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Mit dem Untergrundboot durch die Unterwelt

Diesmal hatte der Doktor Kleinermacher seinen Freunden gesagt, sie müßten wieder ein paar Wochen auf ihn verzichten. Er arbeite wieder an einer Erfindung, an einem ganz neuen Fahrgestell. Was das für ein Fahrzeug sei? Darüber wolle er noch nicht sprechen, es solle eine Überraschung werden. Ganz sicher sei er auch nicht, ob die Erfindung ihm gelinge. Aber die Sache wird schon funktionieren.

Auch die Kinder waren nicht hoffnungslos. Ist denn dem Doktor schon jemals etwas mißlungen?

So blieben sie, obwohl mit etwas Ungeduld, doch in freudiger Erwartung. Der Doktor wird schon eine ganz pfundige Sache hinlegen. Aber warum läßt er sich nicht helfen? Damals, beim Bau des U-Bootes im vorigen Jahr, da durften wir ja auch helfen. Na, der Doktor wird schon wissen, warum er seine Überraschung allein basteln will.

Endlich kam der Tag heran. Wieder bestiegen die drei Abenteurer ihre Fahrräder, und dann ging es in den frischen Sonntagmorgen hinein.

Dieter fuhr voraus, wie ein wilder Rennfahrer, und Traute und der Doktor kamen langsamer hinterher. Der Dieter wird schon müde werden, dann wird er auch in unserem Tempo fahren, Eile mit Weile. Endlich hatte der Dieter das Sausen satt, und er gesellte sich mit seinem Rade zu den beiden anderen. Plötzlich sagte er:

»Doktor, dein Rad piept ja so. Hast du das Ölgeld vertrunken?«

Der Doktor lauschte auf die Geräusche seines Rades. Richtig, der Dieter hatte recht. Bei jeder Radumdrehung gab sein Fahrrad einen Pieplaut von sich.

»Bist du denn taub, Doktor? Hast du das Piepen wirklich nicht gehört?«

Die drei stiegen ab, und der Doktor ölte sein Rad.

»So, jetzt kann es weitergehen.«

»Doktor, bist du schwerhörig?«

»Nein, das bin ich nicht, Dieter. Aber wenn man ein bestimmtes Geräusch immerzu hört, dann hört man es überhaupt nicht mehr. Die Dinge, die wir alle Tage sehen, die sehen wir auch nicht mehr. Ebenso ist es mit den Geräuschen. Ein Fahrstuhlführer erzählte mir einmal, daß er die Maschinengeräusche in seiner Fabrik schließlich gar nicht mehr wahrnehme. Als er aber einmal in der Pause mit seinem Fahrstuhl nach dem Maschinensaal fuhr, die Fahrstuhltür öffnete und ihm die Stille der Fabrik entgegenkam, da merkte er erst, daß die Maschinen ja eigentlich einen großen Krach machten. Ebenso ging es einem Mühlenbesitzer. Wenn seine Wasserräder Tag und Nacht den gleichen Lärm machen, dann hört er die Geräusche nicht mehr. Er kann bei dem Krach seiner Mühlenräder schlafen. Nur einmal, es war nachts, da hörte er, daß seine Mühle Lärm machte. Er schlief, seine Mühlenräder machten immer klapp, klapp, klapp ... da geschah ein Unglück, die Räder setzten aus, die Mühle stand still. Jetzt wachte der Müller auf. Bei jedem Lärm konnte er schlafen, die Ruhe aber störte ihn. Und das war sein Glück. Er konnte das Räderwerk besichtigen, konnte den Schaden wiedergutmachen; die Mühle machte wieder klapp, klapp – und der Müller schlief ruhig wieder ein.

