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Lereboulley gab, obgleich ihm selbst die Musik verhaßt war, seiner Tochter zu Gefallen jedes Jahr zwei oder drei Konzerte in den luxuriösen Salons seines Hotels. Emilie, die eine umfassende musikalische Bildung besaß und eine fanatische Verehrerin Wagners war, hatte viel dazu beigetragen, die wunderbaren Werke des Meisters in Paris einzuführen. Nachdem sie alles hatte zur Aufführung bringen lassen, was man vernünftigerweise dem französischen Geschmack von dieser großartigen, schönen, aber strengen Musik zumuten konnte, beschränkte sie sich jetzt darauf, junge talentvolle Musiker zu patronisieren, welchen es trotz ihrer Befähigung nicht gelingen wollte, ihre Werke aufgeführt zu sehen. Die Ausführung dieser Schöpfungen junger Meister war einem Eliteorchester anvertraut; die hervorragendsten Sänger übernahmen die Solopartien, und diese Soiréen, die ihresgleichen in Paris nicht hatten, versammelten überaus zahlreiche Gäste in den Räumen des Lereboulleyschen Hauses.
Das erste Konzert in diesem Jahre sollte der Aufführung von Fragmenten des »Manfred«, einer Oper Lucian Wordlers, gewidmet sein, aus welcher Lady Olifaunt im vergangenen Winter mit großem Erfolg eine reizende Berceuse in den Pariser Salons gesungen hatte. Da Frau Hérault wußte, daß Diana an dem jungen Komponisten lebhaften Anteil nahm, war sie gewiß, daß sie diesmal in die Lage kommen würde, ihr zu begegnen. Dennoch hätte sie beinahe nochmals eine Enttäuschung erlebt.
Der kleine Pierre, der nach gesunder Kinder Art immer lustig und vergnügt war, erwachte an diesem Morgen verdrießlich, und von heftiger Unruhe ergriffen, hatte Helene sofort zum Arzte gesandt, welcher aber erklärte, daß kein Grund zur Aufregung vorhanden sei, indem das leichte Unwohlsein einzig von den Zähnen herrühre, die mit ihren weißen Spitzen das rosige Zahnfleisch des Kleinen durchbrachen . . . das war alles. Helene bestellte trotz dieser beruhigenden Versicherung den Friseur ab und schien entschlossen, nicht zu Lereboulley zu gehen. Nachdem das Kind aber gegen acht Uhr abends nach ruhig verbrachtem Tage sanft und friedlich eingeschlafen war, änderte die junge Frau ihren Entschluß. Ihre Sorge war vollkommen beseitigt, sie erklärte ihrem Gatten, daß ihre Jungfer sie ganz ebensogut frisieren könne, wie der Haarkünstler, und gab Befehl, alles für ihre Toilette vorzubereiten. Louis machte zwar einen schüchternen Versuch, sie von ihrem Beschlusse abzubringen, verlor aber, da er bei Helene auf einen energischen Widerstand stieß, bald den Mut zu weiteren Einwendungen und fügte sich seufzend in das Unabwendbare.
Es war bereits elf Uhr, als sie ankamen. Der erste Teil des Konzertes hatte schon begonnen; Talazac sang eben mit Fräulein Isaac ein sehr schönes Notturno. Emilie, die in dem kleinen Salon saß, erhob sich, als sie Herrn und Frau Hérault eintreten sah, mit einem Zeichen des Erstaunens und ging ihnen entgegen.
»Mein kleiner Junge befindet sich, Gott sei Dank, wieder ganz wohl!« sagte die junge Frau, »und deshalb habe ich darauf bestanden, zu kommen.«
Emilie machte mit einem von Helene nicht bemerkten Wink Louis auf Lady Olifaunt aufmerksam, die in der ersten Reihe saß. Gleichzeitig entdeckte Helene die Engländerin in ihrer strahlenden, siegesgewissen Schönheit, und sie ward ein wenig bleich. In einer schwefelfarbigen Tüllrobe, die Schleppe mit jenen schönen gelben, »Goldtraum« genannten Rosen besetzt, war die lichte Blondine in der That entzückend schön. Das tief ausgeschnittene Kleid zeigte den blendend weißen Nacken und die wundervollen Schultern. Diamanten funkelten in ihren Haaren, und ihre Hand bewegte einen großen, mit prachtvollen Federn geschmückten Schildpattfächer nachlässig hin und her. Wie durch einen magnetischen Einfluß dazu gezwungen, wandten sich die Augen Dianas gerade in diesem Augenblick von den Künstlern ab und begegneten denen Helenes. Beide Frauen tauschten einen Blick aus; Diana lächelte und winkte den Neuangekommenen graziös mit ihrem Fächer einen Gruß zu. Frau Hérault neigte zum Gegengruße ernst das Haupt. Endlich also stand sie dieser Frau, auf die sie ihren Argwohn geworfen, von Angesicht zu Angesicht gegenüber, endlich war es ihr gelungen, sie mit Louis zusammen zu sehen, beide zu beobachten und aus dem Tone ihrer Worte und dem Ausdruck ihrer Züge ihr Geheimnis zu entziffern.
Aber sie hatte ihre Rechnung ohne Emilie gemacht, die sie geschickt zu einer Gruppe von Frauen führte, in deren Mitte sie Helene wie in eine Citadelle einzuschließen gedachte. Lereboulley war, nachdem er Hérault begrüßt, auf Helene zugetreten, und Louis hatte den Augenblick benutzt, um sich unter der Menge von Herren zu verlieren, die feierlich und gelangweilt alle Thüreingänge des Saales besetzt hielten und so weit als möglich von der Musik entfernt unter dem vorgehaltenen Claquehut gähnten.
Er hatte Thauziat und Sir James getroffen, sich aber eilig von ihnen losgemacht, um sich durch einige geschickte Manöver einen Platz zu erobern, von dem aus er Diana bewundern konnte, ohne von Helene gesehen zu werden, und sich im stillen an dem Bewußtsein zu weiden, daß diese Frau, auf welche sich aller Blicke begehrend richteten, sein eigen sei. Er hörte um sich herum die Leute von ihrer Schönheit in flüsterndem Tone sprechen, und brennendes Verlangen nach ihr erfüllte sein Herz. Sie hörte mit unschuldiger Miene den Sängern zu, ohne ihre Aufmerksamkeit ablenken zu lassen, stimmte begeistert in den lauten Beifall ein und schien einzig und allein in Musik zu schwelgen. Indessen wußte sie sehr genau, was um sie her vorging, und hatte rasch das Haupt gewandt, um Louis einen Blick zuzuwerfen. Ihren Fächer nachlässig an die Lippen drückend, sandte sie ihm einen Kuß zu, dann widmete sie wieder ihre volle Aufmerksamkeit der Musik. Sie fühlte, daß Helene sie beobachtete, und der Blick der jungen Frau lastete drückend auf ihr. Vorsichtig und stets darauf bedacht, einen Skandal zu vermeiden, nahm sie sich vor, gleich im Zwischenakt ihren Gemahl aufzusuchen und unter dem Vorwande einer Migräne ihrer Feindin aus dem Wege zu gehen. Als die letzten Takte eines Finale unter donnerndem Applaus erklangen, erhob sie sich, winkte Thauziat heran, nahm seinen Arm und sagte: »Ich fühle mich etwas angegriffen; führen Sie mich in den kleinen Salon, der für die Künstler reserviert ist; ich möchte Wordler mein Kompliment machen und ihm die Hand drücken, bevor ich gehe.«
»Die Gegenwart Frau Héraults ist Ihnen wohl peinlich?« fragte Thauziat mit kalter Ironie.
»Vielleicht,« antwortete Diana mit einem feinen Lächeln. »Der Vergleich mit ihr ist schwer auszuhalten, denn sie ist in der That schön. Wie dumm von ihrem Manne, eine solche Frau zu hintergehen. Aber Ehemänner sind ein für allemal dumm!«
»Ausgenommen Sir James.«
»O – der! Der spielt eine besondre Rolle.«
»Man kann sogar sagen, eine doppelte Rolle!«
»Sie sind ja heute abend erstaunlich bei Laune, Thauziat. Wenn Sie Frau Hérault ebenso geistreich unterhalten wollten, würden Sie vielleicht etwas mehr Aussicht auf Erfolg haben.«
»Aergern Sie sich nicht, Diana, ich scherze ja nur,«
»Ich ärgere mich nicht. Sie wissen ja, Ihnen gestatte ich alles.«
Sie waren im Speisesaale angelangt, in dem ein Büffett aufgestellt war und der von Menschen wimmelte, die miteinander plauderten, stehend aßen und tranken und sich von majestätischen Hausmeistern bedienen ließen.
»Sehen Sie doch zu, daß Sie für mich einige Trauben und ein Glas recht kalten Champagner bekommen,« sagte Diana zu ihrem Kavalier.
Er kehrte bald zurück und brachte ihr auf einem Silberteller eine goldig strahlende Traube.
»Das ist eine der schönen Edeltrauben, die wir in den Treibhäusern von Evreux bewunderten,« sagte Frau Olifaunt. »Sie ist wirklich ausgezeichnet. . . . Unser Wirt ist ein Mann, der zu leben weiß,« fuhr sie fort, sich umschauend, ob nicht Louis in der Nähe sei.
