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Viertes Buch.
Erotikon

 

Durch das Studium habe ich jede
Wollust erlebt; ich habe dabei neue
Rhythmen entdeckt. Diese gottlose
Forschung, die mich verderben
konnte, hat nur die Entschuldigung,
daß sie deine Freuden vorbereitete,
die toll sein werden, dir aber rein
erscheinen.

 

Das rote Zimmer

Nebos Erstaunen

Offenbarung des Göttlichen

Was Don Juan suchte

Neue Kräfte

Die Vollendung der Liebkosungen

Das glühende Zimmer

Der Tod aus Liebe

 

 

1.
Das rote Zimmer

Niemals hatte die neugierige Prinzessin so vor Ungeduld gezittert noch so törichte Vermutungen aufgestellt als in der nächtlichen Stunde, da sie nach der Galvanistraße zurückkehrte.

Zuerst, wo würde er sie empfangen? Konnte der Tempel, dieser prächtige wache Traum, noch da sein? Das Kabinett mit den Lehnstühlen aus geschnitztem Holz war unmöglich geworden! Auf dem Punkte, wo sie angekommen waren, wurde das gelbe Zimmer der Liebeswache mit seinem engen Bette eine zweite Unmöglichkeit.

Dann, welches Gewand würde er tragen, dieser stets verkleidete Liebhaber? Das rote des Oberpriesters, die Andrianopel des königlichen Verehrers, die Sammetjacke Hamlets paßten nicht mehr.

Schließlich, welche Haltung würde er einnehmen, der ungenügende Liebhaber? Mit welcher Gebärde würde er sie empfangen, welches Wort würde er zuerst sprechen, welche Zärtlichkeit zuerst zeigen? Sie wurde für ihn verlegen, indem sie sich eingestand, daß sie an seiner Stelle allen Geist verlieren würde.

Als sie das Haus betrat, zitterte sie. Ihr geschlechtliches Leben mußte sich entscheiden: Wollust oder Spott und Hohn? Wenn sie wieder ging, würde sie von Lust vernichtet oder den Qualen der Nichtbefriedigung geweiht sein?

Der alte Diener führte sie bis zu einem Vorhang, den er hob; dann verschwand er.

Sie sah Rotes und Tragisches und glaubte im Zelte eines medischen Satrapen zu sein: eine eiserne Laterne, mit Scheiben aus roter Seide, erhellte eine Reihe von Vorhängen, die das Zimmer abrundete, in seltsamem Symbolismus, und schräg zu einer Kuppel emporstieg.

In der Mitte stand, niedrig und breit, ein völlig ausgepolstertes Bett, mit Kissen und Decken von dem selben Rot der Behänge, das den Ton des gerinnenden und schwarz werdenden Blutes hatte.

Eine prächtige Ausstattung, die wirkliche Liebkosungen versprach; ein Rahmen, in dem die Küsse beißen und der Schaum die Lippen versilbern würde; eine Ausrüstung für eine düstere Leidenschaft; eine wilde Arena, wo der Taumel brüllen und der Bogen der Lenden sich keuchend beugen würde; das Theater einer spanischen Sünde, das in den Stunden der Gewissensbisse die Flammen der Hölle belecken würden; die Lagerstätte für eine verhängnisvolle Paarung: dieses rote Zimmer hätte sie erschreckt, wenn die Schlange der Begierde sie nicht so tief gestochen hätte.

Nebo erschien nicht: sie paßte nicht zu dieser Umgebung, wie sie da stand, mit Handschuhen und Hut.

Das Bett breitete sich aus, übermäßig, und sein lebhaftes Rot ermüdete das Augenlid; das offene purpurne Laken lud ein. Sie begriff und entkleidete sich.

Je mehr sie ihren weißen Körper entblößte, desto stärker wurde das Rot.

Als sie im Hemd war, fühlte sie sich unanständig: die Erinnerungen an die Einweihung Peladan, Einweihung des Weibes. verkleinerten sie. Diesen letzten Schleier hielt sie für armselig: dessen kokette aber stillose Form stimmte nicht zu dieser düstern Umgebung. Da sie sich schön genug wußte, um die dem Meere entsteigende Venus darzustellen, in höherem Sinne als geschlechtlich, löste sie, der Scham zu genügen, ihre Haare, die herabsanken und einen Mantel bis zum Kreuz bildeten, während der Batist zu ihren Füßen glitt.

Sie ahnte, daß sie unbedingt schön war: dieses Bewußtsein ihres Glanzes beruhigte sie. Der Glaube, den sie auf ihren Körper setzte, verdoppelte sich durch die Hoffnung, die sie dem ihres Geliebten entgegenbrachte.

In edler Haltung legte sie sich ins Bett, das seidene Laken bis zur Taille hinaufziehend. Auf dem Bauche liegend, aufgestützt, die Hände in ihrem leuchtenden Haare, wartete sie, in der geschmeidigen Haltung einer großen Katze, die Augen begierig auf den Vorhang geheftet, durch den sie eingetreten war.

Schweigend öffnete sich der Vorhang, um sich wieder hinter Nebo zu schließen, der nur mit einem griechischen Mantel bekleidet war. Unbeweglich, den Atem zurückhaltend, betrachtete er sie mehrere Minuten.

Keine Ungeduld bewegte ihre prächtigen Schultern, aber Seufzer entschlüpften den Lippen, Tränen rollten langsam aus den Augen.

Mit einem Sprung, der das junge Mädchen erschreckte, war er im Bett und umschloß ihren Kopf mit seinem nackten Arm.

– Du weinst?

– Oh, was hast du mir für Angst gemacht, mein Nebo! Ich prüfte mein Gewissen: ja, ich fühlte mich schuldig dir gegenüber … Willst du meine Beichte hören?

Der Platoniker lächelte und seine Bewegung fügte ihn dicht an die Prinzessin.

