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Herr Eliphas befand sich in seinem Arbeitskabinett und war eben damit beschäftigt, seine umfangreiche Korrespondenz zu sichten und zu erledigen, als sein Diener mit der Meldung eintrat, daß eine junge Person, die sich weigere, ihren Namen anzugeben, ihn dringend zu sprechen verlange.
Der Wohltätigkeitsminister war täglich das Opfer eines ähnlichen Begehrs und legte stets die geduldigste Zugänglichkeit für derlei Ansinnen an den Tag; es gab kaum einen Mann, mit dem sich leichter reden ließ, aber auch kaum einen, welcher in größerem Maße als er das Talent besessen hätte, sich der Zudringlichen zu erwehren. Seinen Kammerdiener, der ein kluger Fuchs war und angesichts jeder Professionsbettelei ein ausnehmend scharfes Auge hatte, fragte Herr Eliphas nun in leichtem Tone:
»Ist die Person schon einmal hier gewesen?«
»Nein, Herr, eine ganz neue Erscheinung, jung, vielleicht sechzehn Jahre alt und wunderhübsch.«
Herr Eliphas runzelte die Stirne, eine dunkle Vorahnung peinigte ihn und ließ seine Pulse unruhig pochen.
»Wo haben Sie das junge Mädchen eintreten lassen?«
»Sie wartet im Vorzimmer, man weiß bei solchen Geschöpfen ja nie, wie man daran ist, möglicherweise kann sie auch eine Diebin sein.«
»Führen Sie das Mädchen in das kleine Sprechzimmer.«
Der Kammerdiener verließ das Gemach, und Herr Eliphas trat in den neben seiner Arbeitsstube befindlichen Raum, welcher sehr einfach möbliert war, und dessen nackte Wände durchaus nicht an die Großmut eines reichen Wohltäters erinnerten.
Eine Tür ging alsbald auf und ein wunderbar schönes, dunkelhaariges Geschöpf trat barhaupt und ärmlich gekleidet auf Herrn Eliphas zu; sie machte eine kleine Verbeugung, und indem sie dem Greise kühn in die Augen blickte, fragte sie:
»Sind Sie Herr Eliphas?«
»Ja, mein Kind.«
»Ich bin Mathilde Chavassu, und Sie ahnen wohl, was mich hierherführt?«
»Nicht im allerentferntesten, aber nehmen Sie einen Stuhl und erklären Sie sich deutlicher.«
Er stand mit dem Rücken gegen das Fenster, um das Gesicht seiner Besucherin zu betrachten, aber seine Vorsicht war unnötig, denn die kleine Mathilde kannte offenbar keine List.
»Mein Herr,« berichtete sie, »mit der Hilfe des Herrn Bouscares habe ich mich aus der Wohnung meines Vaters geflüchtet, um Ihnen mitzuteilen, was sich zuträgt. Seit drei Tagen bin ich in einer Bodenkammer eingesperrt gewesen, anstatt aller Nahrung gab man mir Brotrinden, welche man mit Ohrfeigen würzte; ich bin dieses Lebens müde, das muß ein Ende nehmen, da sehen Sie nur, wie man mich mißhandelt hat.«
Sie streifte den Aermel ihres Kleides in die Höhe, und auf dem wohlgeformten Arm zeigten sich schwarze und blaue Flecken, welche nur von brutalen Fingern herrühren konnten. »Sie sehen, daß dieses Leben für mich kein Vergnügen sein kann«, fügte sie bitter hinzu.
»Ich begreife,« erwiderte Eliphas kalt, »daß die Beziehungen zu Ihrer Familie peinlich sein mögen, aber was kann ich dafür?«
»Wie? Was Sie dafür können? Nun, Herr Bouscares behauptet, daß alles in Ihren Händen ruhe.«
Diese Antwort, welche Bouscares' Einmischung auf so deutliche Weise dartat, veranlaßte Eliphas, noch vorsichtiger zu sein, als gewöhnlich.
»Ja, mein Herr, er behauptet, daß, wenn Sie es nur wollen, Papa mich wie eine Königin behandeln würde und Ravet auch nicht mehr seine Zeit damit verbrächte, mir nachzuspionieren.«
»Wer ist Ravet?«
Das junge Mädchen betrachtete den alten Mann ruhig und sprach: »Ravet ist mein Verlobter.«
»Wie alt sind Sie denn, mein Kind?« forschte Eliphas, in dessen Seele der frühreife Ausdruck des jungen Gesichtes Mitleid hervorrief. Mathilde schlug ein Schnippchen wie ein Gassenjunge und rief lachend: »Das geht Sie doch eigentlich gar nichts an, wie neugierig Sie sind!«
»Ihr frühreifes Wesen setzt mich in Erstaunen, und ich suche eine Begründung für dasselbe zu finden.«
»Was ist denn weiter daran, daß ich einen Verlobten habe; wäre es Ravet nicht, so würden wahrscheinlich alle anderen Männer unserer Vorstadt mir nachlaufen. Er verschafft mir Achtung, denn er ist furchtbar stark, und in seinem Charakter liegt eine unbegrenzte Eifersucht; im Augenblicke verursacht er mir die größten Unannehmlichkeiten in bezug auf Valentin.«
»Inwiefern steht denn Valentin mit dieser ganzen Geschichte in Zusammenhang?«
»Spielen Sie doch nicht den Unschuldigen, als ob Sie es nicht ganz gut wüßten! Damit Valentin kein Unglück widerfahre, bin ich gekommen, um Sie aufzusuchen. Allem Anscheine nach haben Sie Herrn Bouscares nicht geglaubt, als er Sie von dem in Kenntnis setzte, was geschehen war; Sie sind im Unrechte gewesen, er ist ein guter und sehr feiner Mann, und wenn er nur etwas Geld hätte –«
»Er ist es also, der Sie hierher schickt?« forschte Herr Eliphas noch immer mißtrauisch.
