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Der 10. August war ein Unglückstag, nicht nur in Heustedt. In viel größerm Umfange war er es für viele Tausende in der Weltstadt, wo unser Freund Justus Erich Bollmann lebte. Hören wir, was dieser darüber zwei Tage später aus Paris schrieb:
Paris, 12. August 1792.
Der vorgestrige Tag war einer der fürchterlichsten und der schändlichsten in der französischen Geschichte.
Schon seit langer Zeit bereiteten die Jakobiner einen Tag vor, der endlich ihre Oberherrschaft und die Durchsetzung ihres Planes – Umsturz. der königlichen Gewalt – entweder zum Siege führe oder zernichte. Man entfernte die Linientruppen, hielt die Föderirten, weislich in den Departements auserlesene rasend tolle Jakobiner, hier zurück, anstatt sie nach Soissons ins Lager zu schicken. Man verbreitete über die Treulosigkeit des Königs Lügen, eine noch schändlicher wie die andere. Man schmeichelte dem Pöbel, man brachte ihn durch öffentlich angeschlagene aufrührerische Anreden und Zusprüche in Wuth; man riß dagegen alle Verteidigungen des Königs herunter und verhinderte ihre Bekanntwerdung. Man gewöhnte den Pöbel nach und nach durch strafbare Nachsicht und Beschönigung einzelner Verbrechen, wie die Mißhandlung des unschuldigen d'Espréménil, zur Grausamkeit.
Am 8. August wurde in der Nationalversammlung die Sache Lafayette's, des tödlich gehaßten, von den Jakobinern verhandelt. Nur Groll und Verleumdung konnten ihn strafbar finden, die Wahrheit nicht. Die Mehrheit in der Nationalversammlung war gerecht, mit vierhundert gegen zweihundert Stimmen sprach man ihn frei. Das war ein Schlag für die Jakobiner. Jetzt hieß es, sterben oder siegen, jetzt hielt man alle Mittel für erlaubt, um zum Zwecke zu kommen. – Die Glieder der Nationalversammlung, welche für Lafayette gestimmt hatten, wurden beim Hinausgehen aus der Nationalversammlung schändlich vom Jakobinerpöbel mishandelt. Das Leben mehrerer kam in Gefahr, nur glückliche Zufälle haben es gerettet. Dies verscheuchte sie aus der Nationalversammlung. Viele wurden krank, viele kamen nicht wieder, oder wenigstens waren sie fortan stumm. Denselben Tag schwuren die Föderirten in der Versammlung der Jakobiner, am 10. das Schloß der Tuilerien zu belagern, zu stürmen. Man unterstützte sie darin. Man verfluchte die vierhundert Glieder der Nationalversammlung, die für Lafayette gestimmt hatten, und erklärte sie für vogelfrei. Man bereitete alles Mögliche vor, trieb die Gemüther durch die schändlichsten Erdichtungen aufs Aeußerste; die Rechtschaffenen, Hellsehenden verzagten. Das Departement von Paris, brave, redliche Männer, that alles Mögliche, dem drohenden Uebel zu wehren; dasselbe hatte aber keine Gewalt mehr, es wurde von der Municipalität nicht unterstützt, seine Bemühungen waren eitel. Dagegen sandten die Sectionen von Paris Commissare auf das Stadthaus, die sich zum Rathe der Gemeinden constituirten, sie bemächtigten sich der Polizei und behielten niemand von den alten Verwaltern derselben bei als den Maire von Paris, Pétion, und den Procureur de la commune, Manuel, zwei Erz-Jakobiner. In der Nacht vom 9. auf den 10. läutete man die Sturmglocken, schlug man den Generalmarsch. Alles, was Waffen tragen konnte in der Vorstadt Saint-Antoine – dem Herd der Jakobinergewalt – in der Vorstadt Saint-Marceau u. s. w., lief zusammen, bewaffnet mit Piken, Ofengabeln, Werkzeugen aller Art, zum Theil auch mit Gewehren. Zu diesem Haufen gesellten sich die fünfhundert Föderirten, alle unterm Gewehr. Der Rath der Gemeinden theilte auf dem Rathhause diesem Haufen Patronen im Ueberfluß aus. In derselben Nacht gab er einen Arrestationsbefehl gegen den Generalcommandanten der pariser Nationalgarde.
