George Ohnet
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Infolge dieser Ereignisse verstand es sich ganz von selbst, daß der Aufenthalt des Grafen und der Gräfin Coutras in Chapelle Sauvigny nicht von langer Dauer sein konnte. Herr und Frau Friedrich Clément kehrten nach Paris zurück, und der Graf unterließ es vollständig, auf das Land hinauszufahren. Er installierte sich nach Junggesellenart in seiner Wohnung, ließ sich nur von seinem Kammerdiener bedienen, nahm seine Mahlzeiten im Klub und begnügte sich damit, alle Morgen sich telephonisch nach dem Befinden seiner Frau und seiner Mutter zu erkundigen.

Henriette und Frau Mößler genossen noch eine Woche lang die Gesellschaft Redels, Vignots und Ferrauds, dann blieben sie allein; sie empfanden das beide nicht sehr schmerzlich, denn sie verstanden es, sich zu beschäftigen, und kannten die Langeweile nicht. Frau Mößler quälte sich aber über das Tun und Treiben ihres Adoptivsohnes, und so geschah es, daß sie gegen Ende Oktober ihrer Schwiegertochter den Vorschlag machte, nach Paris zurückzukehren. Die Gräfin hatte keine Veranlassung, den Landaufenthalt zu verlängern; sie liebte denselben weder besonders, noch wählte sie ihn aus Sparsamkeitsrücksichten. Die Tatsache, daß Paris Ende Oktober ziemlich leer zu sein pflegt, fiel bei ihr nicht schwer in die Wagschale, sie lebte für sich selbst und nicht für die Menge, und so kehrte sie denn mit ihrem gesamten Dienstpersonal nach der Avenue Friedland zurück, wodurch sie Valentins Unabhängigkeit zum Abschlusse brachte, was dieser mit lebhaftem Bedauern empfand.

Seit einem Monat hatte er vollständig vergessen, daß er eine Frau besitze, aber an die Frau eines anderen dachte er dafür um so mehr. Trotz seiner positiven Anschauungen huldigte er dem System, Gleiches mit Gleichem zu vertreiben, und von dieser Idee ausgehend, kurierte er sich von einem Liebesabenteuer durch ein zweites. Er hatte sich dabei immer wohl befunden; bis zum gegenwärtigen Augenblicke war er von dem Glauben beseelt gewesen, daß eine Frau ungefähr ebensoviel wert sei, als die andere, daß man mit einiger Einbildungskraft und etwas gutem Willen leicht die Untreue der einen bei der anderen vergessen könne. Seit seiner Rückkehr nach Paris hatte er diese Homöopathie der Liebe energisch betrieben, um sich von seiner Leidenschaft für Céline zu heilen. Er verkehrte viel im Hause einer hübschen Peruvianerin, Frau Semaraes, welche sich in der Pariser Welt großer Beliebtheit erfreute, Valentin gehörte zu denjenigen, welche der liebenswürdigen Fremden von Nutzen sein konnten, und wurde deshalb von ihr mit einer gewissen Auszeichnung behandelt. Rossita Semaraes besaß einen hübschen braunen Lockenkopf, und Valentin gab sich wirklich vierundzwanzig Stunden lang dem Wahne hin, daß er sich Hals über Kopf in sie verlieben werde; bald aber kam er zu der Ueberzeugung, daß es ganz unmöglich sei, sich auf die Dauer mit diesem wenn auch schönen und buntfiedrigen, so doch einfältigen Papagei zu befassen. Gerade an dem Tage, an welchem er zu der Ueberzeugung kam, hatte er Frau Friedrich Clément gesehen, die im Wagen nach dem Champs Elysées fuhr, und trüb gestimmt, wie er sich gar niemals erinnerte, gewesen zu sein, ging er zum Speisen in seinen Klub. Während der Mahlzeit sprach er kein Wort, und selbst die unerschöpfliche Heiterkeit des Börsianers Fleurichant vermochte nicht, ihm ein Lächeln abzugewinnen. In einem der großen Fauteuils des Salons zurückgelehnt, rauchte er eine Zigarre, und da die Partie Baccarat erst um elf Uhr beginnen sollte, begab er sich nach der Komischen Oper, wo eine heitere Novität aufgeführt werden sollte. Er fand dieselbe einfältig, die Musik nichtssagend und die hübschen Komödiantinnen geradezu widerlich. Um Mitternacht erschien er wieder in seinem Klub, grüßte niemanden, obwohl er sich alsbald von Freunden umringt sah, gewann er der entsetzten Gegenpartei in fünfundzwanzig Minuten achtzigtausend Francs ab, warf die Karten dann ärgerlich auf den Tisch, stand auf, schüttete den Gewinn in seinen Hut und sprach den ganzen Abend kein Wort mehr.

Am folgenden Morgen erhob er sich nach einer sehr schlecht verbrachten Nacht. Er hatte das Gefühl, als sei sein Kopf gerädert, denn furchtbare Migräne peinigte ihn; und nicht daran gewöhnt, zu leiden, setzte er sich erschöpft ans Fenster. Sein Kammerdiener James, welcher sein volles Vertrauen besaß und ihn in einer Weise bediente, die ihm ganz außerordentlich zusagte, hatte es gewagt, leise die Frage zu stellen, ob der Herr Graf sich denn unwohl fühle und nicht frühstücken wolle. Valentin bot sich selbst die Erleichterung, dem Manne auf diese besorgte Frage mit Grobheiten zu antworten und ihm die roheste Behandlung anzudrohen, wenn er ihn nicht in Frieden lasse. Der Diener verschwand, und eine Viertelstunde später klingelte der Graf heftig, um jenen zu fragen, ob er denn verrückt geworden sei, weil er ihm die Kleider nicht bringe, deren er zum Ausgehen bedürfe. James bot seinem Herrn mit undurchdringlicher Miene sieben Anzüge, ohne daß irgendeiner derselben ihm zugesagt hätte; der achte behagte ihm schließlich, und um ein Uhr ging Valentin mit leerem Magen und müden Gliedern zu Fuß nach dem Champs Elysées.

Er trat bei Maxime ein, ließ sich eine Hühnerbrust und eine Tasse Tee servieren, fand alles ausgezeichnet und begab sich, durch das frugale Mahl einigermaßen erfrischt, kaum wissend, was er tat, zu Frau Friedrich.

