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Auf dem Schießplatz von La Balbonne

Als unsere zwanzig Mann am nächsten Morgen schwer bepackt durch die Straßen zogen, sah es so aus, als ob wir zur Front gingen, und die Einwohner eilten trotz der frühen Stunde an die Fenster.

In der Bahn lernte ich meine neuen Kameraden kennen. Die Schweiz war vertreten durch mich und einen ganz alten Legionär. Der dachte nichts weiter als an sein Gläschen und erzählte über alle Erscheinungen der Umwelt sehr witzig. Nachdem er zweimal fünf Jahre bei der Legion gedient hatte, fand er, an ihm sei »kein Zivilist verloren gegangen«, und kehrte bei Beginn des Krieges wieder zur Legion zurück. Er trank gern und tat sich etwas darauf zugute, daß er sich angetrunken beherrschen konnte. Er haßte nichts mehr, als wenn einer über politische Dinge nachdenken wollte. Er war sehr geschickt, wußte sich mit wenigem zu behelfen und hatte immer etwas zu rauchen.

Zwei Polen waren dabei, der eine ein sehr großer Mensch. Er war zur See gefahren, war sehr sprachkundig und sprach auch fließend Deutsch. Er hatte einen angenommenen Namen. Bevor er zum Lehrgang kam, war er im Arbeitsraum des Kapitäns beschäftigt. Dann war einer da, der einen großen schwarzen Bart hatte, Korroscek hieß und angab, ungarischer Abkunft zu sein, ein guter Sänger. Der pflegte seine Hände und seinen Bart sehr sorgfältig, worüber sich die Kameraden lustig machten. Auch ein Spanier war unter uns, der den Ungarn sehr gut mit seiner Baßstimme begleiten konnte. Er war Kastilier, hieß Girardo, hatte als spanischer Soldat in Marokko gegen die Eingeborenen gekämpft und aus diesen Gefechten eine lange Narbe mitgebracht, die sich auf der rechten Wange über die Nase bis zur Kinnlade hinzog. Obwohl er so kriegerisch aussah, war er ein weicher Mensch und ein guter Kamerad. Er hatte eine gute Bildung und nannte sich Anarchist. Sein Hauptsatz, den er mit überzeugendem Baß oft wiederholte, war das Wort des Girondisten Brissot: »Eigentum ist Diebstahl« ( la propriété c'est le vol). Er hatte wegen politischer Umtriebe aus Spanien fliehen müssen und war aus Not in die Legion gegangen. Sehr komisch war es, daß sein Kamerad Rodriguez sehr zierlich war und eine piepsige Stimme hatte. Wenn die beiden großen Sozialreformer mit dem Schweizer zusammen waren, der so durchaus unpolitisch war und nur an seinen Pinard dachte, gab es immer zu lachen. So war auch die Fahrt heute sehr lustig, und einige Frauen, die mitfuhren, lachten Tränen. Prächtig klang es, als die drei sich auf das Garibaldilied einigten und sangen:.» O biondina capriccio Garibaldino, tu se la stella.« ...

Nach einer Stunde kamen wir in La Valbonne an. Es ist nur ein kleines Dorf und hat nur Bedeutung durch das große Truppenlager. Als wir die Bahn verließen, sah ich den großen Übungsplatz, der im Hintergrund von den Alpen umzäunt wird.

Das eigentliche Truppenlager besteht aus einer Unzahl von Unterkunfthallen. Auf dem Bahnhof war ein großer Verkehr; aus allen Richtungen kamen Züge. An dem Maschinengewehrkursus nahmen Abteilungen aller Truppengattungen teil. Von Grenoble waren die Chasseurs alpins, die »blauen Teufel«, mit ihren Rucksäcken gekommen. Auch Kavallerie, Jäger zu Pferde, Kürassiere und Dragoner waren dabei, weil alle die als solche in diesem Kriege keine Verwendung finden konnten. Auch die Kolonialtruppen, die Kolonialinfanterie und die Zuaven waren vertreten und rückten in die Unterkunftsräume, die ihnen angewiesen wurden. Im Lager lag das Erste Zuavenregiment, dem die Ankömmlinge zur Verpflegung ( en subsistance) zugeteilt wurden. Jeder Mann erhielt zwei wollene Decken und zog damit in die Baracke, wo seine Truppe auf Heu und Stroh für die Nacht Platz fand.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Am Morgen traten die neuangekommenen Schüler auf dem Platz zwischen den Baracken an. Es war ein buntes Bild. Als Alles zur Stelle war, wurde das Ganze in drei große Züge eingeteilt, dann wurden die Militärbestimmungen des Platzes vorgelesen. Es wurde uns ausdrücklich gesagt, hier herrschten dieselben Bestimmungen wie an der Front.

Wir hatten frei, richteten uns ein und machten einen Spaziergang. Das Gebiet de l'Ain ist ein schönes Land mit sauberen Dörfern und Schlössern.

