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Waffenstillstand und Friede.

Die Entwicklung der Ereignisse in Afrika bestimmte England die deutschen Bedingungen für Bewilligung einer Waffenruhe anzunehmen; und wollte Frankreich sich nicht der Gefahr aussetzen, unter einer konzentrischen Offensivbewegung, deren Ring sich vom Mittelmeer bis zum Ozean um das letzte Drittel französischen Bodens immer enger zusammenschloß, zermalmt zu werden, so blieb ihm ebenfalls keine andere Wahl. Die Verhandlungen in Bordeaux nahmen daher einen raschen Fortgang. Zwar waren die deutschen Bedingungen hart und schlugen der gallischen Eitelkeit tiefe Wunden. Doch der Verlauf des Krieges, die steten Niederlagen hatten Frankreich zu der Einsicht geführt, daß es als Schauplatz dieses Riesenkampfes unter seinen Folgen bei weitem am meisten zu leiden gehabt hatte. Die Franzosen waren kriegsmüde und die Erbitterung gegen eine Regierung, die das Land an den Abgrund der völligen Auflösung geführt hatte, ließ die Kabinettskrisis zu einer dauernden Erscheinung werden. Glücklicherweise war der süße Pöbel der Hauptstadt, der immer noch auf die Unbezwingbarkeit der Riesenfestung Paris pochte, durch die deutsche Zernierung der Millionenstadt isoliert und von jedem Einfluß auf die Verhandlungen in Bordeaux abgeschnitten. Er demonstrierte zwar gegen den Abschluß des Waffenstillstandes durch Straßenexzesse, fand sich aber schließlich mit der vollzogenen Tatsache ab. Die Magenfrage siegte über alle Regungen nationaler Eitelkeit. Spanien und Portugal waren finanziell ruiniert und sagten willenlos zu allem Ja und Amen. So folgte der Waffenruhe von 14 Tagen der Waffenstillstand, der im Vertrage von Bordeaux unter folgenden Bedingungen abgeschlossen wurde.

England tritt an Deutschland ab: die Walfischbai und Sansibar.

Deutschland erhält ferner die portugiesischen Besitzungen Angola und Benguela und das zentralafrikanische Gebiet nördlich der bisherigen Grenze von Deutsch-Südwestafrika und des Laufes des Sambesi, der fortan die Grenze zwischen dem deutschen und englischen Besitz bildet. Demzufolge fällt Portugiesisch-Ostafrika südlich des Sambesi an England. Außerdem erhält Deutschland das westliche Drittel und Frankreich das östliche Drittel Marokkos als Interessensphäre. In Mogador oder einem andern Hafen der Westküste darf Deutschland eine befestigte Kohlenstation errichten.

Italien erhält Tripolis bis zur ägyptischen Grenze und als Entschädigung für seine Ansprüche auf Albanien die Insel Kreta.

Frankreich tritt Nizza an Italien ab.

Der Kongostaat wird unter Deutschland, England und Frankreich zu gleichen Teilen aufgeteilt.

Die portugiesischen Besitzungen in der Sundasee fallen an England, Deutschland erhält dafür ganz Neuguinea.

Mit dem Königreich der Niederlande wird der nördliche Teil des ehemaligen Belgiens nach Maßgabe der Sprachgrenze vereinigt. Der südliche Teil fällt an Frankreich. Luxemburg wird deutsch. Die Niederlande treten in ein näheres staatsrechtliches Verhältnis zum deutschen Reiche.

Die portugiesischen Besitzungen in Vorderindien fallen an England.

Für den Verlust Ungarns wird Österreich durch Macedonien entschädigt. Die Struma bildet die Grenze gegen den Rest des türkischen Gebietes. Saloniki wird somit österreichisch.

Die Befestigungen der Dardanellen und des Bosporus werden geschleift. Das Schwarze Meer ist fremden Kriegsschiffen verschlossen. Russische Kriegsschiffe dürfen die Meerenge passieren. Die Türkei räumt Palästina. Das Land wird unter österreichischen Schutz gestellt.

Alle genaueren Bestimmungen bleiben dem Berliner Kongreß vorbehalten.

Alle gekaperten Schiffe werden – so weit sie nicht zerstört sind – den Eigentümern zurückgegeben. Die Bestimmungen über Kaperei und Seerecht werden auf dem Berliner Kongreß neu geregelt.

England und Frankreich zahlen eine Kriegsentschädigung von je 5 Milliarden Mark. England garantiert die Zahlung der auf Frankreich entfallenden Raten. Nach den eingehenden Raten räumen die Truppen der verbündeten Mächte den französischen Boden, ebenso werden die Kriegsgefangenen ausgewechselt.

