Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XII.

Ein Paar Tage darauf kam eine alte Frau aufs Pfarrhaus. Gerland kannte die Alte wohl, sie wohnte in Eichwald und arbeitete als Gartenfrau im Grundstücke des Arztes. Voll Umständlichkeit wickelte sie ein Briefchen ans dem bunten Einschlagetuche.

Von Martha Herberge, wenige mit Bleistift hingeworfenem Zeilen. Gerland hatte Mühe, die zitterigen Krähenfüße zu entziffern.

»Lieber Herr Pfarrer!

Kommen Sie sofort zu mir. Ich bin sehr krank.

Martha Herberge.« –

Dann kam noch eine Nachschrift:

»Lassen Sie mich nicht ohne geistlichen Zuspruch – ich flehe!« –

Martha, so plötzlich erkrankt! –

Der Geistliche suchte aus der Botin etwas Näheres heraus zu bekommen; aber die wußte nichts. Der Brief war ihr von der Köchin übergeben worden, mit der Weisung, ihn sofort aufs Pfarrhaus zu tragen.

Würde Doktor Haußner an ihrem Lager sein?

Und wenn etwa Marthas Zustand so schlimm sein sollte, daß sie nach der letzten Speisung verlangte, wie würde sich der Arzt zur Spendung des Abendmahls in seinem Hause stellen?

Ging Gerland vielleicht einem Skandal entgegen – einem Zwist, wie ihn sein Amtsvorgänger mit dem Dissidenten gehabt? – Und wie würde Gertrud sich stellen – Würde sie Partei ergreifen – und welche?

Seine Phantasie war geschäftig, ihm die wunderbarsten Möglichkeiten auszumalen. –

Klopfenden Herzens riß er, vor dem ärztlichen Grundstücke angelangt, an dem Glockenzuge. Vom Hause aus kam ihm die Köchin entgegen.

Er fragte nach Fräulein Herberges Befinden. Sie liege im Bette und schwitze. –

Ob Doktor Haußner bei ihr sei?

Der Hausherr sei weggefahren, hieß es.

»Wohl um einen andern Arzt hinzuzuziehen?«

»Heut morgen ist er weggefahren, in aller Frühe – und mittags hat sie sich gelegt.«

Während er noch, im Hausflur stehend, weitere Auskunft von der Person zu erhalten versuchte, kam ein anderes dienstbares Wesen vom ersten Stock herab; Fräulein Herberge bäte den Herrn Pfarrer, sofort zu ihr zu kommen.

Gerland folgte dem Mädchen die Treppe hinauf. Er wurde in ein halbdunkels Zimmer gewiesen; die Fensterläden waren geschlossen, eine Nachtlampe brannte. Vom hellen Tageslicht in stumpfes Dämmerlicht versetzt, konnte er für den ersten Augenblick gar nicht erkennen, wo sich die Kranke befinde.

Ein zart flötendes Stimmchen belehrte ihn, wo Martha liege.

Aus mächtigen, bauschenden Kissen blickte ein spitzes Gesichtchen. Martha bis ans Kinn verhüllt, eine Nachthaube über dem Haar. An der andern Seite des Bettes stand Gertrud.

Der Geistliche fragte mit gedämpfter Stimme nach dem Befinden der Kranken. »Ein wenig besser!« hauchte sie. »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, lieber Herr Pfarrer! – Mir war so angst – so fürchterlich angst.« –

Mit schwacher Stimme bat sie ihn, sich zu setzen. Sie streckte ihre Hand aus den Kissen heraus und griff nach Gerlands Rechter. Glühend lag das magere Händchen in der seinen.

Der Geistliche erkundigte sich teilnamsvoll, wie das so plötzlich gekommen sei.

»Es ist das Herz – ja, das Herz! Ich habe das manchmal.« –

»Ganz kalte Hände und Füße bekam die Tante auf einmal,« flüsterte Gertrud von der andern Seite herüber.

»Sie hat mich gepflegt, wie der beste Doktor!« – meinte Martha. »Und dann hatte ich ja auch den Trost, Sie in der Nähe zu wissen, lieber Herr Pfarrer. Wenn solches Kreuz über einen kommt, dann fühlt man recht, was es um das Wort Gottes ist. Hier das gute, liebe Kind hat mir vorgelesen. – Trudel, reiche einmal dem Herrn Pfarrer das Buch! – Nun, so reiche es ihm doch! – Es wird ihm ja nicht unbekannt sein.« –

Gertrud stand da mit niedergeschlagenen Augen und rührte sich nicht.

