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Um 4 Uhr nachmittags am 20. März lief auf der Funkspruchsstation Helgoland ein Zifferntelegramm aus Cuxhaven ein, das den kommandierenden Admiral des auf der Reede liegenden Geschwaders über die politische Lage informierte und ihm neue Befehle übermittelte. Der Admiral begab sich von Bord seines Flaggschiffes »Kaiser Wilhelm II.« sofort an Land und hatte eine längere Unterredung mit dem Kommandanten von Helgoland. ½ Stunde später legten sich die zehn Hamburger Kohlendampfer, die sich beim Geschwader befanden, in einige Entfernung längsseits der Linienschiffe, und an den durch Stahltrossen konstruierten Schwebebahnen krochen bald die schwarzen Kohlengefäße hinüber zu den nur leise auf und nieder stampfenden Panzern, wo sie prasselnd in die schwarzen Schlünde der Bunker entleert wurden, während die Torpedoboote unten an der kleinen Mole anlegten und dort ihre Kohlenvorräte auffüllten. Gegen 6 Uhr wurden die Trossen wieder eingeholt und die Kohlenschiffe nahmen ihren Weg nach der Richtung von Cuxhaven, bald im abendlichen Dämmerlicht nur noch als eine braune Rauchwolke am Horizont erkennbar.
In der ruhigen See wiegten sich die grauen Leiber der fünf Panzer der »Wittelsbach«-Klasse neben ihnen der »Kaiser Wilhelm II.« und etwas seewärts die Kreuzer »Friedrich Karl« und »Prinz Adalbert« mit ihren drei schlanken Schloten. Weiter draußen, einen Halbkreis nach Westen bildend, lagen die vier Kreuzer »Gazelle«, »Medusa«, »Niobe« und »Nymphe«. Die scheidende Sonne überstrahlte den abendlichen Himmel mit gelben und glutroten Farben, die sich auf der leise wogenden Meeresflut in schimmernden Reflexen widerspiegelten. Fortwährend wurden zwischen dem Lande und dem Admiralsschiff, sowie zwischen diesem und den einzelnen Schiffen des Geschwaders, Signale gewechselt. Als im Abenddämmern die Winkflaggen nicht mehr zu erkennen waren, blitzten oben zwischen den Signalmasten die farbigen, elektrischen Lichter als feuerige Funken auf, einen steten Kontakt zwischen dem Kommandanten und seinen Unterführern unterhaltend. Die Schiffe des Geschwaders waren die einzigen Punkte, die das eintönige Graugrün der Meeresfläche unterbrachen. Nur ganz fern im Norden steuerte ein schwarzer, niedriger Frachtdampfer, an den hellen Flächen auf seinen Vorder- und Hinterdeck als Holzdampfer erkennbar, nach Südwest, offenbar ein Schiff, das von dem drohenden Unwetter noch keine Nachricht erhalten hatte und friedlich seinen Weg fortsetzte, der einzige lebende Punkt in der weiten Wasserwüste. Die Bewohner der Insel standen in dichten Scharen oben an der steinernen Brüstung der Falm, von dort aus mit scharfen Gläsern den Horizont absuchend.
Unten am Marinepier lagen die sechs schwarzen Hochseeboote »S.114« bis »119«, taktmäßig auf der ans Ufer drängenden breiten Dünung sich an der Mole hebend und senkend. Kapitänleutnant Westerkamp betrat jetzt, vom Oberlande kommend, begleitet von den Führern der anderen Boote, eiligst die Mole, verabschiedete sich mit kurzem Händedruck von seinen Kameraden und ging an Bord von »S.114«. Im Schatten des hohen Felsenufers von Helgoland lagen die sechs Boote fast schon in vollkommener Dunkelheit, und die wenigen Neugierigen, die von dem Doppelposten am Strande vor der Mole zurückgehalten wurden, vermochten nur wenig von dem zu unterscheiden, was an Bord der Torpedoboote vor sich ging. Daß dort aber rege Tätigkeit herrschte, konnte man daran erkennen, daß huschende Schatten die rotglühenden Deckslichter bald verdeckten, bald wieder freigaben. Allmählich aber ward alles ruhig, die Wache ging in hallenden Schritten auf den Decksplatten auf und nieder und alles Leben schien auf den schwarzen ernsten Schiffen erstorben.
Um dieselbe Zeit konnte man oben von der Falm aus und von der am meisten nach Südwest vorgeschobenen Batterie des Oberlandes ein merkwürdiges Schauspiel beobachten. Nur ein dunkelroter Streifen, der die düsteren Regenwolken, die sich am westlichen Horizont zusammengeballt hatten, in ihren unteren Konturen noch scharf erkennen ließ, zeigte die Stelle, wo die Sonne untergegangen war. Eine frische Brise von Westen war aufgesprungen und schlug die Drähte des Signalmastes der Funkenspruchstation hart aneinander. Es lag wie Gewitterstimmung in der warmen Luft. Das Licht des steinernen Leuchtturmes brannte diese Nacht nicht mehr, das erste Zeichen des Kriegszustandes. Da blitzte es plötzlich im Südwesten auf wie fernes Wetterleuchten, und weiße Lichtgarben schossen plötzlich aus der Wasserfläche empor, dreimal, viermal, in kurzen, unregelmäßigen Zwischenräumen, lautlos aussprühend wie Raketenfeuer. Plötzlich zuckten auch vom Leuchtturm aus mehrere Blitze, den westlichen Teil der Insel mit weißem Licht übergießend. Dann war mit Gedankenschnelle diese stumme Lichtsprache wieder verschwunden und die Dunkelheit schlug über diesem Feuerwerk wieder zusammen, nur in dem kleinen Gebäude der Funkenspruchstation prasselten und knatterten die elektrischen Funken, die Mitteilung an den kommandierenden Admiral weitergebend, daß das Kreuzergeschwader Wilhelmshaven um 4 Uhr nachmittags verlassen habe und, jetzt auf der Höhe von Helgoland befindlich, seinen Weg entsprechend der dem Admiral bekannten Befehle nach Norden fortsetze.
Um ½8 Uhr betrat Kapitänleutnant Westerkamp wieder das Deck des Torpedobootes »S. 114«. In die Tür des niedrigen Signalhauses tretend, hielt er seine Uhr gegen das Licht der kleinen Laterne an der Steuermaschine. »½8 Uhr«, sagte er leise zu dem Mann an der Maschine, schloß die Tür hinter sich und ergriff den Hebel des Maschinentelegraphen. Unten im Maschinenraum rasselten die Klingeln und kurz darauf warfen die dicken Schlote der Boote schwere Rauchwolken aus. Die Trossen wurden gelöst, noch ein Signal an die Maschinen und lautlos verließen die Boote ihren Liegeplatz, sofort von der Dunkelheit verschluckt, in der einige Minuten später zwei grüne Funken wie gierige Raubtieraugen erglühten, von der Stelle, wo das Admiralsschiff lag, mit einem anderen Glühsignal beantwortet.
Helgoland war gesichert gegen jeden unvermuteten Überfall. Während das Geschwader südöstlich der Insel liegen blieb, bildeten die Kreuzer in weiter Entfernung einen Halbkreis um die Insel und zwischen ihnen hielt eine Reihe vorgeschobener Torpedobootposten scharfe Wacht. Die von Kapitänleutnant Westerkamp befehligte Division hatte den Auftrag, in der Richtung auf den Kanal aufzuklären, während die Panzerkreuzer »Prinz Adalbert« und »Friedrich Karl« in derselben Richtung Fühlung mit dem Feinde suchen sollten, dessen Herannahen in dieser Nacht bereits zu erwarten war. Die einzelnen Schiffe standen durch Funkspruch miteinander in Verbindung, so daß jede Nachricht sofort auf der ganzen Postenkette bekannt werden konnte.
