Georges Ohnet
Sie will. Band 1
Georges Ohnet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Es war halb acht Uhr. Das feurige Rot des westlichen Himmels verblaßte allmählich und die Nacht brach herein. Auf den Boulevards wogten geschäftige Menschenmassen auf und nieder, wie ein Fluß sich anstauend, wenn der Verkehr durch den Verkauf der Abendblätter vor einem Kiosk einen Augenblick gehemmt war. Die Plätze vor den Cafés waren überfüllt. Zwischen den Tischreihen drängten sich die Stockverkäufer mit ihrem über die Schulter geworfenen grünen Sack, aus welchem neugierig die glänzenden Stahl- oder Schildpattknöpfe der Meer- und Bambusrohre hervorlugten. In der Mitte der Straße bewegten sich die mit drei Pferden bespannten, mit Fahrgästen überladenen mächtigen Omnibusse schwerfällig durch die Wagenreihen, die von Polizisten von Zeit zu Zeit an den Straßenecken angehalten wurden, um den Fußgängern den Übergang zu ermöglichen. Das Rollen der Räder, der taktmäßige Hufschlag der trabenden Pferde, der Ruf der ambulanten Händler, das Murmeln der Menge vereinigte sich zu einem summenden Getöse – die Stimme der Großstadt, welche nach der Last, der Aufregung, dem Lärm des Tages die Erholung, die Ruhe, die Stille der Nacht sucht.

Durch die Menschenwelle, die nach der Chaussee d'Antin flutete, bahnten sich zwei sehr elegant gekleidete junge Leute einen Weg, indem sie sich mit jener Geschmeidigkeit um die einzelnen Gruppen wanden oder, wo dies nicht möglich war, mit jener liebenswürdigen Unverfrorenheit durch die Menge drängten, die eine Eigentümlichkeit des Parisers ist. Sie schienen jemand zu suchen. Vor der Passage Jouffroy angelangt, blieben sie zaudernd einen Augenblick stehen.

»Ich sehe sie nicht mehr,« sagte der Ältere.

»Halten wir uns nicht auf,« erwiderte sein Begleiter.

Sie eilten weiter.

»Ich kenne überhaupt,« fuhr er dann fort, »nichts Einfältigeres und Zweckloseres, als einem Mädchen auf der Straße zu folgen. Entweder gehört sie zu denen, die verfolgt werden wollen, dann hat das Abenteuer keinen Reiz, oder sie ist eine Dame, dann hat es keine Folgen, als Zeitverlust und müde Beine.«

»Das Opfer, das wir in dieser Hinsicht bringen, ist jedenfalls kein sehr bedeutendes, da das reizende Geschöpf die Liebenswürdigkeit hat, uns gerade den Weg zu führen, den wir ohnehin gegangen wären, und eine Pariserin vor sich hergehen zu sehen, ist an und für sich ein Vergnügen, besonders wenn sie so stramm und elastisch ausschreitet wie diese, die unbedingt Rasse hat.«

»Du sprichst wahrhaftig wie von einem deiner Rennpferde.«

»Nun, das ist keine Beleidigung, weder für das Mädchen, noch . . . Halt! Da ist sie!«

Einen Augenblick an dem schwierigen Uebergang am Faubourg Montmartre aufgehalten, schritt die, welche, ohne es zu ahnen, die Aufmerksamkeit der beiden Spaziergänger auf sich gelenkt, nachdem sie den abschüssigen Teil vor Barbedienne hinter sich hatte, dem Faubourg Poissonnière zu. Hier, wo die Straße leerer, konnte man rascher vom Fleck kommen.

Die beiden Freunde suchten sich der Unbekannten zu nähern, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Ihr Anzug war mehr als einfach. Ein kleiner Tuchpaletot, der sich um ihre schlanke Taille schmiegte, fiel über einen braunen Rock ohne jeden Besatz, der aber mit Geschmack aufgenommen war. Ihr kastanienbraunes Haar bedeckte ein schwarzer Strohhut ohne Bänder und ohne Federn oder Blumen. Ein dichter Schleier verhüllte ihr Gesicht. Es war daher unmöglich zu sehen, ob sie hübsch war. Ihrem Anzuge nach zu urteilen, konnte sie nur sehr niedrigen Standes sein, vielleicht eine kleine Putzmacherin oder ein Hausmädchen in einer kleinbürgerlichen Familie, höchstens eine arme Klavierlehrerin, die von ihrer mühseligen Arbeit zurückkehrte. Dennoch hatte sie in ihrem Gange eine Grazie, eine Eleganz, die Zweifel darüber aufkommen ließen, ob sie wirklich war, was sie schien, ja man war fast zu der Annahme verleitet, daß man eine Dame der großen Welt vor sich hatte, die sich einer Verkleidung bediente. Sie ging schnell, ohne zu trödeln, warf nirgends einen Blick auf die erleuchteten Läden, und ihr fester, energischer Tritt hallte auf dem Asphalt wider.

Die beiden Freunde waren scheinbar zufällig an ihre Seite gelangt. Sie warfen verstohlene Blicke auf sie, wagten jedoch nicht sie merken zu lassen, daß sie sich mit ihr beschäftigten. Eine gewisse Befangenheit, als ob sie sich einem jungen Mädchen ihrer Kreise gegenüber befänden, hatte sich plötzlich ihrer bemächtigt. Sie vermochten ihre Züge nicht zu erkennen, aber es war ihnen, als ob zwei Augen tief und mild durch den dichten Tüllschleier leuchteten. Der Schleier schnitt über einem Mund von mittlerer Größe ab, um welchen ein Zug tiefen Ernstes, ja der Traurigkeit lag. Das einzige, was vollständig und bestimmt zu erkennen blieb, war ein feines weißes Kinn, das auf eine ruhige, stolze, etwas herbe Natur schließen ließ. Kurz, die Unbekannte konnte häßlich sein, aber nimmermehr war sie ohne Liebreiz.

»Sage 'mal,« unterbrach der jüngere der beiden Herren das Schweigen, »wenn sie in der Richtung der Porte St. Denis weitergehn sollte, dann wirst du mich wohl entschuldigen. Ich habe keine Lust, ihr bis nach der Bastille nachzulaufen.«

Sie waren an der Ecke des Faubourg Poissonnière angekommen. An dem Trottoirrand vor dem Rinnstein, der ziemlich breit war, hatte die Unbekannte fast unmerklich einen Augenblick gezaudert, dann nahm sie ihr Kleid ein wenig auf und übersprang denselben leicht und graziös. Die beiden Freunde hatten hierbei Gelegenheit, einen Knöchel von vollendeter Feinheit zu entdecken. Auf der andern Seite der Straße angekommen, bog sie in das Faubourg Poissonnière ein.