– Oh, nein, ich bin deiner köstlichen Berührung nicht würdig! Du mußt mir verzeihen: ich habe an dir gezweifelt …

– Ich weiß es, sagte er, immer lächelnd.

– Ja, du liest die Gedanken, mein schöner Magier; aber weißt du, daß ich dich trotzdem lieben würde …

Er schloß ihr den Mund mit einem Kuß.

Sie machte sich los.

– Ich will, daß du mir glaubst.

– In dem Augenblick, in dem du sprichst, bist du wahrhaftig.

– Nicht für den Augenblick, für immer … Willst du, daß ich dir deinen Androgyn zurückgebe, willst du deine Schwester wiederhaben? Sag, willst du das?

Sie erhob sich, den jungen Mann mit ihren Armen umschlingend.

– Zu spät, meine Vielgeliebte! Du hast mir deine Begierde eingeimpft: jetzt würde ich die Blutschande suchen.

– O erhabener Lügner, du schreibst dir meine eigene Schwäche zu! Köstliches und berauschendes Wesen, deine Seele hat noch entzückendere Liebkosungen …

Er legte ihr einen Finger auf die Lippen.

– Du vergleichst zu früh, meine Paula.

– Wie erklärst du, lieber großer Geist, meinen Zustand in diesem Augenblick? Wir sind nackt, wir liegen im Bette, und meine Seele allein, gespannt und zitternd, bringt auf meine Lippen, statt der rauschenden Herde von Küssen, reine Ausrufe und sanfte Erregungen, in denen eine Träne perlt.

– Was bedeutet für uns das Warum und das Wie? Leben wir zu zweien! Mag es das Herz sein, das schlägt, oder die Ader, oder der Geist: beben wir zusammen. Wenn es das Glück gibt, werden wir es im steten Einklang unserer beiden Wesen finden; wenn die Wollust wahr ist, werden wir sie überall trinken, wo sie quellen wird, in Zärtlichkeit oder Gespräch, in unsern Augen und auf unsern Körpern. Bis zum Lieben gibt es tausend Klugheiten, und das Wissen kann man dabei anwenden; nach dem Lieben wechselt alles, gibt es nur noch eine Notwendigkeit: der eine ist beim andern, wir sind von unsern Unruhen befreit, wir lassen die doppelte Flamme des Herzens und der Lenden ihre feurigen Zungen kreuzen und machen daraus einen Dreifuß für unser Streben, die ganze Göttlichkeit, die wir in uns schließen, auf beiden Seiten auszudehnen.

Sie rückte lächelnd zurück.

– Sage mir, daß du deine Schwester nicht vermissest.

– Immer willst du zu früh vergleichen.

– Du hast mir gedroht, mich nur einige Monate zu lieben.

– Eine Drohung ist bedingt: denkst du dich an meiner Freiheit zu vergreifen, mich in meinen eigenen Augen zu verkleinern; vergissest du, daß für den Denker die Liebe ein lockeres Gewand bleiben muß, das nicht drückt?

– Wie absurd wir sind! rief sie, um die Wolken zu zerstreuen, die sich auf ihren Geist häuften.

– Liebe Eva, lassen wir die Falken des Gedankens los: mögen sie irrend durch die Wolke fliegen, wir wollen auf unsern Lippen nur Küsse haben.

Er nahm sie in seine Arme.

– Heute noch meine Schülerin, und morgen meine Geliebte: laß dich dem ängstlichen Leben der Gefühle entführen; sei folgsam meiner Liebkosung, die auf dich niedersteigen will wie ein Traum; verscheuche mit keinem Fieber die Tauben, die den Chor des Eros anführen; gehorche deinem Hymnensänger, verehrte Gefährtin der nächsten Gynandrie. In die Tiefen des Seins wird mein Fischzug hinabsteigen, um den seligen Tod und die wunderbare Auferstehung zu entdecken! Als Chorführer deiner Sinne, und wären sie unersättlich, kenne ich die göttliche Stillung der Begierden. Sei der folgsame Gegengesang, und ich werde mich an der Strahlenbrechung berauschen.

Er sprach, um zu sprechen, mit murmelnder Stimme, drängte die unbegreiflichen Worte, um das Ohr der Prinzessin zu treffen, ohne zu ihrem Geiste zu sprechen, um sie in eine leichte Betäubung zu führen, die der Verfeinerung seiner Zärtlichkeit günstig war.

Die Liebenden schienen zu schlafen und zu seufzen; eine zitternde Welle durchlief sie von Augenblick zu Augenblick, und ihre Umarmung, die sich einige Male heftig erregte, entspannte sich nicht.

Dieses erste Nachtlager der Liebe hatte eine seltene Heiterkeit; der wunderbare Platoniker, der zum Sinnesgenuß herabgestiegen war, rettete dessen äußere Form. Nichts Tierisches erschien in der düsteren Helligkeit der roten Laterne; diese Ruhe in der Leidenschaft veredelte ihre Paarung; kraft seiner Kunst hatte Nebo das Tier verjagt.

Nach der Stunde eines paradiesischen Schweigens sprach Paula mit andächtiger Stimme:

– Du bist von einem Engel geliebt worden, Nebo, und für mich hast du dich des Geheimnisses des Himmels erinnert.

Glückliche Tränen salzten den Speichel ihrer Küsse seelisch: ihre langsamen und achtungsvollen Liebkosungen verirrten sich nicht; sie berührten sich, wie man heilige Gefäße berührt. Ausrufe wurden gestammelt: in diesen edlen Seelen erhob sich die Wollust bis zum Gebet:

– Mein Gott, sei gesegnet, sei gepriesen, daß du mir für meine Liebe einen Erzengel gegeben hast! Jedes Kreuz werde ich fröhlich auf mich nehmen, wenn ich mich auf diese weiße Brust Nebos lehnen kann.

