Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
An Collofino.
Gesegnet ist der Herbst, der Wälder
Flammenbräune,
Des Weinbergs schwarze Zier, die
korngefüllte Scheune,
Des Nußbaums süße Frucht, die
Abendruh beim Weine
Und jene Weisheit drin, die Zug um
Zug sich klärt.
Ob auch im dunkeln Faß der bleiche
Most schon gärt.
Wir trinken firnen Wein und loben,
was sich jährt.
Laßt doch das Stubenvolk mit Johlen
und mit Schreien,
Saufaus und Schlendrian sich ihrer
Kalbheit freuen
Und wie auf hoher See dann ganz
erbärmlich speien!
Wir stehen, wenn der Fant im wüsten
Sarge liegt,
Nach festem Schlafe auf, klaräugig
und vergnügt,
Weil selbst der Nachtschrank rein wie
Winzers Bottich riecht.
Dem Wasserkirchlein da mit wohl-*
verwahrten Schätzen,
Röhricht und Rebenhang mit aus-*
gespannten Netzen,
Rings silbertriefend Naß, darein wir
Ruder setzen,
Der Insel streb' ich zu im tausend-*
fachen Blau,
Dem roten Apfelbaum, der blonden
Erntefrau.
Denn hier ist Heiligtum, Lustwäldlein,
Reichenau.
Das Dampfboot geht den Untersee hinab, der schmäler wird. Es steuert von Steg zu Steg, um sich kleiner Frachten zu entledigen, es fährt geschickt in der rascheren grünen Strömung durch einen der sieben hölzernen Brückenbogen zwischen Burg und Stein am Rhein, hinter dem der Hohenklingen waldig aufragt. Es fährt zwischen Hügelreihen unter der hohen Gitterbrücke hin, die Wald und Wald verbindet, durchschneidet die glatten und schimmernden Wirbel, stellt sich quer und gleitet mit halber Kraft, aufrauschend, als ob es mit seinem Boden den Kies des Flußbettes streife. Dämmerung fällt ein, der Scheinwerfer, weiß aufflammend, füllt plötzlich die trübe Luft mit Millionen Insektenfunken, richtet seinen festen und blendenden Strahl auf die alte, einem Torweg ähnliche Holzbrücke von Dießenhofen, die es eben noch in einem kühnen Bogen mit niedergelegtem Schornstein durchglitt. Und im selben grellen, doch nicht ganz goldlosen Licht erscheinen nach einer träumerischen, kühlen, in den Spiegelungen des Himmels vorsichtig zurückgelegten Waldstrecke Häuserfronten, angekettete Boote goldrot, Bäume braungrün, weiße Straßen ohne Schatten, Menschengruppen, und die Stadt Schaffhausen, dunkel, unbestimmt, mit ihren Lichtern außerhalb des Lichtkegels.
Wir leben in der Anfangszeit eines neuen Rheines. Sein Bild wird allmählich in tausend Einzelstrichen auf den Blättern der Fachzeitschriften und in weitreichenden Erörterungen lebendig. Die Möglichkeiten des Rheines, mit vielfältig verzweigten Energien immer tiefer in das Leben der Menschen hineinzuwirken, immer tiefer eine Wasserstraße in das Land zu werden und schließlich den Bodensee zum größten Binnenhafen Europas zu machen, gelten besonders für den Teil des Rheines, der fast noch dem Hochgebirge angehört, sie rufen Erwartungen auf, je mehr sich die Lage Europas unter dem Stachel von Versailles verschlimmert und je mehr die wirtschaftlichen, industriellen, verkehrstechnischen, topographischen und gesetzgeberischen Vorarbeiten fortschreiten. Wie ein gotischer Dom in seinem Emporwachsen die Stämme und Lichter des Waldes und das Felsgetüm des Berges wiederholt, aber das Vergängliche beiseite läßt, so plant eine kollektive und faustische Phantasie die ingenieurmäßige Gestaltung des Flusses, die Entfesselung und Zähmung in einem ist.
Der Oberrhein besteht aus zwei Flügeln, und sein Angelpunkt ist Basel. Der eine Flügel endet im Bodensee, der andere in jener Breite des Stromes, die schon zum Vorhof des Weltmeeres wird. Beide Flügel bieten schwierige und verlockende Aufgaben für eine staatenbauliche Kunst, die bereit ist, Verantwortung für das Schicksal von Millionen künftiger Menschen zu tragen. Natürlich ist dies hier nur eines der Probleme, die überall in der Welt vorhanden sind, wo man aufgehört hat, das Werden von Massenstädten und Industriegebieten dem Zufall zu überlassen. Es besteht die Absicht, den Bodensee durch eine Höherlegung seines Spiegels zum Speicher gewaltiger Wassermassen zu machen, deren Abfluß dann gleichmäßiger sein wird als bisher. Die Wasserkräfte des Oberrheins entsprechen der Brennkraft, die in den Vorräten eines unerschöpflich großen Kohlenbergwerkes schlummert. Man will sie in vierzehn Kraftwerken gewinnen, die mit den Wasserkräften des Schwarzwalds zusammen die Möglichkeiten einer neuen Industrielandschaft bieten, die ganz Baden, Schwaben, das Elsaß und die Nordschweiz umfassen könnte. Niemand zweifelt, daß die Aufgabe lösbar sei, aber die Lösung ist durchaus nicht sicher. Sie kann eine schlechte und kleinliche werden. Dann wird dieser Teil Europas vor anderen Ländern zurückbleiben, vielleicht für immer. Wenn aber die Lösung glückt und eine große Hand verrät, so werden künftige Geschlechter sie bewundern. Das Gemüt der Planenden müßte wohl ein wenig dem Gehäuse ähnlich sein, in dem einst Dürer den heiligen Hieronymus darstellte, mit dem Hund und dem Löwen schlafend zu seinen Füßen, in stillster Unbefangenheit den menschlichen Leidenschaften gegenüber, die so rasch erwachen, um sich über irgendeinen Brocken zu zerfleischen.