»Zum Kuckuck, wer sollte es denn sonst sein!« rief das kleine Fräulein ungeduldig, »ich habe Sie ja gar nicht gekannt, und Herr Bouscares hat mir Ihre Adresse gegeben und mir die Tür meiner Dachkammer aufgesperrt. Er sagte mir, ich solle selbst zu Ihnen gehen und Ihnen die Situation auseinandersetzen, er wies auch darauf hin, daß dies der letzte Ausweg sei, und daß ich ja selbst am besten wisse, daß Ravet die Absicht hege, sich meuchlings auf Herrn von Coutras zu stürzen. Verlassen Sie sich darauf, er tut es auch gewiß; wenn Ihnen das angenehm ist, dann fahren Sie fort, mit verschränkten Armen zuzusehen und sich behaglich am Kaminfeuer die Füße zu wärmen. Ich werde aber dann seine Frau in Kenntnis setzen, damit sie ihn daran hindere, auszugehen; denn wenn die Angelegenheiten sich nicht beilegen lassen und er sich in Montmartre zeigt, ist er ein toter Mann.«
»Lieben Sie ihn denn, weil Ihnen so viel daran gelegen, ihn zu schützen?«
»Ich bin ihm zugetan, gewiß, warum denn nicht? Er ist ein hübscher, großmütiger, tapferer Junge, der nicht vor zehn Menschen gleich Ravet zurückschrecken würde, und das ist es eben, was mir Furcht einflößt. Ravet wird mit ein paar guten Freunden ihm auflauern, und man bricht ihm den Schädel auf den Steinfliesen der Straße entzwei. Wenn Sie also Mittel und Wege finden, um die Sache ins gleiche zu bringen, dann bitte, tun Sie es auch.«
»Und wenn ich es nicht tue, was geschieht dann?«
»Ich darf mich zu Hause nicht mehr zeigen, denn der Vater würde mir die Knochen entzweischlagen, ich muß also bei Frau Blanchard Obdach suchen; sie hat eine Wohnung inne, in welcher ich Valentin von Coutras zuweilen antraf.«
»Und wo ist diese Wohnung gelegen?«
Ein mißtrauischer Ausdruck trat in das Gesicht des Mädchens, dann aber sprach sie:
»Wollen Sie mich etwa verraten? Nein, das kann doch unmöglich der Fall sein, denn Herr Bouscares sagte mir, ich könne Ihnen blindlings vertrauen. Die Wohnung befindet sich in der Rue Steinquerque, sie ist ruhig und entlegen, aber für Valentin trotzdem gefährlich, wenn Ravet sie unsicher macht. Sie können uns die Mittel bieten, in der Fremde als reiche Leute zu leben und ich würde gerne reisen.«
»Sie machen sich also nichts daraus, vom Grafen Coutras getrennt zu sein?«
»Mein Gott, ich weiß ja, daß ich ihm nicht fürs Leben angehören kann; es wird mir leid tun, ihn nicht mehr zu sehen, wenn ich ihm aber nützlich sein kann –«
In den Zügen Mathildens verriet sich eine wirkliche und tiefe Bewegung, ihre Augen wurden feucht, und sie fügte mit entschlossener Miene hinzu:
»Man muß es lernen, sich für denjenigen zu opfern, welchen man liebt, und ich bürge Ihnen dafür, daß Ravet in meiner Gegenwart Valentin von Coutras kein Leid zufügen soll!«
»Was würden Sie denn tun, um es zu verhüten?« fragte Eliphas neugierig.
»Ihm nötigenfalls an die Gurgel springen.«
Der alte Mann versank in träumerisches Nachdenken, er fühlte, daß trotz seines Mißtrauens die kleine Chavassu nicht die Unwahrheit sprach. Er ahnte, daß Valentin Graf Coutras von wirklicher Gefahr bedroht sei, und vor allem bestrebt, Frau Mößler jeden neuen Kummer, jede lebhafte Unruhe zu ersparen, beschloß er, sich auf die niedrige Intrige einzulassen, welche sich da vor seinen Augen abspielte.
»Ich werde die Situation zu einer Klärung bringen, mein Kind, indem ich unsere Interessen in der Angelegenheit zu wahren bestrebt sein will; versprechen Sie mir wenigstens, in Zukunft den Weg der Tugend wandeln zu wollen.«
»Mein Gott, bester Herr, wenn man es immer im Leben mit ehrlichen und guten Menschen gleich Ihnen zu tun hätte, würde man manche Torheit nicht begehen, aber wenn man vielen Versuchungen ausgesetzt ist, hat man eben nicht immer die Charakterkraft, denselben zu widerstehen.«
Eliphas schüttelte bedauernd den Kopf, während er dieses junge Geschöpf von seltener Anmut betrachtete, welches einem abenteuerlichen Leben entgegenging.
»Sagen Sie Bouscares, daß ich vor sechs Uhr in der Rue Ramay sein werde«, sprach er ernsthaft.
»Aber ganz bestimmt, damit er sich darauf verlassen könne, und dann –«
»Ich will nichts Weiteres wissen, mein Kind; ersparen Sie mir alle näheren Mitteilungen und geben Sie Herrn Bouscares bekannt, daß ich kommen werde.«
»Ich danke Ihnen, mein Herr«, sprach die Kleine, und ehe er sich dessen versah, war sie dem alten Manne um den Hals geflogen und hatte ihn herzhaft geküßt; dann verließ sie mit der unschuldigsten Miene von der Welt das Gemach und das Haus. Unmittelbar nachdem sie sich entfernt hatte, ging auch Herr Eliphas aus und begab sich zu Frau Mößler.
