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Zweites Kapitel.
Registraturen.

Das Leben von Menschen, wie wir sie hier nach der Wirklichkeit schildern, gipfelt sich nicht immer zu dramatischen oder auch nur novellistischen Höhepunkten und Spitzen, es gehen Jahre in undarstellbarer Gleichmäßigkeit dahin. Der moderne Criminal- und Schauderroman, der von Spannung zu Spannung springt, ist das Unnatürlichste, was man sich denken kann. Wie der Abspannung des Schlafs, bedarf der Mensch Tage und Jahre des alltäglichen Dahinlebens, hat sie mindestens, selbst wenn er noch so hoch romantisch gestimmt, auf Abenteuer, Abwechselungen und Alluren versessen wäre.

Um in diesem Alltagsleben unsere Leser am Leitfaden zu halten, müssen wir zu einfachen Registraturen unsere Zuflucht nehmen.

Karl Haus hatte promovirt, war Doctor juris und in Celle als Advocat mit dem Wohnsitze in Heustedt immatriculirt. Seine Mutter war gestorben, er stand allein in der Welt, als ein junger Advocat ohne Arbeit, der heustedter Gesellschaft entfremdet. Seine frühern Gönnerinnen, die Landräthin von Vogelsang und die Baronin von Bardenfleth, hatten ihm zwar ihr altes Wohlwollen bewahrt, allein zu dem, was er am nöthigsten bedurfte, Clienten, konnten sie ihm nicht verhelfen. Seine altern Collegen klagten auch über Abnahme der Praxis; »der drohende Krieg und die Entwickelung der Dinge in Frankreich absorbirten alles Interesse an Privatstreitigkeiten«, sagte man ihm, »der Bauer spanne die Augen auf und fange an, von der Last der gutsherrlichen Dienste zu raisonniren, statt mit dem Gutsherrn Processe zu führen. Die Processe seien überall in Abnahme, Injurien und Alimentationsprocesse ausgenommen. Wenn sie nicht noch so einige gute alte Sachen hätten, die schon zwanzig Jahre und länger in dem Vorbereitungsstadium hingen, würde es ihnen auch schlecht ergehen. Solche Sachen bekomme man erst mit der Zeit und lerne man auch erst mit der Zeit tractiren«. Das war ein leidiger Trost.

Dazu die »Lieb' im Leibe«, wie Bollmann sich ausdrückte. Seit der junge Doctor und Advocat zurückgekehrt, war die alte Wunde, die Bollmann so lange mit dem Höllenstein des Spottes behandelt, daß sie mit Hülfe anstrengender Studien, die Liebesgedanken keinen Raum verstatteten, zugenarbt war oder schien, wieder aufgebrochen. Karl Haus hatte im Schloß Visite gemacht, er war von Anna eingeladen, ihnen die Zeit zu verkürzen und nachmittags etwas vorzulesen, und er hatte nun im Spätsommer beinahe täglich »Don Carlos«, sein Lieblingsdrama, gelesen, wie Goethe's »Tasso«, obgleich Anna das für ein langweiliges Buch erklärte.

