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III.

Seit der am Tage nach der denkwürdigen Schlittenpartie erfolgten Verlobung des Fabrikbesitzers Hugo Neukamp mit der Tochter des Obersten von Hasselrode waren nahezu fünf Wochen vergangen, und in dem sonst sehr ruhigen und friedlichen Städtchen hatten sich inzwischen Vorfälle von ziemlich aufregender Natur ereignet. Den sechshundert Arbeitern der Hartogschen Fabrik war etwa acht Tage nach jenem freudigen Ereignis durch Anschlag bekannt gemacht worden, daß der Besitzer des Etablissements sich mit Rücksicht auf die bedrückte Lage seines Industriezweiges veranlaßt sehe, die Löhne des gesamten Personals nicht unbeträchtlich herabzusetzen – und diese Ankündigung hatte unter den davon Betroffenen um so größere Erregung hervorgerufen, als die Lohnsätze gerade in der Hartogschen Fabrik, namentlich seit der Uebernahme derselben durch Hugo Neukamp, bereits mit Recht als sehr niedrige gegolten hatten. Da es sich zum großen Teil um ältere Leute und um Familienväter handelte, die mit den Sätzen des neuen Tarifs unmöglich das für die Erhaltung der Ihrigen unumgänglich Notwendige gewinnen konnten, war man anfänglich der Hoffnung gewesen, daß eine bescheidene Vorstellung bei dem jungen Fabrikherrn genügen würde, um ihn wenigstens zur Zurücknahme der allerhärtesten Bestimmungen zu bewegen. Aber diese Hoffnung war durch die sehr entschiedene und unfreundliche Antwort, mit welcher er die an ihn entsandte Deputation fortgeschickt hatte, rasch und gründlich zerstört worden. Er hatte erklärt, daß sein Entschluß ein wohl erwogener sei, und er hatte es in hochfahrendem Tone abgelehnt, sich auf irgend welche Unterhandlungen mit seinen Leuten einzulassen.

»Wem der neue Tarif nicht gefällt, der mag einfach seine Kündigung geben,« hatte er den Abgesandten gesagt. »Ich werde nicht in Verlegenheit darum sein, mir andere Arbeiter zu beschaffen.«

Die Mitteilungen, mit denen die Deputierten zu den Arbeitsgenossen zurückkehren mußten, hatten viel böses Blut unter den ohnedies aufgeregten Leuten gemacht, und obwohl einige Ruhigere und Besonnene mit Rücksicht auf die allgemeine Lage des Arbeitsmarktes zu vorläufiger Unterwerfung gemahnt hatten, waren die Heißsporne, welche die Erklärung des Fabrikherrn durchaus mit einer sofortigen Arbeitseinstellung beantworten wollten, in der Majorität geblieben.

Vier Tage nach der Bekanntgabe der neuen Fabrikordnung hatten die Maschinen des Hartogschen Etablissements eines Morgens stillgestanden und zum erstenmal seit vielen Jahren war an einem Werktage kein Rauchwölkchen den himmelhohen Schornsteinen entstiegen. Herr Hugo Neukamp aber hatte denen, die ihn durch ihr entschlossenes Vorgehen zur Nachgiebigkeit zu zwingen gehofft hatten, eine neue Enttäuschung bereitet, indem er bekannt gegeben, daß alle, die nicht an einem von ihm bestimmten Tage die Arbeit bedingungslos wieder aufnehmen würden, endgiltig entlassen seien und daß diejenigen von ihnen, welche in den zur Fabrik gehörigen Arbeiterhäusern Wohnungen inne hätten, sich alsdann zur sofortigen Räumung derselben bereit machen müßten. Den Führern der Ausstandsbewegung aber wurde schon jetzt selbst im Fall der Unterwerfung die Wiedereinstellung in die Arbeit verweigert, so daß den anderen nur um den Preis der Aufopferung ihrer Kameraden die Rückkehr in die alten Verhältnisse offen blieb.