Er bemerkte, daß er dort angelangt war, ehe er noch über die Richtung ins Klare gekommen, welche er eingeschlagen. Eintretend, fragte er, ob die gnädige Frau zu Hause sei, und ob sie empfange. Der Diener entfernte sich, um nachzufragen, und Valentin war überzeugt, daß die Tür der Frau, welche er liebte, für ihn verschlossen sein werde.

Zu seiner großen Ueberraschung geleitete man ihn in den Salon, in welchem ein Halbdunkel herrschte, das ihm wohltat und nach seinem Dafürhalten vortrefflich im Einklang stand mit der zarten und reizenden Céline. Es bemächtigte sich seiner eine weiche Rührung, wie er dieselbe niemals für irgendeine Frau empfunden. Da vernahm er plötzlich helles Lachen und frohe Kinderstimmen, dann flog die Tür auf, und Frau Friedrich erschien in Begleitung ihres kleinen Knaben und ihres Mädchens.

Die Gruppe, welche sich Valentins Augen bot, schien eine Unschuld und Ehrenhaftigkeit auszuströmen, gegen welche sich nicht ankämpfen ließ. Wer sollte diese Mutter von den Kindern trennen können, wer würde stark genug sein, sie an sich zu reißen, solange diese kleinen Wesen sie umringten!? Hier in ihrem häuslichen Kreise, umgeben von den blondlockigen Geschöpfen, welche ihre unbewußten Verbündeten waren, konnte Céline nur unbesiegbar sein. Mit Blitzesschnelle durchflog diese Erkenntnis Valentins Gehirn; er fühlte, daß, wenn sie seinen Besuch angenommen, dies nur geschehen war, um sich ihm in ihrer ganzen Stärke zu zeigen, um ihm begreiflich zu machen, daß sie die Zärtlichkeit ihrer Kinder jeder anderen noch so glühenden Liebe, noch so heißen Leidenschaft vorziehe. Das triumphierende Lächeln, welches ihre Lippen umspielte, während sie auf ihn zutrat, verriet ihm dies so deutlich, daß er vor Schmerz erblaßte. Mit äußerster Ruhe bot sie ihm die Hand, was sie nie mehr getan, seit jenem Zusammensein in den Ruinen, und indem sie nach einem Fauteuil wies, auf welchem er Platz nehmen sollte, sprach sie:

»Ich wollte ausgehen, aber ich möchte eine so gute Gelegenheit nicht verlieren, um über das Befinden Henriettes und Frau Mößlers Erkundigungen einzuziehen; hoffentlich sind beide wohl?«

»Sie haben mir heute früh aus Chapelle Sauvigny telephoniert, daß dort alles in schönster Ordnung sei; es geht Ihnen folglich wohl so gut, als es einem Hause wohl gehen kann, welchem Sie fehlen!«

Sie lächelte melancholisch.

»Ich habe längst aufgehört, ein heiterer Gast zu sein, und meine Kinder riefen mich nach Paris zurück, sie waren vom Großpapa heimgekehrt und langweilten sich ohne mich!«

Das kleine Mädchen, eine Blondine von drei Jahren, hatte sich an die Mutter geschmiegt, und indem sie die blauen Augen auf Valentin richtete, betrachtete sie ihn mit größter Aufmerksamkeit. Er bot ihr die Hand und mit zärtlicher Stimme sprach er:

»Willst du mich nicht umarmen, süße Kleine?«

Das Mädchen machte eine Bewegung, als wolle es seiner Aufforderung Folge leisten, aber ein fast unmerklicher Druck der mütterlichen Hand hinderte sie daran; gleichzeitig erwiderte Céline, anstatt des Kindes:

»Sie ist sehr scheu und läßt sich nur von ihrem Papa und ihrer Mama liebkosen, nicht wahr, Ninette?«

Die Kleine umschlang den Hals der Mutter mit ihren weichen Aermchen; ihr Ideengang hatte durch Célines Versicherung eine andere Richtung bekommen, sie blickte mit spöttischem Trotz zu Valentin hinüber.

»Ich sehe, daß Ihr Töchterchen sehr gehorsam ist,« sprach der Graf nicht ohne Bitterkeit, »sie liebt Sie zärtlich, wie Sie ja auch geliebt zu werden verdienen!« Céline schien den Doppelsinn der Phrase nicht verstehen zu wollen, aber sie antwortete trotzdem darauf:

»Ja, sie gibt sich auch alle Mühe, mir keinen Schmerz zu bereiten, und weiß, daß man die Zärtlichkeit nicht besser bekunden kann, als wenn man es vermeidet, jenen, die man liebt, weh' zu tun.«

Valentin seufzte und sprach mit halberstickter Stimme:

»Hier in dem Rahmen Ihrer Häuslichkeit muß man Sie sehen, um Sie nach Ihrem vollen Werte schätzen zu können; Jene, welche nur die Anmut und Vornehmheit kennen lernen, welche Sie in Ihrer Eigenschaft als Weltdame bekunden, sind über den vollen Zauber Ihrer Persönlichkeit nur ungenügend orientiert.«

Sie errötete bei diesen Worten, welche ihr die Empfindungen Valentins nur allzu deutlich verrieten; es berührte sie peinlich, daß er vor ihren Kindern so zu ihr sprach, und sie unterbrach ihn mit dem lebhaften Rufe:

»Es fällt mir eben ein, daß mein Mann noch zu Hause sein muß, er würde zweifellos nicht wenig bedauern, Ihren Besuch verfehlt zu haben.«

Die Schulter ihres Sohnes mit der schlanken Hand berührend, rief sie:

»Daniel, sieh' doch nach, ob Papa noch zu Hause ist – und teile ihm mit, daß im Salon ein Besuch sei, der ihn gerne sprechen würde.«

Der Knabe entfernte sich im Laufschritt; eine kurze Pause entstand; dann flüsterte der Graf mit leiser Stimme, als ob er zu sich selbst rede: »Waren die Hindernisse noch nicht genügend, bedurfte es noch weiterer?«

Sie gab sich den Anschein, als habe sie seine Worte nicht vernommen, offenbar wollte sie alles, was es Beunruhigendes und Zweifelhaftes in den Worten des Grafen Coutras gab, nicht verstehen; er machte eine ungeduldige Bewegung und fügte hastig hinzu:

»Es ist ja alles nebensächlich, wenn man fest entschlossen bleibt, jedes Hindernis zu übersteigen.«

Diese Worte klangen wie eine erneute Kriegserklärung, sie antwortete ihm mit einem zornigen Blicke. Wie, er wagte es also, ihr auch in ihrem eigenen Heim zu drohen? Sie hatte ihr Möglichstes getan, um ihn über die Torheit seines Vorgehens aufzuklären, und er beharrte bei demselben? Sie neigte sich ihrer Tochter zu, und die Lippen auf ihr goldiges Lockenhaar pressend, flüsterte sie leise:

»Was fängt man mit den unartigen Kindern an, Ninette?«

»Man bestraft sie.«

»Und wenn sie trotzdem nicht folgen?«

»So entzieht man ihnen das Zuckerwerk beim Nachtisch.«

»Und wenn das nicht genügt?«

»Dann steckt man sie in ein Institut, wie du es Daniel einmal angedroht hast, und sie bekommen ihre liebe kleine Mama gar nicht mehr zu Gesicht.

