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Als die Kinder wieder ihren Doktor besuchten, fanden sie ihn sehr traurig vor.
»Was hast du denn, Doktor? Wir freuen uns, daß du wieder mit uns auf Abenteuer ausgehst, und du bist traurig? War es nicht wunderschön im Hummelnest? Und erst der Gullyräuber? Dem hinterlistigen Burschen hat es die kleine Wespe aber gegeben. Bravo! können wir nur noch hinterher sagen. Und die Sache mit dem Ameisenlöwen ist doch auch gut abgelaufen. So ein faustdickes Abenteuer habe ich mir immer gewünscht. Wir Kinder wollen nicht in Seidenpapier eingewickelt werden. Es muß gefährlich zugehen, erst dann ist es schön! – Was hast du denn, Doktor?«
»Ach, Kinder, ich war bodenlos leichtsinnig.«
»Bodenlos leichtsinnig? Wie sollen wir das verstehen?«
»Bei jedem Abenteuer habe ich darüber nachgedacht: Welche Gefahren sind möglich, wie kann man sie vermeiden? Aber am letzten Sonntag bin ich gedankenlos mit euch in das Abenteuer gegangen. Ich habe für keinen Schutz gesorgt, für keine Sicherung. Ich war begeistert über meinen Garten, habe an nichts anderes gedacht als an mein schönes Stück Land, an meinen deutschen Wald, aber an eure Sicherheit habe ich nicht gedacht.«
»Aber Doktor, es ist doch alles gut abgelaufen. Wie hätte es denn noch besser klappen können?«
»Ja, es ist alles gut abgelaufen. Wie leicht hätte es aber auch schief gehen können! Daß es gut gegangen ist, ist nicht mein Verdienst, sondern euer Glück. Aber das nächste Mal will ich nicht wieder so leichtsinnig sein.«
Und der Doktor packte die Schutzvorrichtungen aus, die er sich heimlich angefertigt hatte. So klein wie Fliegen sollten die Kinder werden. Jeder sollte einen grünen Schirm zum Aufspannen bekommen. »Die Vögel von oben dürfen nicht erkennen, daß dort unten Menschenzwerge gehen. Die Vögel schnappen nämlich alles weg, was auf dem Boden herumkrabbelt.« Und jeder erhielt außerdem ein kleines, niedliches Gewehr mit Munition, so klein, wie es für Fliegenzwerge gerade groß genug ist. Und so ging es denn auf die Reise.
Wieder hatten die drei Abenteurer ihre Fahrräder mit und strampelten mühselig gegen den Wind dem Garten Doktor Kleinermachers zu. Dieter war über den Bauchwind sehr böse.
»Doktor, ist das nicht ein Jammer? Man kann fahren, wohin man will, immer hat man Bauchwind. Der schöne Schiebewind ist so selten. Und freut man sich über die Rückfahrt mit dem Schiebewind, dann hat sich der Wind gedreht, und man hat auf der Rückfahrt wieder Bauchwind. Es ist ein Jammer mit dem Wind. Warum hat man eigentlich so selten Glück und so oft Pech?«
»Das kann ich dir sagen, Dieter. Man hat nämlich ungefähr ebenso oft Glück wie Pech. Auch ich glaubte früher, daß der Schiebewind selten sei. Nun bin ich ein Gelehrter, und die Gelehrten sind sehr gründlich. Also legte ich mir ein Buch an, und dahinein schrieb ich alle Fahrten. Und hinter jeder Notiz vermerkte ich, ob ich Rücken- oder Bauchwind hatte. Als ich hundert Fahrten zusammen hatte, was soll ich euch sagen – da stand auf zwölf Fahrten Windstille, auf sechsundvierzig Fahrten Rückenwind und auf zweiundvierzig Fahrten Bauchwind.
