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Regines abweisende Haltung hatte vorerst das Gute, Ferdinand in starken Zorn zu versetzen. Er zuckte die Achseln und erging sich in schlechten Späßen über den seltsamen Groll der Gräfin, die seit sechs Wochen mit dem Feuer gespielt und jetzt in Wut geriet, weil sie sich gebrannt hatte. Nach längerem Nachdenken jedoch flößte ihm das Benehmen der Frau von Croix-Mort ganz besondre Hochachtung ein.
Diese Empörung der schönen Gräfin war im ganzen doch etwas Unerwartetes und durchaus nichts Alltägliches. Sie bot ihm kühn die Spitze, weil sie ihn strafen wollte für die Kühnheit, mit der er sich ihrer bemächtigt hatte. Es war nicht zu leugnen, daß sie einen Stolz offenbarte, der von dem Adel ihrer Herkunft zeugte. Sie war vom Scheitel bis zur Sohle eine vornehme Dame. Der Baron empfand bei dieser Erwägung das nicht geringe Behagen, sich sagen zu können, daß er der Liebhaber dieser stolzen und eben darum um so verführerischen Frau gewesen.
Er brachte den ganzen Abend in Nachdenken versunken zu, träumte in der Nacht von Regine und erhob sich am nächsten Morgen bedeutend verliebter, als er es je gewesen.
Gegen zwei Uhr konnte er dem Verlangen, sich nach Croix-Mort zu begeben, nicht länger widerstehen. Er ging zu Fuß durch den Wald, sah mit einem Lächeln den Kreuzweg wieder, wo er in dem Gehölze, in welchem er doch alle Seitenpfade genau kannte, sich verirrt hatte und den Meilenzeiger zu Rate ziehen mußte, ja selbst dessen Inschrift kaum zu lesen vermochte, so heftig hatte ihm der Sturm den Regen ins Gesicht getrieben. Dann folgte er dem Wege bis zur Divonette, überschritt die Brücke und wandelte durch die Parkalleen dem Schlosse zu.
Hier war alles still und einsam. Die Thür des Salons, aus welchem die Gräfin ihm so häufig entgegenzueilen pflegte, wenn sie seinen Schritt erkannte, blieb geschlossen. Er mußte läuten, um einen Diener herbeizurufen, der ihm mit leiser Stimme und betrübter Miene erklärte, die gnädige Frau empfange heute nicht, sie liege zu Bette und sei von heftigen Nervenschmerzen befallen. Ferdinand gab seine Karte ab und zog sich zurück.
Sehr verstimmt trat er den Heimweg an; daß er die Thür verschlossen finden werde, darauf war er keineswegs gefaßt gewesen; er hatte sich als Herr der Situation gefühlt und nun lehnte sich Frau von Croix-Mort mit wiedererwachter Willenskraft gegen ihn auf und leistete ihm Widerstand.
Er wurde sehr verdrießlich und suchte sich selbst gegen die Gräfin in Harnisch zu bringen, indem er sie eine Zierpuppe nannte, die sich nun sträuben möge soviel sie wolle, sie habe ihm nichtsdestoweniger doch angehört. Diese im höchsten Zorne abgegebene Versicherung richtete ihn wieder auf. Doch trotz all dieser Prahlereien, mit denen er sich selbst zu täuschen suchte, konnte er Regine nicht vergessen.
Ferdinand erschien am nächsten Morgen, am darauffolgenden und so vier Tage nacheinander auf Croix-Mort, ohne andern Erfolg als am ersten Tage. Die Gräfin schien fest entschlossen, ihn nicht wiederzusehen. Er wurde nun seinerseits verstockt und betrachtete das Verhältnis als gelöst. Da er tödliche Langeweile empfand, gedachte er, sich mit der Verwaltung seiner Besitzung zu beschäftigen. In dem Steuerregister von La Vignerie studierte er die Frage der Holzfällung, welche in seinen Waldungen vorgenommen werden sollte. Es gelang ihm indes nicht, mit der Auswahl und Verteilung der Schläge fertig zu werden, und er beschloß daher, sich zu diesem Behufe an seinen Notar, Herrn Serviquet, zu wenden.
