Georges Ohnet
Sie will. Band 1
Georges Ohnet

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Drittes Kapitel.

Das Fest des Grafen Woroseff hatte gehalten, was es versprochen. In der mit elektrischem Licht feenhaft erleuchteten Halle seines Hauses in den Champs Elysées wogte in einer berauschenden, aus Blumenduft und den Parfüms der Damen gemischten Atmosphäre eine lebensfrohe, glänzende Gesellschaft auf und ab. Von einer dreifachen Reihe von Zuschauern umgeben, tanzten die Paare nach der verlockenden Musik eines Orchesters, welches von einer hinter Grün verborgenen Loggia geheimnisvoll seine Klangwellen auf die Gesellschaft herabrauschen ließ. Von der Galerie, die rings um die erste Etage lief, beobachteten einzelne Gruppen das anziehende Bild, das buntbewegte Intriguenspiel, in welchem sich die hellschimmernden Dominos der Damen unter die schwarzen und roten Fracks der Herren mengten. Die Musik übertönend, drang zuweilen, wie rauschender Flügelschlag, das Stimmengewirr herauf, mit dem sich silbernes Lachen zum Jubelton dieser Festnacht einte. Auf der großen holzgeschnitzten Treppe, deren Wände prachtvolle Gemälde von Baudry schmückten, drängte sich eine Menge Neugieriger hinauf, um die luxuriösen Privatgemächer des Grafen zu besichtigen.

Alle Räume des Hauses, das ein wahres Wunder künstlerischer Ausstattung, waren geöffnet, von dem Renaissance-Vestibül mit den Florentiner Mosaikwänden bis zu dem Schlafzimmer im Geschmack Louis XV., dessen leuchtende Decke in der galanten Welt berühmt war. Die Geladenen hatten überall Zutritt. Der vornehme Russe hatte seinen Freunden gesagt: »Ihr seid während dieser Nacht hier zu Hause,« und mit der üppigen Gastfreiheit eines Satrapen des Orients hatte er alles, was er an Kostbarkeiten besaß, ihnen zur Verfügung gestellt. Er schien in seinem eignen Hause nur der Eingeladene der Gäste, die ihn dieses Fest zu geben aufgefordert hatten. Alles, was Paris an Liebenswürdigem, Berühmtem, Interessantem aufzuweisen hatte, war geladen. Eine Ausnahme hatte Woroseff jedoch gemacht, ein einziger war ausgeschlossen: der Herzog von Bligny, der ihm vor zwei Jahren seine Frau entführt hatte.

»Daß er mir die Gräfin genommen,« hatte der Graf gesagt, »wäre ja kein Grund, ihn nicht einzuladen, aber daß er mir bei dem natürlich dazu gehörigen Duell eine Kugel in die Hüfte gejagt, infolge deren ich meiner Lebtage hinken muß, ist unverzeihlich. Eine Frau läßt sich ja ersetzen, ein Bein niemals!«

Alle großen Klubs waren durch ihre bekanntesten Mitglieder vertreten, und unter den Kapuzen erkannte man, da einige Damen der Hitze wegen die Masken abgelegt hatten, die hübschesten Schauspielerinnen von Paris. Von der Presse war ein Dutzend ihres Talentes und ihres Taktes wegen rühmlichst bekannter Journalisten eingeladen. An eine Marmorsäule gelehnt, hörte der Meister des heutigen Theaters, der an seinem hohen Wuchs, seiner mit rebellischem Haar geschmückten Stirn und einem langen grauen, den spöttischen Mund einrahmenden Schnurrbart erkennbar war,Dumas fils. lächelnd zwei jungen Damen zu, die ihn über einen ganz besonders schwierigen Gewissensfall konsultierten. Etwas von ihm entfernt stand der einzige Schriftsteller – mager, bleich, mit seinem NapoleonskopfSardou. – der an Berühmtheit und Erfolg dem großen Verfechter von Paradoxen an die Seite zu stellen ist, und brannte unaufhörlich ein wahres Feuerwerk geistreicher Einfälle ab, in welchem die Witzworte wie Raketen emporschossen.

Der Nachfolger der vlämischen Meister,Meissonier. Anm. d. Übers. ebenso klein an Wuchs, wie groß an Talent, strich seinen wallenden Bart, als der berühmte Musiker Vignot mit erhobenem Apostelkopf und begeisterter Miene über Malerei sprach, als ob seine Kompetenz bei allen Dingen erwiesen sei. Eine junge Tänzerin der Oper, deren Ruhm, natürlich sorgfältig von einem kunstliebenden Bankier gepflegt, bereits an die höchsten Sterne heranragte, hing am Arme des noch sehr jugendlichen Direktors der Comédie française und that ihm schön, als ob sie in den Verwaltungsrat seines Theaters aufgenommen zu werden hoffte. Dieser rühmte lächelnd die italienische Tanzkunst und wurde zum Lohn, daß er die Cornalba in die Wolken erhob, mit dem Fächer auf die Finger geklopft.

Der Prinz von Cravan, ein Schiedsrichter für alles, was Eleganz anlangt, führte an seinem Arm einen hermetisch maskierten Domino und schüttelte, wenn man fragte, wer die Dame sei, lächelnd sein graues Haupt.

Eine vornehme Dame hatte ihm gesagt: »Bitte, stellen Sie mich vor!« worauf der Prinz entsetzt ganz leise geantwortet: »Unmöglich, es ist Grille d'Egout!«Die berühmte Pariser Cancantänzerin. Anm. d. Uebers.

Es waren in der That allerhand Menschen da, und für jeden Geschmack war auf dieser Redoute gesorgt, zu der Herzoginnen und Damen der Halbwelt, verhüllt oder unverhüllt, hatten kommen können. Nur den Herren war beim Eintritt ihre Karte abverlangt, das Inkognito der Damen aber gewissenhaft respektiert worden. Wenn man Woroseff aufs Gewissen gefragt hätte, wer eigentlich bei ihm sei, so wäre er um die Antwort verlegen gewesen. Aber gerade diese Mischung von Laster und Tugend, dieses sich Begegnen von Gesellschafts- und Lebenskreisen, die für gewöhnlich durch unübersteigbare Schranken getrennt sind, hatte einen besondern Reiz.

In einem mit prächtigen Waffen geschmückten kleinen orientalischen Salon saß Lereboulley mit Sir James Olifaunt, de Bramberg und Selim Runo an einem Spieltische, im Begriffe, eine Partie Poker zu machen. Die schöne Diana hatte den Arm Clement von Thauziats genommen, um einen Rundgang durch die Gemächer zu unternehmen, und der Senator, der sie unter dem Schutze dieses gefürchteten Kavaliers wohlgeborgen wußte, schickte sich an, in voller Seelenruhe seinen fremdländischen Geschäftskollegen einiges Geld abzunehmen.

Seit der halben Stunde, die er hier war, hatte ihn nichts aus seiner Ruhe aufgescheucht; auf seinem Pfaffengesicht, mit den pechschwarzen Haarlocken an den Schläfen, prägte sich volle Befriedigung aus, als ein Paar in den Salon trat und etwa zwei Schritte von dem Tische entfernt stehen blieb.

Die Dame war klein, schmächtig und trug einen hellblauen, mit schönen Valencienner Spitzen besetzten Domino.

Der Kavalier war Louis Hérault.

»Sieh da,« sagte der Senator lebhaft, »Sie sind schon versehen. Sie gehören niemals zu den Nachzüglern!«

Louis sah Lereboulley an und lächelte ruhig: »Wenn ich diese junge Dame hier herumführe, lieber Freund, so geschieht das Ihnen zuliebe.«

»Ich kenne sie also?«

»Wo wäre die Dame zu finden, die Sie nicht kennen?«

»Na, wer ist denn diese da?«

Der würdige Senator ließ seine Partie im Stich, näherte sich dem Domino und stand im Begriffe, den Spitzenbart der Maske aufzuheben, als die Unbekannte rasch ihre Hände auf seine Schultern legte und ihn flüchtig auf die Wangen küßte.

»Hallo!« rief Louis lustig, »das ist eine Zärtlichkeit, von der ich noch nichts erfahren habe.«

Der Domino sprang zurück, brach in helles Lachen aus, bei dessen Klang sich die Stirn Lereboulleys bewölkte, ergriff von neuem schnell und leicht den Arm seines Kavaliers und rauschte in das nächste Zimmer.