Am 7. November 1906, an demselben Tage, da vor hundert Jahren General Blücher in dem kleinen Pfarrhaus von Ratekau die Kapitulation seines Heeres mit den Worten unterschrieb: »Ich kapituliere, weil ich kein Geld, keine Munition und keine Patronen mehr habe,« wurde die Ratifizierung des Waffenstillstandes auf beiden Seiten ausgetauscht und die Waffen ruhten.

Durch den Waffenstillstand, der den Frieden bereits in sich schloß, war die englische Mittelmeerflotte in den Stand gesetzt, sofort mit ihren Operationen vor Alexandrien und Port Said zu beginnen. Das Bombardement von Alexandrien am 16. November und die gleichzeitige Beschießung von Port Said vertrieb die ägyptischen Heeresabteilungen und mit der Landung dreier Regimenter, die von Malta herangezogen wurden, faßte England wieder festen Fuß auf afrikanischem Boden. Nun begann der unendlich mühselige und opferreiche Feldzug, in dem das englische Heer langsam das Niltal aufwärts rückte.

Am 7. November dröhnten vor Wilhelmshaven, vor Cuxhaven und vor der Kieler Föhrde von neuem die Geschütze der englischen Flotte und weckten ein Echo in den deutschen Küstenbatterien. Aber den Schüssen folgten nicht wieder die gewohnten hochaufspritzenden Wassersäulen draußen auf der weiten Meeresfläche und die schwarzen Rauchwolken vor den Schanzen am Strande. Der Kanonendonner grüßte einen seltenen Gast, der auf deutscher Erde fast fremd geworden war, er grüßte den Frieden.

Von allen Türmen läuteten die Glocken und man besann sich wieder darauf, daß der Mensch noch zu anderer Arbeit geschaffen war, als automatisch an den Zerstörungswerkzeugen des Krieges zu schaffen, daß das Ohr noch andere Töne in sich aufzunehmen im stande war, als den Donnerhall der Geschütze, dem man angstvoll dreiviertel Jahr lang gelauscht. Man fühlte sich wieder frei wie der Gefangene, der seine Ketten zerrissen vor sich am Boden sieht.

Am 7. November fiel der erste Schnee des Jahres, dicht und unablässig vom Morgen bis zum Abend. Auf den Straßen warfen sich spielende Kinder mit Schneebällen, ein allgemeines Freuen zog wieder ein in die Herzen, und selbst ernste Männer, die im hastigen Geschäftsschritt über das Pflaster eilten, sah man sich bücken und lustig einen Schneeballwurf erwidern. Es war ja Friede, und man konnte es sich schon einmal erlauben, in fröhlicher Lust am kindlichen Spiele teilzunehmen. Es war ja Friede! Unablässig rieselten die weißen Flocken herab und eine weiße Decke verhüllte alles Land, als wollte sie allen Jammer und alle Not der letzten Monate mitleidig dem Auge verhüllen. Nur die schwarzen Trauerkleider, die in allen Familien – es war ja keine verschont geblieben – das Alltagskleid geworden, mahnten noch an die Zeit des Schreckens und der unsäglichen Verluste.

Frohen Herzens begrüßte man in Cuxhaven das Herannahen eines großen Dampfers der Amerika-Linie, der am Kai des Hafens anlegte. Man glaubte es ja kaum, daß hier noch einmal ein friedlicher Handelsdampfer seine Trossen festmachen würde, und fast ungewohnt schien ein paar Arbeitern dieses Tun. Und doch war die »Patricia« noch nicht zu friedlichem Werke erschienen. Sie sollte als erster deutscher Transportdampfer deutsche Truppen nach Südafrika bringen. Denn jetzt galt es schnell dafür zu sorgen, daß den in Bloemfontein eingeschlossenen Helden Entsatz gebracht wurde, und hinter der »Patricia« lag – ein seltsames Zusammentreffen der Namen – die »Pretoria«. Sie lud Eisenbahnmaterial zur Wiederherstellung der zerstörten Bahnlinien.