Martha richtete sich ein wenig in den Kissen auf, sorgsam die Bettdecke über der Brust festhaltend und griff nach dem Buche, das neben ihr auf dem Tischchen lag. – In der That! Gerland kannte dieses Buch mit dem goldenen Kreuz auf dem Deckel. –

»Hier, Herr Pfarrer! Von Ihrer seligen Mutter haben Sie das zur Konfirmation erhalten. – Und daraus hat mir Gertrud vorgelesen. – O, Kinder – Kinder!« –

Sie kam nicht weiter. Tiefe Stille herrschte im Raume; man hörte jeden Atemzug. – Gerland überlief es heiß und kalt. – Er blickte nach Gertrud hinüber, die noch immer dastand, regungslos.

Von der Straße her ertönte Hufgeklapper; plötzlich setzte das taktmäßige Klipp-Klapp aus – man vernahm die Glocke des Gartenthores.

»Er!« sagte Martha mit bebender Stimme und versteckte das Gesicht in den Kissen.

Gerland wußte es, das konnte nur Haußner sein.

»Verstecken Sie sich!« flüsterte ihm Martha zu. »Er darf Sie nicht hier finden. Schrecklich ist er, wenn er in Zorn gerät. Verstecken Sie sich!«

Gerland mußte lächeln über dieses Ansinnen. Er fürchtete sich nicht. Daß der Arzt in diesem Augenblicke gerade zurückkehrte, erschien ihm ein Glück. Nun mußte sich ja alles entscheiden. Wie er jetzt handelte, davon hing sein Lebensglück ab.

Er trat auf Gertrud zu. Das Mädchen sah es wohl seinem Mienenspiele an, daß er Großes von ihr wolle. Sie senkte die Augen. Ihr Atem flog.

»Gertrud!« sagte er. »Wenn ich jetzt vor Ihren Vater trete, wird er mich fragen, was ich hier zu suchen hätte. Kann ich dann – darf ich – –« Er zauderte, weil ihm das rechte Wort fehlte.

»Darf ich dann Ihrem Vater sagen, daß ich ein Recht habe, hier zu sein? Darf ich sagen, daß Sie – meine Braut sind?«

Einen kurzen Augenblick zauderte das Mädchen. Wie ein Schauer ging es über ihren jungen Leib. Dann blickte sie auf, sah ihn voll an, und sagte: »Ja!«

Gerland legte seine Hand auf die ihre. Sie in diesem Augenblicke zu küssen, verbot ihm Ehrfurcht vor der Größe der Stunde.

»Ich danke dir, Gertrud!« sagte er nur.

Noch einmal drückte er die Hand des Mädchens und ging zur Thür. Er wollte allein vor Haußner treten – Mann gegen Mann würde er zu Gertruds Vater sprechen.

Seine Nerven waren aufs höchste gespannt und doch kam er sich selbst gefaßt, ja beinahe kalt vor. Jener verzweifelte Mut erfüllte ihn, den das Bewußtsein einer unabweisbaren Entscheidung zu geben vermag.

Während er aus der Thür schritt, hörte er Martha ein lautes Gebet anstimmen.

Auch er sprach unwillkürlich einige Gebetsworte, während er die Treppe hinabging – aber es war Lippenwerk; er fühlte das und hörte zu beten auf, seine Energie einzig und allein auf das richtend, was ihm die nächsten Minuten bringen mußten.

Haußner ließ auf sich warten; durch die offen stehende Hausthür erblickte Gerland seine vierschrötige Figur am Garteneingang. Er trug ein größeres Paket in Händen, Kutscher und Mädchen folgten ihm mit einigen Ballen.

Gerland sah ihn langsam mit aufgeknöpftem Überzieher auf das Haus zukommen. Nichts entging dem jungen Manne in diesem Augenblicke. Er erkannte, daß Pflanzen in dem Pakete seien. Die Blumenköpfchen guckten oben aus dem grauen Papiere heraus.

»Legt das Zeug alles zusammen vors Gartenhaus!« ließ sich die tiefe Stimme Haußners vernehmen. Es folgten noch einige Befehle, dann endlich betrat der Mann die Hausflur, in der bereits das Zwielicht der Dämmerung herrschte.

Haußner legte das Paket in die Fensternische neben der Thür, dann streckte er sich gähnend – und erblickte nun erst den Geistlichen. Der Mund blieb ihm offen stehen, er ließ die Arme sinken. – Gerland machte seine Verbeugung.