Aber der junge Mann ließ sich nicht blicken. Sie nahm das Glas Champagner, das Thauziat ihr reichte, und rief: »Auf Ihre Liebe, Clement!«
Sie schlürfte den Wein in kleinen Zügen, wobei sie ihren reizenden Hals ein wenig zurückbog. Darauf hängte sie sich wieder an Thauziats Arm und schritt auf einen kleinen Salon zu, der in das Arbeitskabinett des Senators führte. Der Raum war fast menschenleer; im Augenblick, als sie ihn weitergehend verlassen wollten, erschien von der andern Seite her Frau Hérault am Arme Lereboulleys und hinter ihnen Emilie. Diana drückte heftig den Arm Thauziats und warf, eine Möglichkeit suchend, dieser Begegnung auszuweichen, einen raschen Blick um sich. Vergebens – es war zu spät, und das Zusammentreffen, das kluge Freundschaft zu verhindern gesucht, unvermeidlich. Die schöne Engländerin bewaffnete sich mit ihrem strahlendsten Lächeln, die himmelblauen Augen fest auf Helene gerichtet, ging sie ruhig wie eine ehrbare Frau weiter. Dennoch befand sich dieses kecke Geschöpf in einer ungewöhnlichen Aufregung; sie hatte Furcht vor Frau Hérault und bemühte sich hinter ihrem Fächer zu verbergen, wie heftig ihre Brust sich hob und senkte, Emilie hatte versucht, ihren Vater und Helene nach der Seite des Konzertsaales zu dirigieren; aber die junge Frau ließ sich nicht mehr von Lereboulley führen, sondern zog ihren Kavalier mit sich fort. Sie hatte Diana erblickt und ging auf sie los wie auf den Feind. Lady Olifaunt blieb stehen, es sollte nicht den Anschein gewinnen, als fliehe sie. Sie grüßte zuerst und ging kühn zum Angriff über, indem sie Helene anredete: »Ich habe seit jenem Tage, wo Sie in der kleinen Küche bei Evreux zu einer Madonna Modell standen, nicht mehr das Vergnügen gehabt, Ihnen zu begegnen, gnädige Frau! Was macht denn der reizende Bambino?«
Helene lauschte dieser sanften Stimme, der ein leiser Anflug fremdländischen Accentes einen eigenartigen Reiz verlieh – sie konnte nichts Falsches, Unwahres in dem Klang entdecken. Sie beobachtete die Haltung Dianas und konnte nicht die geringste Spur von Verlegenheit und Unsicherheit darin bemerken. Sollte sie sich doch geirrt haben, und hatte sie den Gegenstand ihres Abscheus anderswo zu suchen?
»Sie sind eine glückliche Mutter,« fuhr die schöne Engländerin fort, »und alle Frauen müssen Sie beneiden!«
Sie hätte ewig weiterreden können, Helene hörte ihr nicht mehr zu, ihre Augen waren unverwandt auf den Fächer mit gelben Federn gerichtet, den Diana hin und her bewegte, sie hatte plötzlich auf einer der Schildpattstangen aus Diamanten gebildete Buchstaben blitzen sehen, die sie nicht zu entziffern vermochte. Ein Wahlspruch ohne Zweifel, aber welcher? Eine geheime Stimme rief ihr zu, daß es derselbe sei, den sie auf dem Stückchen Pergamentpapier gelesen. Einen Moment ward es Nacht vor ihren Augen, in ihren Ohren sauste es, und das Blut stieg ihr jäh zu Kopfe, sie fühlte sich dem Umsinken nah, und sich krampfhaft an Emilies Arm festklammernd, sprach sie mit entfärbten, bebenden Lippen: »Sie haben da einen sehr schönen Fächer, Lady Olifaunt. Würden Sie mir wohl gestatten, ihn einmal in der Nähe zu bewundern?«
Diana reichte der jungen Frau den Fächer hin, den sie mit einem Seidenband an ihrem Gürtel befestigt trug. Helene bemächtigte sich desselben und las in fieberhafter Aufregung auf dem Fächerstäbchen die Worte: »I love and I hate.« Ein tödlicher Frost ließ ihr Blut erstarren: der lateinische Wahlspruch in englischer Uebertragung! Also diese blonde, schöne, reizvolle Abenteuerin war wirklich ihre Nebenbuhlerin. Eine wahnsinnige Wut überkam sie. Es war ihr, als ob sie diese strahlenden Augen mit ihren Nägeln auskratzen, diesen wollüstigen Mund, auf dem Louis' Lippen geruht, zerfleischen, diese sinnberückende Gestalt zu Boden schleudern und mit Füßen treten könnte. Sie hielt mechanisch den Fächer in ihren zitternden Händen fest und las mit dumpfer Stimme: »I love and I hate.«
»Das bedeutet: Ich liebe und ich hasse,« sagte Diana. »Aber, wie alle Wahlsprüche, sagt auch dieser etwas mehr, als er eigentlich soll. Ich bin weder so hingebend, noch so böswillig!«
»Amo et odi,« fuhr Helene fort, »ist das nicht dasselbe?«
»Allerdings,« antwortete Lereboulley.
Diana fing an zu begreifen, welche Gefahr ihr drohte, sie trat einen Schritt zurück. Aber Frau Hérault folgte ihr.
»Die intriganten Frauen, sagt man, sollten eigentlich nie ein geschriebenes Wort von sich geben,« fuhr sie mit einem Ausdruck vernichtender Verachtung fort. »Und dennoch geben Sie auf einem Papier, das diesen Wahlspruch trägt, meinem Manne Rendezvous!«
Lady Olifaunts Gesicht verfärbte sich, sie stieß einen Ruf höchster Wut aus, und ihren Fächer den Händen Helenes entreißend, flüchtete sie sich schutzsuchend neben den verdutzt dreinschauenden Lereboulley.
»Gnädige Frau,« rief der Senator, indem er sich zwischen beide Frauen warf, »kennen Sie auch die Tragweite Ihrer Worte?«
»Jedenfalls besser, als dieses Geschöpf die Tragweite seiner Handlungen! Eben hatte sie die heuchlerische Frechheit, mir von meinem Kinde zu sprechen, und sie ist die Maitresse des Vaters!«
»Lassen Sie es ruhig geschehen, daß man mich in Ihrem Hause beschimpft?« rief die schöne Engländerin Lereboulley zu.
Und da dieser, starr vor Erstaunen, sich nicht rührte, rief sie in heftigem Zorne: »So verteidigen Sie mich doch!«
Sie richtete sich wütend in die Höhe und ballte die Fäuste, in diesem Augenblicke war sie wieder das Schenkmädchen, das Thauziat aus der elenden Verkommenheit hervorgezogen. Kalt und hochmütig stand Helene vor ihr, den Blick fest auf ihre Widersacherin geheftet. Ihr Zorn war verraucht, ein unnennbarer Schmerz war an seine Stelle getreten. In ihrem Herzen schien sich ein Abgrund aufgethan zu haben, in den all ihr Glück, all ihr Stolz, all ihre Reinheit für ewig versunken waren. Ein Gefühl namenloser Bitterkeit stieg in ihr auf. Sie empfand einen tiefen Ekel vor dieser Gesellschaft und vor dieser Frau; ein brennendes Verlangen nach Stille und Einsamkeit erfaßte sie, sie wollte allein sein in ihrem Heim, bei ihrem Kinde.
»Bitte, führen Sie mich zu meinem Mann!« sagte sie rasch zu dem unbeweglich und schweigend dastehenden Thauziat, nahm seinen Arm, grüßte Lereboulley und entfernte sich, von Emilie begleitet, ohne auf ihre niedergeschmetterte Rivalin einen letzten Blick zu werfen.
Kaum war Helene verschwunden, als Lereboulley sich zu Lady Olifaunt wandte und ausrief: »Diana, wehe Ihnen und wehe Louis, wenn Frau Hérault die Wahrheit gesagt!«
»Sie ist wahnsinnig! Wollen Sie etwa den Faseleien einer eifersüchtigen Frau Glauben schenken? Glauben Sie denn, daß ich auch nur ein Wort von dem, was sie mir gesagt, verstehe? Ihr Gatte hat mir den Hof gemacht, als er noch unverheiratet war! Er hat mich verfolgt, Sie wissen das ja! Möglich, daß sie ein Billet von mir entdeckt hat, als sie die Schränke durchsuchte. Aber ist sie deshalb berechtigt, anzunehmen, daß ich diesen Dummkopf von Hérault von seinen Pflichten abwendig mache? Weil ich die Blicke der Menschen auf mich ziehe, weil man mir huldigt, weil ihre Männer mir den Hof machen, beneiden und verwünschen mich diese Frauen! Ist das etwa meine Schuld? Ich thue ja wahrhaftig nichts, um diese Huldigungen zu erhalten. Alles das ist schändlich, erbärmlich! Und das Grausamste ist, daß Sie mich den Zornesausbrüchen dieser Unverschämten preisgeben! Sie wußten nichts bessres, als ein paar Worte herzustammeln! . . . Sie lieben mich nicht. Wenn man eine Frau liebt, achtet man sie und weiß ihr Achtung zu verschaffen!«
»Diana!«
Sie brach in Thränen aus. Lereboulley war außer sich und versuchte sie zu beruhigen, da er in Angst war, es könne jeden Augenblick jemand eintreten.
»Diana, es ist unmöglich, daß Sie glauben, was Sie sagen. Ich Sie nicht lieben! . . . O beruhigen Sie sich doch . . . man könnte Sie so sehen! Was soll man denken, wenn man Sie so in Thränen allein mit mir überraschte! Kommen Sie in mein Arbeitskabinett, ich bitte Sie, dort werden wir ungestört sein.«
Sie ließ sich willig fortziehen und sank in dem äußerst behaglichen, stillen Zimmer mit der Grazie einer jungen Nymphe, die sich von einem Faun belauscht weiß, auf ein Sofa. Der Senator ging in großer Aufregung auf und ab, ohne sich um das Konzert, das eben wieder begann, im geringsten zu bekümmern. Er hatte keinen Gedanken mehr für die Gesellschaft, die sich in seinen Räumen hin und her bewegte, und war ganz von der Furcht beherrscht, Diana zu verlieren.
»O, dieser Louis, wenn ich annehmen könnte . . .«
»Sie sind noch nicht von meiner Unschuld überzeugt! Nun denn, was würden Sie thun, wenn ich Ihnen plötzlich sagte: ›Ich verabscheue die Lüge, Sie wollen wissen, ob Louis Hérault mein Geliebter ist. Ja, er ist es!‹«
»Diana, scherzen Sie nicht bei einer so ernsten Sache! Wenn Sie mich täuschten . . . es wäre schrecklich! Meine Rache würde vor nichts zurückschrecken.«
»Sie würden mir ein Leid zufügen, mir?«
»Vielleicht!«
»Das zu sehen wäre ich doch neugierig,« rief Lady Olifaunt, mit einem Augenaufschlag, der in einem Moment Argwohn und Zorn verscheuchte und glühendes Verlangen in ihm wachrief.
»O Diana,« rief er verliebt, »wie sind Sie schön! Man könnte ein Verbrechen begehen, um Sie zu besitzen!«
»Und wenn man mich besitzt, was würde man thun, um mich zu behalten?«
»Gebieten Sie! Alles, was Sie fordern, wird erfüllt werden.«
»Gut,« sagte die junge Frau kühl, »wir werden ja sehen. Jetzt geben Sie mir Ihren Arm, unsre gleichzeitige Abwesenheit könnte auffallen.«
Sie lächelte und schmiegte sich an den Greis, der sie umschlang und seine Lippen auf ihre weiße Schulter drückte. Dann gab sie ihm einen kleinen Schlag auf die Wange und sagte, sich loswindend: »Genug, Lereboulley; denken Sie an etwas andres, lieber Freund!«
Er stieß einen Seufzer aus und kehrte, die junge Frau am Arm, in den Saal zurück. Von dem Gesichte Dianas war jede Spur der Erregung verschwunden, und sie gebot wie sonst über das liebliche Lächeln und die keusche Anmut, welche sie so bezaubernd kleidete, und die sie wie ein Theaterkostüm an- und abzulegen wußte.
