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Mach Monatsfrist war der Baron zum intimen Hausfreund geworden und bestrebte sich jetzt eifrig, die Gunst sämtlicher Schloßbewohner zu erringen. Sein Behagen an einem ruhigen, gemächlichen Leben ließ ihn wünschen, daß jeder, von der Herrin angefangen bis zu dem letzten Diener herab, sich bemühe, ihm dieses zu verschaffen. Nur keine verdrießlichen Gesichter, keine feindselige Haltung in seiner Umgebung! Es gelang ihm indes nicht vollständig, diesen seinen Traum verwirklicht zu sehen. Er fand von seiten Edmees einen geheimer Widerstand und auch den alten Billet vermochte er von seiner Voreingenommenheit nicht abzubringen.
Fräulein von Croix-Mort, die das plötzliche Eintreten des Herrn von Ayères in das stille Schloßleben anfangs bespöttelt hatte, fing plötzlich an in Schwermut zu verfallen. Besonders mitteilsam war sie wohl nie gewesen, jetzt wurde sie völlig wortkarg. Wenn der Baron aufs Schloß kam, fühlte sich das junge Mädchen von einer tiefen Traurigkeit ergriffen und ihre dunkeln, von langen Wimpern beschatteten Augen schienen dann wie verschleiert. Wurde sie von ihrer Mutter abgehalten, sich aus dem Salon zu flüchten, so blieb sie still, mit einer Stickerei beschäftigt, in einer Ecke nahe beim Fenster sitzen und lieh dem Gespräche, das zwischen Ferdinand und der Gräfin geführt wurde, nur ein zerstreutes Ohr. Auf jede an sie gerichtete Frage gab sie ein einsilbiges Ja oder Nein zur Antwort, um dann wieder in ihr früheres Schweigen zu versinken.
Seit einigen Tagen weilte sie während der Stunden, welche die Gräfin gewöhnlich in ihren Gemächern eingeschlossen zubrachte, in dem kleinen Sprechzimmer, um dort zu malen. Frau von Croix-Mort, die eines Tages unvermutet eintrat, war überrascht, sie hier zu finden. Edmee erhob sich ruhig, ordnete ihre Malgerätschaften und verhüllte sorgsam die angefangene Arbeit. Dieses geheimnisvolle Gebaren reizte die Gräfin und sie entschloß sich, ihre Tochter zu fragen: »Was malst du denn hier?«
»Ein Miniaturbild in ein Medaillon,« erwiderte sie ausweichend.
»Ein Medaillon? Für wen?«
»Für mich.«
»Was willst du damit anfangen?«
»Ich will es tragen.«
»Ach, so zeige mir doch dieses Kunstwerk . . .«
Edmee sah mit düsterm Blick zu ihrer Mutter auf, blieb, wie zögernd, eine Weile regungslos stehen, dann enthüllte sie in plötzlichem Entschluß eine kleine Elfenbeinplatte . . . Die Gräfin beugte sich über dieselbe und wurde sehr bleich. Sie hatte die Züge des Grafen von Croix-Mort erkannt. Prüfend ruhte ihr Blick eine Weile auf dem Angesicht der Tochter, doch dieses blieb undurchdringlich. Regine schüttelte nachdenklich das Haupt, murmelte: »Es ist gut!« und entfernte sich hierauf in heftiger Erregung.
Was hatte dieses plötzliche Erwachen von kindlicher Zärtlichkeit für den verstorbenen Vater bei dem jungen Mädchen zu bedeuten? Lag darin ein Vorwurf für die Mutter? Sollten Edmee die Galanterien des Herrn von Ayères unangenehm berührt haben? Und doch war alles ja so unschuldig! Niemals hatte eine Koketterie einen weniger beunruhigenden Verlauf genommen. Ferdinand war in der That ein artiges Lämmchen, wie sie in sentimentalen Schäfergedichten zu finden sind, zierlich gekräuselt und bebändert, und es bedurfte nicht einmal eines goldenen Hirtenstabes, um ihn zu lenken, ein einfacher Fächer genügte. Dennoch fühlte sich Regine von dieser bedeutsamen Mahnung verstimmt und konnte sich eines bitteren Gefühles nicht erwehren.