»Warten Sie hier auf mich?« fragte Haußner.

»Fräulein Herberge ist erkrankt – und hat mich rufen lassen.«

»Martha erkrankt! – was?«

»Ich glaube, es liegt kein Grund zu ernster Besorgnis vor, Herr Haußner. – Es wurde dem Fräulein Angst, und da schickte sie nach mir, des geistlichen Zuspruchs wegen.«

»Das alberne Frauenzimmer!« – Trotz des Halbdunkels konnte der Geistliche in Haußners Mienen den aufsteigenden Zorn erkennen. Der Arzt wollte den Überzieher ablegen, konnte aber damit nicht recht zu stande kommen. Gerland sprang zu – wollte ihm behilflich sein. »Lassen Sie das!« damit riß er sich den Paletot mit Gewalt herunter.

»Die ganze Geschichte ist Komödie. Na, wart, dir will ich –« damit schritt er zur Treppenthür. Aber Gerland vertrat ihm den Weg.

»Herr Haußner! – Nur einen Augenblick! – Ich bitte um Gehör.« –

»Was wollen Sie?«

»Ich muß Sie um einige Worte unter vier Augen bitten. Es ist in unser aller Interesse.«

Haußner musterte ihn mit mißtrauischen Blicken.

»Nun – aber ich bitte kurz!«

»Nicht hier, Herr Haußner!«

»Nun, zum Donner –!« der Arzt riß widerwillig eine Thür auf. Gerland trat ein. Es war das nämliche Zimmer, in dem er bereits einmal im vorigen Sommer zu später Abendstunde gewesen.

Der Geistliche blieb an der Thür stehen, Hut in der Hand. Haußner war etwas tiefer ins Zimmer hineingetreten.

»Was wollen Sie eigentlich?« Gerland zögerte mit der Antwort, bemüht, die passendste Form der Ansprache zu finden. Haußner wandte sich nach ihm mit einem ungeduldigen: »Nun?« –

»Herr Haußner, ich betrachte mich als verlobt mit Ihrem Fräulein Tochter.«

»Sind Sie toll geworden?«

Kurze Pause. – Der Arzt stand vor seinem Schreibtische, beide Hände auf die Platte gestützt, mit vorgestrecktem Kopfe den anderen anstarrend.

»Jawohl – ich bin verlobt mit Gertrud – seit heute abend.«

»Heute abend?«

»Ja!«

Der Arzt machte ein paar unmotivierte Griffe an seinen Kleidern, die ihm auf einmal zu eng zu werden schienen. Die Weste riß er auf, wobei ein Knopf absprang. Gerland sprach ruhig weiter. Haußner griff sich unter den Bart, an den Hals, als wollte er sich dort Luft machen. Mit wuchtigem Tritte schleuderte er einen Stuhl bei Seite, der ihm im Wege stand. Schwer atmend kam er auf Gerland zu; seine rotunterlaufenen Augen weissagten nichts Gutes. Er hob den Arm gegen den Geistlichen.

Gerland schwieg und rührte kein Glied. Das Blut summte in seinen Ohren irgend eine sonderbare Melodie, auf die er lauschen mußte, gegen seinen Willen.

Keuchend, mit funkelnden Augen, stand der bärtige Mann da und schüttelte seine Cyklopenfäuste. – Nicht mit einer Wimper zuckte der Geistliche, beinahe heiter war ihm zu Mute; er wußte es zu genau, daß ihm nichts geschehen könne.

Wie ein empörtes Unwetter löste sich jetzt die Wut bei Haußner. Er sparte nicht an groben Schimpfworten.

Gerland ließ ihn sich austoben. Dem erregten Manne ging endlich der Atem aus; er mußte sich setzen.

Mit voller Absicht dämpfte der Geistliche sein Organ zu einschmeichelnder Weichheit. Er erklärte, die Anschuldigungen, welche der Arzt gegen ihn geschleudert, seien falsch. Der Schein verurteile ihn. – Vor allem aber bat er, daß nunmehr auch Gertrud gehört werde.

»Was soll Gertrud hier!« fuhr Haußner auf.

»Sie wird bekunden, daß sie sich als meine Braut betrachtet.«

Ein Fluch entfuhr Haußners Lippen. Mit gesenktem Haupte saß er einen Augenblick da, dann sprang er auf, rannte nach der Thür und rief, daß es durch das Haus dröhnte: »Gertrud!«

Das Mädchen kam augenblicklich vom oberen Stockwerke heruntergeeilt. – »Hierherein!« – Der Vater zog sie am Arme ins Zimmer.

