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VII.

Nur zu vollständig ging die Voraussicht des Doktors in Erfüllung. Noch an demselben Nachmittag mußte er bei Editha den Ausbruch eines schweren, typhösen Fiebers feststellen und ihre Angehörigen darauf vorbereiten, daß die Krankheit selbst im günstigsten Falle eine sehr ernsthafte und langwierige sein würde.

Die Patientin war im Laufe des Tages in einen Zustand halber Bewußtlosigkeit verfallen, aus dem sie durch keinen äußeren Anreiz zu erwecken war. Sie erkannte niemanden und was sie sprach, waren nur die losen, unzusammenhängenden Sätze wirrer Fieberphantasien. Auf des Doktors strengen Befehl waren außer ihm selbst und Monika sofort alle übrigen Hausbewohner und alle Besucher von dem Betreten des Krankenzimmers ausgeschlossen worden. Ohne Widerspruch, wenn auch mit schwerem Herzen hatte der tief bekümmerte Oberst sich dieser Weisung gefügt; Hugo Neukamp aber legte lebhaften Protest ein gegen ein Verbot, das ihn hindern sollte, seine kranke Braut zu jeder beliebigen Zeit zu sehen. Er äußerte sich gegen Monika, die ihm bei seinem ersten Besuche von der getroffenen Anordnung Mitteilung machte, in der gehässigsten Weise über die Willkür des Doktors und verlangte, daß die Behandlung in die Hände eines anderen Arztes gelegt werde. Aber er begegnete da bei der sonst so stillen und sanften Schwester Edithas einem Widerspruch, den er in so entschiedener und nachdrücklicher Form von ihr niemals erwartet hätte und der ihn alsbald verstummen machte. Voll eifersüchtigen Grolls und in unverhehlter Verstimmung verließ er das Haus, um sich während der nächsten Tage nur noch durch seinen Diener nach dem Befinden der Kranken erkundigen zu lassen. Auch ein von dem Obersten unternommener Vermittlungsversuch schien nur von geringem Erfolge gewesen zu sein; denn der alte Herr kehrte mit rotem Gesicht und in übelster Laune nach Hause zurück, ohne sich über die Unterhaltung, die er mit seinem Schwiegersohne geführt hatte, auch nur in einem einzigen Worte zu äußern.

Wie notwendig und zweckmäßig aber das Verbot des Doktors gewesen war, wußte niemand besser als Monika, die treue, unermüdliche, aufopfernde Pflegerin Edithas. Sie, die allein ihre Fieberphantasieen belauschen durfte und die allein zu erraten vermochte, was während dieser peinvollen Stunden und Tage in der Seele der Kranken vorging, hatte mit dem feinen Instinkt des Weibes sehr bald die Gewißheit gewonnen, daß sich zwischen den beiden Menschen, die einander für das ganze Leben hatten angehören sollen, ein unübersteiglicher Abgrund aufgethan. Sie hörte ja die hastigen, abgerissenen Worte des Zornes und des Entsetzens, welche von den Lippen ihrer Schwester kamen, wenn sie in ihren fiebrischen Wahnvorstellungen meinte, Hugo Neukamp vor sich zu sehen, und sie hörte wohl auch noch manches andere, das ihr den Schlüssel lieferte zu vielem Unverständlichen und Unbegreiflichen in dem frühern Benehmen Edithas.

Aber sie teilte keinem ihre Wahrnehmungen mit, und wenn sie dem Doktor Asmus bei seinen wiederholten täglichen Besuchen getreulich Bericht erstattete über alles, was ihm für die Beurteilung von Edithas Zustand von Wichtigkeit sein konnte, so verschwieg sie doch auch ihm, was sie aus jenen Fieberphantasieen erfahren. Sonst freilich gab es keinerlei Geheimnisse zwischen ihr und dem jungen Arzte. In der gemeinschaftlichen Sorge um die Kranke hatten sie eine Berührung gefunden, die sie innerhalb weniger Tage einander viel näher brachte, als es unter anderen Umständen selbst eine langjährige Freundschaft vermocht hätte. Kaum jemals sprachen sie von sich selber; all ihre Gespräche bewegten sich allein um die Leidende und waren erfüllt von den Hoffnungen und Befürchtungen, mit denen ihr häufig wechselnder Zustand sie erfüllte. Und doch lernten sie einander in diesen Gesprächen so genau kennen, als ob sie sich gegenseitig ihr ganzes Herz ausgeschüttet hätten. Vor dem Blick des Doktors entfaltete sich da in seiner vollen Reinheit und Schöne das Bild einer Mädchenseele, die ihn in ihrer edlen Selbstlosigkeit und in ihrer hingebenden Liebe für die stolze Schwester zu immer tieferer und mächtigerer Bewunderung zwang; und je vollständiger Monika bei ihrem aufopfernden Samariterdienst sich selbst vergaß, desto leuchtender trat dem jungen Arzte der bis dahin beinahe ängstlich verborgen gehaltene Reichtum ihres goldenen Herzens entgegen.