So rasch wie Lady Olifaunt hatte Helene die entsetzliche Szene nicht verwunden. Ohne ihm ein Wort über den stattgehabten Auftritt mitzuteilen, hatte sie ihren Gatten gebeten, sie nach Hause zu bringen. Sie litt namenlos unter den Enthüllungen, welche ihr in dieser Zusammenkunft mit Diana geworden. In die Ecke des Wagens gedrückt, das Haupt mit einem Spitzenschleier bedeckt, zitterte sie heftig, ihre Zähne schlugen zusammen, ein heftiges Fieber schüttelte sie. Das Schaukeln des Wagens verursachte ihr stechende Schmerzen, und von Zeit zu Zeit war es ihr, als ob grelle Blitze vor ihren Augen zuckten. Die Fahrt, die kaum eine Viertelstunde dauerte, schien ihr endlos. Louis, den das Schweigen seiner Frau ängstigte, warf fortwährend besorgte Blicke nach der Seite, wo sie saß.
»Bist du unwohl?« fragte er sie. »Fehlt dir etwas?«
Sie richtete sich auf und brachte mit Mühe zwischen den zusammengepreßten Lippen das Wort »Nichts!« hervor.
Der Wagen hielt vor der Freitreppe des Hotels; Helene wollte aussteigen, strauchelte aber bei den ersten Schritten und mußte sich an die gußeisernen Säulen der Marquise stützen. Erschreckt umfaßte Louis sie mit seinen Armen, hob sie auf und trug sie bis zur ersten Etage. Dort war sie wieder im stande zu gehen und sich nach ihrem Zimmer zu begeben. Als sie am Kamin in einen Stuhl sank und ihren Schleier ablegte, sah Louis erst, wie bleich sie war und wie sie von Fieberschauern geschüttelt wurde, während ihre Hände schlaff herabhingen und ihre Augen tief in den Höhlen lagen.
»Mein Gott, was fehlt dir?« rief er in furchtbarster Angst aus, »Helene sprich, hast du Schmerzen?«
»Ja – ein wenig!«
»Aber wie ist das gekommen? Du frierst . . .«
»Ja, sehr . . . im Herzen.«
Er wollte klingeln, aber sie machte eine Bewegung, um ihn daran zu verhindern.
»Nein, wecke die Dienstboten nicht auf. . . . Rufe nur deine Großmutter!«
Er eilte hinaus. Einige Minuten darauf war die alte Frau Hérault bei Helene. Louis zog sich schweigend zurück, die Großmutter half der jungen Frau beim Auskleiden und brachte sie zu Bett. Als sie dann sah, wie sie auch unter den Decken noch vor Frost zitterte und ihr dabei doch das Blut zu Gesicht stieg, bereitete sie ihr einen heißen Trank und that, mit leisen Schritten hin und her gehend, klug und umsichtig alles, was ihr für die Kranke nötig schien. Sie schritt durch das Zimmer des Kindes, beugte sich über seine Wiege, freute sich seines ruhigen Schlafes und ging zu Helene zurück, um ihr zu sagen: »Der kleine Pierre schläft vorzüglich, sei unbesorgt! Wenn er aufwacht, werde ich ihm heiße Milch zu trinken geben, die für dies eine Mal den Dienst auch thun wird.«
Die junge Mutter lächelte wehmütig und flüsterte: »Ich danke dir, du bist so gut.«
Inzwischen war Louis wieder eingetreten und erbot sich, bei Helene zu wachen. Aber die Großmutter schien zu ahnen, was in dem Herzen der jungen Frau vorging, und erklärte ihrem Enkel, daß seine Gegenwart überflüssig sei, und daß sie allein alles Notwendige besorgen würde.
»Geh schlafen, mein Junge!« sagte sie. »Ich werde hier bleiben. Wir alten Leute haben den Schlaf nicht notwendig.«
Und da Louis trotzdem bleiben wollte, fuhr sie fort: »Deine Frau wünscht es,«
Nun trat er an Helenes Bett, faßte ihre Hand, die fieberhaft glühte, und küßte sie mit beklommenem Herzen sanft auf die Stirn. Eine bange Frage schwebte ihm auf den Lippen, aber er wagte nicht, sie auszusprechen. Er ahnte einen Zusammenhang zwischen Diana und dieser Krankheit Helenes. Das finstere Schweigen, der Wunsch, ihn zu entfernen und mit Frau Hérault allein zu bleiben, alles dies wies auf ein Erlebnis und auf eine tiefgehende Wandlung ihres Verhältnisses zu einander hin. Als die Kranke sich am nächsten Morgen nicht besser fühlte, schickte Louis nach Rameau de Ferrières. Zu dem körperlichen Leiden gesellte sich bei der jungen Frau eine entsetzliche Unruhe: sie fürchtete, ihr Kind nicht weiter stillen zu können. Sollte ihr in ihrem namenlosen Elend auch dieser letzte Trost geraubt werden? Sollte sie diesen herzigen, rosigen Jungen einer Fremden anvertrauen müssen? Der Vater hatte sie verraten, sollte ihr nun auch ihr Kind entfremdet werden? Gegen drei Uhr morgens begann sie zu phantasieren. Mit lauter Stimme sagte sie: »Wenn man meinen kleinen Pierre dieser schlechten Frau gibt, wird er sterben.«
Die Großmutter erhob sich schweigend von dem Fauteuil in der Nähe des Kaminfeuers, wo sie an ihrem ewigen Strumpf gestrickt hatte, und neigte sich über die Kranke. Sie legte ihr die Hand auf die Stirn und sagte mit ruhiger Stimme: »Sei unbesorgt, mein Kind. . . . Wenn du krank bist, werde ich die Pflege des Kindes übernehmen, einer Fremden wird es nie anvertraut werden.«
Die junge Frau lächelte, ihre Augen leuchteten in dem Schatten der Vorhänge, sie stieß einen leisen Seufzer aus, murmelte einige verwirrte Worte und schlief ein. Als sie erwachte war es heller Tag, und der berühmte Arzt, der soeben angekommen, war in dem Nebensalon mit Louis. Er trat ein, warf seine Löwenmähne zurück und trat ans Bett.
»Aber meine liebe gnädige Frau, was fällt Ihnen ein, meiner Hilfe zu bedürfen? Da wollen wir doch gleich einmal sehen, um was es sich eigentlich handelt.«
Er befühlte ihren Puls, sah ihr in die Augen und maß die Temperatur ihres Körpers. Darauf wandte er sich zu Hérault und sagte: »Hat nicht viel zu sagen. Aber wir haben mehr als neununddreißig Grad und das können wir nicht brauchen.«
Er zog ihn in die nächste Ecke und flüsterte ihm zu: »Sie ist dicht an einer Gehirnentzündung vorbeigeschlüpft. In ihren Augen ist die charakteristische Verengung der Pupillen deutlich bemerkbar. . . .«
Er sah Helene sich bewegen und trat an das Bett zurück.
»Ich möchte jetzt den Säugling dieser schönen Kranken sehen.«
Man brachte ihm den kräftigen, drallen Jungen, der sich lachend auf den Arm nehmen, betasten und küssen ließ. Ein angstvoll fragender Blick Helenes ruhte auf dem Arzte, als dieser den Ausspruch that: »Das Kerlchen kriegt ganz einfach die Flasche. Es ist zwar ein bißchen frühzeitig, aber er kann's auch mit guter Kuhmilch aushalten! Einverstanden, gnädige Frau?«
Helene nickte schwach mit dem Kopfe, und zwei große Thränen rollten in den Batist ihres Kopfkissens.
Rameau wendete sich darauf zu Louis und sagte ihm: »Wir dürfen sie nicht ermüden. . . . Führen Sie mich in Ihr Zimmer, damit ich dort mein Rezept schreibe. . . . Heute abend sehe ich wieder nach. . . .«
Sie gingen hinaus, und gleich darauf rollte die alte Frau Hérault ohne jemand zu befragen, und ohne jede Hilfe die Wiege des kleinen Pierre in das Zimmer und stellte sie dicht an das Fenster, so daß Helene sie vom Bett aus sehen konnte. Ein Blick innigster Dankbarkeit flog zu der Großmutter hinüber, Helene wollte sprechen, aber die alte Dame legte einen Finger auf den Mund, setzte sich und begann schweigend an ihrem Strumpfe weiterzustricken.
Louis ging nicht aus dem Hause und fragte stündlich nach dem Befinden seiner Frau. Er führte Emilie, die sich schon früh am Morgen eingestellt hatte, zu der jungen Frau, von der sie freudig begrüßt wurde, und die in der Gesellschaft ihrer beiden Pflegerinnen, der Großmutter und der Freundin, wieder aufzuleben schien. Gegen Abend stellte sich jedoch das Fieber mit doppelter Heftigkeit wieder ein, und es war vorauszusehen, daß die Nacht sehr unruhig sein würde. Rameau verordnete ein beruhigendes Mittel und bereitete der Kranken einen Trank, der den Schlaf herbeiführen sollte. Er war durchaus nicht besorgt: die kräftige Natur Helenes mußte dem Leiden siegreich widerstehen können. Emilie blieb im Hotel Hérault, um die Großmutter am Krankenbett Helenes abzulösen. Sie leistete dem Gatten, der voll Angst um seine Frau in den verödeten Gemächern umherirrte, bei seiner Mahlzeit Gesellschaft.
Zu Lady Olifaunt hatte Louis nicht gehen mögen, und einen Brief hatte er nicht von ihr erhalten. Von Sorge um seine Frau gequält, ohne Lebenszeichen von der Geliebten, steigerte er sich in eine finstere Wut gegen die ganze Welt und gegen sich selbst. Er nannte sich einen Elenden, daß er beim Krankenbett Helenes an Diana zu denken vermochte, und war doch nicht im stande, sich dem Zauber zu entziehen, den das schöne Weib, das ihm in seiner berückenden Schönheit, mit der weichen, verführerischen Stimme vor der Seele stand, auch in der Entfernung übte. Emilies Ankunft war eine große Erleichterung für ihn: einmal erfuhr er nun, was zwischen den beiden Frauen vorgegangen war, und dann konnte er mit ihr von Diana sprechen, und das war ihm eine Wohlthat, selbst wenn er sie verwünschen mußte und sich hoch und teuer verschwor, sie nie wieder aufzusuchen. Am Abend plauderte er mit Emilie in dem kleinen Salon, der vor Helenes Zimmer lag, und fluchte dem Tage, an dem er sich dem Einfluß dieses gefährlichen Geschöpfes ergeben hatte.