Diese hatte nach ihrer neckenden und neckischen Weise den blöden Schäfer vielfach ermuntert, aus seinem zusammengenommenen Wesen herauszugehen, ihr oder der gnädigen Comteß, die in der That nicht ungnädig sein könne, aus Spaß natürlich nur, die Cour zu machen, wie man es in den Büchern lese, kurz, nicht ein so langweiliger Doctor zu sein. Das machte Karl aber nur noch zugeknöpfter. Die Resignation, die er sich auferlegte einem Wesen gegenüber, das er, in all seiner Art zu sein und zu denken, für sich geschaffen fühlte, in welchem er hätte aufgehen, in Nichts verschwinden mögen, war nicht zu verkennen; sie machte ihn steif und linkisch den Damen gegenüber. Aber wenn Anna scherzte: »Herr Doctor, wie gefalle ich Ihnen heute in der Frisur à l'enfant, oder gefällt Ihnen die Comteß besser in ihrem steifen Chignon?« »Doctorchen, warum besingen Sie uns, ich wollte sagen die Comteß, nicht mehr in schönen Sonetten, wie Sie es vor Jahren thaten? Sind wir der Verse nicht mehr werth? Ja das haben Sie gethan, der Candidat hat es mir verrathen, leugnen Sie nicht länger.« Oder wenn sie fragte: »Doctor, erzählen Sie uns etwas von Ihrer Liebe in Göttingen! Sie werden doch ein Liebchen dort gefunden haben?! Sehen Sie, wir Armen werden hier gehalten schlimmer als Klosterjungfrauen oder Pensionärinnen in Paris, wir kennen das Wort Liebe nur aus Gedichten und Romanen«, dann überzog sich das Gesicht der Comtesse, das blasse, mit dunkelm Roth, der Doctor wurde verlegen und stotterte, Anna aber schüttete sich aus vor Lachen, schüttelte mit dem Lockenköpfchen, und ihre kleinen Augen lächelten so klar und vergnügt in das Leben hinein, daß es eine Lust war.

Man saß meist auf dem alten Kinderspielplatz, entweder vor dem chinesischen Tempel, zu dem der Aufweg jetzt ausgehauen war, oder im chinesischen Zimmer, das sich vor den jungen Herrschaften erschlossen hatte. Die Tante Hulda war mit Heloise meistens unten im Geheimpark. Das waren schöne, sehr schöne Sommernachmittage und Abende, aber die alte Wunde blutete schlimmer als je.

Nicht so war es bei Heinrich Schulz; er hatte seine Liebe zu Anna überwunden, sie hatte ihn, den Candidaten der Theologie, nach seiner Zurückkunft und bei der ersten Aufwartung zu kurz und geringschätzend »Musje Schulz« abgefertigt, er war oder hielt sich vielmehr für geheilt und lebte als Hauslehrer bei der Witwe eines Besitzers zweier großen Vollmeierhöfe in Grünfelde jenseit der Weser, wo er zwei Mädchen von neun und dreizehn Jahren unterrichtete.

Hans Dummeier, jetzt erst einundfunfzig Jahre alt, hätten wir nicht wiedererkannt. Er war gänzlich grau geworden und zusammengeschrumpft, die breite Gestalt mit der breiten eisernen Stirn ging mit gebücktem Kopfe und geröthetem Angesicht.

Ein Jahr etwa nach dem Tode seiner Anne Marie, als er eben das neue Haus bezogen, war Katharina eines Abends zu ihm gekommen und hatte gesagt: »Hier ist dein Kind! Wann wird die Hochzeit sein?« Hans hatte erwidert: »Das Kind laß hier . . . Hochzeit würde uns nicht gutthun.« »Wo das Kind bleibt, bleibe auch ich, und heirathen mußt du mich; willst du dein Kind?« »Thut nicht gut«, wiederholte Hans.

Nun drohte Katharina, die Hülfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, ihr Kind und dann sich umzubringen, kurz, geberdete sich wie unsinnig und nahm schließlich den Ausspruch des neuen Pfarrers zu Hülfe, der in allem eine Schickung des Himmels und in einer Heirath den Willen des Herrn erblickte.

»Gut«, sagte Hans, der ganz gelassen blieb, endlich, »wenn du durchaus willst, so wollen wir Hochzeit machen, jedoch lediglich und allein, um dem Kinde einen ehrlichen Namen zu schaffen. Mein Weib wirst du nie. Du besteigst nie das Ehebett der Anne Marie, das du auch damals nicht fandest, als du zu mir in die Butze stiegst.«

Katharina dachte, das wird sich nach der Hochzeit finden, allein sie irrte sich. Alle Buhlkünste, die sie anwendete, ja ein sehr kühnes Mittel, zu dem sie wie damals ihre Zuflucht nahm, waren vergeblich, ihr des Mannes Herz oder seine Sinne zu gewinnen. Ihr wurden die Rechte einer Hofwirthin zutheil, sie hatte das Commando über die weiblichen Dienstboten, das Milch und Butterwesen stand unter ihrer Leitung, sonst war sie nur Frau dem Namen nach.