Er glaubte nicht länger das Recht zu haben, ihr die Wahrheit vorzuenthalten, so schmerzlich dieselbe auch sein mochte, und er war fest entschlossen, sie zu veranlassen, ernste Maßregeln gegen Herrn von Coutras zu ergreifen. So können die Dinge nicht fortgehen, sagte er sich, während er gedankenschwer seines Weges dahinging, jener Schurke wird noch Schmach und Schande über seine Adoptivmutter bringen und über alle diejenigen, mit welchen er in fernere oder nähere Beziehungen kommt. Wie aber soll man ihm Zügel anlegen, ohne, sich dabei den Arm zu brechen. Einem Junggesellen kann man die erforderlichen Geldmittel entziehen und ihn auf diese Art zu einem solideren Lebenswandel zwingen. Einem verheirateten Manne gegenüber ist man aber machtlos; er hat eine soziale Stellung, er hat Beziehungen, man weiß nicht, auf welche Art man sich seiner entledigen soll; man kann doch nicht an der Stelle, welche sein Fuß betritt, eine Mine legen, um ihn zu vernichten; freilich würde Ravet das mit Vergnügen besorgen, und wenn man dem Burschen seinen Willen ließe, käme es jedenfalls zum Blutvergießen. Aber welcher Skandal! Frau Mößler, meine arme, teure Freundin, hat wahrlich einen verhängnisvollen, einen unseligen Schritt getan an dem Tage, an welchem sie sich diesen Valentin von Coutras aufbürden ließ. Sie hatte keine Erben; ist denn das ein Grund gewesen, um darüber in Verzweiflung zu geraten?
Solche und ähnliche Worte vor sich hinmurmelnd, war der brave Mann bis zu den Champs-Elysees gekommen, er klingelte an der kleinen Seitenpforte des Palais Mößler, und trat in den Hof. Der Portier begrüßte Herrn Eliphas mit wohlwollender Höflichkeit.
»Frau Mößler ist doch nicht ausgefahren?« fragte der Wohltätigkeitsminister.
»O nein, die gnädige Frau hat Besuch, und zwar schon seit dem Frühstück, die Frau Gräfin und Frau Clément waren zuerst hier, und nun ist Graf Valentin gekommen; ich glaube, daß die gnädige Frau den Herrn Grafen durch das Telephon zu sich beschied.«
»Ah,« sprach Herr Eliphas, »es ist gut, ich gehe ins Bureau.«
Er eilte längs der Wirtschaftsräume und über die Dienerstiege in das Bureau, in welchem Frau Mößlers Vermögen verwaltet wurde. Herr Eliphas hatte diese Verwaltung selbst organisiert und behielt auch jetzt noch die Oberaufsicht von allem. Fast jedesmal, wenn er kam, ging er, anstatt die große Stiege zu benützen, durch das Sekretariat. Es entsprach seiner einfachen Sinnesart, sich mit diesem bescheideneren Aufgange zufriedenzugeben. Vom Sekretariate aus erreichte er dann das ihm speziell zur Verfügung gestellte Kabinett, welches sich neben dem Salon seiner alten Freundin befand und in dem er jeden Morgen die Post erledigte, mit welcher so zahlreiche Bittschriften eintrafen.
Da er wußte, daß Graf Coutras sich bei seiner Mutter befand, beeilte sich Eliphas nicht sonderlich, sondern schritt langsam durch die verschiedenen Bureaus; dann öffnete er die Verbindungstür, welche in sein Kabinett führte, und bemerkte, daß die Portiere, die dasselbe von den Privatgemächern Frau Mößlers trennte, zwar niedergelassen sei, daß die Tür selbst aber offen stand. Der dicke Teppich dämpfte das Geräusch seiner Schritte, Herr Eliphas stellte seinen Hut auf einen Tisch und schickte sich an, ruhig Platz zu nehmen und geduldig zu warten, als das Geräusch von Stimmen aus dem Nebenzimmer an sein Ohr schlug. Frau Mößler und ihr Sohn redeten lebhaft, und die ersten Worte, welche zu Eliphas herüberklangen, interessierten ihn so sehr, daß er mit Anstrengung all seiner Aufmerksamkeit weiter lauschte.
»Kurz und gut,« bemerkte Frau Mößler, »dieser ganze Streit hat keinen ernsten, wichtigen Grund, und er muß sich schlichten lassen. Ich will nicht, daß die Sache Folgen habe.«
»Diese Erklärung läßt sich leicht abgeben,« erwiderte Valentin, dessen sonst so sanfte, einschmeichelnde Stimme heute einen scharfen Klang hatte, »durchführen läßt sich die Sache aber nicht so gut. Nicht mich, den Beleidigten, sollst du ermahnen, nicht mir sollst du Versöhnung predigen, sondern deinem Freunde Redel.«
»Du warst der erste, welcher ein Unrecht beging,« rief Frau Mößler lebhaft, »ich weiß es.«
»Wer hat dir das gesagt?«
Ein Anflug von Verlegenheit verriet sich in Frau Mößlers Stimme, als sie erwiderte:
»Hatte man nötig, es mir zu sagen? Weißt du nicht, daß ich längst schon von den böswilligen Gesinnungen in Kenntnis gesetzt bin, welche du inbezug auf Redel hegst? Es rührt das noch von Sauvigny her; ich habe deine Feindseligkeiten gegen einen Mann, dessen Mutter meine Freundin ist, immer sehr unpassend gefunden, schon gar, seit du weißt, daß ich diesem Manne zugetan bin.«
»Ich kenne seine Mutter nicht, und die Mutter dieses vierzigjährigen Mannes hat mit unserer Angelegenheit nichts zu schaffen. Ich habe nur mit Redel persönlich zu tun, und wenn er eine Mutter besitzt, so ist das noch immer keine Ursache, weshalb er mir nicht Satisfaktion geben sollte für eine mir zugefügte Beleidigung.«
»Welche Beleidigung denn?«
»Er hat mich in den heftigsten Ausdrücken insultiert, er sagte mir Dinge, um derentwillen man leicht imstande wäre, zehn Menschen zu töten, und du willst, daß ich zurücktrete; ich kann es nicht.«
»Du willst es vor allem nicht.«
»Gut, zugestanden, ich will es auch nicht; was sollten meine Sekundanten von mir denken?«
»Ihre Meinung gilt dir also mehr als die meine?«
»Du weißt nicht, um was es sich handelt, überdies verstehen Frauen nichts von Ehrensachen.«
Frau Mößler warf mit strenger Stimme ein:
»Bist du auch gewiß, daß es sich bei dir um eine ›Ehrensache‹ handelt?«
»Was soll das heißen?« fuhr er heftig auf.