»Denn gefährlich ist sie,« sagte er, »gefährlich wegen ihrer Kühnheit und ihrer Treulosigkeit. . . . Ich kenne sie wohl. . . . Sie ist die Sünde selbst!«
»Und das ist es, was euch an ihr gefällt,« antwortete Emilie. »Güte, Einfachheit, Reinheit, das habt ihr an euern Frauen, euern Schwestern – Hausmannskost ist nicht pikant – die Herren der Schöpfung bedürfen andrer Reizmittel! Ihr braucht leichtfertige Personen, die euch 'was vormachen.«
»Sie hat kein Herz,« fuhr Louis wütend fort, »sie ist kalt und grausam. Sie muß wissen, daß mich heute die Angst verzehrt, daß ich wissen möchte, was sie thut und denkt nach dem gestrigen Auftritt. . . . Was kümmert sie das? Ich habe ihr die reizendste und beste Frau geopfert, und sie hat keinen Gedanken für mich. . . . Nein, sie lacht und amüsiert sich! Nicht eine Zeile wird sie mir zukommen lassen, die herzlose, undankbare Kreatur!«
»Und daran thut sie sehr wohl. Das ist's ja gerade, wodurch sie euch in der Hand hat. Wenn sie euch nicht wie Hunde behandelte, so könnte sie nichts mit euch anfangen – dressiert muß der Pudel werden! Undankbar und herzlos nennst du sie – bist du das vielleicht weniger? Was du um ihretwillen leiden magst, wiegt nicht auf, was deine Frau durch dich gelitten! Diana ist in diesem Falle nur das Werkzeug der Gerechtigkeit, die Sühne, die dir das Schicksal auferlegt! Das scheint dir zweifelhaft, weil wir heute von einer jungen, schönen Diana sprechen! Sie ist unbestreitbar sehr verführerisch, und in den Augen der Welt hast du Anspruch auf mildernde Umstände. Aber hast du dir schon einmal diese Diana gealtert und häßlich vorgestellt? Denn es kommt vor, daß Männer diese alten Dianen nicht mehr abschütteln können! Und du kannst mit Leichtigkeit in diese angenehme Lage kommen. Wenn du die Geduld deiner Frau erschöpfst, wird sie sich von dir trennen, und du wirst an deine Engländerin gefesselt bleiben und dein lebenlang Portwein trinken und mit Sir James Bezigue spielen müssen. Diese Aussicht entzückt dich ? . . . Nicht? . . . Nun, dann beweise einmal, mein kleiner Hérault, daß du kein Einfaltspinsel bist; gib dieser teuern Freundin, die recht vielen ganz ebenso teuer ist – das kann ich dir schriftlich geben – den Laufpaß und werde wieder ein anständiger Mensch!«
»So wahr ein Gott lebt, das werde ich thun!« rief Louis.
»Schwöre nicht, Louis, das ist ein schlechtes Zeichen, sondern handle! Aber morgen vormittag wird ein Brief kommen, und fort sind die schönen Vorsätze.«
Sie ließ ihn allein, um Frau Hérault bei der Kranken abzulösen. Der erste Teil der Nacht verlief ziemlich ruhig, aber gegen zwei Uhr morgens wurde Emilie, die auf einem Lehnstuhl eingenickt war, durch das Geräusch einer Stimme emporgeschreckt. Sie erhob sich und in dem Halbdunkel des Zimmers sah sie Helene mit den Armen auf das Kopfkissen gestützt aufrecht dasitzen mit starren und wirren Augen, während sie laut in der Stille der Nacht phantasierte. Das junge Mädchen trat zu ihr und faßte ihre Hand. Die Kranke schien sie zu erkennen, ließ sich wieder hinbetten und sagte dann, in ihrem wirren Ideengange fortfahrend: »Wenn ich sterben müßte, würde er sie zwingen, sich von ihrem Gatten zu trennen und seine Frau zu werden. Meinen Platz würde sie in diesem Hause einnehmen, in meinen Zimmern wohnen, mein Kind würde ihr gehören. Wie begehrlich sie ihn angesehen hat . . . meinen kleinen Pierre . . . damals in der Kirche, als ob sie ihn stehlen wollte. Alles würde ihr zufallen, was mir gehört. . . . Und für mich würde nicht einmal die Erinnerung bleiben. . . . Ein armseliges kleines Wort – mein Name auf einem Stein – das wäre alles!«
Sie warf sich unruhig hin und her, Schweißtropfen perlten an ihrem Haar. Emilie beugte sich über sie und legte ihre kühlen Hände auf die Stirn der jungen Frau, als ob sie ein wenig von ihrer ruhigen Besonnenheit in den fieberglühenden Kopf der Kranken übergehen lassen könnte.
»Deine Krankheit ist nicht gefährlich, Helene,« sagte sie sanft, »du wirst wieder gesund und glücklich werden!«
»Ich werde am Leben bleiben . . . ja,« rief die junge Frau mit starker Stimme, »ich werde leben, ich will leben, um die zu verteidigen, die ich lieb habe!«
Sie wiederholte mehrere Male »ich will leben«, als ob ihrem durch das Fieber verwirrten Geiste nur dieses eine Wort, in dem sich ihr ganzer Charakter ausprägte, gegenwärtig wäre. Dann senkten sich unter Emilies mitleidsvollem Blick allmählich ihre Wimpern; sie schlief ein.
Als Rameau früh am nächsten Morgen kam, fand er die Kranke ruhig, das Fieber hatte nachgelassen, und Helene befand sich entschieden auf dem Wege der Genesung.
Auch Louis schien weniger aufgeregt und nervös. Er blieb einige Minuten im Zimmer seiner Frau und war voll inniger Zärtlichkeit. Helene nahm diese Kundgebungen seiner Liebe mit wehmütiger Freude auf; von jetzt an durfte sie ja nicht mehr rückhaltlos dem Zuge ihres Herzens folgen. Zwischen ihr und ihrem Gatten mußte immer das Bild Dianas stehen. Sie wies ihn indessen nicht zurück, gab aber Emilie ein Zeichen, ihn hinauszuführen.
Sie wollte mit sich ins klare kommen, wie ihr zukünftiges Verhalten ihm gegenüber zu regeln sei, und jetzt, da sie wiederum in den Besitz ihrer Geisteskräfte gelangt, überlegen, in welcher Weise ihre traurige Lage sich am erträglichsten würde gestalten lassen. Sie anerkannte, daß Louis sich bei ihrer Krankheit aufmerksam und besorgt gezeigt hatte, und sagte sich, klug und nachsichtig wie sie war, daß er ebensogut gleichgültig hatte bleiben können. Wie immer, suchte sie auch jetzt die beste Seite an allem herauszufinden und grollte nicht mit dem Leben, das ihr so böse mitgespielt hatte. Hatte sie ja noch eine gute Mutter, eine ergebene Freundin und ein reizendes Kind: sie dankte dem Himmel dafür, ihr solchen Trost genährt zu haben, und verzweifelte noch nicht an der Zukunft.
Ueber den Geistes- und Gemütszustand ihres Gatten gab sie sich sehr genaue Rechenschaft. Seine Schwäche und Unbeständigkeit waren nie ein Geheimnis für sie gewesen, aber sie hatte in ihrem stolzen Mut gehofft, Herrschaft über ihn zu gewinnen und ihn leiten zu können. Er hatte sich frei zu machen gewußt, und eine andre war glücklicher als sie gewesen und hatte diesen Unbotmäßigen sich unterworfen, um ihn auf Abwege zu führen. Dieser Einfluß mußte sehr mächtig sein, da Louis sich nicht einmal durch seinen Abscheu vor Lüge und Verrat auf den guten Weg hatte zurückführen lassen. Beargwöhnt, beobachtet, entdeckt, gedemütigt vor seiner Frau, fuhr er dennoch fort, sie zu hintergehen. Die Fäulnis mußte sein Herz erfaßt haben, und vielleicht würden glühende Eisen nötig werden, um die Wunde auszubrennen und zu heilen.
Weder vor noch nach dieser heftigen Erschütterung hatte Helene auch nur eine Sekunde lang daran gedacht, ihr Mißgeschick ruhig hinzunehmen und sich zu bescheiden. Sie war entschlossen, nicht zurückzutreten vor der Maitresse, sie wollte ihre Rechte, die Rechte der Gattin verteidigen. Sie bildete sich keineswegs ein, daß ihr Unglück eine ungeheuerliche Ausnahme sei, die zum Schrei der Verzweiflung berechtige. Die Männer alle erschienen ihr schwach, von Leidenschaften beherrscht, von Lastern unaufhörlich verfolgt, sie glaubte nicht, daß Louis schlimmer sei als die andern und nahm die Menschheit hin, wie sie war: hinfällig und sündhaft. Sie war aber andrerseits überzeugt, daß es ihr mit Geduld, Energie und Nachsicht gelingen müsse, den Unglücklichen aus dem Lasterpfuhl zu retten, in den er versunken. Sie war entschlossen, ihm gegenüber kein Wort über ihren Wortwechsel mit Lady Olifaunt zu verlieren, ihm durch keine Andeutung zu verraten, daß sie von seinem Treiben genau unterrichtet sei, ihm keinerlei Szenen zu machen, sondern zu warten, bis er selbst eine Gelegenheit herbeiführen würde, bei der sie ihren Gefühlen Luft machen und einen Kampf ausfechten könnte, der nicht anders enden durfte, als mit der vollkommenen, endgültigen Niederlage ihrer Feindin – oder ihrer eignen.
Als ob diese tapferen Vorsätze auch ihren Körper gekräftigt hätten, erholte sich Helene schnell von ihrer Krankheit, und nach einer Woche war sie vollkommen wiederhergestellt. Louis hatte während dieser acht Tage das Haus nicht verlassen. Er war immer liebevoll und aufmerksam, und seine anfangs gedrückte Stimmung war wieder seiner früheren herzgewinnenden Liebenswürdigkeit gewichen. Helene hatte diese Veränderung der Freude über ihre Genesung zugeschrieben; hätte sie besser im Herzen ihres Gatten lesen können, würde sie vor Scham errötet sein.