Gegen Mitternacht befand sich die Division des Kapitänleutnant Westerkamp, mit 25 Knoten Geschwindigkeit die Wogen durchrasend, etwa auf der Höhe von Terschelling. Kein Lichtschimmer, keine Laterne verriet den Weg der schwarzen Schiffe. Um den messerscharfen Bug sprudelte das dunkle Wasser, helle Schaummassen bis zum Wellenbrecher emporwerfend. Kapitänleutnant Westerkamp befand sich unten in der Offiziersmesse, dort auf der Seekarte den Weg der Division eine Seemeile um die andere verfolgend. Leise nur drang das taktmäßige Stampfen der Maschine, die den ganzen Schiffskörper in harten Schwingungen vibrieren ließ, aus dem Maschinenraum zu ihm herüber. Die Division hatte den Befehl, den Feind, falls er schon unterwegs angetroffen werden sollte, ohne weiteres anzugreifen. Würde man den Feind nicht finden, so hatte die Division den Befehl, bei Tagesanbruch auf die beiden Panzerkreuzer zurückzufallen und abends wieder vorzugehen, um womöglich in der Nacht noch die englischen Kriegshäfen zu erreichen und, wenn eine Gelegenheit günstig, feindliche Schiffe überraschend anzugreifen.
Gegen Mitternacht zog sich Kapitänleutnant Westerkamp seinen Ölrock an und begab sich, die schmale, steile Treppe emporklimmend, wobei schon die starken Schwankungen des Bootes infolge heftiger werdenden Seeganges, deutlich zu spüren waren, wieder an Deck.
Es war eine finstere, sternenlose Nacht. Schon wenige Meter vom Schiffe aus verschwamm alles in absoluter Dunkelheit und nur das an diese bereits gewöhnte Auge vermochte links und rechts die beiden zur Seite fahrenden Boote als schwebende Schatten zu erkennen. Gurgelnd und schäumend verschwanden die von leichten Schaumstreifen gekrönten Wogen in rascher Fahrt hinter dem Schiffskörper, der auf ihnen eine graue Bahn rauschender Schaumblasen zurückließ. Die hinteren drei Boote vermochte man in der Finsternis, die wie aus Stahlblöcken gefügt wie eine Wand vor den Augen stand, nicht zu erkennen. Das taktmäßige Schlagen der Maschinen und ihre dumpfen Kolbenstöße waren der einzige, rings vernehmbare Laut. Im Feuerraum flogen die Kohlen Schaufel um Schaufel in die glühenden Öffnungen der Kesselfeuerungen. Der hochgespannte Dampf surrte und brauste in den Ventilen und wie am offenen Höllenrachen sah man die schwarzen Gestalten der Heizer in dem rotglühenden Lichte arbeiten, sobald die Feuertüren sich öffneten, und unablässig flogen die Kohlen Schaufel um Schaufel in die Feuerungen.
Vergebens suchte man mit starren Augen die kompakte Dunkelheit zu durchbohren. Da blitzte plötzlich über Steuerbord eine weiße Lichtgarbe auf, ganz fern die wogende Meeresfläche mit bleichem Lichte überziehend und nach Sekunden wieder verlöschend: War das Freund oder Feind? Überall rasselten die Klingeln der Maschinentelegraphen. Die Fahrt wurde auf 28 Knoten erhöht. Einen Moment drängten sich die Boote auf einen Haufen zusammen, um dann strahlengleich nach vorwärts auseinander zu schießen, jedes das andere aus dem Gesichtskreis verlierend. Der Wind pfiff frisch über die dunkle Seefläche, und jetzt, wo man die Wogen schräg vom Backbord bekam, platschten wuchtige Spritzer über Deck. Kapitänleutnant Westerkamp übernahm nunmehr das Kommando seines Bootes selber und hielt nach der Stelle, wo der Blitz des Scheinwerfers die Anwesenheit fremder Schiffe verraten hatte. Und weiter pflügte der schwarze Schiffsleib und die peitschenden Schrauben das schwarze Meerwasser.
Da erschien vorn übers Steuerbord ein huschender Schatten, der den Weg von »S.114« kreuzte. Zwei Minuten später und man passierte einen grauen, kaum bemerkbaren Schaumstreifen, der den Weg eines feindlichen Bootes flüchtig markierte. Die erste Postenlinie des Feindes war passiert. Alle Pulse flogen, fest und sicher aber ruhte des Führers Hand auf dem Hebel des Maschinentelegraphen. Noch ein Moment und noch einer, da stieg eine graue nach oben zackig aufgerissene Wand vor den Blicken auf, herumgerissen den Hebel, ein leiser metallener Klang von unten aus der Maschine, der Schiffskörper erbebte unter den Vibrationen, »S. 114« änderte seinen Kurs, ein wenig nach Backbord abfallend. Jetzt war man auf gleicher Höhe mit dem dunklen Schatten.
Der Leutnant stand bei den Mannschaften am ersten Torpedorohr, jetzt das Kommandosignal: »Los«, ein Riß am Abzuge und klatschend sauste der blanke Metallkörper ins schwarze Wasser. Wird der Schuß treffen, man zählte in Gedanken 100 m … 200 m … 300 m … 400 m … jetzt, da schäumte gerade aus, ganz hinten ein weißer Wasserberg auf, ein dumpfer Krach wie von zerreißendem Metall und eine glänzende Wassergarbe stieg mittschiffs des feindlichen Panzerkreuzers auf …
Da, blendende Helle, weiße Strahlengarben. Plötzlich war das Deck in grelles Licht getaucht. Die Mannschaften an den Torpedorohren erschienen wie Gespenster aus der Dunkelheit auftauchend, zwei andere Boote zur linken Seite ebenfalls in Tageshelle. Von ihr geblendet vermochte das Auge den rasch aufeinander folgenden Ereignissen kaum noch zu folgen. Rasselnde Signale, laute Kommandos, das Wasser spritzte auf und von drüben her, wo plötzlich die sich kreuzenden elektrischen Scheinwerfer eine ganze Flotte dem überraschten Blick zeigten, begann das taktmäßige Knattern der Maschinengeschütze, der Schnellfeuergeschütze. Wieder eine dumpfe Explosion, man war mitten in der feindlichen Flotte und es galt jetzt, wo der eigene Untergang gewiß, dem Feinde nach Kräften noch Schaden zu tun. Überall plumpsten die schweren Stahlgranaten ins Wasser, spritzende Geyser in die Luft schleudernd, hier und da knickten an den Lancierrohren die Mannschaften zusammen. Auf »S. 115« fehlte plötzlich ein Schornstein. Am Heck von »S. 114« platzte eine 15 cm Granate die Decksplatten aufreißend und das hintere Lancierrohr über Bord werfend. »S. 117« kämpfte nach Backbord, dort einem englischen kleinen Kreuzer von der »Pelorus«-Klasse, dessen Konturen sich gegen das Licht der hinter ihm aufleuchtenden Scheinwerfer deutlich abzeichneten, aus beiden Rohren Torpedos lancierend. Sobald die Wasserstrahlen an seiner Backbordseite aufschäumten, legte sich der Kreuzer weit über, dem Feinde sein schräges von Menschen wimmelndes Deck zeigend. Heulende Geschosse durchfuhren die Luft. »S. 118« hatte seinen Gegner zweimal gefehlt und während es die Rohre von neuem lud, faßte es einen neuen Feind ins Auge. Plötzlich fühlte die Besatzung den Boden unter sich wanken, der am hinteren Torpedorohr stehende Maat sah eine riesenhohe schwarze Wand zum Greifen nahe neben sich erscheinen, fühlte die Decksplatten unter sich zerreißen und suchte sich vergebens an der glatten, nassen Eisenwand neben ihm zu halten, aus der oben gelbe Blitze zuckten. Ein feindlicher Kreuzer war einfach über »S. 118« hinweggefahren, das Boot mitten zerschneidend und es unter sich in die Tiefe drückend. Der Maat erzählte nachher – er war der einzige Überlebende der Besatzung – er sei mit dem Boote in die Tiefe gegangen und habe im letzten Augenblick noch den glühenden Dampf der explodierenden Maschine, der von unten heraufströmte, gespürt; als er wieder an der Oberfläche erschien, fühlte er einen schweren Körper neben sich im Wasser treiben, ein Stück von der Deckeinrichtung des gesunkenen englischen Kreuzers. Hieran sich anklammernd und von seiner Korkweste getragen, habe er sich bis Tagesanbruch über Wasser gehalten, worauf er von einem englischen Torpedoboot aufgefischt wurde.