»Es soll heißen, daß für dich die höchste Ehre darin bestehen soll, alles Unrecht wieder gutzumachen, welches du bereits begangen, anstatt neue Sünden hinzuzufügen. In deiner Meinungsverschiedenheit mit Redel ist das Unrecht nur auf deiner Seite zu suchen; ich habe dich hierher rufen lassen, nicht um als Gunst von dir zu erbitten, daß du dich zu einem Ausgleiche herbeilassen mögest, sondern um dir denselben zu befehlen, weil er mein Wille ist.«
Valentin fing zu lachen an.
»Das ist hübsch, du befiehlst mir also, vor jenem Herrn zurückzuweichen, welcher meiner Frau den Hof macht!«
»Du lügst, und was mehr gilt, du weißt auch ganz genau, daß du lügst.«
Valentins Stimme bebte vor Zorn, als er entgegnete:
»Mir will es scheinen, liebe Mutter, daß du mich sehr strenge behandelst; meine Hochachtung für dich ist zwar groß, aber du stellst dieselbe denn doch auf eine schwere Probe.«
»Wenn du wirkliche Hochachtung für mich empfinden würdest, so hättest du mir dies durch deine Handlungen bewiesen. Was gelten leere Worte, ich lasse mich von deren heuchlerische Sanftmut nicht länger hinter das Licht führen. Ich habe dich innig geliebt, aber du hast alles getan, um mich von dir abzuwenden; hüte dich, du hast mich oftmals hintergangen, aber heute sollst du mich nicht hintergehen. Du behauptest, daß ich schlecht unterrichtet sei, während ich alle Einzelheiten dieser ganz erbärmlichen Geschichte kenne; weil ich keinen Zweifel mehr hege über die Rolle, welche du spielst, bin ich fest entschlossen, dich daran zu hindern, daß du sie weiter spielst.«
»Höre mich an, Mutter! Ich bin nicht neugierig, aber ich möchte wohl wissen, wie du dies anzustellen gedenkst.«
»Du sollst es erfahren, mein Wort darauf. Du weißt, daß ich dasselbe stets zu halten pflege, und wenn du mein Verbot mißachtest, so will ich dich nie im Leben wieder zu Gesicht bekommen.«
Valentin stampfte heftig mit dem Fuße auf den Boden und rief laut:
»Mich nicht wiedersehen, dann wünsche doch lieber gleich, daß Redel mich töten möge, das wäre das Einfachste!«
»Das Einfachste und wohl auch das Gerechteste, aber es wird nicht geschehen; Schurken wie du sind es immer, welche die braven Leute gleich ihm töten, und deshalb will ich nicht, daß dieser Zweikampf stattfinde, ich verbiete dir nicht nur, dich zu schlagen, sondern ich befehle dir auch, auf die Dauer eines Jahres zu verschwinden.«
»Und wo soll ich hingehen, vielleicht unter die Trappisten?«
»Nein, du sollst auf deiner Yacht sehr, sehr weit fortziehen, zwischen Himmel und Erde, dort, wo du Zeit haben wirst, nachzudenken, dich zu bessern und vor allem jene Opfer aufatmen zu lassen, welche du hier peinigst, deine Frau und die andere – jene Unglückliche, welche du mit deinen unwürdigen Huldigungen verfolgst, die in Ruhe zu lassen du mir versprochen hattest und die du trotzdem unaufhörlich peinigst.«
»Peinigst, verfolgst, was weißt denn du davon?« rief Valentin zornig.
»Sie hat es mir selbst erst vor einigen Augenblicken hier in diesem Raume gesagt, sie kam mit deiner Frau, um mich von allem in Kenntnis zu setzen, um alles zu gestehen und mich zu beschwören, daß ich ihr beistehen möge.«
Bei diesen Worten legte sich ein Schleier vor die Augen des Herrn Eliphas. Dieser Wortstreit hatte so hastig stattgefunden, war so heftig gewesen, daß der Greis, welcher demselben mit Entsetzen lauschte, sich unfähig fühlte, auch nur eine Bewegung zu machen, um die Erklärungen zu unterbrechen, welche zwischen Valentin und Frau Mößler hin und her flogen. Bleich, mit verschleiertem Blick, mit zitternden Händen stand er nun da und hörte im Geiste nur diese letzten Worte: »Sie ist mit deiner Frau gekommen, um mich in Kenntnis zu setzen, um mir alles zu gestehen und meinen Beistand zu erflehen.«
Im Geiste hörte der alte Mann jetzt die Worte des Portiers, welcher ihm bei seinem Kommen gesagt hatte, daß die Frau Gräfin Coutras und Frau Friedrich Clément hier gewesen seien: die »andere«, das Opfer Valentins, war also seine Schwiegertochter, war Céline, und er, der Elende, der Schändliche, welchen er verachtete und verabscheute, er wollte Frau Mößler, seiner Wohltäterin, frech die Stirn bieten, anstatt demütig ihre Verzeihung zu erflehen.