Dieser erschien zum Frühstück bei dem Baron. Der Notar war ein noch junger Mann, welcher, da er erst vor kurzem die Kanzlei seines Chefs übernommen hatte, mit großem Eifer an die Geschäfte ging. Er folgte den Auseinandersetzungen des Herrn von Ayères mit großer Aufmerksamkeit, gab ihm die Versicherung, daß sein Holz einen sehr guten Preis erzielen werde, da die Eisenbahnen, welche in der Umgegend gebaut würden, Balken zu Schwellen und Pfähle zum Telegraphen gebrauchen würden, und versprach schließlich, einen tüchtigen Ingenieur zu schicken, der die Arbeit aufs allerbeste zu besorgen verstehen würde. Die beiden Männer, welche sich von einem guten Mahle angeregt fühlten und etliche Gläser schweren Weines im Kopfe hatten, wurden allmählich mitteilsam, ihr Gedankengang nahm eine andre Wendung und sie begannen von intimeren Angelegenheiten zu sprechen.
Herr Serviquet erzählte, daß er die Tochter des reichen Besitzers der Ziegelei in Houssaye zu heiraten gedenke, und Ferdinand ließ sich herbei, von seinen guten, nachbarlichen Beziehungen zu den Damen von Croix-Mort zu erzählen. Der Notar, welcher die Vermögensverhältnisse des Provinzadels an den Fingern herzählen konnte, gab ein genaues Verzeichnis des Besitzstandes der Gräfin zum besten und erzählte seinem Gastgeber, daß dieselbe während zwölf Jahren durch ein streng durchgeführtes Sparsamkeitssystem alle Fehler ihres Gatten gutgemacht, die Schulden bezahlt, die Hypotheken eingelöst habe, so daß sie jetzt volle sechzigtausend Frank jährlicher Einkünfte »in Grundbesitz« ihr eigen nenne. Bei dieser Eröffnung wurde Ferdinand nachdenklich. Sobald Herr Serviquet die Unterhaltung ins Stocken kommen sah, erinnerte er sich, daß er auf einem benachbarten Hof behufs Eintreibung einer verspäteten Zahlung vorsprechen müsse. Er empfahl sich und bestieg sein Kabriolett, das von dem reichlich gefütterten Gaul im Trabe entführt wurde.
Wie ein Stein in ruhiges Wasser, fiel die Mitteilung von den sechzigtausend Frank Rente in Ferdinands Gemüt, wo sie einen großen Aufruhr erregte. Seine Gedanken zogen immer weitere Kreise, die einzig und allein durch den Anstoß dieses Goldklumpens hervorgerufen wurden. Das Klarste an der Sache war die Gewißheit, selbst in Paris nicht leicht eine so reiche Partie finden zu können.
Die schöne, kokette, unschwer zu gewinnende Regine war von Ferdinand in die Reihe jener Frauen gestellt worden, aus welcher man seine Geliebte wählt. Die angesehene, reichbegüterte Regine ging in einem Augenblick in die Reihe jener Geliebten über, die man zu seiner Frau macht.
Ein dunkler Punkt nur blieb bei der Sache, die sich sonst so klar darstellte: das Alter der Gräfin. Bei einem Liebesverhältnis, das nur eine Saison zu währen bestimmt war, hatten etliche Jahre mehr oder weniger nichts zu sagen, doch bei einer Verbindung fürs Leben war es anders. Dazu kam noch die heranwachsende Tochter, diese Edmee, die ihre Mutter entsetzlich rasch jenem fatalen Momente zudrängte, wo eine Frau Großmutter wird. Gab es einmal Enkel im Hause, so wurde der Gatte der Großmama, er mochte auch noch so jung sein, deshalb doch nicht weniger eine Art Großvater. Und wie vorauszusehen, konnte sich dieser Unfall leicht in drei oder vier Jahren ereignen.