Aber wie kommt es, daß wir annehmen, der Rückenwind sei so selten? Erstens empfinden wir die Windstille auch als Bauchwind, weil unser Rad sich gegen die Luft in Bewegung setzt. Zweitens wird ein schwacher Rückenwind von uns überholt, dann empfinden wir den Rückenwind auch als Bauchwind. Und drittens sind wir sehr undankbar. Oftmals notieren wir den Schiebewind gar nicht in unserem Gedächtnis. Er ist schön, der herrliche Schiebewind, aber nach der Fahrt haben wir die Erleichterung schon vergessen. Über den Bauchwind aber können wir stundenlang schimpfen.«
»Doktor, in deiner Gegenwart wage ich gar nichts mehr zu sagen. Du kannst uns alle Denkfehler ausreden. Woher hast du denn bloß all deine Klugheit?«
»Das ist ein Geburtsfehler, lieber Dieter.«
»Solchen Geburtsfehler möchte ich auch mal haben. Aber mir fällt dabei etwas ein. Hoffentlich ist es nicht wieder verkehrt. Es gibt zwei Sorten von Menschen, die sich nach dem Wetter und nach dem Winde richten. Das sind die Seeleute und die Radfahrer. Ein Fußgänger wird nie fragen, aus welcher Ecke bläst der Wind, wenn er einen Ausflug machen will.
Hoppla, Doktor, hinter uns kommt ein Lastauto, fahre rechts ran. Du weißt doch, zu zweien fahren ist verboten, dann mußt du Strafe zahlen.«
Die Kinder freuten sich, daß sie endlich ihren klugen Doktor auf einer Unart ertappt hatten. Das soll nicht oft vorkommen, daß man den Doktor rügen kann.
Unter Gesprächen und Gesang kamen die drei zum Garten des Doktors. Die Räder wurden in den Stall gestellt, ein kräftiges Frühstück wurde eingenommen, und dann ging es frisch und froh zum nächsten Abenteuer. An der Waldgrenze stellten sich die drei Abenteurer auf. Die Schutzschirme und Gewehre wurden auf die Erde gelegt, und die Wunderflasche ging von Hand zu Hand.
Achtung, fertig, los! Prosit! Und das kitzelt und krabbelt wieder im Körper, und die Welt wird so groß und weit, die Sandkörnchen werden zu Felsblöcken und die Gräser zu riesigen Halmen.
Jetzt hörte das Zusammenschrumpfen auf, und so klein wie Fliegen standen die drei Abenteurer im Sande. Schnell ergriffen sie ihre Regenschirme und ihre Gewehre. So, nun kann es losgehen! »Doktor, wo ist hier die nächste Gefahr? Links um die Ecke rum? Na, denn man tau!«
Die Kinder fühlten sich wohl als Zwerge und forderten alle Gefahren der Natur heraus. Aber die Gefahren ließen nicht lange auf sich warten. Nicht weit von ihnen rannte in schnellem Lauf eine sogenannte Wegwespe über den Boden. Während des Rennens schlug sie immerfort ihre Flügel, als wenn sie im Laufen fliegen wollte. Die Wespe hatte auffallend lange Beine, lang waren aber auch die Fühler, mit denen sie im Rennen den Boden abtastete. Die Kinder wußten es längst, die Fühler sind die Riecher, die Nasen der Insekten. Will die Wegwespe wie ein Spürhund eine Fährte abtasten? Ist die Wegwespe ein Polizeihund, der einen Verbrecher verfolgt? Manchmal erhob sich die Wegwespe auch in die Luft, aber immer blieb sie dicht über dem Boden. Nie wollte sie die Spur verlassen.
Prächtig rot und schwarz war die Wespe gefärbt. Wen mag sie nur suchen, die schöne Wegwespe? Sucht sie ihre Kinder oder ihren Gatten, der bedeutend kleiner ist als seine Frau Gemahlin? Was läuft denn da? Eine Kreuzspinne. Hastig sind die Bewegungen, und schnell ist der Lauf. Hat die Kreuzspinne denn Angst vor der kleinen Wegwespe? Das wäre lächerlich, wo doch die Kreuzspinne viel größer ist. Jetzt erblickte auch die Wespe die Kreuzspinne. Wie ein Falke stürzte sich die kleine Wespe auf die große Kreuzspinne. Ist sie denn verrückt geworden? Wie kann man es nur mit so einem großen Feind aufnehmen?