»Wahrhaftig, ich glaube, sie geht zu deiner Großmutter,« sagte lächelnd der Ältere.

»Ich vermute viel eher nach dem Konservatorium.«

»Nein, dann wäre sie nicht über die Straße gegangen.«

Sie schritten ein wenig schneller aus und befanden sich bald an der Seite des jungen Mädchens. Wie infolge einer sich plötzlich zwischen ihnen herstellenden magnetischen Verbindung richtete dasselbe ihren ruhigen Blick auf die jungen Leute, bemerkte ihre Erregtheit, erriet ihre Neugierde, und um ihre Mundwinkel legte sich ein Zug großer Härte. Sie fuhr zusammen und schien einen Augenblick nach Fassung zu ringen, nicht aus Angst, sondern aus Empörung. Mit Windeseile stürmte sie gleich darauf weiter und ließ ihre Verfolger weit hinter sich.

Vor einem großen Hause mit einem mächtigen Thorwege angekommen, wandte sie sich kurz und trat ein. Die beiden Freunde, die fast zur selben Zeit dort eintrafen, standen wie angenagelt, sahen einander an und fingen an zu lachen.

»Siehst du, habe ich es dir nicht gesagt, daß sie zu deiner Großmutter geht?«

»Sie ist bei dem Portier eingetreten und wird gleich wieder herauskommen. Warten wir ein wenig!«

In der That erschien sie sofort wieder mit einem Schlüssel in der Hand, vermutlich dem ihrer Wohnung, und einem in graues Tuch eingewickelten Paket. Als sie die beiden unter dem Thorwege stehenden Männer erblickte, die ihr aufzulauern schienen, konnte sie eine Bewegung des Zornes nicht unterdrücken, sie wandte, um ihre Entrüstung zu zeigen, den Kopf von ihnen ab und betrat eine kleine Treppe rechts von der Portierloge, auf der sie verschwand.

»Ah! Sie wohnt also hier im Hause,« sagte der jüngere der beiden Freunde, »das ist merkwürdig. Ich begegne ihr zum erstenmal. Unter dem Dache sind allerdings verschiedene kleine Wohnungen. Es wird irgend eine Nähterin sein . . . Auf alle Fälle ist die Jagd zu Ende. Du hast doch wahrscheinlich keine Lust, ihr die fünf Treppen nachzusteigen, damit sie dir nachher tugendhaft die Thür vor der Nase zuschlägt. Komm, laß uns dinieren!«

»Frage doch 'mal den Portier, wie sie heißt.«

»Den Gefallen kann ich dir ja thun.«

Dabei öffnete der Jüngere die Thür zur Portierloge, in deren Hintergrund ein alter Mann mit grauem Haar, in einem großen ledernen Lehnstuhl sitzend, seine Abendzeitung las. Als er den Eintretenden erkannte, leuchtete sein Gesicht freudig auf; er nahm sein Käppchen ab und erhob sich dienstfertig.

»Wer ist denn das junge Mädchen, Vater Anselm, das hier soeben aus Ihrer Loge kam?«

»Fräulein Helene, eine Mieterin im fünften Stock, Herr Louis . . . ein sehr braves, sehr ruhiges und sehr energisches Mädchen. Das arbeitet den lieben langen Tag in der Konfektion, und um sich noch am Abend zu beschäftigen, macht sie Perlspitzen bis nach Mitternacht. Meine Frau besorgt das bißchen Wirtschaft bei ihr . . . Wir nennen sie Fräulein Helene, aber ihr Familienname ist eigentlich Graville. Sie wohnt nun schon achtzehn Monate hier, man sollte es jedoch nicht meinen, man merkt sie kaum. Zweimal des Tages sehen wir sie, des Morgens, wenn sie in ihr Geschäft geht, und des Abends, wenn sie aus demselben zurückkommt.«

»Danke, Vater Anselm,« sagte der junge Mann, als er merkte, daß der Portier sehr geneigt war, ihm eine vollständige Lebensbeschreibung seiner Mieterin zu geben. Er nickte dem alten Diener freundlich zu und kehrte zu seinem draußen wartenden Freunde zurück.

»Hier hast du's. Sie heißt Helene Graville und arbeitet in einem Modemagazin. Sie ist brav, ordentlich und erfreut Vater Anselms Herz durch Fleiß und Tugend. Wenn du sie also heiraten willst . . .«

»Den Teufel auch . . .«

»Na dann wollen wir essen gehen. Es ist halb acht, und wir wollen meine Großmutter, die leicht ungeduldig wird, nicht länger warten lassen.«

Sie wandten sich zu der Freitreppe eines in der Mitte des Hofes gelegenen Hauses, das nach der einen Seite auf das Faubourg Poissonnière, auf der andern Seite auf einen großen Garten hinausging, der sich fast bis zur Rue d'Hauteville erstreckt.

Das Hotel Hérault Gandon war unter Ludwig XV. von dem Finanzmann La Grimonière erbaut worden und zwar als Sommersitz. Ein kleiner Fluß, von dem jetzt kaum noch eine Spur vorhanden, wand sich durch den Park und mündete in die Grange Batelière, nachdem er mehrere Marmorbassins gespeist, an deren Stelle heute einige Häuser der Rue Enghien stehen. Im Jahre 1852, bald nach dem Staatsstreiche, kaufte der Großindustrielle Hérault Gandon, dessen metallurgische Werke die bedeutendsten in Saint Denis sind, das große Gebäude an, das nun seit dreißig Jahren der Wohnsitz der Familie war und das gegenwärtig die alte Frau Hérault mit ihrem Enkel Louis, dem einzigen Erben des Namens und des Vermögens, bewohnte.

Louis und sein Freund schritten die Stufen der Freitreppe hinauf und traten in ein großes, mit Fliesen belegtes Vestibül, dessen Thür ihnen von einem Kammerdiener in schwarzer Livree geöffnet wurde.

»Wir haben uns wohl verspätet?« fragte der junge Herr, während er von einem silbernen Teller die eingelaufenen Briefe und Zeitungen nahm.

