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Diana hatte strahlend vor Stolz der Frau, von der sie unerhört beleidigt worden, die Hand gereicht und dem verdutzten Lereboulley das unerwartete Schauspiel gezeigt, wie Frau Hérault am Arme Sir James' ihre Salons durchschritt. Leicht wie ein Schmetterling huschte sie selbst von Gruppe zu Gruppe, um Komplimente entgegenzunehmen und lächelnde Blicke zu erhaschen. Alles, was Paris an hübschen Damen und glänzenden Lebemännern zählte, war in ihren Salons versammelt, und es bot ein reizendes Bild, diese schönen Frauen und diese eleganten Kavaliere im Tanze dahinschweben zu sehen. Die Fächer wogten auf und nieder wie Schmetterlingsflügel, die Diamanten blitzten, und in anmutigen Windungen drehten sich die Paare, wie dahingetragen von der harmonischen Flut der Melodieen des Orchesters.
Lereboulleys finsteres Gesicht glänzte vor Wonne beim Anblick dieser fröhlichen Menge, in der er sich ziemlich als Festgeber gerierte. Er war immer in Dianas Gefolge, schmunzelnd über das Entzücken, das sie hervorrief, und seine Genugthuung darüber sehr unverhüllt an den Tag legend. Sir James, der an einem Spieltisch das Glück seiner Gäste auf die Probe stellte, schien heute für ihn nicht zu existieren, oder wenigstens vergaß er ihn über dem Glück, Gewißheit zu haben, daß die vermeintliche Liaison zwischen Louis und Diana nicht bestand. Frau Hérault war ja hier, lächelnd und ruhig neben Emilie in einer Gruppe junger Frauen stehend, sie hatte also den Beweis erhalten, daß ihr Verdacht nicht begründet. . . . Er konnte mithin wieder frei aufatmen, sein Besitz war nicht bedroht. Zum erstenmal seit vierzehn Tagen plauderte er offen und freundschaftlich mit Louis. Er betrachtete ihn mit sichtlichem Wohlwollen und scherzte: »Mein Lieber, alle hübschen Frauen von Paris sind heute hier. Wenn ein Feuer ausbräche und niemand sich retten könnte, würden die eleganten Pariser morgen nicht wissen, was sie mit ihren Herzen anfangen sollten!«
Er lachte selbstgefällig über diesen schwerfälligen Witz und ging Diana entgegen, die eben in ihre Nähe kam. Die schöne Engländerin zog ihn in eine Ecke und sagte mit der Miene triumphierender Unschuld: »Nun? Sehen Sie, daß sie doch gekommen und vortrefflicher Laune ist?«
»Ja, ja, und ich bin glückselig darüber! Ich bin der Familie Hérault zwar sehr zugethan, aber meine kleine Diana geht mir doch über alles. Sie sind verteufelt schön heute abend. Louis' Frau ist die einzige, die allenfalls den Vergleich mit Ihnen aushalten kann. Wenn Sie mich im Stich ließen, würde nur sie mich über diesen Verlust trösten können.«
Die Augen Dianas blitzten boshaft.
»Dann würden Sie unbedingt Gefahr laufen, vor Liebesgram zu sterben,« sagte sie, »denn der Platz gehört Thauziat.«
»Thauziat?« fagte Lereboulley erstaunt. »Sie sind toll, Diana. Frau Hérault ist eine anständige Frau und liebt nur ihren Gatten.«
»Und was bin demnach ich, die ich Ihnen den meinen opfere?« unterbrach ihn Lady Olifaunt mit scharfer Stimme. »Recht wenig, nicht wahr?«
»Sie, Diana, Sie sind die Vollkommenheit selbst. Aber Frau Hérault . . .«
»Sie sind mir unausstehlich mit Ihrer Frau Hérault. Eine ehemalige Nähterin, der das Glück in den Schoß gefallen ist, und die Sie wahrhaftig wie eine Herzogin behandeln. Was ist denn an ihr so Bemerkenswertes? Thauziat ist ihretwegen ein Narr geworden, und Sie können es auch noch dahin bringen! So gehen Sie doch zu ihr – es kann Ihnen ja nur von höchstem Interesse sein, zu erfahren, wieviel Milch ihr Kleiner täglich zu sich nimmt, und welch ein Ereignis der erste Zahn ist, sie wird Ihnen das haarklein erzählen, denn sie ist nicht allein eine anständige Frau, sie ist auch die beste der Mütter. Letzteres ist namentlich für ihren Gatten eine schöne Sache!«
»Verzeihen Sie mir, Diana, ich habe Sie gekränkt. Verzeihen Sie mir!«
»Nein, ich verzeihe Ihnen nicht! Gehen Sie doch zu der anständigen Frau! Ich bin nur hübsch und besitze die Tugenden nicht, die Sie über alles schätzen.«
Sie drehte ihm den Rücken und ging in den Spielsaal. Er folgte ihr mit den Blicken und sah, wie sie sich zu Louis wendete, diesen beim Arm nahm und ihm mit schmeichelnder Miene etwas ins Ohr flüsterte, worauf beide sich entfernten. Lereboulley setzte sich an einen Ecartétisch. Gewöhnlich spielte er sehr gut, aber heute machte er Fehler auf Fehler. Seine Gedanken schweiften weit vom Spiele ab. Warum hatte Diana Louis beim Arm genommen und was hatte sie ihm gesagt? Wohin waren sie gegangen? Was thaten sie jetzt? Alle diese Fragen drängten sich ihm unaufhörlich auf und er konnte keine befriedigende Antwort darauf finden. Der Aerger, den Diana ihn so unverhohlen hatte fühlen lassen, war ihm schon beunruhigend erschienen, und diese Liebenswürdigkeit gegen Louis regte ihn vollends auf. Kalte Tropfen traten dem dicken Manne auf die Stirn, wenn er daran dachte, daß Lady Olifaunt möglicherweise ihr Spiel mit ihm treibe und sich in diesem Augenblicke mit Hérault über ihn lustig mache.
Er warf die Karten hin, bezahlte seinen Verlust und schritt eiligst auf die Thür zu, durch welche er das Paar, das ihm von Minute zu Minute verdächtiger erschien, sich hatte entfernen sehen. In dem kleinen von Tanzenden erfüllten Salon erblickte er weder Diana noch Louis. Frau Hérault, die heute ein wenig bleich war, saß mit Emilie plaudernd auf einem Diwan zwischen dem Kamin und der Thür, in einer heimlichen kleinen Ecke, wo niemand sie störte. Lereboulley winkte ihnen freundlich zu und ging weiter. Auch in der Galerie war keine Spur von den Gesuchten zu entdecken. Die Treppe, welche zu den Gemächern des zweiten Stockes führte, war hell erleuchtet, und das Buffett war auf einem breiten marmornen Treppenabsatz aufgestellt. Die Musik tönte nur schwach vernehmbar vom Orchester herüber. Die Paare stiegen auf und nieder, lachend und miteinander scherzend. Das Klirren der Silber- und Porzellanteller bewies, daß Sir James' Gäste seiner Küche alle Ehre erwiesen.
Der Senator stieg die zwölf Stufen hinauf und trat in die Galerie, die zu dem Zimmer Dianas führte. Die Menge drängte sich um das Buffett und die Galerie lag ganz verlassen da. Durch die halb geöffnete Thür des Boudoirs fiel ein Lichtstrahl. Lereboulley fühlte, wie sein Herz stillstand; er ahnte, daß er hinter dieser Thür Louis und Diana finden würde. Ein selbstquälerisches Verlangen, sein Unglück ganz kennen zu lernen, erfüllte ihn, und doch gebrach es ihm an Mut, einzutreten. Mit angstverzerrten Zügen sank er auf eine kleine Bank in der Nähe der Thür und fragte sich, was er thun solle.