»Ich hätte wetten mögen, daß es die übermütige Emilie war,« murmelte der Senator, wobei er der jungen Dame mit den Blicken folgte. Er zuckte darauf gleichmütig die Achseln, setzte sich an seinen Tisch und begann eine neue Partie.

Es war in der That Emilie gewesen, die seit einer Stunde mit ihrem Freunde von Gruppe zu Gruppe wandelte, dort einen lustigen Witz, da ein launiges Wort hinwarf und mit vollen Händen aus dem Schatze ihres Geistes schöpfte und gab.

Ein Haufen Neugieriger hatte sie umgeben, als sie sich mit einer der feinsten Klingen der litterarischen Welt in ein Wortgefecht eingelassen. Mit verstellter Stimme neckte sie den Gegner und wußte ihn durch die Grazie ihrer Einfälle zu immer neuem Angriff zu reizen; ohne je plump oder verletzend zu werden, flogen die satirischen Bemerkungen hin und her wie feurige Leuchtkugeln.

Louis, der dank seiner Begleiterin das Ziel aller Blicke wurde, ließ sie entzückt gewähren, unterstützte sie, wenn es notwendig war, mit gutmütiger Fröhlichkeit und gehorchte verständnisvoll dem leisen Druck ihres Armes, wenn sie sich in einen andern Salon begeben wollte.

Sie hielt sich überall nur kurze Zeit auf, sprach zu allen Gästen, die sie kannte – und es war der größere Teil – mit verstellter Stimme, drängte sich dann wieder durch die Menge und schien mit ihrem hellen Blick jemand zu suchen.

Louis und sie waren auf diese Weise an dem Eingange eines Gewächshauses angelangt, wo unter großblätterigen Blattpflanzen, inmitten von seidenweichen, smaragdgrünen Lykopodien, ein kleiner Bach, der aus der Urne einer marmornen Nymphe strömte, hell plätschernd in ein Becken fiel. Vergoldetes Gitterwerk, mit roten und weißen Kamelien übersäet, bedeckte die Wände, und von der Glasdecke hingen untereinander verschlungene Lianen herab. Wie die geheimnisvolle Gottheit dieses dufterfüllten, fremdartigen Ruheplätzchens erhob sich auf einem Bronzepiedestal eine Venus aus schwarzem Marmor. Mit dem berauschenden Duft der Blumen und Pflanzen mischte sich der scharfe Geruch des Humus und rief eine heiße und schwüle Atmosphäre hervor.

Beim Betreten des Gewächshauses bemerkte Louis, daß der Arm Emilies in dem seinen erzitterte und ein halberstickter Seufzer sich den Lippen des jungen Mädchens entrang. Er hatte nicht nötig, nach der Ursache zu fragen, sah er doch Clement von Thauziat vor einer Marmorbank stehen, auf der eine in einen weißen Domino gehüllte Dame saß.

Unter der Kapuze der letzteren drängte sich vorwitzig eine Locke goldblonden Haares hervor, und unter der schwarzen Maske, die den oberen Teil des Gesichtes bedeckte, zeigte sich ein rosiger Mund, zwischen dessen Lippen zwei Reihen Perlenzähne schimmerten. Wenn sie lachte, stellte sich auf jeder Wange ein reizendes Grübchen ein. Soweit man unter dem faltigen, sie dicht verhüllenden Kleidungsstück erkennen konnte, war die Dame groß und schlank. Sie streckte ihr kleines, mit einem weißen Atlasschuh bekleidetes Füßchen, dessen schneeige Haut unter den feinen Maschen eines durchbrochenen Strumpfes durchschimmerte, bis zu dem ausgezeichnet feinen Knöchel unter ihrem Kleide vor und bewegte dasselbe leicht hin und her; die nicht eben kleinen Hände spielten mit einem rosenroten Federfächer. Clement, der in seiner weißen Atlasweste, einer Blume im Knopfloch, mit seinem vornehmen Kopf wie ein italienischer Prinz aussah, plauderte leise mit ihr, wobei er ihr vertraulich mit seinem Claque Kühlung zufächelte.

»Ah, da ist ja der hochedle Herr von Thauziat,« rief Emilie mit Falsettstimme, »und, wie immer, mit einer hübschen Frau! . . . Guten Abend, Euer Gnaden,« fuhr sie fort, indem sie sich mit komischer Grazie verneigte, »Sie haben also gar keine Furcht, sich zu kompromittieren, da Sie sich von einem so gefährlichen jungen Manne den Hof machen lassen?«

Ohne zu antworten, setzte der weiße Domino sein Spiel mit dem Fächer fort.

»Auf diese Weise können Sie Ihre holde Stimme schonen,« sagte Emilie, »und reden sich keinesfalls heiser. Ah, was für einen hübschen Fuß wir haben! Und erst die Hand! Lassen Sie doch einmal sehen!«

Noch ehe die Dame es wehren konnte, hatte sie deren Hand ergriffen, zog ihr mit Geschicklichkeit den langen weißen, schwedischen Handschuh aus, befühlte ihre Finger und drehte sie nach Art der Wahrsagerinnen hin und her.

»Verstehst du denn wahrzusagen, schöne Maske?« sagte Clement lächelnd.

»Sobald es gewünscht wird, nur bin ich nicht diskret und enthülle alles, was ich sehe.«

»Das ist nur um so pikanter. Was hat man denn dir wahrgesagt, Louis? Jedenfalls hast du dir dein Horoskop stellen lassen. – Du hattest ja die schönste Gelegenheit dazu.«

»Ist aber nicht geschehen und deine schöne Freundin wird die erste sein, an der ich meine Kunst übe, wenn's ihr gefällig ist.«

Der weiße Domino wollte, ohne zu antworten, seine Hand zurückziehen, aber Emilie hielt sie fest in ihren nervigen Fingern, und die Dame mußte sich, da sie es auf einen Kampf, der möglicherweise zu ihrem Nachteil ausschlug, nicht ankommen lassen wollte, in ihr Schicksal ergeben. Emilie beugte sich auf die rosig-weiße Handfläche hernieder und schwieg einen Augenblick. Ihre Augen blitzten diabolisch durch die Oeffnungen der Maske, und sarkastisch kniff sie den Mund zusammen.

»Oh!« sagte sie, den Ton ihrer Stimme ändernd, »das ist ja eine ganz merkwürdige Hand! Hat man sie erst studiert, so ist es unmöglich, auch nur den geringsten Zweifel über ihre Besitzerin zu hegen, denn ihre Natur zeigt sich darin ohne jegliche Verhüllung: welch prachtvolle Kopflinie, die die ganze Lebenslinie beherrscht, die Herzenslinie ganz in Hintergrund drängt, und sogar Leidenschaften, Launen und Wünsche, alles was die armen Sterblichen bewegt, der Berechnung unterthan macht. Die Venuslinie ganz mit der Merkurlinie verbunden, Liebe und Spekulation Hand in Hand. Da steht's klar und deutlich,« sagte sie und berührte dabei mit ihren mageren Fingern die Höhlung der Hand, »wir kennen den Wert unsrer Schönheit, und wer vor unsern Augen Gnade finden will, darf Diamanten und Perlen nicht sparen.«

Emilie konnte ihre unerbittliche Untersuchung nicht fortsetzen. Der Domino hatte sich heftig erhoben, ihr die Hand mit Gewalt entzogen und einen Blick tödlichen Hasses auf das junge Mädchen geschleudert.

»Nun, was gibt's denn?« fragte Fräulein Lereboulley spöttisch in ihrer burschikosen Weise. »Sind die Gnädige böse? oder gar beleidigt? oder gar eine vornehme Dame? Ach die verstehens oft noch besser als die andern!«

Als er sah, welch drohende Wendung der Vorfall annahm, war Louis unruhig geworden; es schien jedoch, daß ihm weit mehr daran lag, die Dame im weißen Domino gegen die heftigen Ausfälle Emilies zu beschützen, als diese dem Zorn der von ihr so grausam Beleidigten zu entziehen. Das junge Mädchen schien einige Sekunden lang wirklich in Gefahr; das Gesicht ihres Opfers war totenbleich geworden, und die Zähne bohrten sich in die sich entfärbenden Lippen. Zischend vor Wut erhob sie die Hand, als ob sie im nächsten Augenblick zuschlagen wollte; als sie dann aber sah, daß es ihr unmöglich sein würde, den ihr angethanen Schimpf damit zu rächen, wandte sie sich heftig ab und eilte mit den Worten: »She shall pay for it, das soll sie mir bezahlen!« hinaus.