»Ja, ja, folgen oder das Haus verlassen, so stehen die Dinge.«

Die junge Frau hatte Valentin einen stolzen Blick zugeworfen, während sie diese Worte hervorstieß. Er konnte über ihre Absichten nicht länger im Unklaren sein, er mußte begreifen, daß ihre Worte ihm galten, sie war eine direkte Antwort auf seine Herausforderung, aber es gebrach ihm an Zeit, entsprechend darauf zu antworten, denn Friedrich Clément trat mit seinem Sohn ein. Der Graf erhob sich und ging dem Bankier entgegen, er wollte deutlich an den Tag legen, daß er Abschied nehme, denn die Gegenwart des Gatten dünkte ihm unerträglich.

»Entschuldige, daß ich dich für ein paar Augenblicke deinen Geschäften entziehe, ich wollte mich nicht entfernen, ohne dir die Hand geschüttelt zu haben.«

»Hast du es denn so eilig?«

»Du solltest wissen, daß es kaum beschäftigtere Leute geben kann, als die Müßiggänger.« Während er sprach, beobachtete der Graf Friedrich aufmerksam; er sagte sich, daß diese lebenslustige Frau ganz unmöglich jenen sauertöpfischen, langweiligen Puritaner lieben könne. Wie wäre es denn auch denkbar gewesen, daß dieser Rechenmeister, welchen nur seine Zahlen interessierten, ihr hätte gefallen sollen; die Stunde mußte kommen, in welcher allem Widerstand zum Trotz Valentin den Sieg über ihre Bedenken davontragen würde. Der ganze vorteilhafte Eindruck, welchen Frau Friedrich Cléments häusliche Umgebung hervorgerufen hatte, war mit einem Schlage verwischt, und Valentin faßte nun neue, kühne Entschlüsse.

Céline empfand dies, ihr Antlitz umdüsterte sich und aus ihren feinen Zügen sprach tiefes Leid; sie stieß einen Seufzer aus, schloß ihr kleines Mädchen fest in die Arme, als wolle sie dasselbe vor jeder Berührung mit dem Grafen behüten, und machte eine verabschiedende Handbewegung.

»Jetzt, wo mein Gatte da ist, um Ihnen das Geleite zu geben, sage ich Ihnen Lebewohl, denn es ist die Stunde des Spazierganges meiner Kinder.« Valentin verneigte sich, ohne ein Wort der Erwiderung zu finden, und folgte mit den Blicken der reizenden Gestalt Célines, welche, ihre Schritte jenen ihres Töchterchens anpassend, langsam das Gemach verließ. Sie öffnete die Tür und die junge Mutter verschwand im Halbdunkel des anstoßenden Gemaches.

»Fährst du heute abend nach Chapelle Sauvigny?« forschte Friedrich, nur um etwas zu reden, denn er fühlte sich immer verlegen in Gesellschaft des Grafen, mit dem er auch nicht einen gemeinsamen Gedanken hatte.

»Nein,« erwiderte Valentin, »die Abende sind auf dem Lande von einer Langeweile, die kein Ende nehmen will. Wenn man mit Frau Mößler ein Dutzend Piquetpartien oder ebenso viele Robber Whist gespielt hat, bemerkt man zu seinem Schrecken, daß es erst zehn Uhr sei, die Damen begeben sich zur Ruhe, und man bleibt mit seiner Zigarre allein.«

»Du wirst wohl auch durch die Klubgenossen in der Stadt zurückgehalten?«

»O nein, ich langweile mich im Klub und besuche denselben nur zu den Stunden der Mahlzeit.«

Ein kaltes Lächeln umspielte Friedrichs Lippen.

»Man erzählt sich doch, daß du in ganz außergewöhnlicher Weise die Bank hältst.«

»Pah, alte Geschichten das, die längst abgetan sind.«

»Desto besser, denn diese alten Geschichten haben deinen wahren Freunden weh' getan. Ein Mann deines Namens und deines Wertes könnte Besseres tun, als nur die Karten mischen, um dabei Summen zu verlieren oder zu gewinnen, welche ihn weder bereichern noch arm machen.«

Valentin runzelte die Stirn, er gab sich alle Mühe, seinem Gesichte den natürlichen Ausdruck zu wahren.

»Du hast recht, und ich will auch von nun an nur mehr für geistige und moralische Befriedigung leben; die Freuden des Herzens und der Vernunft werde ich von nun an suchen. Jeden Dienstag besuche ich das Théâtre Français, und befasse mich von jetzt an nur noch mit einer einzigen Frau.«

»Mit der deinen?«

»Wenn möglich, ja; auf Wiedersehen, mein Lieber! Kündige all diese guten Entschlüsse Herrn Eliphas an; wenn er daran glaubt, so werden sie ihm Vergnügen bereiten.«

»Und weshalb sollte er denselben keinen Glauben schenken?«

»Er ist Skeptiker in allem, was mich berührt.«

»Mein Vater wäre gewiß sehr gerne bereit, seine Anschauungen zu ändern.«

»Lebe wohl!« rief Valentin, sich eilig entfernend, »die tugendhafte Atmosphäre deines Hauses wirkt auf mich ein, ich bemerke, daß ich mich zusehends bessere, ein klein wenig mehr und es wäre des Guten zu viel.«

Er lachte laut auf und schritt, die Tür öffnend, langsam die Treppe hinab. Innerlich sagte er sich dabei: »Du, mein guter Junge, mit deinem Predigerwesen, langweilst mich über alle Gebühr, deine Frau soll mich dafür entschädigen.«

Er besuchte die Samstage der Gräfin wieder fleißig, welche, von dem Augenblick an, da sie nach Paris zurückgekehrt, ihre Salons den Freunden von Neuem eröffnet hatte. Dort traf er mit Frau Friedrich Clément zusammen, welche den Verkehr mit Henriette nicht jählings hatte abbrechen können. Er sprach mit ihr nur soviel, als gerade notwendig war, um nicht unhöflich zu sein. Frau Mößler, welche jeder Bewegung Valentins folgte, ließ sich durch den Schein täuschen, glaubte wirklich, daß die flüchtige Laune, welche den Grafen veranlaßte, für Céline zu schwärmen, vorüber sei, und war dadurch in hohem Grade befriedigt. Valentin hingegen blieb nur seinem System der Abwechslung treu und mühte sich, der Langeweile Herr zu werden, indem er sich abwechslungsreiche Zerstreuung suchte.

