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Der Inkubus
Die beiden Magier
Anteros
Die Gebete
Sie schläft erst ein, als der Tag graut.
Hat sie ihre Geheimnisse lange der Nacht gebeichtet?
In das warme Zimmer stäubt noch der Mond sein leuchtendes Silber, den weißen Atlas der Vorhänge mit den flachsfarbenen Streifen bläuend.
Ihre Geheimnisse sind bitter; die Unordnung des Bettes zeugt von einer gequälten Seele.
Ihre Geheimnisse kommen von der Liebe; die Feuchtigkeit der Luft offenbart einen erregten Körper.
Ihre Geheimnisse sind unrein; ein Duft von Sünde schwebt über diesem Schlummern.
Die hellen Kleider, die rosafarbenen Morgenmäntel sind zerknitterte Fahnen einer erstorbenen Jungfräulichkeit, die nicht mehr flattern werden; die durchsichtigen Batiste, die rauschenden Seiden, verstreuten Schamhaftigkeiten gleich, schleppen und hängen, mit traurigen Falten, mit mürrischen Brüchen, über die umgestürzten Möbel.
Man könnte sagen, Spuren des Zornes und das Feld eines Kampfes.
Oh, schrecklich, dieser Zorn gegen sich selbst: die Schlangen des Laokoon schließen ihre kalten Ringe um das Tiefste unseres Wesens, ohne daß die Hand sie aufwinden könnte. Oh, grausam, dieser Kampf gegen das eigene Herz: der Sieg blutet ebenso heftig wie die Niederlage.
In ein seltsames Helldunkel gebadet, strömt das Bett wollüstige Düfte aus, die in dem beklommenen Schweigen schweben; wohlriechende Ausdünstungen der Begierde, die entbehrt; schwellender Blütenstaub sich empörender Lenden.
Die Bettdecke liegt auf der Erde; das mit Spitzen besetzte Kopfkissen ist herabgeglitten und auf die blauen Hausschuhe hängt das herausgezogene Laken.
Sie schläft schwer; ihre gekrümmte Haltung spannt die feine Leinwand straff übers Kreuz; die aufgelösten Haare werfen goldene Garben aufs Kopfkissen, und der nackte Rücken, rötlich glänzend, perlt von Tropfen duftenden Schweißes.
Wer wird das Geheimnis des Unsichtbaren durchdringen? Wenn das Menschliche mit seinem Werke aufhört, beginnt dann nicht das Dämonische mit seinem? Es gibt eine Arbeit in der Nacht, wenn das Licht sich auflöst: noch niemand hat etwas vom Prisma des Schattens gesagt!
Was sehen die geschlossenen Augen? Was umarmen die unbeweglichen Arme? Wohin geht der Geist, wenn er seine unsterblichen Flügel über dem erschöpften und schlafenden Körper öffnet?
Sie hat geseufzt, sie hat gezittert; ein Schauder hat sie gepackt; ihr nackter Arm rudert in der Luft, dann fällt er zurück. Welche Fledermaus treibt sie so?
Plötzlich zuckte sie krampfhaft zusammen, wie um jemandem den Rücken zu kehren oder um einen quälenden Anblick nicht mehr zu sehen: das Achselstück des Batistes zerreißt und eine der jungen Brüste, welche die Einbildung hart macht, springt klopfend hervor.
Jetzt trifft der Strahl des Mondes die Fensterscheibe mit einem seltsamen Bilde.
Das Gesicht ihr zugewandt, die Hände unterm Kinn, das sich darauf stützt, gefaltet, das Auge geöffnet und gefesselt, alle Züge aufmerksam, in einer außerordentlichen Spannung des Hörens, scheint der wunderbare Kopf, die Allegorie eines himmlischen Schreckens, Zuschauer des Alpdrückens zu sein, das diese schlafende Frau foltert.
Denn sie leidet; ihre Gebärden wehren sich; ihre Haltung bricht zusammen; ihre Brust keucht.
Sie wirft sich auf den Rücken, zuckend, mit einer Gebärde des Erstickens; mit beiden Händen öffnet sie ihr Hemd, das beim Zerreißen schreit. Jetzt ist sie fast nackt! Welcher Selenus raubt dieser Diana, die sich bäumt, einen Kuß? Gewiß, das reine junge Mädchen wehrt sich.
O tugendhafter, doch vergeblicher Widerstand!
Schwingende Wellen scheinen ihr nacktes Bein zu durchlaufen, bis zu den Hüften und zum Gürtel des vertrauten Umgangs zu steigen.
Oh, seht sie, ihre Hände falten sich und flehen; ein Name, der gesteht, ein Name, der sie bändigt, ist von ihren trockenen Lippen gesprungen. Wie kann sie vor dem Geiste des Geliebten die Arme schließen? Sie öffnet sie mit der erhabenen Gebärde der Jungfrau, die sich hingibt.
Im Halbschatten der Vorhänge hat man sehr leise geflüstert.
Sehr leise hat man gelacht.
Diese ins Leere geöffneten Arme schließen sich um ein Kissen, das sie fest umschlingen! Sie taucht ihren Kopf in die Federn wie in den Schoß des Geliebten! Schreckliche Begegnung: Schmerz mit Begierde, das Groteske mit dem Körper.
Ein Schrei erstickt, von Wollust, die durch das Erwachen niedergeschlagen wird.
Mit einer Hand schleudert sie das Kopfkissen fort: das Kissen zerbricht das Kristall, in dem weiße Rosen sterben; mit der andern bedeckt sie ihren Schoß; und aufgerichtet, wild, im Heiligenschein ihrer verworrenen Haare, durchsucht die Schläferin das helle Zimmer und wundert sich: der Mond allein ist hereingekommen.
Die Haare mit der Gebärde einer Ophelia zurückschiebend, fährt sie mit ihren Händen über ihre Stirn. Ist dies ein Traum? Aber ihr Körper träumt nicht: die organische Erregung zittert noch in ihr, verabscheuungswürdig.
Die Jungfrau erschrickt, von dem Unberührbaren umschlungen worden zu sein, sich dem Unbekannten hingegeben zu haben; und mit einem Sprung, aus Furcht vorm Teufel, stürzt sie sich auf ihr Betpult.
»O Maria, rette mich vor dem Bösen; vor den Besudelungen der Nacht bewahre mich, o unbefleckte Jungfrau; erlaube nicht, guter Engel, den Verrat des Bösen, das mich feige angreift, wenn ich schlafe!«
Bewundernswerte Nacktheit beim Gebet: die Inbrunst der Haltung macht die Wollust erschütternd.
Eine innere Stimme verhöhnt sie: »Deine Nächte verwirklichen den Gedanken deiner Tage! Die Begierde, die sich deinen Körper unterworfen hat: trugst du sie nicht schon lange in deinem Herzen?«
Das Gebet erstirbt auf ihren Lippen; sie wendet sich ab und gleitet über den Rand des Betstuhls.
Die Ellbogen auf ihren nackten Knien, das Kinn auf ihren gefalteten Händen, denkt sie nicht an den Prudhon, den sie darstellt; ihr Blick hat ihr Porträt Peladan, Weibliche Neugier. getroffen, von dem sie Haltung und Ausdruck des Aufmerkens angenommen hat. Plötzlich, unter der Idee des Inkubus, fällt ein unerwartetes Licht auf ihren Schmerz. Von einem Magier geführt, ist sie nicht ein wenig eingeweiht?
Es ist ihr gesagt worden: lieben, das heißt, von seiner eigenen Ausströmung ein Phantom formen, das einem überallhin folgt und einen zuweilen beherrscht. Die erregte Jungfrau, die nicht mehr Gott noch den Teufel anklagen kann, gerät außer sich, vor diesem Problem des Dämonischen.
Ihre geistige Einsicht hält sich nicht auf dieser Höhe; so richtig sie auch sein mag, eine Diagnose ist niemals ein Balsam, der heilt; sobald man leidet, bedeutet die Entscheidung wenig. Die Nacht hat sie vergewaltigt, der Schatten hat sie ergriffen, der Mond hat sich auf sie ergossen; ein Augenblick des bösen einsamen Schlafes, und sie ist Frau.
In ihrer Gradheit fragt sie sich sogar, ob es jetzt noch möglich sei, einen andern zu heiraten als das Ebenbild des Inkubus.
Zehn Tage ist es her, sie zählt sie, als im Park von Saint-Fulchran Peladan, Einweihung des Weibes. ein Kuß sie entzückte; und ein Schlaf hatte sie in ihrer Entzückung getroffen; heute hatte dies Entzücken sie dem Schlafe entrissen, und zwar zu spät für ihre Ehre.
Langsame, schwere, heiße, bittere, große Tränen fallen von ihren Augen und fallen auf ihre Brüste: ihre entmutigende Erniedrigung verlängert sich.
Plötzlich richtet sie sich auf; verwirrt bemerkt sie, daß sie nackt ist, von kühnen Blicken überrascht; sie wirft sich aufs Bett und verbirgt sich ganz: die Morgenröte ist hereingekommen.
Ohne sich zu bewegen, den Atem anhaltend, den Kopf unterm Bettuch, wie ein Kind, das Furcht hat, erstickt sie. Dann deckt sie sich auf und springt, von einem plötzlichen Entschluß gepackt, auf die Erde, läuft nach ihrem Schreibtisch aus Rosenholz und schreibt zwei Zeilen auf ein Telegramm.
Wenn die Sache von Wichtigkeit ist, fürchtet sie, diese beim Erwachen vergessen zu haben! Sonst, warum diese Eile eines Dichters, den zwei schöne Verse wie Nachtfalter gestreift haben und der sie in der Frische der Eingebung festhalten will? Oder sollte es einer dieser entscheidenden Erlasse sein, die man unter dem Peitschenhieb eines seelischen Zustandes wagt, der morgen nicht mehr so intensiv sein wird?
Sie scheint wieder aufgeheitert zu sein, trägt das blaue Papier, das sie beruhigt hat, ins nächste Zimmer; nachdem sie Jalousien, Fensterladen und Vorhänge dicht geschlossen hat, legt sie sich wieder hin.
Draußen ist es heller Tag und endlich Nacht im Zimmer.
Man hört das Klatschen der Laken, welche die Beine nervös stoßen, und das Lager seufzt unter dem Körper, der sich dreht, um die Stellung zu suchen, die den Schlaf rufen soll. Die Müdigkeit führt ihn bald herbei, doch gestört von Stammeln und Ausrufen, als ob sie bittere Worte ausspräche, um den Sinn zu erfassen, der ihrer Betäubung entgeht.
Wahrhaftig, sie leidet, wenn die Worte auf ihren Lippen zittern, wie die Wimpel, die aus dem Munde der Schlafenden wie der Lebenden im Campo Santo kommen. Sie suchen diesen schönen rebellischen Mund heim, diese hartnäckigen Worte, diese würgenden Vokabeln, die mit ihrem Beichtlatein das Gefühl erkälten, das immer in der Unendlichkeit einer einzigen Begierde verborgen ist; und sie vergewaltigen diesen Mund, der sie mit Groll zerstückelt, und zerbröckeln dort, Fetzen eines die Seele zernagenden Verses:
Reme … dium … Con … cupis … cen … tiae …
Man könnte es eine päpstliche Beichte nennen.