Auch das Berner Oberland ist die Heimat des Rheins. Ein großer Teil der Schweiz ist es. Die Aare kommt in den Oberrhein nicht weniger mit ungebrochener glänzender Flut als dieser; sie ist sein Geschwister, doch das nachgereihte. Welches Welterlebnis hat bis zu diesem Zusammenfluß der weit ausgreifende und verloren gewesene Rhein schon hinter sich! Die Aare faßt in einem Fächer wie ein Leuchter mit vielen Armen die Flammen lichtglänzender Seen, die von Schattenwänden umstellten Landmeere zusammen, sie flicht in ihre Wellen, was die Wannen vor Thun und Brienz, vor Biel, vor den Vierwaldstätten und vor Zürich an fließenden Wassern, an entgleitenden, wippenden Flüßchen abgeben. Schon bei Aarau, ehe sie Reuß und Limmat in sich aufgenommen, ist sie ein starkes, eilendes und grünlichfarbenes Gewässer. Köstlich, zwischen den festungsähnlichen, weißen Quader-Toren des Brückenanfanges von der Kettenbrücke, die von Reitern, locker marschierenden Soldaten, langsam rollenden Fuhrwerken bebt, auf die enggefügten Schindeln des Flusses hinabzuschauen, der ohne Geräusch in dunkelgrünen hohen Ufern zu Tal reist. Hier ist die ländliche Allee mit sommertiefen Schatten, der eingeschlafene Arbeiter mit offenem Brustlatz auf der Ruhebank; aus der Verborgenheit eines Bergtals knattert es verschwenderisch von den Schießständen. Drüben baut sich die Stadt empor, warm besonnt, mit staubfarbenen Bürgerhäusern, schwarzbraunen Dächern, grünen Fensterläden, darin der breite alte Kirchturm übereck mit dem indigoblauen Zifferblatt und dem hohen goldstrahlenden Knauf. Diese Stadt in ihrer untersetzten Bauart, mit ihren herabgezogenen Giebelhauben, mit ihren starkfarbigen und heraldisch derben Bürgerwappen an den Wänden der Gassen, mit manchem modernen Gebäude, das die großen Aufgaben der Post und der Kantonsverwaltung, den gefestigten Reichtum der Großbanken, den welterfahrenen Geschmack villenbewohnender Herrschaften erkennen läßt, bewahrt an ihrer breitesten Straße unter schwärzlich schattenden Bäumen neben dem Standbild des vergessenen Zschokke einen Steinfindling, groß und glatt wie ein Seehundsrücken, namenlos und ohne Inschrift, nichts als ein Denkmal für die Arbeit des Wassers in den aufgerissenen Tälern der Vorschweiz. Die Brücke wirft ihr Rautenmuster als ein kurzes Gitter von Schatten auf den Fluß; ein wenig abwärts in der offenen buschigen Landschaft ist eine Kribbe wie ein Stab quer in den Fluß gelegt. An ihrer Spitze, fast in Wassersmitte, steht eine Gruppe Knaben mit nackten Beinen und weißen Aermeln, mit der ausgestreckten Angel. Der Himmel ist weit und vom hellsten Blau. Der Fluß rinnt, unendlich sanft anschwellender Schimmer, der sich gleichmäßig und unaufhaltsam einer unbekannten Ferne hingibt. Lebendiges Geschenk, an wen? An alle, die auf tausend Meilen abwärts auf dem Festland wohnen. Bis Germersheim ist der Rhein fast nichts anderes als das Seenwasser der Schweiz, dann erst beginnen die Zuströme von den deutschen Gebirgen ihn zu mischen. Und im Sommer reicht die Schweiz mit dem Wasser ihrer Schneewände fast unvermischt bis an das Meer. Von den hundert Millionen Raummeter Wasser, die täglich im riesigen Behälter an Köln vorüberströmen, kommt aus der Schweiz noch fast die Hälfte, wenn der Strom nicht übermäßig hoch und nicht niedrig ist.
Jene beiden Glieder des oberen Rheinlaufes, deren Knie in Basel ist, gleichen einander in ihrer noch kaum gebrochenen Natürlichkeit, aber in ihrem Charakter wie in ihrem äußeren Schicksal sind sie sehr verschieden. Der Rheinlauf zwischen Konstanz und Basel suchte einst seinen Weg durch den Jura und stürzt die Stufen hinab, die bei Schaffhausen und Rheinfelden die Schiffahrt stören. Der reißende Waldstrom ist in welliges Gelände eingeschnitten, in seiner Mitte verdoppelt ihn der Zustrom der Aare, die durch das lichte Tor der südlichen Berge zu ihm eintritt. Obwohl die Landesgrenzen Badens und der Schweiz im Anfang ein wenig über den Fluß hinüberwechseln, ist er im wesentlichen doch die Falte zwischen den beiden Ländern. Das Unglück unserer Zeit hat keine der Grenzen Deutschlands unberührt gelassen bis auf diese. Die gute Nachbarschaft der beiden Volksstämme ist geblieben. Das Interesse am Strom ist auf beiden Ufern das gleiche.