»Bezahlen soll ich es ihr,« rief Emilie schrill auflachend. »Nun, da hatt' ich ja recht, wenn ich sagte, daß bei ihr nichts umsonst zu haben.«

Auf den schönen Flüchtling zeigend, sagte sie hastig zu ihrem Begleiter: »Nun, laufen Sie ihr doch nach, mein Lieber! Sie brennen ja darauf.«

»Und Sie befehlen mir das wohl, damit ich Sie mit Thauziat allein lasse?« bemerkte der junge Mann launig, indem er zur Wahrung von Emilies Inkognito sich ebenfalls des »Sie« bediente.

»Vielleicht,« erwiderte das junge Mädchen und legte ihre Hand auf den Arm des stolz dastehenden Clement . . . »Ich bin diesem furchtbaren Ritter zu Dank verpflichtet, weil er nicht versucht hat, seine Dame gegen mich zu verteidigen.«

»Wenn sie den Kampf mit Ihnen hätte aufnehmen wollen,« sagte Thauziat ruhig, »so wäre sie vollauf im stande gewesen, das ohne meine Hilfe zu thun.«

»Und Sie lassen sie so allein fliehen, ohne ihr nachzufliegen?«

»Sehen Sie nicht,« erwiderte er und zeigte auf Louis, der dem weißen Domino folgte, »daß sie bereits einen Kavalier gefunden?«

»Sind Sie nicht eifersüchtig? Sie ist schön!«

»Schön ist sie, das ist wahr, aber ich habe keinen Grund, eifersüchtig zu sein.«

»Oder vielmehr Sie haben jetzt keinen Grund mehr . . . freilich ob auch dies wahr ist? . . .«

»Wenn ich es Ihnen sage?«

»Ein schöner Grund das,« erwiderte Emilie mit einem etwas erzwungenen Lächeln. »Das Argument ist vielleicht stark genug, einen Mann zu überzeugen; eine Frau für so thöricht zu halten – lächerlich!«

»Ich gebe mir niemals die Mühe, zu lügen.«

»Mir gegenüber würde das auch vollständig unnütz sein, ich kenne die Wahrheit viel zu genau, als daß Sie mich täuschen könnten.«

Clement lächelte und sagte in spöttischem Tone: »Sie haben vermutlich in der Hand der schönen Blondine gelesen?«

»Ob in der Hand jener Dame oder in Ihren Augen – einerlei, ich kenne sie.«

»Wieso?«

»Kommen Sie dort in jene Ecke, wo wir ungestört sein werden.«

Sie zog Clement unter eine große Fächerpalme, die ihre Blätter über eine Laube breitete, in welcher ein kleines Sofa von vergoldetem Bambusrohr stand. Rankende Heliotropen verbreiteten ihren köstlichen Duft und der künstliche kleine Bach rieselte über die weißen Kiesel seines Bettes, das von zwei Streifen feinen Mooses eingerahmt war. Das Licht der Kronleuchter fiel nur schwach und gedämpft durch die tiefgrünen Ranken, die Klänge der Musik drangen wie aus weiter Ferne in den lauschigen Winkel, wie um die beiden nicht ganz vergessen zu lassen, daß der Strom des Lebens ohne Rast und Ruh um ihr weltentrücktes, traumhaft schönes Asyl herflute.

In die eine Ecke des Sofas gedrückt, überließ sich Fräulein Lereboulley dem Vergnügen, ihren Begleiter zu mustern. Er erwartete ruhig und lächelnd mit eigentümlicher Sicherheit das Kommende. Fast hätte man glauben können, er hätte gewußt, daß es ihm unmöglich sein würde, dieser Unterhaltung zu entgehen, und daß er sich darauf vorbereitet hätte. Er ergriff zuerst das Wort.

»Mein lieber, kleiner Zauberer,« sagte er lustig, »nun erkläre dich einmal. Du behauptest, die Wahrheit zu kennen. Nun, gut! Schütte einmal den Sack deiner Bosheiten aus!«

»Das soll geschehen,« erwiderte Emilie. »Fangen wir einmal mit der schönen Diana an. Denn sie ist es, welche sich unter dem weißen Domino verbirgt, und obwohl sie kein Wort gesprochen, habe ich sie doch sofort an ihrem Goldhaar erkannt. Um ihren Namen zu nennen, bedarf es keiner großen Zauberkünste. Hernach kommt die Reihe an Sie . . . Sie haben sie im Jahre 1870 in London entdeckt, sie war in einer Schenke der Chanceray Lane Kellnerin, hieß Kate Brown und versah die Advokatenschreiber mit Butterbrot, Ale und andern guten Dingen, dabei war sie außerordentlich unwissend, aber von bezaubernder Schönheit. Ein Zufall führte Sie in das Lokal, wo sie diente. Sie flößte Ihnen Bewunderung und Mitleid ein. Ein Künstler wie Sie konnte nicht gleichgültig zusehen, daß ein solches Wunder von siebzehn Jahren sich seine Hände mit Gläserwaschen verdarb und seinen Verstand mit Schreibergesellen vertrank. Obgleich es Ihr Prinzip ist, sich niemals das Leben durch eine Frau verkümmern zu lassen, so haben Sie sie doch mitgenommen und von heute auf morgen ihre Lage umgestaltet. Sie war nun keine Dienerin mehr, sondern Ihre Geliebte. Die Jagdsaison hatte eben begonnen, Sie reisten von Schloß zu Schloß, jagten in Yorkshire und in den schottischen Mooren, und zwischen jeder derartigen Expedition brachten Sie einige Tage bei ihr zu. Weil es für Ihr ästhetisches Gefühl unerträglich ist, Menschen in Ihrer Umgebung die Grammatik mißhandeln zu hören und unorthographische Briefe zu empfangen, ließen Sie das Mädchen unterrichten; diese wußte Ihre Großmut zu nutzen und hatte sich in wenigen Monaten dergestalt verwandelt, daß die früheren Gefährten ihres Elends oder ihrer Freuden sie nicht wiedererkannt hätten. Ihrem Gesichte nach war sie noch die alte Kate, in ihrem Benehmen und in ihrem Wesen jedoch eine junge Dame geworden die alles Ungehobelte und Rohe in ihrem Wesen vollständig abgelegt hatte. Um diese Zeit machten Ihre Verhältnisse Ihnen die Rückkehr nach Paris nötig; mit einer Tausendpfundnote und einem Kuß gaben Sie Kate Brown ihre Freiheit zurück. Sie hieß jetzt Diana, von einer Lady Olifaunt war noch nicht die Rede, doch besaß sie alles, was die galante Laufbahn erfordert, eine wunderbare Schönheit, eine tiefe Sittenverderbnis und keinerlei Gewissensskrupel. Sie bedurfte für die Eroberung der Gesellschaft nur eines Geschäftsfreundes, der sich bald fand. Es war Sir James.«

Thauziat hatte zugehört, ohne eine Miene zu verziehen. Sein schönes Gesicht blieb ruhig und lächelnd. Man hätte schwören mögen, daß durchaus nicht von ihm die Rede war, und die Mitteilung ihn vollständig gleichgültig ließ. Jetzt erst machte er eine Bewegung der Überraschung und warf, ohne den geringsten Versuch zu widersprechen, ruhig hin: »Wer hat Sie denn so gut unterrichtet? Es gibt wenig Leute, die das wissen, was Sie mir erzählen.«

»Ich habe lange Zeit in England gelebt,« erwiderte Emilie immer noch mit verstellter Stimme.

»Sprechen aber ganz ohne Accent,« sagte Thauziat mit spöttischem Blick.