Merodach, die Arme gekreuzt, aufrecht stehend, hört dem sitzenden Nebo zu.
Merodach, im Heiligenscheine seiner schwarzen gekräuselten Haare, im schwarzen Ueberrock des Geistlichen, ließ diesen samtartigen Blick um sich schweifen, in dem sich die Ausstrahlungen verloren, ohne daß er blinzelte, anzeigend, daß er stets das Wesen unter der Form, die Ursache in der Wirkung wahrnahm. Seine Haltung deutete an, daß er freiwillig auf die menschlichen Triebe verzichtete. Dieses Wesen konnte kein anderes Vaterland haben als seinen Gedanken; aus der Reihe der Sterblichen ausgeschieden, klagte seine traurige Heiterkeit, indem sie verachtete.
Kein Unglück erregte ihn; keines machte ihn leidenschaftlich, außer dem großen Unglück der Kirche; sein Herz schlug nur »urbi et orbi« leidenschaftlich. Er hatte die Gefühle eines Papstes: als solchem war ihm Frankreich, wo er lebte, nur die älteste Tochter der Kirche, die unwürdig geworden war, aber gebessert werden konnte. Mit der ganzen Rüstung einer fixen Idee gepanzert, befriedigte er auf die Dauer durch die Unmenschlichkeit seiner Selbstbeherrschung.
Nebo dachte ebenso hoch und ebenso gerecht. Diese beiden Adler schwebten mit gleichem Fluge im Aether der Gedanken, aber der Platoniker hatte sein Herz nicht im Kopfe; noch besaß er das Auge, das allein für das göttliche Jenseits empfand, wo sich die Welten des Geistes bewegen: die Form fesselte ihn und das Gefühl lebte in ihm, erhaben, aber intensiv, und gebot begierig.
Es lag Majestät in diesem gegenseitigen Respekt, der den Größeren von beiden aufrecht hielt, während der andere sich anklagte, ohne etwas zu verschweigen und ohne sich zu demütigen; es lag Majestät in dieser der Kirche entliehenen Form des Sakraments, in der sie einander beichteten, diese weltlichen Kardinäle eines heiligen Kollegiums, bei dem Saint-Yves Saint-Yves, Sendung der Juden, Paris 1884. den Vorsitz führen würde.
Statt der Salbung, die das Recht der Absolution verleiht, hatte Merodach die Gabe des Rates, und er hätte seinem Bruder nicht vergeben, wenn er nicht die Traurigkeit seiner Haltung gesehen hätte.
Als der Platoniker schwieg und ihm mit der Gebärde des Talma als Manlius Antoine de la Fosse, Manlius, Paris 1698. ein Telegramm reichte, das ganz zerknittert war, las er langsam mit lauter Stimme:
Tante, bestürzt, aber gefaßt, ich schwöre es,
erwartet den ganzen Tag Ihren Schritt!
Paula.
– Bruder Nebo, dein Androgyn ist nur eine Frau: die Flügel sind am Boden, es ist kein Engel. Die Wirklichkeit muß sehr schön sein, um dich für einen Traum zu trösten: eine schöne Heirat, eine heftige Liebe, das ist dein Los. In Summa, alles ist in allem, und das tägliche Leben, mit Magie behandelt, muß auf alle Verwandlungen hinzielen; heirate sie, in einigen Jahren wirst du vielleicht deine Verwirklichung erreichen.
– Du spottest, rief Nebo, mich zur Heirat zu drängen, und den kühnen Ehrgeiz nicht beleidigend für mich zu halten …
– Ich spotte nicht, alles ist ernst und schwer in den Folgen: ich dränge dich zur Heirat, weil du die Liebe brauchst. Die Prinzessin würde bestürzt sein, wenn sie dich über den Mangel an Achtung schreien hörte, weil sie dir ihre Schönheit, ihre Jugend und ihr Vermögen geben will. Sie sagt sich: »Ich gehöre ihm, ich habe ihn auf den Mund geküßt.« Von dort zu dem »Er gehört mir« ist kein Spielraum für die Bewegung einer Heuschrecke. In ihren Augen gibt es nur einen Mann auf Erden: sie will ihn, ihre Ergänzung, diesen Einzigen. Bemerke wohl, daß sie hinaufsteigt, wo du hinunterzusteigen glaubst, eine Pilgerin des Venusberges, die dich mit in die Untiefe ziehen wird … Bruder, als ich dir schrieb Peladan, Weibliche Neugier.: »nimm dich in acht vor diesem Leib, in dem du deinen Traum verkörperst«, wollte ich ein Wort hinzufügen: »zu jung«. Sie ist zwanzig Jahre alt: es fehlen ihr zehn oder fünfzehn, und zwar unglückliche; sie müßte eine traurige Gattin und freudlose Mutter gewesen ein. Ehe ein Weib nicht geweint hat, ist es nicht vollendet. Die Tränen stählen: man muß die Jungen und Glücklichen quälen, um sie zu erhalten, werden dir die Experimentatoren sagen. Wenn deine Paula zwei Lustren von Enttäuschungen, mit Schrecken erduldete Ehepflicht, Ungerechtigkeit der Welt durchgemacht; wenn das Leiden ihr seinen Hopfen äußerst bitter gebraut hätte, dann würdest du erhört werden … Und doch sind es nicht ihre zwanzig Jahre, welche dir widerstehen: nein, dein Geist bricht sich an einem Temperament! Etwas mehr Lymphe, etwas weniger Eisen im Blut, der Einfluß des Mondes statt der Venus auf diese Sonnige, und du hättest Diotima Plato, Gastmahl..
– Erstens, mehr Lymphe wäre weniger Reiz, antwortete Nebo; und in meiner Liebe lasse ich nicht wie in den Orden die Enthaltsamkeit, die gleichbedeutend mit Ohnmacht wäre, gelten. Zweitens, die Leichtigkeit verschönert nichts, und du setzest mein Werk herab, nach meiner Ansicht zu sehr, damit es, selbst verwirklicht, befriedige. Ich habe ein Wesen gewollt, das nichts Hohes oder Niedriges bemerkt als durch mich, und das verzichtet, wie ich verzichte; mit dem Verdienst, zuweilen das Leben der Sinne zu bedauern, das sein Herr ihm verweigert.
– Du hast das Glück im großen gewollt, du hast zu viel gewollt. Diese Wege laufen einander nicht gleich: das kleine Tal mit den Rosen und der Wald der Lorbeeren. Man wählt seine Geliebte »nach der Hoheit des Herzens«, wie die schöne Formel des Barbey d'Aurevilly Barbey d'Aurevilly, Unmögliche Liebe. lautet: du willst sie nach der Hoheit des Kopfes wählen, weil dein Kopf sich über deine Zeitgenossen und deren Gewimmel erhebt, wie die Zeder über den Ysop. Untätig oder wirkend, empfängt der Erwecker nicht mehr Glück, als er gibt. Halbgötter, wollen wir es nach unserm Bilde schaffen; kaum widmen wir uns dem, entreißt uns ein Trompetenstoß der Verleugnung. »Geist, erzeuge; Sämann, gehe; Fackel, brenne! Du bist ein Strahl, nur die Dunkeln gehören sich selbst.« Bruder, indem wir alles verwerfen, was unser »Wort« fesseln könnte, wollen wir die Barmherzigkeit pflegen und uns den Leidenschaften verschließen: wo andere Betrug üben, bringen wir Opfer. Der Jünger, der nicht aus dem Flusse trinken, noch sich von den Früchten der Erde nähren will, ist ein Schicksal (die Oberflächlichen würden sagen, ein Egoismus), ist der ewige Balthasar Claës Balzac, Stein der Weisen., der in seinem Tiegel das Glück seiner Kinder schmilzt … Du wirst deine Prinzessin mit allen Reagentien der Seele behandeln, bis zu dem Tage, wo die zu stark unterdrückte Materie dir in den Armen zerspringen wird: du wirst nur verletzt, sie wird zerbrochen sein. Am Tage nach deiner Niederlage in den Engpässen der Leidenschaften wird dir immer noch dein Gehirn und die Ideen bleiben, aber sie, denke daran, hat nur ihr Herz.
– Sind wir nicht Meteore, die eine Seele durchdringen, um dort eine unsterbliche Furche zurückzulassen? Seraph bedeutet die Feuerschlange, die versucht: unsere Rolle ist der Ansporn zum höheren Leben, und das höhere Leben für die Frau ist die Leidenschaft.
– Stelle dir vor, Bruder Mercurius »Nebo ist der chaldäische Name für Merkur.« Peladan, Einweihung des Weibes, 119., drei Tage Paradies und dann wieder auf die Erde hinunter: das ist so grausam, daß diese Strafe in der religiösen Lehre nicht den Menschen bedroht. Diese Frau, die bis in den siebenten Himmel von deiner Liebe entzückt ist, wird, wenn sie zurückfällt, ihre Flügel verlieren und ihre Füße werden nicht mehr schreiten. Eines Tages wirst du deine Möwe in ihr soziales Milieu zurückwerfen: selbst wenn sie ihren Stand verläßt, wird sie ihre Flügel noch gebrauchen können? Du willst ein Wesen mit dir in die Wolke emportragen, um es von dort herabzustürzen!
– Du hast das Kabel des Gefühls, das vor der Menschheit ausgespannt ist, so gut abgeschnitten, daß deine Psychologie in der Luft hängt, Merodach. Weißt du nicht, daß die Leidenschaft die Arten der Lebenskraft wie einen Stoß anhäuft, und daß hundert Tage heftigen Besitzes mehr gelten als zehn Alltagsexistenzen? Ich kenne eine tugendhafte Dame, eine Frau von Mortsauf Balzac, Die Lilie im Tal., die von einem einzigen Erlebnis gezehrt hat, und noch zehrt. Ein junger Abenteurer, der sie wenige Tage vor seinem Einschiffen sieht, verliebt sich in sie bis zu dem Grade, daß er auf sein schreckliches Leben verzichten will, wenn sie ihn liebt: sie hat den Mut, nein zu sagen. Am Abend vor seiner Abreise, beißt der Abenteurer, als ihr Gatte sich abwendet, sie so heftig in den Schenkel, daß sie ohnmächtig wird. Als sie wieder erwacht, sieht sie den Kühnen nicht mehr, der nie wieder erschienen ist. »Ich bin eine Sekunde geliebt worden,« sagte sie: »das genügt mir, um begreifen zu können, daß ein Monat ähnlicher Erregungen einem vollen Leben gleichkommen würde.«
– Ein leidenschaftlicher, das heißt irriger Ausdruck.
– Deine Barmherzigkeit erregt sich, wenn du an ein Glück denkst, das aufhört, und deine Einsicht gibt zu, daß der Höhere den Unteren zu seinem großen Werke braucht. Ist die Seele des Nächsten nicht der Stoff für eine Geisterbeschwörung?