Aber die Kreuzspinne hat ja Angst. Furchtsam zieht sie ihre langen Stelzen zusammen. Wie der Blitz kommt die Wespe über die Spinne her. Sie krümmt ihren Leib und sticht die Spinne mit der Sicherheit eines geübten Wegelagerers in das Bauchmark. Das ging aber schnell. Kaum drang der Wespenstachel in das Spinnenfleisch, da sackte die Spinne auch schon zusammen. Spinnentod!
Jetzt wird die kleine Wespe sicher die große Spinne auffressen. So ein tapferer Spinnentöter. Die Kleinen haben es doch in sich.
Aber die Spinne war nicht tot, sie war nur gelähmt. Die Wespe schleift die große Spinne in das Erdloch, das sich die Wegelagerin als Kinderwiege angelegt hatte. Hier bugsierte sie die betäubte Spinne hinein, legte ihr Ei ab, und die Spinne mußte weiterleben, um sich langsam von dem Wespenkind auffressen zu lassen. Die erwachsenen Wegwespen ernähren sich friedlich von den Nahrungsmitteln der Blüten, die Kinder aber schreien nach Fleisch, und aus Mutterliebe wird die Wegwespe zur Mörderin. Aber die Wegwespe ist ein Doktor Unblutig. Der Stich ins Bauchmark betäubt so gut, daß die Spinne noch siebzig Tage leben kann, ohne zu merken, wie sie langsam aufgefressen wird.
Die kleine Spinnentöterin, wer hätte das von ihr gedacht? Vor lauter Staunen über den Straßenüberfall vergaßen die Kinder das Fragen beim Onkel Doktor Kleinermacher. Endlich hatte sich Dieter von seinem Erstaunen erholt und wollte gerade den Doktor ansprechen, als dieser leise sagte: »Sei mal ganz ruhig, mein Junge. Ich glaube, jetzt kommt der zweite Akt des Trauerspiels. Nein, es ist ein Bombardierkäfer. Paßt gut auf, es wird kein Trauerspiel, sondern eine Komödie. Jetzt gibt es einen Luftangriff, abgewehrt durch einen Gasangriff. Wir werden jetzt einen chemischen Krieg erleben. Paßt gut auf!«
Über den Weg krabbelte in schnellem Lauf ein Käfer. Er war nur klein und schmal, aber auffallend war sein Kleid, das mit roten und dunkelblauen Farben nicht sparte. Hinter ihm her war wieder eine Wegwespe. Soll auch der Käfer eine Beute der Straßenräuberin werden? Aber es kam anders.
Wieder stürzte sich die Wegwespe wie ein Falke auf den Käfer. Dieser aber hob sein Hinterteil empor, richtete feinen Körper wie eine Kanone auf die Wespe, und unter lautem Knall spritzte er eine Wolke auf die Straßenräuberin. Die volle Ladung hatte die Wespe nicht erhalten, aber was sie abbekommen hatte, genügte. So eine Gemeinheit! Da will man schlecht und recht einen Käfer angreifen, und der Stänker hebt sein Hinterteil empor und schießt Salut. Hat man je gehört, daß Insekten mit Kanonen schießen? Die Wegwespe protestierte und zog sich schleunigst zurück. Nein, da sind die Spinnen doch anständiger. Die wehren sich nicht, die haben nur Angst. Aber der Bombardierkäfer ist ein ungehobelter Geselle, der verteidigt sich. So ein Spielverderber, so ein Stänker. Wer soll denn da noch vom Straßenraub leben, wenn alle Insekten mit Kanonen schießen?
Aber die Kinder waren anderer Meinung. Sie klatschten Beifall. Bravo, tapferer kleiner Käfer! Der Straßenräuberin hast du es aber gegeben!