Nach vierundzwanzig Stunden banger Erwartung hatte Louis ein paar Zeilen von Diana erhalten. Die junge Frau war erstaunt, ihn seit der Soirée bei Lereboulley nicht wiedergesehen zu haben, und machte ihm darüber zärtliche Vorwürfe. Obgleich sein Groll durch das Erscheinen dieser ersehnten Mitteilung sich etwas vermindert hatte, brachte er es doch fertig, ihr kurz und trocken zu antworten, daß seine Frau krank sei und er sie nicht verlassen könne. Diana hatte ihn darauf in Briefen bestürmt, zu ihr zu kommen, wenn auch nur auf einen Augenblick; wußte sie doch, daß sie ihn, sobald er bei ihr war, festhalten konnte, solange es ihr gefiel. Aber er widerstand mit großer Hartnäckigkeit ihren Bitten und Befehlen, lachte über die Heftigkeit, mit der sie ihn verfolgte, und hielt sich wohlweislich fern von ihren Verführungskünsten wie von ihren Zornesausbrüchen.
Er erhielt dagegen täglich Nachricht über sie von Thauziat, der jeden Morgen kam, um sich nach dem Befinden Helenes zu erkundigen und seinem Freunde von der Erbitterung der reizenden Frau und den Qualen, die sie, um sich zu rächen, den unglücklichen Lereboulley ausstehen ließ, berichtete. Sie scherzten beide darüber; denn auch Thauziat hatte seine gute Laune wiedergefunden und wurde nur sehr ernst, wenn Louis davon sprach, Diana wieder besuchen zu wollen. In ihm kämpfte das heiße Verlangen, Louis für ewig von Helene getrennt zu sehen, und die Furcht, daß die junge Frau unter dieser Trennung furchtbar leiden werde, und schließlich kam er dahin, der Unbeständigkeit des Gatten zu fluchen und seine Leidenschaft dem Glücke derjenigen zu opfern, die er vergötterte. Er dachte und fühlte groß genug, um mehr als einmal in Versuchung zu sein, dem verblendeten Freunde zu sagen: »Thor, der du bist, nimm dich in acht; von allen Seiten bist du von Fallstricken umgeben und du kannst auf dem Wege, den du betreten, nicht einen Schritt weiter thun, ohne dein und andrer Glück niederzutreten.« Eines Tages ging er in seinem Freimut Louis gegenüber sogar so weit, ihm zu bemerken: »Du bist sehr unvorsichtig, nicht mehr an die Verteidigung deines Eigentums zu denken, als an das Plündern fremden Besitzes. Wenn deine Frau aufhörte, dich zu lieben, wer weiß, ob sie gegen die aufrichtige Liebe eines andern gewappnet wäre. . . .«
»Gegen wessen Liebe?«
»Nun zum Beispiel gegen die meinige!«
Louis antwortete lachend: »Bah, zwei Jahre sind darüber hingegangen, und diese schöne Flamme ist längst erloschen. Uebrigens scheinst du dich denn doch für ein bißchen zu gefährlich zu halten. . . . Meinetwegen, mache meiner Frau den Hof, es wird sie zerstreuen! . . . Ich bin ihrer sicher!«
Eine tiefe Falte grub sich in Thauziats Stirn und ein verächtliches Lächeln zuckte um seine Lippen. Diese cynische Sorglosigkeit, die Louis zur Schau trug, hatte ihn nicht erfreut, sondern tief geschmerzt. Er dachte nicht an sich, sondern an die, welche von ihrem Gatten so schnöd mißachtet wurde.
An dem Tage, als Frau Hérault zum erstenmal das Bett verlassen und einige Schritte in ihrem Zimmer auf und ab gehen konnte, entschloß sich Louis endlich, Lady Olifaunt zu besuchen. Es war vier Uhr, als er sich in ihrem Hause einfand; Diana war soeben mit Sir James nach Hause gekommen. Auf einen Diwan in dem japanischen Salon ausgestreckt, durchblätterte sie flüchtig einen Roman; im Nebenzimmer, dessen Thür geöffnet war, hörte man Sir James verschiedene Kästen öffnen und wieder verschließen.
Als die schöne Engländerin Louis erblickte, ließ sie einen unterdrückten Freudenruf hören, legte aber dann gleich einen Finger auf den Mund, als wolle sie ihm einen in diesem Hause ungewohnten Zwang auferlegen. Er blieb erstaunt stehen und fragte sich, was eigentlich vorginge, als Sir James mit einem reizenden Miniaturbild in der Hand erschien.
»Ah . . . Sie da, Herr Hérault,« sagte der Engländer mit kaltem Lächeln. »Freue mich unendlich, zu Hause zu sein, um Sie empfangen zu können. Setzen Sie sich doch! . . . Meine liebe Diana, hier ist das fragliche Bild. . . . Es stellt Fräulein de Fontanges dar und ist von Petitot gemalt. . . . Die Emaille hat einen bedeutenden Wert. . . . Sieh zu, ob dir diese Frisur gefällt.«
»Es handelt sich um einen Kostümball,« fügte Diana, das Bild betrachtend, hinzu. »Ich glaube nicht, daß diese Locken mich gerade häßlich machen werden.«
»Wir haben lange nicht das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen, Herr Hérault,« hob Sir James wieder an. »Nicht mehr seit dem Musikabend unsres teuren Lereboulley. . . . Sie haben während dieser Zeit viel Sorgen und Unruhen ausgestanden. . . . Hat sich Ihre reizende Frau von ihrem Unwohlsein wieder vollkommen erholt?«
»Vollkommen,« erwiderte Louis, erstaunt über die Besorgnis, die der Engländer plötzlich für Helene an den Tag legte.
»Freut mich . . . um so mehr, als wir in vierzehn Tagen einen Ball geben werden. . . . Ja . . . wir haben im Sinn, all die Freundlichkeiten zu erwidern, die man uns erwiesen. . . . Ich hoffe, daß Sie mit Ihrer Frau Gemahlin uns die Ehre erzeigen werden.«
Diese Worte klangen Louis wie eine Kriegserklärung, Er ahnte, daß ihm von Diana und ihrem würdigen Gatten geschickt eine Falle gestellt wurde; und um zu wissen, woran er sich zu halten habe, antwortete er sehr entschlossen: »Ich werde mit dem größten Vergnügen Ihrer Einladung Folge leisten, Sir James, aber ich kann Ihnen kaum in Aussicht stellen, daß meine Frau mich begleiten wird. Ihr ist vom Arzt noch für einige Zeit die größte Schonung anbefohlen, und sie wird daher vermutlich Ihre liebenswürdige Einladung ablehnen müssen.«
Das Gesicht des Engländers nahm jenen eisigen und drohenden Ausdruck an, den es zu tragen pflegte, wenn er mit Lereboulley über den Wert eines Gemäldes oder die Echtheit eines neuangekauften Kunstgegenstandes stritt. Er trat zum Kamin und sagte, indem er sich an denselben lehnte, trocken: »Das ist sehr bedauerlich für meine Frau und mich. Im höchsten Grade bedauerlich! Man hat uns von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht, wie allgemein bemerkt werde, daß unsre Gesellschaften nur von Herren besucht seien – von einem sehr gewählten Kreis gebildeter Männer allerdings – aber schließlich eben doch nur von Männern ohne ihre Frauen, Töchter oder Schwestern. Uebelwollende haben diese Thatsache ausgebeutet und Waffen der Verleumdung gegen uns daraus geschmiedet. Lady Olifaunt und ich haben infolgedessen beschlossen, unsre verheirateten Freunde, die bei uns als Junggesellen zu verkehren pflegten, nicht mehr zu empfangen. Wir hatten uns bis jetzt ohne Bedenken dieses anregenden, vertraulichen Verkehrs gefreut, allein man darf die Meinung der Welt nicht außer acht lassen. Aus diesen Gründen ist es so sehr zu beklagen, daß Frau Héraults Gesundheitszustand sie noch an ihr Haus fesselt, und damit die uns außerordentlich wertvollen Beziehungen zu Ihnen für einige Zeit eine Unterbrechung erleiden müssen.«
Louis erhob sich ein wenig bleich, und sich an Diana wendend, die unbeweglich auf ihrem Diwan ausgestreckt lag, sagte er: »Wenn ich mich nicht täusche, gnädige Frau, so gibt mir Sir James in aller Form den Abschied!«
Von Dianas Lippen kam nur ein höchst undeutlicher Laut, den man ebensogut für einen Seufzer, als für ein mühsam zurückgehaltenes Lachen halten konnte.
»Den Abschied?« wiederholte Sir James mit abwehrender Handbewegung. »Ich bin zu höflich, um in dieser Weise gegen einen Gentleman vorzugehen, aber Sie kennen die Welt zu gut, um meine Beweggründe nicht zu verstehen . . . Uebrigens will ich es Lady Olifaunt überlassen, Ihnen die Angelegenheit noch besser auseinanderzusetzen.«
Er reichte Louis seine Hand, die dieser widerwillig ergriff, und entfernte sich, nachdem er seiner Frau einen Kuß auf die Stirn gedrückt. Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, als Diana vom Diwan aufsprang und ihrem Geliebten mit verstörtem Gesicht zurief: »Da sind Sie also endlich! Sie ahnen nicht, welch ein Leben ich seit acht Tagen führe. . . . Ich habe Ihnen nicht zu schreiben gewagt, da ich ja nur zu gut weiß, wie sicher meine Briefe bei Ihnen aufbewahrt werden! . . . Ich weiß nicht, welche furchtbaren Mitteilungen Sir James zugetragen worden sind. . . . Er behauptet, er sei in seiner Ehre gekränkt und es sei deshalb notwendig, daß wir entweder unser Leben in Paris anders gestalten, oder nach England zurückkehren.«
»Und da würde er Sie mit sich nehmen?« rief Louis. »Dann geschieht also alles mit Ihrer Einwilligung, denn er thut ja nur, was Sie befehlen!«
»Er behandelt mich meist wie ein verwöhntes Kind, wenn es sich aber um ernste Dinge handelt. . . . Und was kann es Ernsteres geben, als die Gerüchte, die über uns umgehen. . . . Man sagt, Sie verließen unser Haus überhaupt nicht mehr. . . . Die schreckliche Szene, die bei Lereboulley stattgefunden, ist ausgeschwatzt worden. . . . Durch wen? Durch niemand anders, als diese abscheuliche Emilie, denn weder Ihre Frau, noch Thauziat, noch Lereboulley haben ein Wort davon verlauten lassen. . . . Sie wissen, wie neidisch alle diese häßlichen, vernachlässigten Frauenzimmer auf mich sind! Diese Woche bin ich Demütigungen, Beleidigungen ausgesetzt gewesen. . . . Ich kann nicht mehr ohne Herzklopfen in einen Salon treten. . . . Und alles das Ihretwegen. . . . Ich klage nicht. . . . Aber thun Sie wenigstens Ihrerseits alles, was Sie können, um mir weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen.«
Sie hatte ihn neben sich auf den Diwan gezogen, und an ihn geschmiegt, hielt sie ihn mit ihrem weißen Arm umfangen, den der weite Aermel des phantastischen, mit einem goldnen Gürtel an der Taille geschlossenen vieux rose-Damastgewandes vollständig entblößt ließ. Ihr kleines Köpfchen mit den blauen Augen, die unter dem lockigen Goldhaar funkelten, lag an Louis' Brust, und ihre schwellenden Lippen schienen um einen Kuß zu flehen, dem sie sich aber geschickt entzog, sobald der junge Mann seinen Mund dem ihrigen näherte. Rasch und unvermittelt von der Zärtlichkeit zum Schmollen, von Fröhlichkeit zum Schmerz übergehend, schien sich in dieser einen der Reiz der verschiedensten Frauennaturen zu vereinen; unter der Glut dieser Blicke überkam Louis die alte Liebestrunkenheit, und mit heißem Verlangen zog er das berückende Geschöpf an sich. Wieder ganz in der Gewalt seiner fieberhaften Leidenschaft, hatte seine Seele nur noch Raum für Diana; er fragte sich, wie er es fertig gebracht, ihr eine ganze Woche hindurch fern zu bleiben, und hatte keinen andern Gedanken mehr, als ihren Besitz, für den er eine Welt geopfert hätte.