Sie hatte anfangs gehofft, das sollte sich ändern, nach einem oder zwei Jahren werde Hans des Dings müde werden und ihrer begehren, sie hatte die zärtlichen Zudringlichkeiten beiseitegestellt, ihr zum Herrschen, Schelten und Toben geneigtes Temperament gemäßigt, für drei gearbeitet wie früher, aber ihr Lohn dafür waren höchstens ein paar Worte der Anerkennung von dem Mann gewesen.

Nun wurde der entgegengesetzte Weg eingeschlagen, sie hatte bisher versucht, Hans das Leben angenehm zu machen, jetzt wollte sie ihm zeigen, was es heiße, ein böses Weib zu haben. Sie zankte und geiferte vom frühen Morgen bis zum späten Abend, zankte mit dem Hausherrn, mit den Knechten und Mägden, selbst mit dem Sohne. Mägde wählte sie unter den Häßlichsten aus, die zehn Meilen in der Runde zu finden waren, denn sie war eifersüchtig wie ein Drache, der einen Schatz bewacht.

Dummeier quälte sich mit dem Gedanken, den Tod seiner Anne Marie verschuldet zu haben, er verlor nach und nach das, was den Bauer in damaliger Zeit wenigstens allein erhielt, die Lust am Erwerb, das Streben, seine Güter zu vermehren und zu verbessern. Der Anblick des heranwachsenden Sohnes war ihm zuwider, da dieser Anblick ihm beständig sein Vergehen vor die Seele rief, ihn an die Verstorbene und das mit ihr verstorbene Kind erinnerte. Sein Sohn wuchs heran, er war schon confirmirt, mußte aber, wie das Sitte ist, die niedrigste Knechtsarbeit thun, und auf sein Anerbenrecht that ihm niemand etwas zugute.

Wie war es eigentlich mit diesem Anerbenrecht?

Das Gesetz sprach den Vorzug der Männer vor den Weibern zwar mit klaren Worten aus, allein das Kind im neuen Schlosse war aus einer von der damaligen Gutsherrschaft consentirten Ehe, die Mutter desselben war bemeiert und in dem Meierbriefe stand, daß sie und ihre Nachkommen im Meierrecht vor andern solle geschützt werden. Katharina war nicht bemeiert, bei der Verheiratung mit ihr ein Weinkauf nicht gezahlt.

Hans, dem zu Hause nicht mehr wohlig war, ging öfter als sonst zur Stadt. Anfangs geschah dies in der That, um sich durch den Anblick seines lieblichen Kindes, des verschönerten Ebenbildes der Mutter, zu erquicken, dann aber wurde es Gewohnheit. Er pflegte im Schwarzen Bären sein Pferd abzustellen und sein Glas Wein oder Grog zu trinken. Hier war er mit Claasing bekannt geworden, der daselbst gleichfalls Ausspann hielt und der hübschen Wirthin außerdem die Kunst beigebracht hatte, ein Glas echten steifen schwedischen Punsches zu brauen, so gut wie man ihn heute nur auf dem Alsterpavillon in Hamburg trinkt.

Der Obergestütmeister war ein anderer geworden, seitdem er das Spiel aufgegeben, er war aus einem Mann, der das Geld misachtet, oder für den es nur Werth hatte, wenn es als Satz auf den Karten stand, ein sparsamer, ja ein geiziger Mann geworden. Seine Sündenpension von Juliane hatte aufgehört, aber er bekam eine schöne Pension vom König von Dänemark, dessen Mutter er hatte ermorden helfen. Von seinen Ersparnissen hatte er sich eine kleine Brinksitzerstelle in Eckernhausen gekauft, bei der mehr Grünland war als gewöhnlich. Während er die Wohnung und das Ackerland verpachtete, pflegte er auf das Grünland ein oder zwei Füllen zu treiben, die er jung den Bauern abkaufte, wenn er der Vaterschaft eines seiner Hengste sicher war. Das warf einen schönen Nebenverdienst ab.

