Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Der Rebell
Friedrich von Oppeln-Bronikowski

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10.

Exzellenz von Brieg war in hellem Zorn in seine Pension zurückgekehrt und begann dort mit vielem Gepolter seine Habseligkeiten zu packen, um dies anrüchige Haus zu verlassen. Die Mißhandlung der wehrlosen Gegenstände erleichterte ihn sehr, und als ihm der halbvolle Koffer unversehens vom Stuhl herab auf die Füße fiel, lenkte ihn dieser Schmerz vollends ab. Seine Drohung, den Sohn zu verstoßen, erschien ihm nur noch als ein rhetorischer Zornausbruch; er überlegte bereits, wie er ihn am besten aus den Fallstricken seiner Pensionswirtin befreien konnte. Einen Augenblick gedachte er Frau von Carsten ins Gewissen zu reden; aber die Verstocktheit seines Sohnes, die jedenfalls doch auf ihren Einfluß zurückzuführen war, ließ ihn bei ihr kein geneigteres Ohr erhoffen, und es schien ihm überhaupt unter seiner Generalswürde, sich mit dieser Person herumzuzanken und sie womöglich zu bitten, sie möchte sein Söhnchen frei geben. Nein, er wollte seinen brünstigen Bengel auf andre Weise von ihr loseisen! Sobald er ins Hotel übergesiedelt war, wollte er im Gehrock, das Eiserne Kreuz und den neuen Ordensstern auf der Brust, den Kommandeur aufsuchen und gemeinsame Maßregeln mit ihm verabreden. Mit ihm hatte er sich ja gefunden, und dem Obersten mußte auch alles an der Vertuschung dieses Skandals liegen.

Einer seiner Berliner Klubfreunde, ebenfalls General, hatte auch solch ein »mauvais sujet« von Sohn, der als Pressier ein Zweirad gemaust hatte, einfach wegen Kleptomanie für eine Weile in einer Nervenheilanstalt verschwinden lassen und dadurch sowohl seinen eignen Namen wie die Zukunft seines Sohnes gerettet! Der Bengel war sogar freiwillig ins Irrenhaus gegangen und dankte seinem Vater für seine Ehrenrettung!

Und dieser Fall seines eigenen Kindes war doch noch weit schlimmer, als ein bloßer Fahrraddiebstahl; es war Rebellion und Wahnwitz zugleich. Die ganze preußische Weltordnung schien ihm gefährdet; und wenn er jetzt nicht ebenso auf seinem Posten war wie im Kriege und für sein Teil entschlossen handelte, so führte er sein Lebenswerk nicht zu Ende und war selbst ein Überläufer ins Lager des Umsturzes!

Als er mit Packen fertig war, schellte er nach dem Dienstmädchen und erklärte, daß er das Haus sofort verlassen wollte. »O Gott, Ex'lenz wollen auch fort! Das ganze Haus läuft auseinander!« klagte dieses, die Hände erhebend. Der alte Herr verlangte eine Rechnung, und als das Dienstmädchen nach einer Weile damit wiederkam, warf er das Geld auf den Tisch, daß die Goldstücke in der Stube umhersprangen, und ließ sich sein Gepäck an die Droschke bringen, ohne ein Trinkgeld zu geben. Frau van Carsten trat ihm auf dem Korridor mit Tränen in den Augen entgegen, aber er rämpelte an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Im »Deutschen Hause« wurde er sehr respektvoll wieder empfangen. Er legte gleich sein Staatsgewand an und ging ungesäumt aufs Regimentsbureau, wo er sich in das leere Vortragszimmer setzte und auf den Kommandeur wartete. Schließlich kam dieser im Paradeanzug mit bestirnter Heldenbrust von der Parole zurück. Er hatte gleichfalls einen anonymen Schmähbrief erhalten und war hocherfreut, den Vater ganz auf seiner Seite zu sehen. Sie nahmen also beide kein Blatt mehr vor den Mund: der Oberst erklärte schlankweg, der junge Brieg mache ihm schon lange einen nervös-zerrütteten Eindruck und hätte dies ja auch durch sein aufdringliches Abschiedsgesuch selbst eingeräumt. Was aber dem Faß den Boden ausstieße, wäre sein Fehlen bei der Gratulationscour am Geburtstag der Kommandeuse und – was der Vater noch nicht wußte – sein Umherirren in der Stadt während der Sedanparade! Der General ergänzte dieses Krankheitsbild noch durch das Zetern über seine Spielschuld, von welcher der Oberst erst jetzt erfuhr, seine schwindelhohe Kasinorechnung, die er übrigens sogleich zu bezahlen versprach, sein aufgeregtes und widerspruchsvolles Wesen, das er neuerdings an den Tag gelegt hatte, und vor allem jene wahnsinnige Verlobung mit einer ältlichen, verschuldeten Frau mit drei Kindern, die ihm wahrscheinlich allerlei Avancen gemacht hätte und in ihm ihren letzten Notanker sähe. So ergab sich aus dem Tatbestand ungezwungen von selbst, daß der Leutnant von Brieg in eine »Maison de Santé« gehörte und daß so allein eine Blamage des Regiments und des alten Generals zu kaschieren war, wie dieser sich gewählt ausdrückte. Der Kommandeur ließ sofort eine Ordonnanz zum Oberstabsarzt springen und ihn in einer sehr dringlichen Angelegenheit aufs Regimentsbureau zitieren.