Die englische Flotte vor Cuxhaven hatte am 8. November, nachdem sie den Abschiedssalut mit dem Fort Kugelbake getauscht, Dampf aufgemacht und war am Horizont verschwunden. Die See war frei, aber die See war leer. Die stählernen Geschwader, die einst sich im blutigen Kampfe mit dem Feinde gemessen, die stolzen Panzergeschwader Kaiser Wilhelms, sie lagen fast alle am Grunde des Meeres. Die See war leer, denn von ihr war durch den Feind die deutsche Flagge getilgt und Tausende ruhten unter den Wogen nach treuer Pflichterfüllung im ewigen Schlafe. Am 8. November ging der Lotsendampfer »Kapitän Karpfanger« wieder hinaus und legte die Tonnen und Seezeichen, und ein Torpedoboot schleppte die Feuerschiffe wieder hinaus, die wie vergessene Dekorationsstücke bis dahin in einem Hafenwinkel gelegen, nun aber dem friedlichen Handelsverkehr seine Wege wieder weisen sollten. Langsam passierten die vier rotgestrichenen Schiffskörper, mit frohen Zurufen von der »Alten Liebe« begrüßt, Cuxhaven und langsam entschwanden sie in der dicken Schneeluft dem Auge, westlich der Stelle, wo das riesenhohe Wrack des französischen Linienschiffes »Bouvet« und weiter hinaus das des englischen Panzers »Ocean« die drohenden Sandbänke verriet. Dicht und unablässig versanken die weißen Schneeflocken in der grauen Meerflut. Gegen Abend tönte von draußen her der brummende, langgezogene Ton einer Dampfpfeife; das erste Handelsschiff erschien und gegen 6 Uhr passierte der über die Toppen beflaggte norwegische Dampfer »Sigurd Jarl« die Alte Liebe.

Hilfe naht.

Draußen auf weitem Meere durchfurchten jetzt die Kiele der Transportschiffe, geleitet von den Kreuzern Englands und Deutschlands, die Wogen des Ozeans. Durch Sprengungen war es den Engländern gelungen, acht Tage nach der Einnahme von Port Said die Wracks im Suezkanal zu beseitigen, und den Kanal wieder passierbar zu machen. Mehrere Dampfer des Österreichischen Lloyds und die beiden Schiffe der Ostafrika-Linie »Kaiser« und »Kanzler«, die in Triest beim Ausbruch des Krieges auf der Rückfahrt von Afrika Zuflucht gesucht und dort jetzt die ersten deutschen Truppentransporte für Ostafrika und Kapstadt an Bord genommen hatten, verließen Ende November Suez. Jetzt ging die Fahrt entlang der ostafrikanischen Küste. Schweigend lag die italienische Somaliküste im Morgenglanze der aufgehenden Sonne. Das Meer war ruhig, unablässig arbeiteten die Maschinen und trieben die mit Truppen gefüllten Dampfer eine Seemeile um die andere ihrem sehnsüchtig erwarteten Bestimmungsorte entgegen. Jetzt war man in Sicht von Mombas, wo noch die englischen Verteidiger gegenüber dem Ansturm der arabischen Horden stand hielten. Der begleitende Kreuzer, die italienische »Liguria« hißte, als man sich der Küste näherte, zum Gruß den Union Jack im Vortopp und donnerte seinen Salut nach Mombas hinüber. Mit scharfen Gläsern hielt man Ausschau nach der Stadt. Als die englische Flagge über einem Gebäude entdeckt wurde und weiße Rauchwolken auf einem kleinen Erdwall unweit der Küste aufstiegen und der Wind den Schall einiger Kanonenschüsse herübertrug, brach auf den Transportschiffen, an deren Steuerbordreeling sich Kopf an Kopf drängte, ein ungeheurer Jubel los und man grüßte die wackeren Verteidiger von Mombas mit donnerndem Hurra. Die »Liguria« setzte ihre Boote aus und ließ sie durch ihre Pinasse mit einer Besatzung von 300 Mann von den Transportdampfern an Land schleppen, denen im Laufe des Tages noch große Sendungen von Munition und Proviant folgten. So war Mombas gesichert und weiter gings nach Süden zu.

Am anderen Morgen tauchte die deutsch-ostafrikanische Küste auf. Dort wo die brandenden Wellen einen zerstörten Schiffskörper umspülten, dort wo weiße Häuserruinen am Strande erkennbar waren, dort mußte Tanga liegen. Die Transportdampfer blieben weiter seewärts, nur die »Liguria« ging näher an die Küste heran, hißte das Kriegsbanner des Deutschen Reiches und sandte aus ihren Buggeschützen ihren Salut hinüber. Doch kein Ton antwortete vom Lande, alles Leben war erstorben. Zwischen den weißen Mauern der Häuser von Tanga lagen die letzten deutschen Verteidiger längst erschlagen von der Wut eines unerbittlichen Feindes. Die »Liguria« ging wieder seewärts und langsam ließen die Transportschiffe ihre Maschinen wieder angehen. Tiefe Niedergeschlagenheit herrschte an Bord, dumpf rollte der Donner des Trauersalutes über die blauen Wogen des Ozeans, während die Flaggen auf Halbmast sanken, ein letzter Gruß den treuen deutschen Männern, die dort in Tanga ihr Leben geopfert.