»Ja, das ist der chemische Krieg unter Tieren. Dieser Käfer, der Bombardierkäfer, ist es nicht allein. Der verspritzt mit lautem Knall ein Gemisch von Salpetersäure.
lm Meere gibt es eine Schnecke, die verspritzt Salzsäure. Das zieht noch besser, weil die Schnecke größere Ladungen abschießen kann. Auf dem Lande sind es die sogenannten Blutspritzer unter den Insekten. Die drücken aus ihren Gelenken eine Ladung übelriechenden Blutes ihren Feinden direkt ins Gesicht. Die Feinde schütteln sich vor Ekel. Und erst das Stinktier in Amerika! Wenn ein Hund sich einem Stinktier nähert, dann richtet das Stinktier nur seine hinterlistige Kanone auf den Hund. Achtung, ich stinke, wage nicht, näherzutreten. Ich stinke besser als jeder Misthaufen. Hermann Löns sagte einmal, gegen ein Fuder Mist kann ein einzelner nicht anstinken. Jawohl, das Stinktier kann es. Es kann sogar seine Duftpackung abschießen. Kann ein Misthaufen schießen?
Die Stinktiere geben einen kostbaren Pelz. Aber wenn man sie angreifen und töten will, dann verspritzen sie ihr Parfüm, das geht aus keinem Anzug mehr raus. Man sagt immer, Gewitter sei im Anzug. Das ist sicher ein Mißverständnis. Aber eine Stinktierladung im Anzug, die bringt keine Waschfrau wieder raus. Deshalb muß man die Stinktiere ganz plötzlich elektrisch töten, wenn man den kostbaren Pelz gewinnen will.
Ich sage euch, Kinder, der chemische Krieg unter Tieren ist gar nicht so selten. Der Tintenfisch zum Beispiel spritzt seine Tinte aus, wenn er in Gefahr ist. Er nebelt sich unter Wasser ein und verduftet hinter der Nebelwand. Übrigens, aus Tinte besteht die dunkle Flüssigkeit nicht ...«
Der Doktor wollte noch weiter sprechen, aber ein neues Ereignis lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Das geht ja heute Schlag auf Schlag.
Zur Rechten der drei Abenteurer bildete der Sand einen kleinen Abhang. In halber Höhe beobachteten die drei einen Tunneleingang, der schräg in den Sand hineinführte. Wer hat sich denn hier einen U-Bahn-Tunnel angelegt?
Die Kinder brauchten nicht lange zu warten. Bald kam, mit dem Kopf zuletzt, eine sogenannte Sandwespe aus dem Loch heraus. Wie ein Hund grub sie ihre Röhre. Größere Steinchen packte sie mit den Beinen und ließ die Sandbrocken den Abhang hinunterrollen. Manchmal auch flog sie etwas fort und verstreute den ausgegrabenen Sand in der Umgebung. Die Arbeit schien der Wespe zu gefallen, denn sie ließ fortwährend einen summenden Gesang ertönen, ein Arbeitslied, das die Grabetätigkeit begleitete. Aber nicht mit dem Mund erzeugen die Insekten ihre Gesänge, sondern mit den Flügeln. Der Mund ist stumm, auch bei den Zikaden und Heuschrecken.
Schwere Arbeit macht Appetit. Manchmal flog die Sandwespe fort, besuchte eine Blüte und trank sich satt, um frisch gestärkt die Arbeit fortzusetzen.
Was will die Sandwespe nur? Legt sie sich eine Wohnung an? Baut sie einen U-Bahn-Tunnel? Will sie einen Schatz heben? So graben ja auch die Geldschrankknacker von irgendeinem Keller aus einen Gang zu entfernten Geldschränken. Aber was hat die Sandwespe mit Geldschrankknackern zu tun?