– Wir stehen außerhalb der Gesetze: wir müssen den Fall persönlich nehmen, um ihn zu beurteilen. Du beschließest eine Schamhaftigkeit, um der Welt eine unsterbliche Auffassung der Schönheit zu geben. Sei es! Als Nergal Peladan, Einweihung des Weibes, Kap. VI. meine Hilfe für einen geistigen Ehebruch nötig hatte, habe ich sie ihm gewährt: dahinter sah ich das Meisterwerk aufgehen. Ich gewähre uns ein Recht auf einen geistigen Beischlaf, auf eine Brautnacht des Herzens, die ich für meinen Teil aufgegeben habe. Du begegnest einer Frau und du öffnest ihr die Seele; du nimmst ihrem Gatten nichts, der zehn Jahre lang nur in körperlicher Vertrautheit mit ihr gelebt hat. Der Schatz fällt dem Finder zu, die Seele einer Frau gehört dem, der sie vibrieren läßt; aber der Entdecker könnte sich nicht am Orte selbst als Besitzer niederlassen, noch könnte der Geliebte den Körper nehmen. Denn selbst das Recht des Königs, selbst das des Magiers beschränkt sich auf die Pflicht gegen den Vasallen und Unwissenden.
– Du heißest den geistigen und auch noch den seelischen Ehebruch gut, fragte Nebo.
– Das ist ein sokratisches Argument! Wirst du etwa, kraft der Analogie, die körperliche Untreue gutheißen? Du weißt, daß Gebärde und Gedanke das gleiche bedeuten, und du siehst nicht, Platoniker, daß der Besitz eine logische Folge der ursprünglichen Verdoppelung und die Gleichzeitigkeit der beiden Orgasmen die lebhafteste Vision der Einheit ist. Wenn eins ins andere dringt, wenn beide sich durchdringen, so wird dieses obszöne Bild für die lymphatischen Frauen und die schlecht gebauten Männer zu einem beflügelten Herzklopfen. Ja, die Leidenschaft hat ihre Verklärung des Fleisches.
– O Merodach, du verteidigst jetzt das Tier mit den zwei Rücken.
– Ich glaube weder an das engelhafte Tier, noch an den tierischen Engel, auch nicht an die Gottmenschheit: da dein Traum falsch ist, wird er vergehen. Geschlechtlich gibt es für mich nur den Verzicht oder die gewöhnliche Leidenschaftlichkeit: der Rest ist »Comedia dell' Arte«.
– Ist es nicht wissenschaftlich, daß das menschliche Vibrieren drei Arten hat? Lehrt nicht die Einweihung die Kunst des Transponierens? Mein Problem wird zum Lehrsatz: die Wollust gefühlvoll machen, das Gefühl vergeistigen. Nun, physiologisch, wenn Herz und Hirn sich mit Blut füllen, gibt es keine Zeugung: das erklärt die Ohnmacht des ersten Besitzes, wenn die Begierde in den Schläfen und in der Brust klopft, nicht in den Lenden.
– Bruder Nebo, diese Wirkung kommt nur von der Neuheit, Seltenheit und Gefahr einer Vereinigung; wenn das Auge eines Gatten, einer Mutter, eines Bruders zu täuschen ist. Aber allein, in Ruhe, Tage, die fast Nächte werden, nicht heute, wo man es sich versagen kann, eine augenblickliche Götterspeise zu kosten, aber morgen und immer? So hoch auch deine Ideen sein mögen, es kommt eine Stunde, wo die Verse Shakespeares nicht so viel wert sind, als den Mantel des Geliebten zu berühren. Schönheit und Jugend sind selbst für ein Genie furchtbare Kräfte, und angreifende. Brich und biege, du wirst stets in die Enge getrieben und gezwungen werden, dich körperlich zu betätigen! Du hast ihren Gedanken alt gemacht, ihr junger Körper will deinen Körper und wird ihn bekommen! Oh, ich erkenne deine Kraft an, ich begrüße sie: der Mann, der beim Kuß von Saint-Fulchran Peladan, Einweihung des Weibes, Nachspiel. die Geliebte einschläfern konnte, ohne seine Lippen zu lösen, ist ein Wundertäter, den ich nicht in Versuchung führen würde … Allein du vergissest immer, Nebo, daß du ein Künstler bist, das heißt, ein Wesen, das empfindlicher ist als die andern, ein Wesen, in dem das allgemeine Streben sich erhöht. Die Liebe, dieses tägliche Brot und das eigentliche Wesen des Menschen, hast du nicht mit deiner Verachtung abgesperrt: du hast sie als Meisterwerk aufgefaßt, und du arbeitest daran als großer Meister! Du hast die Züge des »Vorläufers« vom Louvre gefunden Peladan, Einweihung des Weibes, Vorspiel., der das Hauptwerk der ganzen Kunst ist, und du willst in dieser lebenden Kopie die Seele wieder aufblühen lassen, die deine Phantasie dem Original zuschreibt. Aber die Prinzessin ist kein Geist: sie lebt nicht nur mit halbem Körper wie Johannes der Täufer von Leonardo da Vinci. Bruder, damit das Herz niemals unter dem Nabel schlägt, muß es geblutet, muß das Leben es gequält und von seiner Fleischlichkeit befreit haben. Und du nimmst eine Jungfrau, diese Jungfrau, du machst sie verliebt, und du willst, daß sie an Stelle des Kusses das Lächeln des Erzengels auf den Lippen trägt! Deine geistige Natur treibt dich, und auch deine männliche Erfahrung; du weißt, wie gering die Wollust des Körpers ist; dieses wenige verringert sich noch durch die Art deiner Empfindungen: du wirst geliebt, aber du liebst nicht. Was für einen tiefen Geist die scheinbare Schamlosigkeit der verliebten ehrbaren Frau entschuldigt, diese Gebärde, die du nicht vermeiden wirst, die dir kein Zurück mehr läßt, diese Gebärde des Triebes, welche die erste der Buhlerin ist, rechtfertigt sich durch die weibliche Auffassung, die darin nur Folgerungen, Zeiten des Verbs »Lieben« sieht. Seltsamer Nebo, du wählst das Vollblutpferd, das vor Ungeduld wiehert, mit seinen Hufen den Boden stampft, um es den feierlichen und traurigen Schritt einer herbstlichen Liebe gehen zu lassen, in der die Frau von vierzig Jahren ihre ermüdete Seele ausruht … Liebe und Haß sind Pole unter dem Aequator des allwissenden Willens. Ein Wesen bis zum Mittag des Ideals in die Höhe bringen oder es bis zur Mitternacht des Verbrechens sinken lassen, das können wir. Aber die zwölf Stunden und die Grade des Lichtes und der Finsternis, die sind uns nicht gegeben. Sage mir: »Mache, daß man mich liebt; mache, daß man mich nicht liebt,« so werde ich machtvoll wirken. Wenn du mir aber sagst: »Mache, daß man mich so liebt« oder »daß man mich bis zu diesem Punkte nicht mehr liebt«, lege ich meine Mitra ab, das liegt nicht in meiner Macht. Eine Leidenschaft anzünden oder sie löschen, ja; aber sie mäßigen, das Geheimnis kenne ich nicht. Siehst du nicht die Liebe zu Gott in der Inquisition enden? Hatte Torquemada vielleicht den Glauben? Die Frau handelt wie das Volk plötzlich und ohne Zusammenhang: Volk wie Weib kennen nur die Anarchie, wenn der Despot fehlt.
– Ach, Merodach, ich beneide und bewundere dich, du hast dich von der Liebe befreit.
– Nein, von der Geschlechtlichkeit: ich liebe die ganze Rose, alles was schön ist, und das ganze Kreuz, alles, was weint. Bewundere mich, aber beneide mich nicht: ich habe das Höchste erwählt, aber das ist nicht das Süßeste! Träume ich auch nicht von Liebe, wenn ich über ein Geheimnis nachsinne, so träume ich doch zuweilen von Zärtlichkeit: ich nenne es dann eine seraphische Freude, wenn der Flügel eines Engels über meine brennende Stirn streift. Kennst du jenen »Christus im Garten«, von Delacroix, der Menge unbekannt, in der Kirche Saint-Antoine? Nun, ich wünsche, einer dieser Engel, die über ihren Gott weinen, betrübte sich über mich: in meinen Aengsten bitte ich um eine Träne vom Himmel, um mir das Herz zu erhellen. Was trennt mich unbesiegbar von der Leidenschaft? Ich empfinde noch größeren Schmerz, wenn ich, statt in meine, in die Seele eines andern blicke; und ich fliehe diese Notwendigkeit, leiden zu lassen, um zu herrschen. Ich habe Söhne gesehen, die ihre Mutter verwünschten, aber nicht einen Franzosen, der sein Vaterland verleugnete: die fixe Idee »Vaterland« hat mehr Verheerungen angerichtet als die Pest und alle Uebel zusammen. Der einfältige Zeitgenosse kommt schließlich dahin, nur eine Religion zu haben: die des militärischen Sklaven. Das einzige gemeinsame Gefühl in Frankreich ist die Gelehrigkeit, die der Hintere für die Küsse gespornter Stiefel hat. Sieh, welchen Altar die Menschheit seit Nimrod beräuchert, welches die Sprungbretter der allgemeinen Einbildungskraft sind: das Beinhaus und der Mörder. Priester, die sich Katholiken nennen, bewundern Alexander, Cäsar und Napoleon; Priester, die Rom nicht in den Bann getan hat, haben den Generälen für eine Eroberung Absolution erteilt. Die Frauen werden alle Dirnen, wenn sie den korsischen Banditen schätzen: dieser mit geronnenem Blute bedeckte Mann spricht zu den Herzen der Mütter, und sie bewundern ihn mit einer unbewußten Bestialität. Die Frauen, wie die Völker, lieben nur den, der sie quält! Ich will vor Gott erscheinen, ohne daß ein einziger Schwacher gegen mich klagt: deshalb habe ich keine Geliebte, habe ich kein Vaterland, da ich vom Blute der priesterlichen Könige bin, die verpflichtet sind, weder den Leidenschaften noch den Gesetzen zu gehorchen. Wenn ein Wesen versuchte, mich für sich in Anspruch zu nehmen, würde es durch die göttlichen Gesetze gestraft werden, welche die Leviten des Mysteriums frei haben wollen, auch wenn sie untätig wären; wenn eine sich national nennende Gesamtheit in mir das »habeas spiritum« »Du habest den Geist«, das göttliche Gesetz gegenüber dem menschlichen »habeas corpus« (du habest den Körper), das in England die persönliche Freiheit sicherte. verletzt, so gebietet mir der Wille der Vorfahren, sie durch das »Wort« zu strafen und Strömungen des Aufruhrs zu schaffen. Im Bewußtsein des Verhängnisses, das uns mit dem Siegel der priesterlichen Einsamkeit zeichnet, flehte ich dich eben an, das Schicksal dieses Kindes nicht zu verdüstern: dieser Falter wird von deinem Licht geblendet, und das Gesetz bestimmt, daß du ihn verzehrst, oder daß er dich auslöscht … Grausamer Herr oder erniedrigter Sklave: das ist das Dilemma der Leidenschaft.