Louis und Diana waren in der That denselben Weg gegangen, wie Lereboulley. Sie hatten den kleinen Salon durchschritten, ohne Helene und Emilie zu bemerken, die in ihrer Ecke verborgen saßen, waren an dem Buffett vorbeigekommen und, als sie die Galerie von allen Menschen verlassen sahen, in das von einer einzigen Lampe schwach erleuchtete Boudoir Dianas getreten. In dem traulichen, dämmerigen Räume standen sie still, tiefaufatmend in der köstlichen Frische und Stille dieses abgelegenen Ortes. Was in der Galerie noch als entferntes Geräusch vernommen wurde, drang hierher nur als leises Rauschen, und die einzelnen Accorde der Musik, die von Zeit zu Zeit herüberklangen, erinnerten allein daran, daß in dem Hause ein Fest gefeiert wurde. Lady Olifaunt stand vor dem Kamin, der Schein der Lampe fiel auf ihre Gestalt, während das Zimmer in Dunkel gehüllt blieb – sie erschien märchenhaft schön und Louis verzehrte sie mit seinen Blicken. »Sie sehen, Diana,« sprach er auf sie zutretend, »ich habe Ihnen gehorcht. Das Opfer, das Sie mir auferlegt, war das größte, das ich bringen konnte. Welche Belohnung wollen Sie mir dafür gewähren?«
»Bedarf es einer Belohnung dafür, daß Sie einer Frau, die alles für Sie aufs Spiel setzt, einen Beweis Ihrer Liebe geben? Ich liebe Sie, ist das nicht genug?«
»Sagen Sie mir das noch einmal!«
»Zweifeln Sie daran?«
»Nein. Aber es macht mich glücklich, es aus Ihrem Munde zu hören! Von Ihren Lippen hat dieses Wort einen Klang, den ich nie zuvor gehört. O, Diana, über welchen allgewaltigen Zauber gebieten Sie denn, daß Sie mich alles vergessen machen! Jedesmal, wenn ich mich von Ihnen losreißen wollte, hat eine dämonische Macht über meinen Willen triumphiert und mich wieder zu Ihrem Sklaven gemacht. Sie sagen daß Sie viel für mich aufs Spiel setzen. Aber was setze ich nicht für Sie aufs Spiel! Das Glück und den Frieden der Meinigen. Meine Schuld ist tausendfach größer als die Ihrige, o, Sie müssen mich sehr lieb haben, Diana, es ist alles, was mir bleibt!«
Er hatte diese Worte mit leidenschaftlicher Hast und verzehrender Glut hervorgestoßen. Diana ging auf ihn zu, schlang ihre weichen Arme um seinen Hals und sagte sanft und schmeichelnd: »Ich liebe dich! – Ich liebe nur dich!«
In dem Augenblick ließ sich ein erstickter Ausruf hören, und sich umwendend, gewahrte sie Lereboulley, der vom Schlafzimmer aus eingetreten war, auf der Schwelle des Boudoirs. Bleich, mit bebenden Lippen, schlotternden Knieen, in stumpfer Verzweiflung starrte er sie an. Er war gerade im richtigen Moment eingetreten, um Dianas Geständnis zu hören und Louis von ihren Armen umschlungen zu sehen. Wie vom Blitz gerührt, blieb er unbeweglich stehen, außer stande, dem, was in ihm vorging, Ausdruck zu geben. Furchtbar genug mußten seine Empfindungen sein, denn er ballte die Fäuste, als bereite er sich zum Kampfe. Endlich vermochte er die Lippen zu öffnen, und einen Wutschrei ausstoßend, stürzte er auf Diana zu, die ihn unbeweglich erwartete.
»Elende!« rief er, »elendes Frauenzimmer!«
Sie lachte ironisch auf, und ohne einen Schritt zurückzuweichen, wies sie Lereboulley gebieterisch mit den Worten die Thür: »Ich liebe es nicht, daß in meinem Hause laut gesprochen wird. Mit welchem Recht erlauben Sie sich, hier einzutreten und mir zu drohen? Sind Sie mein Gatte?«
Auf diese Worte, welche ihre Auffassung der Lage sehr deutlich darthaten, antwortete der Greis nur mit einem düsteren Blicke. Er sah ein, wie falsch seine Stellung war, er begriff, daß er die Autorität, die er sich über Diana anmaßte, nur ihr allein verdankte, und daß sie dieselbe mit einem einzigen Worte vernichten könnte. In einer Sekunde ermaß er die ganze Tragweite des ihm drohenden Verlustes. Ein Leben ohne diese Frau, die seine Freude und sein Stolz war, schien ihm ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, und er fragte sich, ob es nicht besser wäre, eine feige Entschuldigung vorzubringen und alles über sich ergehen zu lassen. Indessen empörte er sich sofort gegen diesen Gedanken. Er sagte sich: Ich bin zu reich, als daß sie zwischen mir und Louis schwanken könnte. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, und alle Vorsicht außer acht lassend, brüllte er: »Ihr Gatte bin ich allerdings nicht, aber Ihr Geliebter!«
Diana ließ ihm nicht Zeit, weiter zu reden. Ihr Köpfchen mit sinnlicher Anmut auf Louis' Schulter legend, sprach sie: »Mein Geliebter? Der steht hier!«
»Diana!« rief der verliebte Lereboulley, ganz fassungslos über dieses Geständnis. »Diana, noch ist es Zeit, bedenken Sie es. . . . Ich habe nichts gehört . . . ich will nichts wissen . . . ich habe alles vergessen. Aber behandeln Sie mich nicht mit solch unmenschlicher Grausamkeit. Sie sind gereizt, Sie haben recht, der Zorn hat mich fortgerissen, ich habe mich vergessen. Sie wissen, wie ich Sie liebe, Diana!«
Er sah, wie sie unbeweglich dastand und ihn mit ihren stahlharten, klaren, blauen Augen ansah. Wieder gewann seine Entrüstung die Oberhand.
»O,« rief er aus, »was brauche ich mich nach all dem Guten, das ich Ihnen gethan, vor diesem jungen Menschen erniedrigen zu lassen! Niemand wird Sie lieben, wie ich Sie geliebt habe! Auf alle Ihre Launen bin ich eingegangen, glücklich, sie befriedigen zu können. All Ihren Wünschen bin ich nachgekommen. Ein Wort von Ihnen, und nichts war mir zu kostbar, um Sie zu erfreuen! Sie sind reich, Sie haben die schönsten Diamanten, einen fürstlichen Haushalt, und ich bin bereit, doppelt so viel für Sie zu verschwenden! Wären Sie mir treu geblieben, so hätte ich Ihnen nach meinem Tode einen Teil meines Vermögens hinterlassen: denn ich liebte Sie wie meine Tochter. Und ich bin alt, Sie hätten nicht lange zu warten brauchen. Diana, bedenken Sie das alles! Es lohnt sich der Mühe, es wohl zu überlegen. Habe ich erst einmal die Schwelle dieses Zimmers überschritten, so ist alles vorbei, und ich kehre nie mehr zurück.«
Diana begann zu lachen, und mit einem Blick, der Lereboulley bis in sein tiefstes Innere erschauern ließ, sagte sie trocken: »Sie kommen schon wieder, sobald ich nur will. Ich brauche nur zu pfeifen!«
Vor diesem unverschämten Trotze knickte er zusammen, als wäre er willens, sich auf die Kniee zu werfen.
»Ja,« stöhnte er, »das ist wahr! Ich werde zurückkommen . . . ich weiß es . . . aber ersparen Sie mir den Schmerz, gehen zu müssen!«
Er stürzte auf sie zu, faßte ihren Arm und zog sie in die Fensternische. Indem er seine flammenden Blicke auf sie gerichtet hielt, sagte er: »Was muß ich thun, um bleiben zu dürfen, was ich dir gewesen? Alles über mich ergehen lassen – selbst die Qual, von dir getäuscht zu werden? Gut, ich bin bereit dazu! Wenigstens werde ich dich so noch besitzen. . . . Ich werde die Augen über das schließen, was du gethan, und du wirst es verstehen, mir wenigstens die Illusion zu retten, als sei ich noch glücklich.«
Diana erwiderte hart: »Nein!«
»Liebst du ihn denn?«
Halblaut, einen verstohlenen Blick auf Louis werfend, sagte sie: »Ich glaube ja, solange ich seine Frau hasse.«
»Er wird für dich das nicht thun können, was ich gethan. In einem Jahre ist er ruiniert.«
»Um so besser, dann wird sie im Elend sein!«
Lereboulley erwiderte mit grellem Lachen: »Wenn dir daran liegt – das soll schnell geschehen sein. Aber warum mich fortschicken?« fragte er in stehendem Tone. »Warum das, Diana?«
»Mein Haus wird Ihnen, wie all meinen Freunden geöffnet bleiben. . . . Es steht Ihnen frei, mich als solcher zu besuchen.«
»Als Freund! Niemals! Ich würde zu tief darunter leiden. Hören Sie, Diana, bringen Sie mich nicht zum Aeußersten! Ich bin zu allem fähig, selbst zu einer schlechten That, um Sie ganz für mich zu behalten. . . . Hüten Sie sich, oder ich setze Ihren Gatten von allem in Kenntnis!«
»Thun Sie's!«
»Er wird Louis niederschießen!«
»Oder sich an den Zwischenträger halten!«
Von ihm wegtretend, sagte sie:
»Nun gehen Sie aber endlich. . . . Sie langweilen mich. . . . Es geht stark bergab mit Ihnen. Vor einem Jahre würden Sie keine solche Dummheiten geschwatzt haben!«
Thränen der Wut und Erniedrigung entströmten den Augen Lereboulleys, Thränen, die auf seinem glühenden Gesicht sofort vertrockneten. Seine breiten Schultern bebten krampfhaft, und mit erstickter Stimme sagte er: »Leben Sie wohl, Diana!«
Vor Louis, der in höchster Erregung der Szene beigewohnt, blieb er stehen, und drohend seinen dicken Kopf schüttelnd, rief er ihm zu: »Sie, mein Kleiner, Sie werden mir das entgelten!«
Er ging. Als die Thür sich hinter ihm geschlossen, stürzten Lady Olifaunt und Louis einander in die Arme. Dann nahm Diana die Hand des jungen Mannes in die ihre, wie um den Pakt zu besiegeln, und sagte: »Sie haben von Opfern gesprochen, die Sie mir bringen. Ich denke, Sie haben jetzt den Beweis erhalten, daß die meinen den Ihrigen die Wage halten.«
Er wollte reden, sie aber schloß ihm mit ihren schlanken weißen Fingern den Mund und sagte mit reizendem Lächeln: »Lieben Sie mich, das ist alles, was ich von Ihnen verlange!«
Sie hing sich an seinen Arm und kehrte mit ihm in den brausenden Jubel des Ballsaales zurück.