Nach einer Viertelstunde herrschte wieder tiefe Stille auf dieser Stätte der Vernichtung. Das englische Geschwader hatte zwei Kreuzer »Pelorus« und »Diadem« verloren, die fast augenblicklich gesunken waren. Der englische Panzerkreuzer »Cressy«, von einem Torpedo an der Stelle an Steuerbord getroffen, wo der Panzergürtel dicht hinter dem zweiten Mast aufhört, war mit schwerer Havarie zurückgekehrt, um im heimatlichen Dock zu reparieren. Außerdem waren zwei englische Torpedoboote, die sich gegenseitig in dem pêle-mêle angerannt hatten, gesunken. Von den deutschen Booten war nur »S. 115« fast unbeschädigt durch die englische Linie durchgebrochen, »S. 114« gelang es in der Dunkelheit nach Wilhelmshaven zu entkommen. Alle anderen Boote hatten den Angriff mit ihrer eigenen Vernichtung bezahlt. Im allgemeinen konnte man mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Die beiden Panzerkreuzer »Prinz Adalbert« und »Friedrich Carl« hatten von fern aus das Gefecht beobachtet. Außer stande bei einem so ungleichen Kampfe einzugreifen, hatten sie sich zurückziehen müssen. Sie erschienen, Fühlung mit dem Feinde behaltend, gegen 7 Uhr morgens in der Nähe von Helgoland, die durch die kleinen Kreuzer gebildete Postenkette langsam mit sich zurücknehmend. Da die elektrischen Wellen der Funksprüche sich fortwährend störten und eine Verständigung zwischen den Kreuzern und der Station in Helgoland unmöglich machten, erfuhr man erst gegen 8 Uhr in Helgoland Genaueres von dem Gefecht.
Gleichzeitig meldete der im Nordosten der Insel, auf der Höhe von Westerland stationierte Kreuzer »Kaiserin Augusta« das Herannahen des zweiten feindlichen Geschwaders und um 9 Uhr meldete ein Funkspruch, daß das Torpedoboot »S. 115« bei Sylt eingetroffen sei. Das Boot habe nach dem Nachtgefecht beim Passieren der englischen Flotte deren ungefähre Stärke feststellen können, sie bestände aus ca. 20 Schiffen und habe eine ganze Reihe von Kohlendampfern bei sich. Der Feind nahte also heran.
Am 21. März morgens 9 Uhr war für die Besatzung von Cuxhaven – der Tag war bekanntlich ein allgemeiner Buß- und Bettag – Kirchgang angesagt. Die Garnisonkirche war bis auf den letzten Platz gedrängt voll. Der Prediger hatte kaum begonnen, da tönten plötzlich von draußen her schmetternde Signalhörner und rasselnde Trommelwirbel. Auf den Straßen wurde Generalmarsch geschlagen, und während der Prediger eine Pause machte und nach den ungewohnten Tönen hinhorchte, wurde die Tür aufgerissen und jemand schrie ins Gotteshaus hinein: »Die Engländer kommen«. Keiner hörte mehr auf die Friedensworte von der Kanzel, scharfe Kommandoworte und hinaus strömten Mannschaften und Offiziere aus den Kirchtüren. Draußen wurde schnell angetreten und während die Signale aus den Straßen des Städtchens herübertönten und drüben an der Ecke ein blasender Hornist erschien, eilten schon einzelne Abteilungen der Matrosenartillerie im Laufschritt in der Richtung nach den beiden Batterien Kugelbaake und Grimmerhörn.
Aus allen Häusern traten die Bewohner mit angsterfüllten Blicken auf die Straße, anscheinend noch die Bedeutung dieses plötzlichen Alarms nicht erfassend, aber schon verbreitete sich mit Windeseile das Gerücht vom Herannahen des Feindes. Und in fliegender Hast stürzte man wieder in die Wohnungen, dort die wenigen Kostbarkeiten zusammenraffend und in der lähmenden Aufregung Dinge rettend und bergend, die des Aufhebens nicht wert waren. Noch konnte es ja Stunden dauern, vielleicht war auch der Feind schon in nächster Nähe, aber bereits begann die Einwohnerschaft von Cuxhaven die Stadt zu verlassen. Vom Hafen her dröhnten heulende Dampfpfeifen und die Sirenen der Schleppdampfer, die die Fischerboote, breite Ewer und schlankere Kutter, auf denen die Fischerbevölkerung ihre Habseligkeiten schon am Tage vorher in Sicherheit gebracht hatte, nunmehr in langen Reihen stromaufwärts zogen. Polizisten gingen von Haus zu Haus, um die Bewohner im Hinblick auf ein mögliches Bombardement zum Verlassen ihrer Wohnungen aufzufordern. Auf dem Bahnhofe wurden Züge rangiert und hastendes, nervöses Leben herrschte plötzlich in der kleinen Stadt. Allerlei Hausrat lud man auf Wagen, andere schrien sich heiser nach Karren und sonstigen Beförderungsmitteln und rangen verzweifelt die Hände, ihr Eigentum im Stich lassen zu müssen. Der Bahnhof war bald von dichten Scharen umlagert, die immer neuen Zufluß aus allen Straßen erhielten. Obgleich eine Abteilung der Hamburger Polizei alles aufbot, Ordnung in das Chaos zu bringen, entspannen sich wüste Szenen als man erfuhr, daß jede umfangreichere Gepäckbeförderung mit den schon seit dem Tage vorher bereitstehenden Bahnzügen ausgeschlossen sei. Und immer von neuem schmetterten die Signalhörner.
Eine Schar von Hamburger Herren hatte sich auf der »alten Liebe« gesammelt, von dort aus mit Ferngläsern die Reede beobachtend und die Vorgänge in den Batterien verfolgend.
Gegen 11 Uhr war der Hafen und der Strand völlig verödet. Die Straßen lagen still und menschenleer und nur vom Bahnhof herüber dröhnte das Pfeifen der Lokomotiven und Rangieren der Züge.
Aller Augen richteten sich jetzt nach dem Meere, von wo ferner Kanonendonner bereits herüber tönte. Am Horizont sah man eine Reihe von Schiffen langsam herandampfen. Zunächst kamen die beiden Küstenverteidiger »Odin« und »Hagen«, die an Cuxhaven schnell vorüberfuhren. Dann erschienen vier kleine Kreuzer draußen zwischen den Sänden, wo sonst die roten Feuerschiffe das Fahrwasser bezeichnet hatten, und dann kam die Linie der sechs Panzerschiffe langsam in die Elbmündung herein. Unter den dicken braunen Rauchfahnen, die ihren Schloten entquollen, konnte man deutlich die gelben Flammenblitze der Geschütze erkennen. Vom Feind war noch nichts zu sehen, doch zeigten die spritzenden Fontänen zwischen und diesseits der deutschen Schiffe, daß ein ernster Kampf im Gange war. Langsam zogen sich die deutschen Schiffe in die breite Elbmündung zurück, und immer lauter erscholl der Donner der schweren Geschütze. Gegen 11 Uhr erschien ganz weit draußen, noch weiter hinaus als da, wo ein grauer Schatten die Lage des plumpen viereckigen Leuchtturms von Neuwerk andeutete, eine Reihe feuersprühender Linien, über denen ein leichter blauer Rauchschleier hing: die englische Flotte. Die sechs deutschen Panzer lagen ungefähr auf der Höhe von Kugelbaake. Hinter ihnen, Cuxhaven rasch passierend, barg sich ein Schwarm von Torpedobooten. Die vier kleinen Kreuzer und die »Kaiserin Augusta«, sowie die beiden schweren Panzerkreuzer waren bereits aus dem Gefechte ausgeschieden und dampften elbaufwärts. Auf dem »Friedrich Karl« war der vordere Schornstein zerschossen, der mächtige Schlot lag, nach vornüber gebrochen, neben der Kommandobrücke. Die »Gazelle« hatte zwei große Schußlöcher dicht über der Wasserlinie. Auf der »Kaiserin Augusta« war ein Backbordgeschütz aus seiner Lafette geworfen und ragte steil in die Luft. Im übrigen waren an den Schiffen keine schweren Beschädigungen zu erkennen. Jedes einlaufende Schiff wurde von der »Alten Liebe« aus, die jetzt durch Militärposten von Neugierigen langsam geräumt wurde, mit lautem Hurra begrüßt.