Das war freilich Grund genug, um ein saueres Gesicht zu machen. Ferdinand, der, vor dem Kamin stehend, sich die Füße wärmte und träumerisch den Rauch seiner Cigarre vor sich hinblies, besah sich im Spiegel und fand sich in der That noch zu jugendlich, um jetzt schon die Liebhaberrollen aufzugeben und sich in die Uebernahme des Väterfaches zu fügen. Andrerseits verblieben ihm nach der Regelung seiner Finanzen, die von seinem Verwalter so trefflich geleitet wurde, noch ungefähr zwanzigtausend Frank Renten, um seine Stellung in der Welt zu behaupten. Das war nach all den Thorheiten im ganzen noch eine recht annehmbare Summe, aber für einen Mann, der gewohnt war, Geld auszugeben, ohne zu rechnen, hieß dies gar nichts. Und aus sanftem, geheimnisvollem Dunkel tauchte strahlend das lächelnde Antlitz Regines empor, mit seiner schönen Farbe, dem blonden Haar und der reinen faltenlosen Stirn. War dies das Gesicht einer alten Frau, und ist man denn nicht, bei Licht erwogen, gerade so alt, als man aussieht? Dazu verlieh der goldne Rahmen, in welchem die reiche Regine jetzt erschien, ihr einen unwiderstehlichen Reiz.
Ferdinand brachte den ganzen Tag in Beratung mit sich selbst zu. Er spazierte schwermütig in seinem Garten umher, langweilte sich in demselben und gelangte endlich zu dem Schlusse, daß er für ein einsames Leben durchaus nicht geschaffen sei.
Nachts umgaukelten ihn seltsame Träume, in welchen er Edmee als ein durchsichtiges, ätherisches Wesen in weißem Kleide sah, wie sie ins Kloster trat, um ihrer Mutter das Recht zu lassen, immer jung bleiben zu dürfen. Des Morgens faßte er den Entschluß, Frau von Croix-Mort um ihre Hand zu bitten, und bedachte nun die Mittel, welche ins Treffen geführt werden sollten, um die Schutzwehren, die gegen ihn aufgerichtet worden waren, zu beseitigen. Die Gräfin hielt ihre Thür verschlossen, es war somit geraten, sich nicht nochmaligen Zurückweisungen auszusetzen. Da er alle Oertlichkeiten des Schauplatzes genau kannte, so brauchte er sich bloß auf die Lauer zu legen und die Gelegenheit, die sich ihm gewiß darbieten würde, zu ergreifen, um unvermutet, wie von unwiderstehlichem Liebesdrange beseelt, vor Regine hinzutreten. Statt die gewohnten Eingänge zu benützen, setzte er über einen Graben, schlich sich in den Park ein und wartete hier wie ein Waldgott, der einer Nymphe auflauert.
Er täuschte sich in der Annahme, die Gräfin »thäte zimperlich«, wie er sich ausdrückte. Sie war in der That ernsthaft krank, und es war nicht Stolz und Zorn allein, was sie von dem Baron fernhielt. Sie litt an heftigen Nervenschmerzen, die von dem eiskalten Regenguß, dem sie ausgesetzt gewesen, herrührten, und hatte zwei Tage das Bett nicht verlassen.
So hatte sie mit Muße über ihre Lage nachsinnen und voll Entsetzen an die erlittene Schmach denken können. Ferdinand flößte ihr Abscheu ein. Sie hatte ihn in einer Art von Trunkenheit gesehen, in der er keineswegs dem feinen, eleganten, liebenswürdigen Manne geglichen hatte, der seit sechs Wochen zu ihren Füßen alle Töne zarter Empfindungen angestimmt. Ihr hätte dieser traute Verkehr, der sich nur auf Worte beschränkte, vollkommen genügt.