»Gertrud – wie ist das? – Hier, dieser – behauptet, mit dir verlobt zu sein.«

»Jawohl, Papa.«

Gerlands Herz jubelte bei ihrem frischen Bekenntnisse. Er hütete sich wohl, etwas zu sagen.

»Infame Kupplerin! – Ich – ich breche ihr die Knochen entzwei!« – Haußner wollte zur Thür, aber Gertrud hatte sich an ihn gehangen.

»Wo willst du hin, Papa?«

»Laß mich!«

»Nein, Papa, du sollst Tante Martha nichts Böses thun.« –

»Laß mich!«

Es entspann sich ein Kampf. Das Mädchen wurde ein kurze Strecke geschleift. – Gerland, dem vor Schreck der Atem stockte, war drauf und dran, ihr zu Hilfe zu eilen.

Da hielt der Arzt inne – er war von selbst zur Besinnung gekommen.

Gertrud richtete sich auf – sie war ganz ruhig; das Haar zurückstreichend, meinte sie: »Papa – wirklich – die Tante kann gar nichts dafür.«

Haußner, der an der Wand lehnte, gab dem Kinde ein Zeichen mit der Hand.

»Soll ich wieder gehen, Papa?«

Er nickte schwerfällig mit dem Kopfe.

Sie huschte von dannen, leicht wie ein Reh. Den Geistlichen, der ihr die Thür öffnete, durchzuckte es, wie ein elektrischer Schlag, als er den flüchtigen Druck ihrer Hand verspürte. –

Haußner schwieg lange.

Gerland hatte keinen Grund, das Schweigen zu brechen.

Endlich begann der Arzt mit rauher Kehle: »Sie haben das wirklich sehr fein eingefädelt – das muß ich sagen! Aber bilden Sie sich nur nicht ein, daß das irgend etwas zu bedeuten hat. – Daß Gertrud ›ja!‹ gesagt hat, bedeutet gar nichts! Sie ist erst siebzehn. – Ich bestimme über sie – und von mir bekommen Sie sie nun und nimmer – das sage ich Ihnen!« –

Der ganze Mann war in fürchterlichster Erregung.

Der Geistliche erkannte, daß hier vorläufig nichts zu machen sei. Durch jedes Wort, das er sprach, vermehrte er den Zorn des andern.

Er entschloß sich, zu gehen.

Nur noch eine Bitte wagte er: daß er am nächsten Tage kommen dürfe.

»Sie betreten mein Haus nicht wieder! Meine Antwort wissen Sie. Wir sind überhaupt fertig mit einander!« schrie Haußner.

»Und ich werde mir trotzdem erlauben, wiederzukommen,« sagte Gerland, sich zur Ruhe zwingend.

»Dann werden Sie die Thüren verschlossen finden.«

Der Geistliche zauderte noch einen Augenblick. Er wäre gern mit einem freundlicheren Worte geschieden. Aber da der andere beharrlich schwieg, ging er schließlich, ohne eine Antwort auf seinen Abschiedsgruß zu vernehmen. –

Der Abweisung zum Trotze, die er soeben erfahren, fühlte er sich ruhig, heiter und im Innersten beglückt.

Gertrud stand ja zu ihm! –

* * *

Am nächsten Morgen – Gerland saß in Kirchenrechnungen vertieft – erschien Doktor Haußner im Pfarrhause.

Der Geistliche sprang erstaunt von seinem Lederstuhle auf – unwillkürlich lachte er dem Arzte entgegen; er konnte in dessen Kommen nur ein gutes Omen erblicken.

Haußner blieb kalt und düster; den Stuhl, welchen Gerland ihm anbot, wies er ab – er könne stehen, meinte er.

»Ich komme hierher, Herr Pastor,« begann er, »um Ihnen nochmals in aller Ruhe – gestern war ich erregt – um Ihnen in Ruhe zu wiederholen, daß ich das, was zwischen meiner Tochter und Ihnen vorgefallen, nicht anerkenne. – Gertrud ist nicht in dem Alter, um über sich selbst zu bestimmen.«

»Eine Frage, Herr Haußner: was liegt denn gegen mich gar so Schlimmes vor? – Ist es vielleicht, daß ich Geistlicher bin, was mich Ihnen so verhaßt macht?«

Der Arzt lachte höhnisch auf.