In ihrem Innern erhoben sich Zweifel an der Lauterkeit ihres eignen Betragens. Ihr Verstand, der vom Hange zum Sentimentalen in eine falsche Richtung geraten war, fing an, Bedenken zu äußern. Dann gewann der Aerger über das Eingreifen ihrer Tochter in ihre kleinen Herzensangelegenheiten die Oberhand. Wie durfte die Kleine es wagen, sich da einzumischen? Ein Backfisch von fünfzehn Jahren erlaubte sich, die Augen zu öffnen und sogar Dinge zu sehen, die nicht vorhanden waren? Deshalb, weil ihre Mutter sich während zwölf Jahren auf dem Lande in einem gruftähnlichen Schlosse eingesperrt hatte, um das Vermögen wiederherzustellen, welches dieser ausgezeichnete Vater, dessen Bild die Tochter jetzt mit so viel kindlicher Verehrung malte, verschleudert hatte, sollte sie zu einer ewigen Einschließung verurteilt sein? Und wenn es ihr jetzt gefiele, eine zweite Ehe einzugehen – wie sie doch das Recht dazu hatte – was würde das wilde, egoistische Kind dann sagen?
Derlei Betrachtungen steigerten den Zorn der Gräfin, wenn sie allein war, doch in Wirklichkeit konnte sie nie ohne eine seltsame Beklommenheit dem klaren, festen Blicke dieser beiden großen Augen begegnen, die auf dem Grunde ihres Gewissens zu lesen schienen. Sie zog es daher vor, Edmee sich entfernen zu lassen, und da diese nichts Bessres wünschte, als augenblicklich, wenn der Baron kam, verschwinden zu dürfen, so war die Tochter, der Schutzengel, der die Gräfin hätte abhalten können, der Versuchung zu unterliegen, aus dem Wege geräumt. Ferdinand nahm ungehindert an Regines Seite Platz und alsbald entspann sich ein Gespräch, das stundenlang währte, ohne daß er oder sie es jemals zu lang gefunden hätte.
Die Gräfin ruhte halb liegend auf der Chaiselongue, indes ein Tischchen mit einer Vase blühender Rosen, einem Buche und einer Bonbonniere in ihrer Nähe stand. Der Baron saß auf einem kleinen, sehr niedrigen Fauteuil, fast zu Füßen der Frau von Croix-Mort. So verlebten sie im Salon in traulichem Beisammensein, umgeben von all den ihnen liebgewordenen Möbeln und Gerätschaften, köstliche Stunden, plauderten von der Vergangenheit und der Gegenwart, doch, wie in schweigendem Uebereinkommen, nie von der Zukunft, die so völlig außer acht gelassen wurde, als sollte sie niemals nahen.
Die Gräfin war nie im Leben so glücklich gewesen, als jetzt. Wie ehemals in ihren Träumen, wenn sie sich mit einem geheimnisvollen Anbeter unterhielt, kamen sie und Ferdinand, wie von einem unwiderstehlichen Hang hingerissen, immer wieder auf die Liebe zu sprechen. Während durch die offnen Fenster die Sonne flutete und liebliche Düfte von den Blumenbeeten hereindrangen, gab sich Regine voll Entzücken dem süßen Zauber dieser Unterhaltung hin, in welcher unter dem Vormunde des Allgemeinen alle ausgesprochenen Zärtlichkeiten sich bloß an ein imaginäres Wesen richteten, aber ebensogut ihr selbst gelten konnten.
Ferdinand war unübertrefflich in diesem sentimentalen Spiel, während dessen er sich der Fingerspitzen Regines bemächtigte, sie anfangs kaum berührte und sie nur wie in Gedanken zwischen den seinen hielt. Später faßte er die Hand selbst, welche er sanft drückte, indes er mit leiser Stimme von idealer Liebe weiterredete, um jeden Verdacht zu verscheuchen und jeden Widerstand einzulullen. Sodann schmiegte er seinen Mund auf das Handgelenk der schönen Gräfin, die in ihrer seligen Schwärmerei die beunruhigende Wirklichkeit dieser Schmeicheleien nicht zu bemerken schien, bis sie plötzlich den schönen Ferdinand zu ihren Füßen erblickte; sie erhob sich, warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, nötigte ihn, seinen Platz wieder einzunehmen, und da sie ihn willig und gehorsam fand, gewann sie ihr Vertrauen wieder und glaubte sich in vollster Sicherheit.
