei reden. Ihr seid zu Höherem berufen als ein irdisch Weib zu lieben und zu freien, Ihr dürft Euch nimmer von einander trennen um solcher Liebe willen. Einer bedarf des andern mehr als Ihr selbst wißt. Keiner ertrüge eine lange Trennung, oder seine heilige Kunst müßte leiden bei solchem gewaltsamen Losreißen; es ist wohl nöthig, daß Ihr lebt wie bisher, Hubertus braucht noch Johannes, und Johannes darf noch nicht ohne den besonnenen Hubertus sein. Wollt Ihr fortan die Kraft haben in alter traulicher Weise mit mir fortzuleben, so bleibe ich Eure treue liebende Schwester und Gefährtin; seid Ihr zu schwach, nun so gehe ich ins Kloster der Barmherzigen. Damit Ihr aber seht, daß auch ich ein Opfer bringe um euretwillen, so vernehmt, daß ich mein Herz Einem von Euch dahingab in heißer, ewiger Liebe; aber so lange ich auf Erden wandle, soll keiner erfahren, ob es Hubertus sei oder Johannes, den ich liebe, und so lange ich bei Euch wohnen darf, soll keiner an meinem Betragen gewahren, wer mir Bruder, wer mir Geliebter: das schwöre ich bei der heiligen Jungfrau, die mir beistehen möge immerdar!«

Da knieten die beiden tief ergriffen nieder vor der hohen Gestalt und sie küßte eines jeden Stirn, und die Brüder standen wunderbar getröstet auf, denn jeder wähnte im stillen: »sie liebt mich«. Das süße Stilleben begann von neuem, wie Geschwister verkehrten sie mit einander sanft und liebevoll, mit verdoppeltem Eifer drängte sich aber ein jedes zur Arbeit, denn jedes brauchte Trost, und so floß die Zeit weiter. Und obgleich Hubertus, sowie Johannes gar genau anfänglich die Blicke, Mienen und Worte der Stillgeliebten hüteten, so sahen sie doch gar bald, daß sie keinerlei Unterschied machte zwischen ihnen, und mit dem einen so ernst liebevoll umging wie mit dem andern.

Johannes reiste aber nach Ablauf eines Jahres nach Gent an den glänzenden Hof Philipps des Gütigen, und sein Name, sein herrliches Talent und edles Wesen gewannen ihm das Vertrauen und die Zuneigung dieses Fürsten in so hohem Grade, daß er ihn zuletzt nicht mehr missen konnte, und ihn immer und immer um sich zu haben begehrte. Die Hofleute nannten den Maler gar bald nur den »geheimen Rath« des Fürsten und lächelten sauersüß bei diesem Titel. Die schönsten Frauenbilder traten ihm entgegen, die strahlendsten Augen schmachteten nach ihm, mancher entzückende Mund lächelte ihm üppig zu, er ging aber ruhig an all diesen Verlockungen vorüber, denn in seiner Seele lebte nur das Bild eines Weibes, eine prächtige, hohe Frauengestalt mit sanftstolzen Augen und keuschen Lippen, das Bild Margaretens. Allein je bewegter und farbenreicher das Leben sich um ihn her gestaltete, desto klarer und stiller wurde es in seinem Innern, das Himmelblau des Friedens verdrängte das brennende Roth der heißen Liebe, er überwand das ungestüme Verlangen seines Herzens und versenkte sich immer tiefer in seine hohe Kunst.

Da geschah es, – man nennt das Jahr 1420 –, daß eine der reichsten Patricierfamilien des stolzen Gent sich eine Kapelle kaufte in der Johanniskirche und selbige ausschmücken lassen wollte von den Händen der weltberühmten Geschwister van Eyk. Man sandte einen Boten mit der Aufforderung an Hubertus und Margareta nach Brügge; sie sagten zu und kamen bald darauf nach Gent; die Geschwister und Liebenden sahen sich wieder. Hubertus und Margareta aber hatten sich gar sehr verändert; sie sahen trüb und sorgenvoll aus. Die Jungfrau war stiller und trug sich so gebeugt, und über ihre blendende Stirn flogen oft die Schatten quälender Schmerzen. Sie war rastlos thätig und half ihren Brüdern; mit wunderbarer Schnelligkeit malte sie, Hubertus hatte ihr eine der obern Tafeln des ungeheuren Altarbildes überlassen. Er selbst wandte sich mit Begeisterung dem neuen Werke zu, das dem Namen van Eyk einen unverwischbaren Glanz verleihen sollte, Johannes aber malte zuerst eine heilige Cäcilie, zur Verzierung der Seitenwände bestimmt, und dies Bild ist das einzige Conterfei, das von jener wunderschönen »Margareta« auf die Nachtwelt gekommen. Das berühmte Gemälde stellt die Heilige vor ihrer Orgel sitzend dar, von Engeln umgeben. Sie trägt ein königliches dunkelblaues Gewand, durchwirkt mit Goldblumen und reich mit Hermelin besetzt. Das helle feine Haar fällt sanft gewellt auf die Schultern herab, über der Stirn von einem Juwelenreif gehalten. Das Antlitz und die Gestalt sind halb abgewendet, sie erscheint nur im Profil und zeigt hier die schönsten reinsten Linien. Farbengluten und Lichtströme sind ausgegossen über dies Bild, die überwältigend wirken. Als das Gemälde vollendet war, reichte Hubertus tief seufzend dem Bruder die Hand; er allein sah, wie krank und bleich das Urbild der Heiligen neben dem warmen Bilde stand. Und wenige Wochen nachher knieten die Brüder am Sterbelager des heißgeliebten Weibes. Die unablässige angestrengte Arbeit hatte ihre Kräfte erschöpft, ein leichtes Fieber brachte sie zum Tode. »Nicht die Arbeit ist's, die mich tödtet, mein Herz ist's,« sagte sie langsam und leise wie im Traume. Aber weiter sprach sie kein Wort und die Brüder fragten auch nicht. Dann legte sie schwer zum Abschiede ihre Hände auf die Häupter der beiden, seufzte – und der reine Odem ihrer keuschen Brust stand still für ewig.