Er hatte Hans beredet, seine Milchwirtschaft einzuschränken und wenigstens die adeliche Weide am Boswiehe lediglich der Pferdezucht zu widmen. Dies war mit großem Erfolge geschehen. Beide hatten auch schon manchen gemeinsamen Kauf und Verkauf gemacht, noch öfter aber gemeinsam ein Glas Schwedischen getrunken.

Die Umkehr des Jüten schrieb sich von der Zeit her, wo er der Comteß und Anna Reitunterricht ertheilt hatte. Anna war damals freilich ein sehr junges Mädchen, aber ihre früh entwickelten runden Formen, ihre ewig lachenden Augen, übten auf das vereinsamte Herz des Obergestütmeisters eine zauberische Gewalt. Er verliebte sich und fing an, daran zu denken, einen eigenen Hausstand zu gründen, um in alten Tagen, die er nahen fühlte, nicht einsam in der Welt zu stehen. Er bewies sich seit jener Zeit als ein aufmerksamer, nicht zudringlicher Bewunderer der sich täglich mehr entwickelnden Reize Anna's. Welchem jungen Mädchen wären die Huldigungen eines altern Mannes in seinen besten Jahren so ganz gleichgültig? Claasing war eigentlich der erste Mann, den Anna kennen lernte, denn Heinrich Schulz und Karl Haus, die damals auf der Domschule Verden lebten, waren in ihren Augen doch nur Jungen.

Der Obergestütmeister, in so manche Intriguen verwickelt und die Schwachheiten der Weiber kennend seit seiner Kindheit beinahe, hielt mit Bewerbungen zurück. Er erachtete, daß die Zeit dazu erst dann gekommen sein möchte, wenn die Comteß selbst zur Ehe schritt und dann eine Trennung der Milchschwestern stattfinden müsse. Die Güter des Hans Dummeier, deren Werth er besser kannte als dieser selbst, dem der Eichensünder nur da zu sein schien, um ihm Bauholz zu liefern, wenn seinem Hause einmal wieder ein Unglück passirte, mochten ihm, der den Werth des Geldes jetzt wohl zu schätzen wußte, auch nicht als unwerthe Beigabe erscheinen.

Er suchte die Bekanntschaft des Deichgeschworenen und schloß sich diesem an und suchte denselben nach und nach in andere Ideenkreise zu ziehen. Der Uebergang von einem niedersächsischen Bauern in einen Roßkamm ist nicht schwer, der Trieb zum Erwerben steckt tief in der Bauernnatur.

Der Anfang zu diesem Uebergang war gemacht, Hans, von Natur ein Freund von schönen Pferden, fand an Pferdezucht und Pferdehandel bald inniges Behagen. Der Umgang mit dem Obergestütmeister entfremdete ihn den Ortsgenossen. Bei der nächsten Wahl wurde ein anderer Deichgeschworener gewählt. Dies kränkte den Zurückgesetzten tief. Zwanzig Jahre hatte er diese Würde bekleidet und war stolz darauf, er zog sich nun noch mehr zurück von den Standesgenossen, überließ die Bewirthschaftung des Hofes der Umsicht seiner Frau, welche in dem Herrschen- und Befehlenkönnen, in dem Bewußtsein, auf dem besten Hofe in Eckernhausen Vollbäuerin zu sein, Trost für die verweigerte Liebe des Mannes suchte.

Friedrich Schulz war unter dem Commando seines Gönners, des Rittmeisters Gerhard David Scharnhorst, zum Wachtmeister im Dragonerregiment von Estorf avancirt.

Als Scharnhorst es aber unter seinen adelichen Collegen, die für nichts als Spiel, Mädchen und Pferde Sinn hatten, nicht mehr aushalten konnte und zu der Artillerie überging, war ihm das Reiterleben gleichfalls zuwider geworden. Er hatte beim Ablauf seiner Capitulationszeit seinen Abschied genommen und war Scharnhorst, der Chef einer Compagnie reitender Artillerie war, gefolgt und hatte bald den Grad eines Oberfeuerwerkers erlangt.