Kinder, mir fällt da etwas ein. Wir sprachen von meinem piependen Fahrrad, dann kamen wir zum Fahrstuhlführer, und jetzt sind wir in der Mühle. Nun mache ich einen großen Sprung in das Mittelalter. Unsere Vorfahren glaubten, daß die Gestirne bei ihrem Rundlauf Geräusche verursachen. Die Alten sprachen von einem Sphärengesang: Die Sterne singen. Wir hören es nur nicht, weil wir es immer hören. Wir sind so sehr daran gewöhnt, daß wir nichts mehr von einem Sphärengesang vernehmen. Aber hörte er einmal auf, dann würden wir merken, wie laut die Sterne sind.

Darum dichtete Goethe ja auch in seinem Faust:

Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.«

Traute fragte dazwischen:

»Singt die Sonne denn auch wirklich?«

»Ach nein, das ist eine alte Sage. Aber klug ausgedacht ist sie doch, wie ihr an meinem Fahrrad gemerkt habt. – Aber jetzt müssen wir absteigen. Hier ist mein Garten.«

Die drei stellten die Räder ab, gingen in die Laube, und der Doktor bereitete den Frühstückskaffee. Die Kinder wagten nichts zu sagen. Wird der Doktor jetzt seine Überraschung auspacken?

Und der Doktor tat es. Er öffnete ein winziges Etui. In der Watte lag ein kleines Etwas, so groß wie ein kurzer, dünner Nagel. Nanu, mehr nicht? Das kann doch nicht alles sein? Aber dann sahen die Kinder den »Nagel« unter der Lupe an. Die vordere Hälfte des »Nagels« war wie ein Bohrer gestaltet. Es war also eine Schraube. Jedoch konnte sich die Schraube drehen, der hintere Teil bewegte sich dabei nicht mit. In der Mitte und hinten hatte der »Nagel« Vorrichtungen, die wie Schiffsruder aussahen. Man konnte die Ruder so stellen, daß sie als Seiten- oder auch als Höhenruder wirkten. Der Doktor führte unter der Lupe mit einer Pinzette alle Stellungen vor. Dann hatte der »Nagel« auch eine Tür, die in das Innere führte. An beiden Seiten waren große Fenster angebracht. Und dann hatte der »Nagel« auch zwei Scheinwerfer. Wenn man mit der Hand das kleine Gestell verdunkelte, konnte man deutlich die Scheinwerfer flimmern sehen.

»Doktor, wenn ich richtig rate, dann ist das ein Unterseeboot. Hurra! Wir machen wieder eine Unterwasserfahrt!«

»Nein, Dieter, es ist kein Unterseeboot, es ist ein Untergrundboot! Mit diesem Gestell wollen wir uns durch das Erdreich bohren. Ich habe es schon ausprobiert, es geht. Die vordere Hälfte bohrt sich durch den Sand und zieht das Fahrzeug mit sich. Wie im Wasser lenken wir das Fahrzeug mit Seiten- und Höhenrudern. Durch die Fenster hier können wir alles in der Unterwelt beobachten. Und damit wir auch sehen können, habe ich die beiden Scheinwerfer eingebaut.«

»Wie leuchten denn die Scheinwerfer?«

»Ich habe Leuchtbakterien eingesperrt. Hinter den Bakterien ist ein gekrümmter Spiegel, und vor ihnen befindet sich die Linse. Damit die Bakterien leben und leuchten können, habe ich ihnen eine Nährflüssigkeit gegeben.«

»Doktor, du bist ein großer Erfinder! Auf was für Ideen du kommst! Das ist einfach großartig!«

»Leider bin ich in diesem Fall kein Erfinder. Die Scheinwerfer hat ein anderer erfunden. Ich habe sie einem Original nur nachgebaut.«

»Hat das viel Geld gekostet? Die Erfinder wollen doch eine Entschädigung haben.«

»Nein, der Erfinder hat keinen Pfennig bekommen. Er weiß es gar nicht, daß ich seine Erfindung benutze. Ich habe ihn sogar töten müssen, um seine Erfindung auszunutzen.«