Und der junge Mann selbst keuchte vor Bewegung: alle seine Ideen waren umgeworfen; er war bereit, an die Liebe zu glauben, besiegt durch die inbrünstigen Gebete, die sich unter seinen Liebkosungen erhoben; der Geist war bestürzt vor dieser Wollust, die von frommem Weihrauch duftete und den Namen Gottes mit seinem Namen mischte.

Am Morgen wurden ihm diese Worte gesagt, in Erinnerung an den Zyklus der Leidenschaft:

– Die Einweihung ist endlich beendigt! In den Augen deines Weibes lebst du allein, denn du hast die Gnade und du hast die Kraft, o mein süßer Mächtiger!

 

2.
Nebos Erstaunen

Der Mittag fand ihn noch schlummernd; die Augen halb geschlossen, erinnerte er sich köstlich. Seine Lippen formten sich zu einem Kusse und suchten den leeren Platz der Geliebten: die Seltsamkeit dieses Symptoms weckte ihn auf.

War er das, dieser Knabe, der Küsse nach dem leeren Kopfkissen sandte? Der Verliebte, der beim Erwachen eine Zärtlichkeit versuchte, während er sonst mit einer Idee einschlief und mit einer Idee erwachte?

Sein Urteil gab diesem neuen Seelenzustande abfällige Beiworte; er glaubte gesunken und geringer geworden zu sein, und doch jauchzte er. Eine unerklärliche Freude badete ihm das Herz; die Anziehung von unten trug ihn im süßen Taumel davon. Er hatte geglaubt, nur so dahin zu sprechen, als er ausrief: »Lassen wir die Falken unserer Gedanken los, mögen sie irrend durch die Wolken fliegen« – sie hatten gehorcht, und er pfiff ihnen nicht, um sie zurückzurufen.

Es liegt also eine Trunkenheit im Abnehmen und eine Wollust im Sinken; der Stolz erklärt also nicht alles beim Menschen; eine andere Kraft kann ihn stürzen, und ist jener schrecklicher in seiner Unfruchtbarkeit? Woher kommt die Freude der Abdankung, das Entzücken der Uebergabe, der Reiz, vor der Sünde ganz feige zu sein? Hat die Liebe, nachdem ihr starker Eindruck vergangen ist, nicht einen Geschmack nach Nichtigkeit? Und suchen die, welche der Taumel allein nicht hinreißt, in der körperlichen Umschlingung nur dieses Gefühl wollüstiger Krankheit, diesen scheinbaren Todeskampf, den die Lust vortäuscht, diese Art Genesung, die sie hinterläßt?

Die angenehm stumpfsinnige Ruhe, welche die Arbeit des Gehirns bremst; der Finger der Wollust, der sich auf die Nadel der Gedanken legt, um sie anzuhalten; diese momentane Verbindung, welche die kosmischen Ströme mit der vitalen und unbewußten Trunkenheit eingehen: sind das nicht die höchsten Freuden, die am Körper der Frau erblühen? Der Duft, der von der Liebe zurückblieb, war ein köstlicher Nachgeschmack des Todes.

Späte Lernbegierde, die demütigte. Er hatte niemals diese Schreie ausgestoßen, welche die Wollust uns entreißt, um ein Gesetz der Leidenschaft, eine Bestimmung der Fruchtbarkeit auszudrücken:

– Du machst mich sterben … mach mich sterben … ja, töte mich … Ich bin tot, du hast mich getötet …

Der Höhepunkt des Liebestaumels war also das täuschende Schwingen einer Fluidumerscheinung. Wie der Tod nichts anderes ist als die Spaltung des Organischen und Fluidischen, so ist das, was die Verzückung sterben nennt, eine Erschütterung der fluidischen Bande, die sie nicht zerreißt.

Zum ersten Male begriff Nebo die Liebe als Allheilmittel der Menschheit und deren Krankheit. Mit derselben Klarheit erklärte er sich das Wort der Kirche und das Wort der Dichter: das eine war durch die allgemeine Niedrigkeit zu pöbelhaften Formeln gezwungen; das andere verlockte die Ausnahme, den Baum des Guten und des Bösen zu umarmen.

Die Liebe, die wahre Komödie des Todes, die das Leben bis zur größten Kraft steigert und es bis zur Schwelle eines lächelnden Todeskampfes hinabstürzt, erschien ihm als logische Wissenschaft des Daseins, als der wunderbarste Sprung des sterblichen Wesens von einem zum andern Ende des organischen Käfigs.

Sein Nachdenken entdeckte eine andere Nebensonne; da Merodachs Behauptung sich bestätigte, wurde sein Platonismus bestürzt. Niemals hatte ihm die Erhebung des Geistes, das Schwingen des Gefühls die Wahrnehmung gegeben, das geliebte Wesen zu durchdringen und einzunehmen und von ihm durchdrungen und eingenommen zu werden.

Immer, selbst in den Ekstasen, waren sie zwei gewesen; dann vereinte sie der Kuß; aber in Wahrheit machten sie nur eins aus, wenn sie die Verkörperung verwirklichten. Das nackte Umarmen ließ sie die Seelen berühren.

So erkannte der Stolze traurig in der Wollust das einzige Mittel, sich eine Seele zu gesellen, indem er sich einen Körper gesellte. So, von der Idee herabgestiegen, begibt sich der Magier selbst unter das Joch der Sinne und gefällt sich darin.

Bis zur Schwelle des roten Zimmers hatte er, ähnlich jenem Theore, den Griechenland zu den Feierlichkeiten von Delphi sandte, über der Trunkenheit gestanden, wie es einem griechischen Gesetzgeber zukommt; unter dem Zelt mit dem düstern Purpur erschien ein neuer Eros und machte, Sieger geworden, ihn für die Flut von Wollust empfänglich, die schon diesen strahlenden Willen versinken ließ. Sogar sein Scharfsinn selbst interessierte sich für die Freude der Erregung; er glaubte auf dem Wege zu seelischen Entdeckungen zu sein, ein Sophist gegen sich selbst, da er erst diese Fähigkeit der geschlechtlichen Umarmung entdecken würde, den ursprünglichen Androgyn momentan wiederherzustellen, in einer doppelten Erregung, in der die Trunkenheit des Lebens und die Trunkenheit des Todes als verzückte Schwestern aufeinander folgten.