Er war eines Tages an der Ecke des Boulevards und der Rue Lepelletier einem jungen Mädchen von beispielloser Schönheit begegnet, welches in abgetragenen Schuhen, mit einem Modistenkarton am Arme des Weges dahin ging. Er war dem Mädchen, welches kaum sechzehn Frühlinge zählen mochte, aus Neugierde gefolgt; er gestand sich, daß es die anmutigste Gestalt und das reizendste Madonnengesichtchen habe, welches er je gesehen, und so fügte es sich, daß er der kleinen Arbeiterin durch die Rue de Ramay bis nach Montmartre gefolgt war und dort vor einem schmutzigen, sechs Stock hohen Hause stehen blieb, dessen zahllose Rauchfänge auf viele kleine Wohnungen mit zahlreichen Küchen hinwiesen. Im Dunkel des Hausflurs war das reizende junge Mädchen verschwunden, und Valentin bemühte sich vergeblich, festzustellen, nach welcher Wohnung es gegangen war.

Er verlegte sich aufs Beobachten und besaß zu diesem Zwecke ganz unfehlbare Mittel: fürs erste schrieb er sich Straße und Hausnummer genau auf eine Karte, dann nahm er seinen Stock unter den Arm und kehrte nach den belebteren Stadtteilen zurück. Am Abend im Klub, bevor die gewohnte Partie sich organisierte, plauderte man im Freundeskreise über Frauen. Zerstreut lauschte Valentin den Worten, welche er da und dort vernahm; endlich rief er lachend:

»Ihr wollt also behaupten, daß eine in Seidenpapier und Spitzen gehüllte überreife Birne mehr wert sei, als eine Frucht, welche nur in ganz gewöhnliches Papier eingewickelt ist, aber ihr habt Unrecht; die Frucht an sich besitzt Wert, ihre Bekleidung ißt man nicht. Ich bin heute beispielsweise einer kleinen Modistin begegnet, deren Kleider gewiß nur ein paar Centimes wert waren, deren Füßchen in ganz entsetzlichen, ausgetretenen Schuhen staken, die eine Wagner-Mütze auf dem Kopfe trug, welche an Aermlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, und trotzdem war sie reizend.«

»Ah! Bist du plötzlich zum Anwalt der Frauen aus dem Volke geworden?«

»Das will ich im Allgemeinen nicht behaupten; ich weise nur auf eine Empfindung hin, welche mich beim Anblick jenes Mädchens bewegt hat; ich sage mir, daß die Sucht nach Putz und Schmuck ihr unnötig, ja sogar schädlich sei.«

»Die Landdirne ist es also, welche dich begeistert.«

»Uebertreiben wir nicht.«

»Weißt du, Valentin, wie du mir vorkommst, du mit deiner plötzlichen Schwärmerei für die kleinen Ladenmädchen, welche um sechs Uhr abends durch die Rue Quatre Septembre und die Rue de la Paix dahineilen? Du erscheinst mir wie ein Blasierter, welcher nach Eindrücken hascht, die er noch niemals kennen gelernt; Du sprachst vorhin von überreifen Birnen, hüte dich lieber vor den unreifen, sie sind ungesund, man muß ihnen mißtrauen wie dem höllischen Feuer, und wird gewöhnlich dabei geprellt.«

»Auf welches Gesprächsthema verirrt Ihr Euch, warum redet Ihr nicht lieber von der Sittenpolizei?«

»In deiner Lage läuft man nie Gefahr, mit ihr zu tun zu haben.«

»Es sei denn, daß man mit einer braven Familie in Kontakt kommt, welche die Sitten ernst nimmt und es den vornehmen Herren nicht gestattet, mit jungen Mädchen loses Spiel zu treiben.«

»Ja, ja, ehe man sich dessen versieht, kann man in ein unangenehmes Abenteuer sich verwickelt sehen; das beste Beispiel für meine Behauptung ist der Mord in dem Keller jener Villa in Chantillon, welcher so viel von sich reden machte.«

»Abenteuerliche Liebesangelegenheiten sind stets gefahrvoll, die Zeitungen wissen spaltenweise von derlei Dingen zu berichten, die oftmals ganz unerklärlich sind. Man findet in der Seine die Leiche eines eleganten jungen Mannes mit gebundenen Händen und zerschmettertem Schädel; wer hat ihn so gemordet, wer ihn ins Wasser gestürzt?«

Man frage den gewiegtesten aller Rechtsanwälte, ob man die Urheber des vierten Teiles der Verbrechen entdeckt, welche im Leben begangen werden. Wenn er gewissenhaft ist, muß Ihnen dieser Rechtsanwalt mit einem Nein antworten. Um entdeckt zu werden, muß man entweder sehr ungeschickt sein oder von ganz seltsamem Mißgeschick verfolgt werden. Die Leistungen der Polizei sind so ungenügend.«

»Die Regierung beschränkt die Polizei in ihren Handlungen, sie erhält die Weisung, sich vor allem in nichts zu kompromittieren.«

»Schöne Neuerung das, so ist es ja immer gewesen. In monarchischen Zeiten gab es sogar zwei oder drei Polizeien, welche sich wechselseitig in allen Plänen durchkreuzten. Damals kam es auch vor, daß entsprungene Sträflinge Generäle der königlichen Garde wurden.«

Valentin schenkte dem Gespräche im allgemeinen keine große Aufmerksamkeit, aber gerade durch dasselbe war der Gedanke in ihm rege geworden, daß das kleine Mädchen aus der Rue de Ramay vielleicht zu einem nicht ganz banalen Liebesabenteuer zu haben sei, und er beschloß, es im Auge zu behalten.