Noch immer schwiegen die Geschütze der Küstenbatterien, da die Entfernung bis zum Feind noch zu groß war, auch seine Geschosse die Batterien noch nicht erreichten. Aber immer zahlreicher wurden die englischen Schiffe. Anscheinend gingen sie jetzt zum Angriff vor. Gleichzeitig steuerten die sechs deutschen Linienschiffe, in Kiellinie einander folgend, vorsichtig – offenbar durch eine Lücke in der Minensperre fahrend – an Cuxhaven vorüber und legten sich etwas stromaufwärts des neuen Hafens vor Anker.
Da flammte es in der Batterie im Fort Kugelbaake auf. Die schweren 30,5 cm-Geschütze griffen in den Kampf ein, und heulend sandte die Batterie ihren ersten Gruß dem Feinde entgegen. Der nachhallende Donner des Schusses ließ alle Fensterscheiben in der Stadt erklirren. Nur in langen Pausen fielen die Schüsse von deutscher Seite. Eine Viertelstunde später blitzte es auch zwischen den grünen Erdtraversen des Forts Grimmerhörn auf. Das Gefecht wurde diesseits nur von den Küstenbatterien geführt, während das Geschwader, dessen stärkstes Kaliber von 24 cm den Feind nicht mehr erreichte, auf diese Schußweite gezwungen war, untätig dem Artilleriekampfe zuzusehen. Der Feind war dagegen im stande, vermittels seiner zahlreichen 30,5 cm (dem gleichen Kaliber wie in den deutschen Küstenbatterien) und da seine Linienschiffe eine größere Maschinenkraft besaßen, die Einhaltung dieser Feuerdistanz zu erzwingen. Ein Vordringen unserer Linienschiffe auf die Schußweite ihrer 24 cm-Geschütze hätte sie, wenn überhaupt die englischen Panzer dann nicht zurückwichen, gezwungen, zunächst eine Strecke zurückzulegen, auf der sie der feindlichen schweren Artillerie schutzlos preisgegeben waren, zumal die Engländer, im Besitze genauer Seekarten, bei jedem Vorstoß der deutschen Schiffe die immerhin schmale Fahrrinne mit dem stärksten Kaliber energisch unter Feuer nahmen. Daher gab der Geschwaderchef den Befehl zum vorläufigen Rückzuge und ging, wie erwähnt, etwas stromaufwärts, außerhalb des feindlichen Schußbereiches vor Anker.
Inzwischen tobte der Geschützkampf mit voller Wut weiter. Alle kleineren Kaliber schwiegen, da nur das Feuer der schwersten Geschütze auf solche Entfernungen wirksam war. Immerhin folgten sich die Schüsse nur in langen Pausen, da man beiderseits bestrebt war, in Rücksicht auf die beschränkte Leistungsfähigkeit der schweren 30,5 cm-Rohre, das Material zu schonen. Sobald die »Kaiserin Augusta« die »Alte Liebe« passiert hatte, ging ihre Dampfpinasse zu Wasser, und steuerte in den Hafen hinein. Ein Offizier stieg an Land und begab sich alsbald zu dem Kommandoführer der Küstenbatterien, um ihm seine genaueren Beobachtungen über die Stärke und Zusammensetzung der feindlichen Flotte mitzuteilen. Diese stimmten im großen und ganzen überein mit der letzten Meldung, die man von der Beobachtungsstation auf dem Neuwerker Leuchtturm erhalten hatte, bevor eine feindliche Granate dessen Laterne und den Signalapparat zerstörte. Nur waren von Neuwerk aus noch vier schwere Panzer gemeldet worden, mit merkwürdig hohen Aufbauten, also Schiffe, die nicht zu der charakteristischen niedrigen Form englischer Linienschiffe paßten. Demnach befand sich bereits eine französische Panzerdivision bei der englischen Flotte. Sie umfaßte wie sich später herausstellte, die französischen Linienschiffe »Charlemagne«, »Gaulois«, »St. Louis« und »Bouvet«.
Während das Fort Kugelbaake weniger zu leiden hatte, fiel die erste auf Fort Grimmerhörn gerichtete feindliche Granate mitten in die Batterie, und mit mathematischer Genauigkeit gezielt, folgten mehr als ein Dutzend weiterer Geschosse. Reihenweise sanken die Kanoniere dahin, und zwischen den nur durch Erdtraversen, aber durch keine Panzerung geschützten Kanonen räumten die feindlichen Granatsplitter in grauenvoller Weise auf. Immer neue Mannschaften ersetzten die Gefallenen, die zu blutigen Fleischklumpen zerhackt, ein entsetzliches Ende gefunden hatten. Die Podeste hinter den Geschützen waren von Blut und Fleischfetzen schlüpfrig, auf ihnen handhabten die dem Verderben schutzlos preisgegebenen Artilleristen maschinenmäßig mit sehnigen Armen die Ladevorrichtungen und schoben ein Geschoß nach dem anderen in die heißen Rohre. Schuß um Schuß erschütterte die Luft und in dem Höllenspektakel des eigenen und des fremden Feuers konnte man sich nur pantomimisch verständigen.
Um 2 Uhr war die Hälfte der Geschütze in Grimmerhörn außer Gefecht gesetzt. Bei zwei Rohren waren die Liderungen durch hineinspritzenden Sand und Steinstücke undicht geworden. Ein anderes Geschütz war durch einen seitlichen Volltreffer auf die Lafette aus seiner Stellung geworfen worden, und hatte einige Artilleristen mit seiner schweren Masse unter sich zerquetscht. Das Innere der Batterie bot ein scheußliches Bild der Verwüstung. Blutige Fleischmassen in verbrannte und zerrissene Uniformfetzen gehüllt und rauchende Blutlachen da, wo eben noch lebende Menschen gestanden. Eine Sanitätsabteilung schleppte unter dem feindlichen Feuer von Granatsplittern umsaust, einige Schwerverwundete in die bombensicher eingedeckten Räume. Aber ohne Zaudern traten neue Ersatzmannschaften aus dem Innern des Forts auf die Ladepodeste, unablässig brüllten und donnerten die Geschütze zwischen den Erdtraversen hervor, die allmählich, von krepierenden Geschossen zerwühlt, ihre regelmäßigen Formen verloren und zu grauen Erdhaufen wurden.
Draußen auf der Reede schoben sich die dunklen Silhouetten der englischen Panzer immer enger zusammen. Der Feind feuerte nur aus den vorderen Türmen mit dem schwersten Kaliber und drängte langsam in einem Halbrund immer näher gegen die Elbmündung vor, den deutschen Verteidigern so seine bestgeschützte Stirnseite zukehrend. Aus den grauen Schiffskörpern, deren Signalmasten und hohen Schornsteine (teilweise paarweise nebeneinander gestellt, daran die »Majestic-Klasse« erkennen lassend) jetzt deutlich zu unterscheiden waren, zuckten und sprühten unaufhörlich die gelben Blitze, Tod und Verderben in die deutschen Küstenbatterien schleudernd. Mit dem Glase konnte man jetzt auch aufspritzende Wassersäulen erkennen, wenn deutsche Granaten zwischen den feindlichen Schiffen einschlugen. Aber nicht alle Projektile versanken so nutzlos in den Wogen der See. Man hatte auf dem Vorderdeck mehrerer englischer Schiffe deutlich die Explosion deutscher Geschosse feststellen können. An Bord eines der Schiffe der »Majestic«-Klasse sah man eine schwarze Rauchwolke aufsteigen, worauf der vordere Signalmast seitwärts über Bord stürzte. Ein anderes Schiff schor plötzlich nach Backbord aus, so den deutschen Kanonieren die ganze Steuerbordseite zeigend, worauf ein anderer Engländer herandampfte, um das inzwischen noch mehrmals in der Wasserlinie getroffene und schwer überliegende Linienschiff aus der Gefechtslinie zu schleppen.