Zwischen ihren Liebeständeleien fing Diana immer wieder an, ihm zu beweisen, daß es nur ein sehr kleines Opfer für ihn wäre, seine Frau zu dieser Soirée mitzubringen. Es würde ja genügen, wenn sie sich nur einen Augenblick in den Salons zeigte, ein einziges Mal dort gesehen würde. Damit wäre allem Gerede die Spitze abgebrochen, man könnte jedem Verleumder entgegenhalten: »Der beste Beweis, daß Louis Hérault nicht der Geliebte Lady Olifaunts, ist, daß Frau Hérault bei ihr verkehrt.« Natürlich würde Helene ihren Stolz ein wenig beugen müssen, aber wäre es denn etwas so Entsetzliches, ihr, der tief Beleidigten, eine so kleine Genugthuung zu gewähren? All diese verräterische Klugheit wurde ihm mit so berauschenden Küssen beigebracht, daß ihr Stachel nicht bemerkbar wurde, und Louis feierlichst gelobte, seine Frau zu veranlassen, ihn zu begleiten.
Die leidenschaftlichsten Liebesbezeigungen belohnten ihn für seine ehrlose Feigheit. Diana war überströmend dankbar und konnte ihren Jubel über diese ihr gebotene Gelegenheit einer Rache an Helene kaum beherrschen, ja sie vergoß sogar Thränen. Noch nie hatte sie mit solcher Wahrheit gesagt: »Ich liebe dich«, wie heute, wo dies Wort einem tödlichen Haß entquoll. Welche Niederträchtigkeit er mit diesem Versprechen begangen, daß er sich mit demselben zum Mitschuldigen einer Verschwörung gegen seine Frau gemacht, kam ihm gar nicht in den Sinn; die Leidenschaft hatte alle andern Regungen und Gedanken verschlungen – was galt ihm der Preis, wenn er sie nur befriedigen konnte!
An diesem Abend kam Louis zum erstenmal seit Helenes Erkrankung nicht zu Tisch nach Hause und am nächsten Tage begegnete er seiner Frau wieder mit jener kühlen Liebenswürdigkeit, die sie schon so lange schmerzlich empfunden.
Helene, die ihn jetzt scharf beobachtete, erkannte sofort die mit ihm vorgegangene, sich auf seinem Gesicht widerspiegelnde Veränderung, wie sehr er dieselbe auch zu verbergen bemüht war. Die junge Frau zerbrach sich vergeblich den Kopf, welch neues Ereignis dieses ihr jetzt fest verschlossene Herz bewegen mochte; sie befragte Emilie, aber diese wußte ihr keine Auskunft zu erteilen. Lange indes sollte die Ungewißheit für Helene diesmal nicht dauern.
Sie fand eines Morgens unter den an sie adressierten Briefen folgende Einladungskarte: »Sir James Olifaunt, Baronet, und Lady Olifaunt bitten Herrn und Frau Hérault, ihnen die Ehre zu erweisen, der Soirée beizuwohnen, die sie u. s. w.«
Die junge Frau las nicht weiter. Auf dem Streifen Bristolpapier hätte ebensogut stehen können: »Helene Hérault ist die Sklavin Lady Olifaunts und kann von derselben ungestraft verhöhnt, beleidigt und gepeinigt werden,« es würde sie das nicht tiefer erregt haben. Sie hörte nicht, wie Louis eintrat. Er schritt zu dem Fauteuil, auf dem sie saß, ohne daß sie sich von ihrer Erstarrung erholt hatte.
»Was ist dir denn?« fragte er sie.
Sie sah auf, warf einen trauervollen Blick auf ihren Gatten und reichte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, die Einladungskarte. Er zitterte, seine Lippen preßten sich zusammen, er senkte die Blicke zu Boden und eine heftige Angst schnürte ihm das Herz zusammen, und doch stand er nicht von der Ausführung seines schändlichen Versprechens ab. Er überflog die Karte und sagte leichthin: »Eine Einladung von den Olifaunts! Richtig, ich hatte vergessen, dir etwas davon zu sagen!«
»Du wußtest also, daß wir sie erhalten würden?«
Mit trotziger Kühnheit erwiderte er: »Ja!« . . . Dieser schwache Mensch wurde unbeugsam, wenn er erst einmal einen Entschluß gefaßt.
Helene schreckte bei dieser unumwundenen, rücksichtslosen, klaren Bejahung zusammen. Das Gefühl, daß sie verlassen und geopfert war, überkam sie mit solcher Heftigkeit, daß ihr die Thränen in die Augen traten. Dennoch fuhr sie vorsichtig prüfend fort: »Du hast doch nicht zugesagt?«
Sie hatte die Worte halblaut gesprochen und in einem innigen Tone, als ob sie um Gnade bäte. Sie hätte einen Henker gerührt, aber sie hatte es mit ihrem Gatten zu thun.
»Ich würde lieber nicht hingehen, und vor allem hätte ich es dir gern erspart, mich dorthin zu begleiten,« sagte er, »aber ich habe mich besondern und sehr ernsthaften Rücksichten fügen müssen und habe deshalb bestimmt zugesagt.«
»Aber du weißt doch, wie man von dieser Frau spricht?« wandte sie sanft ein.
»Man spricht so vieles, und das Gerede der Leute ist meist so thöricht und häßlich, daß man am besten thut, nicht darauf zu achten. Lady Olifaunt wird überall empfangen. . . .«
»Aber man geht nicht zu ihr.«
»Weil man bisher keine Veranlassung dazu gehabt hat. Es ist dies das erste Mal, daß sie viele Menschen bei sich sehen, sonst ist es immer nur ein intimer Kreis.«
»Zu dem auch du gehörst,«
»Zu dem zu gehören ich mich glücklich schätze! Lady Olifaunt ist eine reizende Frau, die sehr an ihren Freunden hängt.«
»Und an ihren Liebhabern.«
»Helene!«
Der Ton der beiden Gatten war wie ihre Worte immer heftiger geworden. Empört über die gewaltthätige Herrschermiene, die Louis ihr gegenüber annahm, richtete sich Helene hoch auf. Sie zitterte vor Entrüstung: eine dumpfe Wut drängte ihr die bittersten Worte auf die Lippen, und sie fand eine schmerzliche Lust darin, in diesem entsetzlichen Kampfe Schlag auf Schlag erwidern zu können. Sie trat heftig ein paar Schritte vor und sagte mit fester, harter Stimme, wie sie Louis noch nie von ihr vernommen: »Höre, Louis . . . wir stehen vor einer der schwersten Entscheidungen unsres Daseins: wir müssen den Ernst dieser Stunde erkennen und vollkommene Offenheit walten lassen. Du wirst zugestehen müssen, daß du bis jetzt nie ein Wort der Klage von mir gehört, und dennoch hätte ich Grund genug dazu gehabt. Du hast mich getäuscht, und ich habe geschwiegen, du hast Lüge auf Lüge gehäuft, und kein Laut des Vorwurfs kam über meine Lippen, du hast mich inneren Qualen ausgesetzt, die mich auf das Krankenlager warfen und die unserm Kinde das Leben hätten kosten können . . . und auch da habe ich geschwiegen. Aber heute, wo du mich zwingen willst, dem Wunsche deiner Maitresse zu gehorchen, wo du von mir forderst, daß ich ihr wie einer Freundin, einer Gleichgesinnten begegne und ihr einen Triumph ohnegleichen bereite . . . heute empöre ich mich; den Kummer habe ich ertragen, niemals aber werde ich Schande und Schmach schweigend auf mich nehmen! Die Thränen, ja, wenn es schon sein muß, den Schmutz nie!«
»Wie kann denn hier die Rede von einem Triumph sein, und worin sollte die Schande bestehen?« versetzte Louis mit zitternder Stimme, denn der Widerstand, auf den er stieß, war ein heftiger, und er war von Natur jedem langwierigen Kampfe abgeneigt. »Es handelt sich einfach darum, eine Stunde lang sich in einem Salon zu zeigen, wo die beste Gesellschaft von Paris versammelt sein wird.«
»Angesichts derer ich diese demütigende Rolle nicht spielen werde. Als Schaustück für die unverschämte Neugierde aller Anwesenden vorgeführt werden und die Ruhe, mit der ich die mir auferlegte Erniedrigung ertrage, von fremden Menschen loben oder tadeln hören – nie und nimmermehr!«
Louis schwieg einen Augenblick. Er schien zu überlegen; dann sagte er, als hatte er plötzlich neue Kraft gewonnen: »Was die Erniedrigung betrifft, so hast du an jenem Abend bei Lereboulley Lady Olifaunt eine solche auferlegt. Damals war sie als Schauspiel für die Neugierde und Schadenfreude der Menschen preisgegeben, weil du sie in Gegenwart ihrer und unsrer Freunde beschimpft hast. Dein Erscheinen in ihrem Hause wird nur einigermaßen das Unrecht, dessen du dich ihr gegenüber schuldig gemacht, und das sie nicht verdient hat, wieder gut machen. Auf was für Beweise stützen sich denn deine Anklagen? Bis heute habe ich es für überflüssig gehalten, mich zu verteidigen, sehe mich aber jetzt zu meinem Bedauern dazu gezwungen, da deine Eifersucht dich abhält, diese notwendige Sühnung deines Fehlers auf dich zu nehmen.«