Auch der Oberrhein von Basel abwärts bis nach Straßburg ist reißend, aber er findet an der Isteiner Schwelle, die aus dem Schwarzwald hervorspringt, seinen letzten felsigen Widerstand. Dann tritt er in die schöne Tiefebene, in der das Markgräflerland und das Elsaß einander gegenüberliegen mit ihren Wipfelwäldern, ihren Kirchtürmen und ihren Pappelreihen unter der ungeheuren Himmelsglocke, die von glänzenden Wolken wimmelt. Majestätische Ströme des Lichts, die herniederschießen, schneiden aus der gedehnten grünen Landschaft goldene Bilder und zeigen im Dunst die fernen feierlichen Kämme des Schwarzwaldes und der Vogesen. Jenseits dieser beiden Randwälle sind Hochebenen; der Rhein ist die tiefste Linie zwischen beiden. Es ist eine seltene Landschaft, mehr lang als breit, einheitlich und reizvoll in der Linie, in ihrem Boden noch kaum ergründet, vulkanisch und neptunisch zugleich, Sumpfgebiet über einem Dach der zuweilen in leichten Stößen nachhallenden Erdbeben; die reichen Kalilager der elsässischen Seite sind Reste eines salzigen Meeresbodens. Der Fluß blinkt durch Wiesen und Dschungeln, noch arm an Schiffen; Rinnen und Rinnsale des Schwarzwaldes glitzern zu ihm hin. Im Elsaß drüben begleitet ihn die Ill, schmales Flüßchen, gespeist von den spärlichen Bächen der Vogesen. Das ferne Meer sendet seine Regenwolken mit den Westwinden. Was die Atmosphäre in den Vogesen niederschlägt, das fließt nach Westen und sammelt sich in den Flüssen und Weihern der lothringischen Hochebene; ganz in der Ferne dort sind Mosel und Maas schon als Bäche vorhanden, die sich aufmachen, dem späteren großen Strom zu begegnen. Die Regengüsse, die auf den Schwarzwald niederfallen, fließen aus tausend Quellen eilig in den Rhein.
Einst waren es die Ordensniederlassungen und die Herrensitze, die den Menschen am Fluß und an den Ufern des Bodensees eine Ahnung ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Einheit gaben. Von der Insel Lindau bis zum Felsenhügel von Altbreisach, der ebenfalls eine Insel war, halten die Dome noch immer die brüderliche Wacht des Glaubens und bergen in ihren Gewölben die kostbaren Vermächtnisse volksmäßiger Innigkeit. Heute beginnt der neue Rhein über die Staatsgrenzen hinweg die Bevölkerung der Stadt- und Landgemeinden, die Handeltreibenden und die Gewerbfleißigen bis tief in die Schweiz und nach Süddeutschland hinein mit einander zu verbinden. Es gibt kaum ein stärkeres Zeichen für das Erwachen in diesem Teil der Welt als die sichtbare Wiederkehr der alten genossenschaftbildenden Kraft des Rheines. Auf der deutschen Seite ist es der Schiffahrtsverband von Konstanz, in Sankt Gallen der Nordostschweizerische Verband für Rheinschiffahrt, in Basel der Verein für Schiffahrt auf dem Oberrhein, regsame Verbände, deren Gegenstand der Bodensee mit seinem gefüllten Wasserspeicher und immer wieder der Fluß mit seinem Versprechen auf Weltbeziehung und Wohlstand ist. Die Gleichheit der Erwartungen äußert sich in den Arbeiten, Zusammenkünften und Kundgebungen dieser Verbände, sie gibt auch der badisch-schweizerischen Regierungskommission, die sich mit den Ausführungen am Oberrhein zu befassen hat, Rückhalt und verantwortliche Höhe. Das Werk gedeiht in der ruhigen Nachbarschaft der mittelgebirgischen Landschaft, deren ganzer Grundzug schwäbisch ist. Breite Dörfer mit schweren und kurzen Kirchtürmen liegen da und dort auf der Schwelle der kleinen Hochebenen vor den einander gegenüberliegenden Bergabhängen, kleine alte Städte ruhen nah am Fluß, halbversteckt. Von oben gesehen, verrät sich der Fluß durch manche kühne und abwechselnde Krümmung, schon sind die ersten Kraftwerke fremdartig in die grüne Landschaft eingebettet. Man wird sich an diese neuen Festungsmauern, diese zweistöckigen, enormen, vielfenstrigen Fronten, an diese mexikanischen Schlösser gewöhnen, die den Fluß abzusperren scheinen. Verborgene Hälse schlucken das Wasser still und gewaltig in die geheimnisvolle Schlucht der Turbinen, es rinnt auf der anderen Seite ermattet davon. In hellen Kachelhallen hinter den Stahlgeländern sausen verkapselt in ihren Muschelgehäusen die Dynamos; an glatten Wänden zittern die Zeiger der Manometeruhren. Bei Augst-Wyhlen, bei Rheinfelden, bei Laufenburg stehen diese Wasserhöfe im spiegelnd angestauten Fluß; noch fehlen die Schleusen und Schiffskanäle an ihrer Seite. Das jüngste dieser Kraftwerke, das bald von dem noch größeren von Schwörstädt übertroffen werden wird, zieht mit seinen frischen Dächern und Türmen einen rötelfarbenen Strich durch das perspektivisch hingedehnte Tal, es belebt die Einsamkeit der Waldabhänge. Am Ufer des gestillten Flusses leuchten die Dächer der Arbeiterkolonie, Anblick einer exakten und wohlgesinnten Baukunst. Und die Hochspannungsmasten mit ihren Stimmgabeln ähnlichen, pagodenhaften und schellenbaumähnlichen Aufsätzen und metallenen Saiten ziehen sich hoch über die braunen Aecker mit dem Pflüger, über das Grün mit dem weidenden Vieh ins ferne Gebirg. Schon erhebt sich da und dort die neue Nachbarschaft der alten Waldstädte, die in der Zeit seines Glückes dem großen Habsburgerstaat gehörten: Zäune, Stapel, Fabrikmauern, kalkbestaubte Türme, Vorboten einer großen chemischen Industrie, Rauchwolken, die wie Vögel ihre Federn blustern, Kalkwerke, Sodafabriken, Aluminiumwerke – Sterbensgefahr der Bauern- und Malerlandschaft, Anfang einer Stadtwerdung. In den Bahnwagen steigen Mädchen aus demselben Dorf, Bauernjüngferchen, rotbackig, im frauenhaften Pomp ihrer riesigen schwarzen Zopfschleife, und kleine Fabrikarbeiterinnen.