»Die gnädige Frau ist seit ungefähr einer Viertelstunde mit Fräulein Lereboulley bei Tisch.

»Na! wenn Emilie da ist,« wandte sich Louis an seinen Freund, »dann ist alles gut.«

Sie stiegen die Stufen der mit einem weichen Teppich belegten, zur ersten Etage führenden großen Steintreppe hinauf. Am Eingang zu der Galerie saß vor einem geschnitzten Tische der Haushofmeister, würdevoll und feierlich wie ein Geheimrat. Langsam erhob er sich, nahm die Stöcke und Paletots der jungen Leute in Empfang und führte sie, ohne ein Wort zu sprechen, in den Salon. Eine Menge von eleganten Tischen und Tischchen, auf denen kostbare Nippes und Kunstgegenstände aufgestellt waren, kleine Sofas, Lehnstühle in malerischem Durcheinander, spanische Wände, die zum Schutz gegen Zugluft überall angebracht waren, machten es nicht ganz leicht, den Weg ins Speisezimmer zu finden. In dem großen, mit Goldbronze verzierten weißen Marmorkamin brannte das Feuer wie im Winter, aber ein nach dem Garten hinausgehendes Fenster war geöffnet, und durch dasselbe strömte der frische Duft des jungen Grüns. Neben einem weichgepolsterten Lehnstuhle schlief in einem mit gesticktem Atlas gefütterten Korbe ein Hund mit langem Seidenhaar. Als er die beiden Herren eintreten hörte, öffnete er träge die Augen, sank dann aber sofort, nachdem er sie als gute Freunde erkannt und ihnen mit dem Schweif einen flüchtigen Willkommen gewedelt, wieder in seine wohlige Stumpfheit zurück. Durch die gegenüberliegende Thür drang das Geräusch von Stimmen und das Geklirr des Silberzeuges. Louis ließ seinen Freund zuerst eintreten.

»Dürfen wir noch?« fragte er lustig, »oder müssen wir im Restaurant essen?«

»Du böser Junge, da bist du ja endlich,« sagte die Großmutter, indem sie sich plötzlich erhob. »Guten Tag, Herr von Thauziat . . . Setzen Sie sich neben Emilie.« Dann schlug sie, um die Diener zu größerer Eile anzutreiben, in die Hände, wobei sie ungeduldig rief: »Schnell! Zwei Couverts.«

Sie hatte, wie um sicher zu sein, daß er ihr nicht wieder entschlüpfte, ihren Enkel am Arm gefaßt und mit einem zärtlichen Blick auf den Platz an ihrer Seite geleitet. Die kleine, durch das Alter eingeschrumpfte Frau mit den weißen Haaren, dem rosigen Teint und den lebendigen Augen hatte noch etwas außerordentlich Frisches und nahm sich mit dem schlicht bürgerlichen schwarzen Kleide und dem wollenen Shawl um die Schultern in diesem mit wunderbaren Wandgemälden von Largillière geschmückten Speisesaale, auf dessen gewölbter Decke der von Coypel gemalte Kampf der Götter und Titanen dargestellt war, ein wenig seltsam aus.

»Siehst, du, Emilie,« sagte sie fröhlich und lebhaft, »nun hatten wir geglaubt, mutterseelenallein speisen zu müssen, und jetzt hat jede von uns ihren Kavalier.«

Die Angeredete war eine junge Dame von überaus zartem, kränklichem Aussehen; das vorstehende Kinn, die schmalen, etwas eingekniffenen Lippen und die spitze Nase hätten leicht den Eindruck von Bösartigkeit erweckt, wenn nicht die edle Form einer hohen träumerischen Stirn dem unbedingt widersprochen hätte. Die sehr elegante Toilette entbehrte doch jenes Reizes, den nur die Frau, die zu gefallen wünscht und hofft, einer solchen zu verleihen weiß, während sich hier in der ganzen Erscheinung aussprach, daß Fräulein Lereboulley im Bewußtsein ihrer Mängel jeder weiblichen Koketterie entsagt hatte und von den Männern nur als guter Kamerad angesehen werden wollte. Als einzige Tochter eines gewesenen Ministers und eines der größten Finanzmänner Europas war sie, nach dem frühen Tode der Mutter, von einer Engländerin erzogen worden und hatte dabei mancherlei freiere Sitten und eine Unabhängigkeit angenommen, die bei dem Vater auf keinen Widerstand stieß. Er liebte das Kind zärtlich, war aber von Politik und Geschäften vollauf in Anspruch genommen. Da er außerdem eine große Neigung zu galanten Abenteuern hatte und dieselbe mit dem Älterwerden keineswegs ablegte, ließ er die Tochter in allem gewähren, und sie konnte sich nach Herzenslust dem Studium des Schönen und dem regen Verkehr mit Kunst und Künstlern widmen. Es schien, als ob dieses von der Natur so arg vernachlässigte Mädchen durch die hohe Entwicklung ihres Geistes ihren elenden körperlichen Zustand wett machen wollte. Sie übte die Bildhauerei und malte mit einem Talent, mit welchem mancher arme Teufel seinen Unterhalt hätte verdienen können, stellte jedoch nur ausnahmsweise aus, da sie den Kunstgenossen, die von ihrer Arbeit lebten, keine Konkurrenz machen wollte.

Die Schärfe ihres Witzes machte sie in der Gesellschaft gefürchtet, obwohl sich dieselbe nie gegen Schwäche und Schüchternheit, sondern nur gegen Anmaßung und Unwahrheit kehrte. Ihr bedeutendes Vermögen verschaffte ihr trotzdem eine große Zahl von Verehrern, und die liebenswürdigsten jungen Männer der Geburts- und Geldaristokratie hatten sich um ihre Hand beworben, die ihnen mit der Bemerkung versagt worden war, daß sie zu stolz sei, um nicht Liebe zu fordern, und zu klug, um nicht zu wissen, daß ihr versagt sei, Liebe zu wecken. Dies bittre Wort, das von viel verschwiegenem Herzweh zeugte, hatte jedoch ihre Bewerber nicht entmutigt. Sie hofften, daß eines Tages ein Augenblick moralischer Abspannung oder des Welttrotzes eintreten und die bis dahin so hartnäckig verweigerte Hand sich doch noch erringen lassen könnte.