»Doktor! Das ist ja Mord!«

»Ja – es ging leider nicht anders.«

»Das sagst du so ruhig?«

»Na, dann muß ich euch die Wahrheit bekennen. Der Erfinder dieser Leuchtbakterien-Scheinwerfer ist ein Tintenfisch. Ich mußte ihn genau untersuchen, und dabei ist er gestorben. Das tut mir jetzt noch leid. Der Tintenfisch hat nämlich so einen Scheinwerfer. Die Linse und den Spiegel bildet er aus eigenen Organen. Die Leuchtmasse aber kann er selbst nicht herstellen. So nimmt er fremde Lebewesen, sogenannte Leuchtbakterien, in seinen Scheinwerfer auf. Er ernährt die Bakterien, und dafür leuchten die kleinen Wesen. Der Tintenfisch lebt nämlich in der Tiefsee, und da unten ist es sehr dunkel. So sehr haben sich die Leuchtbakterien an den Tintenfisch gewöhnt, daß sie leuchten, wie und wann es der Tintenfisch will. Die kleinen Tintenfische bekommen gleich bei der. Geburt einige Leuchtbakterien von der Mutter mit. Zwei Tierarten leben so in bester Gemeinschaft zusammen. Die Wissenschaft spricht von Symbiose. Es ist nicht alles Kampf und Krieg unter den Tieren.

Wenn aber Gefahr naht, dann ist der Tintenfisch manchmal sehr undankbar. Wird er von einem Feind verfolgt, verspritzt er etwas Leuchtmasse. Der Verfolger wird verwirrt und schnappt nach den leuchtenden Streifen im Wasser. Der Tintenfisch denkt, die kleinen Bakterien können ja sterben, Hauptsache: ich lebe.

So, und nun wollen wir unser Untergrundboot ausprobieren.«

Die drei gingen in den Garten. Dicht an dem kleinen Abhang eines Beetes legte der Doktor sein winziges Erdboot nieder, und dann machte die Wunderflasche die Runde. Prost, auf ein neues Abenteuer!

Die drei Menschen schrumpften so sehr zusammen, daß sie noch viel kleiner als Ameisen wurden. Wo ist denn das Untergrundboot? Richtig, da hinten liegt ja der silberne Zylinder, die Stahlröhre. Schon in Ameisengröße ist es nicht leicht, die Unebenheiten zu überwinden. Wie viel schwerer ist es, die Felsenlandschaft zu überklettern, wenn man noch kleiner als ein Floh ist. Es kostete viel Arbeit und viel Schweiß, aber dann standen die drei vor ihrem Untergrundboot. Der Doktor öffnete die Tür, verschloß sie wieder sorgfältig, und die beiden Kinder nahmen an den Fensterplätzen Aufstellung. Jetzt kann es losgehen. Glückliche Reise!

Der Doktor bediente seine Maschine und stellte die große Schraube an. Wohl hatte er schon dafür gesorgt, daß das Fahrzeug etwas in das Erdreich hineinragte, aber offenbar faßte die Schraube nicht genug Erde, denn sie drehte sich, Sandstücke flogen umher, aber das Fahrzeug wollte und wollte nicht vorwärts kommen. Endlich beobachteten die beiden Kinder am Fenster, wie nahezu unmerklich das Untergrundboot sich in Bewegung setzte. Je mehr das Boot in den Sand vorstieß, desto besser konnte die Schraube das Erdreich erfassen. Die Fenster kamen den Abhängen des Beetes immer näher, und schließlich verschwand das Tageslicht. Das Untergrundboot war in der Unterwelt.

Langsam bohrte es sich durch das Erdreich. Da der Boden locker und voller Höhlen war, war es oft vor den Fenstern des Bootes sehr hell. Die Scheinwerfer arbeiteten gut. Oft aber verdunkelte die Erdmasse jede Aussicht. Manchmal stieß die Spitze des Bootes an einen Stein, die Schraube arbeitete wie verrückt, aber das Boot lag still. Dann bediente der Doktor das Steuer, und nach einigem Sträuben fuhr das Boot um den Stein herum oder drunter weg.