Ob diese Stellung seinen Ehrgeiz befriedigte, wissen wir nicht zu sagen, da seine Mittheilungen an Aeltern und Bruder äußerst sparsam waren.

Die älteste Schwester, Klara, die süße Nachtigall Bollmann's, mußte ihre Liebe zu diesem, von dem sie nichts weiter hörte, überwinden, sie hatte sich mit dem Sohne des Cantors Cruella, einem Klaviervirtuosen und schönen Tenorsänger, Adjunct seines Vaters beim Duettsingen, verlobt und ihn dann geheirathet; sie lebte in stiller, glücklicher Ehe.

Die zweite Schwester, Marianne, ein bildschönes Mädchen, hatte das Herz des Forstschreibers Otto Baumgarten erobert. Die Gräfin Melusine liebte, wie wir wissen, die Veränderung. Es war lange her, daß auf Oskar's Wachtelschlag sich die eiserne Laube aus dem geheimen Park über die Graft niedergelassen und der junge Mann an der Seite der Gräfin durch das Gebüsch zum chinesischen Pavillon emporgestiegen war. Es hatte eine schwere Ueberwindung der Eitelkeit gekostet, daß er, der sich geliebt glaubte, zu der Einsicht kam, nur schnöder Dienstmann gewesen zu sein. Die Zeit war überwunden, er hatte seinen Lohn hinweg. Der Weg zum Baden, zu dem er sich des Schlagtschiffs des Schlagtmeisters Schulz nach wie vor bedienen durfte, nur daß er sich jetzt statt der Knaben des eigenen Forstarbeiters als Ruderers bediente, führte ihn vom frühen Sommer bis zum späten Herbst häufig an dem kleinen Hause an der Weserstraße vorbei, so daß er die täglich sich schöner entwickelnden Reize Marianne Schulzens nicht übersehen konnte. Sein Herz sehnte sich nach Liebe. Trotz des Standesunterschieds hielt er um die Hand Mariannens an und führte dieselbe als Frau in das von ihm erkaufte Haus seines Vorgängers.

Oskar war bei den Honoratioren der Stadt eine sehr begehrte Partie, mehr als eine der Mütter hielt ihn für einen passenden Ehemann für die Tochter und unter den Leibadvocatinnen der gnädigen Frauen, die, obgleich jetzt zum Theil zahnlos, noch immer die alte Rolle fortspielten, hatte man Partei genommen auf der einen Seite für Bürgermeisters Minna, auf der andern Seite für die schönere, aber ärmere Tochter des verstorbenen Amtsschreiber Motz. Der Strich, den Oskar beiden Parteien durch seine Verheiratung mit der Tochter des ehemaligen Drechslers und jetzigen gräflich Wildhausen'schen Schlagtmeisters Schulz durch die Rechnung machte, sollte diesem nicht ungerochen dahingehen. Man verbündete sich gegen die Neuvermählten. Oskar Baumgarten gehörte der ersten Gesellschaft an, war Mitglied des Herrenclubs, der die Wintercasinos, d. h. die Bälle und gemischten Damengesellschaften, im Sommer die Pickenicks veranstaltete.

Der Forstschreiber Baumgarten machte nach der Trauung mit seiner jungen Frau nach Herkommen Visite bei jedem Gesellschaftsmitgliede sowie bei denjenigen wenigen Freunden der Schulz'schen Familie, die diese unter dem Handwerkerstande hatte.