Während Valentin in gewohntem Zynismus jenes Leben verfolgte, welches nur dem Vergnügen galt, sann die Gräfin Coutras in stolzer Rechtschaffenheit über die Bemerkungen nach, welche Frau Mößler ihr gemacht, und fragte sich, ob sie nicht unrecht daran tue, mit Oberst Redel vertraulich zu verkehren. Sie hegte Gewissenszweifel, der Friede ihrer Seele war gestört. Ehe man sie auf das Unpassende ihres intimen Verkehrs mit dem neugewonnenen Freunde hingewiesen, hatte sie nie gedacht, daß irgend jemand darin ein Unrecht werde finden können. Nun fühlte sie sich weniger sicher in bezug auf die vollständige Schuldlosigkeit ihres Verkehrs mit Redel; so zurückhaltend ein Mann auch sein möge, es ist für die Frau doch immer schwer, die Empfindungen zu ergründen, welche sie ihm einflößt. Die Liebe verrät sich in sehr verschiedenartiger Weise, aber immer tritt sie klar zutage, und die höchste Achtung ist eben so ausdrucksvoll wie die leidenschaftlichste Kühnheit. Die stumme Bewunderung Redels sprach deutlicher als die beredteste Zärtlichkeit. Henriette wußte somit, daß er sie liebe, aber es bereitete ihr keine Sorge. Alle Besucher ihrer Samstage waren in sie verliebt gewesen oder liebten sie noch, aber verhängnisvolle Schlußfolgerungen hatte diese Tatsache bisher für niemanden gehabt. Die Gräfin versorgte alle mit Tee und guten Worten, und so fügte es sich, daß nach und nach aus der nutzlosen Huldigung eine treue Freundschaft wurde, sie teilten alle das gleiche Los. Keiner konnte eine Beschuldigung gegen den anderen vorbringen, und so lebten alle in bester Eintracht. Mit Redel waren Henriettes Beziehungen etwas anders als mit den übrigen, er hatte nie auch nur die geringste Aufmerksamkeit von ihr begehrt, es genügte ihm, im Bannkreise der Frau leben zu dürfen, welche er liebte, es genügte ihm auch, sie zu sehen und zu hören. Man kam nicht in die Lage, ihm irgend etwas abzuschlagen, denn er forderte nichts.

Seit Frau Mößler die zarte Angelegenheit berührt hatte, brachte Henriette derselben große Aufmerksamkeit entgegen; wenn eine Frau von ihrer geistigen Bedeutung eingehend über einen Punkt nachdachte, ja denselben geradezu studierte, so lag ihr auch alles daran, über die Sache ins klare zu kommen. Das aber bot eben die große Schwierigkeit; welchen Entschluß sollte sie fassen und wie denselben begründen? Zweifelsohne gab der intime Verkehr Redels mit der Gräfin Coutras Veranlassung zu müßigem Gerede; in bezug auf sie selbst lag Henriette daran im Grunde genommen blutwenig, sie hatte das Frau Mößler gegenüber in vollster Aufrichtigkeit gesagt, sie hielt den Oberst nicht für gefährlich und sie fühlte sich ihrerseits sicher. Fast hätte sie noch hinzugefügt, daß sie seiner gewiß sei, aber sie stand ja nicht allein. Die Welt, die Freunde, ihr Gatte mußten auch berücksichtigt werden. Valentin hatte, offenbar von irgendeinem beliebigen persönlichen Interesse hingerissen, Frau Mößler bereits allerhand intime Mitteilungen gemacht. Wer bürgte dafür, daß er nicht ein andermal noch direkter eingreife, und dann konnte man nicht wissen, welche Gestalt der Kampf annehmen werde. Jedenfalls entstand viel Verdruß daraus, für sie und für Frau Mößler, vielleicht gab es auch eine ernste Gefahr für Redel und jedenfalls tiefe Erbitterung. Weit besser war es daher, wenn man alles im Keime erstickte, so lange noch Zeit dazu war. Henriette gelobte sich, die erste Gelegenheit, welche sich ihr bieten sollte, zu benutzen, um mit Redel die Angelegenheit offen und gründlich zu besprechen. Ihrem klaren und festen Geiste dünkte jede noch so heikle Sache einfach, wenn man sich korrekt benahm; sie fürchtete die Aussprache in keiner Weise, da sie nur das Gute wollte.

Die Samstage nahmen wieder ihren regelmäßigen Verlauf, die gewohnten Besucher derselben fanden sich gern zusammen und trafen sich auch an anderen Abenden der Woche, sei es nun beim Ehepaare Clément oder bei Frau Mößler. Auch in den Bilderausstellungen, bei Kunstauktionen, bei Theater-Vorstellungen fanden sie alle Gelegenheit, sich um die Gräfin zu scharen. Der Kreis, der die liebenswürdige Frau umgab, war in Paris sehr bekannt, sogar die Zeitungen pflegten denselben mit großer Hochachtung zu behandeln, denn alle, welche in dem Hause der Frau von Coutras verkehrten, waren interessante und sympathische Erscheinungen; trotzdem geschah es, daß unter den Tagesnachrichten eines sehr verbreiteten Blattes eine scheinbar harmlose Notiz Aufnahme fand, welche im Grunde genommen der Inbegriff aller Schlechtigkeit war; sie lautete:

»Ein Salon in Trauer.« Man teilt uns mit, daß Oberst Redel zu dem wichtigen Posten eines Generalstabs-Chefs der Armee in Tonking ausersehen wurde. Es hätte sich keine bessere Wahl treffen lassen, aber die Abreise des hervorragenden Offiziers wird in der vornehmen Pariser Welt allgemein das lebhafteste Bedauern wachrufen.«

An dem Abende, an welchem diese Notiz in dem Blatte zu lesen stand, sprach Redel bei der Gräfin vor, die meist in der Dämmerstunde ihre näheren Bekannten zu empfangen pflegte. Als man ihn in das prachtvoll eingerichtete Atelier führte, in welchem Frau von Coutras sich mit Vorliebe aufzuhalten pflegte, fand der Oberst seine schöne Freundin ganz allein; sie saß lesend an dem mit prächtigen Skulpturen gezierten Kamin, über welchem das Bild jenes Grafen Coutras hing, der durch Philipp de Champaigue zum Regiments-Kommandanten ernannt worden war. Das große Fenster, welches die Aussicht nach der Avenue Friedland bot, war durch einen roten Vorhang verhüllt. Der dicke Teppich dämpfte das Geräusch der Schritte; die Gobelins an den Wänden, welche Jagdszenen darstellten, die von Bérin gemalte Decke verliehen dem Raum das Gepräge intimer Behaglichkeit. Als Henriette den Eintritt Oberst Redels bemerkte, bot sie ihm die Hand, welche er an seine Lippen zog, und indem sie auf einen Fauteuil wies, sprach sie lächelnd:

»Nehmen Sie dort Platz. Sie sind sehr geheimnisvoll, und ich fühle mich geneigt, mit Ihnen Streit zu suchen; wie kommt es denn, daß ich fast täglich mit Ihnen verkehre und durch die Zeitungen jene wichtigen Nachrichten erfahren muß, welche den bedeutsamsten Einfluß auf Ihre ganze Zukunft haben?« Redel errötete gleich einem Kinde, das man auf einem Unrecht ertappt. Er blickte die Gräfin verlegen an und sprach mit halberstickter Stimme:

»Sie beziehen Ihre Worte auf jene unerhörte Indiskretion, deren sich die Zeitung schuldig gemacht hat.«

»Gewiß, sollte die Nachricht, welche gebracht wurde, nicht ganz genau der Wahrheit entsprechen?«

»Einerseits ja, andererseits nein.«

»Was soll das heißen?«

»Der Posten ist mir allerdings angetragen worden, aber ohne daß ich denselben anzunehmen für gut befunden.«

Die Gräfin hob das Haupt empor und sah Redel unverwandt an.

»Weswegen schlugen sie ihn aus?«

»Ich habe in Tonking redlich mitgekämpft, als es notwendig war; heute ist es eine feststehende Tatsache, daß es gelingen wird, den Frieden herzustellen, es gibt folglich in den Kolonien nichts mehr zu tun, ob man sich dort schlägt oder nicht schlägt, es steht doch fest, daß es zu wirklichen Kriegstaten nicht mehr kommen wird. Tonking kann unter solchen Verhältnissen nur eine Garnison sein, wie jede andere, entfernter, ungesunder, langweiliger als alle übrigen, aber das ist auch alles, und somit habe ich mich nicht mehr dorthin kommandieren lassen wollen.«

Henriette blickte Oberst Redel unverwandt in die Augen und er schlug dieselben nieder.

»Ist das der einzige Grund, welcher Ihre Handlungsweise veranlaßt hat?« forschte sie leise.

Redel verstand es nicht, zu täuschen, er antwortete trotzdem mit einer Bejahung, aber er brachte diese nur mit sichtlichem Widerstreben über die Lippen.

»Man hat mir von einem Oberst Redel gesprochen,« fuhr die Gräfin fort, »welcher sich nur dann wohl fühlt, wenn er kühne, abenteuerliche Kriegszüge unternehmen kann, von einem Manne, welcher die Luft der Städte nicht verträgt und sich nur in weiten Räumen wohl fühlt. Im Vergleiche zu dem Manne, welchen man mir geschildert hat, finde ich Sie sehr verändert.«

Mit zitternder Stimme erwiderte Redel:

»Der Mann, von welchem Sie sprechen, ist eben gealtert; die Zivilisation hat von neuem ihre Rechte auf ihn zur Geltung gebracht. Er findet jetzt Vergnügen an dem Dasein, welches er einst mißachtete, er hat Freundschaftsbande geknüpft, welche zu lösen ihm geradezu Schmerz bereiten würde, er hat überdies eine alte Mutter, die er von einem Tage zum andern verlieren kann, und die nicht von dieser Erde scheiden soll, ohne daß der Sohn ihr die Augen zudrückt!«

Die Gräfin schwieg; sie hatte das schöne Antlitz tief auf die Brust herabgesenkt und war in ernste Gedanken vertieft. Nach einer kurzen Pause stieß sie einen tiefen Seufzer aus und sprach:

»Lieber Freund, Sie setzen mich in große Verlegenheit, was aber soll ich auf die Argumente entgegnen, welche Sie anführen? Ich könnte dieselben nur mit Gründen widerlegen, die aus meinem Egoismus hervorgehen, und dazu fühle ich mich nicht berechtigt. Wenn Sie abgereist wären, so hätte sich alles von selbst in glatte, ebene Bahnen lenken lassen.«

Der Oberst machte eine hastige Bewegung.

»Verursacht Ihnen denn meine Anwesenheit irgendeine spezielle Unannehmlichkeit?« fragte er mit unsicherer Stimme.

»Mein lieber Redel, es gibt mißgünstige Menschen, welche überall Schlechtes sehen und aus den harmlosesten Handlungen ein Verbrechen machen; es gibt auch schwache Geister, die stets bereit sind, alles zu glauben. Aus der Verbindung zwischen Bösartigkeit und Schwäche geht die Verleumdung hervor, welche weder ehrenwerte Männer noch rechtschaffene Frauen verschont.«

Die schöne martialische Physiognomie Redels nahm einen Ausdruck an, welcher wohl berechtigt schien, Schrecken einzujagen: Feuer sprühte aus seinen Augen, und mit einer Ruhe, die drohender war als der Zorn, entgegnete er:

»Man zermalmt eben die Verleumdung, es genügt, den Böswilligen ins Antlitz zu sehen, um sie zum Zurückweichen zu bewegen, und wenn jemand sich erlauben sollte . . .«

Die Gräfin hob die Hand empor und unterbrach Oberst Redel.

»Ah, Sie sind schon kriegsgerüstet, lieber Freund; Ihr Schwert ist offenbar nicht gar so fest in der Scheide, als Sie es mich vor einigen Augenblicken glauben lassen wollten; es genügt, Ihnen eine Gefahr zu zeigen, damit Sie Lust verspüren, sich Hals über Kopf in dieselbe zu stürzen; wen aber wollen Sie angreifen? Meine Schwiegermutter, welche mir kürzlich Vorstellungen gemacht hat wegen der beharrlichen Huldigung, die Sie mir entgegenbringen, oder etwa meinen Gatten, der vielleicht einmal, als er bei schlechter Laune war, im Klub seine kritischen Bemerkungen über unsern freundschaftlichen Verkehr zum besten gegeben hat? Wollen Sie die Welt zum Kampfe herausfordern, sie, die alle und niemand ist, sie, die es nicht mit ansehen kann, daß ein Mann dreimal hintereinander mit einer Frau spreche, ohne zu vermuten, daß zwischen ihm und ihr irgendwelche unlauteren Beziehungen existieren müssen? Nein, lieber Oberst, man kämpft nicht so leicht gegen anonyme Geschöpfe an, welche sich nicht greifen lassen und doch zum Dolmetsch der allgemeinen Meinung werden; einzeln sind diese anonymen Stimmen nichts, zusammengefaßt bilden sie eine unbezwingbare Macht, man muß mit ihnen rechnen, kann ihnen nicht Trotz bieten und vor allem nicht zeigen, wie sehr man ihr Wirken verachtet, denn das verzeihen sie am allerwenigsten.«