Alles dies zeichnete sich für das bloße Auge nur silhouettenhaft am Horizonte ab. Vom Leuchtturm in Cuxhaven konnte man jedoch mit guten Ferngläsern die Treffer genauer beobachten. Es war von dort festzustellen, daß mehrere englische Schiffe drehten und nunmehr mit den hinteren Turmgeschützen das Gefecht weiterführten.
Sehr viel mehr als die Engländer litten die Franzosen, die mit ihren hohen, leicht verletzlichen und nur ganz schwach gepanzerten Aufbauten den deutschen Kanonieren bessere Zielpunkte boten als die niedrig gehaltenen englischen Panzer. Zwei der französischen Linienschiffe (eins von ihnen war anscheinend in Brand geraten), mußten schon, nachdem das Gefecht zwei Stunden gedauert hatte, aus dem Kampfe ausscheiden und dampften seewärts. Ein drittes französisches Schiff, der »Bouvet«, hatte das Feuer eingestellt. Es trieb schwerfällig schlingernd auf den Wogen hin und her.
Es hatte sich wie man später erfuhr folgendes ereignet: Eine deutsche Granate hatte, zwischen dem vorderen Geschützturm und dem etwas höher liegenden Kommandoturm durchschlagend, nicht nur viele Telegraphensignalleitungen durchschlagen, sondern war, schräg den vorderen Schornstein durchbohrend, zwischen beiden Schloten durch das Panzerdeck gefahren und hatte, im Maschinenraum krepierend, die ganze Backbordmaschine mit fast sämtlichen Kesseln zerstört. Da der englische Admiral kein Linienschiff aus der Feuerlinie herausnehmen wollte, um den »Bouvet« abzuschleppen, ließ man ihn einfach liegen, in der Hoffnung, das Rettungswerk beim Dunkelwerden ausführen zu können. Gegen 5 Uhr nachmittags war der »Bouvet«, von drei weiteren deutschen Granaten getroffen, vollständig manöverierunfähig. Zwar nahmen die schweren Turmgeschütze hin und wieder das Feuer wieder auf, doch wurde gegen 5 Uhr die Decke des vorderen Turmes von einer Granate durchschlagen, die, im Innern des Turmes explodierend, die Geschützbedienung einfach zu Brei zerquetschte. Da gleichzeitig eine Menge bereitliegender Kartuschen in die Luft flog, entstand eine Panik an Bord. Hierauf geriet der »Bouvet«, nur noch mit seiner Steuerbordmaschine arbeitend, durch Versagen des Rudermechanismus ins Treiben, lag etwa 10 Minuten quer zu der Richtung der deutschen Geschütze, wurde noch mehrmals getroffen und strandete dann auf einer Sandbank, nunmehr ein hilfloses Wrack.
Es mußte auffallen, daß der Feind, während er dem Fort Kugelbaake nur wenig anhaben konnte und dort kein Geschütz dauernd außer Gefecht setzte, bereits mit dem ersten Schuß in die Batterie von Grimmerhörn getroffen hatte. Das Rätsel löste sich leicht. An Bord der englischen Flotte befanden sich als Lotsen für die deutschen Gewässer und insbesondere für die Elbe- und Wesermündung englische Dampferkapitäne und Steuerleute, die auf ihren regelmäßigen Fahrten nach Hamburg und Bremen die Fahrrinne so genau kennen gelernt hatten, daß sie auch nach Entfernung der Seezeichen hinreichend Bescheid wußten, um die englische Flotte sicher zwischen den Sänden und Untiefen der Wattenküste zu geleiten. Diese englischen Kapitäne kannten selbstverständlich auch die Lage der deutschen Küstenbatterien und für ein einigermaßen geschultes Auge war es ohne weiteres klar, daß der Kanonier, der sein Geschütz auf Grimmerhörn richten wollte, nichts weiter zu tun brauchte, als den spitzen Turm der dicht dahinter liegenden Garnisonskirche als Richtpunkt zu nehmen. Bei dem überraschenden Ausbruch des Krieges hatte man diesen, der deutschen Marine natürlich gut bekannten Umstand übersehen und hatte es beim Herannahen der feindlichen Flotte versäumt, hier die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Das wurde durch Sprengung des Turmes jetzt im feindlichen Feuer nachgeholt. Gegen 2 Uhr mittags war der Kirchturm plötzlich von einer Staubwolke umhüllt, worauf er und die Mauern der Kirche unter lautem Krachen in sich zusammen sanken. Dem Feind war dadurch ein bequemer Zielpunkt geraubt, womit sich dann auch die Zahl der Treffer in Fort Grimmerhörn sehr schnell verminderte. Leider hatte kurz vorher noch ein feindliches Geschoß die bombensichere Decke einer Munitionskammer durchschlagen, worauf dieses Magazin mit seinem Inhalt in die Luft flog. Die niederfallenden Geschoßtrümmer und der Steinschutt richteten unter den Häusern von Cuxhaven gewaltige Zerstörungen an.
Um 4 Uhr nachmittags brannte Cuxhaven an mehreren Stellen. Da die Stadt von den Einwohnern geräumt war, hatte das wenig zu bedeuten. Man beschränkte, um nicht nutzlos Menschenleben aufzuopfern, die Löscharbeiten auf das Notwendigste, und ließ brennen, was brennen wollte, in der richtigen Erkenntnis, daß durch die Feuersbrunst die Engländer vielleicht übertriebene Vorstellungen von der Wirkung des Bombardements erhalten würden. In derselben Erwägung ließ man ½6 Uhr abends in den Forts langsam ein Geschütz nach dem anderen bis auf zwei Rohre verstummen. Und es schien wirklich, daß der Feind glaube, daß er nicht nur die Batterien niedergekämpft habe, sondern auch die Küstenstadt mit ihren Hafenanlagen in einen Trümmerhaufen verwandelt habe, zumal die Lagerhäuser und das Depot der Hamburg-Amerika-Linie am Hafen lichterloh brannten.
Plötzlich kam Bewegung in die feindlichen Linien, Signale wurden gewechselt, aus allen Schloten quollen dicke Rauchwolken, nur der havarierte »Bouvet« blieb regungslos liegen. Die feindlichen Geschwader bewegten sich vorwärts, das Feuer aus den schweren Geschützen verringernd und es bald darauf ganz einstellend. Eine Pause entstand auch in dem diesseitigen Feuer.
Mit rauchgeschwärzten Gesichtern standen die deutschen Kanoniere an ihren Geschützen. Die letzte Ladung saß im Rohre und mit atemloser Spannung verfolgte man das Herannahen der feindlichen Flotte, des Kommandowortes harrend, das den Riesengeschützen von neuem den Mund öffnen sollte. Schon mit bloßem Auge konnte man am Bug der vorderen feindlichen Schiffe den sprudelnden Schaum erkennen, der durch die rasche Fahrt, mit der die stählernen Kolosse durch Tausende von Pferdekräften vorwärts getrieben wurden, aufgewirbelt wurde. Es war ein majestätischer und zugleich herzbeklemmender Anblick, diese Reihe feindlicher Panzer heranrauschen zu sehen.