Brieg war inzwischen im Paradeanzug, wie er war, zu Frau von Carsten gestürzt. Nur die Czapka mit den Fangschnüren hatte er noch nicht aufgesetzt. Er hatte sich eine Mütze aufgestülpt und war in diesem reglementswidrigen Aufzug fortgeeilt. Sein Bursche hatte ihn vergeblich gemahnt, daß die Schwadron schon anträte; er blickte entsetzt hinter seinem forteilenden Herrn her und hielt ihn für übergeschnappt. Er dachte an den Tag, wo er ihn nicht aus den Federn gekriegt hatte und in seiner Verzweiflung zum Wachtmeister gerannt war; jetzt war er vollends ratlos, was er tun sollte.

Infanteriekolonnen kamen dem Ulanenleutnant bereits auf halbem Wege entgegenmarschiert. Die Regimentsmusik füllte die steil aufsteigende Straße mit dem markerschütternden Takt ihres Marsches und Brieg fiel unwillkürlich in den Taktschritt ein. Es lag etwas Unaufhaltsames, Eisernes in der Musik, etwas, das einen im Kugelhagel vorwärts stürmen ließ. Er drückte beinah die Knie durch wie ein marschierender Infanterist, während er die steile Gasse bergan keuchte. Er fühlte sich nicht mehr wie ein zur Attacke anstürmender Reiter; der Parademarsch des Fußvolks, den ihm sieben Kadettenjahre eingedrillt hatten, rief ihm das Bild eines Infanterieangriffs wach, der langsam und zäh gegen feuerspeiende Höhen vorrückte. Krieg! Krieg! Das war nun auch seine Losung. Eine eigensinnige Entschlossenheit überkam ihn. In den Waden prickelte es ihm wie von hundert Nadeln, aber er hastete vorbei an den Kolonnen mit flüchtigem Gruß. Wer ihn so sah, mochte denken, er habe in der Zerstreutheit seine Czapka vergessen und eile nach Hause, um sie noch zu holen.

Hier und da hatten patriotische Bürger Girlanden, Kränze und Wappen ausgehängt und an der Apotheke prangte bereits das Holzgerüst eines aus lauter Öllämpchen bestehenden Reichsadlers. Selbst in den Kellerwohnungen sah man patriotische Insignien oder Lichter, die in Flaschenhälsen auf den Fensterbrettern standen. War doch heute der fünfundzwanzigjährige Jubeltag von Sedan, der Wendepunkt des großen Krieges, der Geburtstag des Deutschen Reiches! Brieg ließ das alles höchst kalt. Er hatte von den patriotischen Spaziergängen seiner Kadettenjahre her noch einen Horror vor dem Patriotismus auf Kommando mit seiner Schönrednerei und dem falschen Augenaufschlag, und die dienstliche Ergriffenheit bei den Kaisergeburtstags-Abfütterungen kam ihm heute wie ein Hohn auf sein ganzes Unglück vor.