Dazu aber konnten sich die Leute nicht ohne weiteres verstehen, obwohl auch die Hitzigsten unter ihnen bald zu der Erkenntnis gekommen waren, daß es um ihre Aussichten herzlich schlecht bestellt sei, und daß Hunger und Sorge nur zu bald an ihre Thüren klopfen würden. Man hatte versucht, neue Unterhandlungen mit dem Fabrikherrn anzuknüpfen, aber Neukamp hatte der Deputation einfach den Empfang verweigert und hatte durch einen Buchhalter den Leuten sagen lassen, daß es bei den getroffenen Bestimmungen unbedingt sein Bewenden haben werde.

Nun war der von ihm als letzter Termin für die Wiederaufnahme der Arbeit festgesetzte Tag herangekommen. Am Vorabend desselben hatten die Arbeiter, die von auswärts nur sehr spärlich unterstützt wurden und fast durchweg schon am Hungertuche nagten, nochmals eine Versammlung abgehalten, und es war, da sich inzwischen zwei Parteien unter ihnen gebildet hatten, stürmisch genug in derselben hergegangen. Eindringlicher und nachdrücklicher als zuvor hatten die älteren zur Nachgiebigkeit geraten, und es wäre ihnen vielleicht auch gelungen, die Mehrheit auf ihre Seite zu bringen, wenn nicht die zündende Beredsamkeit eines jungen Menschen, der bis dahin noch kaum hervorgetreten war und dem man darum bis zu diesem Augenblick nur wenig Beachtung geschenkt hatte, alle Bemühungen der Friedensstifter gründlich vereitelt hätte.

Dem Modelltischler Paul Mehnert, der erst eine Woche vor dem Beginn des Ausstandes in die Fabrik eingestellt worden war, würden die anderen schon aus diesem Grunde kaum das Recht zugestanden haben, in einer Sache von so einschneidender Wichtigkeit mitzusprechen, wenn nicht das Feuer und die für einen Menschen von geringer Bildung geradezu bewunderungswürdige Geschicklichkeit seiner Rede schon nach den ersten Sätzen, die er gesprochen, ihre Wirkung gethan hätte.

Es war keine von den hergebrachten, phrasenhaften Hetzreden, die man in derselben Versammlung wohl schon von anderen jüngeren Leuten gehört hatte, sondern es war lediglich ein Appell an das Ehrgefühl und an die kameradschaftliche Gesinnung seiner Genossen.

»Ihr dürft die Männer, welche bei dem Fabrikherrn für Euch das Wort geführt haben, nicht verlassen–«, das war der Kernpunkt seiner Ausführungen – und alles, was er vorbrachte, um seine Mahnung möglichst wirksam und eindringlich zu machen, fand ohne weiteres den Weg in die Herzen der einfachen Männer, zu denen er sprach.

Daß er selber von Bitterkeit und Groll nicht nur gegen Hugo Neukamp, sondern vielleicht gegen alle Besitzenden erfüllt war, suchte er freilich kaum zu verbergen. Aber er gab seine Gesinnung nicht in jenen schwülstigen Redensarten kund, die auf verständige und gereifte Zuhörer nur selten einen tieferen Eindruck machen, sondern er begnügte sich damit, in knappen, schlagenden Worten auf einige Vorkommnisse und Thatsachen hinzuweisen, die – in den Augen dieser Versammlung wenigstens – wohl danach angethan schienen, seinen Haß zu rechtfertigen und zu erklären.

.

Als er geendet hatte, ließ schon der Beifall der ihm von allen Seiten gezollt wurde, zur Genüge erkennen, welches Ergebnis die vorgeschlagene Abstimmung haben würde, und die Worte eines anderen Redners, der in beweglicher Weise an die hungernden Frauen und Kinder und an die scheinbare unbeugsame Entschlossenheit Hugo Neukamps mahnen wollte, wurden einfach niedergeschrien. Mit überwältigender Mehrheit erklärte sich die Versammlung dafür, daß die Arbeit am nächsten Morgen noch nicht wieder aufzunehmen, sondern daß eine neugewählte Deputation an den Fabrikherrn zu schicken sei mit dem Auftrage, ihm die Unterwerfung der Arbeiterschaft unter gewissen Bedingungen anzubieten. Einige der härtesten Bestimmungen des neuen Tarifs sollten zu Gunsten der Arbeiter gemildert, und alle, die sich zum Wiedereintritt meldeten, sollten ohne Rücksicht auf ihre Thätigkeit bei diesem Ausstande angenommen werden.