Um neun Uhr morgens am 10. zogen die bewaffneten Haufen, sich geberdend wie rasend Tolle, vorbei an meinem Fenster, den Tuilerien zu, dem Aufenthalte des Königs. Ich verließ sogleich mein Zimmer, um zu sehen, was es geben würde, und kam noch vor Ankunft der Horde in den Garten der Tuilerien. Ich sah einen großen bewaffneten Haufen von braven Schweizern und Nationalgarden langsam vom Schlosse weg gegen die Nationalversammlung sich hinbewegen. Der König, seine Schwester, seine Frau und seine beiden Kinder waren in ihrer Mitte. Der brave Röderer, Generalprocurator des Departements, unfähig, zur Ruhe noch etwas zu wirken, hatte den König gebeten, sich mit den Seinigen in die Mitte der Nationalversammlung zu begeben, der einzige Weg, um sein Leben zu sichern. Ich sah den König hineingehen und war glücklich genug, mich auch hineinzudrängen. Nie vergesse ich diesen merkwürdigen Anblick. Der König stellte sich zur Seite des Präsidenten; die Frauenzimmer setzten sich gegen über auf eine Bank an die Schranken der Nationalversammlung. Aber der König durfte da nicht bleiben, weil die Constitution in seiner Gegenwart den Gliedern der Nationalversammlung zu verhandeln verbietet, und ihre Verhandlungen waren doch notwendig. Es entstand die Frage, wo ihn hinthun? Während der Berathschlagungen darüber lag der König, auf seine Hände gestützt, mit dem Bauche halb über dem Tische, der vor dem Präsidenten stand. Kindisch, läppisch und gutmüthig, sorglos und unbekümmert in diesem ernsten gefährlichen Augenblicke, auch ohne die mindeste Spur von Würde, von Ueberlegung, von Ideenarbeit, hörte er den Reden der verschiedenen Mitglieder für und wider ihn zu, ungefähr wie einer, der zum ersten male so etwas hört und in einer dummen Erstarrung halb lachend zu sich sagt: »Das ist doch närrisch.« Gegenüber saß die Königin, in deren Gesicht man erstaunt war, alles das gleichsam doppelt gehäuft zu finden, was man beim Könige vermißte. Sie hatte Rock und Kamisol an von Blumenzitz mit weißen Blumen, ein einfaches weißes Tuch ohne Spitzen und Verzierung um ihren Hals, eine Art von Haube auf ihrem Kopfe. Sie hatte den Dauphin auf ihrem Schose, einen kleinen bildschönen Knaben. Sie drückte ihn zuweilen an sich mit Beklemmung, als dächte sie, was wird aus dir werden?
Sie sah tiefsinnig und kummervoll von Zeit zu Zeit um sich her; sie faßte mit Ernst und ohne Verachtung jedes Mitglied der Versammlung, dem in diesem Augenblicke der Schonung und Menschlichkeit unglimpfliche Ausdrücke entschlüpften, ins Auge. Ich versichere Sie, die Königin war sehr rührend in diesem Augenblicke. Sie ist nicht so schlecht, wie Parteisucht und Privathaß sie gemacht haben, und wie ich selbst anfänglich glaubte. Ich habe seitdem viele Züge von Edelmuth und Menschenliebe von ihr gesammelt. Sie war ausschweifend und verschwenderisch, wie die meisten Weiber von Paris, aber beides hingerissen, arglos und ohne Berechnung der Folgen. Wohlwollend und gütig von Natur, hat sie auch manches Leiden getröstet. Ihre Fehler hat sie hart gebüßt, ihre Haare sind grau geworden seit acht Monden. Ihre Fehler schienen mir nie verzeihlicher als in der Nationalversammlung, wo ich ihr gegenüber den bemitleidenswerten, guten, armen, unvermögenden Ludwig XVI., ihre große Entschuldigung, sah. – Dem Könige und seinem Hause wurde endlich eine Loge zur Seite des Präsidenten angewiesen; es war eine Loge mit Gitterwerk. Er wurde der fernern Beobachtung entzogen. Der brave Röderer hielt darauf einen Vortrag, worin er auseinandersetzte, was er zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe hatte thun wollen und nicht können. Er sagte, er habe der Schweizergarde Befehl gegeben, nicht anzugreifen, aber Gewalt mit Gewalt zurückzutreiben, wenn man das Schloß bestürmen wolle. – Bald darauf hörte mau die ersten Kanonenschüsse. Die Nationalversammlung erstarrte auf einige Augenblicke, man sprach hernach, wie es mir schien, aus Angst. Ich entfernte mich aus der Versammlung und war späterhin immer in der Nähe des Gefechts, weil ich nicht mehr zurückkonnte, denn alle Zugänge zu der Nationalversammlung waren besetzt und man feuerte von allen Seiten.