Von diesem Tage an lebte Louis in einer geistigen und gemütlichen Aufregung, die er bisher nicht gekannt. Er wollte Lereboulleys Rolle vollständig übernehmen und zeigte sich so verschwenderisch, wie es der Senator nur je hätte thun können. Seine Eitelkeit hatte es mit den Forderungen Dianas zu thun: es war das ein schrecklicher Kampf, in dem das Gold reichlicher dahinfloß, als das Blut auf den Schlachtfeldern. Er mußte bald einsehen, daß sein Vermögen hierzu nicht lange vorhalten werde. Die großen Börsengeschäfte waren die Quelle, aus der der Senator unaufhörlich schöpfte. Warum sollte Louis es ihm nicht auch hierin gleich thun? Was ihn bis jetzt davon fern gehalten, war nur Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit gewesen. Die Notwendigkeit, sich große Summen zu verschaffen, ließ ihn seine angeborene Trägheit überwinden, und er begann zum erstenmale in seinem Leben ernsthaft zu arbeiten. Das Laster feuerte ihn an, und da er sich bei seinen Operationen ziemlich geschickt anstellte, gelangen ihm dieselben anfangs sehr gut. Aber die Gewinne an der Börse schienen ihm doch sehr unzuverlässiger Natur. Das Glück konnte sich wenden und das gute Ergebnis des einen Tages durch das schlechte des folgenden wieder wett gemacht werden. Er suchte nach einer verläßlicheren Erwerbsquelle und fand sie auch. Die Gesellschaft, die das unterseeische Kabel gründen wollte, war ihrer Konstituierung nahe. Lereboulley hatte für seinen Plan die einflußreichsten Finanzkräfte gewonnen, und in der Börsenwelt beschäftigte man sich bereits eifrig mit diesem Unternehmen. Ganz Europa war auf das Ergebnis desselben gespannt, denn infolge der Konkurrenz mußte der Preis der Depeschen um die Hälfte billiger werden und der Handel somit aus der durch die neue Gesellschaft geschaffenen Verkehrserleichterung bedeutenden Vorteil ziehen.
England zeigte sich sehr feindlich. Die Regierung hatte ihren Botschafter in Paris offiziös dazwischentreten lassen. Die englische Kabelgesellschaft schien geneigt, eine große Anzahl Aktien zeichnen zu wollen, um sich die Oberhand in der französischen Gesellschaft zu sichern, aber Lereboulley machte sich anheischig, so viel Aktien zu nehmen und in die Hände seiner Freunde zu spielen, daß das Uebergewicht in der Gesellschaft den Franzosen erhalten würde. Eine bedeutende Agiotage mußte also für diese neuen Papiere an der Börse beginnen, sobald die gesetzliche Bewilligung der Legung des internationalen Kabels von der Kammer genehmigt war. Die Abstimmung schien übrigens kaum zweifelhaft, da dem Projekte von keiner Partei Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden. Lereboulley hatte angekündigt, daß er in der Frage das Wort ergreifen würde, und da seine politischen Freunde die Majorität in Kammer und Senat besaßen, so mußte alles vorzüglich von statten gehen. Das Unternehmen war ja auch so vorteilhaft, so einleuchtend und so patriotisch!
Auf diese Operation, die er von Grund aus kannte, rechnete Louis, durch dieselbe hoffte er mit einem Schlage genügende Summen zu gewinnen, um die Ausgaben für Diana bestreiten zu können. In den vorbereitenden Versammlungen, die allwöchentlich stattfanden, traf er mit Lereboulley zusammen, der ihm jedoch mit finsterer Miene auswich. Sie grüßten sich beim Eintritt, aber sie sprachen nicht miteinander. Eines Tages nahm Thauziat Louis beiseite und sagte ihm: »Lereboulley will dich bei dem Geschäft nicht beteiligt sehen, er hat mir erklärt, daß es ihm unangenehm sei, mit dir in persönliche Berührung zu kommen. Deshalb hat er mich beauftragt, dir folgenden Vorschlag zu machen: Du verzichtest darauf, das Kabel in deinen Wertstätten von Saint Denis anzufertigen, und du erhältst als Entschädigung fünfmalhunderttausend Franken. Die Arbeit hat noch nicht begonnen, das Geschäft ist noch nicht abgeschlossen. . . . Ueberlege dir, ob du darauf eingehen willst.«
»Da bedarf es durchaus keiner Ueberlegung – ich weise den Vorschlag unbedingt von der Hand. Will sich Lereboulley etwa über mich lustig machen? Die Herstellung des Kabels ist mir vertragsmäßig zugesprochen, und ich habe durch dieselbe bedeutenden Gewinn in Aussicht. Ich soll zur Hälfte in Geld, zur Hälfte in Prioritätsaktien bezahlt werden, das heißt mit andern Worten, ein Vermögen in Händen haben. Mein Vater hatte diese Spekulation in die Länge gezogen, denn sie ist bereits seit zehn Jahren auf dem Wege der Realisation. Ich werde nicht für fünfmalhunderttausend Franken auf all das verzichten, was vom Hause Hérault mühsam vorbereitet worden. Diese Zumutung ist denn doch ein wenig stark!«
»Verlangst du eine größere Summe?«
»Ich verlange gar nichts, als meinen Anteil an dem Unternehmen.«
»Du handelst unklug. Er wird dich in Verlegenheiten stürzen.«
»In welche denn?«
»O! in alle möglichen! Er wird dir schlechte Materialien vorwerfen, er wird dich fortwährend schikanieren und es so weit bringen, daß du den festgesetzten Termin versäumst. . . . Er wird dir Prozesse aufhalsen – und du weißt, er ist verschlagen und haßt dich tödlich. Wie zum Henker ist dir auch der Einfall gekommen, ihm Diana abspenstig zu machen? . . . Ich hatte dir vorausgesagt . . .«
»Sie ist die reizendste Frau von Paris.«
»Die reizendste Frau von Paris ist in deinem Hause und heißt Frau Hérault! . . . Aber um auf unsre Angelegenheit zurückzukommen: Du willigst also nicht in dieses Abkommen?«
»Nein!«
»Gut! Dann sei aber auf deiner Hut! Man wird dich nicht schonen!«
»Ich habe nichts zu befürchten!«
»Um so besser! Jedenfalls vergiß nicht, daß ich versucht habe, dir die Augen zu öffnen! Mache mir nie zum Vorwurf, was kommen wird!«
»Aber, mein Bester, du wirst ja ordentlich tragisch! Wir führen ja keinen Krieg, wir machen ein Geschäft! Es handelt sich doch nicht um Tod und Leben!«
»Ich wünsche es von Herzen!«
Thauziat änderte plötzlich seinen Ton und zeigte sich jetzt ebenso fröhlich, wie er bisher ernst gewesen war.
»Was machst du eigentlich mit Sir James?«
Louis begann zu lachen.
»Das, worin er schon große Uebung besitzt!«
»Spielst du mit ihm?«
»Nein, er hat zuviel Glück!«
»Diana wird er wohl Lereboulley schmerzlich vermissen?«
»Ich glaube, daß Lereboulley Sir James noch schmerzlicher vermißt. An seinem Verhältnis zur Frau war der Gatte ihm das Angenehmste. Nun hat man diese beiden füreinander geschaffenen Wesen, die sich trotz äußerlicher Meinungsverschiedenheiten so gut verstanden haben, auseinandergerissen, jammerschade. Was meinst du, wenn man eine Versöhnung in Szene setzte? Ich meinerseits würde lieber Diana fahren lassen, als das Kabel!«
»Sprichst du im Ernst?« rief Thauziat, seinen Freund scharf beobachtend.