Jetzt war der Tunnel fertig. Suchend erhob sich die Sandwespe in die Luft und streifte die Gegend ab. Suchte sie einen Gemahl für die Hochzeitshöhle? Die Kinder waren gespannt wie ein Flitzbogen. Der Doktor jedoch lächelte. Er wußte schon alles, was da kommen würde. Die Kinder aber ließen die Augen nicht von der suchenden Wespe.
Unten, da, wo das Gras begann, kroch eine dicke, fette Schmetterlingsraupe. Sie hatte sich so vollgefressen, daß ihre Haut beinahe platzen wollte. Viel, viel größer war die Raupe als die Sandwespe mit ihrem roten Hinterleib. Kaum hatte die Sandwespe die Raupe gesehen, da hatte ihr Flug schon eine bestimmte Richtung. Die Raupe schien die Gefahr zu ahnen, denn sie bäumte sich abwehrend auf. Aber jetzt gab es kaum noch Zeit zum Überlegen. Die Sandwespe hatte die Raupe erreicht, stürzte sich über sie her und versetzte ihr rasch ein, zwei, drei Stiche in den fetten Leib.
Wie vom Blitz getroffen ließen die heftigen Bewegungen der Raupe nach. Schwache Zuckungen zeigten jedoch an, daß die Raupe nur betäubt, nicht tot war. Jetzt setzte sich die Sandwespe wie ein Reiter auf die Raupe, aber die langen Beine berührten noch den Boden. Die Raupe wurde im Genick gepackt, und so zerrte der Raubritter die gelähmte Beute dem Eingang des Tunnels zu. Obgleich die Raupe zehnmal schwerer war als ihr Besieger, wurde sie doch sicher der Räuberhöhle zugeschleppt. Am Abhang aber wurde die Arbeit noch mühevoller. Manchmal entglitt der Wespe die schwere Raupe und rollte den Abhang wieder hinunter. Aber schließlich lag sie vor dem Eingang der Höhle. Jetzt ließ die Sandwespe ihr Opfer los, ging in die Höhle hinein und sah nach, ob alles in Ordnung sei. Dann endlich zwängte die kühne Raupentöterin die pralle Wurst in den Tunnel hinein. So, jetzt war sie gefangen. Sorgfältig verbarrikadierte die Wespe den Eingang, und zum Schluß war der Erdboden wieder so glatt, daß niemand ein Gefängnis vermuten konnte. Dann flog die Raupenbekämpferin befriedigt von dannen.
»Nun sag bloß, Doktor, was soll das bedeuten? Hat die Raupe silberne Löffel gestohlen, und ist die Sandwespe ein Polizist, der die Raupe verhaften und einsperren mußte? Wieviel Monate Gefängnis hat die Raupe denn bekommen?«
»Kinder, ihr habt hier eine Konservenfleischfabrik erlebt. In der Höhle ist ein Ei der Sandwespe. Wie so oft in der Wespenwelt, verachten die Wespenkinder die Blütennahrung und wollen Fleisch fressen. Aber Fleisch verfault, lebende Tiere rücken aus, und auf Insektenjagd kann das kleine Wespenkind noch nicht gehen. Darum legt die sorgsame Wespenmutter eine Konservenfabrik an. Die Raupen werden gestochen, das habt ihr ja gesehen. Die Stiche haben die Raupe nur gelähmt, nicht getötet. So bleibt das Fleisch frisch und verdirbt nicht. Die Raupe hat die Aufgabe, eine Konservenbüchse für das Wespenkind zu sein.
Das ist übrigens nicht so selten. Nicht nur die Sandwespe macht es so, auch die Mordwespe, Grabwespe, der Bienenwolf, und wie sie alle heißen, sorgen ebenso für ihre Kinder. Selbst Fliegen legen sich auf etwas andere Art eine Konservenbüchse für ihre Kinder an. Aber nicht nur die Insekten sind Konservenfabrikanten. Der Maulwurf beißt Regenwürmer so geschickt, daß sie nicht sterben. aber auch nicht mehr fliehen können. Frische Fleischnahrung für Notzeiten. Ähnlich macht es der Iltis mit Fröschen. Selbst der Polarfuchs im hohen Norden legt sich einen Eiskeller mit gefangenen Tieren an. Er tötet wohl die Tiere, aber die Eispackungen sorgen dafür, daß das Fleisch nicht verdirbt. Das sind so die Konservenfabrikanten unter den Tieren.