– Ich werde ein milder Herr und ihre Sklaverei wird ruhmvoll sein …
Merodach unterbrach ihn:
– Ich würde mir Vorwürfe machen, wenn ich mich vor dir verhüllte, Bruder; wenn niemand in meine Vergangenheit sieht: wisse es, mein Wille wacht darüber. Frage die, denen ich vor der Einweihung begegnet bin, sie sind selbst nicht mehr sicher, was sie von mir gesehen haben. Auch ich bin irre gegangen, Nebo, nur bin ich schnell irre gegangen, das Gewicht meines Herzens hat mich fortgerissen, ehe die Verhärtung meines Gehirns ihm das Gleichgewicht hielt, ich habe gelitten, gekämpft und gesiegt. Soweit dies auch in eine versinkende Vergangenheit verbannt ist, ich brauche mich nur wieder daran zu erinnern, um dich zu verstehen, dich zu beklagen … und dir zu helfen.
Sie faßten sich bei den Händen, geistig bewegt.
– Deine Niederlage, die du ohne Hoffnung hinausschieben wirst, ist unvermeidlich; weil weder magische Suggestion noch Flucht helfen wird: zuerst wird dein Körper vergewaltigt werden, später deine Persönlichkeit selbst.
– Daß sie meinen Besitz wünscht, daran kann ich weder zweifeln, noch sie deswegen tadeln; wenn sie mich aber binden will, wie eine gewöhnliche Frau einen gewöhnlichen Mann bindet, so werde ich sie verdammen.
– Die Mönchskutte Altas Peladan, Finis Latinorum., das Werk Nergals Peladan, Finis Latinorum. sind Mittel der Verteidigung, aber dein arbeitsreicher Müßiggang? Die Frau schätzt nur die Resultate, die Verwirklichungen, niemals das Grübeln und die Träume.
– Du meinst, daß ich ihr die Wollust schulde?
– Ich meine es!
– Und die Befruchtung auch, nicht wahr, fragte Nebo ironisch.
– Bruder, wenn ich ein Femurteil fälle, so richte ich im Namen der göttlichen Gesetze, doch füge ich diese furchtbare Formel hinzu: »Möge das Tribunal der Freien Richter von Gott selbst gerichtet werden.« Als Erwecker übertrittst du die Gebote der Gemeinde, und das stellt dich vor Gottes Angesicht, da du in göttliche Rechte eingegriffen hast, wenn die Leidenschaft dich verfinstert.
– Rate mir doch, sie zu heiraten! Du wirst mir davon sprechen, daß du Coryse Peladan, Das höchste Laster. hättest heiraten müssen, um sie zu retten …
– Meine Vermessenheiten, Nebo, rechtfertigen nicht deine!
– Sie zeigen, daß der Flug der Persönlichkeit die allgemeine Schranke umwirft; und du siehst nicht immer den Augenblick, wo der Ideologe in dir leidenschaftlich wird.
– Ach, Bruder, eine Idee verwirklicht sich nur, indem sie leidenschaftlich wird; der Geist entkleidet sich, um hinaufzusteigen, und kleidet sich wieder, um hinabzusteigen, und eine Handlung ist der Abstieg einer Idee. Das Herz ist nicht nur der Beweger des Blutkreislaufes, es ist auch der Erreger jeder Ausscheidung; und wenn du mich warnst, daß ich mich an der Idee berausche und metaphysisch mein Gleichgewicht verliere, so staune, daß ich dir ein »cave« zurufe, wenn ich dich von zwei ausgestreckten Armen bedroht sehe, die furchtbarer sind als zwanzig Schwerter, wie Shakespeare sagt; von zwei Armen, die dich ergreifen und dich behalten werden, die selbstsüchtigen! Ich habe, du weißt es, die traurige Fähigkeit, bis zur letzten Wirkung den Kreislauf eines Seelenzustandes vorauszusehen: nun, ich bin für die Leichenrede deiner Liebe bestimmt. An dem Tage, an dem du untergehst, ein einziges Wort: Soter Soter, griech. Retter; cave, lat. hüte dich., und ich werde kommen, auf der Stelle, als Befreier für dich, als Arzt für sie, um von euch beiden zu retten, was gerettet werden kann.
– Wer nie geliebt hat, bevor er geliebt wurde; wer nur seine Begierde an der entzündete, die er begeisterte; wer die reizendste der Geliebten nur zehn Tage bedauert hat, der kann leiden, aber er wird alle Frauen und alle Lieben überleben, selbst den Verlust der Prinzessin Riazan.
– Dein großartiger Stolz hat dich von treulosen Frauen befreit: gerade dein Stolz wird dich an diese Verehrerin binden.
– Mein Stolz hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihr Fleisch zu besiegen: meine Schwester bis in den Tod oder meine Geliebte einige Monate, das ist ihr Urteil.
– Armes Mädchen, sagte Merodach.
– Sie wird gelebt haben, und die Leere, die ich zurücklassen werde, wird derartig sein, daß sie nur noch Gott lieben kann.
– Fühlst du, Nebo, wie furchtbar wir sind?
– Alle wahrhaft Königlichen sind schreckenerregend! Aber wenn das, was ich abzuwenden hoffe, eintritt, welche Arbeit für dich, mein armer großer Bruder, sie zu heilen …
– Wenn es sich um dich handelt, ist mir alles leicht; und dann wird es eine Erfahrung sein von einzigem Interesse, die seit den großen orientalischen Jahrhunderten nicht mehr gemacht worden ist. Habe also keine Bedenken; und geh ans Werk, da du dir dieses Schicksal bereitet hast.
Nach einem Augenblick der Sammlung fing Merodach wieder an:
– Du wirst ein wunderbares Gedicht erleben; und wenn ich wirklich sicher wäre, deine Spur auf dieser Seele auslöschen zu können … Einerlei, du mußt diesen höchsten Versuch machen! Du wirst den Becher des Malkuth Malkuth, das Reich, die letzte und niedrigste der zehn kabbalistischen Sphären. (Papus, Kabbala, Deutsche Ausgabe, Max Altmann, Leipzig.) bis auf den Grund leeren! Unsere gemeinsame Anstrengung wird stärker sein: deine Prinzessin ist eine Stufe auf der Jakobsleiter, steige empor!
Und die beiden Magier umarmten sich.
– Gott möge uns verzeihen, sagte Merodach auf der Schwelle.
Die Luft war brennend heiß am Tage nach der geheimen Verschwörung, als die Prinzessin an dem kleinen Haus der Galvanistraße läutete. Die Glut der Luft, die das Feuer unserer Seele zurückzuwerfen scheint, wenn eine Leidenschaft es entzündet, belebte mit fast körperlichem Brennen den Pulsschlag der Scham, der ihre Brüste bewegte, und ließ in ihren Schläfen ein verzweifelndes Zurück des verlorenen Stolzes klopfen.
Es war nicht mehr der Androgyn, die Freundin mit den Hüften, die neugierig Peladan, Weibliche Neugier. kam, um sich das Leben der Leidenschaft zeigen und erklären zu lassen: es war selbst eine Leidenschaftliche, die davor zitterte, zurückgestoßen zu werden; erschrocken, sich vor einer plötzlichen und allmächtigen Liebe so feige, so entwaffnet zu fühlen. Es war nicht mehr die Schwester, die auf den Ruf ihres Bruders kam, eines sanften Empfanges sicher; sondern die stolzeste der Prinzessinnen, die verliebteste der Jungfrauen kam fragen, warum man ihre Hand ablehne.
Als sie in den kühlen Schatten der Treppe trat, schauerte sie zusammen: ein plötzliches Hellsehen erleuchtete ihr das verlorene Terrain. Sie fühlte den Duft des nächtlichen Kusses Peladan, Einweihung des Weibes, Nachspiel. auf ihren Lippen verfliegen; sie ahnte, daß sie, trotz ihrer Wandlung in eine Verliebte, die sie so kühn versucht hatte, einem Manne gegenübertreten würde, der mit Ruhe, Weihe und Geheimnis gewappnet war.
Sie sah nicht, wie vor der Umseglung, das Phantom ihrer Jungfräulichkeit ihr den Weg versperren; sie stieg langsam diese Treppe wie zu einem Kalvarienberg empor, von der fixen Idee getrieben, ihn zu sehen; sie hatte weder Vorbehalt noch Willen.
Da sie erwartete, ihn in diesem Zimmer zu finden, dessen Vorhang der alte Diener hob, wurde es ihr kalt ums Herz, als sie sich allein sah. Ihr erster Besuch tauchte wieder vor ihrem Geiste auf: er hatte ihre Hände ergriffen, sie mit Zärtlichkeit sich setzen lassen, ein Kissen unter ihre Füße geschoben. Er hatte sogar einen Vorhang heruntergelassen, damit die Sonne sie nicht blende, und heute, heute, wartete sie!
Ihr Blick, der vom Glanze der Kirchenfenster angezogen wurde, auf welche die Sonne schien, bemerkte dort düstere Voraussagen: der heilige Georg, das Tier mit dem Frauenkopf zu Boden werfend, schien ihr prophetisch für ihr Schicksal zu sein; sie sah in den Flügeln des Engels, die graue Wellenlinien einfaßten, ihre Liebe, die von den Träumen des Platonismus unlösbar festgehalten wurde.
Niemals waren ihr die Tapeten nach Raphael so feierlich erschienen und die Renaissance-Möbel, die großen Stühle von Barili, waren nicht für die Liebe bestimmt.
Sie suchte eifrig nach einem humorvollen oder zärtlichen Nichts: Kein weibliches oder wollüstiges Stück.
Fast plötzlich kam ihr die Erinnerung an ihre erste Verkleidung, an die Anprobe. Seltsam, von diesem Briefe, den sie damals in Nebos Rock fand, hatte sich ein Satz fest in ihr Gedächtnis geschrieben. »Dein Plan ist übernatürlich schön; aber nimm dich in acht vor diesem Leib, in dem du dich verkörperst.« Eine Bestürzung ließ sie erstarren: war sie denn krank oder verdorben, oder war Nebo gar ein grausamer Träumer?
Eine schreckliche Angst erfaßte sie: der Mann, den sie mit ihren Lippen geküßt hatte, den sie gebeten hatte, sie zu heiraten, ließ sie mehr als eine Viertelstunde lang »sich vor Ungeduld verzehren«. So nervös, daß die Schwingungen sich bis in die Spitzen ihres Kleidersaumes fortsetzten, erhob sie sich, mit dem Fuße aufstampfend.
– Ah, machte sie.
Den Vorhang mit einer Hand hebend, erschien Nebo in einem roten Gewande mit weiten Aermeln, sie mitleidig anblickend. Das Kostüm spielt eine wichtige Rolle in der Liebe, besonders wenn es überrascht; und dieses rote Gewand, das auf die gleichfalls roten Schuhe fiel, gab dem Platoniker einen Charakter, halb Kardinal, halb Weib, der ihn doppelt gegen die geschlechtliche Koketterie wappnete.