Herr Eliphas fuhr sich mit den eisigkalten Händen über die brennend heiße Stirn und stieß einen lauten Klageruf aus. Im gleichen Augenblick vernahm er Valentins Stimme, welche im anstoßenden Gemach heftig rief:
»Ich liebe sie und nichts soll mich daran hindern, sie zu besitzen.«
Der alte Mann richtete sich mit plötzlich erwachter Tatkraft auf; mit schweren Schritten trat er näher, schob die Portiere zur Seite und zeigte Frau Mößler und dem erschreckten Grafen sein totenbleiches Gesicht.
»Und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie sie nie mehr sehen sollen.«
»Eliphas!« rief Frau Mößler entsetzt. »Sie sind zugegen gewesen?«
»Ja, gnädige Frau, ich war zugegen.«
»Sie horchen jetzt also an den Türen«, rief Valentin, bestrebt, einen spöttischen Ton anzuschlagen.
Eliphas machte eine Bewegung nach der Richtung, in welcher der Graf stand, so daß Frau Mößler ängstlich dazwischen trat; aber der alte Mann hatte sich schon wieder gefaßt, und ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Ja, Herr Graf, ich horche an den Türen, um Ihre Infamien zu erfahren und um Sie zu hindern, dieselben zu begehen.« Drohend hob er den Arm, und indem er Herrn von Coutras mit düsterer Entschlossenheit anblickte, sprach er:
»Sie werden sich mit Oberst Redel nicht schlagen, und Sie werden verschwinden, das erkläre ich Ihnen.«
»Für wie lange?« lachte der Graf spöttisch.
»Für immer!«
Valentin fühlte, wie ein Schauer über seinen Rücken lief, aber er war tapfer und wollte seine stolze Haltung nicht aufgeben.
»Mutter, du magst jetzt ruhig sein, Herr Eliphas befreit dich von meiner Gegenwart; auf Wiedersehen, Mutter, ich empfehle mich Ihnen, mein Herr!«
»Leben Sie wohl«, war Eliphas kalte Entgegnung.
»Valentin, du wirst wiederkehren,« rief Frau Mößler, »ich gebe es nicht auf, dich zu überzeugen und zu beruhigen.«
»Wozu? Herr Eliphas ist für mich verantwortlich, wende dich an seine Autorität«, rief Valentin barsch, dann machte er eine ironische Verbeugung und verließ mit einem häßlichen Lachen das Gemach.
Herr Eliphas und Frau Mößler blieben allein und betrachteten sich einen Augenblick schweigend. Der alte Mann war in einen Fauteuil gesunken, er saß mit gesenkter Stirne, mit herabhängenden Armen da und schien vollkommen erschöpft, die Mutter Valentins ergriff nach einer Weile die Hand ihres alten Freundes und fragte leise:
»Haben Sie alles gehört was er mir sagte?«
»Alles!«
»Glauben Sie nur nicht, daß Céline –«
»Kein Wort der Erklärung,« unterbrach sie Herr Eliphas, »ich weiß, daß sie selbst gekommen ist, um Schutz gegen jenen Elenden zu erflehen, sie verabscheut ihn also und will ihm entkommen, ich fühle für sie nur Mitleid und Erbarmen, sie ist eine ehrenhafte Frau, eine gute Mutter, und ich werde sie rächen.«
»Auf welche Weise?«
»Haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen sagte, Herr von Coutras wird sich nicht schlagen und wird verschwinden.«
Frau Mößler erblaßte.
»Glauben Sie denn, Eliphas, daß er Ihnen gewähren wird, was er mir abschlug?«
Eliphas richtete sich auf, seine Haltung war nicht mehr vernichtet und traurig, sondern imponierend und fürchterlich. Er betrachtete Frau Mößler mit Augen, deren Ausdruck sie nicht an ihm kannte, und mit einer Stimme, welche in dem Herzen seiner alten Freundin wehmutsvoll nachklang, sprach er:
»Graf Valentin de Coutras ist im gegenwärtigen Augenblicke nicht mehr Herr seines Willens – er befindet sich in einer Hand, die mächtiger ist als die Ihre und die meine. Als ich hier eintrat, hat mich der Zufall zum Herrn seines Schicksals gemacht, ich konnte ihn nach eigenem Ermessen erretten oder verderben. Sein niedriger Undank, seine Grausamkeit haben mich zu einem Entschlusse gedrängt, und ich mußte ihn verdammen.«
»Sie!« rief Frau Mößler erschreckt, »Sie, der großmütigste, der nachsichtigste, der sanfteste unter allen Männern, Sie, der Mann, welcher ein ganzes Leben hindurch mir als Freund zur Seite gestanden ist?«
»Ja, ich.«
»Und wenn ich Sie nun anflehen würde, seiner zu schonen?«
»So müßte ich Ihnen einen abschlägigen Bescheid erteilen, um ärgere Schmerzen und herbere Reue zu vermeiden.«
»Aber ich kann ihn benachrichtigen, ihn warnen, ihn verteidigen.«
»O ewige Güte und Nachsicht! Sie kennen die Größe der Verbrechen, welcher jener Schurke begangen, und trotz allem und allem zittern Sie noch für ihn; vor wenigen Augenblicken hat er Ihnen gedroht, waren Sie entrüstet, suchten Sie nach einem Mittel, um ihn zu züchtigen, und nun, wo die Strafe über seinem Haupte steht, träumen Sie davon, ihn beschützen zu wollen; wissen Sie denn nicht, daß, wenn man Valentin schont, dies nur zum Unheil der Seinen und zu seinem eigenen Verderben geschehen würde? In Ihrem Hingebungsfieber vergessen Sie alles bis auf den Schlag, welcher ihn treffen soll; ich aber will stärker sein als Sie, Sie wissen, daß ich ein ehrlicher Mann bin, welcher nie einer Menschenseele Unrecht zufügte; ich würde mein Vermögen hingeben, um den Unglücklichen beizustehen, mein Leben opfern, um die Schuldlosen zu retten; aber ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern, verantworte ich es vor meinem Gewissen, jenes Ungeheuer aus dem Wege zu räumen.«
»Aber Sie sprechen, als ob Sie über eine geheime Macht verfügen könnten, als ob ein von Ihnen erteilter Befehl hinreichen würde, um über Tod und Leben eines Menschen zu entscheiden.«
»Auf die Dauer einer Stunde besitze ich auch solche Macht; als ich hier bei Ihnen eintrat, hätten einige Worte genügt, um Herrn von Coutras zu retten; er hat sich selbst ins Verderben gestürzt, und ich werde diese Worte nicht aussprechen.«
In dem gequälten Antlitze Frau Mößlers zuckte es schmerzlich, sie fing an, das Geheimnisvolle der Situation zu erfassen.