Aber er sagte es ihr nicht, wie sie ja überhaupt nicht Gelegenheit hatten, von sich zu sprechen. Nur als ihr hübsches Gesichtchen immer schmaler, als ihre Hautfarbe immer durchsichtiger wurde, fing er an, sie zu größerer Schonung ihrer eigenen Kräfte zu mahnen. Ruhig hörte sie ihn an; aber als er davon sprach, an ihrer Stelle eine barmherzige Schwester als Krankenpflegerin zu besorgen, da faltete sie wie ein Kind die Hände und sah bittend zu ihm auf.

»Habe ich denn schon einmal etwas vernachlässigt?« fragte sie. »Glauben Sie, daß eine Fremde besser für Editha sorgen könnte, als ich es thue? – Ich fühle mich noch ganz wohl und kräftig, und ich meine immer, sie müßte es schmerzlich empfinden, wenn eine andere an meine Stelle träte, obgleich sie mich ja nicht zu erkennen scheint.«

Da hatte er nun freilich nicht das Herz, auf seinem Verlangen zu beharren und alles, was er wirklich durchsetzte, war, daß das geschickte und anstellige Hausmädchen einige Male bei der Kranken wachte, während Monika in voller Kleidung auf dem Sofa des Nebenzimmers schlief. Als dann aber plötzlich eine Wendung zum Schlimmeren einzutreten schien und bange, kritische Nächte kamen, da war von solcher Ablösung nicht mehr die Rede, und da saßen Doktor Asmus und Monika gemeinschaftlich bis zum späten Morgengrauen neben dem Bette der in heftigen Delirien oder in stumpfer Teilnahmlosigkeit Daliegenden, die sie so gerne dem Tode entrissen hätten.

Fast noch weniger als sonst wurde in diesen beiden entscheidungsschweren Nächten zwischen ihnen gesprochen; aber ihre Blicke begegneten sich sehr oft, und beim Dämmern des zweiten Tages, als Doktor Asmus, nachdem er die Pulsschläge der Kranken gezählt, tief aufatmend sagen konnte:

»Dem Himmel sei Dank – ich glaube sie ist gerettet –« da begegneten sich auch ihre Hände und schluchzend ließ Monika für die Dauer einer Minute ihr Haupt an seine Schulter sinken.

Freilich fuhr sie gleich darauf zum Tode erschrocken zusammen und purpurn flammte die Glut der Beschämung in ihren blassen Wangen auf; aber Doktor Asmus ließ trotzdem ihre Hand nicht sogleich los und sagte leise:

»Wenn sie gerettet wird, so ist das vor allem Ihr Werk, Monika – und jetzt kann ich es Ihnen ja auch sagen, wie sehr ich Sie bewundere und verehre um der heldenmütigen Standhaftigkeit willen, die Sie an diesem Krankenbette bewiesen.«

Etwas weiteres sprachen sie nicht, aber der erste matte Frühlichtstrahl des Wintertages, der sich durch die Vorhänge des Zimmers stahl, fand auf des Doktors Gesicht ein still glückliches Lächeln, das vielleicht nicht allein seiner begreiflichen ärztlichen Befriedigung über die günstige Wendung in Edithas Befinden zuzuschreiben war.

Diese Wendung aber war, wie die nächsten Tage bewiesen, wirklich eine entscheidende gewesen und die Genesung machte nun fast überraschend schnelle Fortschritte. Herr Hugo Neukamp hatte davon nur auf schriftlichem Wege benachrichtigt werden können; denn die schwere Krankheit seiner Braut war nicht imstande gewesen, ihn an dem Antritt einer wichtigen Geschäftsreise zu hindern, die ihn mehrere Wochen hindurch von W. fernhielt. Man erzählte, daß es sich dabei um einen Verkauf der Fabrik oder um die Umwandlung derselben in eine Aktiengesellschaft handle, da dem jetzigen Eigentümer, obwohl das Etablissement sich längst wieder im vollen Betriebe befand, die Lust an dem weiteren Unternehmen verleidet sei und da er sein Kapital für andere Zwecke zu verwenden wünsche.