»Das thut Diana auch und ist erst seit zwei Jahren in Frankreich . . . aber diese Geschöpfe sind in einer Weise begabt . . . soll ich fortfahren?«

»Ja, Sie amüsieren mich sehr!«

»Wenn Diana da wäre, würden wir uns noch mehr amüsieren.«

»Würden Sie denn das alles in ihrer Gegenwart erzählen?«

»Versteht sich.«

»Sie hassen sie also?«

»Ich erweise ihr nicht diese Ehre. Ich verachte sie, wie den Schmutz im Rinnstein.«

»Nehmen Sie sich in acht, sie ist nicht ungefährlich. Sie gehört zu den Frauen, die zum Vitriol greifen.«

Emilie konnte sich nicht enthalten, ihre Gleichgültigkeit gegen diese Gefahr durch eine übermütige, knabenhafte Bewegung auszudrücken, und sagte mit ihrer natürlichen trockenen und scharfen Stimme: »Nun, wer sagt Ihnen denn, daß, wenn sie mich entstellte, ich nicht dadurch gewinnen würde?«

»Wie kokett!« fiel Thauziat galant ein, worauf Emilie wieder in dem näselnden Maskentone bemerkte: »Aha, Sie wissen also nicht, wer ich bin?«

Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Diana ist ein netter Typus, aber James Olifaunt ist ein viel bemerkenswerterer. Er gehört einer ausgezeichneten Familie an, ist als jüngerer Sohn nach Indien gegangen und hat von dort kein Vermögen, aber großartige Lebensansprüche mitgebracht, welche nun durch die Geliebten der Lady Olifaunt in edelster Weise befriedigt werden, ohne daß dabei irgend einer wagen würde, dem Gatten den schuldigen Respekt zu versagen, denn er ist ein vortrefflicher Pistolenschütze und hat bereits drei Tote auf dem Gewissen, die natürlich im Duell getötet wurden – Sir James ist ein Ehrenmann; er mordet nicht . . . Dieser Raufbold verhält sich übrigens Ihnen gegenüber vollständig ruhig, und nach alledem muß ich annehmen, daß Sie sehr bedenkliche Dinge über ihn wissen . . .«

»Vielleicht!«

»Können Sie mir zufällig sagen, in welchem Kirchensprengel er mit Diana getraut worden ist?«

»Nein, aber ich weiß, daß dies in England geschehen,«

»Vor dem Schmied von Gretna green vermutlich. Ein Hammerschlag, und die Angelegenheit war geordnet. Auf alle Fälle sind sie durch Interessengemeinschaft dauernd verbunden, und wehe dem, der ihnen in die Hände fällt. Lassen Sie doch diesen armen, unschuldigen Jungen Louis Hérault, als dessen Freund Sie gelten, sich nicht weiter in ein Verhältnis mit der Person verwickeln. Es wird nicht leicht sein, aber vielleicht ist es noch Zeit, ihn zu warnen. Sie allein vermögen das.«

»Was fürchten Sie denn für ihn?«

»Alles. Bei einer solchen Frau muß man sich auf das Schlimmste gefaßt machen. Louis Hérault ist sehr reich, sehr verliebt, sie könnte sich von ihm entführen lassen, und Sie wissen, was Sir James dann thun würde.«

»Nichts. Ich bürge Ihnen dafür.«

»Und wenn Louis unglücklich würde?«

»Sie haben recht, er ist ein Kind und weiß Diana nicht zu behandeln, aber sobald es not thut, habe ich ein unfehlbares Mittel, ihn zu heilen.«

»Das wäre?«

»Gestatten Sie mir, daß ich darüber schweige.«

»Oh Sie sind ja sehr geheimnisvoll.«

»Nur diskret.«

Einen Augenblick schwieg Emilie, dann sagte sie leise, als ob ihre Worte von der Spitze ihrer Maske gedämpft würden: »Und wenn man Sie nun fragte, wen Sie lieben?«

»So könnte ich die Frage beantworten, ohne irgend jemand zu kompromittieren: Ich liebe niemand!«

»Ihr Herz ist also frei?«

»Vollständig.«

»Seit kurzer Zeit erst?«

»Von jeher. Ich habe niemals geliebt.«

Thauziat war ernst geworden. Er richtete einen langen Blick auf seine Fragestellerin, dann sagte er langsam, fast feierlich: »Bis auf den heutigen Tag hat mein Herz niemals die Leidenschaft gekannt. Ich habe galante Abenteuer gehabt, habe geliebt, in dem landläufigen Sinne, den man diesem Worte zu geben pflegt, welches das ernsteste ist, das man aussprechen kann. Niemals aber habe ich bis jetzt die Empfindung gehabt, eher mein Leben zu lassen, als auf eine Frau zu verzichten. Wäre ein Freund zu mir gekommen und hätte mir gesagt: ›Ich bin in deine Maitresse verliebt‹ so würde ich ihm vermutlich geantwortet haben: ›Da hast du sie‹ und hätte wahrscheinlich am nächsten Morgen an die ganze Geschichte nicht mehr gedacht, höchstens vielleicht, um mich zu freuen, daß ich einem anständigen Menschen keinen Kummer bereitet, wo es mir so leicht war, ihm ein Vergnügen zu machen. Seitdem ich in ein vernünftiges Alter getreten, habe ich mit allerhand Schwierigkeiten im Leben zu kämpfen gehabt, habe alle meine Kräfte anwenden müssen, um die Hindernisse zu beseitigen, die sich mir in den Weg stellten, ich habe versucht, mir das Glück unterthan zu machen und habe meine Schlacht gegen das Schicksal siegreich ausgefochten. In diesen Kämpfen galt es Freunde und Feinde zu durchschauen und kennen zu lernen, und ich bin zu der Einsicht gelangt, daß die einen im großen Ganzen nicht so hoch zu schätzen, die andern nicht so sehr zu fürchten sind, als man in der Regel annimmt. Ich bin thatsächlich dahin gekommen, zu glauben, daß, um vorwärts zu kommen, es nur genügt, zu wollen, und daß die Welt denen gehört, die einen Willen haben. Bis jetzt habe ich um Geld und Gut gerungen, nach dem Glück zu greifen hatte ich keine Muße. Vielleicht entdecke ich einen dieser Tage die Frau, die für mich erschaffen, denn hier auf Erden hat jedes lebende Wesen seine Ergänzung, die ihm bestimmt ist. Von dieser Stunde an wird alles, was ich an Energie und Kampfesmut besitze, meiner Liebe dienen, besitzen muß ich sie, die mich zum erstenmal die Leidenschaft empfinden lehrt, und ich weiß, daß ich das Ziel erreichen werde, was sich mir auch entgegenstellen mag.«

»Und wenn nun eine Frau Sie zuerst liebte?«

»So würde ich alles versuchen, um sie wieder zu lieben, weiß aber im voraus, daß mir dies nicht gelingen würde. Eine eingenommene Stadt hat für mich keinen Reiz, Ich brauche die Eroberung; vor mir muß eine uneinnehmbare Festung liegen, die man nur mit Lebensgefahr erstürmen kann, mit einem Worte, ich will den Kampf, ich bin mit einem wahren Abscheu gegen alles Konventionelle, gegen alles von langer Hand Vorbereitete und alles Banale auf die Welt gekommen. Mein Leben lang habe ich einen ausgeprägten Geschmack für das Außergewöhnliche, das Seltene, das Unerreichbare gehabt. Vielleicht ist das mein Unglück. Ich sage mir oft genug, daß ich eines Tages eine grausame Enttäuschung erleben werde, und dennoch thut es mir nicht leid, daß ich ein Jäger nach diesem Unmöglichen geworden, was, ich weiß das recht gut, anmaßend scheinen könnte, wenn es nicht so durch und durch wahr wäre.«

»Und wenn nun ein junges, sehr reiches, kluges, aber nicht hübsches Mädchen – nein, hübsch ist sie nicht, aber im stande, jeden Platz auszufüllen, auf den das Schicksal sie stellt – Ihnen ihre Hand anböte, die sie Männern verweigert hat, die Paris zu seinen hervorragendsten zählt, was würden Sie dieser Frau antworten, die kühn genug, sich über die sogenannte Konvenienz der Welt hinwegzusetzen, selbst zu Ihnen käme, was diesem Geist, der hoch genug denkt, um Ihnen zuzutrauen, daß Sie verstehen werden, wieviel sie Ihnen damit gibt, was diesem Herzen erwidern, das heiß genug schlägt, um durch glühende, schrankenlose Hingabe gewisse armselige physische Unvollkommenheiten auszugleichen?«

Die Gestalt des jungen Mädchens schien höher, mächtiger zu werden, durch die Öffnungen ihrer Samtmaske blitzten ihre Augen, die auf Clements Arm gelegte Hand zitterte und ihr ganzes Wesen atmete einen berückenden Reiz. Märchenhaft wie die Umgebung wirkte ihre Erscheinung – ein Wort des Königssohnes und aus der neidischen Hülle mußte jung, schön und stolz die befreite Prinzessin hervorschlüpfen. Das Wort, das den Zauber lösen sollte, es blieb ungesprochen. Thauziat senkte den Kopf und blieb einige Sekunden in schmerzliches Sinnen versunken. Sein männlich-schönes Gesicht war düster geworden. Erst als ein Seufzer der neben ihm Sitzenden an sein Ohr drang, sah er auf. Die Hand des jungen Mädchens lag nicht mehr auf seinem Arm; er ergriff dieselbe, drückte sie leise und sagte dann tief traurig, ohne sich Mühe zu geben, seine Bewegung zu verbergen: »Niemals werde ich die Worte vergessen, welche Sie zu mir gesprochen, und was Sie auch immer von mir verlangen mögen, ich bin bereit, es zu thun . . .«