Die Horde von Pikenträgern und Föderirten war gegen das Schloß gezogen und hatte die Schweizergarde aufgefordert, es zu übergeben. Diese hatte sich geweigert. Die Föderirten feuerten die Schweizer nieder. Auf beiden Seiten lud man die Kanonen mit Kartätschen.
Die Schweizer, kaum tausend Mann, verließen sich auf die Stütze der Nationalgarde, aber diese ließ sie schändlicherweise im Stich, floh zum Theil, machte zum andern Theil gemeinschaftliche Sache mit der angreifenden Horde.
Die armen Schweizer, bestürmt von allen Seiten, überwältigt von der Menge, streckten endlich das Gewehr; im Gefechte waren ihrer nur wenige geblieben.
Aber jetzt, nachdem sie sich ergeben hatten, fiel man über sie her, zwanzig über einen, und ermordete sie jämmerlich.
Man schlug sie todt, wo man sie fand; in den meisten Straßen von Paris lagen Leichen.
Ich habe schauderhafte Scenen gesehen; man warf sie lebendig ins Feuer; man hat sie hingeschunden und verstümmelt. Weiber, immer die wüthendsten wie grausamsten, sogen ihr Blut. Selbst die todten Körper blieben von keiner Art der Mishandlung frei. Abends wurden die verstümmelten Leichname, dreißig bis vierzig, auf einem Wagen fortgefahren, oben auf dieselben setzten sich Pikenträger, triumphirend, immer gegen die todten, nackten Körper noch wüthend. – Die zerrissenen Kleidungsstücke der Schweizer, ihre Köpfe auf Stangen, wurden im Triumph umhergetragen, ja der Pöbel suchte die Schweizer auch in den Häusern auf, in denen sie Thürhüter waren. – Und diese braven Schweizer, alle folgten ihrer Ordre, verteidigten ihren Posten und thaten also ihre Pflicht. – Es sind außerdem viele Menschen erschlagen worden, und auch von der Partei der Horde sind im Gefechte eine große Menge geblieben. Auf dem Schlosse ist alles zu unterst und oberst gekehrt, alles verwüstet.
Viele kleine Häuser da herum, Kasernen und dergleichen stehen im Feuer.
Der König wurde an demselben Tage seiner Amtsverrichtungen entsetzt, seine Einkünfte sind eingezogen, denn kein Mensch in der Nationalversammlung wagte der herrschenden Partei zu widersprechen. Der Pöbel schwärmt noch heute wüthend umher in den Straßen, reißt die Bildsäulen der Könige, diese Meisterstücke der Kunst und die Zierden der öffentlichen Plätze, nieder. Sogar die Statue Heinrich's IV., des besten der französischen Könige, ist nicht verschont geblieben.
Die Gutgesinnten fürchten noch größere Ansschweifungen, denn der Pöbel ist Meister, Zucht und Ordnung sind verloren. – In der Nacht vom 10. auf den 11. war ganz Paris, wie es in Zeiten der Gefahr zu geschehen pflegt, erleuchtet; aber wie schaurig war diese Erleuchtung! In den Straßen, sonst unablässig voll Gewühl, voll Getümmel, voll Wagen und voll Menschen bis spät nach Mitternacht hin, bewegte sich keine Seele, als hin und wieder eine langsam auf- und abziehende Patrouille, als hier und da ein scheuer, einzelner, schleichender Mensch.
Die Würger waren satt und müde für diese Nacht, oder trunken von dem aus königlichen Kellern geraubten Weine. Aber die guten Menschen hatten sich in den Häusern verschlossen; sie ließen sich nicht sehen; sie schienen die Geister der Erschlagenen zu fürchten. – Auch heute am Tage sind noch alle Läden geschlossen, alles Gewerbe, alle Betriebsamkeit unterdrückt. Es ist dumpfig, öde und grauenvoll in Paris. Hier ist nun alles den Jakobinern unterworfen, wo nicht aus gutem Willen, doch aus Furcht. – Man will alle Offiziere der Armee an der Grenze entlassen. Die würden ohnehin nicht bleiben, sowenig als die Armee selbst. Aber wird Lafayette aus Paris marschiren? Werden die Oesterreicher und Preußen Widerstand finden? Und wenn sie nun hierher kommen, wird der Herzog von Braunschweig Wort halten und keinen Stein auf dem andern lassen in einer Stadt, die jetzt nach dieser Erklärung aufs neue so schreckliche Frevel aufhäuft?