Wohl schüttelten manche der Aelteren zu diesen Beschlüssen sorgenvoll die grauen Köpfe; aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich der Majorität zu unterwerfen, mit wie bangen Befürchtungen sie auch für sich und ihre Angehörigen in die nächste Zukunft blicken mochten.

Um neun Uhr Vormittags meldete sich die aus vier Personen bestehende Deputation, zu deren Mitgliedern diesmal auch Paul Mehnert zählte, in Hugo Neukamps Villa. Der Fabrikbesitzer ließ sie wohl eine halbe Stunde lang im Vorzimmer warten, und er wandte, vor seinem Schreibtische sitzend, kaum den Kopf nach ihnen um, als ihnen endlich der Eintritt in das Arbeitskabinett gestattet worden war.

»Ich wüßte zwar nicht, was es zwischen uns noch zu verhandeln geben kann,« sagte er kühl. »Aber ich will Euch trotzdem die Möglichkeit nicht abschneiden, mir Euer Anliegen vorzutragen – in der Voraussetzung allerdings, daß Ihr Euch dabei möglichst kurz fassen werdet.«

Dieser Empfang war so wenig ermutigend, und es war etwas so hochmütig Abweisendes in der Haltung ihres Arbeitgebers, daß dem zum Sprecher der Abordnung ausersehenen alten Vorarbeiter alsbald der Mut entfiel, und daß er nur nach vielem Stottern und Räuspern mit den Vorschlägen herauskam, die in der gestrigen Versammlung formuliert worden waren. Noch ehe er den hauptsächlichsten derselben vorgebracht hatte, schnitt ihm Hugo Neukamp kurz die Weiterrede ab.

»Wir wollen uns nicht mit überflüssigem Geschwätz aufhalten, mein Bester! – Ihr mögt Euch bei den guten Ratgebern, von denen dieser unsinnige Ausstand angezettelt worden ist, bedanken, wenn es Euch jetzt schlecht geht – mich trifft keine Verantwortung dafür; denn ich bin dadurch, daß ich Euch eine Frist zur Ueberlegung gewährt habe, in meinem Wohlwollen viel weiter gegangen, als es meine Pflicht gewesen wäre. Daß ich von dem, was ich einmal bestimmt hatte, etwas zurücknehmen würde, konnten nur diejenigen erwarten, die mich nicht kennen. Es thut mir leid, daß Ihr Euch allem Anschein nach in mir geirrt habt; aber es ist nicht meine Schuld, und die Folgen des Irrtums werdet Ihr nun eben tragen müssen.«

Die Abgesandten sahen einander verdutzt an und der Sprecher von vorhin schien völlig verstummt.

»Nun?« fragte Hugo Neukamp, indem er ihnen erst jetzt sein Gesicht voll zuwandte, mit einem spöttischen Lächeln. »Habt Ihr mir sonst noch etwas zu sagen?«

Paul Mehnert war es, der jetzt, indem er nun einen Schritt vortrat, das Wort ergriff.

»Jawohl, Herr Neukamp,« sagte er, »denn Sie haben meinen Kameraden vorhin ja gar nicht ausreden lassen. Wir würden uns vielleicht auch in die neue Fabrikordnung gefügt haben, denn wir wissen wohl, wie schwer es besonders für die Aelteren und die Verheirateten ist, anderweitig Arbeit zu bekommen, und ich brauche Ihnen auch kein Geheimnis daraus zu machen, daß es den meisten von uns jetzt schon schlecht genug geht. Aber Sie verlangten auch von uns, daß wir unsere Genossen im Stich lassen sollten, und dazu, Herr Neukamp, dazu können wir uns nicht verstehen. Das ist gegen unsere Ehre, und wenn sich auch über alles andere möglicherweise noch reden ließe – ehe Sie nicht eingewilligt haben, daß alle ohne Ausnahme wieder eingestellt werden, eher nehmen auch wir anderen die Arbeit nicht wieder auf.«

Er hatte nicht gerade unehrerbietig, aber doch in einem so bestimmten und energischen Tone gesprochen, wie ihn bisher noch keiner seiner Untergebenen dem Fabrikherrn gegenüber anzuschlagen gewagt. Hugo Neukamp öffnete die Augen weit und fixierte den Redner mit einem durchdringenden Blick.

