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Friedrich von Oppeln-Bronikowski wurde 1873 in Cassel geboren, als Sproß einer alten Soldatenfamilie, deren Ahnengesichter in seinem Speisezimmer täglich auf ihn herabsahen. Sein Vater war ein hoher Offizier; ohne seine poetische Neigung hätte Friedrich von Oppeln es vielleicht weit in der Welt gebracht. Das Kadettenkorps verließ er mit Kaisers Belobigung und trat in das Kavallerieregiment seiner Vaterstadt ein. 1892 wurde er Offizier; 1896 mußte er infolge eines schweren Dienstunglücks in der Reitbahn seinen Beruf aufgeben und seine Pensionierung nachsuchen. Die Folgen dieses Unfalls haben ihm noch jahrelang nachgehangen. Unter den erschwerendsten Umständen mußte der Dreiundzwanzigjährige einen neuen Beruf suchen, oder vielmehr zunächst sich wieder auf die Schulbank setzen: er absolvierte post festum das, was ihm am Maturum fehlte, Lateinisch und Griechisch, und studierte sechs Semester in Berlin: Kunstwissenschaft, Romanistik, Altphilologie. Da brach seine erschütterte Gesundheit unter Arbeitslast und Sorgen aller Art zusammen. Nur die jahrelange liebevolle Pflege seiner Frau und dann ein sehr langer Aufenthalt im Süden gab ihm die alte Schaffenslust wieder. Äußere Erfolge traten hinzu, anfangs mehr der Not als dem eignen Trieb gehorchend, später aber mehr und mehr aus Liebe zur Sache, verdeutschte Oppeln-Bronikowski französische Werke ernsten Inhalts und führte Schriften von Maeterlinck, Rodenbach, Rostand, Maupassant, de Regnier, Beyle-Stendhal, den Brüdern Lichtenberger u.a.m. – im ganzen jetzt 25 Bücher – in Deutschland ein. Den ersten großen Erfolg brachte »Monna Vanna« (1902). Seitdem hat der Autor auch viele Vorträge über französische Literatur – insbesondere Maeterlinck – in ganz Deutschland gehalten.
Das Reisen ist seine größte Freude, dann erst kommt die Belehrung durch Bücher. Er hat die Schweiz, Tirol, Italien und Sizilien, Griechenland, Kreta, Kleinasien und Frankreich bereist und zahlreiche Reiseaufsätze geschrieben.
Schöne und wehmütige Erinnerungen an die Soldatenzeit hat der Autor in seinem Erstling »Aus dem Sattel geplaudert« niedergelegt; in »Militaria« (Dresden 1904) das Instrument zu dem hier vorliegenden Roman geschliffen und diesen nach jahrelangen notgedrungenen Pausen erst 1905 veröffentlicht. Die ersten Niederschriften – der Stoff war ursprünglich als Drama gedacht, fand aber des heiklen Themas wegen keine Bühne – stammen von 1896, also lange, ehe die durch Hartlebens »Rosenmontag« inaugurierte »Militärliteratur« emporschoß; Oppelns Roman hat mit dieser nur das Thema und die Koinzidenz gemein und war seinerzeit eine ganz persönliche Schöpfung.
Allmählich ist der Dichter der Neuromantik, der er in diesem Roman wie in seinen Übersetzungen vielfach huldigte, immer mehr entwachsen; der Wert der ordnenden Vernunft ist in seinen Augen noch im Werte gestiegen und er ersehnt mit der Elite der Zeitgenossen eine neue klassische Kunst, die über Naturalismus und Romantik hinausgeht. Darum auch des Autors veränderte Stellung zu seiner ersten Romanschöpfung, die ihm eine damals notwendige, nun aber überwundene Entwicklungsphase bedeutet.