Im Hause des Obersten wußte man nichts von solchen Absichten Neukamps. Er hatte sich darauf beschränkt, seine Abreise anzuzeigen und tägliche telegraphische oder briefliche Nachrichten über den Zustand Edithas zu erbitten. Erst drei Wochen später, als die Rekonvaleszentin bereits mehrere Stunden des Tages in einem Lehnstuhl außerhalb des Bettes zubringen konnte, zeigte er seine Rückkehr an, indem er zugleich in lebhaften, doch etwas geschraubt klingenden Wendungen seine Freude über das bevorstehende Wiedersehen mit der Geliebten Ausdruck gab.

Monika hatte fast einen halben Tag lang gezögert, ihrer Schwester von dem Inhalt dieses Briefes Mitteilung zu machen, und als sie sich endlich schweren Herzens dazu entschloß, da war ihr die Furcht vor dem Eindruck, den diese Eröffnungen machen könnten, deutlich auf dem Gesicht geschrieben.

Aber sie mußte erkennen, daß ihre Besorgnis eine ganz überflüssige gewesen sei; denn Editha nahm ihr das Blatt ruhig aus der Hand und erwiderte auf die Frage, ob sie Neukamp gleich nach seiner Ankunft zu empfangen wünsche, in scheinbar unerschütterter Gelassenheit:

»Gewiß! – Er hat ja ein gutes Recht darauf, mich früher zu sehen als alle anderen.«

Wie aufmerksam Monika auch während der nächsten vierundzwanzig Stunden ihre Schwester beobachtete, sie vermochte doch nicht das kleinste Anzeichen einer besonderen Erregung an ihr wahrzunehmen, und sie begann wieder irre zu werden an der Richtigkeit jener Vermutungen, welche Edithas Fieberphantasien in ihr erzeugt.

Um die Mittagsstunde des nächsten Tages traf Neukamp dann wirklich in der Villa des Obersten ein. Die Begrüßung mit seinem künftigen Schwiegervater war ebenso wie die Art, in welcher er Monika die Hand küßte, eine merklich gezwungene; aber die unverkennbare Unruhe und Zerfahrenheit seines Wesens konnte ja sehr wohl auf die begreifliche Erregung zurückzuführen sein, mit welcher er der ersten Wiederbegegnung mit seiner Verlobten nach einer so langen und durch so schmerzliche Ursachen bedingten Trennung entgegensah.

Monika selbst öffnete ihm die Thür des Krankenzimmers, und auf einen Wink, den ihr Editha mit den Augen gab, zog sie sich gehorsam zurück, obwohl sie gern ein Stück des eigenen Lebens hingegeben hätte, um ihrer Schwester jetzt beistehen zu können.

Neukamp trat mit ausgestreckten Händen auf Editha zu, und es schien fast, als ob er Willens sei, mit einer theatralischen Gebärde neben ihrem Lehnstuhl niederzuknieen. Der feste und klare Blick aber, mit welchem ihn ihre ernsten Augen ansahen, hinderte ihn daran, diese Absicht auszuführen, wie er überhaupt eine eigentümlich verwirrende Wirkung auf ihn hervorzubringen schien.

»Meine teure Editha!« sagte er darum nur mit etwas unsicherer Stimme. »Welch ein Wiedersehen nach solcher Trennungszeit!«

»Ein Wiedersehen, das auch ich lange ersehnt habe, weil es mich von einer drückenden Last befreien und einem fast unerträglichen Zustande der Unklarheit und Unaufrichtigkeit ein Ende bereiten wird. Meine Kräfte gestatten mir noch nicht, längere Briefe zu schreiben, und vielleicht ist es auch besser, wenn solche Dinge nur ausgesprochen, als wenn sie auf dem Papier festgehalten werden. Aber wir werden es kurz machen, nicht wahr, denn eine Situation wie die unsrige ist gewiß nicht erfreulich – weder für Sie noch für mich! – Daß die Beziehungen, welche in den Augen der Welt und selbst nach der Meinung meiner Angehörigen bis heute zwischen uns bestanden, nur noch eine Lüge sind, haben Sie ohne Zweifel längst ebenso überzeugend empfunden wie ich selbst, und die einzige Art von Gemeinsamkeit, die es zwischen uns jetzt noch geben kann, ist wohl der gemeinsame Wunsch, eine möglichst unauffällige Form für die Lösung unseres Verlöbnisses zu finden.«

Wenn Hugo Neukamp in dem Augenblick, da sie zum erstenmale das förmliche »Sie« gegen ihn gebrauchte, sichtlich betroffen gewesen war, so spielte er jetzt nur noch den ungläubig Erstaunten.