Habt ihr übrigens gesehen, wie die Sandwespe vor dem Einschleppen der Raupe sorgfältig die Höhle untersuchte? Da gibt es nämlich hinterlistige Schmarotzerfliegen. Sie sind zu schwach, um selbst Raupen einzuschleppen. Sie verstehen auch nicht die Kunst der Betäubung. Wenn eine Schmarotzerfliege eine Sandwespe bei der Arbeit beobachtet, dann legt sie schnell ein Kuckucksei in die Höhle. Das Fliegenkind schlüpft früher aus dem Ei, tötet das Wespenkind und frißt dann die Raupe auf. Kuckuckseier gibt es unter den Insekten viel mehr als unter den Vögeln. Wenn dann nach langer Zeit die Höhle geöffnet wird, dann kriecht keine fertige Sandwespe aus dem Raupengefängnis, sondern eine fertige Schmarotzerfliege. Die Schmarotzer leben immer auf anderer Leute Kosten.
Die Gärtner freuen sich über die Sandwespen, denn sie sprechen nicht gut von den Raupen, die die Blätter anknabbern. Dafür ärgern sich wieder die Schmetterlingssammler über die Sandwespen. Wem soll es nun die Natur recht machen?«
Die drei Abenteurer gingen im Gespräch von der sandigen Stelle fort und kamen in eine Graslandschaft, die bedeutend feuchter war als der Arbeitsplatz der Weg- und Sandwespe. Mußten sie im Sande über Geröll und Felsblöcke klettern, so arbeiteten sie sich jetzt durch einen Urwald von Gestrüpp und riesigen Grasstengeln. Immer feuchter wurde der Boden, und Traute dachte schon daran, umzukehren. Da entdeckte Dieter eine merkwürdige Pflanze. Wie ein grünes Blättchen lag die kleine Pflanze am Boden. Zuerst dachte Dieter, es sei ein herabgefallenes Blatt. Dann entdeckte er, daß das »Blatt« an der Unterseite mit mehreren Wurzeln festgewachsen war.
»Doktor, ein bißchen Botanik kann ja auf unseren Abenteuerfahrten nichts schaden. Was ist denn das hier? Aber, bitte – nicht lateinisch, sonst bin ich genau so schlau wie vorher.«
»Dieter, diese Pflanze hier kennst du, und du kennst sie auch wieder nicht.«
»Doktor, du sprichst in Rätseln. Sicher kommt jetzt wieder ein großes Geheimnis.«
»Ja, denn diese Pflanze hier ist ein Farnkraut.«
»Aber ich habe mir Farnkräuter anders vorgestellt.«
»Die Pflanze, die du als Farnkraut kennst, mit den langen, palmenartigen Blattwedeln, ist auch ein Farnkraut. Aber es ist nur die eine Hälfte. Hier ist die andere.«
»Du sprichst immer rätselhafter. Wie soll ich das verstehen, Doktor?«
»Also, dann wollen wir uns mal deutlicher ausdrücken. Deine Farnkräuter haben doch oft an der Unterseite der Blätter viele braune Punkte. Geschützt unter diesen braunen Flecken sitzen sehr kleine Kapseln. In den Kapseln nun liegen die winzigen Sporen der Farnkräuter. Zur besseren Erklärung möchte ich statt Sporen ›Samen‹ sagen, aber von Samen darf ich eigentlich bei Farnkräutern nicht sprechen, sonst klopfen mir die Botaniker auf die Finger. Die kennen nämlich feine Unterschiede, die ich euch nicht erklären möchte, weil das zu weit führt. In den Kapseln liegen also die samenartigen Sporen. Kommt nun trockenes Wetter, dann springen die Kapseln durch einen sinnreichen Mechanismus auf und schleudern die Sporen von sich. Die Sporen fallen auf die Erde, entwickeln sich und wachsen zu solchen kleinen Pflanzen heran, wie ihr eine hier vor euch seht. Auf diesem kleinen Gewächs spielt sich ein Vorgang ab, der den Vorgängen in der Blüte ähnlich ist. Und das Ergebnis dieser Befruchtung ist dann erst die große Farnpflanze. Es wechseln also immer zwei Pflanzenarten ab. Erst die große Farnpflanze und dann das kleine Blättchen, dann wieder die große Farnpflanze und so fort. Das Ganze nennt man Generationswechsel.