Es ist doch nichts erbärmlicher als feige Männer! Wären die Nationalgarden nicht so erbärmliche unmännliche Menschen, so wäre alles das nicht geschehen, so seufzte man jetzt nicht in der schändlichsten Sklaverei. Es gibt nur Eins, womit man sie allenfalls entschuldigen kann, das ist, daß sie keinen klugen Anführer hatten, aber dennoch bleibt das Obige wahr.
Ich habe um so lieber diese Nachrichten etwas weitläufiger mittheilen wollen, weil ich beinahe überzeugt bin, daß keine unentstellten Nachrichten in öffentlichen Blättern erscheinen werden. Die Zeitungen von Paris, welche nicht jakobinisch sind, erscheinen entweder gar nicht oder schweigen von diesen Begebenheiten; viele können nicht erscheinen, denn man soll ihre Redacteure, welche in ihren Blättern bisjetzt immer das Recht verteidigten, in ihren Häusern ermordet haben. Viele redliche, durch unbefangene, laut geäußerte Wahrheitsliebe ausgezeichnete Männer sind umgebracht. Es gehört viel Klugheit und Gewandtheit dazu, in diesen Tagen sich durchzubringen, ohne doch wider Gewissen und Ueberzeugung zu reden. Aber durch Ansichhalten zur rechten Zeit und durch freimüthige Aeußerung der wenigen Wahrheiten, die allgemein gefallen, und die jeder auf seine Art nimmt, läßt sich viel gewinnen. – Ein Fremder läuft überdies weniger Gefahr als ein anderer. – Seid meinetwegen unbesorgt.
Nachschrift. Der König ist mit den Seinigen noch immer innerhalb der Nationalversammlung, wo man ihm einstweilen ein Logis zurechtgemacht hat. Es ziehen noch Horden in den Straßen umher, welche den Kopf der Königin verlangen. Man kann für jeden gewürgten Schweizer sechs Föderirte und Pikenträger rechnen, die im Gefechte geblieben sind. Die Pikenträger nahmen schon die Flucht, aber in dem Augenblicke, wo ein wenig Standhaftigkeit der Nationalgarde der guten Sache die Oberhand gegeben hätte, kehrte sich diese auf ihre Seite und feuerte mit der Kanone gegen das Schloß. Auch die Föderirten von Marseille und Brest hatten sich einer Kanone bemächtigt. So unterlagen die Schweizer. Gestehen muß ich, daß nicht so viel geraubt und geplündert worden ist, als sich hätte erwarten lassen. Aber die Wuth des Volks und seine Grausamkeit überstieg alle Grenzen. Das Volk ist gereizt, verführt, verblendet. Wehe Pétion, wehe allen denen, die es verschuldeten; wahrscheinlich ist der Tag der Rache nicht fern!
Für die Pariser ist jetzt nur eine Partei vernünftigerweise ergreifbar, mit den Jakobinern, welche nun einmal die Oberhand haben, sich zu vereinigen, gleichviel ob sie recht oder unrecht haben, mit ihnen gemeinschaftlich sich gegen den anrückenden Feind zu wehren, zu siegen, oder sich unter den Trümmern der Stadt begraben zu lassen. – Alles Aeußerste, Uebertriebene ist nicht von Bestand. Aber die Pariser mit ihrem auflodernden Strohfeuer kennen überhaupt die Tugend des festen beharrlichen Muthes nicht. Was werden sie ausrichten gegen die stämmigen, erst durch die Dauer des Gefechts begeisterten Deutschen.
Lebt wohl, meine Lieben.«
Wie die Briefe Bollmann's bis auf wenige durch die Erzählung bedingte Aenderungen meistens Originalbriefe sind, so ist auch dieser Brief getreu dem Originale, das sich in der reichhaltigsten Autographensammlung, die wir wahrscheinlich in Deutschland haben, nämlich der des verstorbenen Archivraths Kestner zu Hannover, befindet. Der Brief ist sehr flüchtig, beinahe unleserlich geschrieben, mit vielen französischen Wendungen und Wiederholungen, und ist nur in stilistischer Hinsicht wenig geändert.
(Ohne Unterschrift.)