Und als das junge Mädchen ihre Verwirrung nicht verbergen konnte, fuhr er in achtungsvoller Zärtlichkeit fort: »Ich weiß, wer Sie sind, ich habe Sie sofort erkannt und vollkommen verstanden. Es handelte sich um Sie, und Sie haben mir, weiß Gott, mehr Ehre erwiesen, als ich wert bin. Vielleicht gehe ich in diesem Augenblicke – ja ich fühle, daß es geschieht – an meinem Glück vorüber. Aber ich müßte nicht der sein, der ich bin, wenn ich mich selbst Lügen strafen und das thun wollte, was ich von jeher verschworen. Mich binden und wissen, daß mein Wille nicht ausreicht, ein solches Band zu lösen, wäre eine schlechte Handlung, denn ich bin sicher, daß ich es zerreißen und eine Frau, die meine ganze Hochachtung und Verehrung besitzt, verraten und namenlos elend machen würde. An dem Tage, wo ich um eine Frau diene, diene ich ihr auf den Knieen. Solange ich aber das nicht kann, vermag ich nicht für mich einzustehen: ich würde sie unglücklich machen, und das wäre schändlich. Sie wissen, daß ich nicht seit heute erst ein tiefes und nicht alltägliches Gefühl für Sie hege . . . Vergessen wir, was in dieser halben Stunde gesprochen worden, aber räumen Sie mir das Recht ein, mich derselben zu erinnern, als des höchsten Beweises von Vertrauen, den eine Frau einem Manne geben kann. Reichen Sie mir Ihre Hand und zeigen Sie mir, daß Sie die sind, als welche Sie sich mir geschildert, die, wofür ich Sie gehalten, und verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen einen bittern Augenblick bereiten mußte.«

Emilie nahm langsam ihre Maske ab und kehrte Thauziat ihr bleiches, thränenüberströmtes Gesicht zu. Mit schmerzlichem Lächeln auf das thränenfeuchte Atlasfutter ihrer Maske deutend, sprach sie weich: »Es gibt Frauen, die vor Freude weinen, mein Teil sind Thränen der Entsagung und des Schmerzes, und die ich heute weine, sind die wenigst bittern, die je aus meinen Augen geflossen. Sie sind stolz, Clement, und Sie haben ein Recht, es zu sein. Alles, was Sie sind, verdanken Sie sich selbst, deshalb sind Sie berechtigt, aus Ihrem ›Ich‹ eine unversöhnliche Gottheit zu machen, der Sie alles opfern. Ich wäre für Sie eher ein guter Kamerad und Freund, als eine Frau gewesen, und ich hätte Ihnen tapfer zur Seite gestanden. Aber es gibt Geschicke, die ein für allemal unselig sind, und das meine ist ein solches, trotz allen Neides, den es erregt. Glauben Sie mir, ich hätte alles in der Welt gethan, um Ihnen zu gefallen, denn Sie sind der einzige Mann, an den mein Dasein zu ketten mir der Mühe wert geschienen hätte.«

Thauziat schüttelte erregt den Kopf und sah Emilie bittend, fast demütig an.

»Sie sind zu streng gegen die andern und Sie sind es nicht genug gegen mich – wenn Sie mich mit unbefangenem Blick betrachten wollten, würden Sie dessen bald inne werden.«

Beide schwiegen eine Weile und suchten das innere Gleichgewicht wieder zu gewinnen, das sie so gänzlich verloren. Der lauschige, poetische grüne Winkel stand in einem seltsamen Widerspruch zu dem Lärm des Festes und ihrer eignen Erregtheit. An der offnen Thür huschten im Walzertakt sich drehende Paare vorüber, und Tänzer wie Tänzerinnen hatten alle in ihrem Gesicht jenen Zug allgemeiner Befriedigung, der das Zeichen vollständiger Gedankenlosigkeit ist. Sie drehten sich auf der sich selbst drehenden Erde und man sah, daß es für sie nichts weiter gab, als die Genugthuung, sich zu drehen.

»Sie amüsieren sich,« sagte Emilie, indem sie auf die Paare deutete, »und sind glücklich . . .«

Sie war aufgestanden und hatte ihre Maske wieder vorgenommen.

»Wollen Sie mir jetzt einen großen Gefallen thun? . . . Ja, ohne Zweifel. – Nun, dann beschäftigen Sie sich diesen Abend nicht mehr mit mir. Ich kehre allein in meinem Wagen zurück, habe ich doch nur fünf Minuten nach Hause. Ich werde erwartet, und man wird mir kaum Zeit lassen, zu klingeln. Denken Sie nur ein klein wenig an den thörichten Louis, der in den Händen der englischen Zauberin ist. Verstanden? Ich will es so!«

»Und ich gehorche!«

Ohne sich den Arm zu geben, schritten sie nebeneinander in das festliche Getriebe zurück, und als Thauziat nach wenigen Schritten sich zu seiner Begleiterin wenden wollte, war sie verschwunden und er war versucht, das eben Erlebte für einen Traum zu halten. Wie er durch die Salons schritt, bemerkte er, daß mehr und mehr ein bacchantischer Taumel sich der Gesellschaft bemächtigt hatte, leidenschaftliche Worte wurden heiß geflüstert, eine schwüle Atmosphäre herrschte. Durch den großen Speisesaal, wo man inmitten des Geklirres von Silber und Porzellan an kleinen runden Tischen mit moskowitischer Üppigkeit und Verschwendung soupierte, begab er sich in den Spielsaal. Hier fand er Lereboulley und Sir James an demselben Platz noch immer in ihre Partie Poker vertieft, die sie bei Beginn der Soiree angefangen. Der Senator schien gelangweilt, Sir James aber, der einen großen Haufen Napoleons und Bankbillets vor sich liegen hatte, rupfte offenbar die drei andern Mitspieler, und das Glück bewies ihm auffällige Gunst und Treue. Thauziat trat auf den Tisch zu und während einer der Spieler gab, fragte er Lereboulley: »Haben Sie Louis Hérault nicht gesehen?«

Sir James blickte einen Augenblick vom Spiel auf und sagte artig: »Vor einer halben Stunde kam er hier durch!«

»Allein?«

»Nein, er hatte einen weißen Domino am Arm. Sie sind zu jener Thür hinausgegangen, nachdem sie uns einen Augenblick beim Spiel zugesehen.«

»Was Ihnen offenbar kein Unglück gebracht hat,« erwiderte Clement lachend.

»Wie Sie sehen!«

Der Engländer hatte mit der Gleichgültigkeit eines Mannes gesprochen, der keine Ahnung davon hat, daß unter dem von ihm bezeichneten Kostüm sich seine eigne Frau verbirgt, Lereboulley dagegen zeigte größere Aufregung; er wandte sich an Clement mit den Worten: »Nehmen Sie doch einmal meine Karten, lieber Freund, mir wäre es nicht unerwünscht, wenn mein Pech endlich ein Ende nähme.«

»Sie wollen mich dem schrecklichen Sir James in die Hände liefern? Danke recht sehr! Bleiben Sie ruhig sitzen, lieber Freund, Ihre Mittel erlauben Ihnen das.«

Trotz der bittenden Blicke des Bankiers setzte er seinen Weg fort. Plötzlich befand er sich in der Bibliothek des Grafen, einem großen Raum, an dessen Wänden herum niedrige Glasschränke aufgestellt waren, in denen wertvolle Manuskripte und kostbare Medaillen aufbewahrt wurden. Die eine Zimmerecke war in eine glasgedeckte Loggia umgewandelt, die nach den Champs Elysées hinausging und mit ihren Möbeln aus Bambusrohr, seidenen Kissen und blumengeschmückten Jardinieren einen lauschigen kleinen Raum bildete. Ein breites Balkonfenster war geöffnet und an das Eisengitter gelehnt plauderten Louis und Diana in der lauen Nachtluft. Es war zwei Uhr, schon begann es leise zu dämmern, und der helle Glanz der Sterne erblich, der Duft der blühenden Kastanien würzte die milde Atmosphäre. Unten stand die lange Wagenreihe, gespenstisch wie eine schwarze Schlange mit glühenden Augen. Tiefe Stille herrschte, und in diesem von Menschen überfüllten, lichtumflossenen, vom Lärm der frohen Musik durchströmten Hause fühlten Diana und Louis sich allein.