 

3.
Offenbarung des Göttlichen

Sie trat sehr leise ein und warf sich auf die Knie, sich mit den Ellenbogen auf die Schenkel des jungen Mannes stützend und seine Liebkosung zurückweisend.

– Nein, laß mich dich sehen; du bist schön; oh, sprich, sei nicht so schön!

– Verehrte Närrin!

– Ich bin nicht närrisch, und ich bete dich an, denn du bist Gott.

– Schweig, meine Eva: deine Lästerung wird als Blitz auf unsere Liebe zurückfallen und sie in Staub verwandeln.

– Ich werde schweigen, wenn du es willst. Was du eine Lästerung genannt hast, wirst du in meinen Augen lesen: das Glück kommt mir von dir, wie das Licht der Erde von der Sonne kommt. Gott ist nur groß, weil er dich geschaffen; Gott ist nur gut, weil er dich mir gegeben hat …

– Du machst mir Kummer, meine Paula! Die wahnsinnigen Worte sprechen von der Kürze eines Gefühls: nichts dauert, was die Achtung vor Gott vergißt. Erinnere dich, meine Pauline Corneille, Polyeukt, 1643., daß ich eine Art Polyeukt Corneille, Polyeukt, 1643. bin, der noch mehr durch das Mysterium als durch deine Arme gebunden ist.

– Ich müßte zornig werden, Nebo, bei deiner Aeußerung; bei der Klarheit des Androgynentums, das in mir geblieben ist, eine kleine blaue Flamme, die immer feurig und immer blau ist, mitten in dem sich rötenden Schmelzofen der Wollust, gestehe ich dir, daß diese Unmöglichkeit, dein Gehirn einzunehmen, wie meine Liebkosung deinen Körper einnimmt, eine Bremse für mein Herz ist, die es reizt und in meiner Brust klopfen läßt … Du würdest weniger berauschend sein, wenn dein strahlender Gedanke, sobald die Trunkenheit aufhört, seinen Weg zum Lichte nicht wieder aufnähme. Als Künstler hast du unsere Liebe feierlich eingeweiht; als Weib bin ich darin religiöser als du. Der Geliebte wird zu einer wirklichen Hostie in den großen weiblichen Seelen. Ohne mich hast du deine Größe, deine Gedanken und das Mysterium. Ohne dich bin ich nur eine russische Prinzessin, die sich langweilte, bevor sie dich traf; die fern von dir leidet und nach mehreren Tagen der Trennung verzweifeln würde. Ich bin nur dein Glück: du bist mein Schicksal! Die Teile, lieber Erzengel, sind nicht gleich! Du scheinst über deinem Herzen eine unsichtbare Linie gezogen zu haben, und zwar gegen mich: ich verwirre deinen lieben Kopf, ich lasse ihn nicht unter der Flut meiner Zärtlichkeit untergehen. Bleibe so: was dich groß macht, ist mir kostbarer, als was mich genießen läßt. Was würde es mir bedeuten, daß du mich mehr liebst, wenn ich dich weniger bewunderte? Was die Leidenschaft vernichtet, ist nicht ihr Schmerz. Wenn man sich einen Gott gegeben hat, kommt die größte Angst nicht daher, daß man nicht erhört wird. In der Idee der Göttlichkeit liegt eine Entsagung: der Himmel hört uns nicht, die Gottesfurcht wird nicht belohnt. Aber den falschen Gott abnehmen, versinken, einen Staub von Gemeinheit und Nichtigkeit zerstäuben sehen, das ist das höchste Unglück. Das Martyrium für das Wesen, vielmehr das ideale Wesen, ist die Liebe dessen, der bei jeder Prüfung versagt. Die Kälte Oberons sei willkommen, aber niemals, o niemals die Verachtung der Titania! Du … du … unvergänglicher Geist, du wirst nie den Eselskopf des Zettel an meine Brust legen! Diese Gewißheit sollte mir nicht raten, dir göttliche Ehren zu erweisen? Ich will künftig zu dir beten …

 

4.
Was Don Juan suchte

Sollte es wahr sein, daß die Harmonie der Schöpfung durch das Paar fortlebt und das Glück von einer geschlechtlichen Begegnung abhängt? Furchtbare Erklärung für die unruhige Verfolgung einer Frau, man weiß nicht, welcher, durch alle erreichbaren Frauen; gefährliche Entschuldigung für die Hurereien, Schändungen, Ehebrüche und Blutschanden, die im Namen dieses Suchens begangen wurden.

Der Frauenjäger, der sein Leben damit verbracht hat, zu verführen, nicht zu beschlafen, würde, wenn er ein erotisches Testament hinterlassen, die Zusammensetzung der Frau geben, die ihn gefesselt hätte. Diese taugt nur im Bett; jene nur beim Flirt. Wer die Beine von Georgine, das Herz von Bianka, den Geist von Isabella, den Schoß von Johanna, das Schweigen der Renata, der Bertha Geplauder, den Blick von Corysandre, die Aufopferung von Angelika nimmt, alles gut verbindet und abklärt, wird dem persönlichen Ideal entsprechen.

Lebemann oder Magier, der Mann, der die Frau trifft, die alle seine Wünsche verwirklicht, der seine Frau trifft, das heißt, das Wesen, das sowohl zum Körper wie zum Herzen stimmt, dessen Lippen auf der Höhe seiner Lippen sind, dessen Gedanke ebenso eingestellt ist, der widersteht nicht und würde nicht wechseln. Aber die Okkultisten sagen, wenn das Wesen, das seine Ergänzung gefunden hat, der Androgyn, der bis zum Gipfel des Glückes gestiegen ist, nicht durch das Leben getrennt wird, so wird er durch den Tod geschieden: sollte die Erde eine solche Seligkeit tragen, sie würde sich empören und sie verschlingen.