Paula stützte sich auf ihren Sonnenschirm, herausfordernd, als frage sie: »Wann werden Sie geruhen, mit diesem Spiel aufzuhören?« Sie hatte nur den einen Gedanken, daß Nebo unter diesem Rot nackt sei und daß sie glücklich sein würde, wenn sie ihn umfassen dürfte.
Der süße Name »Mädchen« ist ein Titel,
o Schwester, dessen Reiz du lassen willst,
um für die Heirat kühn ein Fest zu feiern?
– Schauspieler! erwiderte sie.
– Der »Sommernachtstraum« hat nicht, scheint mir, »Die erzwungene Heirat« zum Nachspiel. Der »Sommernachtstraum« ist das Ende des Romans »Einweihung des Weibes«.
– Träumer ist ein schöner Titel, der erlaubt, jedes Recht und jede Ehre zu vergessen.
– Paula, Sie müssen sehr leiden, um so zu sprechen …
– Bürgerlich, sagen Sie es nur, unterbrach sie; nach Ihrer Beleidigung ohnegleichen noch ein unverschämtes Wort mehr …
– Als ich klein war, vereinigte ich in derselben demütigen Verehrung die Sterne und die Frauen; groß geworden, erlaube ich weder den Sternen noch den Frauen, über mein Leben zu entscheiden … Setzen Sie sich doch, Prinzessin.
– Ja, ich will das Märchen sehen, das Sie mir erzählen werden.
Sie setzte sich, zum Angriff bereit und von Kopf bis zu den Füßen schmollend.
– Es war einmal eine junge Königin von Scheba, welche die Rätsel und Geheimnisse der menschlichen Seele kennenlernen wollte. Ein junger König von Ur erbot sich, sie einzuweihen, und im Verlauf des Studiums wurden sie Bruder und Schwester. Bald ward die junge Königin von geschlechtlichen Dämonen heimgesucht. Um diese zu beschwören, verfiel sie darauf, dem Könige von Ur ihre Hand anzubieten. Der fühlte sich recht wenig geschmeichelt, als er sah, daß man ihn als austreibendes Opfer der niedrigsten Besessenheiten nahm.
– Opfer, rief die Prinzessin, das ist das Wort eines Ohnmächtigen.
– Die Nachkommen der Frau Potiphar haben eine Variante: ich werde sie Ihnen angeben, damit Sie innerhalb weniger Minuten ein zweites Mal vulgär werden. Wenn man zu einem Manne, der sich zurückzieht, Eunuch sagt, kann man ihn zur Abwechslung auch Knabenschänder nennen.
– O diese männliche Logik: er lobt in mir den unweiblichen Ton bis zu dem Tage, wo ich einen männlichen Schritt zu seiner Ehre tue, und weil mir ein Echo von dem entschlüpft ist, was er mich hören ließ, ohrfeigt er mich mit Grobheit!
– Diese Aeußerung hinter den Kulissen würde auf der Bühne von Wirkung sein! Sie wissen zu gut, daß nicht der Schritt mich schroff macht, sondern die Kühnheit …
– Die Kühnheit, sich hinzugeben, wenn man sich bewußt ist, Wert zu haben …
– Wenn Sie sich hingeben, verlieren Sie mich, Paula.
– Ueberlegen wir, ich bitte Sie! Endigt die Vertraulichkeit, in der wir uns befinden, da sie dauern soll, nicht mit der Heirat, in Ihren Augen? Würden Sie mir diese so seltsame Erziehung gegeben haben, wenn sie nicht die Prüfung der gewesen wäre, die Ihren Namen tragen soll.
Der Platoniker erstaunte.
– Scharfsinnige Spitzfindigkeit oder ungeheures Mißverständnis! Warum diese Umschiffung von Paris Peladan, Weibliche Neugier. und die Einweihung in die Leidenschaft, Peladan, Einweihung des Weibes. wenn sie nicht auf die Hochzeit hinauslaufen? Ich habe Sie nur panzern wollen, damit Sie in Ihrem Leben unverwundbar sind, wenn ich abwesend bin. Die Prinzessin Riazan habe ich so erzogen, daß der Schmutz ihrer Umgebung sie nicht befleckt: eine Frau Nebo, wenn es eine geben könnte, würde keiner Rüstung bedürfen, die Gegenwart ihres Gatten würde genügen.
– Und das sagen Sie mir ins Gesicht? Und was soll ich meiner Tante sagen?
– Als Schwiegersohn der Herzogin Vologda würde ich die Honneurs in ihrem Salon machen; ich würde empfangen, trinken, essen und tanzen lassen, wie ein gewöhnlicher Dinski; der Salon des Herrn Nebo würde wie die andern Salons sein, ein Ort, wo man sich trifft. Dann würde ich Sie auf den Ball führen, Sie für den großen Preis ausstellen …
– Nebo!
– Haben Sie ans Standesamt gedacht? Ein gottloser Grobian traut uns im Namen des Teufels, das heißt, der französischen Republik, welche die Regierungsform der Hölle ist, und im Namen der Narren, der bösen Antichristen, die das französische Volk bilden. Haben Sie an einen kleinen Nebo gedacht, der bis zu seinem vierzigsten Jahre als Nummer 14,99 eingetragen wird? Sehen Sie dieses Wesen, aus unserm Fleisch und Blut geformt, aus unsern Seelen gebildet, kurz geschoren wie ein Sklave, sich mit diesen nationalen Räubereien, die man koloniale Expeditionen nennt, besudeln! Haben Sie daran gedacht, daß Ihre Schönheit und mein Geist daran arbeiten würden, einen Soldaten und einen Bürger zu machen? Die Zivilehe ist für jeden Christen nichtig: für die Rasse, von der ich stamme, würde sie infam sein. Eher würde ich meiner Zeit zeigen, was die Chemie in den Händen eines Vaters vermag, dem man seinen Sohn nimmt, als ihn eine einzige Minute den Gesetzen gehorchen lassen. Da haben Sie zwei furchtbare Hindernisse, Prinzessin.
– Das Abendland ist nicht die Welt; und eine Umschiffung des Morgenlandes würde der schönste Traum sein, den man verwirklichen könnte.
Dieses Mal schwieg der Platoniker: Diese Antwort hatte er nicht vorausgesehen. Einen Augenblick schloß er die Augen, wie vor einem plötzlichen Licht, und sein Nachdenken dauerte eine ganze Weile. Ohne es zu wissen, hatte Paula in dieser vielseitigen Seele eine neue Chimäre Peladan, Das Land der Sphinx. geweckt, die lange geschlafen. Doch verstand sie es nicht, aus diesem Worte, das ihren teuern Feind entwaffnete, Nutzen zu ziehen.
– Warum sind Sie nicht gekommen, um mit meiner Tante zu sprechen? …
– Was hätte ich ihr zu sagen? Ihr Geist, Prinzessin, wird sich niemals aus meiner Bestrahlung reißen, sich vielleicht als Trabant empören, aber immer gefesselt bleiben! In Ihrem Herzen herrsche ich: Ihren Körper will ich nicht.
Sie richtete sich auf.
– Nebo, das ist das Wort eines Feiglings! Ich gehöre nicht zu denen, die bereuen; ich gestehe, daß ich ein Weib bin und daß ich verliebt gewesen bin: sind Sie, Sie, vielleicht ein Ungeheuer?
– Sie haben eine dritte Lesart gefunden: mein Kompliment, Schwester.
– Ihre Schwester, ja, großer Tugendprediger! Was sich auf Ihre geistige Verwirrung reimt, ist eine verdächtige Vertraulichkeit, bei der das Fleisch zugegen ist, wenn es sich auch nicht ausspricht: Sie wollen mich zu einer Schwesterlichkeit abrichten, die den Geruch der Blutschande hat: die begehrte, wenn auch geachtete Schwester.
Der Schlag war richtig geführt, aber Nebo blieb unempfindlich.
– Sie sind entschieden nur ein Weib.
– Deine Schwester, Blutschänder? Deine Schwester, deren Hosenrolle dich bleich werden läßt; deine Schwester, der du dich nur durch eine unerhörte Wissenschaft erwehrst, die andern Menschen unbekannt ist; deine Schwester heute, wo du als Bischof in Rot auftrittst; aber in einem Monat, in einem Jahre …
– Sie sind nur ein Weib; vergebens habe ich Ihre Begierde vergeistigen wollen …
– Sie sind nur ein Träumer, der sich meiner bedient; und ich glaube, ich bin mehr wert, als die Rolle eines Instrumentes zu spielen! Sie werden mich nicht mehr wiedersehen: ich hasse Sie …
– Sie sind nur ein Weib; aber Sie leiden und Sie leiden durch mich: verzeihen wir einander.
Das wurde mit einer so traurigen Sanftmut gesagt, daß sie die Hand ergriff, die Nebo ihr reichte, und sie mit Leidenschaft küßte, während ihr die Tränen von den gesenkten Lidern sprangen.
Plötzlich bemerkte sie die Unterwürfigkeit dieses Handkusses; sie verschleierte einen Augenblick ihr Gesicht und sagte barsch:
– Sie haben nicht gelogen, Nebo; Sie haben nicht einmal die ganze grausame Wahrheit gesagt: wie soll eine Leidenschaft enden, die mit Qualen anfängt? Ich küsse Ihre Hand, die mich schlägt: was würde ich tun, wenn sie mich liebkoste?
Bei diesen himmlischen Worten fühlte sich Nebo schwach werden vor Zärtlichkeit; die Verwirrung, die alle Züge dieses schönen Gesichtes erregte, machte es engelhaft.
– Sie werden milder, wenn ich weine; die sichtbare Träne bewegt Sie, aber die bittersten fallen nicht, sondern ertränken das Herz.
Unversehens wurde sie schroff und ihre Worte zischten.
– Die Freiheit hat mehr Reize als ich! Aber wenn Sie Ihr Leben so gut gegen meine gefürchtete Haft verteidigen, so kann ich, scheint mir, mein Leben nach meinem Wunsche einrichten. Um unsere Schwesternschaft oder Brüderschaft zu verbergen, denn die Welt würde nicht daran glauben, brauchen wir wohl einen »Leuchter« Musset, Der Leuchter (Lustspiel)., das heißt, einen Gatten. Wählen Sie ihn mir, einen, der für diesen Zweck paßt: ich werde ihn blind aus Ihren Händen nehmen. Sie haben Geist und Seele, das übrige, das nicht wert ist aufgezählt zu werden, wird er haben, nicht wahr, Nebo. Auf diese Weise wird der Prinz von Ur nicht das Opfer werden, das die Prinzessin Scheba den geschlechtlichen Dämonen bringen wird.
– Ich könnte sagen, daß ich Ihnen nicht glaube; ich achte Sie höher, wenn ich gestehe, daß Sie mehr Reinheit haben müssen, sollte es Ihnen an Stolz fehlen; und ich will nicht, daß der Becher, aus dem ich trinke, von andern Lippen berührt wird, auch wenn ich meine zurückziehe.
– Ich lasse Sie sprechen, aber bilden Sie sich nicht ein, daß die Neugier mich verlocken wird, eine Erfahrung zu machen. Ich habe den Schrecken, wie ihn Goya und Rops gezeichnet haben, gesehen; aber ersetzen Sie Elend, Alter und Roheit durch Reichtum, Jugend und Geist, so wird daraus ein großer Glanz.