»Du redest in einer Sprache, mein Kind, die ich nicht verstehe,« sagte er. »Man teilte mir doch mit, daß Du wieder ganz hergestellt seiest und nun –«

Wieder war es ihr ernster, hoheitsvoller Blick, der ihn verstummen ließ.

»Sie werden, wie ich denke, nicht im Ernst daran zweifeln, daß ich bei völlig klarem Verstande bin. Und Sie werden mich auch nicht glauben machen wollen, daß Sie etwas anderes als dies erwarteten, da Sie sich heute hierher begaben.«

Er gab das Komödienspiel auf und erwiderte mit gerunzelter Stirn:

»Allerdings konnte ich wohl auf etwas ähnliches gefaßt sein, nachdem Herr Doktor Asmus so ausgiebige Gelegenheit gehabt hat, mich zu verdächtigen und zu verlästern. Aber ich bin nicht gesonnen, das Feld zu räumen, nur weil es diesem Herrn so gefällt, und weil er den Wunsch hegt an meine Stelle zu treten. Ich erkläre alles, was er über mich gesagt haben kann, im Vorhinein für Verleumdung und Lüge, und ich werde in eine Auflösung unseres Verlöbnisses jedenfalls erst dann einwilligen, wenn Dein Befinden Dich in den Stand setzt, die Tragweite solchen Entschlusses zu übersehen und wenn Dein Vater seine Zustimmung dazu ausgesprochen haben wird. – Für jetzt dürfte es, um Dir alle unnütze Aufregung zu ersparen, am zweckmäßigsten sein, daß ich meinen Besuch beende.«

Er wandte sich nach der Thür; doch Editha hielt ihn, sich aus den Kissen ihres Stuhles erhebend, durch einen befehlenden Zuruf zurück.

»Bleiben Sie! – Sie werden nicht wünschen, mir zum zweitenmale so gegenüber zu stehen, wenn ich Ihnen einen Namen zurufe, der uns für immer trennen mußte in dem Augenblick, da ich erfuhr, welche Bedeutung er in Ihrem Leben gehabt – den Namen eines Mädchens, das Sie mit einem feigen, erbärmlichen Schurkenstreich in den den Tod getrieben! – Wollen Sie wirklich, daß ich ihn Ihnen nenne?«

Neukamp war um eine Schattierung bleicher geworden; seine Hände ballten sich unwillkürlich und er preßte die Zähne zusammen.

»Ah dieser Schurke!« stieß er hervor. »Das also – das also hat er Dir erzählt?«

»Nicht aus dem Munde des Doktors kenne ich die Geschichte jener Unglücklichen, sondern ich kenne sie aus dem Munde ihres Vaters und ihrer Schwester – und ich denke, Sie werden diese Zeugen gelten lassen müssen. Ich erwarte nicht, daß Sie sich verteidigen oder einen Versuch machen werden, Ihre Handlungsweise zu entschuldigen, aber ich erwarte allerdings, daß Sie nun nicht länger zögern werden, mir mein Wort und meine Freiheit zurückzugeben. Wie könnten Sie wünschen, eine Frau zu besitzen, welche Sie von Grund ihres Herzens verachtet!«

»Genug, mein Fräulein!« sagte er, nervös an seinem Schnurrbärtchen zerrend. »Ich werde denjenigen zu finden wissen, der mir das gethan hat, und wehe ihm, wenn ihn die ganze Wucht meines Zornes trifft. Die verlangte Freiheit aber gebe ich Ihnen unter solchen Umständen bereitwillig zurück. Sie werden ja vermutlich mit sich selber bereits darüber im Reinen sein, welchen Gebrauch Sie davon zu machen haben.«

Er zögerte noch einen Augenblick, als ob es ihm schwer falle, den rechten Ausdruck für etwas besonders Giftiges und Vernichtendes zu finden, das ihm noch auf der Zunge lag; aber Editha streckte die Hand nach der Glocke aus, die neben ihr auf dem Tischchen stand, und in der Furcht, einen andern zum Zeugen seiner Demütigung gemacht zu sehen, wandte sich der Fabrikbesitzer nunmehr mit einer kurzen Verbeugung zum Gehen.