Der fernere Teil des Rheines, von Basel talabwärts, steht in einer weniger geschlossenen Atmosphäre. Der Rhein verläßt die Schweiz; plötzlich tritt er in das Feld der Leidenschaften, in den Machtbereich jener mangelhaften und undurchsichtigen Internationalität, die ein Ergebnis des Krieges ist und an den Satz erinnert, daß die modernen Staaten im Haß und in der Angst der Völker ihre Wurzel haben. Ist nicht am Oberrhein von Basel bis Straßburg dieselbe Aufgabe wie an der oberen Strecke? Auch hier ist die Aufgabe, den Fluß für die Schiffahrt und für die Kraftgewinnung zu erschließen. Die Entscheidung über dieses Werk, über die Landschaft und über alle Landschaften des Rheins bis zur holländischen Grenze liegt jetzt in den Händen einer Kommission, die in Versailles entstanden ist; die deutschen Uferstaaten sind in diesem Ausschuß nur mit vier Stimmen gegenüber vierzehn anderen vertreten. Die Schweiz hat an dieser Strecke an künftigen Gewinnen motorischer Kraft keinen Anteil, sie verlangt, auf alte Verträge gestützt, nichts weiter als die Regulierung des Stromes, damit der Schiffsverkehr von Basel zur Nordsee möglich sei. Regulierung bedeutet die genaueste Erforschung der ewig geheimnisvollen und beweglichen Sohle des Flusses, die Herstellung von Buhnen, Schwellen, Uferdämmen, die ihn zähmen, sie bedeutet nichts als die Herstellung einer sicheren Schiffsstraße ohne die Häuser der Elektrizität. Wer den Fluß zum Kanal macht, der verlangsamt die Schiffahrt, denn das Schiff muß dann die Stufen des Gefälles in Schleusen zurücklegen. Aber er macht sie dafür auch billiger, und er gibt die eigentliche Kraft des Flußlaufes den Turbinen. Die Zentralkommission in Straßburg hat nun weise entschieden, daß hier ein Doppeltes geschehen soll: die Schweiz behält das Recht, den natürlichen und fast verwilderten Strom bis Straßburg für die Schiffahrt herzustellen, Frankreich aber soll anfangen, ihn zu kanalisieren. Und mit der Gebärde des militärischen Siegers beginnt es nun, den Fluß schon an der Stadtgrenze von Basel anzuzapfen, zunächst um den Felsen von Istein mit einem Seitenkanal zu umgehen, später aber diesen Kanal in das Elsaß und weiter nach Frankreich hinein zu bauen. Es will einen großen Kanal, der Kraft bis nach Paris versenden und sein Wasser in das Netz der französischen Schifffahrtskanäle gießen soll, auch wenn darüber der alte Rheinlauf zum Tümpel wird. Es ist wahr, der Kanal untersteht, soweit er zum Rhein gehört, nicht der französischen, sondern der internationalen Aufsicht, aber der erste Spatenstich ist getan, das für den Norden bestimmte Wasser gewaltsam nach Westen abzulenken. Ueber diese Drohung herrscht Unruhe, Ungewißheit, Stockung, von der Schweiz den ganzen Rhein hinab. Der Haß gegen Deutschland, der Wille, Schaden zuzufügen, mag stark sein. Aber keine Angst! Der Rhein ist stärker. Der Weg, den der Rhein sich selber in den Boden gegraben hat, ist tiefer dem Boden zugehörig als alle die Schleusen und Hebewerke, die nötig wären, um den Strom aus seinem Bett zu winden und sein Erbe unter die Mörder des freien Rheines zu verteilen. Das in der Urzeit abgeflossene Meer hat mit seinen Sandmassen das alte Tor vermauert, durch das sich einst ein anderer Rheinstrom, dessen Anfang vielleicht der Main war, nach dem Mittelmeer begab. Die burgundische Pforte ist hoch, und der lockere und wässerige Boden des Elsaß ist unersättlich. Das Geschrei von dort drüben mag laut oder leiser werden, aber man wird sich zuletzt in Straßburg über das Werk am Oberrhein in friedlicher Nachbarschaft verständigen, oder es wird niemals werden. Denn soviel Geld und soviel Macht hat selbst das reiche und ausgewaffnete Frankreich nicht, um ein Panama am Oberrhein zu wagen.
Nicht ich mache die Reise, ich begleite nur die Reise des Flusses. Nicht meine Abenteuer, Uebernachtungen und Geschwindigkeiten sind wichtig, sondern die Eigenschaften des Stromes, seine Wandlungen, Launen und Gefahren, seine Aufenthalte und sein sicheres, unaufhörliches Weiterströmen. Nicht die Idyllen, sondern die Landschaften in ihrer Ganzheit, in ihren Uebergängen und Erneuerungen. Nicht der Sonnenschein von heute und das Regenwetter von gestern, sondern das Atmosphärische, der durchsichtige, elastische und brütende Dunstleib des Flusses zwischen Erde und Himmel. Nicht das Plätschern des Nachens, sondern die milde Festigkeit der Strömung und ihr verborgenes Kissen, das Grundwasser, das Feldern, Dörfern und Städten ihre Brunnen gibt. Nicht das Leben der Menschen mit seinen Tagesneuigkeiten, sondern daß die Menschen des Rheinlandes ein wenig von ihrer Tatkraft, ihren Träumen, ihrer Denkweise von dem Fluß empfingen und daß sie den Wein lieben, der seine Jahrgänge hat, je nach den Nebeln und den Lichtspiegelungen um den Strom. Die Städte am Bodensee mit ihren spitzen Giebeln, ihren kleinen Plätzen, ihren altertümlichen Museen, Gaststuben und Gassen sind fast dieselben wie die anderen den Fluß hinab. Schaffhausen ist nur weniger verwittert als Konstanz und Freiburg, obwohl es zwischen beiden in der Mitte liegt. Es ist von dem zermalmenden Auftrieb der vergangenen deutschen Jahrzehnte verschont geblieben, und es wird in gelassener Ausdehnung wie Basel seinem alten Bestände die Hafenklammern, Wehre, Schleusen, Fabriken und Wirtshäuser hinzufügen, die sein Bild am Ufer des Rheins verändern, ohne es zu zerstören.