Nach reiflichem Nachdenken schienen ihr diese langen Zwiegespräche im Salon denn doch auf die Dauer besorgniserregend zu sein. Sie gedachte sie durch Spaziergänge auf der Terrasse zu ersetzen. Ferdinand aber fand an diesen Zusammenkünften im Freien, unter jedermanns Augen, nur ein sehr mäßiges Gefallen. Er kam auf den Einfall, die Gräfin zu Reitausflügen zu bewegen, indem er sie zu überzeugen suchte, daß diese Bewegung einen vorteilhaften Einfluß auf ihre Gesundheit ausüben werde. Sie ging mit Freuden auf seinen Wunsch ein, und da es auf Croix-Mort kein Reitpferd gab, so ließ er eins von seinem Schlosse herüberkommen.
So fingen sie nun an, auf den samtweichen Rasenwegen, wo der Schritt ihrer Tiere gedämpft widerklang, miteinander die Gegend zu durchstreifen.
Es war gegen Ende Oktober, der Hochwald prangte in goldgelben Tinten von kräftig wirkender Farbenharmonie. Das von den ersten Frösten verdorrte Laub löste sich von den Aesten und fiel mit leisem Knistern ins Buschwerk nieder. Rauhe Lüfte kamen angeströmt und zogen als Vorläufer des Winters wie mächtige Schauer durch die Bäume. Regine begann es zu frösteln, ihre Wangen waren rosig gefärbt, ihr Atem dampfte. »Vorwärts!« rief sie, und ihren Pferden die Zügel lassend, schlugen die beiden einen lebhaften Trab an und kamen, sich dem Zufall überlassend, oft drei bis vier Meilen weit von Croix-Mort bis zu den malerischen Waldpartien von Nieuville.
Niemals begegneten sie Menschen, nur zuweilen hob sich in der Ferne die Gestalt eines Aufsehers vom düsteren Grau des Himmels ab oder entstieg eine leichte Rauchwolke dem verfallenen Schornstein einer Köhlerhütte, die, von einem großen Kreise oft noch qualmender Kohlenstücke umgeben, inmitten eines neuen Holzschlages gelegen war. Dies war alles, was an die Gegenwart lebender Menschen erinnern konnte, so daß die Einsamkeit dieser Ausflüge niemals eine Störung erlitt. Die Gräfin und ihr Begleiter waren völlig frei in diesen weit ausgedehnten Waldstrecken, konnten sich je nach Lust und Laune allen Eingebungen ihrer Phantasie hingeben und, wenn sie wollten, sich allein auf der ganzen Erde glauben.
Eines Tages gegen drei Uhr schlug das Wetter, das schon seit dem Morgen drohend ausgesehen, in Regen um. Große, schwere Tropfen begannen plötzlich mit Heftigkeit niederzufallen. In wenigen Augenblicken war der Wald in einen grauen, undurchdringlich dunklen Schleier gehüllt. Kurze Zeit fanden sie in einem Tannengehölz Schutz und sahen schweigend zu, wie sich das Unwetter entfesselte, doch gar bald ließen die dichten, mit Wasser belasteten Baumkronen eine wahre Springflut niedergehen, so daß Regine und Ferdinand sich gezwungen sahen, den unhaltbar gewordenen Zufluchtsort zu verlassen.
Sie ritten weiter in dem unaufhörlich niederströmenden, starken, durchdringenden Regenguß, suchten den Weg abzuschneiden, um rascher nach Croix-Mort zu gelangen, sahen aber nur den trüben, dichten Brodem vor sich, der sie mit schneidenden Wasserstrahlen wie mit Peitschenhieben überschüttete. Der von allen Seiten umwölkte Himmel zeigte gelbe, weißliche, fahle Schattierungen. Die Pferde, die auf dem feuchten, schlüpfrigen Rasen auszugleiten drohten, hatten alle Mühe, sich aufrecht zu halten, und dampften unter den auf sie niederrauschenden Strömen.