Und weiter ging die Fahrt nach Süden. Vor Dar-es-Salam warfen die Transportschiffe Anker, die »Liguria« dampfte wieder dem Lande zu, vor der Stadt gefechtsklar machend. Die Pinasse des Kreuzers wurde aber vom Ufer aus mit einigen Schüssen empfangen. Nun eröffnete die »Liguria« ein viertelstündiges Bombardement auf Dar-es-Salam, worauf die Araber einige Häuser, u. a. das Gouvernementsgebäude, in Brand steckten und sich landeinwärts zogen, so daß die Landung der italienischen Marinesoldaten ungehindert von statten gehen konnte. Am Nachmittage befanden sich 500 deutsche Soldaten wieder im Besitze des Ortes. Zwei Truppentransportdampfer blieben vor dem Hafen liegen, den die deutsche Besatzung in der Stärke von 2000 Mann zunächst in verteidigungsfähigen Zustand setzte. Am anderen Tage trafen zwei englische Kanonenboote von Sansibar vor dem Hafen ein und blieben dort stationiert als Rückhalt für die deutschen Truppen. Und so ging es weiter. Überall, wo noch Küstenplätze gehalten wurden, sorgte man für die Verstärkung und Neuverproviantierung ihrer Verteidiger. Alle anderen Streitkräfte wurden nach Kapstadt dirigiert, wo Ende Dezember eine stattliche Streitmacht versammelt war, die nunmehr auf der Bahnlinie, an deren Wiederherstellung unablässig gearbeitet wurde, einen Vorstoß nach Norden zum Entsatz von Bloemfontein unternehmen konnte. Alle Weißen, vor allem die Verteidiger der von den Kaffern bedrängten rasch nacheinander entsetzten Städte des Kaplandes schlossen sich der Armee an. Ende Januar war der größte Teil des Kaplandes wieder im Besitze der deutsch-englischen Armee und es ist bekannt, daß am 27. Januar die ersten Abteilungen der Entsatztruppen für Bloemfontein die Stadt erreichten, deren Verteidiger inzwischen auf knapp 10 000 Mann halbverhungerter Männer zusammengeschmolzen waren. Dieser Erfolg brach die Widerstandskraft der Kaffernarmee, gegen die nunmehr ein konzentrischer Angriff in der Oranjefluß-Kolonie und in Transvaal begann, der immerhin noch viele Opfer forderte, dessen Ausgang aber nicht mehr zweifelhaft sein konnte.

Eine fieberhafte Spannung herrschte an Bord der »Kaiserin Augusta« als man die flache Küstenlinie bei Swakopmund in Sicht bekam. Mehrere Schüsse aus den 15-cm-Geschützen sollten den Verteidigern des Ortes das Nahen der Hilfe schon von weitem verkünden. Und stürmischer Jubel machte sich in lauten Hurrarufen Luft, als man in grauem Dunste den Leuchtturm erkennen konnte und über ihm des Reiches Flagge noch wehen sah. Auch hier war es hohe Zeit, daß Hilfe kam. Die Hereros hatten Swakopmund unablässig bedrängt und einige Erdschanzen vor der Stadt waren ihnen bereits in die Hände gefallen. Jetzt hatte die Not ein Ende, und das Erscheinen eines Landungskommandos, das sofort die ausgemergelten Verteidiger ablöste, genügte, um die Hereros zum Zurückgehen zu veranlassen. Dann wurde die Wiederherstellung der Eisenbahn mit dem mitgebrachten Schienenmaterial in Angriff genommen und um Weihnachten konnten unsere Ablösungsmannschaften in Windhuk bereits das Christfest feiern. Ein Vorstoß in der Richtung auf Mafeking, an der militärischen Feldbahn entlang, der zum Entsatz von Bloemfontein auch von dieser Seite unternommen wurde, kam allerdings zu spät; Bloemfontein war entsetzt, als zwei deutsche Regimenter am 1. Februar die Bahnlinie Bloemfontein-Johannesburg erreichten.

Im fernen Osten.