Auch in Freiburg gibt es noch diese schmalen Durchfahrten und die geharnischten Denkmäler, die Martinskirche, freudig ausgemalt und gold geschmückt, das Münster mit seinem mürben Steingeäst und den dämmernden Altären, die von alter Blutbeziehung zu Basel Kunde geben. In den Sockel des Domes sind die Ellenlängen, Laibgrößen, Hohlmaße, Werkzeichnungen und Jahrestage für die Wiederkehr der Märkte eingeritzt, kleine Maßbestimmungen des Alltags, die doch nicht weniger als die kunstvoll gefaßte Größe des Turmgebäudes im gleichen gnomischen Anfang wurzeln. Es gibt dort zwischen den banalen und entstellten Straßenfronten noch ein paar der altgeschickten Häuser mit den poetischen Namen, aber reichlicher stehen sie in dem sauberen Basel und an den wohligen Gassen von Schaffhausen, die Häuser Zum Hagelstein, Zum silbern Schnegcken, Zum roten Faß, Zur Fortuna, Zur alten Färb, Zum blauen Trauben, Zum Merkur, Zum Zitronenbaum, Zum Nägelibaum, Zur gülden Lilien, Zum Wasserquell, Zum Thiergarten, Zum Korallen, Zur Demuth, Zum Jordan, Zum Samson, Zum großen Kefin, wo an der buntgemalten Hausfläche ein ganzer Kriegszug mit dem gefangenen Türkenkaiser Bajaseth in einem Käfigkarren aufmarschiert. In Schaffhausen erstaunt den Besucher ein tief mittelalterliches Bild: das tausendjährige Münster steht wie ein Neubau bis an die Türme im Gerüst. Hinter der sattgelben Allee der Ahornbäume regt sich das blaue und weiße Gewimmel der Maurer und der Steinmetzen bei ihren Kalkbädern, Sandhaufen, Handkarren und ankommenden Fuhrwerken. Ein Hämmern, Prasseln, Schaufeln, Emporwinden und Räumen ist um den Eingang des Domes mit der wiederhergestellten Freitreppe und den zierlichen Seitenhallen, denen die halbabgebrochenen Häuser der Nachbarschaft den Rücken bieten. Im Halbdunkel des Kreuzganges reihen sich in den schwarzen Mauern die Epitaphien voll stolzer Schnörkel, gotischer Inschriften und Symbole. Auf einem Würfelblock im Winkel des Klostergartens ruht die zersprungene Turmglocke, die ein paar Jahrhunderte am höchsten hing und erst vor einem Menschenalter herabgenommen wurde. Nun kann jeder sie sehen und das schmale Zierband betrachten, vom Meister geschickt und hastig in diesen Saum gestanzt, und die erhabenen Lettern lesen, den Magierspruch, den Goethe seinem Freund nach Jena mitteilte: Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango.
Das eifrige Bemühen um den Dom und die modernen Anbauten, die ihn zieren werden, deuten auf einen Wohlstand, den wir in Deutschland jetzt nicht haben. Ist die Stadt der Bauherr, der Kanton oder die Kirchengemeinde, ich weiß es nicht, ich habe nicht gefragt. Vielleicht geschieht dies alles, um einem Notstand der Arbeitslosen abzuhelfen, die in der Schweiz zahlreich geworden sind. Früher entstanden die großen Kirchen aus den Opfern aller, vielleicht ist es jetzt dasselbe Verhältnis, nur ein wenig ins Verwaltungsmäßige verschoben; wird in ein paar Jahren dasselbe Arbeitsvolk die neuen Türme, Maschinensäle und Schleusentore am Rheinfall bauen, dessen Donner in stillen Nächten bis in die Stadt zu hören ist? Wird dann die Weltstunde gekommen sein, daß auch diese Arbeit mit der Freudigkeit und Größe geschieht, in der die stolzen Türme einst zum Himmel wuchsen?
Ich fahre in einer grauen Elektrischen durch das arbeitsschmutzige untere Stadtviertel mit dem älteren Turbinenwerk am achatgrünen Rheinstrom, auf dem jetzt schon die Industrie der Stadt beruht. An den Resten einer hundertjährigen Mühle vorüber prasselt ein Bach des Rheinfalles abgeleitet durch das bebende Gebüsch. Auf den naßgespritzten kleinen Plattformen und Stockwerken an der Seite empfinde ich die Gewalt der breit einherjagenden Wasser. Wasserbrocken wie eine Schnur von Explosionen fliegen aus der zu einem Heer von zornigen Köpfen und Schaumleibern zusammengerafften Flut in die Höhe. Immer hat das Rauschen, Glänzen und Schäumen des Wassers in seiner Erregung etwas tief Anziehendes. Ein Gefühl des Abstandes und der leisen Verwandtschaft stellt sich her zu dem verwandlungsfähigsten der Elemente, das in seiner Metallähnlichkeit so wuchtig hinstößt und in seiner Auflösung bis in alle Weiten der uns vorstellbaren Welträume Zugang hat. Der Rheinfall hier ist nur wie eine Kindertrommel, mit dem gewaltigen Donnern afrikanischer Urwaldströme verglichen, aber man wird gut tun, ihn in das dynamitene und zementene Ingenieurwerk des künftigen Rheines wie eine Reliquie einzufassen. Seine ungestüme Eile und seine grauen, zersägten Klippen mit dem kecken eisernen Schirmchen darüber und den Jahreszahlen trockener Jahre, seine weißen Garben und durchsichtigen Glaswände über der Felsenstufe, sein von Nebelregen überflogener Weiher mit dem Fischernachen am Fuß des Schlößchens Wörth, wo der Fluß seinen Weg in den Wäldern fortsetzt, sind doch ein großes Sinnbild von Durchbruch und Beruhigung, ein seelisches Denkmal.