Mit gesenktem Haupte und übereinander gepreßten Lippen trabten Regine und Ferdinand dahin, ohne mehr nach dem finsteren Horizont zu schauen, der ihnen verhüllt blieb. Sie fanden die bekannten Wege nicht mehr, der Wald hatte seinen Anblick völlig verändert. Sonst so lieblich und einladend, war er jetzt plötzlich düster und abstoßend geworden und schien sich ins Unermeßliche auszudehnen, um die Pein der beiden im Unwetter verirrten Reiter zu verlängern. Die Gräfin, welche einen ihr von Ferdinand geliehenen Mantel umhatte, schauerte trotzdem vor Kälte; von ihrem Hute fielen eisige Tropfen auf ihre Hände nieder, so daß sie Mühe hatte, die Zügel zu halten. Dennoch ließ sie weder eine Klage, noch einen Vorwurf laut werden, sondern folgte tapfer und ohne jede Zimperlichkeit dem voranreitenden Freunde. Dieser stieß plötzlich einen Freudenschrei aus. Bei einer Lichtung hatte er sich zurechtgefunden. Ein Meilenzeiger stand am Wege; der Baron erhob sich im Steigbügel und las: »Croix-Mort fünf Kilometer. La Vignerie . . .«
»Wir sind nur wenige Schritte von meinem Hause,« rief Ferdinand freudig aus. »Noch eine kurze Anstrengung, und wir haben ein Dach, ein Feuer und die Mittel, nach Croix-Mort zurückzukehren, ohne Ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen.«
Regine zögerte; bei den Worten »mein Haus« hatte eine unbestimmte Unruhe sie ergriffen, sie glaubte etwas wie einen Hinterhalt zu sehen.
»Ich bitte Sie, Gräfin, schlagen Sie dies nicht aus!« drängte Ferdinand. »Sie können in diesem Zustande unmöglich noch eine Stunde Weges zurücklegen, und um Croix-Mort zu erreichen, brauchen wir gerade so viel Zeit. Es handelt sich um Ihr Leben.«
Er bat und schien aufrichtig zu sein. Ohne zu antworten, gab Regine ihrem Tiere einen Hieb mit der Gerte und ließ sich von ihm forttragen, wohin es ihm belieben mochte. Fünf Minuten später hielten sie an einem Eisengitter, der Baron zog heftig an einer Glocke und sofort kam ein Stallknecht herbeigeeilt, um zu öffnen. Sie sprengten im Galopp in den Hof. Vor der Freitreppe stieg Ferdinand ab, hob die Gräfin aus dem Sattel, und ohne sie auf den Boden zu setzen, trug er sie durch zwei bis drei Salons bis in ein hohes, weites Gemach, das ihm als Arbeitszimmer diente.
Hier empfand Regine ein köstliches Gefühl; sie atmete wieder warme Luft und sah sich neben einem hohen Kamin, in welchem große Holzscheite langsam brannten. Hastig die glühenden Brände auseinanderziehend, schürte Herr von Ayères die Glut zu lebhafterer Flamme an; dann wendete er sich an seine Gefährtin, die in ihrem durchnäßten Reitkleide zitternd dastand und wie betäubt in das sprühende Feuer blickte.
