Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 2. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Joel und Heman.

Es begab sich zu der Zeit, da Ehud Richter in Israel war, daß der kleine Joel, der Sohn Hemans, mit der Sonne aufstund, um am Fuße des Tabors heilsame Kräuter zu suchen, für seinen Vater, der krank lag an der zehrenden Seuche. Heman war fromm und arm: eine Wasserfluth hatte ihm seine Heerde ersäuft, bis auf eine einzige Ziege, die ihn ernährte, indeß sein Sohn von den Wurzeln des Feldes lebte. Da nun der Knabe, ehe der Morgenthau fiel, seine Kräuter sammelte, hörte er plötzlich ein Geräusch über seinem Haupte und als er seine Augen aufhub, sah er einen Habicht, der eine Ringeltaube verfolgte, die halbtodt herunter stürzte zu seinen Fußen. Joel haschte sie und sagte bey sich selbst: diesen Vogel will ich meinem Vater zum Mahl zubereiten, auf daß er esse und sich labe, ehe denn er sterbe. Die Ringeltaube aber sah den Knaben traurig an, und schien ihm zu sagen: wie, auch du willst mich tödten? Da jammerte der arme Vogel den Knaben, und er sprach zu ihm: nein, dein Retter, und nicht dein Mörder will ich seyn. Der Herr, der unsere Väter mit Wachteln speißte in der Wüste, wird auch meinen Vater erquicken. Und der Knabe 95 ließ die Ringeltaube los, und als sie emporflog aus seiner Hand, siehe! da schwebte ein lieblicher Jüngling vor ihm, schön wie Adam, als er hervorgieng aus der Hand seines Erschaffers. Sein Antlitz glänzte wie die Sonne, sein Gewand war weiß wie der Schnee, und ein goldener Gürtel umzingelte seine Lenden. Heil dir, sprach er zum Knaben, daß du Barmherzigkeit gethan hast an dem Vogel. Ich bin einer von den sieben Geistern, die vor dem Throne Gottes stehen, und wurde herabgesandt, Dein Herz zu prüfen. Zeuch hin im Frieden, ein schöner Lohn wartet auf dich. Joel fiel auf seine Knie und betete an, aber der Geist verschwand vor seinen Augen. Da machte der Knabe sich auf und hüpfte fröhlich mit einem Bund Kräuter in der Hand nach der väterlichen Hütte. Als er aber den Hügel hinanstieg, auf den die Hütte gebaut war, siehe da kam ihm sein Vater mit rüstigen Schritten entgegen, und sprach zu ihm: freue dich mit mir mein Sohn, denn ich habe Gnade gefunden vor dem Herrn, und er hat seinen Engel gesandt, daß er mich gesund machte. Um die zweyte Stunde saß ich auf meinem Lager, und lechzte nach Othem. Da trat ein fremder Wanderer in meine Hütte. Sein Bart reichte bis an seinen Gürtel und hundert Winter schienen auf seinem grauen Scheitel zu ruhen. Aber sein Auge 96 blitzte wie der Morgenstern, und seine Stirne glich einer marmornen Tafel, auf der geschrieben stund: Friede. Sey mir gegrüßt, sprach er zu mir, und reichte mir seine Rechte. Kannst du mir keine Labung reichen? Mein lezter Becher mit Milch stand neben meinem Lager, ich gab ihm den Becher und sprach: Hier, Vater, nimm hin und trinke, der Gott Israels weiß, daß ich dir sonst nichts geben kann. Da nahm er den Becher aus meiner Hand, und zog aus seinem Busen ein Fläschlein von lauterem Golde und goß daraus sieben Tropfen wohlriechend wie Balsam aus Gilead in den Becher. Trinke du, sprach er, indem er den Becher mir reichte, mich dürstet nicht mehr, dein guter Wille hat mich gelabet. Trinke, mein Sohn, im Namen dessen, der Leben giebt seinen Geschöpfen. Ich gehorchte seinem Befehl, und indem ich trank, ward es mir dunkel vor den Augen, und ich fühlte, daß ich zurück sank auf mein Lager. Als ich wieder aufwachte aus meinem Schlummer, sah ich den Alten nicht mehr, aber ich spürte ein sanftes Feuer in meinen Adern und eine neue Kraft in meinen Gebeinen. Verjüngt wie ein Adler stand ich auf, und eilte dir entgegen, um dir zu erzählen, welche große Dinge der Herr an mir gethan hat.

97 Indem Heman so redete, siehe da umgab sie eine lichte Wolke, und eine Stimme sprach aus der Wolke; in Joels Ohren war es die Stimme des himmlischen Jünglings, in den Ohren Hemans die Stimme des göttlichen Greises: Der Herr ist barmherzig gegen die Barmherzigen, sprach sie, und sein Segen ruhet auf denen, die da Gutes thun. Nun zerfloß die Wolke, und verbreitete einen Duft, süß wie Blüthe des Weinstocks. Heman aber und Joel sammelten Steine und bauten dem Herrn einen Altar, auf dem sie ihm jeden Neumond ein Dankopfer von Milch und Honigseim brachten. 98

 


 


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