»Nein, ich scherze,« sagte Louis, plötzlich wieder kühl geworden.
»Um so schlimmer.«
Sie trennten sich. Trotz seiner Versicherung scherzte Louis nicht, wenn er davon sprach, Diana »fahren zu lassen«. Wenn diese ihn nicht bei seiner vorherrschendsten Eigenschaft, seiner Eigenliebe, festgehalten hätte, so hätte er vielleicht das Joch, das sie ihm auferlegte, längst für seine schwachen Schultern zu schwer gefunden. Unbeständig und veränderlich, wie er war, hatte er das Doppelleben, das er zu führen gezwungen war, rasch satt bekommen, obwohl er von den Seinen keinerlei Vorwürfe oder heftige Szenen zu erdulden hatte. Die alte Frau Hérault ahnte den traurigen Sachverhalt nicht und Helene hätte sich eher in Stücke reißen lassen, als zugegeben, daß die Großmutter von den Vorgängen auch nur das mindeste erfuhr. Seit der Auseinandersetzung vor dem Balle bei Olifaunt hatte sie kein Wort mehr verlauten lassen, das Louis als eine Klage oder einen Vorwurf hätte auffassen können. Nie war einem so haltlosen, wenig achtenswerten Manne eine Frau so stolz und hochgesinnt gegenübergestanden. Wenn sie ihr Los beweinte, so geschah es in der Stille der Nacht. Fünfundzwanzig Jahre alt, schön zu sein – und verlassen! Sie spielte nicht die Märtyrerin, sie trug ihr Mißgeschick klaglos und rief weder Gott noch Menschen zu Zeugen ihres Jammers an. Statt aller Rache, begnügte sie sich, noch sanfter, einfacher und reizender zu sein, als sie je zuvor gewesen. Sie trat den neugierigen und höhnischen Blicken der Welt ruhig entgegen, und ihre Haltung war eine so ausgezeichnete, daß viele an der Thatsache ihres Unglücks irre wurden, und sich die Teilnahme und Bewunderung der wenigen, die genauer unterrichtet waren, von Tag zu Tage steigerte. Ihre heitere Ruhe hielt jeden Schein der Lächerlichkeit von ihr fern und sie erschien wie verklärt durch ihr Unglück, das sie lächelnd trug, wie eine jener edlen Frauen der christlichen Legende, die in ihrem Glauben freudig ausharrten, auch unter Folterqualen. Dianas Stellung in der Gesellschaft war dagegen sehr erschüttert; daß sie dieselbe überhaupt mehr dem Einfluß Lereboulleys als ihrer Schönheit zu verdanken gehabt, ward ihr erst klar, als der Senator sie verlassen. Indessen brachte sie das nicht aus der Fassung; ihr Ursprung war so niedrig gewesen, daß ihr im Vergleich damit jede Stellung hoch erscheinen mußte. Ueberdies war sie sicher, in ihrer Hand einen Talisman zu besitzen, dem nichts widersteht – ein ungeheures Vermögen.
Um ihre Muße auszufüllen und vor allem, um Louis noch fester in ihre Fesseln zu schlagen, war sie auf den Einfall gekommen, sich in Häuserspekulationen einzulassen. Sie hatte in dem Viertel der Champs Elysées bedeutende Grundstücke erworben und begonnen, Gebäude darauf zu errichten. Louis hatte den Bauunternehmern gegenüber Bürgschaft geleistet, und da Grund und Boden Diana gehörten, die Häuser dagegen ihm, so war er geneigt, das Unternehmen für ein sehr vorteilhaftes zu halten, was er namentlich damit begründete, daß auf diese Weise der Goldregen, den er über seine Schöne ausschüttete und der in größtem Maßstabe dazu beitrug, die zu bereichern, der sich zuvor Lereboulley als verschwenderischer Jupiter gezeigt, sich nicht in nichtigen, täglichen, wachsenden Spielereien verflüchtigte. Aber durch den Abschluß dieser Verträge lief er Gefahr, große Forderungen zu bestimmten Fristen befriedigen zu müssen, und seit einiger Zeit stieß er auf große Schwierigkeiten, sich das nötige Geld zu verschaffen. Die Unternehmungen, die Lereboulley mit seinem Vater betrieben hatte und in die er als dessen Nachfolger eingetreten war, schleppten sich plötzlich nur noch mühsam hin, wie wenn ein geheimer Einfluß sie in einen magnetischen Schlummer versenkte, und der, welcher bisher so großen Vorteil aus ihnen zu ziehen verstanden, sie mit Willen vernachlässigte. Es wurden keine Gewinnanteile mehr ausgegeben, die Dividenden verringerten sich und nichts kam mehr zu stande.
Louis war über diese Stagnation ergrimmt und verkaufte eine große Anzahl Aktien. Sofort, wie von einem Zauberstabe berührt, erhielten diese neues Leben, und in kürzester Zeit wurde wieder ein schöner Gewinn erzielt. Louis mußte sich vom Augenschein überzeugen lassen, daß Lereboulley den Kampf gegen ihn mit größter Erbitterung und gefährlichen Waffen führte und daß Thauziat nicht zu schwarz gesehen hatte.
Statt aber durch diese Erfahrungen belehrt und ernüchtert zu werden, geriet er nur in heftige Erbitterung. Wenn er an Diana nicht durch die allerdings sehr starken Fesseln der Leidenschaft geknüpft gewesen wäre, so würde er sie schon aus Haß gegen Lereboulley nicht verlassen haben. Der Zweikampf zwischen den beiden Männern war ein gewaltiger, aber das Resultat konnte niemand zweifelhaft bleiben, und Louis war, indem er den Senator bekämpfte, ebenso unvernünftig wie ein Zwerg, der es mit einem Riesen hätte aufnehmen wollen. Dieser David war dem Goliath nicht gewachsen, und überdies war es Diana selbst, welche seiner Hand die Schleuder entwand.
Wie eine Spinne ihr Netz, wob sie ein Intriguengewebe und lauerte auf den rechten Augenblick, in dem sie den Mann, dessen aufrichtige Bundesgenossin sie hätte sein müssen, dessen Feindin sie aber im geheimen war, ganz und gar ins Verderben ziehen konnte. Sie befriedigte damit eine doppelte Rache: gegen den Mann einerseits, der sie verschmäht und erniedrigt hatte, als sie ihn geliebt, und gegen die Frau, die ihr einst den Gegenstand ihrer flüchtigen Laune entrissen. Indem sie ihn zu Grunde richtete, traf sie auch Helene ins Herz, und auf diese Weise hielt sie ein zweischneidig Werkzeug ihres Hasses in Händen.
Ihre Wut wurde durch den bewunderungswerten Stoizismus, den Helene zeigte, verdoppelt. Wenn Frau Hérault geweint und gewimmert hätte, würde Lady Olifaunt sich verachtungsvoll von ihr abgewendet haben. Aber Helene verschanzte sich mit triumphierendem Stolze hinter ihrer Mutterschaft, sie schien ihr Trotz zu bieten und ihr zuzurufen: Du hast mir zwar meinen Gatten genommen, aber mein Kind kannst du mir nicht entreißen.
Oft begegnete Diana, wenn sie in ihrer prachtvollen Equipage die Champs Elysées herabfuhr, Frau Hérault in ihrem einfachen Wagen, und die Blicke beider Frauen kreuzten sich dann einen Augenblick. Nicht ein einziges Mal war es die rechtmäßige Gattin Louis Héraults, welche die Augen senkte. Sie hatte zu ihrer Seite ihren Sohn, der jetzt bereits gehen konnte, und den sie mit sich in das Gehölz von Boulogne führte. Und Lady Olifaunt, die ihr alles gestohlen hatte, das Glück der Gegenwart und die Sicherheit der Zukunft, verspürte manchmal ein Verlangen, sich auf sie zu stürzen und ihr Gesicht zu zerfleischen.
Nie war Helene so schön gewesen. Der etwas herbe, stolze Ausdruck ihrer Züge hatte sich gemildert, auf ihrer hochgewölbten Stirn thronte eine sanfte Traurigkeit. Ihr scharf geschnittener, charaktervoller Mund hatte bei dem Spielen mit ihrem Kinde lächeln gelernt, und sie hatte unendlich an Liebreiz gewonnen. Es kam zuweilen vor, daß Louis, nachdem er mit seiner Großmutter und seiner Frau gespeist hatte, bei ihnen im Salon blieb, so wie in jener Zeit, wo er Helene lieben gelernt. Er setzte sich dann in die Ecke bei dem Kamin und verharrte oft lange in Schweigen, mit erstaunten Augen um sich blickend, als ob er hier ein Fremdling wäre. Die ruhige Heiterkeit und Ordnung des großen Raumes berührte ihn nach dem künstlerischen Chaos bei Lady Olifaunt wohlthuend. Er befand sich in einer friedevollen Atmosphäre, er atmete die reine und beruhigende Luft einer geregelten Häuslichkeit, die ihn nach dem Lärm der Geschäfte, dem Fieber der Spekulation und den Aufregungen einer verzehrenden Leidenschaft wahrhaft erquickte.