Die erstarrende Hand sank langsam vom Haupte des Johannes und fiel auf die Decke des Lagers, die andere aber blieb fest liegen; der feine Zeigefinger und Daumen hatten eine Locke gefaßt von den braunen Haaren des Hubertus. Und sie ließen sich nicht trennen, die todten Finger; man mußte die Locke abschneiden und die Gestorbene nahm sie mit sich ins Grab. Da wußten sie beide, wen die schöne Margareta geliebt, und fielen einander laut weinend in die Arme.

Und kaum ein Jahr nachher starb Meister Hubertus van Eyk. – Auf der ersten Tafel des Altarblattes zeigt man vier lebensgroße Figuren, die er gemalt. Er legte das unvollendete Riesenwerk in die Hände seines Bruders und folgte froh lächelnd dem Rufe der Einziggeliebten.

Johannes van Eyk war nun für das Erdenleben geschieden von seinen Lieben, aber der wunderbare Trost seiner heiligen Kunst senkte sich tief in sein schmerzerfülltes Herz und machte es mild und stark. – Er blieb in Gent und vollendete während mehrerer Jahre die Altartafeln der Kapelle und schuf so ein wahres Wunderwerk von Schönheit, Pracht und Erhabenheit, und man wallfahrtete zu den Gemälden des Meisters, wie zu einer wunderthätigen Reliquie, und jeder pries laut den Schöpfer solcher Herrlichkeit. Gar mancher Fürst bot dem Gefeierten viele Ehren und zeitliche Güter, wenn er an seinem Hofe leben wolle, aber der Genius will nicht gefesselt sein, wären die Fesseln auch von Gold. Johannes ging nach Brügge zurück und ließ sich dort nieder. Hier lebte er in unausgesetzter Thätigkeit, malte aber nicht allein Bilder aus der heiligen Geschichte, sondern auch viele Bildnisse seiner Zeitgenossen, die eine köstliche Frische und warmes Leben zeigen. Wenige Maler der niederländischen Schule haben diesen herrlichen rosigen Fleischton, ohne alle Beimischung grauer oder violetter Töne; ein Hauch wirklichen Lebens weht von seinen Menschengestalten zu uns herüber. Eine Zahl lernbegieriger Schüler hatte sich um den Meister versammelt, unter ihnen der nachmals berühmte Miniaturmaler Hemmling, Rogier von Brügge und Antonello von Messina, den der Ruhm Johannes van Eyk's aus seinem schönen Vaterlande Italien nach Flandern gezogen, und andere mehr. Je länger sich der Lebensweg des hochgefeierten Meisters hinzog, desto klarer und froher wurde seine Seele, desto milder sein ganzes Wesen und heiterer sein Blick; man liebte und verehrte ihn fast wie einen Heiligen, jedes Kind kannte seine Gestalt, jeder Bürger Brügges trat mit abgezogenem Käpplein vor seine Thüre, wenn der Meister vorüber schritt, und die vornehmsten Herren verließen ihre Carossen, wenn Johannes van Eyk daherwandelte, um ihm Geleit zu geben oder ihn in den Wagen zu heben. Und als er endlich hochbetagt sein sanftes Ende herannahen fühlte, legte er den goldenen Schatz seines Wissens, die Perlen und Edelsteine seiner Erfindungen, die er bis jetzt im geheimen Schrein seines Innern verschlossen, in die Hände seines treuen Freundes Antonello nieder. Und eine kleine Copie der heiligen Cäcilie mußten sie ihm auf sein Lager legen und die schaute er innig an, bis sein Ange brach. Die göttlichen Gestalten aber, die er so oft in seinen frommen Träumen geschaut, – sie winkten ihm zur ewigen Herrlichkeit, und die lieben Englein selbst trockneten den Todesschweiß von seiner Stirn.

Sein Staub ruht in der Kirche St. Donat zu Brügge.


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