Anderseits that es ihr bitter leid um die genußreichen Nachmittage und köstlichen Abende, die ihr im Alleinsein mit Ferdinand so angenehm verflossen waren, während dieser insgeheim seine Batterien errichtet und an den nahen Tag des Angriffs gedacht hatte. Ach, um wie viel mehr hatte sie ihn damals geliebt! Und nun hatte er alles verscherzt, sich um alles gebracht; denn sie gelobte es sich ernst und aufrichtig, ihn nie wiederzusehen. Ein Geliebter! Sie einen Geliebten haben! Sie zitterte bei diesem Gedanken vor Entrüstung. Wenn jeder freundschaftliche Verkehr mit den Männern unausweichlich dahin führen mußte, so war es besser, sich in klösterlicher Einsamkeit zu verbergen und gar keinen mehr zu empfangen, am allerwenigsten Herrn von Ayères.
Edmee, die ihre Mutter leidend wußte, kam auf den Zehen ins Zimmer und schlich, instinktiv etwas Außerordentliches verspürend, beständig um sie herum, gleich einem Hunde, der die Nähe eines Wolfes wittert. Es war, als ob sie in der Atmosphäre irgend ein beunruhigendes Arom unterscheide, den Verräter des begangenen Fehltrittes. Dabei pflegte sie ihre Mutter aufs liebevollste, bemitleidete sie und belästigte sie ungemein mit ihren fragenden Blicken, die einem Geheimnis auf der Spur zu sein schienen. Frau von Croix-Mort fürchtete, wenn sie länger als zwei Tage zu Bette bliebe, Edmee noch mehr zu beunruhigen. Sie stand daher auf, stieg in den Salon hinab, nahm am Kamin Platz und griff zu einer Arbeit.
Nicht ohne Angst und Bangen vernahm sie alsdann in der Vorhalle die Stimme des Barons, der sich dringend nach ihrem Befinden erkundigte. Aber sie hielt sich tapfer. Nur konnte sie sich eines Errötens nicht erwehren und mußte die Stirn neigen vor der stummen Frage Edmees, die höchst erstaunt war, dem Günstling die Thür verschlossen zu sehen.
Wie sollte sie ihr seltsames Benehmen erklären? Sollte sie etwa eine Geschichte erfinden, welche das junge Mädchen scheinbar gläubig hinnehmen würde, während sie insgeheim ihre Nachforschungen vielleicht verdoppelte. Es war nicht leicht, sie zu täuschen. Um sich darüber zu vergewissern, brauchte man bloß ihr schelmisches Lächeln zu sehen, und die Art, wie sie die Lider über die Augen senkte, als wolle sie einen Schleier über ihre Gedanken ziehen. In der That hegte die Gräfin die Besorgnis, das fünfzehnjährige Mädchen, dessen Scharfblick in der Einsamkeit, die das Nachdenken so sehr begünstigt, sich ungewöhnlich früh entwickelt hatte, könne sich herausnehmen, sich zu ihrem Richter aufzuwerfen. Sie hatte keine Frage gestellt, auch nicht ein einzigesmal den Namen des Herrn von Ayères ausgesprochen, was zur Genüge erkennen ließ, daß sie in ihrem Innern ernstlich mit sich zu Rate ging.
Frau von Croix-Mort wünschte demnach, sobald als möglich das frühere Leben wieder aufzunehmen, und als Ferdinand durch sein Nichtwiederkommen bewies, daß er die Nutzlosigkeit jedes weiteren Schrittes begriffen habe, entschloß sie sich, eines Abends bei Tisch die Bemerkung hinzuwerfen: »Wir werden jetzt eine Zeitlang Herrn von Ayères nicht sehen, er ist in Paris . . .«
Edmee gab ein »Ah!« zur Antwort, das wie das Knacken einer Pistole beim Spannen des Hahnes klang. Hätte die Mutter eine weitere Bemerkung hinzugefügt, so würde das Mädchen vielleicht ihre Meinung nicht zurückgehalten haben, allein die Gräfin mochte dies nicht wagen, und so verging das Essen in drückendem Schweigen.
Am folgenden Tage machte Regine ihren ersten Spaziergang auf der Terrasse, den sie später bis zum Park ausdehnte. Die frische Luft that ihr wohl. Mit wehmütigem Gefühl sah sie die Alleen wieder, welche sie am Arme des Mannes, der ihr so wohl gefiel, durchwandelt hatte. An einem Rasenrundell stand eine zierliche Strohhütte, mit Gartenbänken und Stühlen ausgestattet; hier ließ sie sich nieder und blickte zur Divonette hinüber, die, vom Herbstregen angeschwollen, in raschem Laufe dahinzog.