Eines Abends setzte sich Helene an das Klavier, und nachdem sie flüchtig eine Sammlung alter Melodieen durchblättert, sang sie mit schwacher, etwas verschleierter Stimme, aber warmer Empfindung die bekannte Romanze: »Reizendes Traumbild, Bild meiner teuren! . . .« Louis, der in seinen Fauteuil vergraben zuhörte, hatte sich nicht gerührt. Die Großmutter, welche die alten Melodieen an ihre Jugend erinnerten, steckte die langen Stricknadeln hinters Ohr, und als sie sah, daß die junge Frau das Klavier schließen wollte, rief sie in die Hände klatschend: »da capo!« Helene setzte sich lächelnd wieder an das Instrument und stimmte das berühmte Lied an: »Liebeslust währt nur kurze Frist.« Sie hatte das Lied nicht gewählt, das Buch hatte sich zufällig an dieser Stelle geöffnet, und sie hatte gesungen, was ihr in die Augen gefallen war. Aber während sie sang, ward ihr Ausdruck immer inniglicher und leidenschaftlicher, war es doch der Schmerzensschrei ihres eignen Herzens! Als die letzten Töne in der Stille verklangen, stieß sie einen Seufzer aus und erhob sich. Drei Schritte hinter ihr sah sie Louis stehen, das Haupt zurückgeworfen und totenbleich, während helle Thränen über seine Wangen rannen. Erregt, einem unwiderstehlichen Drange gehorchend, trat sie auf ihn zu, und mit ihren Augen die seinen suchend, sagte sie mit einer Stimme, die vor Mitleid bebte: »Was fehlt dir denn?«
Es zuckte um seine Lippen, als ob er sprechen wollte. Dann sagte er mit einer abwehrenden Handbewegung: »Meine Nerven sind etwas angegriffen. Ich will ein wenig frische Luft schöpfen. – Guten Abend!«
Als er gegangen war, setzten sich die beiden Frauen an ihre Arbeit. Aber Helene war weniger traurig als gewöhnlich. Es war ihr, als hätten diese Thränen den Bann, der auf Louis' Herzen lag, etwas gelöst, einen Teil der Sünde fortgeschwemmt. Ach, wenn sie hätte ahnen können, wie sehr dieses Herz gemartert war, sie hätte ihm alles verziehen, was sie um ihn gelitten hatte.
Einige Tage darauf wurde ihr der Schleier, hinter dem sich der letzte Akt des Kampfes, in den sie verwickelt war, abspielte, einigermaßen gelüftet. Emilie, die sich im Mittelpunkt des feindlichen Lagers befand, sagte zu ihrer Freundin: »Hat dein Mann schon seit langer Zeit die Prokura für seine Großmutter?«
»Ich weiß nichts davon; warum?«
»Weil er soeben eine Hypothek von zwei Millionen auf die Grundstücke aufgenommen, die ihr Eigentum sind, und für eine sehr bedeutende Summe Eisenbahnaktien verkauft hat.«
»Er hat das Recht, zu handeln, wie er will. Er ist Herr über dieses Geld!«
»Er hat aber nicht das Recht, seine Großmutter zu ruinieren, ohne daß sie eine Ahnung davon hat, und sie Gefahr laufen zu lassen, eines schönen Morgens vom Gerichtsvollzieher auf die Straße gesetzt zu werden. Ich weiß, was vorgeht. Dein Mann ist toll geworden. Er geht mit Riesenschritten seinem finanziellen Ruin entgegen, und wird euch alle an den Bettelstab bringen. . . . Du mußt mit ihm sprechen und versuchen, irgend welche Maßregeln gegen diese Verschwendung zu treffen.«
»Niemals!« rief Helene mit fester Stimme. »In Bezug auf inneres Leben ringe ich nach Einfluß, in Bezug auf materielle Dinge will ich keinen haben! Soll es den Anschein gewinnen, als ob ich mir Sorgen um das Gold mache, während ich nur an mein vernichtetes Glück denke? Soll ich mich dem aussetzen, daß Louis mir Garantieen für unser Vermögen bietet, während ich mein Leben hingeben würde, wenn er mir Pfänder seiner Reue gäbe! Darein kann ich nicht willigen. Arm bin ich in dieses Haus gekommen – was gilt es mir, ob ich es arm wieder verlasse!«
Sie sann einen Augenblick schweigend nach.
»Ich hasse dieses Geld, welches die Quelle aller meiner Leiden ist,« fuhr sie dann fort. »Wenn Louis sein Vermögen verloren haben wird, muß er zur Vernunft und Arbeit zurückkehren! O Gott! Wenn das Elend ihn mir widergibt, so werde ich es segnen!«
Emilie sah die junge Frau bewundernd an. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Wenn du es mit einem Manne zu thun hättest, ja dann würde dein Hochsinn große Erfolge haben . . . in diesem Falle wirst du kein Verständnis für deine Natur finden. Wenn Louis seine Hilfsmittel erschöpft sieht, so ist er im stande, einen Gewaltstreich zu begehen. . . . Er wird sich von Lady Olifaunt entführen lassen.«
»Ich werde ihn zurückzuholen wissen!«
»Und wenn sie, anstatt ihn zu entführen, ihn verläßt, und er in einem Moment der Entmutigung –«
Helene erbleichte, aber sie erwiderte energisch: »Ich werde ihm auch diesen Entschluß an den Augen ablesen. Er kann mir nichts verbergen!«
»Nimm dich in acht! Du spielst ein furchtbares Spiel!«
»Kann ich anders handeln? Ich bin es wahrhaftig nicht, die es begonnen hat, aber ich werde meine Rolle zu Ende führen ohne Wanken, Der Himmel wird mich nicht verlassen.«
Wie Emilie gesagt hatte, war die Lage für Louis sehr kritisch geworden. Von Woche zu Woche schloß sich der Ring enger und enger um ihn. Verzweifelt über den Widerstand, dem er bei all seinen Versuchen begegnete, wehrte er sich mit der verzweifelten Hartnäckigkeit eines Spielers. Einen Augenblick hatte Thauziat Mitleid mit ihm und versuchte Lereboulley umzustimmen. Aber der dicke Mann hatte einen solchen Haß gegen Louis, daß er selbst für den einzigen, der, nachdem Diana nicht mehr Herrscherin war, wirklichen Einfluß auf ihn hatte, in diesem Falle unzugänglich war. Er geriet in Wut und rief mit einer bei ihm äußerst ungewöhnlichen Heftigkeit: »Sind Sie verrückt, nach alledem, was er Ihnen angethan, Fürsprache für ihn einlegen zu wollen? Rächen Sie sich an ihm! Oder vielmehr lassen Sie mich ungestört handeln; ich verpflichte mich, diesen hübschen Jungen so zu Fall zu bringen, daß man nie mehr von ihm sprechen hören wird. . . . Der Tausend! Es wird angenehm sein, seine Frau, wenn sie verlassen oder Witwe wird, zu trösten. . . . Sie hat genug Drangsal auszustehen gehabt, sie wird nicht allzu anspruchsvoll sein.«
Thauziat erwiderte nichts. Er war bereits mehr als halb gewonnen für diese niederträchtige Sache, die ihm Helene in die Arme werfen mußte, und ließ, nach Lereboulleys Rat, den Dingen ihren Lauf, obwohl er sich im stillen bewußt war, daß Louis auch jetzt noch zu retten gewesen wäre, wenn er sein ganzes Gewicht für ihn in die Wagschale geworfen hätte. Emilie, welche diese moralische Niederlage Thauziats mit ansehen mußte, war tief traurig, den von seiner Höhe herabsinken zu sehen, den sie stets über alle andern Männer gestellt hatte. Sie beschloß, sich mit ihm darüber auseinanderzusetzen, und sagte eines Abends zu ihm: »Ist's lange her, daß Sie Louis nicht begegnet sind?«
Er erschrak unwillkürlich.
»Sehr lange!« erwiderte er.
»Sie gehen also nicht mehr zu Lady Olifaunt?«
»Fast gar nicht mehr!«
»Es würde Sie wohl zu traurig stimmen, den armen Jungen so in sein Verderben rennen zu sehen.«
Er schwieg, warf aber einen durchdringenden Blick auf sie.