»Ich weiß, daß mein Kleid in Ihren Augen keine Empfehlung ist. – Aber schließlich! Warum sollte denn ein Geistlicher nicht wieder gut zu machen versuchen, was andere meines Standes an Ihnen verschuldet haben?« –

Haußner stutzte. – »Was wissen Sie darüber?«

»O, ich weiß alles, Herr Haußner! Ich weiß, wie theologischer Fanatismus an Ihnen gesündigt hat. – Nicht jeder von uns ist ein Superintendent Großer, oder ein Pfarrer Menke. – Ich weiß es, was Sie dem Manne, der hier vor mir Seelsorger war, vorzuwerfen haben.« –

Das Gesicht des Arztes hatte sich verdüstert; er machte eine Bewegung mit den Schultern, als ob er etwas von sich schieben wolle. »Darum handelt es sich gar nicht!« meinte er.

»Es wäre das größte Glück für mich, Herr Haußner, wenn es mir vergönnt würde, Ihnen einen besseren Begriff von unserem Stande beizubringen.« –

»Schöne Worte kann jeder machen! – Mit Redensarten lasse ich mich nicht fangen – ich halte mich an das, was ich sehe.«

»Und haben Sie denn irgend etwas gesehen, Herr Haußner, das Sie berechtigte, mich mit jenen in einen Topf zu werfen?«

»Sie sind naiv! – Denken Sie denn, man hat keine Augen im Kopfe? – Seit Sie hier im Amte sind, spionieren Sie um mein Haus herum, suchen mich unter den lächerlichsten Vorwänden auf, erzwingen die Bekanntschaft. – Hinter meinem Rücken knüpfen Sie mit Gertrud an, stecken sich hinter diese alte Betschwester Martha, geben sich Rendezvous mit den beiden bei Mondschein, dringen, während ich abwesend bin, in mein Haus, um sich mit meiner Tochter, einem halben Kinde, zu verloben. – Das sind ja nur die Dinge, die ich in Erfahrung gebracht habe; was Sie sonst noch angestellt haben mögen, Herr Pastor, um von meiner Tochter das Jawort herauszubekommen, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.« –

Gerland stand bestürzt vor diesen Anschuldigungen. So also stellte sich in Haußners Kopfe dar, was er unternommen hatte, um sich Gertrud zu nähern. Diese ganze, ihm allein bekannte Liebesgeschichte, die ihm wie ein heiliges Wunder erschien, galt dem Vater des Mädchens als ein raffiniert ersonnenes, mit Lüge und Kniffen ausgeführtes Intriguenstück. Wie sollte er den tiefeingewurzelten Verdacht entkräften, der sich in der Seele dieses Mannes gegen ihn festgesetzt hatte? –

»Herr Haußner, ich bitte eines erwägen zu wollen,« begann er, mit Nachdruck sprechend. »Ich würde durch die Verbindung mit Ihrer Tochter manches auf mich nehmen, was nicht leicht für mich zu tragen ist. Gertrud steht außerhalb der Kirche.« –

Haußner fuhr unwillig auf.

»Mißverstehen Sie mich nicht!« rief Gerland ihm schnell zu. »Ich erwähne das nur, Herr Haußner, weil diese Thatsache Ihnen doch klar machen muß, daß es egoistische Gründe nicht gewesen, die mich bei der Wahl geleitet haben. Sie können selbst darüber nicht im Zweifel sein, Herr Haußner, daß ich, so wie die Verhältnisse nun einmal liegen, mein Amt riskiere – ja, daß ich es ganz sicher einbüße, wenn ich ein Mädchen heimführe, welches dem christlichen Bekenntnisstande nicht angehört. Sie werden vielleicht von Ihrem Standpunkte aus sagen, damit verlöre ich nichts. – Ich kann Ihnen eben nur versichern: dem ist nicht so! Ich verliere viel – ich verliere nicht bloß die paar Studien- und Kandidatenjahre, wenn ich gezwungen würde, mein Amt niederzulegen – ich verliere meinen Lebenszweck. Der Talar ist mir ein teures Kleid. – Sie mögen das belächeln; aber es ist so! Ich habe auf diesen Beruf losgearbeitet, habe ihn mir erstritten unter vielen Zweifeln und Kämpfen; der Seelsorgerberuf ist mir ans Herz gewachsen. – Ich versichere Ihnen, ich erblicke darin mehr, als die Pflicht, Sonntags auf die Kanzel zu treten, und eine Predigt zu halten. Ich fasse meinen Beruf als den eines Hirten auf – eines Erziehers.« –

Hier unterbrach ihn Haußner durch ein Gelächter.

