Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 2. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Usbeck.

Eine morgenländische Erzählung.

Ein junger Mollah, Usbeck war sein Name und Yemen sein Vaterland, strebte nach Weisheit, und sein Busen glühete für die Tugend. Oft aber glühete er auch vom wilden Feuer des Jähzorns, und nur selten konnte er seinem Ausbruche zuvorkommen. Die Schmerzen der Reue, die redlichsten Gelübde, die heissesten Gebete schüzten ihn nicht vor Rückfällen. Ein Bettler, der ihn in seinen Betrachtungen störte, ward mit Heftigkeit angefahren, und erhielt im gleichen Augenblick ein reiches Almosen: das Kind seiner Schwester, das auf seinem Steckenpferd an ihm vorbey ritt, und ihm von Ungefähr mit seiner Peitsche in das Gesicht schlug, bekam eine derbe Ohrfeige, und ehe es noch Zeit hatte zu weinen, ein Dutzend Küsse: ein zahmes, freundliches Eichhorn, das er zum Zeitvertreib auferzogen hatte, biß ihn einst in den Finger, indem er ihm eine Dattel reichte: Usbeck versezte ihm einen so heftigen Schlag auf die Schnauze, daß es todt zu seinen Füßen stürzte. Er war untröstbar über diese That, die kein Kuß, kein Almosen wieder gut machen konnte, und beschloß, in Mekka, an der Quelle der Gnade, sich von 73 Allah Vergebung seiner Sünden und einen heiligen Schild gegen seinen innern Feind zu erflehen. Er ergriff den Pilgerstab und wallte nach dem Grabe des Propheten, durch dessen Vermittlung er die Barmherzigkeit des obersten Wesens zu rühren hoffte. Am Abend des dritten Tages sezte er sich durstig und kraftlos am Rand eines kleinen Teiches nieder, den eine zwiefache Reihe Platanen umschattete. Er langte seine Cokosschaale aus seiner Reisetasche hervor, um sich einen Trunk Wassers aus dem prächtigen Becken zu schöpfen, dessen Boden mit bunten Corallen gepflastert schien. Gierig wollte er die Schaale zum Munde führen, als er im flüßigen Krystall einen kleinen Fisch entdeckte, blau wie ein Saphyr und mit goldnen Punkten besäet. An seinem Bauche ragten ein paar spitzige Stacheln hervor gleich denen, womit die Natur die Zweige des Dornstrauchs bewaffnet hat. Plözlich zog Usbeck seine ausgestrekte Hand zurück; blutige Schaamröthe dekte seine Wangen, und er sprach halbleise: Du würdest mir Freude machen, holdes Thierchen, allein deine Stacheln könnten in einem unglücklichen Augenblicke meine Finger verwunden; mein grausamster Feind, der Jähzorn, könnte in meinem Busen erwachen; du würdest das Schiksal meines armen Eichhorns haben, und umsonst würde ich deinen Tod mit dem seinigen beweinen. 74 Bey diesen Worten goß er seine Schaale samt dem Fischgen in den Teich, und plözlich stieg aus dem selben ein Geist empor: himmelblau war sein Gewand und mit flimmernden Sternen gestickt: Usbeck, so sprach die himmlische Gestalt, deine Reue gefällt mir, und dein Mißtrauen gegen dich selbst ist der erste Schritt zu deiner Besserung. Ich bin Ariel, dein Schutzgeist, und kam herunter aus dem dritten Himmel, um dir meine Hülfe anzubieten. Rede, was kann ich für dich thun? Der Mollah berührte mit seiner Stirn dreymal die Erde, und sprach: Herr, du kennest mein Herz und den Dämon, der es beherrschet. Ungestümmer Zorn brauset in meinem Innern, und nur selten kann ich seinen Stürmen ausweichen. Hilf mir ihn austreiben, diesen Sohn der Sünde, und zerstöre den Thron, den er sich in meinem Busen errichtet hat. Der Geist berührte mit seinem Rosenfinger die Brust des Pilgers und verschwand. Usbeck fühlte sich wie umgeschaffen; Fieberfrost durchschauerte seine Brust, und der Feuerstrom in seinen Adern verwandelte sich in Eis. Ich habe den Zweck meiner Wallfahrt erreicht, dachte der Mollah bey sich selber; Allah hat mir bewiesen, daß er auch fern von dem Grabe seines Propheten allmächtig ist, und so wanderte er zufrieden, wie ein Begnadigter, nach seiner Wohnung zurück. 75 Hier bemerkte er bald, daß eine grosse Verwandelung mit ihm vorgegangen war. Er konnte nun alles sehen, alles dulden, aber beym Anblicke des Unglücklichen schmolz sein Herz nicht mehr. Der heilige Ehrgeiz der Tugend war in ihm erloschen, und die heissen Sympathieen der Freundschaft zückten nur noch selten, wie schwache Blitze, durch seine schlaffen Fibern. Noch blieb ihm Kraft genug, seinen Zustand zu fühlen und voll banger Schwermuth sich aufzumachen nach dem Teiche, wo der himmlische Herold ihm erschienen war. Er brauchte neun Tage, um einen Weg zurückzulegen, den er vormals in dreyen zurückgelegt hatte. In stumme Betäubung versenkt, sezte er sich an der heiligen Stätte nieder, und weinte. Da trat sein Schuzgeist wieder zu ihm, und redete ihn mit freundlicher Stimme an: Habe ich dir nicht gegeben, Usbeck, was du verlangt hast? Ja, Herr, versezte der Mollah: allein mit der Heftigkeit meiner Leidenschaft ist zugleich die Wärme und die Schwingkraft meiner Seele verschwunden. Das wußte ich, sprach der Seraph. Fühllosigkeit ist keine Tugend und die Reizbarkeit des Herzens ist eine Gabe Gottes. Ein Hauch des Engels gab sie ihm wieder. Usbeck stürzte auf seine Stirne, und sprach mit der himmlischen Wonne der Andacht: Ich fühle es, Herr, daß ich wieder bin, was ich war. Heil 76 Dir, du Diener des Allmächtigen, daß Du die Strafe meiner Thorheit von mir genommen hast; allein wie kann ich meinen innern Feind bezwingen? Schon verbarg eine Purpurwolke den Seraph vor seinen Blicken; allein zu seinen Füßen fand er ein Amulet, auf welchem mit goldnen Lettern geschrieben stand: Es ist kein Sieg ohne Kampf. 77

 


 


 << zurück weiter >>