Um die unaussprechlichen, und auch unzähligen, Freuden eines solchen Paares zu begreifen, muß man ihren Geist von allen festlichen Stunden der Vergangenheit befreien, ihn in einer Sekunde der Zeit auslaugen und Tage, Monate, Jahre begreifen, gelebt in der Identität dieser himmlischen Sekunde, die aus jeder faßbaren Freude besteht.

Gewiß hätte Nebo den Körper Paulas nicht anders modelliert, wenn Gott ihm erlaubt, seine Eva zu bilden: das Herz war schön, der Geist beschwingt genug, um den Kaled Byron, Lara II, 21:
Der Augenblick entschied nun plötzlich klar,
was lang ein halb verhehlt Geheimnis war:
als man die Brust, ihr Leben zu erwecken,
entblößt, will sich erst das Geschlecht entdecken …
Peladan hat im »Prinzen von Byzanz« Byrons weiblichen Pagen Kaled »bis in die Wolken fortgesetzt«.
bis in die Wolken fortzusetzen. Aber der Stolz hatte in der Seele des Platonikers langsam eine granitene Klippe geschichtet, die der Schaum der Wollust versilberte, ohne sie abzunutzen; an welche die Stürme der Leidenschaft schlugen, ohne sie zu überschwemmen; ein Riff der Wesenheit, das die Brandung eines Ozeans von Liebe ermüdet hätte.

Nebo willigte ein, auf dem offenen Meere der Sinnlichkeit zu segeln; aber sein auf den Horizont gerichtetes Auge wurde hart und unversöhnlich, sobald die Küste verschwand und er nichts mehr um sich als die volle Liebe sah. Er schrieb sich ein Schicksal zu und erlaubte keiner Frau, mochte sie auch vom Himmel herabgestiegen sein, sich ans Steuer seines Lebens zu setzen und es von seiner Argonautenfahrt abzubringen. Auf die Suche nach dem goldenen Vließe ausziehen, unterstützt, getröstet durch die schwesterliche Geliebte, und von der hohen Ueberlegenheit herabsteigen, die Erde durch die Lippen eines geliebten Mundes berührend: ja, zu dieser Verwirklichung des süßesten Traumes, nein, zu diesem korinthischen Hafen, wo eine kühne Frau ihm sagen würde:

– Die Schwerkraft der Sphären hat nicht soviel Wert wie der Pulsschlag meines Schoßes; sieh den Himmel nur in meinen Augen; die Rosen blühen nur an meinen Brüsten; schließe das Buch, da mein Kleid sich öffnet; das Geflecht meiner Adern ist die geheimnisvolle Schrift; unter meiner Haut liegen alle Mysterien.

In einem Bette, wäre es auch das des Prokrustes, konnte sein großes Ideal nicht schlafen: diesseits und jenseits der Liebe suchte er das Absolute. Diese einzige Auffassung treibt in einer Seele Nervenwurzeln, die bald jedes andere Blühen ersticken; und doch war sich der junge Mann seines glücklichen Fundes bewußt.

Da sein Auge befriedigt, seine Lippe entzückt, sein Körper beseligt war, glaubte er augenblicklich an dieses Werk des Fleisches, das ihn berauschte und von den Werken des Geistes trennte. Er brauchte keinerlei Anstrengung zu machen, um seine Prinzessin zu beseligen: wie beider Glieder sich harmonisch verschlangen, ohne linkisch zu werden oder die Umarmung zu verzögern, so vermählten sich ihre Seelen auf demselben Altar, der von ihrer unerschöpflichen Zärtlichkeit stets brennend gehalten wurde.

Sie trennten sich, müde von Wollust, immer gierig auf ihre betrachtende und liebkosende Gegenwart. Ein Zauber stellte sie unbeweglich einander gegenüber, wie zwei Sphinxe, die über die Lösung des selben Rätsels lächeln. Sie standen in völliger Gedankenverbindung miteinander; als sonnige Liebende blendeten sie einander so sehr, daß Paula nicht mehr an die Gefahr dachte, die ihr Ruf lief, noch wieder von Heirat sprach, während Nebo die Stunden ihrer Abwesenheit damit verbrachte, die süßen vergangenen Stunden zu beschwören, die künftigen zu berechnen, freudig und ernst, als sei dieses Glück nicht schuldig gewesen.

Was Nebo suchte, kannte Don Juan nicht; was Don Juan suchte, hatte Nebo gefunden: seinen Doppelgänger, seinen Zwillingsbruder, der die Nächte wie ein Mond beleuchtete und die Tage wie eine Sonne erhellte.

Was aber würde der Platoniker beschließen, sobald sein Wille rostete, sobald sein Wesen erstarrte?

 

5.
Neue Kräfte

Die Phantasie kann sich vorstellen, daß ein Doktor Faust, ein Magier, der vom Mysterium zurückkehrt, die Erkenntnis aufgibt, um das Leben des Triebes und Gefühles zu leben. Nebo, noch jung, trotzdem sein Gedanke alt war, glich jenen Alchemisten, die auf dem Wege zum Stein der Weisen die großen Gesetze zweiten Ranges entdeckten und sich ihnen widmeten. Paula war Nebos Homunkula: er hatte sie mit allen Reagentien der Nerven und des Gehirns behandelt, aber statt den Androgyn hervorzubringen, hatte sein Athanor, als er in tausend Stücke zersprang, die seltenste der Geliebten geboren.

Zuerst liebte Nebo, weil er nicht anders konnte; bald aber mit seinem ganzen Wesen. Der Becher, in dem ihm die Wollust geboten wurde, war aus so reinem Metalle, war so wunderbar gearbeitet, daß es ihm sogar eine große Aufgabe war, ihn zu ergreifen und daraus zu trinken, ohne zu schwanken.