Es sei noch einiges über den Roman »Der Rebell« selbst hinzugefügt. Die Erlebnisse, die ihm teilweise zum Rohstoffe dienten, liegen zwölf bis fünfzehn Jahre zurück. Seit dieser Zeit ist manches von dieser Gesellschaftskritik Gerügte aus dem Heere verschwunden oder im Verschwinden begriffen. Eine derartige Nötigung zum Alkohol z. B., wie sie der Roman darstellt, existiert wohl kaum mehr, und der Offizier, der im Kasino Wasser oder Limonade trinkt, ist – durch Haeselers Erziehung – keine lächerliche Figur mehr. Auch in der Kadettenerziehung hat sich manches zum bessern gewandelt; dem Kadettenabiturienten sind zahlreiche neue Berufsmöglichkeiten erschlossen, und er ist nicht mehr, wie vor 16 und mehr Jahren, ein Paria und weißer Rabe unter seinen Gefährten. Es muß dies betont werden, da der Roman sonst offene Türen einzurennen schiene: er stellt das Milieu dar, wie es in den ersten Zeiten des »neuen Kurses« gewesen ist. Durch nichts würde man den Autor also mehr mißverstehen, als wenn man seinen Roman mit den politischen Tendenzschriften in einen Topf würfe: er ist ein Persönlichkeitsroman mit künstlerischen Tendenzen auf dem militärischen Hintergrund um 1890. Neben einem andren Buche möchten wir ihn lieber genannt sehen: es ist Beyerleins wertvoller Unteroffizier- und Mannschaftsroman »Jena oder Sedan«, der nur da, wo er die Offizierskreise berührt, blaß erscheint und mehr auf Hörensagen als auf eignem Erlebnis beruhen mag. Insofern kann man vielleicht den Roman »Der Rebell« als Ergänzung des Beyerleinschen Buches ansehen, da er vornehmlich in Offizierskreisen spielt.
Allerdings ist die »Wahrheit« dieses Romans in der Hauptsache impressionistisch und pessimistisch. Sie stellt vorwiegend die Schattenseiten dar, die es in allen Berufen gibt, und selten die Lichtseiten. Das ist offenbar eine Einseitigkeit, die aber nachträglich kaum gutzumachen war, da der Roman zu sehr aus der Perspektive der Hauptfigur geschrieben wurde. »Dieses Stück Ich,« schreibt von Oppeln in einem Brief, der dieser Einleitung zugrunde gelegt wurde, »das sich in dem Leutnant von Brieg verkörpert, möchte ich heute, wo es so weit von mir abliegt, nicht verteidigen. Daß die Jugend unzufrieden ist, daß sie sich an den scharfen Ecken der Konvention die Hörner abläuft, ist etwas alltägliches. Aber diese Jugend hat eine romantische Färbung und Überspanntheit, wie die ganze Generation nach dem großen Kriege ... Ein Brieg würde sich in jedem andren regulären praktischen Beruf gleich unglücklich und vereinsamt fühlen. Darum auch ist die Kritik, die er an den Institutionen übt, nur von relativem Wert: er beurteilt alles mit den Nerven, nicht mit dem Kopfe, und das ist das eigentlich Romantische und Irrationale an ihm.«
So subjektiv dieser vom Autor damals geteilte Rebellenstandpunkt ist, so glauben wir doch, daß ihm eine anregende Kraft innewohnt, sobald er nicht negative Geister in ihren Tendenzen bestärkt, sondern positive Geister zur Betrachtung der Kehrseite der Medaille anleitet, wenn er diese Wirkung hat, so erscheint auch seine Tendenz gerechtfertigt.
Soviel von dem politischen Hintergrund dieses Romans.
Künstlerisch wertvoll ist besonders die Deutlichkeit, mit der die einzelnen spannenden Szenen und Phasen gesehen sind, die schärfe der Umrisse, mit denen sie gezeichnet wurden. Und mangelt auch dem nervösen Impressionismus, der über dem Ganzen liegt, die behagliche Gründlichkeit der Romane reinster Gattung, so deutet doch eine Reihe vortrefflicher Naturschilderungen, die retardierend oder belebend mit der Handlung verwoben sind, bereits auf die innere Wendung in der Entwicklung des Dichters hin.
»Sag mir, was ist der Arbeit Ziel und Preis,
Der peinlichen, die mir die Jugend stahl,
Das Herz mir öde ließ und unerquickt
Den Geist, den keine Bildung noch geschmückt?
Denn dieses Lagers lärmendes Gewühl,
Der Pferde Wiehern, der Trompeten Schmettern,
Des Dienstes immer gleich gestellte Uhr,
Die Waffenübung, das Kommandowort –
Dem Herzen gibt es nichts, dem lechzenden.
Die Seele fehlt dem nichtigen Geschäft –
Es gibt ein ander Glück und andre Freuden!«
Schiller, »Wallenstein«.
»Die Roheit, mit welcher viele höchst gebildete Männer über das weibliche Geschlecht denken, ist oft nur die Folge davon, daß ihnen die Gelegenheit versagt blieb, tiefere Blicke in das Leben edler weiblicher Gemüte zu werfen«.
Eduard von Hartmann.