»Wer sind Sie?« fragte er kurz und scharf. »Ich erinnere mich garnicht, Sie überhaupt jemals in der Fabrik gesehen zu haben. Als was und seit wann haben Sie denn darin gearbeitet?«

»Ich bin der Modelltischler Paul Mehnert, und ich bin allerdings erst eine Woche vor Beginn des Ausstandes bei Ihnen in Arbeit getreten, Herr Neukamp.«

Der Fabrikbesitzer sah den Sprechenden noch immer unverwandt an. Keiner der Anwesenden hatte wahrgenommen, daß er bei dem Klange des Namens ein wenig zusammengefahren war, und wenn sich darin wirklich etwas wie unmännliches Erschrecken geäußert hatte, so besaß er jedenfalls Selbstbeherrschung genug, diese Schwäche sehr schnell wieder von sich abzuschütteln.

»Davon weiß ich nichts!« sagte er mit einem unwilligen Stirnrunzeln. »Von wo sind Sie gekommen?«

»Aus meinem Geburtsort Eberbach, wo ich mich bei meinem Vater aufhielt, da ich seit mehreren Wochen ohne Arbeit gewesen war. Es nimmt mich übrigens Wunder, daß Sie nichts von meiner Einstellung wissen, da mir doch der Werkmeister, bei dem ich mich meldete, sagte, daß Sie selbst Auftrag gegeben hätten, mich anzunehmen.«

Ein halblauter, unverständlicher Ausruf, den die drei anderen Deputierten als eine Kundgabe der Entrüstung über den dreisten Ton ihres Kameraden auffaßten, entschlüpfte Neukamps Lippen. Aber er bezwang sich auch diesmal und sagte kalt:

»Es mag sein – ich erinnere mich jetzt. Sie waren mir von jemandem empfohlen worden; aber es wurde mir wohl versehentlich ein etwas anderslautender Name genannt. Es muß übrigens um die Intelligenz Ihrer Kameraden ziemlich traurig bestellt sein, wenn sie sich von jungen Menschen, die in der Fabrik noch nicht einmal warm geworden waren, zu ihrem Verderben ins Schlepptau nehmen lassen. – Aber das geht mich weiter nichts an. Das Kurze und Lange von der Sache ist, daß Ihr alle miteinander, wie ich es Euch angekündigt hatte, als kontraktbrüchig aus der Arbeit entlassen seid, und daß diejenigen, welche in meinen Häusern wohnen, nach Paragraph sieben des Mietsvertrages ihre Wohnungen bei Vermeidung zwangsweiser Entfernung bis heute nachmittag um sechs Uhr zu räumen haben. Eine entsprechende Aufforderung ist den Betreffenden während der letzten Stunde bereits zugegangen.«

Mit Ausnahme Mehnerts, der voll finsteren Trotzes dreinschaute, zeigten die Männer, an welche diese Worte gerichtet gewesen waren, die äußerste Bestürzung.

»Das kann Ihr Ernst nicht sein, Herr Neukamp,« brachte der eine von ihnen mit zitternder Stimme vor. »So hart können Sie nicht mit uns verfahren. Am Ende haben wir doch nur einen Verzweiflungskampf geführt um unser Dasein, und wir sind wahrhaftig schon schlimm genug bestraft, wenn wir darin unterliegen und uns Ihrem Willen betreffs der Lohnherabsetzung fügen müssen. Damit aber werden Sie sich gewiß begnügen; denn was Sie da eben androhten, würde ja für einen Teil von uns geradezu den Untergang bedeuten.«

Neukamp zuckte mit den Achseln und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Es thut mir leid, wenn es so ist; aber ich kann nichts daran ändern. Im Laufe der nächsten vierundzwanzig Stunden werden die Arbeiter hier eintreffen, die das kontraktbrüchig gewordene bisherige Fabrikpersonal ersetzen sollen, und es ist ganz selbstverständlich, daß ich für meine Arbeiter Wohnungen brauche. Diejenigen, welche jetzt noch darin sind, mögen zusehen, wie sie sich einrichten; aber sie mögen sich nur keine Hoffnung darauf machen, daß ich irgend welche weichmütige Nachsicht gegen sie au den Tag legen werde. – Und damit, denke ich, wären wir nun wohl fertig miteinander.«