»Eine notwendige Sühnung – ja, das heißt eine dir zur Bedingung gemachte, und die du grausam genug bist, von mir zu verlangen, um dich eines süßen Lohnes zu versichern. Hältst du mich wirklich für so schwach, dir das zu bewilligen? . . . Nun denn, so überzeuge dich, daß du dich in mir getäuscht, und gib es auf, mich noch weiter zu beschimpfen. Ich weiß, was ich zu wissen brauche, ich habe keinen bloßen Verdacht, ich habe Gewißheit. Ich habe dich zu deinem Rendezvous gehen sehen, ich habe den Brief in Händen, in dem dir dieses Stelldichein gegeben wurde, ich habe geschwiegen, nicht aus Furcht vor dir, o nein, sondern aus Liebe. Ich hoffte, daß du Einkehr in dich selbst halten würdest, wenn du sähest, wie sehr ich litt, und daß du zu der zurückkehren würdest, die dich wirklich liebt, die nur dich geliebt hat und nur dich lieben wird! Aber statt dich zu rühren, habe ich dich nur bestärkt! Da es dir so leicht gemacht wurde, bist du ruhig auf deinem Wege fortgegangen. Und jetzt verlierst du allen moralischen Halt, jetzt wagst du von mir zu verlangen, mit meiner Ehre vor der Welt die Laster der Person zu verdecken, die dich mir gestohlen hat. Du verlangst, daß ich meiner Nebenbuhlerin zum Tugendmantel diene? . . . Du würdest nicht erröten, uns der Gesellschaft Hand in Hand zu zeigen? . . . Deine Frau, die deinen Namen trägt, die Mutter deines Kindes, freundschaftlich an diese Dirne geschmiegt? . . . Bedenke es wohl, Louis, nimm deinen Verstand zusammen, bürde mir nicht das Entsetzlichste auf! Nach dem, was ich dir soeben gesagt, kannst du ja nicht mehr auf deinem Willen beharren! . . . Achtest du mich denn nicht mehr? . . . O, sage mir alles; welch entsetzlicher Schwur bindet dich denn, daß du der Stimme der Vernunft, meinem heißen Flehen unzugänglich bist? Hast du dich wirklich verbindlich gemacht, mich mitzubringen?«
Bleich, die Züge von innerer Qual verzerrt, vermochte Louis kein Wort hervorzubringen. Er wagte nicht, den Blick zu Helene zu erheben, und stand regungslos, die Augen starr zu Boden gesenkt, mit einem Ausdruck geistiger Verwirrung unausgesetzt eine Blume des Teppichs fixierend. Helene, der das Herz zum Zerspringen klopfte, trat auf ihn zu mit bebenden Lippen, aber vollkommen Herrin ihrer selbst, fest und entschlossen in ihrer Willenskraft. Sie nahm seine Hand und zwang ihn, die Augen zu ihr zu erheben.
»Louis,« sagte sie weich, »nicht wahr, es handelt sich darum, den Ruf jener Frau zu verteidigen, zu beweisen, daß du nicht ihr Geliebter bist? Man hat dir eine Falle gestellt? Du hast es nicht abschlagen können und hast dein Ehrenwort darauf gegeben, daß ich kommen werde.«
Er war nicht im stande, die Zähne auseinanderzubringen, und bejahte nur mit einer Neigung des Hauptes.
»Es ist gut,« sagte Helene ruhig, »selbst solchen Menschen gegenüber darfst du nicht wortbrüchig werden, ich werde kommen.«
Jetzt sah er zu ihr auf, die in wunderbarer Hoheit vor ihm stand. Nichts Exaltiertes, Gewaltsames, Theatralisches lag in ihrem Wesen, sie brachte dieses Opfer ihrer Frauenwürde mit der schweigenden Selbstverleugnung eines mütterlichen Empfindens. Er wollte sprechen, aber die Kehle war ihm zugeschnürt, er streckte, Gnade flehend, die Hand aus, und in einen Fauteuil sinkend, brach er in Schluchzen aus.
Tief traurig und voll himmlischer Barmherzigkeit sah sie auf den Weinenden herab und die Worte Emilies kamen ihr ins Gedächtnis: Ein Kind, ein wahres Kind! Sie war an ihn herangetreten und wischte sanft die Thränen ab, die über seine Wangen herabrannen. Da faßte Louis ihre Hand, zog sie mit ehrfurchtsvoller Zärtlichkeit an die Lippen und fand endlich Worte für das, was in seinem Herzen vorging.
»O, ich bin feige und erbärmlich, und du – du bist tapfer und hochsinnig, wie keine andre Frau! Was für ein böser Geist ist denn in mir, der mich dem Laster in die Arme treibt und gegen den nicht einmal die Liebe zu dir, die trotz alledem in meiner Seele lebt – o, du weißt es ja – mich zu feien vermag? Ich verachte die Frau . . . es gibt Augenblicke, wo ich sie hasse . . . und doch kann ich mich nicht von ihr losreißen! Ich werfe mir die Schändlichkeit meiner Aufführung vor, ich sage mir, wie schmählich, wie erbärmlich meine Handlungsweise ist, auf meinen Knieen möchte ich deine Vergebung erflehen, und wenn du dann einen Schwur von mir fordern wolltest, von dieser wahnsinnigen Leidenschaft zu lassen, so würde ich zum Meineidigen . . . ich weiß es ja, ich konnte mein Wort nicht halten. . . . O, ich bitte dich – dich, die du so stark bist, entreiße mich mir selbst, gib mir Mut und Stolz wieder. . . . Warum hast du dich von mir gewendet? Warum hast du mich seit einem Jahre mir selbst überlassen? Ich würde alle diese Fehltritte nicht begangen haben, wenn du immer an meiner Seite gewesen wärest, um mich zu führen und mich zu stützen. Ich bin ein bedauernswerter, unglücklicher Mensch, ohne Energie, ohne Ehrgefühl: ich habe dich tief gekränkt, und du, die du so himmelhoch über mir stehst, hast mir kaum einen Vorwurf gemacht. O, welch ein Elender bin ich; wie sehr bin ich deines Mitleids unwürdig! Geh, verlaß mich! Bleibe bei meiner Großmutter, auf daß sie nicht einsam sterben muß, aber ergib dich nicht länger schweigend darein, die Qual zu tragen, die meine Gegenwart dir bereitet – ich werde gehen, verschwinden.«
Sie sah ihn mit einer Miene des Vorwurfes an.
»Und dein Kind?« sagte sie. »Du denkst also gar nicht an den kleinen Pierre? An mir ist ja nicht viel gelegen, und aus herzlicher Zuneigung zu dir bin ich zu jedem Opfer bereit. Ich war nur eine arme, kleine Arbeiterin, die in einer Mansarde wohnte, als deine Großmutter mich in euer Haus führte und mich wie ihre Tochter aufnahm. Das werde ich nie vergessen, und ich werde durch meine Hingabe an euch, an dich und sie meine Schuld der Dankbarkeit abtragen. Schließlich kannst du dir ja sagen, daß du genug für mich gethan, indem du mir deinen Namen, dein Vermögen und ein ganzes Jahr des Glückes geschenkt! . . . Aber dein Kind! Du sprichst davon, fortzugehen, zu verschwinden; du glaubst also deiner Pflichten gegen dasselbe ledig zu sein? Bedenke, daß du ihm eines Tages zum Vorbild dienen mußt. Nicht mit einem Schlage bereitet man sich für diese Aufgabe vor, man muß lange zuvor an dieselbe herangehen. Die Mutter allein genügt dem Sohne nicht, auch der Vater hat ihm gegenüber Pflichten zu erfüllen. Verzeihe mir, daß ich in diesem Tone zu dir spreche. Aber du weißt nicht, wie lieb ich dich habe und welche Opfer ich bringen würde, um einen bessern Menschen aus dir zu machen. Es fehlt dir ja nur ein wenig Vernunft und Selbstbeherrschung, denn im Herzen bist du gut und edelmütig. Versprich mir wenigstens, daß du nach Kräften gegen die Versuchung kämpfen und zu uns zurückkehren wirst, zu uns, die dich wahrhaft lieben. Wir könnten so glücklich sein! O Louis, das wäre so leicht, so einfach und so selig!«
Wenn er sie hörte, dachte er, daß das freilich leicht, so einfach und beseligend wäre, daß er dann nicht mehr zu lügen und Versteck zu spielen brauchte, daß er nicht mehr unter dem drückenden Bewußtsein eines schuldbeladenen Gewissens zu leiden haben würde. Die schönen Tage von Boissise traten wieder vor seine Seele in ihrer stillen Heiterkeit und ihrer wohlthuenden Ruhe. Was verhinderte ihn, diese reizenden Tage wieder aufleben zu lassen, in denen er Geist und Herz so frei gefühlt hatte? Warum konnte er nicht mit Helene nach Italien oder Spanien, in ein Sonnenland reisen, weit fort von allen Intriguen und in Sicherheit vor allen Versuchungen? Er war im Begriff, ihr zu sagen: »Laß uns abreisen!« Aber plötzlich erschienen vor seinem inneren Blicke die blauen Augen, die rosigen Lippen und das Goldhaar der schönen Engländerin – und all die heilsamen und sonnigen Gedanken waren wie weggeblasen! Dazu gesellte sich die Stimme falschen Stolzes: »Was wird man von dir denken? Da wird es heißen: Der kleine Junge hat Schelte gekriegt, nun ist er wieder artig! Vor einer Gardinenpredigt willst du zu Kreuz kriechen und den reuigen Sünder spielen? Du bist also nicht mehr Herr im Hause? Schwachkopf, der sich von den abgedroschenen Phrasen von Familienglück bethören laßt! Kennen Männer, wie du, eine andre Regel, als ihre Launen? Sind moralische Bande stark genug, um sie zu fesseln? Gehörst du zu jenen, die sich willig zum Opfer kindischer Vorurteile machen lassen? Zählst du denn nicht zu jenen Ausnahmemenschen, die sich von jedem sozialen Zwang zu befreien wissen?« In diesem Augenblick ging eine vollständige Veränderung in seinem Geiste vor. Er nannte sich dumm und einfältig, weil er nahe daran gewesen, sich kleinlichen, hausbackenen Rücksichten zu fügen. Der Dämon trug den Sieg in seinem Herzen davon, die warme Regung bessrer Gefühle wich einer eisigen Kälte.