Wir fahren mit dem Fährmann unter dem Tonnendach des Nachens vom steil gepflasterten Ufer des Baseler Zollhafens nach Kleinbasel hinüber. In der Mitte des kräftig grünen und glänzenden Stromes ist eine dunkelviolette Färbung, irgend ein Fabrikwasser, durch Röhren mitten in das Flußbett geleitet, verschämte letzte Beschmutzung des Rheines auf dem Schweizer Boden. Oberhalb, wo sich jetzt die Balkonwände der Häuser dem Turmgebirg des Münsters nähern, war wohl die alte Lände der Basler Schiffahrt, die im Mittelalter den lebhaften Verkehr der Handelswaren, der Pilgerscharen und Gesandtschaften den Fluß hinauf und hinab besorgte. Die Lastschiffe der handwerksmäßigen Schiffleute, bis achtzig Fuß lang, im nahen Laufenburg aus rohen Balken gezimmert und mit hölzernen Pflöcken gefügt, gingen bis Mainz und Köln und Holland. Zur Messe fuhren sie nach Frankfurt. Man ließ sie dort und verkaufte sie als Bauholz, weil der Rückweg nicht lohnte. Noch lassen die Urkunden der alten Reichsstadt das vergangene Leben ahnen, dramatischen Streit der Schiffer mit den Handelsherren und ihren Abfertigern um Frachten und Schadenersatz, Streit zwischen Schiffmeistern und Gesellen, Streit der rheingenössischen Zünfte Zum Safran, Zum Schlüssel und Zur Mägd gegen die Stadt, Streit gegen die Zünfte und Stadtverwaltungen von Zürich, Breisach und Straßburg, fröhliche Jahresfeste zu Ehren der Schutzheiligen Sankt Nikolaus und Sankt Brendan, Niedergang, dem durch den Unternehmersinn der nach Basel eingewanderten italienischen Kaufleute nochmals ein Aufschwung folgte, und endlich, 1838, das Erlöschen, Verkauf des Zunfthauses auf Abbruch. Im Anfang waren es die mailändischen Gewandballen, Pelzwerk, Brokat, Nadeln, Früchte des Südens und die fremden Gewürze in buchsenen Fässern gewesen, die am Salzhaus mit dem Kranich aus- und eingeladen wurden, am Ende waren nur die Schiefertafeln, Käse und Holzsorten der Glarner Händler übrig, die den Rheinweg suchten. Bald waren es die Zollhindernisse, dann die Landstraßen, die sich besserten, schließlich brachte die Eisenbahn sogar die Anfänge einer Basler Dampfschiffahrt zum Erliegen. Mit Böllerschüssen, Festgepränge und Markgräfler-Wein war in Basel das erste Dampfschiff begrüßt worden. Aber die späteren Versuche, den Oberrhein für einen geregelten Dampferverkehr zu öffnen, schlugen fehl. Nach einer Unterbrechung, die zwei Menschenalter dauerte, kamen in den Jahren vor dem Weltkrieg, nach 1907, die ersten Frachtkähne vom Niederrhein. Und an einem Sommertag 1922 begrüßte Basel dann mit seinen Volksmengen, Böllern und Schweizerflaggen abermals echt nach rheinischer Art den Schleppdampfer und die Kähne, die als erste in den neuen Hafen fuhren. Ihre Last, die sie auf den hoch angeschütteten Flächen zwischen den neuen Wasserbecken niederlegten, war kölnische Braunkohle. Den elsässischen alten Schanzen von Hüningen gegenüber, nah dem großen Hallenbau des Badischen Bahnhofes stehen die eisernen Portalgerüste des jüngsten Rheinhafens an den noch leeren Gleisen und frischen Straßen, aber die blau-weiß gestreifte Flagge mit dem Helvetierkreuz ist für immer auf dem Strome heimisch geworden, von jetzt an wachsen hier am Ziel die Gebäude und Lagerhallen, die sich zwischen Schiff und Güterzügen den Frachten öffnen werden. Alles ist vorbereitet, männlich bedacht und in geschulten Händen. Schon in diesem ersten Jahr war der Güterverkehr in Basel größer als jemals. Die steinige Schweiz hat Zement, Karbid, Aluminiumwaren, Kondensmilch für den Weltmarkt. Sie sucht von den Ländern der kühlen Zone Kohle und Erze, von den fetten und warmen Ländern Brotkorn, Oele, Zucker und Garne, um ihre Bilanz der zur Nahrung und Kleidung dienenden verweslichen Güter zu bessern. Wenn Basel das Goldene Tor der Schweiz ist, so erscheint sein Hafen von Klein-Hüningen schon fast zu schmal für die Zukunft. Denn der Wasserweg ist unendlicher Verästelungen fähig, er strebt nach allen Meeren Europas und durch Kanäle in alle Länder. Es fehlt nur, daß die Idee Europas begriffen und gestaltet werde, dann werden bald von hier auf den Gleitbahnen schmaler Wasserstrecken die Adria wie das Schwarze Meer, die Ostsee wie Marseille und das Becken der Seine, ja selbst die großen sibirischen Ströme erreichbar sein. Basilea lux Rheni. Nicht dieser Stadt fehlt es an Europäermut.