Der Europäermord in den chinesischen Hafenplätzen, in den Städten am Jangtse und auf den Missionsstationen im Innern des Reiches forderte ungezählte Opfer. In den meisten Fällen verbarrikadierten sich die weißen Kaufleute und ihre Angestellten – alle nationalen Gegensätze wurden von der äußeren Gefahr selbstverständlich sofort zum Schweigen gebracht – in ihren Häusern und verteidigten sich bis zur letzten Patrone. Die in den schier unermeßlichen Scharen der Gelben durch das Kleinkaliber gerissenen Lücken wurden stets sofort wieder ausgefüllt, durch neue Bedränger, die wie ein jäher gelber Schlammstrom aus allen Straßen und Winkeln zwischen den Häusern hervorquollen. Fielen die Ersten, so wurden ihre Leichen zur Brustwehr für die dahinterstehenden Reihen. Wo es den fanatisierten chinesischen Horden gelang, Europäer lebend zu fangen – meist draußen auf den einsamen Missionsstationen, wo die mutigen Verkünder des Evangeliums von der Gefahr plötzlich überrascht wurden – endeten sie unter den Händen der chinesischen Henkersknechte, unter bestialischen Martern und Qualen, wie sie nur eine überreizte Phantasie erdenken konnte. Solche Ereignisse straften den frommen Glauben derer Lügen, die gemeint hatten, die Religion der Liebe sei im stande, die wilden Instinkte der mongolischen Rasse zu mildern. Es erwies sich, daß die Bekehrungsarbeit unter den Chinesen immer nur ein äußerlicher Akt geblieben war und daß das Taufwasser an dem durch Jahrtausende gezüchteten Rassencharakter von heute auf morgen nichts zu ändern vermocht hatte. Der dünne Kulturlack sprang sofort ab, und der Chinese blieb, was er stets innerlich gewesen war, ein blutgieriger, raffiniert grausamer Bursche, ohne jede Regung von Mitgefühl für seine Opfer, mochte er nun zu Buddha beten oder vor dem fremden Christengott die Knie beugen. Nach wenigen Wochen war das Schicksal sämtlicher kleinerer europäischen Handelsniederlassungen besiegelt und nur in den größeren Hafenstädten vermochte man sich in den Settlements noch mit Aufbietung aller Kräfte zu verteidigen.

Die diplomatischen Verhandlungen zwischen Berlin, London und der französischen Regierung führten dazu, daß man sich mit der russischen Regierung verständigte. Da das englisch-französische Geschwader in Ostasien durch die Entsendung mehrerer Schiffe nach Europa erheblich reduziert worden war, reichten dessen Streitkräfte bei weitem nicht aus, um die europäischen Quartiere in den Küstenstädten zu schützen. Man landete jedoch in Schanghai, in Canton und in anderen Städten einige Marinemannschaften und so war es möglich, diese Plätze wenigstens vorläufig zu halten. Die noch in Tientsin stehenden internationalen Streitkräfte wurden ebenfalls vom Geschwader aus verstärkt. Deutsche, französische, englische und russische Soldaten standen als treue Kameraden neben einander auf den Schanzen, und zwar ohne daß erst ein entsprechender Befehl aus der Heimat abgewartet wurde. Als Basis für diese Streitkräfte im Norden dienten die Taku-Forts. Die zweifelhafte Haltung der chinesischen Regierung machte es notwendig, das befestigte Gesandtschaftsviertel in Peking zu räumen und das ganze diplomatische Korps nach Taku zurückzuholen, was nur nach schweren Kämpfen und unter Aufbietung aller verfügbaren Streitkräfte gelang.

Auf das gemeinsame Ersuchen der europäischen Mächte erklärte sich Rußland bereit, sein in Wladiwostok liegendes Geschwader zum Schutze der Europäer in China zur Verfügung zu stellen. Es dampfte nach Süden ab und stationierte einige Schiffe auf der Reede von Taku, während zwei große Kreuzer »Gromoboi« und »Diana« im Hafen von Schanghai eintrafen. Ihnen folgten zwei Transportschiffe von Wladiwostok, die eine größere Truppenabteilung an Land setzten. Außerdem gestattete Rußland, daß ein internationales Korps die sibirische Bahn bis Wladiwostok benutzte, da der Transport auf dem Seewege zu lange gedauert hätte. Diese internationalen Truppen langten im Dezember in Wladiwostok an und wurden von dort auf großen Handelsdampfern nach Schanghai befördert. Von russischen und englischen Flußkanonenbooten geleitet, fuhren die Transportschiffe zunächst den Jangtse aufwärts, um die paar Plätze, in denen sich die Europäer noch hielten, zu entsetzen. Und es war höchste Zeit, daß hier Hilfe gebracht wurde. Als ein russisches Kanonenboot Hankau erreichte, wehte über dem zusammengeschossenen Fremdenviertel noch die deutsche und englische Flagge, und am Ufer lagen die beiden kleinen deutschen Flußkanonenboote »Tsingtau« und »Vaterland«.