Die Fahrt unter der Erde empfanden die drei Abenteurer durchaus nicht wie eine Fahrt durch einen Tunnel. Manchmal gaben die Fenster einen schönen Ausblick, denn die Humuserde lag sehr locker, mit vielen Spalten und Höhlen. Langsam bohrte sich das Untergrundboot durch den Sand, und vieles konnten die Kinder im Lichte der Scheinwerfer sehen.

Manche Bodenspalte war mit Wasser gefüllt. Aber die Erde selbst war schon interessant genug. Humus ist ja ein Gemisch von so vielen Stoffen, daß man nicht wußte, wohin man die Augen wenden sollte. Hier lagen kleine Stücke von Insektenpanzern, dort kleine Holzstückchen und überall verwesende Pflanzenteilchen. Am schönsten aber sahen die Kristalle aus, die man mit den Riesenaugen sonst gar nicht beachtete. Die glänzenden Glimmerkristalle lagen in schönen Häufchen überall herum. Es waren kleine Blättchen. Heller, wenn auch klobiger, bauten sich die Kristalle des Feldspates auf. Am schönsten aber waren die Quarzkristalle. Allein die Kristalle machten die Fahrt unter der Erde schon zu einem Genuß.

Aber da gab es noch ganz andere Sachen. Herrlich sahen die zahlreichen Algen und Bodenpilze aus. So phantastisch waren die Formen, daß Traute aus der Verzückung nicht herauskam. Da gab es blaue, violette, grüne und rötliche Algen. In Indiens Urwald kann es nicht phantastischer aussehen. Doktor, wo führst du uns nur überall hin! Man müßte dich eigentlich in Gold einfassen. So herrlich sind die Spaziergänge und Fahrten mit dir durch die unbekannte Welt der kleinen Lebewesen.

Und erst die Tiere in der Unterwelt! Wie kleine braune Unterseeboote schwimmen sogenannte Kieselalgen durch die Pfützen der Unterwelt. Die winzigen Wesen haben einen Panzer aus Kieselstein, der aber so zierlich gebaut ist und so prächtige Ornamente hat, daß Traute wieder mal in hellste Verzückung geriet.

»Ihr seht schön aus, ihr kleinen Kieseltierchen. Nicht wahr, Doktor?«

Aber der Doktor mußte wieder verbessern, denn es sind keine Tiere, sondern Pflanzen, diese kleinen Kieselalgen. Ihre Formen sind so fein, daß die Hersteller von Mikroskopen ihre optischen Instrumente an den Kieselalgen prüfen. Das ist die friedliche Verwendung des sich selbständig bewegenden Pflänzleins. Die Kieselalgen finden aber noch eine sehr schreckliche Verwendung. Der Erfinder Nobel hatte sein Dynamit erfunden. Das Sprengmittel konnte er aber zunächst nicht verwenden, denn er hatte den Explosivstoff in flüssiger Form hergestellt. Wie Öl sah das Dynamit ursprünglich aus. Nun fand Nobel in der Erde Massen von abgestorbenen Kieselalgen. Kieselgur nennt man jenen feinen Sand. Die zierlichen Poren der Kieselpanzer saugen das Explosivöl auf, und jetzt war Dynamit in fester Form erfunden. Die Zerstörung konnte beginnen. Entsetzt über die schreckliche Erfindung stiftete Nobel den Friedenspreis.

Die Verwendung als Dynamit sieht man den kleinen Algen gar nicht an. Die schwimmen umher, tun keinem Tier etwas zuleide und ernähren sich ungefähr so wie die anderen Pflanzen.

Komisch wird es, wenn die Kieselalgen sich fortpflanzen. Dann lösen sich die beiden Deckel der länglichen Kieselschachtel voneinander, und jede Schachtelhälfte wächst zu einem neuen Wesen heran. Da nun aber immer nur die innere Schachtelhälfte neu wächst, wird die eine Hälfte der Kieselalgen immer kleiner und immer kleiner, bis sie eingeht.