In La Valbonne trat Fremdenlegion zum ersten Male auf. Auch die Offiziere beschäftigten sich sehr mit uns, und unser Kapitän fragte uns nach allen Einzelheiten aus.

Der erste Unterricht war an den französischen Maschinengewehren Modell St. Etienne und Puteau.

Ein Offizier war Lehrer, ein Sergeant nahm das Gewehr auseinander. Dieser Sergeant trug die médaille militaire, die seltene Auszeichnung. Er hatte sie bekommen, weil er ein Maschinengewehr allein bedient hatte, als alle Kameraden gefallen waren. Schließlich hatte er das Gewehr genommen und es, schwer verwundet, auf dem Sattel des einzigen Maulesels, der noch lebte, weggeschafft, während die Deutschen ihn verfolgten.

Als wir die französischen Gewehre kennengelernt hatten, kam gleich das englische dran. Es war das Modell Hotchkiß, das in Lyon hergestellt wurde und von dem französischen sehr verschieden war.

Die Waffenmeister allein durften auch die kleinsten Teile auseinandernehmen, so bei den St.-Etienne-Maschinengewehren neuesten Modells den Valvolin-Zylinder, der das Schießen regelt.

Wir wurden gut behandelt und hatten uns nur darüber zu beklagen, daß das Zuavenregiment an uns sparen wollte und wir schlechtes Essen bekamen. Die Zuaven wurden wie alle farbigen Soldaten ( tirailleurs algériens) les bicots (Spitzkerle) genannt.

Als alle Schüler die Gewehre kannten, wurden die Schüler nach ihren Kenntnissen eingeteilt.

Der Spanier Girardo und ich bekamen nun als die besten Schüler eine Ausbildung am Fernmesser, wofür wir schon in Lyon vorgesehen waren. Wir zogen ziemlich weit hinaus aufs Feld und übten uns, bis wir auch ganz entfernte Gegenstände unter erschwerten Umständen messen konnten.

Auffallend war, daß wir verschiedene Fernmesser hatten, Erzeugnisse verschiedener Firmen, wie Baar and Stroud, London, und sogar Zeiß, Jena.

Da ich gut zeichnen konnte, wurde ich als Entfernungsmesser für unsere Abteilung ausersehen. Mein Kamerad wurde Pourvoyeur, was ihm nicht leid tat, weil er gern mit Mauleseln umging, die die Apparate und Gewehre trugen. Die Tiere erinnerten ihn an seine kastilische Heimat.

Als jeder seine Aufgabe konnte, wurde gemeinsam geübt. Als Führer der Abteilung wurde ein tschechischer Offizier ernannt, der früher Reserveoffizier der österreichischen Kavallerie gewesen war. Er war lange in Paris gewesen und hatte dort im geheimen an den Umtrieben teilgenommen, die gegen die österreichische Regierung stattgefunden hatten. Er war ein Führer der Sokols gewesen und Herausgeber der flämischen Zeitschrift »Nazdar«. Er hatte bei den Tschechen ein großes Ansehen, war ein schneidiger Mensch und hatte einen bildschönen Kopf. Er wurde bei den Franzosen sofort Offizier. Die Abteilung ( section) bestand aus: Führer (Offizier, Oberleutnant), armurier (Mechaniker), télémetreur (Distanzmesser), agent de liaison (Befehlsordonnanz), Radfahrer. Sergeant, 1. und 2. Maschinengewehr mit je Nr. 1. caporal ( chef de piéce), Nr. 2. tireur (Schütze), Nr. 3. chargeur (Lader), Nr. 4. aide-chargeur (Hilfslader), Nr. 5, 6 pourvoyeurs (Munitionsmänner), Nr. 7, 8, 9 muletiers (Maultiertreiber).

Der Lehrgang dauerte drei Wochen und wurde angesehen wie der Dienst an der Front. Es gab keinen Urlaub, und auch an den Sonntagen wurde geübt. Bei den Schießübungen mußte jeder mit dem Gewehr schießen. Ich schoß wieder sehr gut und bekam das Abzeichen.

Sehr merkwürdig war es, wenn wir mit unserem Zug durch die Dörfer zogen. Ein Tier trug das Gewehr mit dem Fuß, zwei andere wieder trugen Munitionskisten. Ein Ersatztier war noch dabei. Der Offizier ritt stets ein Pferd, er machte sich besonders schneidig. Hinter dem Sergeanten folgten die anderen. Die Maulesel waren sehr zäh und im Gebirge unglaublich sicher. Wenn aber eine Schwierigkeit war, dann kam unser Kastilier und zeigte, was er von den Tieren verstand. Er hing so sehr an diesen Tieren, daß er noch abends, wenn wir ruhten, in den Stall ging und nachsah, ob ihnen auch nichts fehlte.

Die Behandlung der Maulesel wurde übrigens sehr ernst genommen. Ein Tierarzt hielt uns Vorträge über die Pflege der Tiere.

Bei der Besichtigung schnitten die Alpenjäger und die Fremdenlegionäre am besten ab.


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