Diese beiden Schiffe waren einst durch den Ausbruch des Krieges auf dem Jangtse halbwegs zwischen Schanghai und Hankau überrascht worden. Die chinesische Regierung, der es großes Vergnügen machte, hier ungestraft einmal die fremden Teufel chikanieren zu können, forderte die beiden Schiffe durch den Kreuzer »Pao-Min« auf, entweder den Jangtse zu verlassen und von Schanghai aus seewärts zu gehen, dem englischen Geschwader entgegen, oder in Schanghai auf die Dauer des Krieges abzurüsten. Die deutschen Schiffsführer hatten zwischen der zwecklosen Aufopferung von Schiff und Mannschaft und der Abrüstung zu wählen und entschieden sich für das letztere. Zähneknirschend gab man die Maschinenventile, die Verschlüsse der kleinen Schnellfeuerkanonen und die Gewehre an einen feisten grinsenden chinesischen General ab und ging dann unter die Bewachung der Mongolen, die sich immer mehr zu einer Gefangenschaft herausbildete.

Als nun der Wettersturm losbrach, öffneten die deutschen Matrosen ohne weiteres das chinesische Arsenal, wo sich ihre Waffen befanden, holten sie heraus und setzten die Schiffe wieder in stand. Dann bemächtigten sie sich einer ausreichenden Menge von Lebensmitteln und legten Beschlag auf einen chinesischen Kohlendampfer, aus dem die Kanonenboote ihre Bunker füllten. Unter dem Hurra der am Bund versammelten europäischen Einwohner von Schanghai ging es dann den Jangtse aufwärts an Nanking, das während der Nacht passiert wurde, vorüber nach Hankau zu, über dessen Schicksal man seit Abschneidung der telegraphischen Verbindung in das Innere nichts mehr gehört hatte. Die letzte Depesche enthielt eine dringende Bitte um militärischen Schutz gegen die revoltierende Bevölkerung des Ortes.

Die europäischen Bewohner Hankaus hatten sich in einem großen langgestreckten Yamen am Uferkai verbarrikadiert und leisteten bereits zwei Wochen lang einen fast hoffnungslosen Widerstand. Die Lehmmauern des Yamens lagen schon in Trümmern und die Gewehrkugeln der mongolischen Angreifer hatten das Häuflein der Engländer furchtbar dezimiert. Keiner von ihnen war mehr unverwundet. Bei einem nächtlichen Vorstoß war die Hälfte des Yamens in die Hände der Mongolen gefallen, und als der Morgen nach der Schreckensnacht anbrach, bot sich den Blicken der letzten Verteidiger ein entsetzliches Schauspiel. Zwischen den Ruinen der niedergebrannten Häuser einer Straße in Sichtweite des europäischen Yamens machten sich die entmenschten Barbaren daran, ihre etwa zwanzig Gefangenen, darunter die Hälfte Frauen und Kinder, mit den raffinierten Foltern mongolischer Grausamkeit zu Tode zu quälen. Unter großen, mit Öl gefüllten Kesseln wurden riesige Feuer entfacht, und wer mit den Einzelheiten chinesischer Justiz vertraut war, wußte wozu diese Kessel bestimmt waren. Um die Qual der armen Gefangenen abzukürzen, feuerte man aus dem Europäer-Yamen fortwährend unter die Gruppe der Gefangenen, ohne Rücksicht darauf, daß hierdurch der Vorrat an Patronen verhängnisvoll zusammenschmolz. Es war eine teuflische List der Gelben, auf diese Weise mit den Gefühlen der belagerten Engländer rechnend, sie zu einer Munitionsverschwendung zu verführen.

Da stürmte durch eine Bresche in der Mauer des Yamen ein englischer Großkaufmann und rannte, das Gewehr in der Rechten, gerade auf den Feind zu, gefolgt von acht Landsleuten, die auf diese Weise durch einen Gewaltvorstoß hofften, ihre Frauen und Kinder aus den Händen der blutgierigen Kanaillen befreien zu können. Ein Hagel von Gewehrkugeln schlug um die kleine Gruppe der Vorstürmenden ein; ihr Schicksal gegenüber von Tausenden Chinesen, die in stoischer Ruhe die paar Leute herankommen ließen, konnte nicht ungewiß sein. Es war Wahnsinn, aber drüben lagen ihre Frauen gefesselt unter der gelben Horde.