Aber da krauchen und schwimmen noch mehr merkwürdige Tiere durch den Erdboden. Ein kleines Ding strudelt durch das Wasser. Oben trägt das Tierlein einen Kranz von Wimperhärchen, und die Wimpern werden so eigenartig fortlaufend bewegt, daß es aussieht, als ob das kleine Geschöpf ein Rad drehe. So heißt es denn auch Rädertierchen. Der Körper ist klar und durchsichtig und läßt alle inneren Organe erkennen. Wie ein Fernrohr kann das Rädertierchen seinen Körper ausziehen und zusammendrücken. Es gibt schon merkwürdige Käuze in der kleinen Welt.

Da beobachtete das Rädertierchen ein kleines Urtierchen in der unterirdischen Wasserpfütze. Wie ein Raubtier stürzte sich das Rädertierchen über das arme Urtierchen her, zerfleischte das zappelnde Geschöpf mit seinen harten Kiefern und drückte die Nahrung im Körper hinab. Da das Rädertierchen aus Glas zu sein schien, konnte man alle inneren Vorgänge beobachten. Wenn auch wir durchsichtig wären, könnten die Ärzte alle Krankheiten leichter feststellen.

»Also auch hier unten gibt es Mord und Totschlag«, meinte Dieter. »Wenn ein durchsichtiges Raubtier, so groß wie ein Elefant, eine Schildkröte verschlingen würde, alle Abenteuerbücher wären voll davon. Solche Wildwestabenteuer spielen sich täglich zu Tausenden im Erdboden ab. Was ist doch dein Garten für ein Schauplatz voller Leben und Ereignisse.«

Aber der Doktor erzählte noch so viel mehr von den Rädertierchen, daß den Kindern die Sprache wegblieb.

»Dieser mikroskopisch kleine Räuber, der übrigens aus mehreren Zellen aufgebaut und nicht so einfach organisiert ist wie die echten mikroskopisch kleinen Einzeller, hat den Wissenschaftlern viel Kopfschmerzen gemacht. Die Gelehrten wollen die Tiere alle in einem großen Kartothekschrank unterbringen. Jedes Tier soll sein Etikett erhalten. Der Löwe zum Beispiel gehört zur Familie der Katzen, die Katzen zählen zu den Raubtieren, die Raubtiere zu den Säugetieren und die Säugetiere zu den Wirbeltieren.

Aber wohin gehört das Rädertierchen? Anfangs glaubte man, es gehöre zu den mikroskopischen Einzellern. Stimmt nicht, das Rädertierchen ist selbst aus vielen Zellen aufgebaut. Dann stellte man das Rädertierchen zu den Insekten, später zu den Krebsen, und jetzt steht es bei den Würmern. Wie ein Wurm sieht das Rädertierchen gerade nicht aus. Aber das sind Gelehrtensorgen, da wollen wir nicht mitsprechen.

Links Rädertierchen, rechts ein Bärtierchen

Übrigens sind viele Tiere noch nicht endgültig im großen Kartothekschrank untergebracht. Da leben im Meer die eigenartigen Manteltiere. Sie bewegen sich kaum, sehen den Korallen etwas ähnlich, und doch stehen sie im Kartothekschrank dicht bei den hochorganisierten Wirbeltieren. Aber noch nicht endgültig; die Gelehrten werfen die Manteltiere von einem Fach zum andern. Jetzt sind sie bald alle Fächer durch.

Ein anderes Beispiel: Der alte Vater Linné – wir sprachen schon von ihm – stellte die Menschen, Affen, Halbaffen und Fledermäuse zusammen. Eine nette Verwandtschaft. Die Fledermäuse rutschten bald abwärts bis in die Nähe der Insektenfresser, das heißt der Igel und Spitzmäuse. Die Halbaffen rutschen den Fledermäusen nach. Die eingebildeten Halbaffen haben sich zu früh auf ihre Menschenähnlichkeit gefreut.