Von dem Augenblick an, wo die Engländerin, durch den hämischen Spott Fräulein Lereboulleys verjagt, dem Gewächshause entflohen war, war der junge Mann nicht von ihrer Seite gewichen und sie hatte alle Künste der Koketterie aufgeboten, um ihn zu fesseln. Er hatte sie außerhalb des Treibhauses, an ein Fenster gelehnt, den Kopf traurig gesenkt, die Augen voll Thränen wiedergefunden. Sie hatte ihm ihre Hand überlassen, als ob sie nicht ahne, daß er bei ihr sei. Er versuchte, zu ihr zu sprechen, sie antwortete nicht, schien ihn nicht zu hören, nur tiefe Seufzer entrangen sich ihrer Brust und ihre Lippen bebten. Von dem hinreißenden Schauspiel dieses stummen Schmerzes überwältigt, drückte Louis leise ihre Hand, ohne daß sie ihm dieselbe entzog. Zögernd legte er seinen Arm um ihre schmiegsame Taille, und sie wehrte ihm nicht. Endlich aus ihrer Versunkenheit erwachend, sah die schöne Frau sich in Louis Armen, ihr Haupt ruhte auf seiner Schulter. Wenn sie ihm je anbetungswürdig erschienen, so war es jetzt, als sie sich mit schmerzlicher Entrüstung aufrichtete, ihn von sich drängte und, von Schluchzen unterbrochen, die Worte hervorstieß: »Da sehen Sie, wohin diese abscheulichen Verleumdungen führen: Das hätten Sie nie gewagt, wenn nicht . . . Sie glauben also . . .«

Und als Louis mit erhobenen Händen sich dagegen verwahren wollte, fiel sie ein: »Antworten Sie mir nicht! Nein, lassen Sie mich nicht leere Worte, keine lügnerischen Beteuerungen hören, aus denen ich nur allzuleicht Ihre Verachtung heraushören würde. Was für ein Verbrechen habe ich denn begangen, um so gehaßt zu werden? Woher diese Erbitterung gegen mich? Ich kann so nicht weiter leben; ich gehe fort von hier, um nie wiederzukehren . . . Man soll mich nicht wiedersehen . . . Diese Emilie, oh, ich habe sie wohl erkannt, verfolgt und peinigt mich . . . ich habe ihr nie etwas zuleide gethan. Ich kenne sie nicht! Zürnt sie mir etwa, weil sie selbst häßlich und mißgestaltet ist? Ist dies vielleicht meine Schuld? Wüßte ihr Vater, wie sie mich quält, er würde meinem Jammer ein Ende machen. Aber ich will sie bei ihm nicht anklagen. Es würde mir schmerzlich sein, ihn zu betrüben, ihn zu Erklärungen zu veranlassen, die ihm peinlich sein müßten, um diesem entsetzlichen Mädchen zu beweisen, daß er ein Recht hat – oh das natürlichste und heiligste der Welt – Anteil an mir zu nehmen.«

Wie eine Märtyrerin in der Arena, die das Raubtier erwartet, welches sie zerreißen soll, kreuzte sie die Arme über die Brust und ihre Lippen bewegten sich wie im Gebet. Von der außerordentlichen Schönheit der jungen Frau geblendet und unter dem Banne ihres Zaubers, verstand Louis den Sinn ihrer Worte nicht mehr, er hörte nur den Ton ihrer Stimme. In diesem Augenblicke hätte er Emilie, die er doch wie eine Schwester liebte, verleugnet, er hätte mit Thauziat Streit gesucht, er war wie von Sinnen. Alles, was er sein Eigen nannte, hätte er hingegeben, um dieses anbetungswürdige Geschöpf in seine Arme schließen, sie weit von hier tragen zu dürfen, sie ewig sein Eigen und nur sein Eigen nennen zu dürfen. Heißes Verlangen leuchtete aus seinen Augen . . . Diana wandte ihre Blicke ab, als ob ihr plötzlich ein allzu grelles Licht weh thäte; mit einer schamhaften, sittsamen Gebärde zog sie den Domino fester um sich und trat errötend, wie ein junges Mädchen, einen Schritt zurück, um sich zu entfernen.

»Nein, gehen Sie so nicht von mir,« flehte Louis mit vor innerer Glut erstickter Stimme, »Sie wissen, daß ich Ihr treuer Diener, Ihr ergebener Freund bin, daß Sie alles über mich vermögen, und daß ich Sie gegen alle und gegen alles verteidigen werde.«

»Das wäre eine schwere Aufgabe, mein Freund,« erwiderte Diana, »ich habe kein Recht an Ihr Leben und kann Ihnen nicht gestatten, sich für mich aufzuopfern. Gehen Sie . . . Lassen Sie eine unglückliche Frau allein, der gegenüber alles erlaubt ist . . .«

Das war genug, um Louis zu jedem Opfer, auch zu dem seines Lebens, zu bewegen. Mit der ganzen Siegeszuversicht der Jugend trat er auf sie zu und bat: »Nehmen Sie meinen Arm und fürchten Sie nichts!«

Sie schlug die Augen zu ihm auf, und wie von seiner Entschlossenheit und Festigkeit besiegt, nahm sie den ihr angebotenen Arm und folgte dem jungen Manne.

Sie gingen, wie Sir James gesagt hatte, in den Spielsaal, und Diana konnte dem Wunsche, sich dem Pokertisch zu nähern, nicht widerstehen. Ihr Mann spielte und sah sie gleichgültig an. Lereboulley benahm sich auffallender, und es bedurfte eines gebieterischen Blickes Dianas, um ihn auf seinem Platz festzuhalten, was für ihn förmlich qualvoll zu sein schien. Wortlos glitt Diana in ihrem Domino wie ein weißes Gespenst vorüber. Wenige Minuten später befand sie sich mit Louis auf dem Balkon der Bibliothek des Grafen Woroseff.

Sie lehnte sich einen Augenblick auf die Eisenbalustrade und bot ihre bleiche Stirn der weichen Nachtluft dar. Die Maske hatte sie abgenommen, und Louis konnte ihre herrlichen Züge bewundern. Es war eine Schönheit von wunderbarem Reiz. Ihre großen, blauen, von schwarzen Wimpern eingerahmten Augen blickten rein und milde, die kapriziöse kleine Nase verlieh dem Gesicht etwas entzückend Schelmisches, während ihr rosiger Mund in seinen weichgeschwungenen Linien etwas Madonnenhaftes hatte. Es war das anbetungswürdigste Antlitz, das je ein Liebhaber erträumt, eine engelhafte Keuschheit der Augen und des Mundes und dazu ein teufelskühnes Näschen, das die ganze Welt herauszufordern schien. In dieser Stunde gewahrte Louis nichts von diesem Zwiespalt, den die Natur selbst auf dies Antlitz geschrieben, er sah nur die reine Schönheit dieser Augen und dieses Mundes und er fühlte, daß man ein Verbrechen begehen könnte, um diese Lippen zu berühren, um diese Augen sich in Liebesseligkeit schließen zu sehen.

Nach einigen Minuten fuhr die junge Frau unwillig auf, strich sich mit der Hand über die Stirn, als ob sie einen ungelegenen Gedanken verscheuchen wollte, und wandte sich dann wehmütig lächelnd an ihren Gefährten.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, Ich verlor mich in Gedanken an eine traurige Vergangenheit, wenn ich mein Elend vergangen nennen kann – ich bin noch so jung – vierundzwanzig Jahre – und ich habe viel gelitten und leide noch . . .«

Als sie Louis eine Bewegung des Erstaunens machen sah, schüttelte sie ihren Kopf, dessen blondes Haar wie ein Goldhelm glänzte.