Kaum irgendwo sind die Uferstreifen des Rheines so treue Spiegelbilder von einander wie zwischen Schwarzwald und Vogesen. Manchesmal ist der Fluß tief im Wiesengebüsch verborgen. Fast heimlich umfaßt er flache Inselräume, struppig bewachsene Auen, legt seine Altwässer neben das ans Trockene gehobene Geröll, punktiert seinen Weg mit schilfigen Weihern. Es ist, als nehme der Rhein in dieser Landschaft mehr Platz ein, als ihm vor den Menschen gebührt; man hat dem badischen Ingenieur-Oberst Tulla, der vor hundert Jahren dem Fluß ein großes fruchtbares Gefilde abgewann, ein verdientes Denkmal errichtet. Die Korrektur des Gewässers gab den Höfen und Aeckern ein wenig mehr Sicherheit vor den Launen der Frühjahrsflut und festigte die ungewisse Grenze. Gewaltige Faschinenwerke, die man einst gegen den Strom errichtet hatte, waren nutzlos gewesen, weil der Fluß immer neue Stellen angriff. Noch immer senkt sein Bett sich tiefer, auch das Grundwasser scheint zu sinken, die Spitzen der Pappelbäume werden dürr. Alte hölzerne Brücken, einst nah dem Fluß, schweben hoch über dem Wasser, das nicht mehr an ihre Bogen kommen wird.
Die von brandrotem Gezweig umrankten kleinen Säulen der Rebstöcke umgeben in regelmäßigen Schachbrett-Reihen den weißen Fels von Istein; unten winkt die Haube eines Kirchturms, an der Wetterseite vom gelbschwarzen Moos bezogen, vom Guano der Störche befleckt. Es ist nicht immer gleich zu sagen, was von den Feldern und Dörfern auf dieser und auf jener Seite des Flusses liegt. Man kann die Aepfel auf den Bäumen drüben zählen. Man sieht über die weißgoldroten Blumen der Bauerngärten, durch das Laub der Mirabellen, durch den zarten Vorhang der Birken, durch gelbe Nußbäume und über blaue Kohlfelder hinweg den Turm in der Mitte der alten Dorfdächer. Die Bauern ernten familienweise den dürftigen Mais, dessen Kolben unter den Dachrändern hervorleuchten, aus den vom Rauch der Kartoffelfeuer überzogenen Aeckern graben sie Knollen, die braungelb sind wie Flußkiesel. Ueber dem Fluß stehen im Sonnenschein die schmalen roten Sandsteinbrücken bei den alten kleinen Städten; selten kommt das Rollen des Zuges, selten gleitet das dunkle Band durch das Eisengestänge, das seinen Gitterschatten auf das Wasser wirft. Von Menschen fast verlassen liegen die Schiffsbrücken dort vor Neuburg und vor Breisach mit ihren Planken über den gedrängten, schwarzen, hechtförmigen Kähnen. An ihrem Zugang endet die Landstraße zwischen Reihen halbgekrümmter Eisenpfosten. Der Zollwächter, im grauen Umhang, mit der Pfeife und der grünen Mütze, steht vor seiner Hütte auf dem Damm. Drüben streicht die lockere, vom Wind herabgedrückte Rauchwolke des Schleppers wie Staub um das Wachthaus. Am schmalen Durchlaß, der sich mechanisch öffnet, leuchtet die Scheibe mit der Trikolore, die grüngesäumten, schwarzen Holländerboote mit ihren weißen Hütten gleiten sacht vorüber. Am engen und verbrauchten Bahnhof von Kehl geht die Eisenbahnbrücke grau und niedrig wie ein Hemmnis über den Fluß, mit ihr die halbversperrte Straße, deren Fußgänger an den Schildwachen vorüber müssen, trauriger Weg, der die Verjagten aus dem Elsaß zu den Holzbaracken und Paßvisitationen des Vaterlandes führte. Der Eindruck vorbeimarschierender Blausoldaten steht vor der fernen Silhouette des Münsters. Sei gegrüßt, feierlichster Turm der Gotik, fernes blasses Denkmal! Der Rhein ist breiter hier. Von dem langen eintönigen Uferdamm des Kehler Hafens sieht man den Schiffzug, der in die Einfahrt von Straßburg abzweigt. Frische Erdbauten sind dort drüben, bestimmt, den Hafen zu vergrößern, Ausdruck uralten Wettstreits mit Basel, eifersüchtiger neuer Pläne.
Auf dem ganz milden kleinen Hügel, den der vulkanisch einsame Kaiserstuhl zum Rhein vorstreckt, liegt die Sponeck. Es ist schön hier oben zu allen Jahreszeiten, am schönsten im Frühling. Man steht mitten im herrlichsten Landschaftsrundbild des südlichen Deutschland, das Elsaß einbegriffen. Im Herbst, wenn an den Nußbäumen die Nüsse platzen und wenn es den neuen Wein gibt, denke ich an den weißhäuptigen Maler, der in den Schwarzwald wiederkam und vor der alten Kirche bei St. Blasien einem noch älteren Mann aus seinem Heimatdorf begegnete. Von da oben übersieht man in noch weiterem Bogen alles Land zwischen dem Silberhorizont des Berner Oberlandes und dem grünen vor Karlsruhe, zwischen den Vogesenkämmen und den Rücken des Donautales. In diesem Land sitzen die Eisenschädel, die Alemannen. Die beiden Alten erinnerten einander an den Spruch eines Großvaters, der einmal von diesem Kirchlein geweissagt hatte, daß es einmal mitten in der Schweiz stehen werde. Wie mag er's gemeint haben? Ist das Unverwirklichte der Vergangenheit die Zukunft?
Sonniger Morgen. Die Landstraße am Bachlauf entlang in grünen Feldern ist umweht vom nüchternen Geruch des reinen Wassers. Sie kommt vom Schwarzwald sanft hernieder, sie führt in die breite Straße von Neuburg, in die alte Reichsstadt mit den behäbigen Wirtshäusern, die jetzt geschlossen sind, mit den ländlichen Häusern, den Wappenzeichen und den Sprüchen über den Türen. Vom Elsaß kommen die Händler nicht mehr herüber, das Städtchen ist still geworden, noch mehr von ihm ist hinabgesunken in die Vergessenheit. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges stand hier die wichtige Reichsstadt mit dem Münster, den Wällen, dem Rathaus. Hier starb Bernhard von Weimar an Gift inmitten seines Heeres; er war nah daran, ein Herzogtum am Rhein zu gewinnen, Frankreich verstand es trefflich, sein Erbe anzutreten. Wo die Landstraße aus dem Städtchen biegt, da sieht man die Vogesen, Ein Kreuz ragt davor ins Leere, man liest auf ihm den Spruch:
Wanderer, blicke gen Westen hinauf zu den Bergen in Ehrfurcht,
Helden fielen für dich, Wanderer, bete für sie.