– Sie können nur in meine Arme fallen, und meine Arme sind geschlossen.
– Wirklich, seit es Jungfrauen und Platoniker in dieser Welt gibt, glauben Sie, Nebo, daß sich viele so unwahrscheinliche Szenen wie diese abgespielt haben. Ich bin nicht dumm, und mein Verstand verwirrt sich, wenn er Sie zu durchschauen sucht, wie mein Auge blicklos wird, wenn es Ihr rotes Gewand sieht; ich vergesse jede Würde, und wenn sie mir zurückkehrt, muß ich verschwinden. Es bleibt mir noch genügend Hellsicht, um mich über das Programm meiner Schwesternschaft zu unterrichten: wie oft wir uns treffen können, ohne meinem Rufe zu schaden.
– Die Gefahr wird stets da sein, Prinzessin, ich verhehle es nicht; aber der Geheimbund Peladan, Einweihung des Weibes., dem ich angehöre, wird den Verräter abschrecken.
– Wenn man im »Club« sagt, die Prinzessin Riazan hat einen Tag bei Nebo verbracht, wird der Tod des Schwätzers nicht die Aeußerung töten.
– Nun, Sie brauchen ja nicht ganze Tage bei mir zu verbringen …
– Ich weiß es jetzt, und ich enthülle es Ihnen, die Diotima ist eine Verliebte, die gefallen wollte, die sich verwandelte, um in Ihr Herz einzudringen. Ja, die Frau ist geringer, sobald sie auf sich selbst gestellt wird; Menschen von ihrer Bestimmung abzulenken, ist ruchlos, ist absurd. Ich bin zum Lieben gemacht; und mehr als andere Frauen bin ich fähig, bis in die Wolke zu steigen, wo mein Geliebter sich aufhält; aber auf dieser Höhe kann ich nicht meinen Ballast an Herz und Leib wegwerfen. Uebrigens kann ich mir schlecht vorstellen, daß Unsterbliche disputieren: ich sehe, wie sie sich küssen. Die Gedanken, Nebo, müssen niedergeschrieben werden, die Gefühle muß man leben, statt von ihnen zu sprechen. Ich fühle ganz richtig, daß ich zwei Wesen bin: es gibt in mir eine Zuschauerin Paula, welche die andere seelisch erforscht! Nun, tiefer Denker, niemals werden Sie einen Satz finden, der das wiedergibt, was meine Bewegung ausdrückte, als ich Ihnen die Hand küßte. Zu gewissen Stunden wird der Körper von der Seele geführt, und eine Liebkosung hat oft mehr Göttlicher als jedes Gespräch über die Seele. Als der Rabbiner Akiba, der in einer Rolle der Thora lebendig verbrannt wurde, sein Leben aushauchte, rief er: »Adonai, unser Herr, ist Einer!« Es gibt nichts Erhabeneres als die Frau, die verlassen stirbt und mit dem letzten Seufzer eine letzte Bewegung ihrer schon erkalteten Hand macht, um dem treulosen Geliebten einen Kuß zu senden … Die Weltliteratur enthält nicht eine Denkerin; doch ist die Beredsamkeit einer Brigitte Strindberg, Folkungersage., einer Marie Agreda, einer Katharina Emmerich bewundernswert, weil Gott sie befruchtet hat. Die stets vom Mond beeinflußte Frau, sagten Sie mir, kann nur das von der Liebe ausgestrahlte Licht zurückwerfen; ohne diese Strahlung gelten wir nichts, sind wir boshaft. Jedesmal, wenn Sie eine Lästerzunge, eine Verleumderin sehen, sagen Sie: »Sie wird nicht geliebt.« Sobald man liebt, existiert nur noch, was sich auf die Liebe bezieht: versuchen Sie eine Verliebte zu bewegen, über die Schande anderer Menschen zu klatschen! Sehen Sie das Alter der Frauen, die geliebt haben: welche Güte und welcher Reiz in dieser Güte! Wahrlich, beim jüngsten Gericht werden die Theologen durch den lieben Gott sehr verwirrt werden: dann wird sich nämlich zeigen, daß nur die Sünder und die Sünderinnen Barmherzigkeit geübt haben. Ein Mund, der viel geküßt hat, bewahrt ein Fältchen der Milde, die dem Worte nicht erlaubt, giftig zu werden; eine Hand, die Liebesspiele gespielt hat, kratzt nicht mehr. Es scheint, daß die Leidenschaftlichen in ihren Umarmungen alles Tierische und Boshafte ausströmen, während die trockenen und verschlossenen Herzen die tierische Bosheit auf allen Schritten ihres Lebens mit sich herumtragen … Um auf uns zurückzukommen, so finde ich Sie absurd und mich beklagenswert. Meine fanatische Bewunderung wird schwankend: wenn die Anziehungskraft, die stärker ist als mein Wille, mich nicht beherrschte, würden Sie sehen, daß Ihr Einfluß abgenommen und Ihr Zauber verloren hat … Bei Ihnen, Nebo, erzeugt das Gewimmel von Ideen dieselbe Täuschung des Augenmaßes wie bei der Frau der Wirrwarr der Eindrücke. Ihr schrankenloser Horizont zerstreut Ihre Hellsicht; die Frau ist nicht so kompliziert, wie Sie denken, und es bedarf nicht vieler Worte, um sie gründlich zu erklären … In einem Buche sucht die Frau den Verfasser: wenn sie ihn nicht darin findet, wenn das Werk unpersönlich und vor allem ungeschlechtlich ist, vibriert die Leserin nicht. Nennen Sie mir eine Frau von Geist, die keinen Liebhaber hatte; während die Zahl der großen Männer, die ohne Geliebte auskamen, bedeutend ist, auch außerhalb der Heiligen. Suchen Sie auch den Grund, der die Kleinstädterin zu einer Hyäne macht, gegenüber der Frau, die jene geschlechtliche Huldigung empfängt, die nur durch den Blick spricht. Liegt der Grund nicht in einer Wut der Verdammten, denen die Liebe untersagt ist? Die weibliche Tugend beruht nur auf der Erwägung, sich für den künftigen Geliebten zu bewahren. Die Freundschaft, die eine Frau für einen Mann empfindet, und hätte die Frau weißes Haar oder liebte sie ihren Gatten, hat stets einen Charakter von Eifersucht. Nichts hemmt die geschlechtliche Strömung, mein Mentor; und wenn Sie dieser Strömung folgen, können Sie eine Diotima erlangen. Ein Heiliger macht heilige Frauen: etwas Göttliches steigt herab, eine Gnade, die reinigt. Daß eine andere diese Gnade nicht genießen wird, dieser Gedanke hilft reinigen. Aber, mein schöner Kardinal, das Kleid macht nicht den Heiligen, noch das Geschlecht, weil ich das tue und sage, was Sie tun und mir sagen müßten.
Niemals hatte die Prinzessin so lange und mit einer solchen Beherrschung des Ausdrucks gesprochen.
– Sie machen mir Ehre, meine Schülerin; indem ich das anerkenne, löse ich alle Folgerungen Ihrer lichtvollen Behauptungen. Wem schulden Sie die Rettung Ihres Stolzes und den Anstand dieses Gespräches? Dieser Metaphysik, welche die Sprünge einer sich tödlich verletzt fühlenden Eitelkeit durch ihre überlegene Kraft beruhigt! Die Götter küssen sich auf den Stichen von Giulio Romano; ein größerer Künstler hätte sie einander nur betrachten lassen. Weil ich das Gefühl, das uns verbindet, erleben will, beseitige ich, auch wenn es schmerzt, die übereilten und edlen Streiche einer noch heilig unwissenden Jungfrau aus der Verkettung der Gefühle und deren traurigen Reaktionen. Sie empfinden es sehr wohl, Paula, daß mehr Liebe in meinem Rückzug als in einem Angriff liegt. Wäre es Ihrer würdig, daß ich Sie in alltäglicher Weise besitze? Was würden wir einige Minuten später sein? Wir sind mehr wert als Liebhaber und Geliebte!
– Wer sagt Ihnen, daß ich darein willigen würde, jetzt, nachdem ich weiß, daß Sie die Heirat fliehen wollen? Ihre Geliebte werde ich nicht sein!
– Elohim, Mächte des Himmels, erhöret diese Worte und laßt sie niemals ableugnen! rief Nebo, die Arme zum glühenden Gebet erhebend.
Das Feuer und die Aufrichtigkeit des jungen Mannes machten die Prinzessin bestürzt. Alle ihre Ideen verwirrten sich: sie hatte die Vision eines absurden Lebens gezügelter Begierden, mit Gesprächen als Nahrung, die bald entnervend, bald unpersönlich, immer schmerzlich sein würden. Erschreckt durch eine Perspektive, die ihrem Herzen und ihrem Körper gleich unmöglich schien, richtete sie sich auf und rief dieses närrische Geständnis:
– Und was dann?
Diese drei Worte warfen ein solches Licht auf die Situation, daß Nebo seinen Blick senkte, ohne überzeugend antworten zu können. Er wurde kälter in seiner Haltung, indem er darauf rechnete, daß die Prinzessin, wenn er schwieg, über die leidenschaftliche Schamlosigkeit ihres Ausrufes nachdenken und aus der Fassung geraten würde; durch diese Verwirrung begünstigt, würde er den Angriff wieder aufnehmen.
– Oh, es ist schändlich, mich zum Aeußersten zu bringen, daß ich alles vergesse, was ich mir schuldig bin.
Das junge Mädchen schluchzte, aufrecht stehend, an eine Truhe gelehnt.
Nebo konnte diesen Anblick nicht ertragen, er zog sie an sich.
– Ich will nicht, daß Sie leiden, Paula.
Als der Platoniker sie umarmte, als sie seinen warmen Körper unter dem roten Gewande fühlte, durchlief sie ein Schauer; sie öffnete nicht die Augen, als fürchte sie, daß diese Seligkeit nur ein Traum sei; sie drängte sich mit einer furchtsamen Begierde an ihn, mit der unruhigen Zärtlichkeit eines Hundes, der Furcht hat, daß man ihn zurückstößt.
Diese so demütige Bewegung eines so stolzen Wesens ließ die Tränen in Nebos Augen kommen.
Sie sah sie weinen, diese immer strengen Augen, sie sah sie durch ihre eigenen Tränen hindurch; ihr schönes Antlitz an der Schulter des jungen Mannes verbergend, murmelte sie:
– Ich bin sehr glücklich … aber ich will nicht, daß Sie weinen … lieber will ich leiden …
Er antwortete nur damit, daß er ihr Taschentuch nahm und ihr das Gesicht mit zärtlicher Hand trocknete.
– Paula, geliebte Seele, höre mich, sagte er sehr sanft. Wollen Sie bis in den Tod mein Herz als Zuflucht und meine Schulter für Ihre Träumerei? Oder fordern Sie einfach von mir eine Trunkenheit weniger Monate, nach der ich verschwinden werde.