»Sie haben ihn einst aus Freundschaft für mich von einer Unbesonnenheit zurückgehalten,« begann sie wiederum. »Wenn Sie heute nur wollten, würden Sie das ein zweites Mal thun können. . . . Mit einem Worte könnten Sie das Treiben meines Vaters brachlegen! Mit einer einzigen Handbewegung könnten Sie die finanzielle Maschine zum Stehen bringen, welche den Unglücklichen mit ihren Rädern gefaßt hat. . . . Wollen Sie das nicht thun?«
Er schwieg noch immer. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit fester Stimme: »Thauziat, sind Sie nicht mehr der ehrliche Mann, den ich liebte?«
Er brach in ein schreckenerregendes Lachen aus, und sein Gesicht verriet plötzlich, wie sehr die Leidenschaft ihn zerwühlt und verzehrt hatte.
»Nein,« sagte er, »ich bin dieser Mann nicht mehr.«
»Und was hat Sie so verwandelt?«
»Die Liebe zu einem Weibe! Ich habe genug darunter gelitten, daß ich Ehrbegriffen treu bleiben wollte, die nur für mich vorhanden zu sein scheinen. Soll mir Louis etwa heilig sein, weil er mir die gestohlen, die ich liebte? Sie rufen meine Ritterlichkeit zu seinen Gunsten an! Ich soll mir das Herz aus dem Leibe reißen, um den zu retten, der mich so grausam getroffen! Aber, werden Sie mir sagen, er ist mein Freund, mein Bruder, und ich verrate ihn und stoße ihn in den Abgrund! Also bin ich ein Unwürdiger, ein Ehrloser? Und was ist er denn? Diese Frau, über deren Verlust ich mich nicht zu trösten vermag, ist sein eigen, und er hintergeht sie – ein ehrenwerter Gatte, nicht wahr, gegen den man freilich besonders rücksichtsvoll sein muß! Er hat ein entzückendes Kind, das die Freude seines Lebens sein müßte, die Hoffnung seiner Zukunft . . . und er ist auf dem besten Wege, dasselbe einer Dirne zuliebe an den Bettelstab zu bringen – gewiß, solch ein bewunderungswerter Vater ist es wert, daß man ihm gegen seine eigne Tollheit zu Hilfe kommt! Diesem Menschen ist alles zu teil geworden, was das Leben an Glück bietet, er hat es in den Schmutz getreten, er hat gefrevelt an jeder Pflicht, er hat weder Achtung für die Mutter, noch Liebe für sein Kind. Und ich soll mich verpflichtet fühlen, ihm gegenüber Tugenden zu üben, die seiner Seele fremd und unverständlich sind? Ich sollte ihn der Gefahr entreißen, in die ihn seine eignen Fehler gestürzt? . . . Das wäre Wahnsinn! Mag er unterliegen, da er weder klug genug war, den Kampf zu meiden, noch tapfer genug, ihn zu bestehen!«
Seine Aufregung hatte sich während des Sprechens mehr und mehr gesteigert, seine hohe Stirn hatte sich mit brennender Röte bedeckt. Seine Augen warfen finstere Blitze und sein Mund krampfte sich in erschreckender Ironie zusammen. Er schien Emilie von einer satanischen Schönheit, als er alles, was Edelmütiges in seinem Herzen war, wie eine nutzlose Last über Bord warf und sich vermessenen Sinnes Thaten rühmte, die er im Grunde seines Gewissens verdammen mußte.
»Also Sie kämpfen gegen ihn?« fragte Emilie.
»Ja« rief er laut aus.
»Gut denn, Thauziat. . . . Ich sage Ihnen, Sie werden in diesem Kampfe unterliegen, denn auf seiner Seite kämpft, was Sie ins Verderben gestürzt hat, die Liebe eines Weibes.«
»Wir werden sehen.«
Emilie gab die Hoffnung noch nicht auf, sondern wandte sich, nachdem ihre Versuche bei Thauziat und Helene gescheitert waren, an Louis selbst.
»Du weißt,« sagte sie zu ihm, »daß ich nicht unnötig Lärm schlage. Aber dein Vorgehen erschreckt mich. . . . Du machst Seiltänzerkunststücke auf einem Goldfaden, und hast nicht einmal die Balancierstange bei dir . . . es ist höchst wahrscheinlich, daß dir das den Hals kosten wird.«
»O, nicht doch,« erwiderte er heiter, »jetzt riskiere ich nichts mehr. . . . Ich setze alle meine Hoffnung auf das große Geschäft, an dessen Spitze dein Vater steht. . . . Und das ist doch ein sicheres Unternehmen. . . . Du wirst das Mißtrauen nicht so weit treiben, zu glauben, daß er auch dieses zu Falle bringen wird, um mir einen schlechten Streich zu spielen.«
»Ich weiß nichts davon und will nicht untersuchen, was möglich oder unmöglich ist . . . Aber ich bitte dich, beschränke dich auf deine industrielle Mitwirkung und spekuliere nicht in Aktien. Wer weiß, was kommen kann!«
»Aber ich weiß, daß ein Bankier sich nicht selbst ruinieren wird, nur um einen Konkurrenten oder einen Feind zu Grunde zu richten. Dein Vater hat ein ungeheures Kapital in das Kabelunternehmen gesteckt.«
»Ist man denn je darüber im klaren, wieweit er an einer Sache beteiligt ist? Er ist sehr vorsichtig und steht auf sicheren Füßen. . . . Und er haßt dich gründlich. . . . Sieh dich vor!«
»Dank für deine Teilnahme. Aber ängstige dich nicht, es ist nichts zu befürchten!«
In der That schienen hinsichtlich des Kabelunternehmens keine Besorgnisse nötig. Dasselbe war in der Kammer ohne den mindesten Widerstand bewilligt worden, und Louis erwartete nur noch den Ausspruch des Senates, um sich gründlich an der Haussespekulation zu beteiligen und in wenigen Tagen das Geld zu gewinnen, dessen er dringend bedurfte. Nur mit Hilfe von Abschlagszahlungen hatte er bisher die Bauhandwerker, welche die Häuser auf den Diana gehörigen Grundstücken im Viertel der Champs Elysées errichtet, zum Warten bewegen können. Die Häuser stiegen bereits aus der Erde hervor, und Sir James, der plötzlich das Baufieber bekommen, wich nicht von der Baustelle und forderte unaufhörlich von Hérault, den er »mein lieber Compagnon« anzureden pflegte, Geld für die Handwerker.
Er hatte jetzt das Auktionshaus und die Kuriositätenhändler vergessen. Die ungeheuren Steinhaufen, die eine ganze Straße bildeten, waren momentan in seinen Augen die wichtigsten Luxusgegenstände und viel wertvoller als Sèvresporzellan und geschnitzte japanische Elfenbeinwaren. Aergerlich, daß er den Anforderungen der Bauunternehmer nicht nachkommen konnte, fuhr Louis nicht selten Sir James mürrisch an; aber es gelang ihm nicht, ihn los zu werden. Der Gatte Dianas nahm dann gewöhnlich die traurige Miene eines Mannes an, dessen Vertrauen man mißbraucht, und sprach oft ganze Abende hindurch kein Wort. Das wäre an und für sich erfreulich gewesen, wenn nicht die treue Bundesgenossin Louis mit zärtlichen Vorwürfen überhäuft hätte.
Eines Abends beging Louis, der die ewigen Nörgeleien gründlich satt hatte, die Unvorsichtigkeit, zur Beruhigung seiner etwas bedenklich werdenden Freunde, Sir James die Pläne auseinanderzusetzen, welche er auf die Emission der Kabelaktien begründet hatte. Diana billigte dieselben höchlichst, und ihr Gatte pflichtete ihr vollkommen bei. Unglücklicherweise wollte es der Zufall, daß Sir James tags darauf, als er sich auf die Bauplätze begab, Lereboulley in den Champs Elysées begegnete. Mehreremal schon hatte er diesem sein Bedauern ausgedrückt, ihn nicht mehr in der Avenue Gabriel zu sehen. Lereboulley hatte ihm mit großer Bitterkeit erwidert, daß Lady Olifaunt ihm ihr Vertrauen entzogen, und daß er deshalb nicht mehr in ihrem Hause verkehren könne. So oft die beiden Männer sich seither an drittem Orte trafen, sprach der eine von Diana, der andre von den Bauten, was ein ergötzliches Duett ergab, aber immer zu dem Schlußsatz führte, daß Louis Hérault nicht die Mittel besäße, um die Sache zu einem glücklichen Ende zu führen, aber daß Diana keinerlei Gefahr liefe, da die Grundstücke ihr Eigentum wären.
Diesmal war es Lereboulley selbst, der zuerst auf die Bauten zu sprechen kam, und sofort erging sich Sir James in langen technischen Auseinandersetzungen über das Fortschreiten derselben.