Im Rücken dieses Kreuzes liegt die Wüste des Rheines, steinige Niederung voll Gestrüpp, von Tümpeln bedeckt, von der einzigen Allee durchzogen. Vielleicht stand hier jener Teil der Stadt, der samt dem Münster einer verheerenden Flut zum Opfer fiel.
Auch Alt-Breisach, nicht fern von Freiburg, ist eine stille Stadt. Fels inmitten friedlicher Prärie, alte Gassen, gepflasterte breite Auffahrt, Festungswälle und kräftige Basteien, Reste steiniger Militärgebäude und des Schlosses in der Höhe, die gedrängten, bescheidenen Häuser den Hügel hinab in grauen Gassen landwärts gezogen. Oben die Türme und Giebel der Münsterkirche, Lindenallee über den Rücken des Berges mit Weingärten an der Seite, die in den Quadermauern verfallener Gebäude, über Kellern und vergitterten Gewölben zu stehen scheinen. Aus dem mit Unkraut bewachsenen Spielplatz, der einst ein Saal war, zeigen Schulknaben in das weite grüne Elsaß hinüber, im Waldgebüsch ragt dort der klargeschnittene Umriß von Neu-Breisach, der Blick ahnt Colmar in der Ferne. Viel Gebüsch ist zwischen dem Abhang des Basalthügels und dem Rhein, der schmal und kräftig strömt. Rotes Brückentor in herbstlichen Bäumen. zerbröckelndes Bauwerk Vaubans mit den Kriegsgöttern und Lilien des königlichen Frankreich; geschlossenes Tor unter dem zur Dolde stilisierten Siebenhügelwappen der vielumstrittenen Stadt. In dem großen Schachspiel, das hier am Rhein gespielt wurde, ist Breisach einer der Türme gewesen; die Chronik verzeichnet Belagerungen, Hungersnot, mißlungenen Handstreich, Verrat und Plünderung, Verfall, ohnmächtige Klage. Nichts vom gebieterischen Stand der alten Feste ist geblieben als das Münster, das mit den buntgläsernen Fensterrädern über den Strom hinüberblickt, und das Spiegelbild des französischen Tors dort unten im Entenweiher.
Das Leben an diesem Teil des Stromes geht nicht mehr quer hinüber. Es geht nur noch in der Länge. Vernichtendes Gefühl, zu denken, daß es je den ganzen Strom entlang so wäre.
Auf dem Taunusfeldberg im Saal des Wirtshauses sitzen die Wachen, die nichts zu tun haben, trinken vom frühen Morgen an Erdener Treppchen und rauchen Zigarren zu hundertfünfzig Mark das Stück. Ueber die alten Plätze von Mainz marschieren die gelbgekleideten Männer mit den roten Filztöpfen auf dem Schädel und präsentieren irgend etwas vor irgendwem, zu dem von früheren Jahrmärkten wohlbekannten schrillen und eintönigen Klang der afrikanischen Querpfeifen. Man sieht Gruppen dieser braunen Leute in ihren blauen Waschkitteln zwischen Eisenbahndamm und Schiffsbrücke vor dem kleinen Bauernnest, sie haben ihre Gewehre zu Pyramiden zusammengesetzt und die Feze darüber gestülpt. Die jungen Burschen und bärtigen Männer mit ihren kahlgeschorenen, zuweilen auch wildgelockten, zuweilen auch ein wenig räudigen Köpfen springen umher und erwärmen sich durch das Ballspiel an dem nassen Herbsttag. Der Besucher, dem das alles ein wenig fremdartig vorkommt, gerät am späten Abend im »Salmen« mit einem hellblauen Leutnant ins Gespräch, der hinter einer Batterie von Weinflaschen mit dem wohllautenden Bariton des Herzens den Zuhörern den Irrtum erläutert, von einer französischen Tyrannei am Rhein zu sprechen. Die bekannten Argumente gehen hin und her. Aber Frankreich, nicht wahr, zwischen der Hartherzigkeit seiner Verbündeten und dem schlechten Willen der Deutschen, hat keine andere Wahl; eine Geste des guten Willens der Deutschen, und die französische Hand wird sich ihnen entgegenstrecken. »Wie?« sagt der Besucher. »Ist sie nicht ausgestreckt genug? Kein Volk läßt sich freiwillig Stücke aus seinem Leibe reißen. Auch die Deutschen nicht. Glauben Sie mir; ich bin seit hundertdreißig Jahren Deutscher, ich war vorher tausend Jahre lang Franzose. Diese Streitigkeiten, von denen Sie da sprechen, bestehen, sie sind sehr bürgerlich und sehr dekadent. Lesen Sie doch einmal Le Rhin von Victor Hugo, das kleine Kapitel über Speyer vielleicht, und die Conclusion. Dieselben Argumente wie heute: Ostorientierung und so weiter, aber es steht da auch einiges von den représailles de la destinée. Es ist römisches Recht, mein Bester, Advokatenrecht, das einen Flußlauf zur Grenze erklärt, solche Kindlichkeiten finden sich sonst nur noch auf den Kolonialkarten. Man steht nirgends so deutlich wie hier am Rhein dem Naturrecht gegenüber, die Deutschen nennen es germanisches Recht, es könnte meinetwegen altrussisches heißen.« – »Aber wir haben unser Blut vergossen!« – »Wir denn nicht? Ich sehe, wir werden uns einmal ausgezeichnet vertragen, wenn wir beide tot sind.«