Sie gedachte des schönen Tages ihrer Kahnfahrt, als Ferdinand heiter und sorglos die Rufe ihrer Tochter wiederholt hatte und dann bis zur Brücke niedergestiegen war, die, ihren steinernen Bogen graziös über den reißenden Fluß spannend, jetzt vor ihren Augen dalag. Wie leicht und gewandt war er in den Kahn gesprungen! . . . Dann hatte er, ihr gegenübersitzend, die Ruder geführt, und seinen Kleidern war ein feiner Wohlgeruch entströmt.
Plötzlich schrak Frau von Croix-Mort zusammen. Es war ihr, als atmete sie jenen Duft wie damals im Kahn wieder ein; sie erhob sich rasch, wendete sich, von unbestimmter Angst erfaßt, um und sah Ferdinand vor sich, der sie lächelnd beobachtete. Ein dumpfer Schrei entfuhr ihr, sie machte eine Bewegung, um sich zu entfernen, indes der Baron mit gefalteten Händen, demütig bittend, auf sie zuschritt.
»O bleiben Sie! . . . Nur einen Augenblick! Seit acht Tagen halten Sie mich fern . . . Ich bin gar zu unglücklich . . .«
Und als sie traurig den Kopf schüttelte, hob er mit leidenschaftlicher Wärme wieder an: »Ich verdiene es, ich weiß es wohl, und ich kann Ihnen jetzt nur meine Reue und meine Bitte um Verzeihung darbringen . . . Aber Sie sollen doch auch wissen, wie sehr ich den Wahnsinn verdamme, der mich hinriß . . . Ich bin allein anzuklagen, und doch bin ich vielleicht nicht der allein Schuldige . . . Unbewußt, trotz Ihrer Seelenreinheit, waren Sie meine Mitschuldige . . .«
Er drängte sich sanft an sie heran und ganz nahe an ihrem Ohr flüsterte er mit einer Leidenschaft, die sie erbeben ließ: »Sie waren gar so schön! . . .«
Sie fühlte sich wieder umstrickt, wieder geneigt, sich dem Zauber gefangen zu geben. Das Herz schwoll ihr im Busen, Thränen traten ihr in die Augen. Sie wendete sich wieder zum Gehen, doch er erfaßte ihre Hände und hielt sie mit sanfter Gewalt fest: »Nein! Nein! Wenn Sie sich mir jetzt entziehen, so weiß ich, daß ich Sie nicht wiedersehe . . . ich mußte Sie überraschen, um den kurzen Augenblick erlangen zu können, in welchem ich Sie um Verzeihung bitten kann . . . Nein! Ich mag nicht mehr so fortleben, Sie müssen mir verzeihen . . . Wenn Sie wüßten, was die Einsamkeit jetzt für mich ist, jetzt, nach der an Ihrer Seite glücklich verlebten Zeit! . . . Niemals habe ich die ganze Glückseligkeit dieses Lebens zu zweien, das so viel süße und reine Freuden gewährt, tiefer empfunden, als seitdem Sie ihm ein Ende gemacht . . .«
Regine stieß einen Seufzer aus, der Ferdinand nicht entging und ihm verriet, daß sein Bedauern geteilt werde. Er wurde jetzt dringender, nahm das Thema über die Liebe, welches er stets so glänzend und so erfolgreich entwickelt hatte, wieder auf und bestrebte sich, es mit neuen Variationen auszuschmücken. Diese Musik, welche der Gräfin so wohl gefiel, dieses Konzert voll Sentimentalität führte er jetzt mit künstlerischer Meisterschaft durch und er fühlte sich von seinem eignen Spiel derart gefesselt, daß er jetzt wirklich glaubte, was er redete.