Aber nun zurück zum Rädertierchen, dem durchsichtigen kleinen Räuber. Alle Tiere, die ihr hier seht, sind Weibchen. Lange konnte man kein Männchen finden, und man glaubte schon, die Welt der Rädertierchen müsse ohne Männer auskommen. Dann entdeckte man sehr winzige Männlein, viel kleiner als ihre Riesendamen. Die armen Wichte können sich nicht ernähren, hungern in der kurzen Zeit ihres Lebens und sterben sehr schnell ab. Das ist der »Herr der Schöpfung« in der Rädertierchenwelt.

Wir müssen uns schämen, Dieter. Die Gelehrten können manchmal Humor haben. Sie sprechen nämlich in diesem Falle von Hilfsmännchen. List das nicht ein Jammer für uns Männer?«

Traute hätte sicher wieder jubiliert und ihren Freund Dieter verulkt, wenn die eigenartigen Erscheinungen im Untergrundboot sie nicht ganz gefangengenommen hätten. Was gab es doch hier unten alles zu sehen!

Borsten- und Fadenwürmer, beinahe so fein und durchsichtig wie die Rädertierchen, schlängelten sich durch das Felsengeklüft und ernährten sich wie Regenwürmer. Da krabbelten kleine sogenannte Bärtierchen durch das Geröll. Wie bei einem kurzen Wurm war der Körper gestaltet, aber das Tierlein hatte sechs Beinstummel, und jeder Stummel trug kleine Haken.

Die kleine Welt ist so mannigfaltig und reich, viel, viel phantastischer als die Welt der großen Tiere über dem Sande. Haben die Gelehrten viel zu tun, wenn sie alle diese merkwürdigen Tiere ordnen und sammeln wollen! Jedes Tierlein soll einen Namen erhalten und ein Etikett bekommen.

Bums! Da stieß doch das Untergrundboot an irgend etwas Festes. Der Doktor stellte die Maschine ab. Haben wir einen Regenwurm gerammt? Das täte dem Doktor leid, denn die Regenwürmer sind wirklich nützliche Tiere. Vorsichtig steuerte der Doktor seitwärts, und jetzt beleuchtete er eine helle Wand vor dem Fenster des Untergrundbootes.

Es scheint kein Tier zu sein, es bewegt sich nicht.

Der Doktor fand die Lösung. Das Untergrundboot der Abenteurer lag vor einer Wurzel still. So sieht also eine Wurzel aus. Hier saugt sie das Wasser aus der Erde und führt die Flüssigkeit zu den Blättern nach oben. Die Flüssigkeit enthält die wichtigen Nährsalze. Das Wasser verdunstet in den Blättern, und die Nährsalze bleiben in der Pflanze.

Der Doktor wollte den Kindern eine merkwürdige Geschichte erzählen:

»Immer wenn ich Wurzeln sehe, dann fällt mir eine merkwürdige Sache ein. Eine Pflanze braucht viele Stoffe zum Aufbau, unter anderen auch Stickstoff und Kohlenstoff. Bekommt keine Angst, die Sache fängt sehr schwer an. Ich hoffe aber, ihr könnt sie beide verstehen. Stickstoff befindet sich in rauhen Mengen in der Luft. Ihr habt ja in der Schule gelernt, daß unsere Luft aus Sauerstoff und Stickstoff besteht. Und Stickstoff ist sehr viel in der Luft, weit mehr als Sauerstoff. In der Erde lagert nur sehr wenig Stickstoff, in winzigen Proben. Eigenwillig, wie die Pflanze ist, verschmäht sie die großen Mengen des Stickstoffes in der Luft und sucht mühsam die winzigen Reste in der Erde. Habt ihr das verstanden? Dann werdet ihr das andere auch verstehen. In der Erde lagert viel Kohlenstoff. Der Humusboden ist schwarz und dunkel von dem vielen Kohlenstoff. In der Luft aber befinden sich nur wenige Reste. Den Kohlenstoff im Boden verschmäht die Pflanze, aber aus der Luft holt sich die Pflanze die winzigen Reste. Ist die Pflanze nicht seltsam?