Als Monika gleich darauf mit einem Herzen voll tödlicher Angst in das Zimmer eilte, fand sie ihre Schwester noch immer hoch aufgerichtet und hastig atmend neben dem Stuhl.

»Editha – liebste, einzige Editha!« rief sie. »Oh, sage mir, was hast Du gethan?«

»Was meine weibliche Ehre mir gebot!« lautete ihre feste Entgegnung. »Bereite den Vater darauf vor, daß ich aufgehört habe, Hugo Neukamps Braut zu sein – er wird Dirs glauben, daß ich nicht aus Leichtsinn und Wankelmut diesen Schritt gethan.«

Der alte Oberst war von dieser Neuigkeit um des unvermeidlichen Geredes willen zwar nicht sehr erfreut; aber sie schien ihm doch nicht ganz unerwartet gekommen zu sein, und vielleicht waren ihm selbst seit jener Nacht, wo sie so nahe daran gewesen, von den empörten Arbeitern Neukamps erschlagen zu werden, mancherlei ernste Zweifel aufgestiegen, ob seine Lieblingstochter an der Seite dieses Mannes wirklich das erhoffte Glück finden werde So machte er denn, obwohl er die eigentlichen Beweggründe für Edithas Entschluß noch nicht kannte, keinen Versuch, diesen Entschluß zu bekämpfen und eine Aussöhnung zwischen den Entzweiten herbeizuführen. Es gab einen kurzen, kühlen Briefwechsel zwischen ihm und dem Fabrikbesitzer. Man verständigte sich in höflichen Wendungen über die Form, in welcher man die Aufhebung des Verlöbnisses vor die Welt votieren wollte, und einige Tage später hatte der Fabrikbesitzer die Stadt schon wieder verlassen.

Daß er zuvor in der That noch eine Begegnung mit Asmus gesucht hatte, erfuhr Editha nicht. Nur Monika erhielt davon Kunde, als er sie bei einem seiner nächsten Besuche in sichtlicher Bewegung fragte, ob es denn Wahrheit sei, daß ihre Schwester aus freien Stücken ihre Beziehungen zu Neukamp gelöst habe.

»Ich glaube seinen Worten eine Mitteilung dieser Thatsache entnommen zu haben,« fuhr er zur Erklärung seiner Frage fort, »als er vor einigen Stunden in mein Zimmer stürzte, um für einen Schimpf, den ich ihm angethan haben sollte, Rechenschaft von mir zu verlangen.«

»Um Gotteswillen!« fragte Monika erschrocken zurück. »Er hat Sie doch nicht gefordert?«

»Freilich!« bestätigte der Doktor, aber er bestätigte es mit einem Lächeln, das sie sogleich beruhigen mußte. »Wenn es nach seinen Wünschen gegangen wäre, hätte er am liebsten auf der Stelle ein amerikanisches Duell mit mir ausgefochten. Aber ich konnte ihm leider diese Gefälligkeit nicht erweisen, nachdem er von dem Ehrenrat unserer studentischen Verbindung für dauernd satisfaktionsunfähig erklärt worden war. Zwar versuchte er, nachdem ich seine Zumutung abgewiesen, sofort auf eigene Faust Genugthuung zu nehmen, aber er hatte zu seinem Schaden übersehen, daß auf dem Sofa meines Zimmers zufällig meine Reitpeitsche lag. Ich fürchte, es wird ihm nicht ganz leicht werden, seinen Freunden in den nächsten Tagen die merkwürdige Zeichnung in seinem Gesicht auf einigermaßen glaubhafte Weise zu erklären.«

Und wieder mehrere Tage später standen um die Zeit der Abenddämmerung, die das kleine trauliche Gemach mit matt rosigem Schimmer erfüllte, Doktor Asmus und Monika neben Editha, die sich aus ihrem Stuhl erhoben hatte, am Fenster.