»Sie dürfen in diesem Anzuge nicht bleiben, Gräfin, Sie müssen ihn ablegen, o widersprechen Sie nicht! Wir sind im Kriege, man muß sich in die Situation finden; Damenkleidung kann ich Ihnen freilich nicht zur Verfügung stellen, aber einen weiten großen Hausrock, der Ihnen bis zu den Füßen reichen wird . . .«
Er war in ein Nebenzimmer geeilt, ohne auf den Widerspruch und die Einwürfe der Gräfin zu achten. Jetzt vernahm diese, wie er geräuschvoll die Schränke öffnete; gleich darauf kehrte er, den Arm mit einer Menge Kleidungsstücke beladen, zurück und meinte lachend, aber mit seiner, achtungsvoller Zurückhaltung, welche der Gräfin sehr wohl gefiel: »Von diesem Momente an sind Sie zu Hause, gnädige Frau, und ich bin bloß der erste Ihrer Diener. Ich bitte Sie, über alles zu verfügen, was Ihnen hier gefällt, und es gütigst zu entschuldigen, wenn ich Ihnen keinen würdigeren Empfang bereiten kann; aber mein Haus ist auf die Ehre, die Sie ihm erweisen, nicht vorbereitet. Ich lasse Sie jetzt allein. Handeln Sie nach Ihrem Belieben, in vollster Freiheit.«
Mit einer Verbeugung zog er sich zurück. Eine kurze Weile blieb Regine unentschlossen; die seltsame Lage, in die sie sich plötzlich versetzt sah, hatte sie völlig verwirrt. Sie überlegte nun und fand, daß bei diesem Anlasse doch nur der Zufall der Schuldige war. Sie konnte Ferdinand, der sich aus allen Kräften bestrebte, ihren Verdruß zu verringern und die Gefahren des Abenteuers abzuschwächen, nicht zürnen. Aber wie dem auch immer war, sie befand sich jetzt doch in der Wohnung eines Junggesellen und sollte ihre Kleidung wechseln, ohne zu wissen, wann und wie sie sich wieder ankleiden könne.
Die Feuchtigkeit ihres Kleides, das, sich an ihren Rücken schmiegend, ihr eine höchst unbehagliche Empfindung verursachte, drängte sie endlich zu einem Entschluß. Sie eilte zu den Thüren und verschloß dieselben. Nun war sie vor jeder Ueberraschung sicher und begann, vor dem rotflackernden Feuer stehend, ihr Reitkleid, das naß zum Auswinden war, abzulegen, dann traf sie eine Auswahl zwischen Ferdinands Anzügen und schlüpfte endlich in einen langen Samtrock, dessen seidene Schnur graziös ihre Taille bezeichnete und die Ueppigkeit ihrer Büste hervortreten ließ.
Regine litt es nicht lange an einem Orte; eine heftige Erschütterung durchbebte sie, es war ihr, als rolle das Blut siedend heiß durch ihre Adern, Das Feuer im Kamin loderte ihr ins Gesicht, sie entfernte sich von demselben und durchmaß neugierig das Gemach, welches sie mit seinen niedrigen, mit orientalischen Stoffen bezogenen Diwans, seinen tiefen Fauteuils mit zurückgebogenen Lehnen und der türkischen, mit kupfernen Halbmonden verzierten Lampe an der Decke sehr vornehm ausgestattet fand. Zwei große Sandelholzschränke mit Perlmutter und Elfenbein ausgelegt, nahmen die Fensterzwischenräume ein und ein Büchergestell von Ebenholz, mit hübschen Einbänden gefüllt, zog sich längs einer großen Wandfläche hin.
In der Mitte ein Tisch mit Stößen von Papier und Schriftstücken beladen und einer mit dem Namenszuge des Hausherrn geschmückten Schreibmappe von Juchtenleder. In einer Ecke ein Jagdgewehr, das wohl bis zum nächsten Ausflug hier lehnen mochte, in einer Bronzeschale nachlässig hingeworfene Patronen und in einer zweiten ein Bund Schlüssel, ein Federmesser und Cigarren.
Das ganze häusliche Leben Ferdinands bot sich hier Regines Blicken dar und zwar so, wie es wirklich war, mit all den kleinen Zufälligkeiten und Nachlässigkeiten. Ein eigner Reiz lag über dieser bei aller Einfachheit so vornehmen Umgebung. Man erkannte den Pariser, der, wenn auch zum Landleben verbannt, selbst noch in der Einsamkeit seine raffiniert feinen Gewohnheiten beibehielt, an der Weichheit der Teppiche, an der Dichte der Tapeten, die jedes von außen eindringende Geräusch dämpften, an einer gewissen, alles belebenden Grazie, die für einen Ausfluß seiner Individualität gelten konnte. Man dachte sich den Bewohner jung, schön, vornehm; ein unaussprechlich verführerischer, aber sehr wirksamer Zauber schien von ihm auszugehen, welcher die Frau, der er sich in dieser Weise wie ein Gott unsichtbar geoffenbart hatte, in tiefe Erregung versetzte.