Redel schwieg beharrlich, er rang sichtlich danach, seine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen, aber das Beben seiner Muskeln verriet die mächtige Erregung seines Innern, und sein Antlitz war mit den vom Sturm gepeitschten Wellen des Ozeans zu vergleichen. Zwei Tränen perlten aus seinen Augen, welche auf seinen glühendheißen Wangen alsbald versiegten; vielleicht hinderte ihn die mächtige Erregung am Sprechen, offenbar wagte er nicht, dem, was ihn bewegte, Worte zu verleihen, um sich nicht zu verraten. Henriette begriff, daß er sich in einer Aufregung befinde, welche moralische Agonie zu nennen war. Die junge Frau sah den Mann leiden, von welchem sie sich geliebt wußte, sie fühlte, daß er alles zu durchkämpfen hatte, was man bei dem Gedanken, ein geträumtes Glück verlieren zu müssen, nur irgend durchkämpfen kann.

Sie erschrak, als sie so plötzlich Einblick erhielt in ein Herz, welches sich ihr niemals offenbart hatte und in dessen Tiefe sie nun plötzlich lesen konnte. Sie empfand einen Schmerz, welchen fühlen zu können sie nimmer vermutet haben würde, sie, die Frau, welche noch niemals geliebt, erbebte plötzlich im Feuer einer heißen Leidenschaft. Sie hörte auf, Redel mit den gleichen Augen anzusehen wie bisher, er dünkte ihr mit einem Schlage ein anderer geworden zu sein, ihr war es, als sei sein Antlitz verschieden von jenem, welches sie bisher gesehen, als seien seine Bewegungen andere, seine Gefühle neue. Nachdem sie Monate hindurch so oft mit ihm allein gewesen, ohne die geringste Beunruhigung zu fühlen, ohne andere Empfindungen für ihn zu hegen, als wenn er ihr Bruder gewesen wäre, war sie jetzt mit einem Male verwirrt und bewegt. Die ganze Freiheit ihres Geistes schien plötzlich von ihr gewichen, sie hätte sich unfähig gefühlt, über irgend etwas ihre Meinung abzugeben, die Ansichten der Welt zu begreifen. Wenn sie der Stimme ihres Herzens hätte folgen dürfen, so würde sie am liebsten Redel um Verzeihung gebeten haben, daß sie ihm Schmerz bereitete, anstatt ihm auseinanderzusetzen, weshalb sie ihm weh tue. Sie blickte ihn mit einer Sanftmut an, welche sie bisher ihm gegenüber noch nie an den Tag gelegt, ja, welche überhaupt noch kein menschliches Wesen an ihr bemerkt, und vielleicht war sie so weniger hübsch oder weniger imponierend, denn der Oberst fand alsbald die Stimme wieder und sprach sehr verständlich:

»Gnädigste Frau, Sie werden niemals einen treueren und ergebeneren Diener haben, als mich. Glauben Sie immerhin, daß ich freudig mein Leben zum Opfer bringen würde, auch wenn es sich nur darum handelte, Ihnen eine momentane Mißstimmung zu ersparen. Sie tadeln mich, weil ich mich geweigert habe, abzureisen. Ich werde mich sofort um einen Posten bewerben, der mich für lange Zeit in die Fremde führt; jede Freude meines Lebens will ich klaglos Ihrer Ruhe zum Opfer bringen und glücklich sein, daß es mir vergönnt gewesen, Ihnen einen Beweis meiner Hingebung zu bringen.«

Unwillkürlich verglich die junge Frau dieses freimütige Bekenntnis mit der Doppelzüngigkeit Valentins. Die Parallele, welche sie zwischen den beiden Männern zog, ergab ein Resultat, welches sie erschütterte, und es wollte ihr plötzlich erscheinen, daß die Beweggründe, welche sie veranlaßt hatten, Redel zu verbannen, unrichtig wären, daß es unerhört sei, so hart gegen den Mann vorzugehen, welcher dies in keiner Weise verdiente. Herz und Vernunft rangen verzweiflungsvoll in ihr, sie sagte sich, daß, wenn sie Redel verbanne, sie in ihrer unmittelbaren Umgebung nur noch Gleichgültige oder Feinde haben werde. Eine seltsame, zärtliche Parteilichkeit regte sich in ihrer Seele für den großmütigen Soldaten. Sie war zu klug, um nicht sofort darüber ins klare zu kommen, was das zu bedeuten habe, und diese plötzliche Erregung in ihren Gefühlen sagte ihr erst recht, wie notwendig es sei, Redel zu verbannen, aber sie wollte die Wunde nicht verbluten lassen, welche sie ihm geschlagen, und suchte, sie mit sanftem Finger zu berühren.

»Sie haben mich schlecht verstanden oder, richtiger gesagt, Sie haben meine Gedanken überflügelt. Es handelt sich nicht darum, Sie zu verbannen, ich will Sie auch nicht daran hindern, hierherzukommen. Wenn man von einem Extrem in das andere übergeht, so gibt man den Klatschbasen damit erst recht Stoff zu müßigem Gerede. Wollen Sie, daß man Gelegenheit habe, zu sagen, Oberst Redel geht nicht mehr zur Gräfin Coutras, sie müssen sich gezankt haben, oder dergleichen? Nein, lieber Freund, das darf nicht geschehen; Sie sollen bei mir verkehren, wie all meine übrigen Freunde, Sie sollen sich von diesen durch keine Gefühlsübertreibung unterscheiden, sondern recht klug und vernünftig sein. Machen wir dem Gerede der Menschen diese Konzession, so wird man an unseren Beziehungen nichts auszusetzen finden, und wenn in einiger Zeit Ihr Minister Ihnen einen vorteilhaften Posten anbietet, nehmen Sie denselben an und alles ist damit erledigt.«