Er stürmte mit zitternden Knien die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und riß an der Schelle. Frau von Carsten öffnete ihm selbst mit einem Aufschrei. Sie war gerade in einem furchtbaren Wortstreit mit Miß Foot, die bei Briegs Erscheinen mit einem »I leave this damned house!« ihre Tür hinter sich zuknallte.

»Was willst du jetzt hier?« fragte Frau von Carsten, ihn mit geröteten Augen anstarrend. »Hast du auch ...«

»Ja, mein Vater!«

Frau von Carsten brach in einen Tränenstrom aus.

»Geh! Geh!« schluchzte sie. »Mir ist nicht zu helfen ... Ich bin auf die Straße gesetzt ... Alle meine Mieter ziehen aus ...«

»Vor allem setze dieses Weib auf die Straße, das all diese Scheußlichkeiten inszeniert hat,« schrie Brieg. Aber Frau von Carsten hielt ihm die Hand vor den Mund. »Um Gottes willen, still!« gebot sie. »Ich weiß ganz genau, wer der Urheber ist. Es ist Carsten, niemand anders ...«

»So,« schäumte Brieg. »Dies Vieh!«

»Aber was machst du denn um Gottes willen jetzt hier?« wiederholte Frau von Carsten. »Du mußt doch zur Parade!«

»Mir ist alles egal außer dir,« stieß er atemschöpfend hervor. »Ich gehe nachher gleich zum Obersten, um mit ihm zu reden; ich werde ihm alles darstellen, und wenn ich Arrest kriege, ist's auch gleich. Ich wollte nur mit dir sofort reden, was sich tun läßt, und vor allem wissen, was eigentlich los ist?«

»Was los ist?« wiederholte Frau von Carsten verzweifelt. »Ich bin bedroht an Leib und Leben ... Angeblich hat sich ein Sittlichkeitsverein zu meiner Überwachung gegründet, der überall Spione hält ... Ich hätte Beziehungen zu Ehlert, Althoff und dir unterhalten und fortwährend junge Herren zu verdächtigen Zeiten in meinem Hause geduldet. Der Verein würde mich der Polizei anzeigen und meinen materiellen Ruin betreiben, solange bis er Besserung sähe. An Ehlerts und deinen Regimentskommandeur seien Briefe ergangen, ebenso an meine Verwandten ... Sogar meine Pensionärinnen sind bedroht, sie sollten sofort ausziehen, wenn sie nicht das Ärgste über sich ergehen lassen wollten, und nun packen sie ihre Koffer. An meinen Hauswirt und meine Lieferanten ist geschrieben worden, ich stände vor dem pekuniären Zusammenbruch ... Sie sollten alle ihre Forderungen einklagen oder mich pfänden lassen ...«

»Oh, das ist teuflisch!« stampfte Brieg auf, als sie Atem schöpfte. »Da, lies es selbst,« sagte sie aufgeregt und zog einen zerknitterten Brief aus der Tasche. »Es reißt draußen an der Schelle, vielleicht wieder eine Hiobspost ...«

Brieg wollte lesen, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen; er mußte immer wieder von vorn anfangen. Dazwischen hörte er draußen eine mißtönige Stimme, die nach Atem zu ringen schien. Er riß die Tür auf; er ertrug es nicht mehr, hier allein zu sein, wo draußen vielleicht eine neue Schreckenskunde eintraf.

Frau von Carsten stand im Halbdunkel des Ganges vor einer älteren Frau mit wirren, grauen Haaren, die ein altmodisches schwarzes Seidenkleid trug und erregt gestikulierte. Sie war anscheinend ohne Hut über die Straße gelaufen. Brieg kannte sie nicht und sie nahm auch keine Notiz von ihm.

»Er sagte, er sei der Vater,« fuhr die Fremde in ihrer Rede fort ... »Er zeigte die Legitimationspapiere und drohte mit der Polizei, wenn ich ihm seine Kinder nicht sofort herausgäbe« ...

»Sie haben sie ihm doch nicht gegeben?« stieß Frau von Carsten hervor.