Nur die Landräthin, die Baronin von Bardenfleth und die verwitwete Forstschreiberin Haus erwiderten die Visite, die bürgerlichen Beamten, die Advocaten- und Arztfamilien blieben aus. Das junge Ehepaar war aber so unbefangen, so glücklich, daß es kaum Arg aus dem Allen hatte. Erst im Herbst, als die Casinogesellschaften anfingen und mit einem Balle eröffnet wurden, auf den Oskar Baumgarten seine junge Frau führte, fand er, daß man von ihm und seiner Frau sich zurückzog, die Damen mindestens. Wäre die gutmüthige Frau Landrath von Vogelsang mit ihren Töchtern nicht gegenwärtig gewesen, die arme Marianne Baumgarten hätte allein sitzen müssen. Warum drängte sich die Tochter eines Drechslers, der vor Jahren ein Armenhaus bewohnt hatte in Klein-Paris, auch in die Gesellschaft? Das war eine Frechheit, die bestraft werden mußte! Wollten wir alle jene unzähligen kleinen Zurücksetzungen und kleinlichen, nur von niedrigen und gemeinen Seelen ausgehenden Klatschereien erzählen, mit der man dem jungen Paare das Leben verbitterte, so würden wir unsere Leser ermüden. Oskar fühlte er müsse fort von Heustedt, wollte er Ruhe haben.

Baumgarten bat die Gräfin, ihm zu einer Versetzung in den praktischen Dienst behülflich zu sein, weit weg von Heustedt. Sein Wunsch wurde sehr bald erfüllt, er bekam einen Dienst als Oberförster im Göttingenschen, dicht an der kurhessischen Grenze, einer schönen, durch einen auch von Clauren erwähnten Wunderbrunnen bekannten Gegend! Die Werragebirge, die Brackenburg bis zum Hohen Hagen gehörten zu seinem Revier.

Auch mit der Gräfin waren Veränderungen vorgegangen, sie war jetzt zweiundvierzig Jahre alt und die schönen weißen Schulten wurden gelblich, zeigten hier und da Runzeln, sie bedurften des Reispuders.. Die Wangen bedurften der Nachhülfe der Schminke, die Toilette überhaupt kostete das Doppelte der Zeit von vordem.

Aber gefallsüchtig war die Gnädige noch immer, herrschsüchtig auch. Sie hatte eine große Menge Liebesintriguen seit der Witwenschaft durchlebt, und war in jeder Intrigue, die sich um die Personen der herrschenden Adelsfamilien drehte, thätig gewesen.

Aber die Zeit hatte vieles verändert. Im Geheimrathscollegium saß nur noch einer der Collegen des verstorbenen Gemahls, der Vormund ihrer Kinder, Graf von Schlottheim. Jüngere Geheimräthe, die sich durch die alternden Reize der Gräfin nicht mehr fesseln ließen, waren eingetreten. Auch die Beziehungen zu London waren andere geworden. Der Großvogt. von Alvensleben, der der deutschen Kanzlei vorstand, war zwar ein Vetter ihres Vaters, hatte mit diesem aber in Feindschaft gelebt.

Sie mußte, wenn sie wegen Protection dieses oder jenes Liebhabers, oder um dieser oder jener ihrer Creaturen eine Stelle oder Sinecure oder nur ein Stipendium verschaffen wollte, sehr oft hören: »Da müssen Sie, Excellenz, mit dem Geheimen Justizrath Rudloff reden«, oder: »Ja, da werden Sie sich an den Geheimen Kanzeisecretär Ernst Brandes wenden müssen«, oder: »Die landschaftlichen Angelegenheiten gehören dem Ressort des Licentinspectors Rehberg zu.« Statt bei ihresgleichen mußte sie die Gunst des einen oder des andern jener dreiundzwanzig Geheimen Kanzleisecretäre nachsuchen, welche außer den drei wirklichen Geheimen Secretären Rudloff, dem Hofrath Nieper und Hofrath Best in London die Arbeiten der königlich-kurfürstlichen Landesregierung verrichteten.