Er machte eine unzweideutig verabschiedende Handbewegung und drückte zugleich auf die Glocke zu seiner Rechten, die mit hellem Klange anschlug. Mit einer Schnelligkeit, als ob er dies Signal auf der Schwelle erwartet hätte, erschien der Diener in der geöffneten Thür und winkte, während der Fabrikbesitzer sich wieder anscheinend gelassen mit seinen Papieren zu schaffen machte, den Arbeitern zu, das Zimmer zu verlassen.

Zaudernd schickten sie sich dazu an, nur Paul Mehnert blieb noch auf seinem Platze, und nachdem er allem Anschein nach eine Weile mit sich selber gekämpft hatte, sagte er:

»Sie sollten das nicht thun, Herr Neukamp – in Ihrem eigenen Interesse sollten Sie es nicht thun! Ich rede da nicht für mich; denn daß Sie mich nicht wieder annehmen werden, kann ich mir nun wohl denken, und am Ende bin ichs ja auch schon gewöhnt, auf solche Art an die Luft gesetzt zu werden. Aber ich rede für die armen Leute, denen Sie das Dach über dem Kopfe fortnehmen und die Sie mit Weib und Kindern auf die Straße werfen wollen. Wenn sie doch bereit sind, sich Ihrem Willen zu fügen und die Arbeit zu den neuen Lohnsätzen aufzunehmen –«

Hugo Neukamp hatte ihn erst ungehindert reden lassen, wie wenn er nicht ganz mit sich im Reinen sei, welche Haltung er ihm gegenüber einzunehmen habe; nun aber stand er plötzlich auf und schnitt, indem er in seiner ganzen stattlichen Größe dicht vor ihn hintrat, dem Tischler die Weiterrede ab.

»Sie überschätzen meine Geduld und meine Gutmütigkeit. Glauben Sie etwa, daß ich geneigt bin, mich von einem Menschen Ihres Schlages belehren oder überreden zu lassen? Ohne Zweifel sind Sie ja einer der Anstifter dieser ganzen Ausstandsbewegung gewesen, denn Ihresgleichen hat natürlich nichts aufs Spiel zu setzen, und das Hetzen und Wühlen ist jedenfalls um vieles angenehmer als das Arbeiten, da es Ihnen ja die Möglichkeit gewährt, sich aus der Tasche Ihrer Kameraden gute Tage zu verschaffen. Aber man macht heutzutage nicht mehr viele Umstände mit Individuen von Ihrer Art – merken Sie sich das, mein Bester! Ich werde noch in dieser Stunde die Polizei ganz besonders auf Sie aufmerksam machen, und ich rate Ihnen darum, lieber aus freien Stücken die Stadt so bald als möglich zu verlassen. Wer weiß, ob Sie sonst nicht noch unliebsame Bekanntschaft mit unseren Gefängnissen machen könnten.«

Die anderen Mitglieder der Deputation, die bei den ersten Sätzen ihres Kameraden schon wieder ein wenig Hoffnung geschöpft hatten, zogen sich angesichts dieser Gesprächswendung scheu in das Vorzimmer zurück. Paul Mehnert aber blieb kerzengerade vor dem Fabrikherrn stehen und sah mit festem, trotzigem Blick ins Gesicht.

»Ich habe nichts begangen, weswegen man mich ins Gefängnis setzen könnte,« erwiderte er, »und so viel Gerechtigkeit wird ja am Ende noch in der Welt sein, daß man einem ehrlichen Menschen nicht seine Freiheit nimmt, nur weil es einem reichen Herrn unbequem ist, ihn in seiner Nähe zu haben. Schreiben Sie der Polizei meinetwegen, was Ihnen beliebt – aber nehmen Sie sich in acht, daß Ihnen nicht schon morgen die Reue kommt über die Hartherzigkeit, mit der Sie die armen Leute da fortgeschickt haben.«

Herr Neukamp kniff die Augen zusammen und fixierte den Tischler mit einem tückischen Blick.