Die plötzlich eintretende Stille wirkte so eigenartig; das Tosen des so schnell verstummten Geschützkampfes klang im Ohre noch so intensiv nach, daß jedes kleinste Geräusch sofort die Vorstellung von dem Wiederkehren des eben verhallten Donnergebrülls erweckte. Es war charakteristisch, daß, als man in der ungewohnten Stille nun das Knattern und Prasseln der Feuersbrunst in dem hinter den Batterien liegenden Städtchen hörte, sich viele Artilleristen umwandten, in dem bestimmten Gefühl, von rückwärts Maschinengeschützfeuer zu erhalten.
Über Cuxhaven lag eine qualmende Rauchwolke, von unten durch die aufleckenden Feuerzungen brandrot gefärbt, oben von den Strahlen der scheidenden Abendsonne mit gelben Lichtern umrandet. Leise schäumten und brandeten die Wogen am Strande empor. Noch war der Feind etwa eine Seemeile von der ersten Minensperre entfernt. Die nächsten Minuten mußten bereits die unterseeischen Minen mit den ersten englischen Schiffen in Berührung bringen, da tönte der bellende Schrei einer Dampfsirene vom englischen Admiralsschiffe und fast im selben Augenblick erhob sich, während die Panzerschiffe ihre Fahrt verlangsamten, mitten im Fahrwasser, einer Riesenfontäne gleich, ein weißer, schäumender Wasserberg, und neben ihm noch einer und noch einer, und zwischen diesen aufschießenden Strudeln erschienen an der Oberfläche zwei schwarze Körper, wie treibende Wrackstücke hin und her geworfen zwischen den wütend aufgepeitschten Wogen. Und immer neue Fontänen und weiße Gischtsäulen stiegen empor. Die Zeugen dieses wunderbar schrecklichen Schauspieles auf dem Wasser vermochten sich die Vorgänge in den ersten Sekunden nicht zu erklären. Dann aber, als eine gewaltige Woge an den Strand prallte, bis auf den steinernen Uferdamm Schaummassen spritzend und dann wieder in unwiderstehlichen Sog zurücksinkend, und eine neue schaumgepeitschte Welle einen jener schwarzen Gegenstände hoch hinauf auf den flachen Strand schleuderte, wo er wie ein umgekipptes Boot liegen blieb, da ward es klar, daß die Engländer mit ihren Unterseebooten, die sie der Flotte vorangeschickt hatten, Kontreminen ausgelegt hatten und diese in der Nähe der deutschen Minen zur Explosion gebracht und so die äußere Minensperre vernichtet hatten. Die Mannschaft der vier englischen Unterseeboote war hierbei dem sicheren Untergang geweiht. Keiner von der Besatzung entkam und was dort unter der Wasserfläche vorgegangen, blieb ein stummes Geheimnis.
In demselben Moment, als der erste Wasserberg aufschäumte, verwandelten sich die bleigrauen, schweigenden Panzerschiffe wieder in feuerspeiende Vulkane. Aus allen Geschützöffnungen lohten die gelben Flammen. Aus allen Winkeln und Ecken, aus allen Stockwerken der Decksaufbauten, aus allen Turmöffnungen und Geschützpforten sprühte und zuckte der Tod. Wie Schloßenhagel fuhren die Geschosse aus allen feindlichen Kalibern heran, warfen ganze Lagen von Sand und aufgewirbelten Steinen über die Batterien, überall zersprangen feindliche Granaten und die dichten Salven aus den Schnellfeuergeschützen zerfetzten die Geschützbedienungen. Lautlos oder gräßliche Schreie ausstoßend, sanken die deutschen Artilleristen dahin, durch keine Panzerwand gegen das feindliche Feuer geschützt. Das Donnern und Gebrüll aller Geschütze vereinigte sich zu einem Höllensabbat, als öffne sich die Erde und als schössen aus ihr die lodernden Gluten hervor. Hier vor der brennenden Stadt die feuerspeienden Sandhaufen der deutschen Forts, drüben die flammenumzuckten, stählernen Berge auf der wogenden Meeresflut.
Jetzt wo der Feind so nahe, jetzt war der Moment gekommen, wo die deutschen Mörserbatterien mit ihrem Steilfeuer eingreifen konnten. Gedeckt durch die dicken Stahlwände der Panzerungen, begannen sie ihr Feuer. Wohin man blickte, nichts als flammende Blitze, tanzende, zuckende, sprühende Flammen.
Und drüben schlug's jetzt ein. Noch waren die feindlichen Staffeln wohlgeordnet, aber jetzt gerieten sie in Verwirrung. Auf dem Linienschiffe »Ocean« schoß plötzlich eine weiße Dampfwolke zwischen den Schloten empor, den einen von ihnen über Bord werfend. Eine Mörsergranate hatte das Panzerdeck durchschlagen und hatte, im Maschinenraum berstend, verschiedene Kessel zur Explosion gebracht. Auf dem Panzer »Glory« explodierte ein Geschoß im hinteren Turm, die zwei langen Geschützrohre nach vorwärts über das Deck werfend. Der Panzer verlangsamte seine Fahrt, bog nach Steuerbord aus, stieß mit dem ihm seitwärts folgenden »Albion« zusammen und beide Schiffe wurden jetzt das Zielobjekt für die Küstenbatterien. Auf dem Admiralsschiffe stürzte der hintere Gefechtsmast zerschmettert über Bord, mit seinen Drahtseilen anscheinend die eine Schraube unklar machend, denn das Schiff stoppte und beschrieb plötzlich einen Kreis. Es herrschte durch diese plötzliche Wirkung des deutschen Steilfeuers, dem die englischen Panzerdecks nicht gewachsen waren, Verwirrung in den Reihen des Feindes. In dem verhältnismäßig schmalen Fahrwasser ließ sich die ursprüngliche Formation nicht mehr innehalten, mehrere Schiffe berührten sich gegenseitig. Das Linienschiff »Ocean« war leck geschossen und durch eine Maschinenhavarie gefechtsunfähig. Dicke Wasserstrahlen der Lenzpumpen quollen nach der dem Leck abgekehrten Seite aus dem Schiffsrumpfe hervor. Dann wurde der Panzer von einem Kameraden zurückgeschleppt, wo er jedoch unweit der Stelle, wo der »Bouvet« gestrandet war, ebenfalls auf den Sand geriet.
Das war der Augenblick für die deutschen Linienschiffe, in den Kampf einzugreifen. Vorsichtig die zweite Minensperre in Kiellinie passierend, ging es jetzt mit Volldampf auf den Feind los. Aber schneller, als man erwartet, hatte sich dieser wieder rangiert, Kehrt gemacht und ging unter voller Maschinenkraft wieder seewärts. Als die deutschen Panzer das Feuer der Küstenbatterien maskierten, brach dieses plötzlich ab, die Verfolgung des mit seinem Angriff abgeschlagenen Feindes dem Geschwader überlassend.
Das Gefecht auf der Reede, welches von unserer Seite gegen den mehrfach überlegenen Feind nicht weiter fortgeführt werden konnte, entzog sich in dem Abenddunkel der Beobachtung vom Lande. Vermöge seiner größeren Schnelligkeit vermochte sich der Feind mit seinen stärkeren Kalibern die sechs deutschen Linienschiffe sehr bald vom Leibe zu halten. Um 8 Uhr kehrte das deutsche Geschwader wieder in die Elbmündung zurück, die Sicherung gegen feindliche Angriffe einer Postenkette von schnellen Kreuzern überlassend, deren Zahl durch die am Nachmittag von Brunsbüttel eingetroffenen Schiffe »Lübeck«, »Berlin«, »München« wesentlich vermehrt worden war.