In diesem Moment dröhnte vom Strom her ein Kanonenschuß. Die angreifenden Engländer waren ebenso erstaunt wie ihre Feinde, als die Lehmmauer eines Hauses unter dem Pulverblitz einer berstenden Granate in sich zusammensank und alsbald mehrere schwere Geschosse durch die dichten Reihen der Mongolen blutige Furchen zogen. Gleichzeitig ließ der dumpfe Ton zweier Dampfpfeifen auf dem Flusse die fast verzweifelte Besatzung des Yamens erkennen, daß hier Hilfe herankam. Mitten auf der breiten Fläche des Jangtse dampften die beiden deutschen Kanonenboote heran, und nahmen mit ihren Schnellfeuergeschützen und Maschinengewehren die Chinesenstadt unter ein sehr wirksames Feuer. Unter dem Eindruck der nahenden Hilfe machten jetzt alle Europäer aus dem Yamen einen Ausfall und es gelang ihnen, da die Chinesen in wilder Flucht davonjagten, die Gefangenen zu befreien. Ergreifende Szenen spielten sich dann am Uferkai ab, als eine kleine Abteilung deutscher Matrosen an Land stieg und in das Yamen einrückte. Um die überlebenden Europäer an Bord zu nehmen und nach Schanghai zurückzubringen, dazu fehlte es leider den Kanonenbooten an dem nötigen Raum und vor allem an den erforderlichen Kohlen und so entschloß man sich, einstweilen hier zu bleiben, bis von Schanghai aus neuer Entsatz heranrücken konnte.

Die den Jangtse aufwärts dampfenden russischen Kanonenboote und Transportschiffe versahen Hankau, Nanking und einige andere Jangtseplätze mit ausreichenden Garnisonen, so daß man der weiteren Entwicklung der Dinge jetzt ruhiger entgegensehen konnte. Die deutschen Marinetruppen hatten zwei Wochen lang in Hankau, wo die Chinesen leider nur zu gut dafür gesorgt hatten, daß keine Lebensmittel mehr in erreichbarer Nähe waren, noch einen harten Dienst gehabt. Als dann der in Manila zu Beginn des Krieges aufgelegte havarierte Kreuzer »Condor« von dort in Schanghai eintraf, wurde die Besatzung von »Tsingtau« und »Vaterland« abgelöst, worauf sie mit einem englischen Dampfer in die Heimat geschickt wurde. Ihr schneidiges Vorgehen hatte in England so lauten Enthusiasmus erregt, daß die englische Regierung in Berlin das Ansuchen stellte, die Besatzung der beiden Kanonenboote möchte, wenn sie auf der Heimfahrt in Portsmouth einträfe, einige Tage lang Gast der Londoner Bevölkerung sein, eine Bitte, der man in Berlin selbstverständlich bereitwilligst entsprach.

Japan.

Eine große Enttäuschung bereitete Japans Haltung während des Krieges allen denen, die da geglaubt hatten, die politische Entwicklung werde allein durch Bündnisverträge und papierne Urkunden bestimmt. Die englische Regierung hatte sich durch das Bündnis mit Japan auf der gegen Rußland gerichteten Front eine gewisse Rückendeckung geschaffen. Da dieses Bündnis sich nur auf Ostasien bezog, war es klar, daß seine Paragraphen für den europäischen Krieg zunächst nicht in Betracht kamen. Immerhin hatte man gehofft, daß Japan sich nach englischem Muster »wohlwollend neutral« verhalten würde. Ausschließlich in dem Gedankengang europäischer Politik sich bewegend, hatte man den japanischen Egoismus und den Rasseninstinkt der Vormacht der mongolischen Völker zu niedrig eingeschätzt. Stellte man diesen in Rechnung, so bot Japans Verhalten allerdings keinen Grund, irgendwie erstaunt zu sein. Einzelne deutsche Schiffe hatten japanische Häfen aufgesucht und diesen wurde von der japanischen Regierung verboten, während der Dauer des Krieges die betreffenden Häfen wieder zu verlassen. Ob sie hier lagen oder draußen von englischen Kreuzern vernichtet oder abgefangen wurden, blieb sich in seiner Wirkung vollkommen gleich, es waren kaltgestellte Figuren auf dem Schachbrett des Welthandels.