»Die linden Lüfte sind erwacht,« citierte der Doktor, »nicht lange mehr und die ersten Schneeglöckchen werden ihre weißen Köpfe erheben. Freuen Sie sich nicht recht von Herzen auf den Frühling, Fräulein Editha? – Mir für meine Person ist es, als ob er mir in diesem Jahre ganz außerordentliche Herrlichkeiten und Wunder bringen müsse.«

»Und warum sollte diese Ahnung nicht zur Wahrheit werden?« fragte Editha mit einem kleinen, etwas wehmütigen Lächeln. »Der Frühling ist ja nun einmal die Zeit der Wunder, und was einem gewissen jungen Dichter im wunderschönen Mai beim Springen der Knospen geschah, warum sollte es nicht auch Ihnen geschehen können?«

Monika machte einen Versuch, sich leise zur Thür zu stehlen. Sie sah etwas wie eine Aussprache zwischen den beiden voraus, und sie wollte dabei nicht zugegen sein, einmal, weil solche Gespräche nur selten einen Zeugen vertragen, und vielleicht auch, weil sie fürchtete, daß es doch am Ende über ihre Kräfte gehen könnte.

Aber sie hatte erst zwei Schritte gethan, als sie sich an der Hand ergriffen und mit sanfter Gewalt zum Fenster zurückgezogen fühlte, während es ihr war, als habe sie Edithas schöne Augen, die auf ihrem Antlitz ruhten, noch niemals von einem so wundersam verklärten, feuchten Glanze erfüllt gesehen.

Der Doktor war die Antwort auf die Frage seiner geretteten Patientin schuldig geblieben. Er blickte mit eigentümlich nachdenklichem Gesicht hinaus in den jetzt noch winterlich kahlen Garten der Villa, und erst nach einem langen Schweigen sagte er:

»Ich glaube fast, Fräulein Editha, für mich ist es zu solchem Glück doch mittlerweile schon zu spät geworden. Die Einzige, der ich mich mit Leib und Seele zu eigen geben möchte, kann wohl mehr beanspruchen, als ein so ernsthafter, geplagter und wenig begüterter Landdoktor, der über die beste Jugend zudem schon hinaus ist, ihr zu bieten im stande wäre. Mag der lächelnde Knabe darum an andere Herzen klopfen, – das meinige wird voraussichtlich bis an meinen Tod nur für die Menschheit im allgemeinen schlagen dürfen, soweit sie im nächsten Umkreise von W. ansässig ist und ärztlicher Hilfe bedarf.«

»Wie schade, daß Sie sich unabänderlich unter die Hagestolze rechnen, Doktor Asmus,« plauderte Editha weiter, und in der ungewissen abendlichen Beleuchtung sahen die anderen nichts von dem leisen, schmerzlichen Zucken ihrer Lippen. »Nun muß ich mir von neuem den Kopf zerbrechen, um das passende Geschenk zu finden, das Ihnen meine Dankbarkeit beweisen soll. – Bis jetzt sollte es nämlich ein Hochzeitsgeschenk sein –«

»Ein Hochzeitsgeschenk? – Sie machen mich wirklich neugierig, Fräulein Editha!«

»Wollen Sie es sehen? – Ich hatte es nämlich schon in Bereitschaft, um es Ihnen am Morgen des festlichen Tages mit meinen innigsten Segenswünschen zu übergeben. Noch einmal: wollen Sie es sehen?«

»Gewiß! – Wie sollte ich nach solchen Andeutungen meine Wißbegier noch länger zügeln können,« erwiderte er, auf ihren scherzhaften Ton eingehend, obwohl eine eigentümlich feierliche Beklemmung sich um sein Herz zu legen begann. »Tragen Sie es denn immer bei sich?«

»In diesem Augenblick wenigstens! – Geben Sie mir Ihre Hand, Doktor Asmus! – Da – ich lege es Ihnen hinein – und wenn Sie Lust haben, es festzuhalten, – ich bin gewiß, es wird sich nicht dagegen sträuben.«

Es war Monikas schlanke, weiche Hand, die er in der seinigen fühlte, und dann – es wußte keines von beiden so recht, wie es geschehen war – dann hielt er auch ihre schlanke Gestalt in seinem Arm und ihr Köpfchen ruhte an seiner Schulter, wie in jener Nacht, die sie gemeinsam an Edithas Krankenbett durchwacht.

»Monika!« sagte er leise. »Mein edles, teures Mädchen!«

Da erhoben sie gleichzeitig die Augen, um der Vermittlerin ihres Glücks zu danken; Aber Editha war in das Nebenzimmer eingetreten und hatte die Thür desselben unhörbar hinter sich ins Schloß gezogen. Monika machte keinen Versuch, ihr zu folgen. Sie allein wußte ja, wie groß das Opfer war, welches ihre Schwester ihr gebracht und wie schwer der Kampf, den sie in diesen Augenblicken noch zu ringen hatte mit ihrem stolzen, rebellischen Herzen.

*

 


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