Wilhelm von Polenz
Wald
Wilhelm von Polenz

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IV.

Während des Oberförsters Erkrankung gab es im Quellenhayner Forsthause keinen gemeinsamen Mittagstisch. Der Major pflegte, wenn es die Witterung irgend zuließ, seine Mahlzeiten im Walde abzumachen, wie es die Holzfäller jahraus jahrein thaten, und an den Sonntagen aß er für sich allein auf seinem Zimmer.

Als aber allmählich dauernde Besserung im Befinden des Hausherrn eintrat, da konnte er sich einer Einladung Frau Annas, wenigstens Feiertags wieder zum Mittagbrot zu erscheinen, nicht entziehen. Er legte also seinen schwarzen Rock an. Seit langem befand er sich zum erstenmal wieder allein in weiblicher Gesellschaft.

Anna war durch die angestrengte Krankenpflege 66 sehr herabgekommen. Ganz mager und durchsichtig erschien sie dem eignen prüfenden Blicke, als sie sich ein wenig putzte für dieses Mittagessen und sich dabei genauer im Spiegel musterte. Sie mußte daran denken, was der Arzt damals in der Stadt gesagt hatte, daß sie etwas für ihre Nerven thun müsse. Wie hatte sie sich darüber gewundert! Aber jetzt wußte sie, was Nerven seien. Bei der geringsten Kleinigkeit traten ihr Thränen in die Augen, die Kniee zitterten ihr, und die Augen brannten; wirklich erquickenden Schlaf hatte sie seit drei Monaten nicht gekannt.

Dazu das Verhalten des Rekonvalescenten, der nicht bemerkte, daß seine Frau sich opferte, alles als selbstverständlich ohne Dank hinnahm, und der, je mehr sich seine Gesundheit kräftigte, desto unleidlicher wurde. An allem, was für ihn geschah, fand er zu mäkeln und geriet außer sich, wenn ihm nicht jeder Wunsch sofort erfüllt wurde.

Schreien hätte Anna oft mögen vor innerer Spannung. Das schrecklichste war, daß sie den trostlosen Zustand stumm ertragen mußte, ohne die Möglichkeit, irgend wem ihre Not zu klagen, ohne je ein freundliches Wort zu hören oder einen Blick des Einverständnisses zu wechseln. So arm, so bettelarm an Glück und Liebe war sie sich noch nie vorgekommen.

Rüstädt bemerkte wohl ihre Blässe und das Zittern 67 ihrer Hand, als sie die Suppe austeilte, aber er dachte nicht weiter darüber nach; natürlich, sie hatte ja einen kranken Mann!

Überhaupt hatte er sich bisher nicht viel mit dieser Frau beschäftigt, auch in Gedanken nicht. Das einzige, das ihm stärker an ihr aufgefallen, war etwas Ungünstiges: eine gewisse Unsicherheit, die er auf mangelnden gesellschaftlichen Schliff zurückführte. »Sie hat keine Kinderstube gehabt!« Das war das harte Urteil, das Rüstädt zur Hand hatte, mit dem er sich über Erscheinungen an ihrem Wesen hinwegsetzte, die ihm hätten zu denken geben müssen.

Aber heute stimmte ihn die unverkennbare Verwirrung der jungen Frau zu Mitleid. Er wollte ihr darüber hinweghelfen. Allen Ernstes sann er über einen Unterhaltungsstoff nach, der ihr angenehm sein könnte. Über die Krankheit ihres Mannes zu sprechen, würde ihr vermutlich wenig lieb sein. Aber sicherlich hörte sie gern von ihrem Jungen. Er hatte vor einiger Zeit einen Brief vom kleinen Hellmut erhalten – beantwortet war er noch nicht –, daran knüpfte er jetzt an.

Sowie er von Hellmut zu sprechen begann, ging eine Änderung in Annas Zügen vor sich. Glück strahlte aus ihren Augen, die Wangen färbten sich. Er fand auf einmal, daß sie eigentlich viel anmutiger sei, als ihm bisher aufgefallen war.

68 Sechs Wochen noch, so rechnete sie vor, dann war Ostern, dann würde sie ihren Jungen wieder haben. Der Major lobte den Brief, den er von Hellmut erhalten hatte, seiner sauberen Handschrift und seiner netten Gedanken wegen. Er meinte, Hellmut sei gut beanlagt und werde gewiß einmal ein tüchtiger Oberförster werden.

Während er darüber in scherzendem Tone sprach, verdüsterten sich die Züge der jungen Frau mehr und mehr. Eine wunde Stelle mußte bei ihr berührt worden sein. Er schwieg befremdet.