Wir machen es anders. Unsere Kohlenvorräte holen wir aus der Erde, und den Stickstoff gewinnen wir aus der Luft. Große Fabriken verbrauchen viel Strom, um mit Hilfe gigantischer Maschinen den gasförmigen Stickstoff zu gewinnen und ihn zu Stickstoffsalzen zu verarbeiten. Mit viel Aufwand und Kraft wird die Sache bei uns Menschen gemacht.

Nun seht euch mal die dicken Knollen an der Wurzel an. In ihnen sitzen winzige Bakterien. Die machen dasselbe, was wir Menschen mit den großen Maschinen und der vielen Elektrizität machen. Diese Bakterien aber verarbeiten den Stickstoff der Luft zu Salzen ohne Elektrizität und ohne Maschinen, ganz still und heimlich. Da die Pflanze nicht immer genug Stickstoff im Boden findet, nimmt sie die Salze der Bakterien. Zwei Pflanzen haben hier Freundschaft geschlossen und arbeiten füreinander. Das Kunststück der chemischen Fabrikation des Stickstoffes bekommen nämlich nur bestimmte Bakterien fertig. Die großen Pflanzen sind auf diese Bakterien angewiesen. Überhaupt besteht ein inniges Freundschaftsverhältnis zwischen Pflanzen, Bakterien und Pilzen unter der Erde. Jede Pflanze, besonders die Bäume, arbeiten mit den Pilzen zusammen. Viele Bäume können ohne Pilze gar nicht gedeihen. Darum ist es ungerecht, die vielen Pilze im Walde mutwillig zu zerstören.

Hallo, Kinder, mir ist so merkwürdig zumute; wenn ich mich nicht täusche, ist unsere Zeit abgelaufen.«

Der Doktor steuerte sein Untergrundboot an der Wurzel vorbei, bediente das Höhensteuer und ließ das Fahrzeug sich nach oben arbeiten.

Was soll das bedeuten? Deutlich merken die drei Abenteurer, daß der Bohrer im vorderen Ende des Untergrundbootes sich dreht, aber das Fahrzeug bleibt stehen! Der Doktor erklärte: »Sicherlich ist das Fahrzeug gegen einen Stein gestoßen. Eigenartig ist es aber, daß ich das Untergrundboot auch nicht mehr steuern kann. Was mag nur sein? In dem Fahrzeug können wir auf keinen Fall bleiben. Wenn uns hier drin das Größerwerden überrascht, dann ist es um uns geschehen. Also raus!«

Der Doktor öffnete die Tür. Sie konnten aussteigen, denn vor ihnen lag eine trockene Bodenspalte. Die drei gingen die Bodenspalte entlang. Als aber das Scheinwerferlicht des Untergrundbootes kümmerlicher wurde, hielten sie in ihrer Wanderung inne.

»Was soll aus uns werden?«»Warum versagte eigentlich das Untergrundboot?« »Ob wir nochmals die Fahrt nach oben versuchen?«

Der Doktor wollte sich schon entschließen, umzukehren, da setzte das ein, was er befürchtete. Das Wachstum der Zwerge begann. Das kann ja schön werden! Schon füllten die Körper die Bodenspalte aus, schon drückten die Köpfe gegen die Decke. Aber die Decke war dünn, sie wurde mühelos durchbrochen, und die drei Abenteurer wuchsen in das Tageslicht hinein.