»Sollte es sich um die Angelegenheit handeln, von welcher Bouscares in dem Briefe gesprochen, der heute morgen eintraf? Gab es wirklich eine Gefahr für die Ehre oder für das Leben Valentins, habe ich recht geraten? Antworten Sie mir, unterrichten Sie mich, Sie müssen es, denn dieses Geheimnis gehört mir an, wollen Sie es etwa gar gegen mich selbst mißbrauchen?«
Sie wurde heftig, er blickte sie kalt an und erwiderte ruhig:
»Sie sollen nichts erfahren.«
»Ah, stehen die Dinge so; ich werde aber jenen Mann zu finden wissen, ich werde ihn zum Sprechen zwingen, ich werde seine Projekte an das Tageslicht ziehen.«
»Es dürfte Ihnen an Zeit dazu fehlen.«
Mit stolzer Gebärde rief sie:
»Um das Leben meines Sohnes zu schützen, bezahle ich alles, was notwendig ist.«
»Wem denn? Ihr Reichtum wird unnütz sein, Ihr bisher unwiderstehlicher Hebel, das Geld, frommt in diesem Falle zu nichts.«
»Aber wer wird denn den niederschmetternden Schlag gegen Valentin ausführen?« rief Frau Mößler, erschüttert durch den beharrlichen Widerstand ihres Freundes Eliphas; »sollten Sie es sein?«
»Nein, gnädige Frau, weder ich, noch mein Sohn, noch irgend jemand, den Sie kennen, sondern ein anderer, dem er ein Leid zugefügt, ein Fremder, ein armer Teufel, ebenso demoralisiert wie er, aber eher zu entschuldigen, da er sich in weniger glücklicher Lebenslage befindet; er wird zum ausübenden Richter an ihm werden, Herr von Coutras weiß nicht, was vorgeht, er wird mich nicht sehen, und ich werde nicht in die Lage kommen, ihm etwas zu sagen; jener andere, das Werkzeug des Verhängnisses, wird ihn töten, weil es in den Sternen geschrieben steht, daß er töten müsse. Sie mögen den Unglücklichen aufrichtig bedauern, ich werde mich von jeder Schuld frei fühlen, es ist das Schicksal, welches unsere Angelegenheit in die Hand genommen.«
»Aber Sie können ihm noch Gnade widerfahren lassen. Sie haben es gerade vorhin selbst gesagt. Eliphas, ich beschwöre Sie, schonen Sie Valentin, vergessen Sie nicht, daß Sie ihn unter Ihren Augen aufwachsen sahen, daß Sie ihn als Kind liebkosten, daß Mößler ihn liebte und ich nichts auf Erden besitze außer ihm; verzeihen Sie ihm, er wird sich bessern, ich will ihm sagen, was Sie für ihn getan haben, er wird Ihnen dankbar sein, und wir können ihn auf den Weg der Tugend zurückführen. Seine Reue soll ein schönes Opfer sein, welches wir Gott darbringen. Eliphas! Der himmlische Vater allein hat das Recht zu richten, wie kommen Sie dazu, an seine Stelle treten zu wollen?«
»Ich begnüge mich damit, seinen Zorn nicht abzuwenden; wenn ihm daran gelegen ist, Ihren Sohn zu retten, so möge er es tun, und ich werde mich seinem Willen beugen.«
»Aber ich,« rief Frau Wähler händeringend, »ich werde die Gefahr gekannt haben, ohne irgend etwas tun zu können, um sie abzuwenden.«
»Ich will offenes Spiel gegen Sie treiben, ich biete Ihnen einen letzten Ausweg; suchen Sie, Ihren Sohn bis morgen früh bei sich zu behalten; gelingt Ihnen das, so wird Redel wahrscheinlich morgen abend tot sein, Céline wird zu irgendeinem verzweifelten Auswegsmittel gedrängt worden sein, welches das Glück meines Sohnes gefährdet. Die Gräfin Coutras wird ein elendes, unglückliches Dasein weiterschleppen. Sie selbst dürften mit Schande und Schmach bedeckt werden, von denen Sie jetzt noch keine Ahnung haben, der schöne Verführer, der kostbare junge Mann aber wird weiter leben. All diese Unglücke für den Preis seines Lebens, das dürfte nicht zu viel sein, nicht wahr? Das ist es doch, was Sie wollen. Nun denn, so nehmen Sie diese Verantwortlichkeit auf sich.«
»Eliphas! Sie peinigen mich, sein Vater hat ihn mir sterbend anvertraut, sein Vater, o sein Vater!«
»Er ist gestorben, gnädige Frau, weil er ein rechtschaffener Mann bleiben wollte; er würde den Sohn verleugnen, welcher seinen Namen durch den Kot der Straßen schleift.«
»Eliphas, verlassen Sie mich nicht, Sie sind mein einziger Freund, mein einziger Ratgeber, was soll ich tun oder nicht tun?«
»Ich sagte es Ihnen schon, gnädige Frau, halten Sie Ihren Sohn in Ihrer Nähe fest; gelingt Ihnen das, so mögen Sie daraus ersehen, daß die Vorsehung entschieden hat. Die Ehrlichkeit soll besiegt werden und das Laster möge triumphieren.«
»Mein Gott, ich vermag nicht mit anzusehen, daß er Gefahren ausgesetzt sei, ohne den Versuch zu wagen, ihn zu erretten; ich will mein Möglichstes tun, um ihn vor sich selbst und vor anderen zu schützen.«
»Versuchen Sie es immerhin!«
In fieberhafter Hast klingelte Frau Mößler und befahl dem eintretenden Diener, ihr Wagen möge sofort vorfahren.