Von allen, die sich Fräulein Lereboulley genähert, konnten nur zwei sich schmeicheln, von ihr ausgezeichnet zu werden, und diese beiden waren die Herren, die soeben in das Eßzimmer des Hotel Hérault traten. Der eine, Louis, war ihr Jugendfreund und wurde von Emilie wie ein Bruder behandelt. Clement de Thauziat aber, ein neuer Freund, der die Klugheit gehabt, nicht als Heiratskandidat aufzutreten, erfreute sich einer halb spöttischen, halb liebenswürdigen Aufmerksamkeit seitens des jungen Mädchens. Bald trafen ihn die freundlichsten Worte, bald hob ein beißender Spott deren Wirkung wieder auf. Fräulein Lereboulley spielte mit ihm wie eine Katze, die bald Samt-, bald Krallenpfötchen zeigt. Ein aufmerksamer Beobachter hätte freilich bemerken können, daß das Krallenpfötchen vorherrschte. Wie dem aber auch sein mochte, sie beschäftigte sich mit ihm, und das war ein Triumph.

Er war übrigens nicht der Mann, nach Launen mit sich verfahren zu lassen, und zeigte sich stets als ebenbürtiger Gegner. Obgleich er die Vierzig schon erreicht, sah er doch noch sehr jung aus. Er war ein schöner Mann, braun, ein Arabergesicht, schwarze Augen, gelockter Bart, männlicher Ausdruck, in der Kleidung eine gesuchte Einfachheit, welche die Vornehmheit seiner Erscheinung nur erhöhte. Sehr jung nach Paris gekommen, hatte er sich mit vieler Kühnheit in große Geschäfte eingelassen und verfügte, ohne daß man genau wußte, ob er sich ein Vermögen gemacht, über bedeutende Mittel. Lereboulley schätzte ihn ungemein hoch. Sie waren sich in der galanten Welt begegnet, in der Thauziat von dem ersten Augenblick an der Führer des fünfzigjährigen Mannes geworden. Meisterhaft hatte er ihn in die Geheimnisse dieser Welt eingeweiht, wogegen der Finanzmann ihm den Weg zum Reichtum erschlossen hatte.

Lereboulley und Thauziat lebten in dieser Weise seit zehn Jahren auf dem vertrautesten Fuße. Jeder wußte vom andern eine Menge Geschichten, von denen manche höchst lustig, andre furchtbar waren, Schlachten um die Liebe und Schlachten ums Geld, die einen in spitzengarnierten Boudoirs geliefert, die andern auf dem kalten Marmorboden der Börse gewonnen. Wenn man lachend sagte: »Thauziat und Leirboulley schreiten über Leichen hinweg«, so war man sich kaum bewußt, in welchem Grade diese Bemerkung zutraf. Man durfte jedoch vor Thauziat nicht scherzen, er schlug eine der besten Klingen in Paris und zerschoß auf dreißig Schritt nach Kommando mit der Pistole so viel Teller wie man wollte.

Im übrigen war er der echte Typus eines Abenteurers, der sich in unsre engherzige, pedantische Zeit hineinverirrt hatte und, schön, unternehmend, intelligent wie er war, auf seine Umgebung geradezu mit Verachtung herabsah. Hätte er im fünfzehnten Jahrhundert gelebt, so wäre sein Platz ohne Zweifel unter jenen stolzen Condottieri gewesen, die sich aus den eroberten Ländern Fürstentümer zurechtstutzten, und mit deren Unterstützung Architekten, Bildhauer, Maler ganze Städte marmorner Paläste bauten und diese mit Statuen und Gemälden schmückten, welche unsern heutigen Museen zur Zierde gereichen. Er glich in seiner ganzen Haltung einem Sforza oder einem Colonna, der aber, in unser Zeitalter mit seiner beengenden Kultur hineingezwängt, seine Adlerfittiche nicht entfalten konnte. Darum war aber sein Auftreten nicht minder entschieden und energisch, ein Umstand, durch welchen er überall sofort auffallen mußte.

Auf jedem Gebiete liebte er das Besondre, und nie hat ein Mensch mit mehr Raffinement Geld auszugeben verstanden. In der Avenue d'Antin hatte er sich ein kleines Schmuckkästchen von Haus bauen lassen, das als das entzückendste Junggesellenheim von Paris galt. Dieses war mit Gemälden ausgestattet, welche, abgesehen von ihrem künstlerischen Wert, berühmten Ursprungs waren, fast alle hatten früher den Galerieen vornehmer Liebhaber angehört. Sein Haus wurde wie kein andres geführt, und seine Pferde trugen bei den Rennen stets den Preis davon. Sein Glück hatte ihm teils Feinde eingetragen, die er zu besiegen, teils Bewunderer, die er zu nutzen verstand.

Er war, was in unserm nivellierenden Zeitalter eine Seltenheit ist, ein Original, und als solches gehörte er zu den zwölf oder fünfzehn interessanten Persönlichkeiten von Paris.

Er hatte Louis Hérault nur zu seinem Freunde zu machen gebraucht, um auch auf ihn etwas von seinem Nimbus zu übertragen. Ob diese Freundschaft für den jungen Mann gerade das Richtige war, ob seine schwache Natur nicht eines verständigeren Führers bedurft hätte, mag dahingestellt bleiben – es stand nun einmal in den Sternen geschrieben, daß das Leben Clements und Louis' tragisch miteinander verknüpft bleiben sollte.

Augenblicklich saßen die beiden nun freilich höchst behaglich und sorglos in dem schönen Speisesaal des Hotel Hérault und bemühten sich guten Appetites, den beiden Damen nachzukommen, die schon die Hälfte des Menüs erledigt hatten. Die jüngere wie die ältere hatten übrigens vorläufig zu essen aufgehört und sahen mit sichtlichem Vergnügen den beiden unverhofften Gästen zu.