Sie klammerte sich instinktiv an ihn.
– Du, verschwinden! Was sollte dann aus mir werden?
– Wähle also, o Psyche.
– Ich will nur das, was ich habe, sagte sie, ihr gerührtes Gesicht wieder aufrichtend: Beim Schlage deines Herzens vom Himmel träumen.
Zum Erstaunen Nebos löste sie sich langsam, schmerzlich aus seiner Umarmung.
– Sieh, sagte sie mit dem schönen Ausdruck einer verliebten Königin, ich löse selbst eine so süße Umarmung, die ich glaubte entbehren zu müssen, als sie mich überraschte; ich nehme von dir nur das, was du willst! Bin ich nicht weise? Bist du zufrieden? Und da ich in der Erregung, in der wir uns befinden, etwas von deinem Willen aufs Spiel setzen könnte, mein Meister, habe ich den Mut, fortzugehen.
Nebo ergriff ihre Hände, sah sie lange an und sagte mit langsamer und tiefer Stimme, in der sich alle Schwingungen seines Wesens drängten:
– Ich liebe dich.
Paula warf ihm strahlend, glückselig die Arme um den Hals; schon wollten ihre Lippen die des Geliebten berühren:
– Noli me tangere, soror. Rühre mich nicht an, Schwester; nach Johannes 20, 17.
Das junge Mädchen ließ ihre Arme mit einem großen Seufzer zurücksinken.
Als sie den Vorhang auf der Schwelle hob, warf sie, um ihre Traurigkeit unter einem Schelmenstreich zu verbergen, mit beiden Händen einen Kuß Nebo zu, der sie mit Verehrung betrachtete.
– Sie haben ihn nicht erhalten, mein Bruder, und doch habe ich ihn Ihnen gegeben!
Ohne sich zu rühren, horchte der Platoniker auf das Rauschen ihres Kleides, wie sie die Treppe hinabstieg. Als die eiserne Pforte knarrte, breitete er die Arme aus und sprach, um es sich selbst zu versichern, mit starker Stimme:
– Ich bin noch der Meister, ich bin stets der Magier! König Anteros! Anteros (anti, griech. gegen), der gegen die Liebe kämpfende Genius.
Das Gebet Nebos
Segnet meinen Stolz, Elohim der Erhabenen!
Ich habe den Berg erstiegen, wo Deine Blitze auf die Flanke der Wolken schreiben; ich habe mein Ohr mit dem Getöse des Donners erfüllt, und vor Deinen Blitzen hat mein Auge nicht gezuckt.
Vom Sturm getrieben und vom Regen gepeitscht, mich am Felsen mit Blut befleckend, aber mich nicht ergebend, habe ich den Schrecken des erhabenen Sinai besiegt, um mich auf die Knie zu werfen, allein und Dir näher.
Nicht mehr die große Herde der Menschen blöken hörend, nachdem ich das Band zerschnitten habe, das uns an die schreckenerregende Zahl der Adler fesselt, die einzigen lebenden Wesen unter den Gipfeln: habe ich mich niedergeworfen, Jehova, erwartend, daß der Busch feurig werde oder daß ein Engel erscheint, um mit mir zu kämpfen.
Aber der wilde Dornbusch hat sich nicht entzündet, und ich habe nur mit der Ferse der Verachtung eine Schlange bekämpft, die mein Gebet ausgezischt hat.
Und dann bin ich herabgestiegen, rückwärts schreitend, immer auf ein Wunder hoffend!
Im Tale lästerten die Menschen, um den unsauberen Baphomet Baphomet, Götze der Tempelherren, mit zwei Köpfen, von Schlangen, Sonne und Mond umgeben. tanzend; ich habe mich in meinem tiefen Stolze gesammelt, demütig unter Deiner Verachtung, Jehova, aber die Welt verachtend.
Segnet meinen Stolz, Elohim der Erhabenen.
Segnet meinen Geiz, Elohim der Schätze.
Ich habe meine Liebe vor den Dieben der Erde bewahrt, ich habe sie nicht den erniedrigenden Händen der Frauen und jungen Männer anvertraut. Dem Kult der Astarte Strindherg, Rausch: »Auf deinem Altar, Astarte.« habe ich nichts bewilligt; meine Seele ist ein geschlossenes Kästchen, darinnen Düfte schlafen.
Mit meinen Lippen geizend, bleibt der Purpur königlich; mit meiner Zeit geizend, die ich nötig brauche, um das Gewand der Wissenschaft zu weben, das mit Pentagrammen Goethe, Faust: »Das Pentagramma macht dir Pein?« bestickt ist.
Mit meinem Blute geizend, dieser Tinte für Deinen Namen, den ich eines Tages in kolossalen Buchstaben schreiben werde, um die Völker und die Welten zu erbauen.
Wenn ich für das irdische Treiben nichts gegeben habe, weder mit dem Herzen noch mit dem Körper, so liegt das daran, daß eine Stimme mich ruft und mir sagt: »Bewahre dich, bewahre dich rein und schön für die himmlische Hochzeit.«
Und ich habe Asche auf das Feuer meines Herzens gelegt, um Dich, Herr, in Deiner Unversehrtheit zu bewahren; den wunderbaren Garten meiner unsterblichen Seele, wo der göttliche Keim, von Tränen begossen, Zweige von unvergleichlichem Grün getrieben hat, würdig, Deine Schritte zu bestreuen, wenn Du eines Tages an mir vorübergehst.
Segnet meinen Geiz, Elohim der Schätze.
Segnet meine Wollust, Elohim der Lüste.
Meine Mannbarkeit wurde für mich das Erwachen zum Geheimnis; seitdem ich erschauerte, ein fordernder Korybant Priester der Kybele, der phrygischen Liebesgöttin., verfolgte ich mit meinen Begierden die himmlischen Chöre.
Isis, Isis, Isis! Ich habe deine Schleier zerrissen und deine überirdische Nacktheit hat mich nicht befriedigt, ich habe vor Verlangen geweint und zu den Wolken geschrien: »Ich will das Schwert, ich will den Becher, ich will den Seckel Seckel, hebräische Silbermünze. und den Stock.« Ein Arbeiter der Wissenschaft, der ich meine Nächte widmete, habe ich die Natur schroff gebändigt, und die Mannhaftigkeit meines suchenden Geistes hat sich in den Schoß der Verwandlung versenkt.
Meine Inbrunst für das Ideale hat, in die Vergangenheit zurückgehend, die Gräber vergewaltigt, wo die Wunder schliefen, und meine Schändung hat die jüngsten Ideen erkannt, die sich erst im neuen Jahrhundert entwickeln werden.
Glorreiche Erzengel, ganz mit Licht bewaffnet, wundervolle Leibwache Gottes, euch liebe ich; und euch suche ich im Umhertappen eines Herzens, das sich vor Ekel zusammenkrampft.
Am Tage des Gerichts, himmlische Androgyne, wenn man meinen Namen aussprechen wird, werden vielleicht eure Herzen, eure Frauenherzen schlagen.
Segnet meine Wollust, Elohim der Lüste!
Segnet meinen Neid, Elohim der Wünsche.
Ich habe die Könige verachtet und ich habe die Reichen verleugnet; denn ich trage die Mitra mit drei Kronen und besser als ein Goldschmied kann ich das Gold prägen. Und all den Tand menschlicher Auszeichnungen, den Herrscher und Volk vergeben, habe ich wertlos genannt.
Doch haben die furchtbaren Erinnyen niemals so heftig gezürnt als mein emporschießender Neid.
Ich beneide, ich beneide die Toten, die von Gott geliebten Toten, deren Gräber sich übernatürlich erhellen.
Diese Besieger der Nacht, die, obgleich verschwunden, noch glänzen und, da sie nicht mehr lebend sind, eucharistisch Colombe eucharistique, Gefäß in Form einer Taube, in dem man in der ältesten Zeit das heilige Abendmahl (die Eucharistie) aufbewahrte. werden. Ihre Zeit verkannte sie; das Kind warf Steine auf diese frommen Pilger; die Frauen bekreuzten sich, da sie fanden, daß sie häßlich aussahen; die Männer zuckten die Achseln und sagten: »Das ist ein Narr, das ist ein Bettler.« Aber die Kirche hat »heilig« gesagt, die Menschheit »Genie« und die Völker werden von einem Zeitalter zum andern kommen, um auf ihren Knien den Stein des Grabes zu polieren.
Oh! ja, ich beneide euch, meine katholischen Helden, euer ist der schöne Teil, weise Aristokraten. Seine Schritte durch das Ausspucken der Menge bezeichnen lassen und dann, mit dem letzten Schritt, ins Licht fallen, um zum Himmel aufzusteigen und ein Stern zu werden, der sich an der Sonne rächt.
Segnet meinen Neid, Elohim der Wünsche.
Segnet meine Leckerhaftigkeit, Elohim der köstlichen Speisen.
Ich habe keinen Hunger auf Fleisch; ich habe keinen Durst auf Wein! Die schönen Becher, ach, bleiben leere Becher und die edlen Schmause werden niemals angerichtet.
Belsazar! Belsazar! du warst nur ein Lüstling! Von den Lippen Daniels Peladan, Weibliche Neugier (Das Fest des Belsazar). strömten die köstlichen seltenen Speisen: denn er sprach von Gott, von seinen geheimen Absichten, der Nahrung der Großen und dem Getränk der Starken.
Alle Früchte der Erde den Irdischen, das ist recht. Doch ich nähre mich von weit leckereren Dingen: von dem, was der Allerhöchste vergessen, von dem, was die Heiligen übriglassen. Unter der Tafel von Christi Abendmahl, auf dem Lager von Platos Symposion, neben dem Sessel des Faust, bei dem Kruge des Heiligen bin ich der verhungerte und geduldige Sammler: wenn der Abend gekommen ist, esse ich stolz einen Bissen Geheimnis.
Meine Leckerhaftigkeit ist der Art, daß ich nach der Aussage der Kirchendiener und meines Bischofs die Hölle verdiene, wenn ich in die schwarze oder weiße Magie hinabsteige, um meine Weide zu suchen.
Die Dominikaner in Spanien hätten mich verbrennen lassen, denn im indischen Buche wie auf dem Berge Nebo sucht meine Prosa nach Beute; denn ich habe zum Werkzeug in der Nacht der Zeiten, als Sammler von Texten, das Zinn eines Jupiter; ich bin ein Schlemmer der Wahrheit, und ich pflücke sie, wo ich sie finde; ja, mein Hauptlaster ist, mich vorm Unbekannten zu Tisch zu setzen, mich vom Ideal zu nähren.
Segnet meine Leckerhaftigkeit, Elohim der köstlichen Speisen.
Segnet meinen Zorn, Elohim der Heftigen.
Auf der Pilgerfahrt des Lebens hat mein Stock weder die Hunde noch die bellenden Pharisäer getroffen; ich habe weder den Dorn noch den Kieselstein verflucht, die mich verletzten; dem Winterwind zulächelnd, habe ich dem Nächsten seine ganze Freveltat erlassen.