»Das Kupee der gnädigen Frau steht angespannt im Hofe.«
»Leben Sie also wohl, gnädige Frau,« sprach der Greis traurig, »wir werden uns nie im Leben wiedersehen; wenn Sie Ihr Vorhaben ausführen, so bleiben wir einander für ewig ferne, weil ich Ihnen nicht verzeihen werde, was Sie getan; mißglückt es, so werden Sie mich nicht wiedersehen wollen, denn ich dürfte Ihnen dann Abscheu einflößen.«
Er verneigte sich und ging. Hinter ihm eilte Frau Mößler hastig die Treppe hinab, und indem sie sich in ihren Wagen warf, rief sie dem Diener, welcher ihr den Schlag öffnete, zu:
»Avenue Friedland, und zwar so rasch als möglich!«
In seinem Rauchzimmer eingesperrt, besprach Valentin mit Croix-Mesnil und Prieure, seinen einstigen intimen Freunden, die näheren Bedingungen des Duells.
»Pistolen auf fünfundzwanzig Schritt, feuern bis zur Kampfunfähigkeit. Du wirst diesen berühmten Geschützsoldaten gleich einer Taube niederschießen.«
»Ich will mein Möglichstes tun.«
»Hast du in letzter Zeit öfters gezielt, ist deine Hand nicht ungeübt?«
»Seit einem Monat feuere ich täglich mindestens zwanzig Kugeln ab; ich habe nie eine sicherere Hand gehabt.«
»Deshalb hast du also den Degen nicht vorgezogen?«
»Mein Lieber,« sprach Croix-Mesnil. »Valentin war im Rechte; wenn es sich um ein ernsthaftes Duell handelt, muß man zur Pistole greifen. Es ist schwer, ihr auszuweichen, und man kommt mit keiner Hautabschürfung davon.«
»Was tun wir bis zu der Stunde, in welcher es Zeit ist, sich niederzulegen«, fragte Prieure; »wir verlassen einander doch nicht?«
»Wir speisen zusammen, dann aber, liebe Genossen, muß ich euch Lebewohl sagen, denn es harrt meiner ein kleines Abenteuer.«
»Wie?« rief Croix-Mesnil. »Am Vorabend eines Duells? Sei vernünftig, trage Sorge dafür, daß dein Arm nicht zittert und dein Blick klar bleibt.«
»Pah, wenn ihr wüßtet, wie reizend die kleine Mathilde Chavassu ist, so würdet ihr begreifen, daß man geneigt sein kann, viel aufs Spiel zu setzen, nur um sie zu sehen; ihre Schönheit ist geradezu ideal, bestrickend. Nun aber wollen wir uns auf den Weg machen, um ins Restaurant zu gehen.«
Im gleichen Augenblick wurde das große Tor des Palais geöffnet, und Frau Mößlers Wagen fuhr in rasendem Galopp in den Hof. Valentin war an das Fenster getreten und rief lebhaft:
»Ah, meine Mutter! Sie kommt, um mir erneute Tugendpredigten zu halten. Rasch, ihr Jungen, benutzen wir die kleine Treppe, dann können wir durch die Stallungen verduften.«
Er klingelte seinem Kammerdiener und sprach:
»Ich gehe aus, James; wenn man nach mir fragt, so sagen Sie, daß ich bereits seit einer Stunde fort bin.«
Und er entfernte sich. Im Vestibül verlangte Frau Mößler, man sollte Valentin sofort davon benachrichtigen, daß sie dringend mit ihm zu sprechen wünsche, und James, der englische Kammerdiener, entgegnete mit einem Phlegma, das sich mit Ironie paarte, daß der Herr Graf vor ungefähr einer Stunde ausgegangen sei. Frau Mößler stellte weitere Fragen, wo er hingegangen sei, wo er zu finden wäre. Der Diener gab mit unerschütterlicher Ruhe den Bescheid, daß sein Gebieter keinerlei Befehl erteilt, keinerlei Botschaft zurückgelassen habe und er dessen Programm für den Abend nicht kenne.
Frau Mößler konnte sich dem erschreckenden Bewußtsein nicht entziehen, daß die Situation nur allzu klar sei, daß sie sich nicht mehr in harmonische Bahnen werde lenken lassen. Sie fühlte, daß Valentin, daß sie selbst jenem Verhängnisse verfallen sei, welches Eliphas heraufbeschworen, und gleichzeitig begriff sie, daß sie machtlos sei, dagegen anzukämpfen, daß sie sich unfähig fühle, dem Verhängnisse sein Opfer zu entreißen. Vor ihr stand dunkel und drohend das Unbekannte.
Vollständig erschöpft, unfähig, auch nur ein Wort weiter zu sprechen, eine letzte, verzweifelnde Anstrengung zu machen, nur zu wohl begreifend, daß das geheimnisvolle und entsetzliche Geschick sich nicht werde hinhalten lassen, stieg sie langsam die Freitreppe hinab, erreichte ihren Wagen und ließ sich wieder nach Hause fahren.