»Ich soll mich in acht nehmen? – Wie meinen Sie das? – Wollen Sie damit eine Warnung oder eine Drohung aussprechen?«

»Die Erklärung für meine Worte werden Sie sich leicht selber geben können, Herr Neukamp! Die Arbeiter Ihrer Fabrik sind gewiß ruhige und friedliebende Menschen; aber man soll auch die Ruhigsten nicht zur Verzweiflung treiben, wenn man nicht am Ende schlimme Erfahrungen mit ihnen machen will. Werfen Sie die Weiber und Kinder wirklich auf die Straße und lassen Sie wirklich fremde Arbeiter von außerhalb kommen, so sehen Sie sich vor. – Ich möchte nicht dafür einstehen, daß auch dann noch alles in Ruhe und Frieden abgeht.«

»Friedrich,« wandte sich der Fabrikbesitzer mit erhobener Stimme an den noch immer in der Thür stehenden Diener, »Du hast gehört, daß dieser Mensch mir gedroht hat. Präge es Dir wohl ein, denn Du wirst es möglicherweise vor der Obrigkeit bezeugen müssen. Und nun entferne den Burschen aus meinem Hause! – Ich will mich nicht weiter belästigen lassen.«

Der Diener näherte sich gehorsam Paul Mehnert; aber der Blick, der ihn aus den düsteren Augen des Tischlers traf, hielt ihn doch davor zurück, die Weisung seines Herrn buchstäblich auszuführen.

»Man braucht mich nicht hinauszuwerfen, Herr Neukamp, und ob Sie meine Worte als eine Drohung nehmen wollen, ist mir, wie gesagt, ganz einerlei. Wir beide haben in Zukunft ja doch nichts mehr miteinander zu schaffen.«

Er ging; aber der Fabrikbesitzer verfolgte ihn mit einem bösen Blick.

»Oho, mein Bürschchen, darin könntest Du Dich doch täuschen,« sagte er bei sich selbst. »Ich müßte ein Narr sein, wenn ich nicht die gute Gelegenheit wahrnähme, mir ihre Sippschaft vom Leibe zu halten. Es ist ja kein Zweifel, daß er ihr Bruder ist; aber er wußte offenbar nicht, wen er vor sich habe. Wir wollen doch lieber nicht erst abwarten, bis er dahinter gekommen ist.«

Er setzte sich nieder und schrieb an den Polizeidirektor von W.; aber er war noch nicht über die ersten Zeilen hinausgekommen, als an die Thür des Zimmers geklopft. wurde und sich auf sein ärgerliches »Herein!« die lange, dürre Gestalt des Assessors Valentini über die Schwelle schob.

Der eifersüchtige Groll, mit welchem der um seine dominierende gesellschaftliche Stellung besorgte junge Herr den Fabrikbesitzer anfänglich betrachtet hatte, schien neuerdings einem sehr freundschaftlichen Verhältnis gewichen zu sein, da der Assessor sich die Freiheit nehmen konnte, zu einer so frühen Stunde unangemeldet hier einzudringen.

»Entschuldigen Sie, Verehrtester, wenn ich störe,« sagte er, die etwas widerwillig dargebotene Rechte Neukamps kräftig schüttelnd. »Aber mein Weg führte mich gerade in Ihrer Nähe vorüber und da konnte ich mirs nicht verkneifen, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen. – Stecken übrigens tief in allerlei Aufregungen – wie? – Möchte, offen gestanden, augenblicklich nicht in Ihrer Haut sein, wie behaglich sichs sonst auch darin leben mag. Fatale Sache, mit Leuten auf dem Kriegsfuße zu stehen, die so unheimliche Gesichter haben wie dieser eine, dem ich unten auf der Treppe begegnet bin.«

Hugo Neukamp zuckte geringschätzig mit den Achseln.