Ein leichtes, bescheidenes Pochen an der Thür ließ sie erbeben. Sie öffnete. Errötend und verlegen bei dem Gedanken, sich in solcher Tracht zeigen zu müssen, warf sie sich in einen Fauteuil, der neben dem Kamin stand. Auch er hatte die Kleider gewechselt und kehrte jetzt tadellos elegant zurück. Er näherte sich Regine völlig unbefangen, als ob sich nichts Außergewöhnliches zugetragen hatte, erkundigte sich nach ihrem Befinden und gab sich den Anschein, als bemerke er die Seltsamkeit ihres Anzuges gar nicht.
»Es ist erst fünf Uhr,« sagte er, »die Nacht bricht herein, in drei Viertelstunden wird es ganz dunkel sein. Ich gab Befehl zum Anspannen des Jagdwagens, damit Sie ruhig nach Hause zurückkehren können und Ihr Abstecher nicht weiter bekannt wird . . . Dies paßt Ihnen doch wohl, nicht wahr?«
»Ganz vortrefflich . . . Ich bin Ihnen für die Sorgfalt, mit der Sie meine Rettung bewerkstelligt haben, sehr dankbar . . . Doch wahrhaftig, ich weiß nicht, was mit mir vorgeht . . . Ich fühle mich ungemein abgespannt.«
Sie bog den Kopf auf die Lehne zurück, so daß ihr frischer, runder Hals sichtbar wurde. Ihre Augen waren halb geschlossen, sie schien einschlummern zu wollen.
»Tiefe Ermüdung rührt von unsrer Flucht im strömenden Regen und bei dem eisigen Winde her. Sie waren schon nahe daran, den Mut zu verlieren . . . Jetzt aber müssen Sie ein Schlückchen Malaga nehmen . . . Doch nein. Ich will Ihnen etwas warmen Wein bereiten . . . Der pflegt mir herrlich zu munden, wenn ich von der Jagd durchnäßt heimkomme.«
Es fiel ihr gar nicht ein, »nein« zu sagen. Ferdinand öffnete einen Schrank, entnahm demselben eine silberne Schale, eine Zuckerdose und eine Karaffe von böhmischem Glase. Dann kniete er auf dem Teppich vor dem Feuer nieder und begann mit vieler Geschicklichkeit, die kleine Küche zu bestellen.
Sie sah ihm regungslos zu, die müden Glieder ausgestreckt, von einem Gefühl köstlichen Wohlbehagens durchdrungen, dabei dem Summen der Flüssigkeit lauschend, die, über das Ende eines flammenden Holzscheites gehalten, in der Schale schäumte. Als der Wein zu sieden anfing, nahm er ihn vom Feuer weg, schnitt eine Citrone mit einen kleinen Dolche, der ihm als Papiermesser diente, in dünne Scheiben, warf diese in das Getränk, füllte damit einen Becher von vergoldetem Silber und reichte ihn der Gräfin dar, die allen seinen Bewegungen mit stillem Lächeln folgte.
»Das muß recht warm genommen werden,« bemerkte er mit wichtigthuendem Ernst.
Sie tauchte ihre Lippen in den duftenden Wein, fing leicht zu hüsteln an und rief: »Mein Gott, wie stark ist das!«
Nach einem Augenblicke setzte sie den Becher wieder an den Mund und trank schließlich alles aus. Frohlockend und seelenvergnügt hatte Ferdinand sich auf einem Taburett an ihrer Seite niedergelassen und verschlang sie jetzt mit seinen Blicken.