Herr Eliphas hatte sich inzwischen nach Montmartre begeben; er war ein methodisch vorgehender, gewissenhafter Mensch, welcher die Dinge so machte, wie sie eben gemacht werden mußten. Er hatte Mathilde versprochen, daß er vor sechs Uhr Herrn Bouscares seine Antwort bringen werde, und eine Viertelstunde vor der bezeichneten Zeit bog er, mit seinem Regenschirme unter dem Arme, zu Fuß in die Rue Ramay ein, sein Antlitz war friedlich, es machte nicht den Eindruck, als ob er gekommen sei, um Gericht zu halten. Er stieg durch das übelriechende Treppenhaus mit seinen feuchten Wänden empor. Im fünften Stockwerke angelangt, klingelte er an Bouscares' Tür; sei es nun, daß er beim Treppensteigen den Atem verloren oder daß eine heftige innere Bewegung sich seiner bemächtigt hatte, Tatsache blieb, daß er mit großer Anstrengung hustete. Das Geräusch von Schlappschuhen ließ sich vernehmen, die Tür ging auf, und der Ingenieur erschien auf der Schwelle.
»Ah, Herr Eliphas, Sie sind es, ich habe Sie erwartet, die Kleine setzte mich von Ihrem bevorstehenden Besuch in Kenntnis.«
»Ist sie zu Hause?« forschte der alte Mann, indem er in die Stube trat.
»Auf und davon geflogen, nachdem sie im väterlichen Hause Frieden gemacht, sie besucht eine Freundin; so hat sie es wenigstens erzählt, und ihr Vater hat keine weitere Frage gestellt. Ravet ist natürlich wütend gewesen; aber er soll sich nur beruhigen, man kauft ihm in Neuyork einen Goldarbeiterladen, und dann braucht er der Kleinen keine Szene mehr zu machen.«
Bouscares lachte aus vollem Halse; da er aber sah, daß Eliphas stumm und ernst blieb, bemächtigte sich seiner plötzlich große Sorge.
»Was ist Ihnen denn, mein bester Herr Eliphas? Man sollte meinen, wenn man Sie so ansieht, daß es irgendein Hindernis geben könnte.«
»Gibt es auch.«
»Ein ernstes?«
»Ein sehr ernstes.«
»Teufel noch, sollte das Spiel verloren sein?«
»Allerdings.«
Bouscares erblaßte und setzte sich mit wankenden Füßen, vollständig gebrochen, auf einen Stuhl, dann warf er dem alten Manne einen erschreckten Blick zu.
»Herr Eliphas, machen Sie keine Torheiten, Sie kennen die Leute nicht, welche nebenan wohnen; wenn sie sich enttäuscht sehen, so sind wir des Lebens nicht mehr sicher, Sie und ich, nur weil wir sie von ihrem Mißerfolge in Kenntnis setzten.«
»Herr Bouscares,« sprach der Wohltätigkeits-Minister kalt, »ich meinerseits fürchte nichts und niemanden.«
»Und sind Sie für den jungen Grafen ebenso beruhigt?«
Bouscares sprang zornig auf.
»Geborgen sagen Sie? Er hat heute abend um elf Uhr eine Zusammenkunft mit der Kleinen.«
»Er wird sich begleiten lassen.«
Bouscares betrachtete Eliphas mit ernsthafter Aufmerksamkeit.
»Welches Spiel treiben wir da? Wenn ich Sie nicht so gut kennen würde, mein lieber und höchst ehrenwerter Herr, so müßte ich mir die Frage stellen, ob Sie denn durchaus den Haß derjenigen herausfordern wollen, welche dem Grafen Coutras drohen. Ueberlegen Sie doch, es ist jetzt nicht mehr Zeit zum Scherzen; die Partei von nebenan erwartet ihr Geld.«
»Sie mögen ihnen sagen, daß sie für dasselbe Trauer anlegen können; man wollte uns über das Ohr hauen, nun aber müssen die guten Leute selbst ihre Forderungen herabstimmen.«
»Lassen Sie sich zum ersten, zweiten und letzten Male fragen, ob das Ihr unabänderlicher Entschluß ist«, forschte Bouscares mit einer Stimme, in welcher der Zorn nachklang.
»Allerdings, mein fester Entschluß.«
Der Südländer nahm eine gänzlich veränderte Miene an; seine zuckersüße, scheinbare Gutmütigkeit verschwand, und an ihre Stelle trat eine unverschämte Grobheit.
»Alter Schelm, Sie sind es gewesen, welcher Frau Mößler daran gehindert hat, in die Falle zu laufen«, rief er zornig. »Was kann denn Ihnen daran gelegen sein, ob sie uns mit ihrem Gelde beglücke oder nicht; nimmt sie es etwa aus ihrer Tasche? Spitzbube, der Sie sind, suchen Sie, mir aus den Augen zu kommen, Sie haben hier nichts mehr zu tun; der junge Herr aber wird schon noch von uns hören, verlassen Sie sich darauf.«
Eliphas schüttelte den Kopf, als wolle er damit alle Injurien abhalten, mit welchen Bouscares ihn überhäuft hatte. Ohne ein Wort der Erwiderung zu finden, erreichte er dann die Tür und trat hinaus. Die Flüche und Verwünschungen Bouscares' schollen hinter ihm her; es wollte ihm sogar dünken, als ob noch zwei andere Stimmen sich mit dieser einen vermengt hätten, sie klangen noch lauter als jene des Südländers, und er dachte, es seien wahrscheinlich Chavassu und Ravet, welche ihrer Unzufriedenheit beredten Ausdruck verliehen.
* * *