»Ja, aber wie steht es mit den Zahlungen?« sagte der Senator.
»Herr Hérault wird demnächst alles ins reine bringen. Er hat eine Finanzoperation eingeleitet, von der er große Ergebnisse erhofft.«
»Ah,« sagte Lereboulley, die Ohren spitzend, denn er hatte seit mehreren Wochen zu seinem großen Aerger bemerkt, daß Louis sich nicht mehr an dem Börsenspiel beteiligte.
»Ja, er wartet nur auf die Ausgabe der Kabelaktien.«
»Da hat er recht,« sagte der Senator, dessen Stimme vor Erregung zitterte. »Das ist ein ausgezeichnetes Geschäft.« Und nachdem er Sir James die Hand gedrückt, entfernte er sich nach der Richtung der Boulevards zu.
So war er denn von den Plänen Louis' durch eine Indiskretion dessen unterrichtet, der an ihrem glücklichen Ergebnisse so stark beteiligt war. Während des Gehens dachte er nach. Er wollte seinen Feind in seiner Gewalt haben. Noch wußte er nicht, wie er ihn treffen solle, aber er war entschlossen, den entscheidenden Schlag zu thun. Es mußte der letzte Gang in dem Zweikampf zwischen ihnen sein, und der entscheidende.
Am nächsten Tage sollte Lereboulley das Wort im Senat ergreifen, um die Annahme des Kammerbeschlusses zu erlangen. Einen Augenblick dachte er daran, den Abschluß der Angelegenheit zu verzögern und den Antrag zu stellen, die Vorlage erst einen Monat später auf die Tagesordnung zu setzen. Auf diese Weise würde die Geldklemme, in der Louis jetzt schon steckte, in die Länge gezogen, und er hätte begründete Aussicht, ihn unter der Last, die er sich aufgebürdet, zusammensinken zu sehen. Aber es befriedigte ihn nicht, mit so kleinen, leisen Schritten zum Ziele zu gelangen – er wollte einen unmittelbaren und schnellen Schlag führen, der seinen Mann auf der Stelle niederstreckte. In seinem erfinderischen Geiste tauchte ein andrer Plan auf, dessen Ausführung sehr einfach war und der schreckliche Folgen für Louis haben mußte, wenn er glückte. Und er mußte glücken. Der Senator trat in die Börse ein, sprach einige Augenblicke mit seinem Agenten und begab sich dann in seine Büreaus.
Größer noch als der Eifer, mit dem Lereboulley die Katastrophe vorbereitete, war die Angst, mit der Louis den Ausgang der Kabelaffaire erwartete. Das war sein letzter Trumpf. Wenn das Glück ihm hierbei hold war, so war er vollständig gesichert und brauchte nichts mehr zu fürchten. Wenn dagegen dieses Wagnis fehlschlug, so mußte er scheitern, und keine Rettung war mehr möglich. Von dem Vermögen, das er besessen, würde ihm nichts bleiben, als armselige Trümmer, die überdies seiner Großmutter gehörten, Landhaus und Park in Boissise, die nur Geld kosteten, statt etwas einzubringen, und das Vermögen, das vertragsmäßig Helene zugesprochen war und das die Zukunft seines Kindes darstellte. Ob er das Spiel wagen sollte oder nicht, war nicht mehr zu überlegen, er konnte nicht mehr zurück. Wenn er die Bauunternehmer nicht weiter bezahlte, jetzt, wo die Bauten fast zur Hälfte ausgeführt waren, so mußten die halbfertigen Häuser, die so viel gekostet, zu niedrigen Preisen verkauft werden, und alles war verloren. Er mußte alles auf diese eine Karte setzen, gewann er, so war er gerettet.
An dem Tage, an welchem die Senatssitzung stattfand, in der die Frage endgültig entschieden werden sollte, war Louis bei Lady Olifaunt. Sie sprachen natürlich von Geschäften, denn wenn die verführerische Diana nicht schlief, um ihre Augen und ihren Teint zu erfrischen, beschäftigte sie sich gern mit ernsthaften Dingen. Sir James trat, ohne sich anmelden zu lassen, was eine außerordentliche Aufregung seinerseits verriet, ins Zimmer seiner Frau und rief gleich beim Eintritt: »Die Sache ist durchgegangen im Senat. . . . Lereboulley sprach ausgezeichnet.«
»Sie haben der Sitzung beigewohnt?«
»Ja, ich hatte Gelegenheit, Eintritt zu erlangen, und da mich die Angelegenheit näher anging, ließ ich für heute die Bauten im Stich. Lereboulleys Rede hat großen Eindruck gemacht. Er hat eine Subvention für die Gesellschaft herausgeschlagen und wurde bei einer patriotischen Phrase lebhaft beklatsche. Ich war sehr zufrieden mit ihm.«
Er hielt inne, plötzlich bemerkend, daß das Lob Lereboulleys ein Schweigen heraufbeschworen. Aber er war nicht der Mann, seine Freunde aufzugeben, um sich den »Freunden« seiner Frau gefällig zu erweisen, und zog sich mürrisch zurück. Darauf erhob sich Diana von dem Diwan, auf dem sie hingestreckt gelegen, und schlang ihre Arme um Louis' Nacken.
»So ist's also entschieden! Wir wagen die große Spekulation?«
»Ja – es ist entschieden!«
»Und wann das?«
»Sobald sich die Haussebewegung kundgeben wird.«
Beide blieben noch eine Stunde zusammen. Wer sie in ihrer Jugend und Schönheit so bei einander gesehen hätte, Hand in Hand und Auge in Auge, hätte gesagt: Das sind zwei Wesen, die sich anbeten und die von ihrer Liebe sprechen. Wenn er aber näher hingehört hätte, würden nur die Worte Report, Courtage, Prämien und ähnliche sein Ohr getroffen haben. Diese Liebenden unterhielten sich wie zwei Börsenjobber, deren einzige Beschäftigung nicht die Liebe, sondern die Sorge war, Geld zu gewinnen. Um dahin zu gelangen, hatte Louis Helene verraten.
Zu Ende der Woche kündeten an allen Ecken von Paris große gelbe Plakate die Ausgabe der Aktien des transatlantischen Kabels an, und die Börsenblätter machten großartig Reklame für das Unternehmen, das auch in der übrigen Presse in günstigem Sinne besprochen wurde. Es hieß einstimmig: Die Sache liegt nicht in den Händen von Schwindlern, sondern von vertrauenswürdigen Geschäftsmännern, und der Name Lereboulleys allein war eine genügende Bürgschaft für das Publikum.
Louis befand sich während dieser acht Tage in fieberhafter Aufregung. Er sprach hastig und viel, oder versank in vollständiges Schweigen, offenbar von ernsten Sorgen in Anspruch genommen. Eines Morgens kündigte er ganz unerwartet beim Frühstück seiner Großmutter und seiner Frau an, daß er nach England reisen müsse. Er fuhr noch am selben Abend, nachdem er zu Hause ausdrücklich anbefohlen, unter keinem Vorwand jemand den Zweck seiner Reise mitzuteilen, nach Calais. Sein Plan war sehr einfach: Da er nicht wagte, alle seine Aufträge seinem Pariser Börsenagenten zu geben, in der Furcht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sein Manöver zu lenken, und da er aus ähnlichen Gründen nicht nach London telegraphieren wollte, zog er es vor, in eigner Person dorthin zu reisen. Die englische Spekulation mußte seiner Berechnung nach über die neuen Aktien herfallen und sie so zum Steigen bringen.
Vier Tage, nachdem er abgereist war, fiel Emilie, als sie im »Figaro« den Bericht über eine Ausstellung suchte, eine Notiz auf, die folgendermaßen gefaßt war: »Man erzählt in hohen Kreisen, daß eine in der Bildung begriffene Gesellschaft, an deren Spitze eine unsrer finanziellen und politischen Größen steht, der Gegenstand so besorgniserregender Manöver seitens einer Gruppe englischer Spekulanten ist, daß eine Interpellation in der Kammer stattfinden wird, um die Zurückziehung der vom Staate bewilligten Subvention zu beantragen. Frankreich, schon einmal in der Suezkanalfrage getäuscht, ist nicht reich genug, um sich auf Unternehmungen einzulassen, welche zu guterletzt nur die Kapitalisten Englands bereichern.« Und zwei Zeilen tiefer las sie: »Man kündigt die Reise des Herrn Lereboulley nach Rom an. Der hervorragende, einflußreiche Geschäftsmann will mit der italienischen Regierung die Bedingungen für eine Anleihe feststellen, welche durch die Ausdehnung der Kolonialpolitik notwendig geworden ist.«
Emilie erkannte sofort, wie die Sache stand. Durch die erste Notiz erschütterte man das Vertrauen, welches die Subskribenten auf das Kabelunternehmen setzten – denn von diesem und keinem andern konnte die Rede sein! – und mittels der zweiten gab man sehr deutlich zu verstehen, daß Lereboulley sich nicht mehr mit der Sache befaßte, da er kurz vor der Aktienausgabe sich nach Italien begab. Erschreckt suchte das junge Mädchen unter den Börsennotizen, und wie mit Flammenlettern gedruckt, sprangen ihr die Worte in die Augen: »Rückgang der Aktien des transatlantischen Kabels um hundert Franken.« Sofort hatte sie die innere Gewißheit, daß Louis bei den neuen Aktien à la hausse engagiert war, und daß die Baisse, deren Folgen und Ursachen sie gleichzeitig erkannte, gegen ihn gerichtet war. Sie eilte zu ihrem Vater, entschlossen, ihn auszuforschen, ihn anzuflehen und ihren ganzen Einfluß über ihn aufzubieten, um ihn günstiger gegen Louis zu stimmen. Sie fand Lereboulley nicht; er war ausgegangen und hatte hinterlassen, daß er nicht vor Tisch heimkehren würde.