»Nicht mehr in derselben Weise wie früher freilich, wo ich Hunger und bittre Not kannte. Meine Mutter war gestorben, mich allein auf der weiten Welt lassend, mein Vater hatte uns längst aus den Augen verloren. Nur einem Zufall verdanke ich es, daß dieser Beschützer mir wiedergegeben wurde, und Gott weiß, wie sehr seine edle Herzensgüte verdächtigt worden. Aber fast wünsche ich die Tage des Elends wieder herbei, wenn ich sie mit denen vergleiche, die darauf gefolgt sind. Damals war ich wenigstens frei, während ich heute an einen Mann gefesselt bin, der mich niemals verstehen wird.«

Sie schauderte, zog die Seidenkapuze über ihren Kopf und stieß dann, als ob sie mit dem Schluchzen kämpfe, abgerissen die Worte hervor: »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen alles das sage, was kümmert es Sie, daß ich leide, Sie können mir doch nicht helfen!«

»Sie sagen es mir,« erwiderte Louis, »weil Sie wissen, daß ich Sie liebe. Oh ja, Sie wissen es. Seit Monaten haben Sie es bemerken müssen an der Verwirrung, die sich meiner bemächtigte, wenn ich mich Ihnen näherte, an dem Zittern meiner Stimme, wenn ich so glücklich war, mit Ihnen sprechen zu dürfen. Alles hat es Ihnen sagen müssen, meine Furchtsamkeit, wenn ich Ihnen folgte, ohne ein Geständnis zu wagen, meine Kühnheit in diesem Augenblick, wo ich mein liebetrunkenes Herz Ihnen zu Füßen lege. Ja, ich habe es gesehen, Sie werden weder geliebt, noch sind Sie glücklich. Großer Gott, wie ist es möglich, daß ein Mann an Ihrer Seite leben kann, ohne Sie anzubeten und Ihnen ewig zu Füßen zu liegen! . . . Sehe ich Sie an, so durchzittert's mich, berührt meine Hand die Ihre, so scheint es, als ob Feuer durch meine Adern fließe; um Sie zu besitzen, würde ich mein Herzblut hingeben, bin ich doch sicher, daß eine Stunde Ihrer Liebe, den ganzen Lebensrest aufwiegt!«

Zu ihr niedergebeugt, hatte Louis leise einschmeichelnd ihr dieses Geständnis zugeflüstert; seine Augen blitzten, seine Lippen brannten. Unter den halbgeschlossenen Lidern beobachtete ihn Diana, wider ihren Willen ergriffen von dieser überströmenden echten Leidenschaft. Wie er so vor ihr stand, jung und schön und feurig, erschien er ihr wirklich wert, geliebt zu werden, und wehmütig lächelnd sagte sie: »Wie viele haben mich dessen schon versichert, glücklicherweise ohne daß ich daran geglaubt habe, denn wo handelt es sich um andres als eine vorübergehende Laune, eine flüchtige Leidenschaft? Es ist mein Verhängnis, daß alle Männer sich verpflichtet glauben, mir Liebe zu schwören. Wie viel falsche Eide! Wie viel nicht gehaltene Versprechen! Vielleicht sind Sie ehrlicher als die andern und lieben mich wirklich, da Sie mir schon lange treu sind! Und wenn ich Sie nun erhörte, wie lange würde diese große Leidenschaft dauern? . . . Man hat mir gesagt, daß Sie trotz Ihrer Jugend schon zu jenen gehören, für die eine Frau nur ein Spielzeug ist – sind Sie doch der unzertrennliche Gefährte eines Thauziat.«

»Wollen Sie mir etwas Böses von ihm sagen?« fragte Louis mit zitternder Stimme, »man hat mich versichert, daß er Sie seit langer Zeit und sehr gut kennt.«

»Seien Sie doch ehrlich, man hat Sie versichert, er sei mein Geliebter gewesen,« unterbrach ihn Diana plötzlich rauh, »vielleicht hat er es Ihnen selbst gesagt. Es gibt Menschen, die aus Eitelkeit einer Ehrlosigkeit fähig sind.«

»Er hat mir nie von Ihnen gesprochen, obwohl ich ihn oft mit Fragen bestürmt . . . es ist wahr, ich habe selbst auf die Gefahr hin, darunter zu leiden, wissen wollen, wer und was Sie sind. Alles, was Sie betraf, interessierte mich. Ich glaube, weiß Gott, wenn man mir Schlechtes von Ihnen gesagt, ich hätte es vergessen können, und nichts würde meine Leidenschaft besiegt haben.«

»Ist das wirklich wahr?«

Der Ausdruck in Dianas Zügen wechselte plötzlich, ihre Lider zuckten über den halbgeschlossenen Augen, ihre Nasenflügel bebten, ein ironischer Zug legte sich um ihren lieblichen Mund, und herausfordernd sagte sie: »Und wenn ich Ihnen nun eingestünde, daß Clement mich geliebt hat, daß ich sein gewesen und vielleicht noch . . .« Sie konnte nicht aussprechen, Louis hatte sie bei den Schultern gepackt, mit übermenschlicher Kraft hielt er sie hoch über dem Eisengeländer. Noch ein Zoll weiter, und sie lag zerschmettert auf der Straße. Sie that nichts, um sich zu verteidigen. Ihr in der wilden Umschlingung sich lösendes Haar floß wie ein duftiger Mantel auf ihre Schultern herab, und fest an den geschmiegt, dessen Arm sie bedrohte, zeigte sich in ihren Zügen der Ausdruck strahlenden Triumphes. So blieben sie einen Augenblick unbeweglich in ihren gegenseitigen Anblick versunken. Dann machte sich Diana geschmeidig los, ihre Lippen näherten sich denen Louis', und sie drückte einen langen Kuß auf dieselben.

Dem jungen Manne schien es, als ob vom Himmel herabschießende Lichtgarben ihn blendeten, in seinen Ohren klang es verworren, und die Hände in das Seidenhaar Dianas vergrabend, das ihn wie ein Flammenmeer umwogte, stand er da, seiner Sinne nicht mächtig. Als er sich gefaßt, sah er Diana neben sich, ein wenig bleich, ihr Haar befestigend: er zog sie an sich, sie widerstand nur schwach, und leise flüsterte er ihr ins Ohr: »Ich bete dich an!«

»Und doch hast du mich töten wollen,« sagte sie kopfschüttelnd.

»Warum mußtest du mich auch auf eine so fürchterliche Probe stellen?«

»Um zu sehen, ob du mich liebst! Aber bist du denn so eifersüchtig?«

»Ich habe während der letzten Sekunden so grausam gelitten, daß ich fast den Verstand verlor. Aber nicht wahr, alles, was du mir gesagt, war erfunden?«

»Ja, ich log.«

»Ich könnte jetzt den Gedanken nicht mehr ertragen, daß du einem andern angehört . . .«

Diana beugte das Haupt und sagte gepreßten Tones: »Vergessen Sie denn, daß ich nicht frei bin?«

»Haben Sie mir nicht eben gestanden, daß Ihr Gatte für Sie nur ein Fremder sei?«

»So tadelnswert sein Benehmen gegen mich ist, so bin ich doch seine Frau und trage seinen Namen. Lassen Sie mich, ich war eine Närrin und mache mir bittre Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit . . . Schon wollen Sie Rechte auf mich geltend machen . . . Sie werden mich ins Verderben stürzen . . . Ich bitte Sie, vergessen Sie alles, was vorgegangen . . . Von Ihrer Leidenschaft mit fortgerissen, durch Ihre Worte berauscht, habe ich einen Augenblick alle Sitte aus den Augen setzen, den unsinnigen Traum träumen können, Ihnen mein Leben zu widmen. Aber Sie werden selbst einsehen, daß dies unmöglich ist. Wohl wären Sie der Mann, dem ich, wäre es auch nur für den tausendsten Teil eines Augenblicks, hätte angehören mögen . . . Ich würde Sie geliebt haben, liebe ich Sie doch schon jetzt . . . Aber noch ist es Zeit, es ist besser, wir dulden still und sehen uns nicht wieder.«

»Hoffen Sie nicht, daß ich hierein willige.«

»Um des Himmels willen, was wollen Sie von mir?«

»Dich und nur dich!«

Er hatte sie in seine Arme geschlossen und fühlte ihr Herz gegen das seine schlagen. Er wollte sie küssen, sie suchte sich ihm zu entwinden, und seine Lippen berührten nur ihr Haar. Dann aber, als ob dieser Kuß die ganze Flut ihrer Gefühle aufs neue für Louis entfesselte, stieß sie ihn nicht mehr von sich und hing an seinem Halse, während Thränen der Liebe und Verzweiflung ihr Gesicht überströmten.