Als sie ihre volle Größe erreicht hatten, wollten sie sofort ihr Untergrundboot suchen, um zu erfahren, warum denn der Mechanismus aussetzte. Der Doktor bewaffnete sich mit einer Lupe und untersuchte den Erdboden. Er brauchte nicht lange zu suchen. Deutlich erkannte er unter der Lupe, daß der Bohrer des Untergrundbootes schräg nach oben aus dem Erdreich herausragte. Nur Tür, Fenster und Scheinwerfer waren noch vom Sand bedeckt. Die drei waren also dicht unter dem Erdboden ausgestiegen. Darum konnten sie auch so mühelos wachsen.

Jetzt war dem Doktor alles klar. Er war zu steil nach oben gefahren. Der Bohrer griff über das Erdreich hinaus und konnte keinen Halt mehr finden. Deshalb blieb das Untergrundboot stecken. Er hätte in sanfter Neigung nach oben fahren sollen. Der Doktor hatte als Steuermann versagt. Wie eine Schiffsschraube, die aus dem Wasser ragt, das Schiff nicht mehr vorwärts treibt, so konnte auch der Bohrer in der Luft das Untergrundboot nicht mehr bewegen.

Aber nun war alles gut. Man lernt nie aus. Das nächste Mal wird es besser gehen. Er schämte sich etwas vor den Kindern und wollte ablenken. Am Boden entdeckte er eine Lupine, die frisch und saftig aus dem Boden herauswuchs. Diese Pflanze zog er mit den Wurzeln aus dem Erdreich.

»Kinder, schaut mal her! Auch mit bloßem Auge kann man die Bakterienknöllchen an den Wurzeln sehen. Es ist noch nicht einmal eine Lupe notwendig. Weil die Stickstoffbakterien so zahlreich an den Lupinenwurzeln wachsen, pflanzen ja Bauern und Siedler Lupinen auf ihren Feldern an. Sie pflügen sie dann später unter, und der Boden ist frisch gedüngt. Man nennt so etwas Gründüngung.«

»Doktor, wie hat man denn früher gedüngt?«

»Die ersten Ackerbauer pflanzten ein Feld an, und wenn der Boden ausgelaugt war, dann bestellte man ein anderes Feld, Land war ja genug da! Dann aber kam man zur Drei-Felder-Wirtschaft. Zwei Felder wurden bepflanzt, und ein Feld blieb brach liegen, damit es sich erholen konnte. So trieb man das lange, bis Thaer kam. Kennt ihr Thaer? Das war ein großer Bodenreformer. Er lebte im Dorfe Möglin in der Nähe Berlins. Thaer kam dahinter, daß die verschiedenen Pflanzen den Boden verschiedenartig ausnutzen. Wenn in einem Jahr Erbsen gedeihen und im nächsten Jahr der Boden für Erbsen nicht mehr gut ist, dann ist er noch gut genug für Kartoffeln. Man nennt das System von Thaer Fruchtwechsel. Thaer löste die Drei-Felder-Wirtschaft auf, es begann die Fruchtfolge.

Dann kam ein anderer Deutscher. Es war Justus Liebig, auch ein Bodenreformer. Er predigte die künstliche Düngung, die neben der Düngung mit Mist den Boden verbessert. Natürliche Düngung kennt man nämlich schon lange. Die alten Germanen düngten schon mit Mergel, das ist ein Gemisch von Lehm und Kalk. Eigentlich ist das sogar schon eine künstliche Düngung. Ja, die alten Germanen haben in der Landwirtschaft viel geleistet. In manchen Dingen waren sie den Römern überlegen. Zum Beispiel war der germanische Pflug viel besser als der römische. Die Römer erkannten das auch an und übernahmen den germanischen Pflug.«

»Doktor, sage mal, warum sind wir im Untergrundboot eigentlich steckengeblieben?«

»Ach, Kinder, wir wollen erst mal Mittagbrot essen. Ihr habt doch sicherlich Hunger? Na, ich will es euch doch sagen. Ich habe verkehrt gesteuert, euer Steuermann hat nichts getaugt.«

Dieter lächelte dazu, denn er hatte es schon längst gemerkt.


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