Mit ihrem vor Kummer bleichen Antlitz, ihren thränenfeuchten Augen und ihren bebenden Lippen, die nur schwer die Worte zurückzuhalten schienen, welche sie auszusprechen gefährlich fand, dünkte ihm Regine bezaubernd schön, und er begehrte sie leidenschaftlich. Er vergaß das Vermögen, er sah nur noch das Weib. Da er jetzt in Wahrheit aufrichtig fühlte, schilderte er die Traurigkeit seiner Verbannung fern von dem Liebesparadiese in solch lebhaften Farben, daß die Gräfin sich gestehen mußte, daß es ohne diesen Dämon, der sie zu Falle gebracht, eigentlich gar kein Paradies gebe.
Doch da sie ihm dasselbe verwiesen hatte, wie konnte sie es ihm nun wieder eröffnen? Und welchen Glauben sollte sie Versprechungen beimessen, die er zu geben gewiß nicht ermangeln würde? Wie nur denken, daß er sie halten würde?
»Sie haben jedes Vertrauen in mir vernichtet,« sagte sie traurig. »Sie wieder bei mir zu empfangen, wäre eine Unklugheit, die ich nicht begehen darf. Und zudem, welches Vergnügen könnten wir auch an einem weiteren Verkehr finden? Würde er uns nicht stets durch die Erinnerung an Ihr Vergehen mir gegenüber vergällt werden? Glauben Sie, daß ich jemals vergessen könnte? Die Beziehungen, die zwischen uns bestanden, wurden von Ihnen gewaltsam abgebrochen; es ist unmöglich, sie wiederherzustellen . . .«
Er machte eine Gebärde des Widerspruches.
»Wofür halten Sie mich?« versetzte er. »Glauben Sie, ich könnte Sie auch nur einen einzigen Augenblick lang mit der Zumutung beleidigen, mir den Eintritt in Ihr Haus wieder zu gestatten, ohne meinerseits Ihnen die Gewißheit zu bieten, daß ich mich bestreben werde, Sie mir ganz zu erringen? . . . Kann ich überhaupt einen andern Wunsch hegen? Ich liebe Sie aufrichtig und will Sie ganz mein nennen. Sie sehen, daß ich nichts verschweige und Ihnen meine innersten Gedanken gestehe. Ein Dasein ohne Sie erscheint mir unmöglich. Ich biete Ihnen mein Leben an, damit Sie es mit mir teilen . . . Unsre alten Beziehungen möchte ich nicht wiederaufnehmen; ich wünsche neue anzuknüpfen, unauflösliche, die Sie für immer mit mir vereinen sollen . . .«
Regine war auf ein derartiges Anerbieten nicht gefaßt; sie blieb sprachlos, indes er in lebhafter Erregung fortfuhr: »Willigen Sie ein, meinen Namen zu tragen, meine Frau zu werden; machen Sie mich zum glücklichsten der Menschen, geben Sie mir das Recht, Sie zu lieben, ohne Unruhe für Sie und ohne Vorwürfe für mich. Lassen Sie unsern trauten Verkehr, der Ihnen so lieb gewesen, für immer fortbestehen, machen Sie ihn unanfechtbar. Es war Thorheit, anzunehmen, daß dieser auf die Dauer einer bösen Auslegung hätte entgehen können, auch wenn er noch so harmlos geblieben wäre. Ich weiß, daß ich viel begehre, indem ich Sie bitte, Ihre Freiheit aufzugeben, Ihr ganzes Dasein umzugestalten; aber ich werde mich bestreben, Ihnen durch meine Zärtlichkeit dieses Opfer zu erleichtern. Seien Sie gut, antworten Sie mir. Es braucht keiner langen Ueberlegung, um Glück zu gewähren.«
Von der rührenden Gefühlsseligkeit seiner eignen Worte hingerissen, empfand er einen Moment lang eine tiefe Erregung. Seine Stimme geriet ins Stocken, Thränen traten ihm in die Augen, und er war gezwungen, innezuhalten.
Auf eine Bank niedersinkend, erfaßte er Regines Hand und drückte den Schluß seiner Rede in Küssen aus. Sie setzte sich lächelnd und tiefbewegt an seine Seite, beruhigte ihn und sah entzückt, welch große Gewalt sie über ihn auszuüben im stande war.