»Und jetzt, du böser Junge, wirst du vielleicht die Güte haben,« unterbrach Frau Hérault das Schweigen, »mir zu erklären, wo du seit acht Tagen steckst? Ich will dir ja keinen Vorwurf machen, aber thatsächlich habe ich dich seit einer Woche nicht gesehen.«

»Großmutter, ich war mit Clement in Ascott. Wir haben ein Pferd gehen sehen, auf das wir große Hoffnungen für die Oats und selbst für den Pariser Grand-Prix setzen. Denke dir, eine Tochter von Baronette und Turlupin. Ich sage dir, großartig!«

»Und wann seid ihr angekommen?«

»Heute.«

»Euer Zug hat dann also Verspätung gehabt,« sagte lächelnd die Großmutter, »da ihr nicht zur rechten Zeit zum Diner habt hier sein können?«

»Wir sind heute früh schon angekommen. Ich bin sofort nach Saint Denis gegangen, um nach dem Geschäfte zu sehen, habe mich dann im Klub umgekleidet, und wir hätten ganz gut um sieben Uhr hier sein können, wenn Thauziat sich nicht unterwegs in den Kopf gesetzt hätte, einer kleinen Modistin nachzulaufen, deren Benehmen ihn reizte.«

»Ah! was kriegt man denn da zu hören, mein hoher Herr?« sagte Fräulein Lereboulley, deren graue Augen blitzten. »Das sind ja nette Streiche!«

Thauziat zuckte die Achseln.

»Lassen Sie sich von dem jungem Sausewind nichts vorreden. Er will mich nur bei Ihnen anschwärzen. Da er aber gewagt, mich anzugreifen, so will ich ihm dienen. Wir sind zu spät gekommen, weil er vorher durchaus noch bei Lady Olifaunt vorsprechen wollte.«

»Und haben Sie die schöne Diana zu sehen gekriegt?« fragte Fräulein Lereboulley mit ironischem Lächeln.

»Nein, sie schlief noch.«

»Wie, um sieben Uhr abends? Ja, ja, das ist so ihre Art. Sie geht heute abend zum Ball, und um munter und frisch zu erscheinen, bleibt sie den ganzen Tag über im Bett. Sie hütet ihre Schönheit wie das kostbarste Juwel. Schade, daß sie dieselbe nicht mit ihren Diamanten in ein Etui sperren und nur zu der Zeit herausnehmen kann, wo es sich darum handelt, damit einen Triumph zu erringen. Aber jedes Jahr, jeder Monat, jeder Tag thut ihren Reizen Eintrag, und da Diana den Schritt der Zeit nicht zu hemmen vermag, so beschränkt sie wenigstens die Stunden so viel wie möglich, in denen sie gezwungen ist, dieselben einer Ermüdung auszusetzen, die möglicherweise ein Fältchen zur Folge haben könnte. In der That, sie ist ihr bester Schönheitsverwaltungsrat. Sie hat nebenbei noch einen Prokuristen, ihren Mann, den sehr ehrenwerten Sir James, und eines Tages, ihr sollt sehen, macht sie ein Auskunftsbüreau auf.«

»Emilie,« rief Louis vorwurfsvoll, »niemals läßt du eine Gelegenheit vorübergehen, ohne recht hart und giftig über Lady Olifaunt zu sprechen!«

»Dafür meint's mein Vater um so besser mit ihr. Sie erhebt hoffentlich nicht den Anspruch, daß die ganze Familie sie in ihr Herz schließt?«

Es trat eine kurze Pause ein, während welcher man nur das schneidende Lachen Emilies hörte, welches ihre Anspielung begleitete.

Um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, unterbrach Louis das Schweigen: »Ich benachrichtige dich übrigens, Großmutter, daß die von Thauziat so energisch verfolgte Schöne eine deiner Mieterinnen ist. Sie wohnt in dem nach dem Faubourg hinausgehenden Flügel . . .«

»Wer hat dir das gesagt?«

»Der Portier.«

Frau Hérault erhob die runzligen Hände wie abwehrend und sagte ziemlich scharf: »Nun, das wäre noch schöner. Thauziat, ich verbiete Ihnen, in meinem Hause irgend welchen Skandal zu machen. Es handelt sich möglicherweise um ein anständiges Mädchen . . .«

»Anselm versichert dies. Sie ist übrigens viel zu einfach gekleidet, als daß sie leichtsinnig sein könnte.«

»Und wie heißt diese glückliche Mieterin, welche die Blicke unsres Großmeisters der Eleganz auf sich zu lenken vermocht hat?« fragte Fräulein Lereboulley. »Sie haben darüber doch wohl den Portier ausgeholt?«

»Sie heißt mit ihrem Vornamen Helene, gerade so wie die, welche einst Griechenland und Asien in Feuer und Flamme versetzte,« erwiderte Louis lustig, »und mit ihrem Familiennamen Graville . . .«

»Graville!« fiel die alte Frau Hérault ein. »So heißt ja das Dorf, in dem ich geboren bin. Es lebte dort eine Familie von Graville, die im Schlosse wohnte. Aber der einzige Erbe war ein Knabe; ein junges Mädchen, das Helene geheißen hätte, habe ich nicht gekannt!«

»Nun, Großmutter, wenn du sie gekannt hättest, so wäre sie heute ungefähr sechzig Jahre alt, und das Mädchen, von dem wir sprechen, ist ganz jung,«

»Da hast du recht,« sagte Frau Hérault lachend. »Die alten Leute sprechen immer von ihrer Vergangenheit, als ob alles gestern geschehen wäre. Das Leben fließt so schnell dahin, daß man zu sein glaubt, was man gewesen . . . Ja, man ist überrascht, wenn dann einer sagt: Das ist ja ein halbes Jahrhundert her . . . Ein halbes Jahrhundert . . . gerade die Zeit, wo ich deinen Großvater heiratete. Frau von Graville hat hierbei etwas die Hand im Spiele gehabt, und ich war ihr damals großen Dank schuldig. Man hätte sie doch nicht so aus dem Auge verlieren sollen. Aber Hérault wollte dann durchaus nach Paris; hier stürzte er sich in die Geschäfte, und ich habe die Heimat, das Schloß und die Dame vergessen, die damals so gut gegen mich gewesen . . . das passiert übrigens vielen Leuten . . . man erscheint so oft undankbar, wo man doch nur allzusehr beschäftigt ist. Wenn das junge Mädchen aber der Familie angehört, von der ich spreche, so haben wir uns einer Schuld gegen sie zu entledigen.«

»Das dürfte nicht schwer sein,« sagte Louis, »denn es scheint, daß sie arm ist. Clement würde ja dann, indem er uns auf die Spur der Familie von Graville brachte, die Rolle der Vorsehung übernommen und sich ein großes Verdienst erworben haben. Es gibt übrigens so viele Gravilles in der Normandie, wie Äpfel an den Bäumen daselbst. Es ist ein sehr verbreiteter Name.«