»Lachen Sie, Herr Haußner? Sie halten alles das für Phrasen? – Das thut mir sehr leid! Ich weiß ja, welche Erfahrungen Sie mit andern Klerikern gemacht haben – leider! – Aber Sie sollten doch zwischen Person und Person unterscheiden.«

Eine kurze Pause entstand.

»Herr Haußner,« – begann der Geistliche, bei dem bloßen Gedanken an das, was er jetzt sagen wollte, errötend, »darf ich mir eine offene Frage erlauben? Hegen Sie vielleicht den Verdacht gegen mich, daß ich – aus – wie soll ich es nennen – aus materiellen Rücksichten um die Hand Ihrer Tochter werbe? – Trauen Sie mir das zu?«

»Sie haben recht, Herr Pastor,« erwiderte Haußner, und blickte ihn mit seinen grauen Augen scharf und feindselig an. »Das traue ich Ihnen zu – und habe ich Ihnen von vornherein zugetraut. – Ihr Pastoren heiratet ja alle nach Geld!« fügte er giftig hinzu.

Gerland fuhr auf, der Cynismus des andern fing an, seine Galle zu erregen. »Nein, wirklich, Herr Haußner, um Ihr Geld ist es mir nicht zu thun – wahrhaftig nicht! Ich bin nicht reich; aber ich habe so viel, daß ich leben kann. – Auch eine Frau, denke ich, würde ich noch ernähren können; selbst wenn sie mir nichts zubrächte, hören Sie! Ich möchte doch um soviel Gerechtigkeit bitten, daß Sie nicht alles, was Sie gerechtfertigt oder ungerechtfertigt gegen meinen Stand einzuwenden haben, auf mich anwenden. Ich kann doch wohl verlangen, daß meine redlichen Absichten unparteiisch geprüft werden – daß mir nicht von vornherein Motive niedrigster Art untergeschoben werden und mein Charakter verunglimpft wird. Ich meine, das ist nicht gerecht und ist weder meiner, noch Ihrer würdig, Herr Haußner!«

Sein Eifer und der freie Ton, in dem er sich verteidigte, hatten doch einigen Eindruck auf den andern hervorgebracht.

Unruhig im Zimmer auf und abgehend, knurrte Haußner Worte in den Bart, die Gerland nicht verstehen konnte.

Nach einiger Zeit machte der Arzt Halt, und brachte stoßweise, Gerland von der Seite ansehend, folgendes vor: »Ich will das alles gar nicht weiter untersuchen! – Dazu bin ich nicht hier – habe auch weder Zeit noch Lust dazu. Jedenfalls sage ich Ihnen soviel, daß ich keine Annäherung von Ihrer Seite wünsche. Ich bin deshalb hierher gekommen, um mir Ihre weiteren Besuche in meinem Hause ein für allemal zu verbitten. Ferner verbiete ich Ihnen auch jede Korrespondenz mit meiner Tochter – überhaupt jeden Verkehr! – Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen, Herr Haußner! Aber ich muß Ihnen erklären, daß ich nach wie vor an dem Verlöbnis mit Gertrud festhalte.« –

Haußner funkelte den Geistlichen an; aber dieser hielt dem Blicke stand. –

Der Ärger, den zu verstecken der Arzt sich vergeblich bemühte, allein schon bewies, daß er sich selbst nicht mehr als Herrn der Situation betrachte.

Er ging einigemale mit rotem Kopfe im Zimmer auf und ab, an den Lippen nagend; dann vor Gerland Halt machend, rief er: »Noch einmal – ich verbitte mir jede Annäherung an meine Tochter – und – das wissen Sie jetzt!« –

Er schien mehr auf dem Herzen zu haben; setzte auch zum Sprechen an, ließ es aber schließlich bleiben, wohl in der Empfindung, daß er seine Worte hätte wiederholen müssen. Dann ging er zur Thür, und war schon fort, noch ehe sich Gerland zurecht machen konnte, ihm das Geleit zu geben.

Der Geistliche sah ihm zum Fenster hinaus nach, wie die massive Gestalt hinter dem Zaune des Pfarrgärtchens verschwand.

Gerland mußte in diesem Augenblicke daran denken, wie er – zwei Jahre war's jetzt vielleicht her – von dem Manne gegangen war, mit dem demütigenden Gefühle einer schweren Niederlage.

Jetzt lagen die Dinge doch etwas anders.



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