Man zweifelt an seinem Werk, an seiner Erfahrung, an seinem Schicksal: die Liebe hat eine so augenscheinliche Wirklichkeit, ihre Schätze vermitteln sich so offenbar, daß man sich nie getäuscht glaubt.

Mit derselben Wirkung beseligt sie uns geistig: welcher Gedanke unterhält auf einem langen Wege besser oder füllt besser die Leere der Stunden aus als der, daß man geliebt wird?

Seelisch: welches Gefühl berauscht wie das, der höchste Berauscher zu sein?

Körperlich: welche Empfindung gleicht dem Besitz?

Die Liebe befriedigt alle Laster und gibt den Liebenden die Illusion aller Tugenden.

Für den Stolz, der Gott einer Menschheit zu sein, die aus einer einzigen Frau besteht, strömt der reinste Weihrauch. Die Liebe trinkt den Schweiß und den Speichel; die Liebe beißt und saugt, wenn sie nicht frißt; der Neid allein ist ihr unbekannt.

Die Liebe hat den Glauben: wie soll man nicht an Gott glauben, wenn man sich vergöttlicht? Die Liebe hat die Hoffnung: das heißt, den Wunsch, über das Grab hinaus die Küsse der Stunde fortzusetzen. Die Liebe hat die Barmherzigkeit: ein Leiden zu erleichtern, das heißt vom Geist die oft zudringliche Erinnerung zu verjagen.

Und dann, vor allem, das Bett, aus dem die Liebe ihren Altar macht, auf dem sie ihre Riten feiert, das Bett, der höchste Isolator. Die Vorurteile des Lebens, die Ränke, der ganze wütende Zug der Harpyien ist machtlos, das leidenschaftliche Paar dorthin zu verfolgen: wenn sie ihre Arme öffnen, schieben sie jede Sorge fort; wenn sie ihre Arme schließen und sich einander hingeben, fühlen sie sich vom Irdischen gelöst und zu den Sternen gehoben.

Die Wollust bleibt buchstäblich ewig zwischen zwei gleichgestimmten Wesen unter ihrer dreifachen Beziehung, und Paula, die Rose im Garten ihrer Freuden suchend, sagte:

– Die höchste Lust fühle ich, wenn ich in deinen Armen schlafe.

So setzt sich der Genuß im Schlafe fort, wie die Erregung trotz der Abwesenheit weitergeht.

– Die Nächte, die ich im Hause meiner Tante verbringen muß, ohne schlafen zu können: glaubst du, daß ich da allein bin? Deinen Kuß, den ich rufe, fühle ich schließlich; ich beschwöre deine Berührung, und sie findet bis zu dem Grade statt, daß ich außer mir gerate und mir wahnsinnig erscheine.

Als Nebo sich nach der genauen Stunde erkundigte, in der sich diese Illusion gezeigt hatte, gestand er sich, daß die Begierde ihn in diesem Augenblick überfallen habe: er hatte also an der Inkubation, welche die Prinzessin hervorgerufen hatte, teilgenommen.

Ihre fluidische Zwillingsschaft ward wunderbar: im selben Augenblick, da er sich in der Dunkelheit schmerzhaft die Hüfte stieß, ließ die Prinzessin eine Tasse Tee fallen und führte die Hand an ihre Seite.

Das Doppelgängertum war bis zu dem Grade vollzogen, daß das Temperament der Prinzessin, stark und jung, wie es war, sich dem Platoniker aufdrängte, der ebenso begierig nach der Umarmung, ebenso unermüdlich in Liebkosungen geworden war.

Niemals lachten sie; trieben keinen Scherz; waren nicht schamlos: immer ernst und nackt, feierlich in ihren Liebkosungen, wenn sie nicht von ihren Körpern bis zum Wahnsinn berauscht waren. Paula war in der Erotik eine wirkliche Prinzessin: ohne Koketterie, nie eigensinnig, immer entzückt; eine Mystikerin der Wollust. Nebo haßte die Zote, die gemeine Gebärde, das Spaßen bei den Liebkosungen: er machte aus der Unzucht einen Gottesdienst, in überlegten, bestimmten, freimütigen Berührungen. Wenn während der Liebkosung ein seltsam gesetztes Schönheitsmal sein Auge anzog, betrachtete er es lächelnd, ohne einen von diesen gemeinen Ausrufen, die gewöhnlich getan werden, auszustoßen.

Sie weinten oft köstlich.

– In dieser Minute, mein Nebo, wenn dein Blick leer von Liebe würde, wenn deine Hand meine zurückstoßen sollte, würde ich getötet werden: unter diesem Eindruck würde ich sterben, das fühle ich!

Eines Tages blätterten sie in einer Braunschen Sammlung der schönsten Zeichnungen des Leonardo da Vinci.

– Wenn die Gioconda und der Johannes lebten, würden sie sich lieben, wie wir uns lieben! Oh, ich meine nicht die Stärke des Gefühls, aber ihren Ausdruck, ihre Art! Findest du nicht, daß wir dieses zugleich genießende wie hellsichtige Lächeln haben? Ich finde es wenigstens.

Und Nebo bedeckte sie mit Küssen, bis zum Wahnsinn glücklich, sie sagen zu hören, daß sie sich liebten, wie ein Sohn und eine Tochter des göttlichen Leonardo sich lieben würden: in der Art einer chimärenhaften Sphinx und eines Erzengelheiligen, mit einer Milde der Ewigkeit im Wiederaufsaugen der nicht zu stillenden Begierde.

 

6.
Die Vollendung der Liebkosungen

Beim Ende einer Wollust:

– Nebo, höre eine Aeußerung, die Diotima hätte tun können. Unsere Liebkosungen sind durchaus vollkommen; wir werden uns nur noch ausgleichen können; weder in der Süße noch in der Kraft gibt es ein Weiter. Du bist nicht mehr Nebo, ich bin nicht mehr die Prinzessin; unsere Umarmung schafft ein neues Wesen, das uns enthält; ich fühle, wie du mich überschwemmst, ich fühle, wie ich dich untertauche, gleich zwei Wogen, die einander angreifen und sich aneinander brechen.