»Ich werde mich jedenfalls erkundigen.«

Das Diner war beendet, und die Thür zum Salon wurde geöffnet. Die alte Frau Hérault erhob sich, und ohne den Arm Clements oder ihres Enkels anzunehmen, schritt sie flink und munter allein voraus. Der Kaffee wurde an einem kleinen Tische serviert. Indem sie auf denselben deutete, wendete sie sich an Fräulein Lereboulley: »Mache du den beiden Herren die Honneurs, liebes Kind, und wenn dieselben uns die Gunst erweisen wollen, noch ein Stündchen bei uns zu bleiben, so gestatte ihnen, ihre entsetzlichen Cigaretten zu rauchen.«

»Wäre schlimm genug für Emilie, wenn wir nicht rauchten, hätte sie dann doch keinen Anlaß, selber zu rauchen . . .«

»Damit soll wieder einmal aufs liebenswürdigste hervorgehoben sein, was für schlechte Manieren ich habe – nicht?« unterbrach ihn Fräulein Lereboulley und setzte, den Kopf zurückwerfend, nicht ohne schmerzliche Bitterkeit hinzu: »Wem die Natur so wenig von weiblichen Reizen verliehen, der darf auch das Joch abschütteln, das die Sitte meinem Geschlecht auferlegt – ich will euer Kamerad sein und frei und unabhängig, wie mir's gefällt. Was das Leben der Frau reich macht, ist mir versagt: wenn ich mich schmücken wollte und zu gefallen suchen, wäre ich einfach lächerlich. Kein Mensch macht mir den Hof – mir nämlich; meiner Mitgift fehlt es freilich nicht an Verehrern, nur schade, daß ich das süß geflötete: ›Fräulein, sie sind so entzückend‹, sofort in das Leitmotiv: ›Fräulein, Sie sind so reich‹ transponieren muß. Hab' ich dann dem spekulierenden Liebhaber den Laufpaß gegeben, so suche ich in der Freiheit Ersatz für das Glück. Ich gehe aus, wenn es mir gefällt, gehe, wohin ich will, lenke meine Pferde selber, spreche über alles, lese alles, rauche mit meinen Freunden und bin fast ein ebensolcher Taugenichts wie du, mein kleiner Louis, natürlich mit Ausnahme deiner schlechten Sitten . . . und auch das ist nicht einmal mein Verdienst!«

Sie drehte sich blitzschnell um sich selbst und zeigte sich in ihrer traurigen körperlichen Mißbildung, dann lachte sie laut auf, zog ein sehr schönes silbernes Etui aus ihrer Tasche, nahm daraus eine russische Cigarette, steckte sie an und blies ihrem Kameraden in erzwungenem Übermut den Rauch ins Gesicht.

»In der Liste Ihrer Fehler fehlt jedoch einer, Fräulein Lereboulley,« sagte Thauziat ruhig.

»Und welcher, mein Lieber?«

»Das Prahlen! Sie renommieren mit Ihren Lastern, wie andre mit ihren Tugenden und haben herzlich wenig Grund dazu. Hinter der kleinen Teufelsmaske steckt ein zu gutes Herz!«

»Das ist nicht wahr,« warf Emilie heftig ein. »Warum sollte ich auch gut sein? Ich verachte und hasse die Welt, die ich dumm, boshaft und feige finde.«

»Sie haben nicht unrecht. Aber Sie sind zu einsichtsvoll, um nicht zuzugeben, daß Ausnahmen vorkommen . . . Ein Beweis dafür ist, daß wir Sie getroffen haben, wie Sie Frau Hérault Gesellschaft leisteten, um sie für die Abwesenheit ihres Enkels zu entschädigen.«

Die Großmutter klatschte vergnügt in ihre kleinen Hände.

»Gut gesprochen, Herr von Thauziat, da haben wir den Bösewicht endlich einmal auf der That ertappt. Sie haben sich übrigens in Ihrer eignen Schlinge gefangen. Auch Sie, mit Ihren so sehr zur Schau getragenen egoistischen Prinzipien, sind gekommen, um an dem Mahl einer alten, langweiligen Frau teilzunehmen, anstatt mit Ihren Freunden im Klub zusammen zu sein, Sie bleiben sogar noch den Abend, um ihr Gesellschaft zu leisten.«

Thauziat schüttelte lächelnd seinen schönen braunen Kopf. »Nein, gnädige Frau,« erwiderte er, »vermuten Sie bei mir ja keinen Edelmut. Ich bin zu Ihrem Diner gekommen, weil Sie eine ausgezeichnete Küche führen, und ich bleibe, um mit Ihnen eine Partie Bezigue zu machen, weil Sie sehr gut Bezigue spielen. Da haben Sie meine Gründe!«

Die Augen der alten Frau funkelten. Sie wandte sich lebhaft an ihren Enkel: »Dann, Louis, gib uns den Tisch.«

»Wir können bis elf Uhr bleiben, Großmutter,« sagte Louis. »Wir spielen alle gegen Thauziat . . . suche ihn hineinzulegen!«

»Laß nur gut sein, und Sie, Clement, halten Sie sich tapfer!«

Sie begannen zu spielen. Emilie und Louis hatten sich in eine Ecke des Salons gesetzt. Keins sprach ein Wort. Sie rauchte zerstreut, und er überließ sich seinen Gedanken, die ihn weit forttrugen aus der friedlichen Stille dieses Hauses, wohin selbst das von den großen, schweigsamen Höfen und Gärten gedämpfte Geräusch der Straße nicht drang.