Sie konnte über die Marstallspferde nicht verfügen wie früher, sie war auf die eigenen Equipagen beschränkt; sie mußte öfter als sonst kleine Diners und Soupers geben, um sich in der Stellung zu erhalten, die sie eingenommen. Ach, die Zeit hatte sich sehr geändert, und nun war noch diese garstige Französische Revolution gekommen, welche von Menschenrechten, von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sprach und den König gefangen hielt. Wenn der Respect vor dem Königthume dahin war, wie sollte es mit dem Respect vor dem Adel aussehen? Sie erkannte mit scharfem Blicke, daß ein strafferes Zusammenhalten der Adelskette nöthig sei, daß man namentlich die Ehrgeizigen und Unzufriedenen vom Adel näher zu sich heranziehen und, wenn sie zugleich fähig, die herrschenden Adelsfamilien durch sie ergänzen müsse. Melusine war in Hannover mit jenem von Berlepsch wieder zusammengetroffen, der auf dem Geburtstagsfeste Olga's sie verschmäht hatte, er war jetzt Hofrichter und Schatzrath der Kalenbergschen Landschaft, ein unruhiger, ehrgeiziger, gefährlicher Kopf. Die Gräfin hatte im Plan, ihn zum Geheimrath ernennen zu lassen, um ihn unschädlich zu machen, und ihre älteste Tochter seinem Sohne, dem Drosten in Herzberg, zur Frau zu geben. Allein der Plan scheiterte an dem Widerstande des Geheimrathscollegiums.

Nun war aber der zweite Sohn des Grafen von Schlottheim von Göttingen zurückgekehrt, zurückgekehrt infolge eines Skandals im Bürger'schen Hause, schlimmer als der, welchen wir oben schilderten. Aber wer durfte in Hannover wagen, davon zu sprechen?

So faßte die Gnädigste den Plan, die Tochter mit dem jungen Grafen von Schlottheim zu verloben. Dieser war zwar ein wilder wüster Mann, und sein Leben bisher etwas ausschweifend. Aber desto eher wird er sich die Hörner abgerannt haben, tröstete der Vater. Die Mündel sei ruhig, kalt, sie würde dem ins Leben Stürmenden die rechten Zügel anlegen können, meinte der Vormund. Das Beherrschen beider hatte die Mutter im Sinn. Graf Schlottheim, der jüngere, war gegenwärtig pro forma Auditor bei der Justizkanzlei, er sollte nach der Heirath sogleich mit einer diplomatischen Mission betraut werden und sich im Auslande zum Geheimrathe vorbereiten.

Mit solchen Planen kam Excellenz im Spätherbst nach Heustedt, sie hatte auf dem Wege dorthin auch über das Schicksal Anna's entschieden. Der Obergestütmeister schien ihr für diese der rechte Mann, wenn er auch beinahe noch einmal so alt war als Anna. Er gehörte einem Stande an, auf dessen Lebensweise jene Anspruch machen konnte; er war auch der Mann, dem der Vater Anna's am ersten das Meiergut abtrat. Hätte man einen Amts- oder Kornschreiber als Gatten Anna's wählen wollen – und man hätte die Wahl unter Dutzenden gehabt, die, um aus den Ueberzähligen herauszukommen, ein Mädchen heiratheten, deren Ruf nicht so rein als der Anna's, deren Wesen weniger anmuthig; – allein dann wäre dem Ehemann der Meierhof entgangen. Die Gräfin hielt darauf, daß der Bräutigam, welcher ihr für Anna präsentirt wurde, meiertüchtig sei, der Vater Dummeier noch mehr. Der Obergestütmeister war dies. Er konnte pensionirt werden, um sich ganz der Ackerwirthschaft zu widmen. Das Gut war eine Mitgabe, die ihn schon reizen konnte, auch wenn ihm Anna selbst nicht schon das erwünschteste Ziel gewesen wäre.

Die Gräfin eröffnete zunächst Anna ihre Ansichten. »Du bist ein verständiges Mädchen, meine liebe Anna«, sagte sie einschmeichelnd, »und wirst selbst wol schon eingesehen haben, daß es für Olga wie für dich an der Zeit ist, zu heirathen. Für Olga habe ich einen Gemahl gewählt, und dir möchte ich einen solchen vorschlagen. Du hast die Wahl, ihn auszuschlagen, zu dem Vater zurückzukehren und dir durch ihn einen Bauer als Bräutigam aufzwingen zu lassen, oder – ich will dich nicht verjagen – hier zu bleiben, wenn du Lust hast, der Tante Hulda Gesellschaft zu leisten, und eine alte Jungfer zu werden. Der Ehestand gibt, glaube mir das, dem Weibe erst die wahre Freiheit.«

Anna schauderte vor dem Gedanken, einen Bauer heirathen zu müssen; der eigene Vater war ihr allein durch seinen Stand entfremdet. Hätte sie in Hannover gelebt, sie würde sich unter den schönen Offizieren wol den schönsten selbst ausgesucht haben, sie hatte oft von einem solchen Glück geträumt. Von der Milchschwester getrennt zu werden, um auf dem Schlosse allein zu bleiben mit der Tante Hulda, das war nicht auszuhalten.