In der Tat, ihre Wollust war bei einer musikalischen Phase angekommen, sie liebten sich voller Harmonie: ein dauernder Einklang verdoppelte ihre Freuden; keine Dissonanz störte ihre strahlende Paarung. Und wenn die Trunkenheit aufhörte, betrachteten sie einander: eine Bewunderung, daß sie sich edel und groß sahen, blendete sie.

– Was hofftest du, mein Geliebter, als du mir den großen Schrecken Peladan, Weibliche Neugier. zeigtest? Hat dein mächtiger Geist dich verlassen, als du den Garten der Hesperiden zu schließen gedachtest, indem du auf der Schwelle Ungeheuer und Drachen erwecktest, die durch ihre Alltäglichkeit abstoßender waren, als wenn sie furchtbare Flammen gespien hätten.

– Die Leidenschaft, antwortete Nebo, ist die entheiligte Kirche! Da ich dich eines Altars nicht für würdig hielt, wo das Fleisch verklärt ist, habe ich dich, um dir den Chor zu sperren, bei den Kapitälen, den Säulenstühlen aufgehalten, die das Mittelalter, dieser große Symbolist, oft dem häßlichen Basrelief der Sünde gewidmet hat. Schildern diese Darstellungen, in der Höhe des Auges oder im Schatten der Bogen, nicht das erhabene Gewimmel, durch das die Kirche die höllischen und triebhaften Stimmungen aus unsern Seelen ergießt? Ich hoffte deine Jugend und deine Schönheit zu entmutigen; die Beständigkeit deines Herzens hat die Führung meines Willens übertroffen; du bist auf den Altar gestiegen; du bist auf den Thron gestiegen, und ich habe Gottesdienst gehalten, ich halte Gottesdienst.

– Das tust du wunderbar! Aber eine Melancholie wirft ihren schwarzen Schleier über den Stolz, der, wie ich fühle, der zurückprallende Amboß ist, auf dem du diese Wollust, unsern Ruhm, schmiedest. Das ist der alte Nebo, der große Arzt, der unsere Umarmungen leitet: du bringst Wissenschaft in unsere Liebe, Erfahrung in unseren Kuß. Ich bin nicht die gewesen, deren heißer Atem die Vergangenheit umnebelt und ihren Geliebten zu dem jungfräulichen Eindruck eines neuen Lebens zurückführt. Du hast nichts vergessen, Nebo; mein Fuß tritt dein Wissen nieder; trotzdem ich erhört bin, fühle ich mich bedroht; das Postament kann sich spalten und meine Freude verschlingen. Ich herrsche in deiner Seele: aber wenn sich dessen seltsame Bevölkerung gegen ihre Herrin empörte? Ich weiß, mein Vielgeliebter, welche Rücksichten ich, eben auf den Thron gesetzt, den alten Ideen schulde, die vor mir herrschten: ein schrecklicher Senat von Begriffen richtet mich unaufhörlich. Oh, er schreckt mich nicht; Phryne konnte nur ihren Körper vor den Richtern entblößen, ich kenne noch zwei andere Entblößungen: meine Seele hat nicht ein Gefühl, das sich von dir abwendet, noch mein Geist einen Gedanken, der dich nicht verehrt; angeklagt, würde ich stets freigesprochen werden. Aber meine Weiblichkeit träumte davon, dich so unter meine Leidenschaft zu versenken, daß du, wieder harmlos geworden, mit mir die Wollust stammeltest, statt, ein Paganini der Liebe, dich aller Erotik deines Lebens zu erinnern und mich mit Liebkosungen krank zu machen, die an mir verklärt, für mich vergeistigt werden, aber bei andern Frauen gelernt, überlegt, versucht wurden. Ich bin die Zaubergeige, mein Nebo, aber du spielst auf meinen Sinnen als großer Künstler, statt als unvollkommener Stümper, was mir größere Ehre machen würde.

 

7.
Das glühende Zimmer

Es ist keine Träumerei, daß ein sensitiver Mensch in einer leeren Kirche fühlt, wenn das Gebet die Luft durchtränkt, wie in Notre-Dame des Victoires, oder wenn die Atmosphäre nichts Frommes enthält, wie in der Trinité. Es ist keine Träumerei, daß ein sensitiver Mensch den Geruch der Straße am Parlement républicain oder die seelische Nüchternheit in einer protestantischen Kirche einatmet. Die Versuche von Reichenbach Reichenbach, Der sensitive Mensch, Stuttgart 1854. über die seelischen Ausstrahlungen sind durch die heutigen »Templer« auf diese Formel gebracht worden: die Gefühle strömen ein besonderes Aroma aus und magnetisieren die Orte, wo sie sich zeigen, bis diese nach Verlauf einer Zeit eine Erscheinung der Besessenheit ausstrahlen, die dem sagenhaften Spuk eines Hauses gleicht. Das Boudoir von Trianon, von Josephine mit Moschus durchduftet, hat seinen Geruch bewahrt: eine Leidenschaft schwängert selbst Stoffe und Wände.

Warum liest man in jeder Beschreibung einer sehr alten Kirche: »Die Kapelle ist an der Stelle eines Tempels gebaut worden«? Die Bischöfe und Geistlichen der ursprünglichen Kirche kannten das Geheimnis: um die Frömmigkeit zu beschleunigen, widmeten sie dem wahren Gott den Platz, den schon die Heiden durch ihre Andacht magnetisiert hatten.

Das rote Zimmer mit den schweren Behängen ward oft von Betäubung erfüllt und schien im Widerschein des durcheinandergeworfenen Bettes zu glühen, während die Wollust der Liebenden sich schreiend und wild bäumte.