Vor seinem Auge stand plötzlich das Bild einer lachenden blonden Frau, mit rosigem Antlitz, in dem zwei Augen blauer als der Himmel leuchteten. Sie schwebte vor ihm wie eine Erscheinung, wie das lichte Bild eines freundlichen Traumes, wenn schon ihr rätselhaftes, aufreizendes Lächeln zu sagen schien: »Wage doch, mich zu lieben! Wenn du mir gestehst, daß du nach mir verlangst, mich begehrst, wer weiß, was ich dir antworten würde? Unter meiner Marmor- und Eishülle birgt sich die Glut der Leidenschaft. Aber ich belebe und verwandle mich nur für den, der mich anbetet. Schließe mich in deine Arme, und du wirst den Schlag meines Herzens fühlen. Kühn sein heißt das Geheimnis des Triumphes!« Und dann erschien plötzlich vor ihm eine andre Gestalt – eine Gestalt grotesk und drohend, die ihres Mannes, des ehrenwerten Sir James, wie Emilie ihn spöttisch nannte, mit seinen krausen, roten Haaren, dem durch allzu reichen Portogenuß purpurn gefärbten Gesicht und den kleinen spöttischen, stechenden Augen. Steif und feierlich in seiner Haltung, pflegte er seine vortrefflichen Gesinnungen und seine Rechtschaffenheit so häufig zu betonen, als ob er irgendwo Zweifel an diesen Tugenden vorauszusetzen hätte. In seiner sehr zur Schau getragenen Zärtlichkeit für Diana herrschte ein väterlicher Ton so entschieden vor, daß dieselbe für die Anbeter der schönen Frau nichts Entmutigendes hatte. Sobald das konventionelle Lächeln von diesen unschönen Zügen verschwand, trugen sie den Ausdruck finsterer Härte.

Was war es mit dieser Frau und diesem Manne, die plötzlich vor zwei Jahren in der Pariser Welt scheinbar im Besitze eines großen Vermögens aufgetaucht waren? Sie bewohnten ein Haus in der Avenue Gabriel, hielten die prachtvollsten Gespanne, gaben jeden Dienstag ein Diner und hatten glänzende Empfangsabende. Der Senator Lereboulley, der Vater Emilies, ein Mann von sechzig Jahren, sehr korpulent, mit tiefschwarzem, stark gefärbtem Haar, verkehrte intim in dem Hause; er brachte der schönen Engländerin Blumen und Bonbons und nannte sie kurzweg Diana. Sir James und Lady Olifaunt hatten offenbar in seinem Bankhause Fonds deponiert, denn verschiedene Male waren in den Händen des ersteren Checks mit der Unterschrift Lereboulleys gesehen worden.

Ein andrer Freund, der dort aus und ein ging, war Thauziat. Wenn man ihn über Sir James befragte, so erzählte er, daß dieser einer ausgezeichneten Familie Yorkshires angehöre und daß er die Tochter eines Geistlichen aus Liebe geheiratet habe. Er kannte die Frau und ihren Gatten seit langer Zeit und hatte viel dazu beigetragen, ihnen bei ihrer Übersiedelung nach Paris einen angenehmen Verkehr zu eröffnen. Durch ihn war Lereboulley Diana vorgestellt worden.

Verschiedene Male hatte Louis versucht, Clement über seine englischen Freunde näher auszuforschen, aber jedesmal war ihm dieser in seiner nonchalanten, hochmütigen Weise ausgewichen, so daß er nicht gut mit weiteren Fragen in ihn dringen konnte. Louis hatte dagegen geglaubt, äußerst klug zu handeln, als er Thauziat und Lereboulley zu Vertrauten seiner erwachenden Leidenschaft für Lady Olifaunt machte. Clement hatte ihm auf seine Eröffnung kalt erwidert: »Nun, wenn's nicht anders sein kann, dann mache ihr doch den Hof!« Der Senator hatte die Stirn gerunzelt und ihm sehr aufgeregt gesagt: »Lieber Freund, Sie sind nicht recht bei Troste. Lady Olifaunt ist eine durchaus anständige Frau!«

Was sollte er glauben, wem trauen? Der Schein sprach zu gunsten des Hauses Olifaunt, das in sehr guten Verhältnissen lebte, zuverlässige Freunde besaß und höchstens durch eine kleine Beimischung von Excentricität, wie sie bei Fremden sehr verzeihlich, die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Dennoch mahnte ihn sein allen Parisern eigentümlicher Instinkt zur Vorsicht. Er konnte von dem Gedanken nicht loskommen, daß Diana möglicherweise eine Abenteurerin und Sir James ein Industrieritter sei, der die Schönheit seiner Frau zu verwerten wisse.

Louis seufzte.

»Es seufzt ein Herz in des Entsagens Schmerz,« citierte Emilie und warf ihre Cigarette fort. »Ich wette, daß ich deine Gedanken errate!«

»Nun laß einmal hören,« erwiderte der junge Mann mit einem Augenaufschlagen, als ob er aus einem Traume erwache.

»An unsre teure und schöne Diana. Hab' ich recht?«

»So ist es!«

»Jetzt sage mir zur Belohnung, wo ihr euch heute abend treffen werdet, denn ihr besucht doch wohl dieselbe Gesellschaft, nicht wahr?«

»Kannst du schweigen, dann will ich dir ein Geheimnis anvertrauen: Wir gehen auf die Redoute zum Grafen Woroseff!«

»Unsre keusche Diana will sich an einem solchen Orte zeigen?« erwiderte Emilie mit komischem Entsetzen.

»Zunächst gestatte mir zu bemerken, daß daselbst nur Theatersterne erster Größe erscheinen werden.«

»Als ob diese Sterne durch Tugend strahlten!« unterbrach Fräulein Lereboulley.

»Und dann,« fuhr Louis fort, »aus reiner Neugierde viele Frauen aus der besten Gesellschaft! Unter der Maske kann man sich mancherlei Dinge erlauben. Uebrigens wird Lady Olifaunt nicht ohne Begleitung sein; von Sir James nicht zu sprechen.«

»Ja, sprechen wir wirklich nicht von ihm!«

»Auch dein Vater wird da sein.«

»Der feierliche und majestätische Senator in höchsteigner Person? Was thut denn der an einem solchen Orte? Er wird sich höchstens einige Tausendfrankenbillets von gewissen Damen ablocken lassen.«

»Ferner werden Thauziat und dein ergebener Diener da sein. Du siehst also, bei so vielen Beschützern . . .«

»Wird Diana sehr in Gefahr schweben.«

»Das ist nicht dein Ernst, Emilie.«

»Und ist es etwa der deinige, du junger Taugenichts? Nach alledem wird eure Soirée die gewählteste Vereinigung des stolzen Faubourg St. Germain und des etwas gemischten Faubourg Montmartre sein. Eine Mutter kann ihre Tochter also unbedenklich dorthin führen. Das ist ja vortrefflich.«

Sie neigte sich zu ihrem Freunde hinüber und sagte mit schmeichelndem Tone: »Nimm mich mit, Brüderchen, ich möchte für mein Leben gern hingehen!«