»Nein, Förster soll Mutchen nicht werden,« meinte Anna, »wenigstens ich wünsche das nicht.«

»Schließlich, das läge doch nahe!« erwiderte Rüstädt. »Er ist in einem Forsthause aufgewachsen und hat Interesse für Wild und Wald. Was gäbe es denn auch Schöneres auf der Welt!«

Anna schüttelte den Kopf, schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber.

»Sie scheinen andrer Ansicht zu sein, Frau Seltmann?« fragte Rüstädt, dessen Neugier durch ihr merkwürdiges Verhalten nun doch rege geworden war.

»Ich kann diesen Wald nicht ausstehen!« platzte sie auf einmal heraus, dabei einen Blick nach der Thür des Nebenzimmers werfend, wo ihr Mann lag. Rüstädt hatte ein völlig neues Gesicht vor sich, das 69 ihn durch die Leidenschaftlichkeit seines Ausdrucks bestürzt machte.

»Sonderbar!« sagte er, um nur etwas zu sagen. »Andre Leute sehnen sich nach dem Walde und seiner Schönheit.«

Sie hatte auf diese Bemerkung eine Geste der Verachtung. Daß es ihr mit ihren Worten ernst gewesen, sah er an den Thränen, die mit einem Male in ihren Augen erschienen.

»Vielleicht fühlen Sie sich etwas weggesetzt hier oben,« sagte er, bestrebt, auf ihre Gedanken einzugehen. »Ich gebe zu, es mag sein Unangenehmes haben zu Zeiten, zum Beispiel jetzt, wo ihr Mann erkrankt ist. Aber schließlich, dafür haben Sie hundert andere Annehmlichkeiten als Ersatz . . .«

In diesem Augenblicke machte sich der Kranke im Nebenzimmer bemerkbar. Die Hausfrau stand vom Tische auf und begab sich zu ihm, den Gast allein lassend.

Wider Willen wurde Rüstädt Ohrenzeuge eines ehelichen Zwistes. Der Oberförster wollte durchaus von einem Gerichte essen, das der Arzt verboten hatte. Anna stellte ihm vor, daß die Speise sich nicht mit der Medizin vertrage. Aber Seltmann blieb eigensinnig auf seinem Willen bestehen. Die Worte, die er dabei gebrauchte, waren nicht gerade von der feinsten Art. Seinen Willen setzte er aber schließlich durch.

70 Der Major achtete den Oberförster als einen ganzen Mann, ja er verehrte den alten Isegrimm; aber Seltmanns neueres Verhalten befremdete ihn. Das war nicht mehr Knurrigkeit, wie sie das Alter des Mannes und seine Krankheit hätten entschuldbar erscheinen lassen, das war Mangel an Zartgefühl, starkes Sichgehenlassen. Ihm war die ganze Scene äußerst peinlich. Unwillkürlich stellte er sich auf Seite des schwächeren Teiles. Seine Ritterlichkeit empörte sich, da er eine Wehrlose leiden sah.

Nach einiger Zeit kam Anna wieder zurück, verstimmt und verlegen. Sie bat um Entschuldigung; dabei traten ihr erneut Thränen in die Augen. Dann blickte sie zum Fenster, seinen Blick vermeidend, und Rüstädt hörte ihr Atmen.

Er wollte ihrem Kummer nicht auch noch die Beschämung hinzufügen. Als sei nichts geschehen, als habe er nicht das geringste bemerkt, begann er zu plaudern.

So war er auf einmal mitten drin im Erzählen von seinem früheren Leben; er gab Reiseerlebnisse, Anekdoten, dies und jenes aus der Gesellschaft und vom Hofe zum besten.

Er hatte sich nicht verrechnet. Bald saß ihm die junge Frau gegenüber, mit freudig belebtem Gesichte seinen Worten lauschend, ganz beherrscht von dem neuen Eindrucke, aller Kummer weggewischt. ›Eine echte 71 Frau!‹ dachte er. Wie leicht war es doch, in solchem Gemüte Regen und Sonnenschein abwechseln zu machen.

Man mochte zu den Frauen stehen, wie man wollte, es that doch wohl, in solcher Gesellschaft zu sein, nachdem man so lange nur immer die rauhere Luft geatmet, die den Mann bei der Arbeit umgiebt. Mal wieder die linde Atmosphäre, die eine Frau um sich verbreitet, – wie wohlig wurde einem dabei zu Mute! Das sanftere Organ, die gefälligeren Formen, all das Ästhetische zu genießen, das für den Mann seine liebenswerteste Verkörperung im Weibe findet. Rüstädt hatte das nicht mit Bewußtsein entbehrt; aber wie der musikalische Mensch, wenn er einige Zeit keine Musik gehört, elektrisiert wird vom Klange der ersten Geige, so ging es ihm hier. Eine Saite in seinem Innern, die lange unberührt geblieben, wurde in Schwingungen versetzt. Kleine Züge: ein Blick, der Tonfall der Stimme, ihr Lächeln, ihr Erröten erinnerten an Altbekanntes, Längsterlebtes. Wehmütiges Erinnern, fast wie Mitleid mit sich selbst, überkam ihn.