In der Stumpfheit der Depression, noch von Nervenwellen durchlaufen, liegend und keuchend, öffneten sie ihre schwer gewordenen Augen halb, um von diesem Horizont des düstern Purpurs geblendet zu werden: zu müde, um sich zu umschlingen, zu sehr genießend, um sich zu trennen, hatten sie Halluzinationen.

Bald schien es ihnen, als sähen sie die in düsterm Rot glühenden Platten, die Poe im »Pendel« schildert, bald schien ein Falten der Behänge sie in einen Trichter aus Sammet einzuschließen, daß ihnen der Atem stockte.

Schließlich reizte dieses Rot das Blut ihrer Adern; ein Zauber hüllte sie ein, von unwiderstehlicher Trunkenheit; sie rührten dann ihre Glieder, die vor Unbeweglichkeit kribbelten; sie streckten sich aus unter dem Knacken der Gelenke, in den gewundenen und langsamen Bewegungen erstarrter Schlangen.

Um das Feuer der Behänge wie das drohende Leichentuch seiner Falten zu fliehen, ruhten sie sich im Schoße aus; und neue Begierden, krankhaft und erregt, ergriffen sie.

– Wenn wir jemals zur Schwesternschaft zurückkehren sollten, müßten wir diesen Behang verbrennen: er ist stärker als wir, dieser Genosse unserer Trunkenheit; er erhitzt sich, wenn wir aufhören zu brennen. Ist dieses Paradies denn ein glühendes Zimmer?

 

8.
Der Tod aus Liebe

Der Herbst war gekommen, diese prächtige und so durchdringende Dämmerung des Jahres, die eine Weltdame veranlaßte, von dieser Zeit zu schreiben:

– Wenn ich je eine schöne Torheit begehe, so wird es in diesem Augenblick der Natur sein, in dem sie zu sagen scheint: »Beeilt euch, die Sanduhr versiegt; die roten Lippen erblassen, also küßt euch.«

Ihre Liebe färbte sich mit heißeren Tinten wie die Landschaft selbst; und ihre Gluten, die schwerer, gesammelter wurden, waren von sehr langer Dauer. Dem fiebernden Wachen, der nervösen Schlaflosigkeit zogen sie den Schlummer ihrer Ermattung vor. Eine Auflösung der Wollust führte sie an die Schwelle einer Art hysterischer Nervenkrankheit: köstliche Schmerze quälten sie, Visionen erschienen ihnen; sie rochen scheinbare Düfte, und hörten das Ohr von unsichtbaren Stimmen summen. Der Liebesdunst wurde ein miasmischer Brodem, in dem die Bazillen des Wahnsinns, die Tierchen der Gehirnerweichung keimten.

Nebo war nur noch ein Liebhaber, der von dem sinnlichen Wunsche seiner Geliebten getrieben wurde. Er beunruhigte sich nicht einmal mehr über die Erscheinungen, die auf Beiwohnen deuteten: dieser früher so wachsame Lotse sah nicht den nahen Angriff der Astralkräfte voraus, eine Folge des Verlustes an Nervenkraft.

Bei diesem furchtbaren Spiel, ihr Fluidum zu wechseln, um es so zu nennen, und den Körper des andern seelisch zu bewohnen, auf diesem höchsten Venusberg, lächelten sie, das Auge im Traum verloren, während der Taumel des Todes aufstieg, um sie einzuhüllen. Mit einer immer brennenderen Hand pflückten sie die wunderbaren Blumen, die nur am äußersten Rande des Abgrunds wachsen. Einem Merodach wären sie wie zwei sich umschlingende Schlafwandler vorgekommen, die ihre Küsse auf der Turmbrüstung von Notre-Dame spazieren führten.

Ohne den Schleier von diesen unerlaubten Lüsten zu heben, welche wie Vampire die Gemeinden des Morgenlandes aussaugten, setzte sich ihre im Wachen begonnene Wollust in der Ruhe fort; und es gibt keinen Ausdruck, um die Ohnmacht des Menschen, der schläft, auszudrücken; eine Herzstockung, die einen Schlummer vernichtet. So lernten sie verbrecherische Freuden kennen; fast ohne zu zaudern, war Nebo so schlecht, das Geheimnis der freiwilligen Ekstase in den Dienst der glühenden Prinzessin zu stellen. Er nahm eine schwere Sühne auf sich, indem er die Magie so tief erniedrigte, die Grenzen der normalen Wollust zu überschreiten; und so tief verlor er sich, daß er nicht fühlte, wie er sein Leben für die Furchtbarkeiten des roten Zimmers einsetzte.

Paula jauchzte »femina super bestiam«; mit der schönen Naivität des Triebes verpflichtete sie diesen Geist ihrem wundervollen Körper, um ihn besser zu behüten. So sehr beherrschte sie die Idee, die Lust würde ihn ihr in die Hände geben, daß die Lust selbst sie zum Taumel der Sinne anspornte.

Eines Abends, als sie ihren sinnlichen Schlummer schliefen, fühlten sie sich so köstlich sterben, daß mehrere Stunden später, als sie wieder zur Klarheit gekommen waren, Nebo hervorbrachte:

– Ich glaubte zu enden und ich wünschte es! Zu dir, Paula! A Cœur Perdu!

Sie murmelte entzückt:

– »Mein Wort ist Fleisch geworden«: deine Worte sind davon der Gedanke und die drei Sterne: A Cœur Perdu. Titel der französischen Ausgabe.

Nebo protestierte nicht gegen diese Lästerung; er ließ die schreckliche Formel des heiligen Johannes aussprechen, die jedesmal, wenn sie gesagt wird, die ganze geistige Reihe erschüttert. Der Platoniker hatte die Achtung vor der Idee verloren; der Katholik den Begriff des Heiligen; er war der Liebhaber in seiner vollsten Torheit: Circe mußte erscheinen!


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