»Ich war so furchtbar erschrocken und wußte gar nicht, was ich machen sollte,« stotterte die andere. »Denken Sie nur, mitten in der Sedanfeier, im Versammlungszimmer. Der Mann ging ja auf mich zu, als wollt' er mir Gewalt antun, und dann redet' er allerhand schmutziges Zeug von heruntergekommener Dirne und so ... Ich war froh, wie er wieder heraus war« ...

»O Gott, meine Kinder gestohlen!« schrie Frau von Carsten und taumelte gegen die Wand.

»Minna, Minna!« schrie Brieg durch den Gang. »Kommen Sie schnell! Anna, was ist dir?« Dann begann er, an ihrem Kragen zu nesteln; sie rang nach Luft und schien dem Ersticken nahe.

Minna kam verstört angelaufen und schob seine Finger beiseite. »Aber Herr Leutnant, was machen Sie denn da! Das geht doch nicht! Helfen Sie mir nur, sie aufs Sofa zu legen, aber vorsichtig ... sonst stirbt sie uns nach ganz.«

Brieg unterstützte Minna, die halb Ohnmächtige ins Wohnzimmer zu bringen, wo Minna ihr die Taille öffnete und ihr Eau de Cologne unter die Nase rieb.

Er stürzte derweil wieder auf den Gang, wo die Schulvorsteherin immer noch ratlos stand.

»Wo ist er denn hin mit den Kindern?« fuhr er sie an.

»Er ist mit ihnen in der Droschke fortgefahren, ich weiß nicht wohin, gnädiger Herr,« antwortete die alte Pute verblüfft. »Vielleicht auf die Bahn ... Ja, wahrscheinlich, die Droschke fuhr da herunter« ...

Brieg raffte seine Mütze auf, die durch den Gang gekollert war. Dann ging er zurück in das Zimmer.

»Ich will zur Bahn und dem Schurken die Kinder abjagen,« sagte er, sich über die regungslos Daliegende beugend. Sie schlug plötzlich die Augen auf, mit einem Ausdruck namenlosen Entsetzens. »Fort!« schrie sie. »Schlag mich nicht! Ich schreie! Ich lasse mir's nicht mehr bieten ... Ich lasse mich nicht würgen!«

»Aber Anna, du träumst!« antwortete Brieg entsetzt.

»Hab' ich was gesagt?« fragte sie, zu sich kommend. »Ich dachte, er wär's und beugte sich über mich ... Aber wo willst du hin ... Willst du mich auch verlassen ... Ja, geh, geh ... Ich will allein ... Meinen Hut, Minna ... ich will ... die Tür auf« ...

»Bleib! Du kannst nicht!« gebot Brieg kurz. »Ich setze hinterher und wenn ich die Kanaille auf der Stelle totschlagen sollte ... Ich bin in Uniform ... Ich habe alle Chancen für mich.«

»Um Gottes willen ... dein Blick ... Laß mich mit« ...

»Nein, ich gehe allein.«

Brieg riß sich los und stürzte auf die Straße. Er sah sich nach einem Fuhrwerk um, aber nirgends war eins zu sehen. Der Bahnhof lag abseits in der unteren Stadt. Er mußte zu Fuß hinlaufen. Und er lief, er rannte die Menschen um, ihm war alles einerlei. Er hielt seinen Säbel umklammert, damit er ihm nicht zwischen die Beine schlug. Große Ringe drehten sich, wo er auch hinsah, und das klopfende Blut trübte seine Augen. Er sah nicht, daß in einiger Entfernung der Oberst von Rössing nach dem Paradeplatz strebte und ihm mehrmals zurief und winkte. Einen Augenblick lief ihm dieser sogar nach, aber da er ihn nicht einholen konnte, so ging er schließlich, wohin ihn seine Pflicht rief.