Als ihn die junge Frau bat, nach Tisch eine Tasse Kaffee bei ihr zu trinken, folgte er gern dieser Einladung. Und da sie ihn selbst zum Rauchen aufforderte, sprang er hinauf, um sich seinen türkischen Tabak zu holen. Er kam zurück, ein Album unter dem Arm, das er Anna vorlegte. Von der Mutter anfangend, erzählte er ihr dann, wen die einzelnen 72 Bilder darstellten. Anna folgte ihm mit offenem Munde.

Der armen kleinen Frau wirbelte es im Kopfe. Von jeher hatte sie geheime Bewunderung für die ihr fremde Welt der vornehmen Leute empfunden. Und wie dieser Mann davon sprach! Leichthin scherzend nannte er Namen hochgeborener Personen; alles das, wovor sie eine an Scheu grenzende Ehrfurcht empfand, erschien ihm als das Alltäglichste der Welt. Sein Wesen konnte einem den Atem versetzen!

Wie lächerlich eng und ärmlich mußte einem Manne, der solche Dinge erlebt hatte, hier alles vorkommen! Sie hätte in den Boden versinken mögen vor Scham, ihrer Kleidung, ihres einfachen Hausrats halber. Aber dann wieder fühlte sie aus seinen Worten heraus, daß er nicht hochmütig sei. Er prahlte nicht mit seinen Bekanntschaften und Erlebnissen; im Gegenteil, eine gewisse Geringschätzung ließ er für all das durchblicken. Es schien ihm ernst zu sein mit seiner Behauptung, daß er sich nirgends wohler gefühlt als hier oben in der Einsamkeit des Quellenhayner Reviers.

Seltsamer Mann! Wenn sie an seine bisherige Verschlossenheit dachte, und daß sie eine Art von Angst vor ihm gehabt, weil er gar so ernst und zugeknöpft gewesen, mußte sie sich wundern über solche Wandlung. Heute plauderte und lachte er so natürlich und herzlich, daß man gar nicht anders konnte, als mitzuthun. Und 73 bei alledem diese gewählten Formen, die edle Sprache, die Höflichkeit, die er in Blick, Geste und Anrede zu legen verstand! Anna glaubte so etwas noch nie erlebt zu haben. Es machte sie nur anfangs ein wenig verlegen, dann aber kam sie über ihre Befangenheit hinweg, und schließlich genoß sie die Anmut dieses Verkehrs mit wonnigem Behagen und wünschte sich nichts Besseres.

Als sich Rüstädt verabschiedete, um, wie er sagte, noch einen Gang in den Forst zu unternehmen, blieb sie auf ihrem Platze zurück wie verzaubert. Jedes Wort der Unterhaltung wiederholte sie sich. Es war eigentlich gar nichts so Außergewöhnliches gesprochen worden, nichts von Belang hatte sich ereignet; und doch erschien es ihr, als sei heute in ihr Leben etwas Neues eingetreten. Wie einem Kinde ging es ihr, das durch einen schmalen Spalt Einblick bekommen hat in das Weihnachtszimmer.

Wie geistesabwesend ging sie den Rest des Tages umher, verträumt war sie die ganze Woche über. Mit einer verstohlenen Freude, die sie sich nicht recht eingestehen wollte, und doch auch mit innerem bangem Erzittern sah sie dem nächsten Sonntage entgegen, der sie wieder mit dem Major zusammenführen würde.

Für Rüstädt war dieses Mittagessen und das Plauderstündchen nachher nur ein kurzes, schnell erledigtes Zwischenspiel gewesen, an das er kaum einmal 74 flüchtig zurückdachte. Am Sonnabend ließ er der Hausfrau durch das Mädchen mitteilen, daß er am Sonntag nicht zu Tisch da sein werde.

Noch einmal war der Schnee gefallen, obgleich man bereits tief im März war. Der Major hatte sich ausgedacht, im Schlitten nach einem bekannten Aussichtspunkt jenseits der Landesgrenze zu fahren. Welch bittere Enttäuschung er damit der Hausfrau bereite, ahnte er nicht.

 


 


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