»Doch,« erwiderte Redel traurig, »alles wird anders geworden sein, denn, unter uns gesagt, jetzt, wo der Schleier einmal zerrissen ist, kann ich nicht mehr unter Ihren Augen leben und aus meinen Gefühlen ein Geheimnis machen. Es war mir so süß, an Sie denken zu dürfen, ohne es Ihnen zu sagen, alles mit Ihnen in Zusammenhang zu bringen, da Sie das einzige Interesse meines Daseins bildeten. Das Verbergen meiner Zärtlichkeit für Sie ermutigte meine Schüchternheit, ich sagte mir, daß ich Ihnen niemals eingestehen werde, daß ich Sie liebe. In tiefster Seele aber wollte ich dies tun, konnte mich niemand daran hindern. Allem Anscheine nach ist mir auch dieses Glück nicht gewährt. Ich danke Ihnen, gnädige Frau, daß Sie den Mut gehabt haben, sich über Kritik und Vorwürfe emporzuheben, indem Sie mir den Antrag gestellt haben, ich möge hier bleiben; jetzt aber wäre ich nicht mehr fähig, zu Ihnen zu kommen, und fühlen zu müssen, daß feindliche Blicke mich verfolgen, wäre eine für mich unerträgliche Qual und Sie werden mir dieselbe nicht auferlegen wollen.«

Henriette schwieg und dachte an die seltsame Wandlung ihrer eigenen Empfindung, welche sie veranlaßt hatte, Redel hier festhalten zu wollen, und ihn dazu hinriß, sein Bleiben zu verweigern. Ihr Herz pochte mächtig, als sie begriff, daß er, welcher sie liebte, so hohe Achtung für sie empfand, daß er, indem er ihr seine Neigung gestand, gar nicht an die Möglichkeit zu denken schien, sie könne dieselbe erwidern, so unfähig hielt er sie eines unrechten Gedankens. Sie, die mit einem leichten Anfluge von Mißachtung stets auf jedes sinnliche Empfinden herabgeblickt hatte, empfand echte Herzensfreude daran, in ihm ein reines Verständnis zu finden, welches ihrer eigenen Gefühle wert war. Sie fühlte sich so glücklich, wie sie sich schon lange nicht entsann, gewesen zu sein; trotzdem begriff sie, daß sie durch alles von Redel getrennt sei, würdigte sie ihn erst nach seinem vollen Werte in dem Augenblicke, in welchem sie ihn verlieren sollte. Sie mußte sich gestehen, daß er recht habe, sich entfernen zu wollen. Alles drängte ihn dazu, sein Stolz wie seine Aufrichtigkeit, denn in der nahen Berührung des täglichen Lebens wäre seine Liebe zur banalen Gewohnheit geworden, während sie durch die Entfernung seltenen Wert gewann.

»Gehen Sie also immerhin,« sprach Frau von Coutras, »aber bis die Stunde schlägt, welche Sie nötigt, in die Ferne zu ziehen, verlassen Sie mich nicht ganz. Ich werde Ihre Entfernung zu sehr bedauern, als daß ich wünschen könnte, daß Sie den Augenblick der Trennung rascher herbeiführen, als die Verhältnisse es notwendig machen.«

Redel erblaßte bei diesen Worten, deren weicher Klang zu seinem Herzen sprach, dann erwiderte er mit tiefer Niedergeschlagenheit:

»Sie sind gütig; anstatt mich zu schelten, weil ich das ausgesprochen, was ich hätte verbergen sollen, suchen Sie mich in meinem Schmerz zu trösten. Sie haben recht, denn derselbe ist groß, bis jetzt lebte ich einzig in meinem Berufe, ohne irgendeine Ungewißheit zu empfinden, das Ziel gerade im Auge behaltend, auf welches ich losschreiten wollte; nun verwirren sich die Gedanken in meinem Kopfe, ich zögere und schwanke, sogar meine Begriffe von Pflicht sind unklar geworden; ich fühle, daß ich imstande wäre, Konzessionen zu machen, zu denen ich mich früher um keinen Preis der Welt hergegeben hätte. Ich bin am Ende meiner Kraft, und mein Herz ist nur von tiefer Trauer erfüllt.«

»Sie haben eine Stunde der Verlassenheit, diese Stimmung aber hält nicht an«, warf Henriette ein; »Sie werden sowohl die Festigkeit des Geistes als auch den vollen, ungeschwächten Mut wiederfinden; Menschen, gleich Ihnen, lassen sich nicht von der Verzweiflung übermannen. Eiserne Willenskraft, welche die hervorragendste Eigenschaft von Charakteren gleich dem Ihren ist, kommt Ihnen zu Hilfe, wenn Sie derselben am allermeisten bedürfen, und Sie bewältigen alle Schwierigkeiten. Ich habe mir schon häufig, seit Sie in meinem Hause verkehren, den Vorwurf gemacht, Sie hier festgehalten zu haben, mit daran schuld gewesen zu sein, daß Sie sich der Untätigkeit überließen; Sie sind für unsere kleinen weltlichen Intrigen nicht geschaffen, Sie sind mehr wert als diejenigen, gegen welche Sie anzukämpfen hätten. Es ist jammerschade, wenn Fähigkeiten, gleich den Ihren, brach liegen sollen, während Sie dieselben bei den bedeutsamsten Unternehmungen verwerten können; verlieren Sie wegen eines vorübergehenden Leidens nicht den Kopf. Sie müssen mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu gestehen, daß ich keine Netze nach Ihnen ausgeworfen; ich hege für Sie, lieber Oberst, eine wahre und innige Freundschaft, die sich stets gleich bleiben wird, und wenn Sie die Dosis erlaubter Sympathie ein klein wenig zu stark genommen haben, so müssen Sie zugestehen, daß ich Sie durch keinerlei Koketterie dazu verführte. Ich zürne Ihnen nicht, denn selbst eine übermäßige Huldigung besitzt, wenn sie von Ihnen kommt, in den Augen der Frau, welche Ihre Tugenden zu schätzen weiß, keinen geringen Wert; reichen Sie mir also die Hand, blicken Sie mir in die Augen und sagen Sie mir, daß Sie mir die kleine Wunde verzeihen, welche Ihnen zu schlagen ich gezwungen war.«

Redel hob das gesenkte Haupt empor und bot der Gräfin seine Rechte dar. Diese zitterte ein klein wenig, wie es sonst wohl eigentlich bei einem Krieger nicht der Fall zu sein pflegt; er wagte kaum sie anzusehen, und indem er ein paar unverständliche Worte murmelte, inszenierte er einen Rückzug, welcher gar nicht im Einklange stand mit den ruhmreichen Siegen, an welche er vor dem Feinde gewohnt war.

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