Die deutschen Panzerschiffe waren vom Kampfe hart mitgenommen. Namentlich die hohen Decksaufbauten waren arg zusammengeschossen und durch die Splitterwirkung waren die Mannschaftsverluste recht hoch. Doch sahen die Beschädigungen für das Laienauge schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit waren. Vitale Teile waren kaum verletzt und alle deutschen Panzer waren gefechtsfähig geblieben. Der 21. März hatte jedoch das bestätigt, was in den letzten Jahren von verschiedenen Marineschriftstellern immer wieder hervorgehoben worden war, daß nämlich die überlegene, niedrigere Bauart der englischen Panzerschiffe praktischer für den Kampf sei, als die der deutschen mit ihren hohen, zwar martialisch aussehenden, dem Feinde aber ein gutes Zielobjekt liefernden Aufbauten über Deck. Und nun erst die Franzosen, die Geschützstände und Brückendecks etagenweise übereinander stapeln bis zur Grenze der Seefähigkeit dieser wuchtigen, hoch aufragenden schwimmenden Festen! Während die niedrigen englischen Linienschiffe schwer zu treffende Ziele waren, hatten die Franzosen ihre Liebhaberei für groteske Schiffsformen mit großen Mannschaftsverlusten und furchtbaren Zersetzungen des Schiffskörpers über Wasser zu büßen. Das deutsche Geschwader nahm wieder seinen Ankerplatz innerhalb der zweiten Minensperre ein. Zwei weitere Torpedo-Divisionen rückten noch spät am Abend in die äußere Vorpostenlinie vor. Der Standpunkt der feindlichen Flotte, die sich anscheinend mit ihrem Gros auf Helgoland zurückgezogen hatte, war um 9 Uhr abends noch in dieser Richtung an den zwischen den Schiffen gewechselten Scheinwerfersignalen erkennbar. Während der Nacht liefen durch Funksprüche Meldungen ein, denen zufolge die feindliche Flotte sich durch eine mehrfache Postenkette von Kreuzern und Hochseebooten gegen einen Torpedoangriff von deutscher Seite geschützt hatte.
Nach dem Rückzuge des Feindes begannen beim Scheine elektrischer Bogenlampen Pionierabteilungen die Verwüstungen in den Küstenforts mit möglichster Beschleunigung auszubessern, damit am nächsten Tage der Feind auch hier wieder alles gefechtsbereit fände. Abends trafen noch mit der Küstenbahn zwei Züge der Hamburger Feuerwehr in Cuxhaven ein, die mit ihren Dampfspritzen und von Spritzendampfern unterstützt das Löschen des Feuers in der Stadt energisch in Angriff nahmen, aber noch bis in die frühe Morgenstunde lag eine brandrote Wolke über der unglücklichen Stadt, ein Feuermal über dem Grabe von Hunderten deutscher Männer. Der erste Vorstoß des Gegners war, allerdings unter schweren Opfern, abgeschlagen worden. Während der ganzen Nacht wurden durch Sanitätstransporte die Schwerverwundeten aus den Küstenforts nach dem Bahnhofe überführt, um von dort nach den Hamburger Lazaretten evakuiert zu werden.
* * *
Nach dem Bombardement von Cuxhaven trat eine gewisse Stockung in den feindlichen Operationen ein. Die Verluste, die das vereinigte Angriffsgeschwader erlitten hatte, mahnten es zur Vorsicht. Die zerschossenen und havarierten Schiffe schickte man in die heimatlichen Häfen und füllte die Lücken mit inzwischen neu mobilisierten Schiffen aus.
Auch die Ausrüstung der deutschen Schiffe wurde mit allem Eifer vollendet. Am 2. April war die Mobilisierung auf jedem in Frage kommenden Schiffe abgeschlossen, nur das Mitte März vor Kiel aufgelaufene Linienschiff »Schwaben« lag auf der dortigen Werft, um die erhaltene schwere Bodenbeschädigung zu reparieren. Außerdem lagen die Küstenpanzer »Siegfried« und »Hagen«, die vor der Kanalmündung zusammengerannt waren, im Dock. Die veralteten Schiffe der »Sachsen«-Klasse blieben in Wilhelmshaven vorläufig in Reserve.
Mit fieberhafter Eile wurden in Cuxhaven die zerschossenen Batterien wieder hergestellt, einzelne demolierte Geschütze ausgewechselt und außerdem wurden mit den bei Krupp und Erhardt vorhandenen Beständen an schwerer Artillerie neue Batterien errichtet. Der Panzer »Wittelsbach« wurde, um eine rasche Reparatur seiner Beschädigung zu ermöglichen, in die eine Schleusenkammer von Brunsbüttel gelegt, dort flickte man in drei Tagen seine Schußlöcher wieder aus. Die schwer beschädigte »Gazelle« wurde in das Dock von Blohm & Voß gelegt, das nach Brunsbüttel geschleppt worden war und dort auch später nach der Schlacht bei Helgoland gute Dienste tat. Ebenso wurden sämtliche anderen Hamburger Schwimmdocks an die Elbmündung befördert, wo sie havarierte Torpedoboote und kleine Kreuzer immer sofort aufnahmen, wenn diese mit Beschädigungen aus der Blockadelinie zurückkehrten. Die zerstörte Minensperre wurde wieder hergestellt und durch eine neue Linie ergänzt, in der man zum ersten Male eine aus Stahltrossen gefertigte netzartige Sperre als Schutz gegen die Unterseeboote anwandte.
Als ein guter Erfolg konnte es angesehen werden, daß es am 28. März gelang, auf der Insel Neuwerk eine Ballonstation zu errichten, die in Verbindung mit dem Fesselballon, der ständig über dem Fort Kugelbaake schwebte, nicht nur zur Beobachtung der Blockadeflotte diente, sondern auch bei Tage wenigstens einen gewissen Schutz gegen Angriffe durch Unterseeboote darstellte, die sich namentlich zahlreich bei dem französischen Geschwader befanden. Bekanntlich sind flache Küstengewässer aus einer gewissen Höhe für den von dort aus Beobachtenden durchsichtig, und die dunklen Körper der Unterseeboote zeichnen sich auf dem hellen Meeresgrunde scharf ab. Es gelang mehrere Male, von dem Beobachtungsposten im Ballon das Geschwader in der Elbmündung rechtzeitig vor herannahenden Unterseebooten zu warnen. In Verbindung mit diesem Nachrichtendienst erwiesen sich mehrfach die Beobachtungsminen, die auf ein Signal der Ballonstation entzündet wurden und durch ihre Explosion feindliche Unterseeboote zerstörten, als ein ziemlich wirksamer Schutz. Nebenher wurde ein scharfer Postendienst unterhalten; auch von Kiel aus sicherte man durch vorgeschobene Kreuzer und die inzwischen als Hilfskreuzer eingestellten Schnelldampfer unserer großen Reedereien die dänischen Gewässer gegen eine feindliche Annäherung.
Die in der Ostsee erreichbaren englischen Schiffe waren von deutschen Kreuzern gekapert worden. Die meisten englischen Kauffahrer hatten jedoch rechtzeitig in neutralen Häfen einen Unterschlupf gefunden. Besonders in Kopenhagen lagen Dutzende von englischen Dampfern in langen Reihen an den Kais. Leider konnte man nicht verhindern, daß ihre Besatzung auf Umwegen in die Heimat zurückkehrte, wo sie an Bord der englischen Flotte eingestellt wurde.
Für den Feind begann jetzt, weil man vor der Komplettierung der eigenen Streitkräfte keinen neuen Schlag versuchen wollte, der ungeheuer anstrengende Blockadedienst. Da man mit den ziemlich intakten deutschen Streitkräften Tag und Nacht rechnen mußte, wirkte dieser Dienst auf die feindlichen Seeleute sehr ermüdend. Wollte man durch Scheinwerfer nicht seinen eigenen Aufenthalt verraten, war man an Bord der Engländer und Franzosen nachts allein auf Auge und Ohr angewiesen. Dazu wurden die Schiffe durch die rauhe See und durch heftige Stürme fürchterlich hin und her geworfen. Durch kühne Vorstöße deutscher Torpedoboote verlor die Blockadeflotte eine Reihe von kleineren Schiffen, auch ein französisches Panzerschiff wurde durch eine Torpedoexplosion schwer leck. Unter Deck benutzte man empfindliche Telephonapparate, da man bei ruhiger See auf diese Weise das Geräusch der feindlichen Torpedoschrauben im Wasser auf weite Strecken hören kann. Solcher Vorpostendienst erschöpfte die Besatzung derart, daß man, um die Mannschaften frisch zu erhalten, die Kreuzer höchstens eine Woche in der Postenlinie ließ und sie dann ablöste und zurückzog. Die dienstfreien Schiffe lagen seewärts der Blockadelinie, halbwegs zwischen der dänischen Küste und der Doggerbank.