»Der Mann, den ich dir vorschlagen möchte, liebe Anna«, fuhr die Gräfin fort, »ist nicht mehr jung, aber noch hübsch und kräftig, er hat viele Erfahrungen im Leben gemacht, ist von Herzoginnen und Gräfinnen, vielleicht selbst von einer Königin geliebt worden; weil er solche Erfahrungen gemacht, weil er das Bedürfniß der Frauen, auch in der Liebe zu wechseln, kennt, wird er nicht allzu sehr Tyrann sein, ich hoffe vielmehr, er ist über jene schlechteste aller männlichen Eigenschaften, die Eifersucht, hinweg und wird der Jugend vergönnen, sich der Jugend anzuschließen, wenn es ihr Bedürfniß ist. – Ich meine Claasing. Ueberlege, mein süßes Kind, ich meine es gut mit dir, ich kenne das Leben und ich fürchte, daß wir alle einer Zeit entgegengehen, wo man der Männer bedarf. Der Krieg steht vor der Thür. Das Reich, und wenn nicht dieses, England, Oesterreich und Preußen müssen etwas thun, dem Frevel in Frankreich ein Ende zu machen. Die jungen Männer werden in den Krieg hinaus müssen.

»Willst du Zeit zur Ueberlegung, süßes Kind? Nein, ich kenne dich zu gut, du bist zu klug, zu folgsam, um nicht einzusehen, daß eine Heirath mit Claasing zu deinem Glücke diene.«

Anna hatte das weise Wort des Noth- und Hülfsbüchleins:

Vorgethan und nachbedacht
Hat manchen in schwer Leid gebracht

wol gelesen, aber nie befolgt – über eine Sache nachzudenken, die möglichen Folgen zu prüfen, überhaupt nur an etwas Unangenehmes und Trauriges zu denken, das war nicht ihre Sache. »Ich heirathe Claasing«, sagte sie ohne sich zu besinnen.

»Ich habe das erwartet, meine Tochter«, sagte die Gräfin mütterlich und zog Anna, sie küssend, in ihre Arme. »Nun aber gehe und bereite Olga vor. Ich habe für sie den schönsten Cavalier Hannovers, den Sohn ihres Vormundes, Graf Otto von Schlottheim, als Gemahl gewählt. Sie wird sich nicht weigern, sie wird eine gehorsame Tochter sein wie du.«

Anna schlich sich zu Olga, hielt ihr die Augen zu und umarmte sie: »Ich habe dir etwas zu sagen, du sollst mich aber dabei nicht ansehen. Ich bin Braut, ich heirathe Claasing, wünsche mir Glück.« – Ein tiefer Seufzer entwand sich Olga's Brust, ein Glückwunsch kam nicht über die schmalen Lippen. »Aber auch dir kann ich Glück wünschen, Olga, auch du bist Braut, du heirathest den schönsten Cavalier Hannovers, Graf Schlottheim.« Nun rangen sich schwere dicke Thränen unter den langen seidenen Augenwimpern hervor– »Also doch verkauft«, seufzte Olga, »ich hatte gehofft, ich existire für die Mutter nicht.«

Die Milchschwester warf sich ihr zu Füßen und suchte sie zu trösten. Aber sie erregte nur den Zorn der Comtesse, als sie mit dem Trostworte kam, die gnädige Mutter habe gesagt, erst die Ehe gebe Freiheit und in der Ehe könne Olga denn auch ihren Karl lieben.

Olga erhob sich stolz und verließ das Zimmer und das Schloß, um trotz Regen und Sturmes im Park ihrem Herzen Luft zu machen.


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