Jede Spur von Reue war verflogen, und in seinem Herzen lebte nur der ungestüme Wunsch, seine Laune zu befriedigen. Er wagte indessen doch nicht, so schnell seine Tonart zu ändern; er nahm die Hand Helenes, drückte sie und führte sie noch einmal an seine Lippen. Die junge Frau hatte auf den Zügen ihres Gatten seinen Gedankengang verfolgt und deutlich wahrgenommen, wie er seine Kaltblütigkeit allmählich wieder erlangte. Die süßlichen Redensarten, die er vor seinem Weggehen an sie richtete, verhallten wie ein inhaltloses Geräusch in ihren Ohren, und als sie allein war, brach sie in heiße Thränen aus, über die vollkommene Nutzlosigkeit ihrer Anstrengungen.
Von jetzt an hoffte sie nicht mehr, den Undankbaren, der sie verriet, durch ihre unausgesetzte Milde und ihre unerschöpfliche Hingebung zu sich zurückzuführen, und doch verlor sie den Mut nicht und änderte ihr Benehmen nicht, im Gegenteil hatte sie vielleicht noch nie so viel Reiz und Liebenswürdigkeit entfaltet, als in diesen Tagen der Prüfung. Sie hatte ihr Schicksal herausgefordert, und in diesem Kampf galt es, alles aufzubieten, um ihrem Gatten zu gefallen, ihn an sich zu ziehen und zu fesseln; selbst die Künste weiblicher Koketterie durfte sie nicht verschmähen, und es erfüllte sie mit höchster Freude, wenn es ihr gelang, alte Empfindungen in ihm zu wecken. Sie wollte ihm sein Haus angenehm machen, er sollte keinen Vorwand finden, dasselbe zu meiden. Aber dabei ließ sie es bewenden; weitergehenden Wünschen Louis' gegenüber verhielt sie sich ablehnend. Ein eintägiger Sieg, den sie vielleicht schon tags darauf in Einsamkeit und Verlassenheit beweinen müßte, wäre ihr zu teuer bezahlt erschienen. Sie konnte den Gedanken einer Teilung nicht aufkommen lassen, sie wollte ihren Gatten allein besitzen, oder gar nicht. Einstweilen aber wußte sie Ton und Haltung einer glücklichen Gattin so gut festzuhalten, daß Frau Hérault, trotz ihres vollständigen Zusammenlebens mit dem jungen Paare, keine Ahnung von den schweren Zerwürfnissen hatte, die zwischen den beiden Gatten herrschten.
Seit der Szene, die zwischen ihr und ihrem Manne stattgefunden, hatte Helene kein Wort mehr über die Gesellschaft bei Lady Olifaunt fallen lassen. Sie hoffte, daß Louis im letzten Augenblick ihr sagen werde: »Wir gehen nicht!« Sollte aber dieses Gefühl sittlicher Empörung bei ihm nicht eintreten, so war sie entschlossen, ihn zu begleiten und die ihr aufgedrängte Rolle mutig durchzuführen. Sie hatte Emilie gefragt, ob sie ebenfalls eingeladen wäre.
»Ja,« hatte Fräulein Lereboulley erwidert. »Diana thut es nicht anders, sie will an diesem Abend eine anständige Dame bei sich sehen!«
»Nun, da hat sie ja sogar zwei: dich und mich!«
Emilies Brauen zogen sich zusammen. Sie ließ nur ein »Ah« hören; aber sie hatte Helene bis in den Grund ihrer Seele geschaut. Den folgenden Tag näherte sich Thauziat in einem Salon Frau Hérault, und nach den landläufigen Redensarten sagte er plötzlich: »Ist es wahr, daß Sie morgen zu Lady Olifaunt gehen?«
»Wie kommen Sie zu dieser Frage?«
»Weil sie sich dessen rühmt!«
»Ist denn das so ruhmvoll für sie?«
»Ja – sehr ruhmvoll!«
»Um so besser, wenn sie darüber befriedigt ist, ich lege kein besondres Gewicht darauf!«
»Sie sind also nicht eifersüchtig?«
»Ich bin es nicht mehr!«
Sie war ein wenig bleich und fügte mit einem gezwungenen Lachen hinzu: »Die Meisterin Gewohnheit stumpft den Geist ab.«
Die dunkeln Augen fest und traurig auf sie geheftet, sagte er ernst: »Ich beklage Sie von ganzem Herzen!«
Helene warf heftig den Kopf zurück und sagte ihm fast rauh: »Worauf ich verzichte! Ich will kein Mitleid und bedarf keines Trostes!«
»Und doch werden Sie mich nicht abhalten können,« antwortete er, »das Schicksal ungerecht gegen Sie zu finden und Ihnen ein Glück zu wünschen, das mir nur Schmerz bereiten könnte. Sie wissen es ja wohl, daß meine Gefühle sich nicht geändert haben: es gibt Männer, die ihrer Liebe treu bleiben.«
Sie begegnete seinem Blick stolz und kalt.
»Auf was hoffen Sie denn?«
»Auf nichts! Aber ich liebe Sie, und ich bleibe in Ihrer Nähe, weil ich glücklich bin, wenn ich Sie sehe und wenn ich Sie höre. Ich beklage Sie, weil Sie das Unglück mit bewunderungswerter Tapferkeit tragen, und ich möchte Sie abhalten, heroische Tollkühnheiten zu begehen, die den, für welchen Sie kämpfen, nicht entwaffnen, und Sie in den Augen der Welt in ein falsches Licht setzen werden. In dem Kampfe, den Sie aufgenommen haben, werden Sie grausam zerfleischt werden, Sie kämpfen nicht mit gleichen Waffen. Ihre Gegner sind mit Gleichgültigkeit oder Bosheit gewappnet, Sie gehen mit unbewaffnetem Arm und ungepanzerter Brust in den Kampf. Ihre Gegner sind feig und verschlagen, Sie freimütig und loyal – Sie müssen unterliegen.«
Er hielt inne. Sie wagte nicht zu sprechen; es war ihr, als ob man soeben das Todesurteil über sie gefällt hätte. Sie ahnte indessen, daß er noch mehr auf dem Herzen hatte, und warf ihm einen bittenden Blick zu. Er schien sie verstanden zu haben.
»Sie kennen Ihren Gatten nicht,« sagte er, »und Sie haben ihn vom ersten Tage an unrichtig behandelt. Nur wer ihnen festen Widerstand leistet, flößt diesen Naturen dauernd Zuneigung und Achtung ein. Sie sind sanft und gut gewesen, und er hat Sie zur Märtyrerin gemacht! Das war unvermeidlich. Noch ist's Zeit, das zu ändern – zeigen Sie sich ihm heftig und unbeugsam, und vor allem weigern Sie sich, diese Demütigung vor ihrer Nebenbuhlerin über sich ergehen zu lassen.«
Sie schüttelte traurig den Kopf.
»Sie wollen nicht? Dann sind wir zu Ende. Aber vergessen Sie nicht, daß ich ehrenhaft genug gewesen, Ihnen diesen Rat zu erteilen, und seien Sie versichert, daß Sie in mir zu jeder Zeit einen Freund besitzen, der Ihnen mit Leib und Seele ergeben ist.«
Er stieß einen Seufzer aus, verbeugte sich vor ihr und ging. Helene kehrte in trübe Gedanken versunken nach Hause zurück. Am Morgen des verhängnisvollen Tages war Louis sehr nervös und trug eine gemachte Fröhlichkeit zur Schau. Die düstere Stimmung seiner Frau schien er nicht zu bemerken und er verbrachte den ganzen Tag auf seinem Büreau in Saint Denis, um erst zur Essenszeit zurückzukehren. Als das Mahl beendet war, erhob er sich und sagte kurz angebunden zu Helene: »Wir brechen um elf Uhr auf, nicht wahr?«
Sie antwortete lakonisch: »Ja!«
So war also jede Hoffnung auf eine bessre Regung in ihm dahin. Die junge Frau ging, von der Großmutter begleitet, auf ihr Zimmer und hielt sich einen Augenblick bei ihrem Kinde auf, um mit ihm zu spielen. Dort wurde sie von einer solchen Traurigkeit erfaßt, daß es ihr nicht langer möglich war, ihre Thränen zurückzuhalten. Die Großmutter trat erschreckt zu ihr, ergriff ihre beiden Hände und stellte eine Menge Fragen, die ohne Antwort blieben. Helenes Schmerz gehörte nur ihr allein, aus ihrer Liebe erwachsen, behütete sie ihn so eifersüchtig wie diese. Sie bezwang schnell ihre Thränen und begann Toilette zu machen, wobei ihr die Augen der alten Frau besorgt und unruhig folgten. Um elf Uhr war sie fertig; sie ging aber heute nicht wie sonst in den Salon hinunter, sondern erwartete Louis in ihrem Zimmer. Er kam etwas ungeduldig, weil er glaubte, sie hätte sich beim Ankleiden verspätet; bei ihrem Anblick aber blieb er wie geblendet von ihrer Schönheit stehen.
Sie trug ein weißes, mit Perlen besticktes Kleid, um den schönen Hals keinerlei Schmuck, nur in den leicht gewellten Haaren funkelte stolz und vornehm eine kleine Aigrette. Sie kam ihrem Gatten ein paar Schritte entgegen, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das Nebenzimmer, wo ihr kleiner Knabe schlummerte. Die Vorhänge auseinanderschlagend, zeigte sie ihm das Kind, das frisch und rosig wie eine Blume dalag. Louis neigte sich über seinen Sohn und betrachtete ihn schweigend, dann küßte er ihn sanft. Das Herz wollte Helene in der Brust zerspringen, sie hätte fast laut aufgeschrieen: »Aus Liebe zu ihm, bleibe hier bei uns!« Aber Louis hatte sich ruhig wieder in die Höhe gerichtet und fühlte nach, ob seine Krawatte richtig geknüpft sei.
Die junge Mutter erkannte, daß ihr letzter Versuch unnütz gewesen, und nachdem sie die Vorhänge mit einer fast ehrfurchtsvollen Scheu wieder herabgelassen, als ob sie ein Heiligtum vor tempelschänderischen Blicken schlösse, sagte sie: »Gehen wir!«