Ein japanisches Geschwader kreuzte während der ersten Wochen des Krieges an der chinesischen Küste und der japanische Kreuzer »Naniwa« beobachtete auf der Reede von Tsingtau die Vernichtung des kleinen deutschen Geschwaders, um dann nach Sasebo heimzukehren und dem Tenno schadenfroh zu melden, daß Kiautschou aufgehört habe eine deutsche Pachtung zu sein und daß ein unbequemer Konkurrent in Ostasien von der Bildfläche verschwunden sei. Dann kamen die ersten Nachrichten über die Tätigkeit japanischer Agenten in Indien, dem französischen Hinterindien, in Singapore und an der ganzen chinesischen Küste. Die Bewegung unter den Eingeborenen und vor allem ein Aufstand in Französisch-Indochina zwang die kriegführenden Mächte ihre Seestreitkräfte, soweit sie nicht nach der Heimat zurückbeordert wurden, in den kolonialen Häfen stationiert zu halten. Auf französischer Seite erinnerte man sich jetzt zu spät, daß man einst die Gefahr unterschätzt hatte, als während des russisch-japanischen Krieges japanische Agenten ganz Indochina bereisten und dort Millionen von Flugschriften und Bilderbogen verteilt hatten, auf denen in phantastischer Form dargestellt war, daß wie jetzt die Japaner die Moskowiter geschlagen, so in Zukunft die Heere des Tenno auch mit allen europäischen Eindringlingen aufräumen würden. Diese damals ausgestreute Saat stand jetzt in den Halmen. Das englisch-japanische Bündnis war wie ein Klang aus längst verschollenen Zeiten.

Durch die Festhaltung der europäischen Seestreitkräfte in den Kolonien war man außerstande, die Tätigkeit japanischer Emissäre auf dem Kontinent verhindern zu können. Wohl kamen aus Schanghai, aus Tientsin, Peking und anderen Städten Meldungen, die die Schuld an der immer stärker anschwellenden Bewegung unter den Chinesen fast ausschließlich der japanischen Wühlarbeit zuwiesen, doch hatte man keine direkten Beweise in Händen, und in London hütete man sich, unbequeme Anfragen nach Tokio zu richten. Man beobachtete nur und schwieg. Wohl aber dämmerte in England die Erkenntnis auf, daß das englisch-japanische Bündnis ein Verrat an der Zukunft der weißen Rasse gewesen sei. Als dann die von europäischen und japanischen Offizieren gedrillten chinesischen Regimenter, mit europäischen Waffen ausgerüstet, heranrückten und die ersten Gefechte auf chinesischem Boden stattfanden, wurden unter den Toten auf der Walstatt Dutzende von japanischen Offizieren aufgelesen.

Dann erst wurde der englische Gesandte in Tokio beauftragt, der japanischen Regierung ernste Vorstellungen zu machen. Drohen konnte man nach den Verlusten der Flotte vor Helgoland nicht mehr, wollte man sich von den Gelben nicht auslachen lassen. Es war natürlich kein Zweifel, daß die Erhebung der mongolischen Rasse das Werk der Japaner war, die sich jedoch vorsichtig im Hintergrund hielten. Die Antwort in Tokio zeugte davon, daß man sich dort in die europäische Diplomatie gut eingelebt hatte, sie lautete: Gewiß, es befänden sich wohl einzelne japanische Offiziere im chinesischen Heere, doch seien sie aus der japanischen Armee vorher ausgeschieden. Für jedes japanische Offizierspatent, welches bei einem gefallenen Japaner auf chinesischem Boden gefunden werde, mache sich die japanische Regierung anheischig eine Million Pfund als Entschädigung zu zahlen. – Es wurde selbstverständlich nie ein solches Offizierspatent gefunden, was bei der mongolischen Schlauheit kein Wunder war. Weiter hieß es in der japanischen Erklärung: Die Regierung sei außerstande, Leute, die nicht mehr dem japanischen Heere angehörten, und aus Sympathie für ein befreundetes und stammverwandtes Volk sich an einigen Kämpfen beteiligten, zur Rechenschaft zu ziehen. Oder habe England etwa Deutschland den Krieg erklärt, als es auf den südafrikanischen Schlachtfeldern deutsche Offiziere gefangen genommen hätte. Man hatte viel gelernt in Tokio.

Noch stehen unsere Truppen in China, noch sucht eine große internationale Armee von den Küstenstädten aus, langsam ins Innere ihre Posten vorschiebend, den verlorenen Boden wieder zu gewinnen und das an europäischer Kulturarbeit wieder aufzurichten, was die Schuttlawine des chinesischen Aufstandes erdrückt und vernichtet hat.


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