»Pah, ich bin nicht furchtsam! – Und was sollte ich auch am Ende von dem feigen Gesindel zu besorgen haben!«

»Nun, man hat doch Beispiele! – Ich für meine Person würde in solchem Fall eine gütliche Einigung entschieden vorziehen.«

»Um so besser also, daß Sie nicht an meiner Stelle sind. Niemals war eine scharfe Lektion so gut am Platze als in diesem Fall.«

»So? – Es geht also bis aufs äußerste? – Na, Sie müssen freilich am besten wissen, was Sie wagen können. Von dem kleinen Fest, zu welchem Sie die Güte hatten, mich für heute abend einzuladen, ist unter solchen Umständen natürlich nicht mehr die Rede – wie?«

»Warum denn nicht? – Fürchten Sie sich etwa auch, zu kommen?«

Der spöttische Ton dieser Frage schien den Assessor empfindlich getroffen zu haben.

»Fürchten? – Ah, Sie sind spaßhaft, mein lieber Neukamp! Aber ich sollte doch meinen, daß wir mit Rücksicht auf die Aengstlichkeit der Damen –«

»Oh, was das anbetrifft, so mögen Sie sich beruhigen, Herr Assessor! Die Geladenen haben im Laufe des gestrigen Tages samt und sonders abgesagt, so daß wir heute abend mir noch unser fünf sein werden – Sie selbst meine Braut und ihre Schwester, mein Schwiegervater und meine eigene unbedeutende Person. Dafür aber, daß die Fräulein von Hasselrode durch ihre Aengstlichkeit unser Vergnügen nicht beeinträchtigen werden, dafür, mein Lieber, stehe ich Ihnen ein.«

Der Assessor war ein viel zu schlechter Schauspieler, als daß man ihm nicht vom Gesicht abgelesen hätte, wie sehr er bedauerte, sich nicht ebenfalls durch eine einfache schriftliche Absage der gefährlichen Situation entzogen zu haben. Nun, wo durch Neukamps vorige Frage gewissermaßen seine ritterliche Ehre engagiert war, gab es kaum noch eine Möglichkeit, diesem bedenklichen Feste auf gute Manier auszuweichen. Er gab sich also mit erzwungenem Lächeln den Anschein, als ob er voll der freudigsten Erwartungen in Bezug aus den Verlauf desselben sei; aber die Fragen, die er zwischendurch nach dem gegenwärtigen Stande der Strikebewegung und nach der bisherigen Haltung der Arbeiter that, bewiesen zur Genüge, wie wenig behaglich ihm in Wahrheit dabei zumute war.

Noch in der Thür, als ihm Neukamp nach Verlauf einer halben Stunde nicht undeutlich zu verstehen gegeben hatte, daß er stark beschäftigt sei, machte er einen letzten schwachen Versuch, sich den Weg für einen diplomatischen Rückzug offen zu halten.

»Natürlich hoffe ich zuversichtlich, heute abend die Freude zu haben,« sagte er, »aber es ist leider nicht ganz unmöglich, daß –«

Der Fabrikbesitzer jedoch klopfte ihm auf die Schulter und meinte mit ironischem Lächeln:

»Thun Sie Ihren Gefühlen keinen Zwang an, Herr Assessor! Man kann ein ganz tüchtiger Mensch sein, auch wenn man nicht gerade ein Held ist, und warum sollten Sie am Ende mehr Kourage entwickeln als die andern, die mir unter allerlei durchsichtigen Vorwänden abgesagt haben! Wünschen Sie, daß ich Sie bei meinen Damen mit einer Migräne entschuldige – oder würden Sie des mannhafteren Eindrucks wegen einen hohlen Backenzahn vorziehen?«

Der magere Assessor war ein wenig errötet.

»Natürlich nehme ich Ihre Worte nur für Scherz,« sagte er mit einem Versuch, sich in die Brust zu werfen. »Und ich werde jetzt unter allen Umständen kommen – hören Sie, lieber Freund – unter allen Umständen! – Sie wären wahrhaftig der erste, dem ich einen Grund gegeben hätte, an meinen: persönlichen Mute zu zweifeln«

Erhobenen Hauptes stieg er die Treppe der Villa hinab; aber als er an den Fabrikgebäuden und den Arbeiterwohnungen vorüberging, zog er den Kopf desto tiefer zwischen die eckigen Schultern und griff mit seinen langen Beinen so gewaltig aus, als ob ihm eine Rotte von Totschlägern und Petroleurs auf den Fersen wäre.


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