Von diesem Ausbruch überwältigender Zärtlichkeit tief ergriffen, wiederholte er leise: »Mein eigen, ganz mein eigen, jetzt und immer!«

Sie sah ihm lange unverwandt ins Auge und erwiderte: »Ja, was auch kommen möge, eher der Tod, als von dir lassen.«

Dann, von der Aufregung dieser Szene erschöpft, verharrten sie beide in Schweigen, eng aneinander geschmiegt, auf dem kleinen Balkon, die ganze Seligkeit dieser Stunde genießend.

Das Geräusch von Tritten scheuchte sie auf, sie fuhren auseinander und wandten sich um. Thauziat stand vor ihnen.

»Seit einer halben Stunde suche ich euch,« sagte er gelassen, »ihr schöpft wohl frische Luft?«

»Ja,« erwiderte Diana, vollständig Herr ihrer selbst, ruhig, während Louis in die Bibliothek zurücktrat, um seine Aufregung zu verbergen. »Es war zum Ersticken heiß in dem Salon . . . Wie spät ist es?«

»Schon drei Uhr,« sagte Thauziat, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen.

»Dann ist es Zeit, aufzubrechen; ich werde Sir James den Freuden des Spieles entführen.«

Sie wandte sich an Louis, reichte ihm freundlich, aber gleichgültig die Hand, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre, und sagte: »Adieu, ich sehe Sie doch heute?«

»Sicherlich,« erwiderte er, verbeugte sich tief und sah, als er sich wieder aufrichtete, die Schleppe ihres weißen Dominos, in dem Nebenzimmer verschwinden. Er war mit seinem Freunde allein.

»Nun, ich habe dir Zeit gelassen, mit Lady Olifaunt zu plaudern,« sagte Clement, »und du wirst bemerkt haben, wie diskret ich mich bei euch angemeldet. Ihr habt euch offenbar sehr gut unterhalten.«

»Außerordentlich,« erwiderte Louis trocken.

»Na, na, na,« sagte Thauziat, »Undank ist der Welt Lohn! Wenn sie nicht liebenswürdig war, so ist das doch nicht meine Schuld!«

Louis legte seine Hand auf den Arm des Freundes und sah ihn ernst an: »Höre, Clement, wenn es dir recht ist, so wollen wir beide nie mehr über Lady Olifaunt sprechen. Jedenfalls ist mir das lieber, als in dieser beleidigenden Leichtfertigkeit von ihr reden zu hören.«

»Holla,« fuhr Thauziat überrascht auf, »was soll das heißen, was ist geschehen, was hat sie dir gesagt? Woher diese plötzliche Hochachtung und diese unerwartete Strenge?«

»Drei Worte werden dir alles erklären: Ich liebe sie.«

»Neu ist das gerade nicht, du leidest ja seit sechs Monaten an diesem Zustand.«

»Ich liebe sie, sage ich dir,« erwiderte Louis begeistert, »und bin bereit, alles zu thun, um mich nicht mehr von ihr zu trennen, sie zu entführen, sie zu heiraten, wenn es erforderlich ist.«

Thauziat erhob wie abwehrend seine wohlgepflegte weiße Hand, seine Augenbrauen zogen sich finster zusammen, und er murmelte: »Die Frauen sind doch hellsehender als wir Männer; Emilie hat richtig geahnt, wieweit die Sache führen würde,« und dann sich an seinen Freund wendend, fuhr er fort: »Entführen ist viel, heiraten aber entschieden zu viel. Man heiratet Diana nicht, weil – nun, weil es nicht nötig ist.«

»Nimm dich in acht, Clement,« fuhr Louis erbleichend auf, »du beschimpfst eine Frau, die ich liebe, ich dulde das nicht.«

»Ich glaube gar, du drohst mir,« erwiderte Thauziat in so rauhem Tone, daß der junge Mann unwillkürlich zusammenschreckte, »zum Teufel, glaubst du damit irgend welchen Eindruck auf mich zu machen? Wenn das Geschöpf dir gefällt, so sei ihr Liebhaber, schön genug ist sie ja, aber entführe sie nicht, und vor allem keine Scheidung von diesem vortrefflichen Sir James. Er würde dir das nie verzeihen!«

Er lachte, und diese Heiterkeit erbitterte Hérault dergestalt, daß er mit geballten Fäusten auf seinen Freund losging, wobei er die Worte ausstieß: »Zum zweitenmal sage ich dir, nimm dich in acht, es ist feige, eine Frau zu beschimpfen.«

»Nimm du dich nur selbst in acht!« unterbrach ihn Thauziat. »Wie kannst du, junger Thor, dich so von den Künsten dieser Zauberin gefangen nehmen lassen! Ist es dahin gekommen, daß du nicht mehr an meine Freundschaft glaubst und zwischen einer Frau und mir schwankst? Die herbste Strafe wäre, dich deine Thorheit vollenden zu lassen, aber ich habe einer, die gütig genug ist, Anteil an dir zu nehmen, mein Wort gegeben, dich aus der Schlinge zu lösen. Du glaubst an die Reinheit Dianas, du glaubst auch an ihre Liebe?«

»Ja.«

In dem Augenblick, wo Louis weitersprechen wollte, trat Lereboulley aus dem Spielsaal.

»Es ist spät,« sagte der Senator. »Ihr jungen Leute bleibt wohl noch? Ich gehe zu Fuß nach Hause. Gute Nacht, oder vielmehr guten Morgen!«

Er winkte zum Abschied mit der Hand und entfernte sich schwerfällig.

Thauziat wandte sich zu seinem Freunde und sagte erregt: »Lereboulley geht zu Fuß nach Hause, folgen wir ihm. Du wirst dann wissen, woran du bist.«

Sie stiegen die Treppe hinab, nahmen ihre Überzieher und traten auf die Champs Elysées hinaus. Fünfzig Schritte vor ihnen ging der Senator, der sich eine Cigarre angezündet hatte, die Hände in den Taschen seines Paletots, den Stock unter dem Arm die menschenleere Avenue hinunter.

»Er geht nach Hause,« murmelte Louis.

»Das wirst du gleich sehen,« erwiderte Clement. »Wir wollen unter den Bäumen bleiben, damit er uns nicht erkennt.«

Sie waren am rond point angekommen. Dort wandte sich Lereboulley, anstatt in die Avenue d'Antin einzubiegen, nach links, ging über die Straße und bog dann in die Avenue Gabriel ein. Thauziat hatte fast gewaltsam den Arm Louis' in den seinen gelegt, er fühlte, wie er zitterte.

»Du beginnst Verdacht zu schöpfen?« sagte er.

Louis antwortete nicht, aber er atmete schwer. Der Senator schritt langsam vor sich hin, ohne zu ahnen, daß man ihm folgte. Auf der Höhe des Café des ambassadeurs veranlaßte Thauziat seinen Freund, stehen zu bleiben. Sie traten hinter eine Pflanzengruppe und warteten. Lereboulley machte noch ungefähr zwanzig Schritte, blieb dann vor einer kleinen unter Epheu verborgenen Gartenthür stehen, warf unwillkürlich, wie um sich zu versichern, daß er nicht beobachtet werde, einen Blick nach rechts und links, drehte dann den Schlüssel um und trat ein.

Ein dumpfer Aufschrei entrang sich den Lippen Louis'. Erbleichend starrte er auf seinen unbeweglich dastehenden Freund; dann stöhnte er mit zitternder Stimme: »Die Elende hat mich glauben lassen, daß er ihr Vater sei.«

Thauziat zuckte die Achseln. »Das pflegt sie gewöhnlich zu sagen, sie muß doch irgendwie den Luxus erklären, der sie umgibt. Seitdem sie in Paris ist, kompromittiert sich Lereboulley für sie, das ist der Grund, weshalb Emilie sie haßt . . . Jetzt werde ihr Liebhaber, wenn dir das Spaß macht, entführe sie lieber nicht, das ist vollständig überflüssig; vor allen Dingen aber heirate sie nicht, das brächte dir Schande! . . .«

»Ich werde sie nie wiedersehen.«

»Das ist wieder übertrieben. Sie zu sehen, ist ein Vergnügen: nur an sie zu glauben, muß man sich hüten.«

Louis drückte leise die Hand Clements.

»Verzeihe mir, was ich gesprochen,« sagte er bewegt, »ich war toll!«

»Nicht über das, was du gesagt, bin ich dir böse, sondern daß du mich gezwungen hast, eine Frau zu verraten.«

Dann legte er plötzlich den Arm um die Schulter seines Freundes und zog ihn fort von dem Hause, das diesen mit unzerreißbaren Banden festzuhalten schien.



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