Der Panzerkreuzer »Friedrich Karl«, der durch den Kanal nach Kiel zurückgekehrt war, befand sich nördlich von Skagen in der äußersten Postenlinie, die gegen ein Herannahen des Feindes durch die skandinavischen Gewässer sicherte. Alle Lichter waren sorgfältig abgeblendet, die See ging hoch und spritzte weiße Schaumflocken an den Bordwänden empor. Oben auf dem Kommandostand erhielt der wachthabende Offizier die Meldung aus dem ersten Signalmast, es scheine so, als ob sich wenige Striche über Backbord mehrere Schiffe bewegten. Ein leises Signal in die Maschine ließ diese mit voller Kraft angehen. Die Posten an den Scheinwerfern erhielten ein Achtungssignal, der Kreuzer wühlte sich mit 21 Knoten durch die schwarze See. Plötzlich eine Wand weißen, blendenden Lichtes, das in den Augen schmerzte; vorn über Backbord flammte dicht über den Wellen der Lichtstrom eines Scheinwerfers auf, der mit seinem breiten Kegel plötzlich die schäumenden Wogen vor dem Bug des »Friedrich Karl« in voller Deutlichkeit zeigte. Einen Moment, und das Vorschiff des Kreuzers sank in diese Lichtflut ein, durch die die aufgespritzten Schaumtropfen wie Schneeflocken herniederrieselten. Wie ein Phantom erschien der graue Schiffsrumpf von blendenden Reflexen umspielt. Wie an Bord eines Geisterschiffes tauchten die hinter ihren Geschützen wie eherne Statuen stehenden Artilleristen gleichsam aus dem Nichts empor, dann wuchs der ragende Signalmast mit seinem zierlichen Gerippe von Stahldrähten aus der Dunkelheit heraus.
Drüben zuckten jetzt in der Nacht ein paar gelbe Feuerzungen auf und heulend sausten mehrere Granaten durch das Takelwerk des »Friedrich Karl«, aber schon war sein Vorderschiff wieder von der Dunkelheit verschluckt, und der letzte Schein des weißglühenden Lichtes fegte nur noch über das Achterdeck, den sprudelnden Wasserwirbel am Heck und den über die Wellen nachgezogenen Schaumstreifen im silbernen Schimmer aufleuchten lassend. Die wieder einfallende Dunkelheit betäubte das geblendete Auge, und nur die roten Flammen aus den feindlichen Geschützrohren und das Sausen und das klatschende Einschlagen der ziellos verfeuerten Granaten auf der Wasserfläche gemahnte daran, daß das soeben Geschaute nicht nur eine Vision gewesen.
Da, ein tausendfacher, gellender Schrei, das Vorschiff des »Friedrich Karl« hob sich von einem gewaltigen Stoß. Der Scheinwerfer oben auf dem ersten Signalmast blitzte auf und sandte seine weiße Lichtflut aus der Höhe nach vorn, wo ein Krachen und Bersten von zerrissenem Metall und stürzende schwere Gewichte einen Höllenspektakel machten. Ein grauenhaftes Schauspiel bot sich dem entsetzten Blick: Der scharfe Sporn des »Friedrich Karl« hatte sich in die Breitseite eines großen Ozeandampfers eingewühlt. Der Wind trieb aus dessen drei mächtigen Schloten die braunen Rauchschwaden seewärts, wo sie wie ein flatternder Schleier über den Wogen hinkrochen. Auf dem fremden Schiffe, an dessen Bug der Name »Lucania« deutlich zu lesen war, liefen schreiend und kommandierend ein paar Leute hin und her.
In diesem kritischen Moment platzten auf dem »Friedrich Karl« zwei feindliche Granaten dicht neben dem vorderen Turm, der sofort automatisch drehte und mit seinem 21 cm-Geschütz in die Dunkelheit hineinschoß. Auch die Backbordartillerie nahm das Feuer langsam auf. Jetzt blitzte der englische Scheinwerfer von neuem auf und die dunkle Meeresfläche erschien plötzlich belebt von einer langen Reihe feindlicher Schiffe: Die auf Kiel herandampfende englische Flotte.
Durch die gewaltige Maschinenkraft des deutschen Kreuzers war sein mächtiger Rumpf weit in das feindliche Transportschiff hineingetrieben. Ein paar Sekunden nach dem Zusammenprall ließ der »Friedrich Karl« die Schrauben rückwärts schlagen und ging langsam Zoll um Zoll rückwärts. Als sich sein grauer Stahlleib zurückschob, klaffte über ihm ein riesenhaftes Loch mit verbogenen und zerrissenen Rändern an der Bordseite der »Lucania«, aus dessen schwarzen Tiefen weißer Wasserdampf hervorquoll, und in das die See rauschend und polternd hineinstürzte. Kaum war der »Friedrich Karl« wieder frei, so legte sich die »Lucania« nach Steuerbord über, dem deutschen Schiffe sein schräges, von Hunderten von schreienden Menschen belebtes Deck weisend.
Einige der englischen Soldaten waren im naiven Selbsterhaltungstrieb auf den »Friedrich Karl« hinübergesprungen, andere suchten die Boote klar zu machen, was aber nicht mehr an der Steuerbordseite gelang, wo die Reeling mit dem Bootsdeck bereits ins Wasser tauchte. Durch mehrere Scheinwerfer war die schwarze Wasserfläche hell beleuchtet. In der ersten Überraschung konzentrierten alle englischen Schiffe ihre Aufmerksamkeit auf die unglückliche »Lucania«. Von den an Bord befindlichen 1500 Mann Infanterie wurde jedoch kaum der dritte Teil gerettet. Fast tausend Mann nahm das Unglücksschiff, als es nach wenigen Minuten infolge einer Kesselexplosion, die den Schiffsrumpf in zwei Teile zerriß, sank, mit in die Tiefe. Noch ehe man sich über die Größe des Unglücks klar geworden, war der »Friedrich Karl« wieder von der Dunkelheit verschlungen.
Die geplante Überraschung des Kieler Hafens war also mißglückt. Bereits um 5 Uhr morgens wurde dort das Herannahen der englischen Flotte bekannt; sie erschien am Tage darauf, durch den großen Belt dampfend, weit draußen vor der Kieler Föhrde, worauf die beobachtenden deutschen Kreuzer sich zurückzogen und sich auf einen intensiven Postendienst beschränkten. Da die englische Flotte den in Kiel stationierten Streitkräften weit überlegen war, konnte man zunächst einen Angriff von deutscher Seite mit Aussicht auf Erfolg nicht versuchen und begnügte sich damit, dem Feinde seinen Blockadedienst durch stetige nächtliche Vorstöße zu erschweren. Nach den Erfahrungen des Bombardements von Cuxhaven, welches die schwere Artillerie an Bord der angreifenden englischen Flotte außerordentlich strapaziert hatte, war man offenbar auf feindlicher Seite entschlossen, die Lebensdauer der schweren Geschützrohre nicht durch zweckloses Schießen unnötigerweise zu verkürzen.
Die Vernichtung der »Lucania« wurde in der Presse bekanntlich lebhaft erörtert, da man sich wunderte, wie ein solcher Zusammenstoß unvermutet erfolgen konnte, da doch der feindliche Scheinwerfer dem »Friedrich Karl« jenes Transportschiff gezeigt haben müßte. Dabei wurde vergessen, daß der Lichtkegel eines Scheinwerfers undurchsichtig ist. Der Lichtkegel des englischen Scheinwerfers hatte sich gewissermaßen wie eine trennende Wand zwischen den »Friedrich Karl« und die »Lucania« gelegt, so daß der »Friedrich Karl«, nachdem er die Lichtzone durchfahren, tatsächlich unerwartet mit der »Lucania« zusammenstieß.