Auf der Bahn schien heute aller Verkehr ausgestorben. Die Stationsgebäude waren geflaggt und mit Girlanden geschmückt. Brieg eilte zu dem Manne mit der roten Mütze und fragte ihn in abgerissenen Sätzen aus, wann der nächste Zug nach Berlin ginge und ob er nicht einen Mann mit zwei halbwüchsigen Mädchen gesehen hätte. Der Berliner Schnellzug war seit drei Minuten fort, und als einzige Reisende waren ein Herr und zwei kleine Mädchen eingestiegen, die eine wiederstrebend und weinend, die andere traurig aber gehorsam ... Brieg fluchte und wetterte, aber der Stationsvorsteher grüßte mit kaltem Dienstgesicht und ging.

Schweißgebadet warf er sich in die einzige Droschke, die an der Bahn hielt, und fuhr nach der Kaserne. Er wollte sich Geld holen und ein etwas korrekteres Kostüm anlegen, um sofort nach Berlin zu fahren. Die beiden mageren Klepper vor dem Rumpelkasten schienen ihm Pech an den Hufen zu haben; er befahl dem Kutscher einzuhauen und versprach ihm ein Trinkgeld. Aber trotz aller Peitschenhiebe dünkte die Fahrt ihm endlos.

Der Posten vor der Kaserne salutierte erstaunt. Brieg warf dem Kutscher ein Talerstück zu und eilte hinauf. Als er in seiner Stube anlangte, faßte er sich an den Kopf und fragte sich laut: »Was will ich denn eigentlich?« Nach Berlin zu fahren, ohne nähere Angaben van Frau Carsten, schien ihm sinnlos. Er mußte noch einmal zu ihr und sie fragen. Vielleicht war es auch besser, in Zivil zu fahren und sich einen Revolver mitzunehmen, um den Kerl eventuell niederzuschießen. Er ging an sein Kleiderspind und zerrte den Revolver aus dem obersten Fach. Dann schlug er sich plötzlich mit einem »Nein, das geht nicht,« vor den Kopf. Ein plötzlicher Einfall erleuchtete ihn. Er wollte sich mit diesem Schuft duellieren; er war ja schließlich Offizier a.D. Wenn er als Verlobter seiner geschiedenen Frau ihm seine Kinder abjagte, würde es unvermeidlich zu einer Auseinandersetzung kommen. Ein Kugelwechsel sollte seine Zukunft vor den Anwürfen dieses Menschen sicherstellen; vor ihnen hatte ihn im stillen immer gegraust. Gottlob, daß es noch Duelle gab! Seine alte Antipathie dagegen war plötzlich geschwunden.

Er stülpte sich die Czapka auf und eilte wieder zu Frau von Carsten. Sie sollte ihm Näheres angeben für seine Fahrt nach Berlin und vor allem wollte er ihr sagen, daß er sich für ihren Verlobten erklärt hätte. Sie würde es nicht abweisen können, und ihn würde ihr Jawort seien wie ein unsichtbares Amulett, mit dem er das Unvermeidliche vollbringen konnte. Dann wollte er sich dem Obersten eröffnen und um Urlaub bitten; nur im Einvernehmen mit seinem Vorgesetzten, das wurde ihm klar, konnte er hier durchdringen. Wenn er ohne Urlaub die Garnison verließ, mit einer derartigen anonymen Anklage belastet, so gab er ihr dadurch nur recht und begab sich selbst aller Vorteile. Und hier, wo das Glück zweier Menschen auf dem Spiele stand, würde der Kommandeur gewiß keine Schwierigkeit machen, zumal er ja doch seinen Abschied nahm!

Er lebte im Fiebertempo alle Möglichkeiten durch.

Hätte er nur einen Menschen gehabt, der ihm riet. Frau von Carsten konnte die Sachlage unmöglich überschauen. Er brauchte einen Unparteiischen, einen Freund, aber welchen? Nie war ihm seine Vereinsamung bittrer bewußt geworden. Er dachte an seinen Rittmeister, Graf Limberg, Graf Kinsky. Aber diese hätten ihn für mehr oder minder toll gehalten und ihm sicher geraten, die Finger davon zu lassen. Das Blut jagte ihm durch die Adern und das Herz pulste in schmerzhafter Eile.

Er stürzte noch einmal in sein Wohnzimmer zurück und riß das Abschiedsgesuch mit der Erlaubnis seines Vaters aus dem Schreibtischfach, um es zu sich zu stecken.

Dann eilte er fort.


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