Der Generationswechsel ist nicht nur bei den Farnkräutern bekannt. Auch die Moose kennen eine ähnliche Erscheinung. Aber selbst Tiere haben Generationswechsel. Ihr kennt die frei schwimmenden Quallen in den Meeren. Sie bekommen Kinder, die ganz anders aussehen. Es werden Polypen, die auf dem Meeresgrunde festwachsen und wie Blumen aussehen. Diese Blumentiere bekommen Kinder, und das sind wieder Quallen. Das geht so in ewiger Abwechslung. Wißt ihr auch, wer den Generationswechsel entdeckt hat? Es war ein großer Dichter und ein Naturforscher dazu. Ihr kennt ihn alle, es war Adalbert von Chamisso. Habt ihr den reizenden ›Peter Schlehmihl‹ gelesen? Ja, Chamisso war nicht nur Dichter, er war auch Naturforscher. Viele Entdeckungsfahrten nach fremden Ländern hat er gemacht. Lange Zeit war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Botanischen Garten.«
Jetzt meldete sich Dieter voller Eifer: »Ich weiß noch mehr Beispiele! Bei den Schmetterlingen gibt es auch einen Generationswechsel. Erst kommt der Schmetterling, dann die Raupe, dann der Schmetterling und so fort. Da weiß ich noch ein Beispiel. Ist es bei den Fröschen nicht genau so? Erst kommt der Frosch, dann die Kaulquappe, dann der Frosch und so immer weiter.«
»Halt, Dieter, da bist du im Irrtum. Das ist kein Generationswechsel. Die Raupe entwickelt sich zum Schmetterling, sie bringt den Schmetterling nicht durch Geburt hervor. Ebenso ist es bei der Kaulquappe. Aber die Qualle hat Kinder, die Polypen heißen. So einfach ist es nicht mit den Wissenschaften.«
»Schade, ich glaubte schon sehr klug zu sein, und nun ist es wieder nichts. Na, dann wollen wir mal weitergehen. Vielleicht ist noch ein kleines Abenteuer fällig?«
Dieter hatte es kaum ausgesprochen, da setzte schon das Prickeln und Ziehen im Körper ein, das die Kinder bereits kannten. Jetzt folgte auch das Wachstum. Es war aus mit den Abenteuern für heute.
Als die drei wieder gewöhnliche Riesen waren, sammelte der Doktor die drei kleinen Schirme und die drei winzigen Gewehre ein. Dieter sagte:
»Schade, nun hatten wir die ganze Zeit Gewehre in den Händen, und nicht einmal haben wir geschossen. Wozu hat man denn seine Kanone bei sich?«
Aber Traute war zufrieden. »Dieter, die Tiere wollen doch auch leben. Mußt du denn immer schießen? Wenn wir angegriffen werden, dann ist es immer noch Zeit, sich zu verteidigen.«
»Wer sagt denn, daß ich auf Tiere schießen wollte? Nur mal ein bißchen in die blaue Luft hineinknallen, das macht doch Spaß! Ich und auf Tiere schießen? Traute, du denkst aber schlecht von mir.«
Dann setzten sich die drei auf ihre Fahrräder und fuhren nach Haus.