»Sie sind nicht vernünftig, mein armer Freund,« tröstete sie ihn liebevoll. »Ich! Ich sollte Ihre Frau werden? Haben Sie mich denn nicht angesehen? Ich bin alt. In zwei Jahren bin ich vierzig, und Sie werden dann noch jung sein. Wenn ich thöricht genug wäre, Ihren Antrag anzunehmen, würden Sie es mir einst arg verdenken und wir würden beide unglücklich sein. Ueberdies bin ich auch nicht mein eigner Herr: ich habe Pflichten, habe eine Tochter, der ich mich widmen muß . . . Kurz, alles, was Sie ersehnten, ist verlockend, aber undurchführbar, wir dürfen nicht weiter daran denken . . .«
Er aber hielt sich keineswegs für geschlagen, sondern versuchte alle ihre Gründe zu widerlegen: er sei um fünf Jahre älter als sie und ihr Alter passe vortrefflich zu dem seinen; sie sehe jung und reizend aus und er bete sie an. Ihn bedrohe nur der einzige Schmerz, daß sie ihm ihre Hand verweigern könnte. Ihre Tochter würde in ein oder zwei Jahren heiraten, würde sie unfehlbar allein lassen, und was für ein Leben wartete dann ihrer in dieser Wüste! Welch ein schönes, angenehmes, glänzendes Dasein würde er ihr hingegen verschaffen!
Er fing schon an, Pläne zu entwerfen: Den Winter und das Frühjahr würden sie in Paris zubringen, dann den Sommer auf Croix-Mort oder Vignerie. Und die Gesellschaft, die sie in Paris verlassen, und die sich ihr nun von neuem erschließen würde! Er erzählte voll Stolz von seinem Bekanntenkreis, nannte seine Verwandten und ließ Regine in einem glänzenden Luftgebilde eine Zukunft voll Freuden, voll Festlichkeiten, voll Vergnügungen erblicken. Sie war nachdenklich geworden, und jetzt sagte sie nicht mehr »Nein«. Ihm zuhörend verweilte sie in der kleinen Strohhütte, während das leise Rauschen der unter dem Brückenbogen durchströmenden Divonette herauftönte.
Die Zeit verstrich, die Dämmerung brach herein, ohne daß Regine es merkte; es dünkte ihr kaum eine Stunde, seit sie an Ferdinands Seite weilte. Als sie sich jetzt zum Gehen erhob, schloß er sie in seine Arme, ohne daß sie sich ernstlich zur Wehr setzte, drückte sie zärtlich an sich und raubte ihr einen langen Kuß. Erbleichend, aber nicht unwillig entwand sie sich ihm. Er war jetzt ihrer Einwilligung sicher, und da er es nicht mehr nötig fand, auch nur scheinbar einen Zweifel zu äußern, so fragte er bestimmt: »Wann werde ich Sie wiedersehen?«
»Ich muß, was Sie auch dagegen sagen mögen, Ihr Anerbieten doch noch in ernste Erwägung ziehen,« erwiderte sie. »Es gilt, einen großen Entschluß zu fassen. Ich habe in meiner Umgebung niemand, der befähigt wäre, mir zu raten. Ich bitte Sie daher um ein wenig Zeit . . . so wenig als möglich,« fügte sie hinzu, als sie Ferdinands Gesicht sich verfinstern sah. »Kommen Sie aber keinesfalls, ehe ich Ihnen schreibe. Und zweifeln Sie ja nicht an meiner Freundschaft für Sie . . .«
Bei diesen vielversprechenden Worten der Gräfin wollte sich Ferdinand ihr wieder nähern, um sie nochmals zu umarmen; doch sie winkte ihm mit der Hand einen Abschiedsgruß zu, der einem Kusse erstaunlich glich, und eilte leichten Fußes der Allee zu, die nach dem Schlosse führte.
Er blieb einen Augenblick nachdenklich stehen, steckte sich eine Cigarre an, blies mit stolzer Genugthuung den Rauch zum Himmel empor und entfernte sich langsam.