»Du scherzest.«

»Diesmal nicht!«

»Aber, Emilie, du hast doch keine Einladung.«

»Das ist kein Grund. Wer würde, wenn ich an deinem Arm bin, eine Bemerkung wagen? Du sagst Woroseff, daß ich die als Pariserin verkleidete schöne Fatma sei. Du sollst schon sehen, unter einem Domino mache ich Eindruck. Das wird zu lustig werden! Ich werde intrigieren . . . Weiß ich doch vieles über alle die, welche dort sein werden. Nun? Ist es abgemacht? Ich verspreche dir, dir nicht zur Last zu fallen, du sollst vollständig frei sein, und wenn es einer mir gegenüber an dem nötigen Respekt fehlen lassen sollte, so . . .« sie richtete ihre kleine Figur in die Höhe und setzte in ihrem ausgelassensten Tone hinzu: »Der dürfte nicht ganz auf seine Kosten kommen.«

»Gut, du sollst mitgehen,« erwiderte Louis, »aber unter einer Bedingung, du sagst mir, was du von der Lady Olifaunt weißt.«

Das Gesicht Emilies verfinsterte sich, sie biß sich auf die Lippen und schüttelte ernst den Kopf.

»Lady Olifaunt? Was soll ich dir von ihr sagen! Du kennst sie ja. Sie ist schön, jung, reich . . .«

Louis zögerte einen Augenblick, dann fragte er, die Blicke forschend auf Fräulein Lereboulley geheftet: »In welchem Verhältnis steht sie zu deinem Vater?«

»Das also ist es, was dich quält?«

»Ja, ich habe Thauziat gefragt; er hat mir nicht antworten wollen. Du hassest Diana, und sie fürchtet dich . . . das sieht jedes Kind . . . Warum hassest du sie, und warum fürchtet sie dich?«

Die Augen Emilies verfinsterten sich unter den zusammengezogenen Brauen, und mit spöttischer Stimme sagte sie: »Wir beten uns gegenseitig nicht an, das ist wahr. Und – da du alles wissen willst, so laß dir erzählen, ich glaube, Diana ist eine in England geborene natürliche Tochter meines Vaters.«

Louis machte eine rasche Bewegung.

»Du scheinst dich über mich lustig zu machen. Vor zwei Jahren kannte er sie noch gar nicht.«

»Thauziat hat ihn auf die Spur gebracht. Die Wege der Vorsehung sind wunderbar.«

»Nein! Das ist nicht möglich!«

»Nun, was soll sie denn anders sein, wenn sie nicht seine Tochter ist?« fragte Emilie mit der alten Lustigkeit, »Seine Geliebte? Du erwartest doch nicht etwa, ich würde dir erzählen, daß ich meinen Vater im Verdacht habe, sich schlecht aufzuführen? Und was würde aus unserm ehrenwerten Sir James? Ja, und was soll ich denn sein, wenn die göttliche Diana, die in unserm Hause ein- und ausgeht, eine leichtfertige Person wäre? Nein, das ist nicht der Fall. Ihr Lebenswandel ist ein tadelloser, nur ist sie Engländerin, und die Fremden haben alle etwas Excentrisches. Und nun laß dir schließlich einen guten Rat geben: Mache ihr nicht den Hof. Du ziehst dir Händel mit Sir Olifaunt auf den Hals, der ein Pistolenschütze ersten Ranges ist.«

Da Louis hierüber mit verächtlicher Ruhe die Achseln zuckte, fügte sie hinzu: »Vor allem würdest du auch Papa erzürnen, was weit ernsthafter wäre.«

»Dann hätte er also doch Gründe, sich darum zu bekümmern?«

»Er hat die Gründe, von denen ich dir gesprochen; gib dich damit zufrieden und halte sie aus Mangel an andern für stichhaltig . . . Du nimmst mich also mit?«

»Da dir so viel daran zu liegen scheint – ja, aber ganz auf deine Gefahr.«

»Natürlich . . . Außerdem ist Papa ja da, und wenn ich mich langweile, so werde ich ihm eine Überraschung bereiten und mich zu erkennen geben.«

»Was ihm jedenfalls eine unglaubliche Freude bereiten wird! Wo soll ich dich abholen?«

»An der Thür des Hotels, um Mitternacht. Abgemacht.«

»Abgemacht!«

In demselben Augenblick stand die alte Frau Hérault vom Spieltische auf, sie wandte sich zu den beiden jungen Leuten und sagte trübselig: »Na, das ist ein schauderhaftes Pech; wir verlieren zweihundertfünfzig Franken!«

»Gut, wartet einmal,« fiel Emilie ein und setzte sich auf den Platz der Großmutter. »Ich werde euch euer Geld wieder holen und vielleicht noch etwas von dem seinigen dazu.«

Sie mischte die Karten und sagte, indem sie Herrn Thauziat verwegen ansah: »Heben Sie 'mal ab, mein tapferer Herr, und nicht allzuviel; ›sechzig Damen‹ das wäre doch Renommisterei.«

Clement sah auf und lächelte.

»Und Sie, wollen Sie gefälligst ehrlich spielen!«

»Wenn ich mit Ihnen ehrlich spiele, wie soll ich dann gewinnen?«

»Danke recht sehr.«

Über den Tisch herüber ergriff er die feine und doch kräftige Hand Fräulein von Lereboulleys und drückte auf ihre rosigen Nägel einen Kuß. Emilie ließ dies gern geschehen. Ihre Nasenflügel bewegten sich leicht, ihre Augen glänzten, wie von einer plötzlichen Aufregung entstammt, dann sagte sie mit ironischer Stimme: »Sie beten an, was Sie vernichten wird. Das ist hübsch von Ihnen.«

Von Louis mit Rat unterstützt, begann sie darauf die Partie.

Durch die nun eintretende Stille nicht mehr an ihre Umgebung gemahnt, hatte sich Frau Hérault in ihrem Fauteuil am Kamin alten Erinnerungen überlassen. Der Gedanke an das junge Mädchen, das den Namen ihres Geburtsortes trug, wollte ihr nicht aus dem Kopfe. Ohne daß sie es merkte, versenkte sie sich immer mehr in die Vergangenheit. Vor ihrem geistigen Auge flogen die Jahre der Jugend vorüber, die trotz der Armut so glücklich gewesen, und deren sie nur mit Freude gedenken konnte. In dieser Erinnerung, die in einem Augenblicke ihr ganzes Leben widerspiegelte, vergaß die Greisin alles um sich her.



 << zurück weiter >>