Sie ließ anspannen und fuhr zu Frau Hérault. Dort wußte man von nichts. Ein Brief Louis', der durchaus keine Befürchtungen verriet, war eingetroffen; er kündigte in demselben seine Rückkehr an. Fräulein Lereboulley wollte Helene nicht unnötig aufregen, indem sie ihr Befürchtungen über eine Katastrophe mitteilte, deren Eintritt sie doch nicht zu hindern vermochte. Sie verließ sie deshalb, ohne ihr irgend eine Andeutung gemacht zu haben.
Am nächsten Morgen suchte sie ihren Vater in seinem Zimmer auf. Der Senator saß frisch rasiert vor einem Tischchen, auf dem in silbernem Service sein Frühstück stand, und trank eine Tasse Thee, bevor er sich nach der Rue Lepelletier begab. Als er seine Tochter eintreten sah, ging er ihr entgegen, und sein wohlgenährtes Gesicht verklärte sich.
»Wie – du?« rief er, sie an sich ziehend und küssend. »Was hat das zu bedeuten? Denn für gewöhnlich suchst du mich nicht so früh auf.«
Zu jeder andern Zeit würde Emilie ihren burschikosen Ton angeschlagen und Lereboulley erwidert haben: »O Papa – das ist leicht erklärlich, weil du um diese Zeit meistens noch nicht zu Hause bist . . .« Aber sie war heute nicht in der Laune, zu scherzen, sondern ging geradeswegs auf ihr Ziel los, indem sie sagte: »Du sollst mir erklären, was vorgeht. . . . Ich habe gelesen, daß die Aktien der Kabelgesellschaft um hundert Franken gesunken sind. Was soll das heißen?«
Der Senator entledigte sich rasch seines Schlafrockes, zog sein Jackett an und wandte sich dann mit lachendem Gesichte an seine Tochter: »Wie, über Börsengeschäfte willst du mich ausfragen, Emilie? Was kann dich das interessieren, meine teure Kleine? Bleibe doch auf deinem künstlerischen Gebiet, mein Herz, da bist du viel besser an deinem Platze!«
»Nein, Vater, du mußt mir sagen, was dieser unerwartete Rückgang der Aktien zu bedeuten hat.«
»Manöver, Intriguen der Syndikate . . . was weiß ich, sicher nichts Ernstes!«
»Aber die Zeitungsartikel, in denen man zu verstehen gibt, daß du die Sache fallen läßt?«
»Lächerliche Enten, wie alles, was die Presse veröffentlicht. Die Wahrheit wird schon an den Tag kommen, und die Aktien werden wieder bis zu dem ihnen zukommenden Preise steigen!«
»Inzwischen sind dann diejenigen, welche durch die Baisse getroffen werden, ruiniert?«
»Ganz gewiß! . . . Aber was willst du? Das ist nun einmal das Ergebnis der Schlachten unter Börsenleuten, wie Wunden und Tod das Resultat der Schlachten unter Soldaten sind . . . Vae victis! das ist das Losungswort eines jeden Krieges!«
Emilie ging einen Schritt auf ihren Vater zu und sagte sehr ernst: »Kannst du mir dein Ehrenwort geben, daß Louis Hérault nicht zu diesen Besiegten gehört?«
Plötzlich nahm Lereboulleys Gesicht einen Ausdruck an, der seine Tochter in Schrecken setzte, dann sagte er mit einer Härte des Tones, die sie an ihm nicht kannte: »Ho, ho, mein Kind, du siehst scharf und hast die Situation erkannt! Du bist um deinen Kameraden besorgt, und du fragst mich nach seinen Aussichten? So höre denn! Er hat es gewagt, mich anzugreifen, und ich habe ihn zu Boden geworfen, wie ich alle die besiegen werde, die sich erdreisten, seinem Beispiele zu folgen.«
»Und seine Großmutter, seine Frau und sein Kind?«
»An die zu denken, war seine Sache.«
»Weil er schändlich gehandelt, ist das ein Grund für andre, ein Gleiches zu thun?«
»Meine Tochter, du vergißt, zu wem du sprichst!«
»O – wie gern möcht' ich es vergessen!«
Bei diesen Worten, in denen eine Welt von Traurigkeit und Schmerz lag, erbleichte Lereboulley und geriet sichtlich in tiefe Bewegung, Er näherte sich Emilie, zog sie an sein Herz und sagte: »Emilie, mein teures Kind, ich bitte dich, nimm in diesem Kampfe nicht seine Partei und beurteile mich nicht nach dem äußeren Schein. Du weißt, wie ich dich liebe. . . . Das, was du da eben gesagt, hat mich im tiefsten Herzen verwundet! Laß nichts sich zwischen uns drängen, weder Mißtrauen noch Groll. . . . Halte dich diesen schrecklichen Intriguen fern . . . Setze nicht den Fuß in diesen Schmutz, du würdest dich ganz unnötigerweise besudeln. . . . Ich bin kein böser Mensch, das weißt du, und ich würde niemand, wer es auch immer sei, aus bloßer Schadenfreude unrecht thun. – Aber dieser Louis hat sich gegen mich in gemeinster Weise vergangen! er hat mich beleidigt und gedemütigt, er hat mir den größten Schmerz meines Lebens zugefügt. . . . Er ist deines Mitleids unwürdig . . . Wenn du wüßtest . . . Aber du weißt, ich sehe es ja, und du bittest auch nur für die Seinigen. Nun wohl! Für diese thue ich alles, was du nur wünschen kannst. Ich werde nie vergessen, welche Beziehungen zwischen uns bestehen, daß sie alte Freunde sind. Ich werde ihnen ein neues Vermögen schaffen, das verspreche ich dir. Aber was ihn betrifft, er soll und muß die Schwere meines Armes fühlen, ich will meinen Fuß auf seinen Nacken setzen, oder nicht mehr Lereboulley heißen!«
Er hatte seine Tochter auf seine Kniee gezogen, küßte und liebkoste sie und suchte sie zu überzeugen. Sie berechnete indessen kühl und klar die Tragweite von alledem, was sie soeben gehört hatte.
»Ich hin reich,« sagte sie, sich erhebend, »das Erbe, das mir meine Mutter hinterlassen, ist nicht unbeträchtlich. . . . Ich bin mündig und frei und kann Louis helfen.«
»Nein, mein Herz, dazu reicht dein Vermögen nicht aus; du würdest es opfern, ohne ihn damit retten zu können,« erwiderte Lereboulley. »Alles, was er gekauft hat, habe ich verkauft. . . . Ich liefere, und er muß zahlen, oder – springen!«
»Mein Gott, mein Gott . . . wo ist er nur, was thut er?« rief Emilie verzweifelt. »Wenn er zum Aeußersten seine Zuflucht nähme, wenn er sich eine Kugel vor den Kopf schießt! – Welch eine Last auf unsern Gewissen!«
»Der – und Selbstmord!« rief Lereboulley und brach in ein lautes Gelächter aus. »Was für ein Einfall! . . . Du fragst, wo er ist? Solltest du das wirklich nicht wissen? Er ist gestern aus London zurückgekehrt und bei Lady Olifaunt abgestiegen, ohne bis jetzt ihr Haus verlassen zu haben.«
Emilie senkte finster den Kopf. Jetzt verzweifelte sie selbst an seiner Sache. »Wie kann ich da helfen?« fragte sie schließlich.
»Sorge, daß er in sein Haus zurückkehrt, und sieh, daß er dort bleibe!«
Emilie stieß einen Seufzer aus und entfernte sich ohne ein Abschiedswort für ihren Vater.