Aber wenn die Peleschtim meinem Jesus fluchen, wenn die Edomiter einen Propheten martern, und die Mänaden einen Sänger, so werde ich gegen die Gotteslästerer und Bilderstürmer meine Stimme erheben, möchte den Donner ertönen lassen.
Verwünscht seien die Rohen, und verwünscht die Entarteten. Wer das Ideal antastet, tastet das heilige Sakrament an; jede Schönheit erläutert das Evangelium und das Genie erklärt Gott.
Tempelherren, Tempelherren, Riesen der Barmherzigkeit, deren Schwert einen Blitz von Patmos hervorbringt, ihr habt diese dreimal heiligen Leidenschaften gekannt, die ein Geist des Lichtes in sich kochen fühlt, wenn die schreienden Esel die Kirchen beschmutzen und ein Krötenvolk seine Orpheus beleidigt. Ihr hattet das Wort und das Schwert, ihr waret der Gedanke und der Arm. Erstehet wieder, erstehet wieder, und möge ein wenig Gerechtigkeit die Sonne erstaunen lassen. Wann wird der Pilger, der in eine Stadt einzieht, Kaliban gehängt sehen?
Segnet meinen Zorn, Elohim der Heftigen.
Segnet meine Trägheit, Elohim der Anstrengungen.
Wie eine vom Himmel verbannte Lilie, erhebe ich bei seinem Tau meinen Kelch; ich habe nur eine Pflicht der Schönheit.
Selbst ein Schmuck des Paradieses, kann ich weniger auf der Erde sein. Gott hat mich nicht für die schlechte Menschheit geschaffen, welche die Blumen nutzbar machen möchte; er hat gesagt: »Du wirst ein Symbol der reinen Hochmütigen, der keuschen Stolzen sein.« Die Dichter, die es wissen, grüßen mich im Vorbeigehen mit einem Verse, und die Frauen, die sich meinem Blick darbieten, schmollen dem Geliebten: ich bin die Kerze der Flora, die königliche Kerze, die man bricht, die sich aber niemals beugt.
So habt ihr recht, o meine unglücklichen Brüder, Dichter und Denker, große vom Himmel gefallene Lilien, zu diesen in unfruchtbarer Bewegung befindlichen Ameisen, die euch des Müßigganges anklagen, zu sagen: »Wir haben eine erhabene Mission, wir sind aus dem glänzenden Paradiese in die Welt der Häßlichkeiten gesandt; um eure Augen von der Schwärze der Kohle und des Uebels auszuruhen, sehet unsere purpurnen Seelen.«
Aber die Kohle und das Uebel verschaffen ihnen Gold; und Gold bedeutet Wein und Frauen; die verachteten Lilien strahlen einsam, treu ihrer Pflicht, schön zu sein.
So, bedauernswerte und unglückliche Menschheit, erhebe ich, fern von dir, zum Tau des Himmels, mein Gehirn, diesen Kelch, wo das reine Gold ewige Ideen stempelt.
Segnet meine Trägheit, Elohim der Anstrengungen.
Herr, die sieben Sünden, welche die sieben Gaben geworden sind, stellen mich als vollkommen an den Pranger; und ich leide in der Tat sieben Male mehr als ein Mensch.
Und je mehr ich von der Wirkung zur Ursache steige, und je mehr ich von meinem Ballast im Gehen zurücklasse, um so mehr blutet mein hochschlagendes und klagendes Herz.
Machet das Kreuz schwerer, aber lasset Veronika die Tränen des Kranken trocknen; verlängert den Weg des Leidens, doch möge eine heilige Frau mich im Vorbeigehen küssen; lasset mich vier Male fallen, weil das die Vorbestimmung zur Seligkeit ist, aber erlaubt mir die Cyrenerin. Zur Stunde, da die Judas ihren Erwecker verkaufen werden, möge sich wenigstens an mein Herz der blonde Kopf eines heiligen Johannes legen.
Für meinen leidenden Stolz ein Wesen, das mich bewundert.
Für mein ganz von Liebe geschwelltes Herz diese Ausdehnung.
Für mein Androgynentum eine Geliebte von engelhaftem Geschlecht.
Für meine Lust zum Heiligen eine Jungfrau, die ich behüte.
Für meine Gier nach dem Reinen die köstliche Speise der Schwester.
Für meine erbitterte Seele diese Erfrischung.
Für die Muße meines Herzens dieses ruhmreiche Werk.
Vater, Ewiger Vater, einem unglücklichen Sohne gewähre diese Schwester, die er zu Deiner Tochter machen wird!
Das Gebet Paulas
Sollte es wahr sein, großer Gott, daß dieses Flügelschlagen, das ich in meiner Seele fühle, nichts weiter ist als ein feiger und rebellischer Flug des Triebes, den Du bestrafst?
Sollte es wahr sein, guter Gott, daß mein Blut Dich beleidigt, weil es schneller fließt, wenn ich an die Liebe denke?
Ist es denn eine Sünde, zum Leiden zu sagen: »Laß mich zwei sein, um nicht schwach zu werden?«
Ist es denn eine Sünde, die Hände zu vereinen, wenn wir sie zu Dir erheben?
Der Kuß, aus dem zwei durchs Leben niedergedrückte Wesen wieder Glauben an die Zukunft holen; die Umarmung, die uns mit Kraft umgürtet; der Zauber eines schönen Blicks: diese Almosen des Herzens, die man empfängt und die man gibt, o Gott der Barmherzigkeit, verachten Dich nicht.
Bevor Du Dein schwaches Geschöpf verdammst, verdamme doch Deine Werke, Schöpfer! Sage Deinen Sommernächten, ihre Sterne auszulöschen; den Düften, zu schweigen; den Brisen, aufzuhören. Verbiete der Pappel, ihr Klagelied zu singen; dem Wald, durch die Reize des Schattens zu bezaubern; dem Bach, durch sein Gemurmel zu erschlaffen: eine Unbeweglichkeit des Todes breite sich aus, dann wird unter dem kalten Himmel meine entmutigte Stimme, die ohne Echo bleibt, schweigen!
Aber, solange die Natur wie eine ungeheure Lyra nur Töne der Liebe widerklingen läßt; solange unsere Schlaflosigkeiten an den fahlen Morgen nicht so bitter sein werden als unsere Tage; solange die Poesie, die himmlische Seherin, uns keine andern Tröster als die fieberhaften Träume zeigen wird; solange die Seele im höchsten Entzücken ein Paradies sehen wird, in dem die Zweieinigkeit an den Erzengel grenzt, wo die Geliebte zur Schwester wird – werde ich nicht die Kraft haben, die grausam unfruchtbare, mir das Herz zu töten.
Gib mir eine Seele, die mich liebt: und ich werde Dich lieben. Ich möchte, daß sie sehr schön sei, und werde sie unter denen wählen, die Dein göttlicher Geist entflammt.
Du mußt mich begreifen, hast Du mich doch geschaffen: ja, wenn ich weine, muß ich in andere feuchte Augen sehen.
Gib mir Nebo, und ich werde weise sein um die Chöre Deiner Ewigkeit zu entzücken. Um zu verdienen, daß Du mich erhörst, werde ich alle Tage meinem Herzen die irdischen Sorgen, die gemeine Prosa meines Geistes verbieten.
Ich will schön sein für den Heißgeliebten, Herr! schön sogar vor Deiner Majestät.
Ich werde meine Stirn mit so seltenen Gedanken bekränzen, ich werde mein Herz mit solchen Reinheiten erhellen, daß mein Körper seine Flügel ausbreiten wird, Schwanenflügel, die nach dem Azur streben.
Du wirst über diesen Schmuck lächeln, da man sich so im Himmel kleidet, und Du wirst zu Johannes, dem geliebten Jünger, sagen: »Gebt diesem Geschöpf, dessen kühnes Verlangen den Himmel erklimmt, ein wenig Liebe.«
Und durch diese Liebe werde ich Flamme gewordene Frau bis zu den Strahlen Deines Thrones steigen!
Von den Gemeinheiten des Lebens, von der Zunge meiner Freundinnen, vom Tier und von der Dummheit: befreie mich.
Von den niedrigen Begierden, von der flachen Alltäglichkeit, von der Unruhe der Nächte, vom Gewicht der Stunden: mache mich frei.
Vor dem Zweifel an der Vorsehung, vor der Sünde der Verzweiflung, oh, behüte mich.
Mache mich zur Herrin meiner Stimmung, beruhige meinen unruhigen Eifer und schaffe Heiterkeit über den Abgrund, über den sich mein Gedanke neigt, bereit, zu fallen, wenn Deine schönen Engel nicht kämen, ihn zurückzuhalten.
Erspare mir, mich mit Wollust ohne Liebe zu beschmutzen, und schließe die Wunden, die das Leben mir geschlagen hat. Die Megäre, die Kupplerin unseres Willens, erschlafft ihn und liefert ihn zuweilen den schrecklichen Vorübergehenden aus.
Ich werde mein Kreuz tragen, doch öffne mir Deinen Himmel; damit ich die Belohnung ahnen kann. Erhellt von Strahlen, die reinigen, werde ich auf Dich zuschreiten, die Augen auf die Augen Deiner Engel gerichtet, die dem gleichen, glaube ich, dem ich begegnet bin.
Empfange meinen Gedanken, der als unglückliche Schwalbe an die Scheibe Deines schönen Paradieses klopft.
Weil Du es erlaubt hast, daß die arme menschliche Seele der ewigen Sünde nicht ausweichen kann! Und weil Du sie, frei für die Lästerung, zwischen den Wegen Deiner Ewigkeit hast wählen lassen.
Nun denn, blicke mich an: siehst Du Dich gerächt?
Die Schrecken des Abschieds, die Sehnsucht der Trennung, umarmen, den man haßt, und fliehen, den man liebt, sind das nicht, sage mir, genügende Qualen? Was könntest Du erfinden, das ihnen gleichkommt?
Wie einst Magdalena, so werde ich diesen Becher mit bitter vergossenen Tränen auf Deine durchbohrten Füße ausgießen; und ich werde dort bleiben, eine unermüdlich Betende, die Arme stets geöffnet und das Herz hartnäckig. Nichts wird das beharrliche Gebet Lügen strafen. Du schuldest meinem Glauben ein Wunder, meiner langen Hoffnung eine Barmherzigkeit, und meinem entflammten Herzen eine himmlische Liebe.
Du liest in uns und Du weißt, daß sie heilig ist, die Stunde, in der man sich dem Heil eines andern weiht. In einem gegenseitigen Sühnopfer werden wir uns darbieten, er und ich, zu zweien die Sünde unserer Leben büßend, um zusammen gen Himmel zu fahren oder zusammen zu fallen.
Diese Liebe, die Dir, o Christus, gewidmet ist, laß sie mich einem Sterblichen geben, den sie stärkt.
Ohne ihn, ein Kind der Welt und ein trüber Geist, werde ich Dich nicht sehen; doch unsere Vereinigung bringt ein Licht hervor, das mir die Knie beugt.
Laß mich Dich suchen im Herzen des Geliebten, Jesus! Und mich auf ihn stützen, um bis zu Dir hinaufzusteigen!