»Sie sehen,« bemerkte er fröhlich, »daß ich nicht gar zu ungeschickt bin und mir im Notfall auch ohne Dienerschaft zu helfen weiß. Zudem ist es mir auch lieb, Sie zu bedienen und die Freude Ihres kurzen Verweilens in meinem Hause, das von nun ab in meinen Augen einen geheimen, kostbaren Reiz besitzen wird, ganz allein zu genießen. Dieser Sitz hier wird mich daran gemahnen, daß Sie auf demselben geruht haben und daß Ihr Haar diese seidenen Kissen berührt hat. Es werden dies alles lauter reizende Erinnerungen sein, die ich liebevoll bewahren will, wenn Sie mit Ihrem Fortgehen all mein Glück mit sich genommen haben werden.«
»Nun, Sie werden nicht so sehr zu beklagen sein,« flüsterte Regine, »da Sie mich ja morgen wiedersehen können.«
»Und doch wird es nicht mehr dasselbe sein . . . Sie werden morgen nicht sein, wie heute: in meinem Zimmer, in meinem Gewande . . .«
Frau von Croix-Mort senkte ihre Blicke und sah sich von Ferdinands Hausrock umhüllt, in seinem Gewande, wie er sagte. Erschrocken fuhr sie zusammen, sie glaubte sich wie von Flammen umglüht, und diese Empfindung war eine so lebhafte, daß ihre Nerven sich anspannten und es sie wie ein Krampf durchzuckte.
Ja, dieses Gewand brannte sie; sie meinte, sich nicht eher beruhigen zu können, als bis sie es abgeworfen haben würde. Ferdinands Anwesenheit vergessend, wollte sie das Kleidungsstück mit einer heftigen Bewegung öffnen; dabei fielen jedoch die weiten Aermel zurück und ihre schönen weißen Arme kamen zum Vorschein. Flugs hatte der Baron diese mit seinen Händen erfaßt und in die Knie sinkend, drückte er sie zärtlich an seine Lippen.
Regine versuchte sie ihm zu entziehen; doch er hielt sie fest und jetzt hatte er mit seinen Küssen den Ellbogen erreicht. An die täglichen Tändeleien gewöhnt, glaubte die Gräfin, daß ein Blick, ein vorwurfsvolles Wort genügen würde, um Ferdinand wieder zur Achtung und Ergebenheit zurückzuführen.
»Seien Sie doch vernünftig!« schalt sie, indem sie sich ernsthafter bemühte, ihre Hände frei zu machen.
Er erhob das Gesicht, dessen Ausdruck derart verändert war, daß Regine Furcht bekam. In einem Augenblick wurde ihr die Gefahr, in der sie schwebte, klar. Die Vorsicht, welche sie zu lange außer acht gelassen, mahnte sie jetzt mit einem plötzlichen Aufleuchten. Sie sah sich in dem Hause eines Mannes, der sie liebte, der ihr es wiederholt bekannt hatte und der in seinen Bestrebungen keineswegs von ihr entmutigt wurde. Sie fühlte sich dem Abgrund nahe, sie wollte innehalten, sammelte alle ihre Kräfte, riß sich los und stand jetzt frei und vollkommen Herrin ihrer selbst demjenigen gegenüber, der ihr noch soeben Furcht eingeflößt. Er hatte sich gleichfalls erhoben und trat jetzt mit flammendem Antlitz und ausgebreiteten Armen auf sie zu: »Regine!«
»Kommen Sie mir nicht nahe!« rief sie zurück und wendete sich ab, um nach der Thür zu gehen; doch ehe sie diese erreicht hatte, fühlte sie sich von Ferdinands Armen umschlungen. Ein Schwindel erfaßte sie, es schien ihr, als ob sich die Wände mit entsetzlicher Geschwindigkeit um sie herumdrehten; sie stieß einen tiefen Seufzer aus und verlor die Besinnung.
Als sie wieder zum Bewußtsein kam, sah sie Herrn von Ayères vor sich, der sie eine starke Riechessenz einatmen ließ. Ueberrascht blickte sie um sich. Sie vermochte sich nicht zurechtzufinden; das Gemach, die Möbel, alles schien ihr fremd. Die vertrauliche Haltung des jungen Mannes beunruhigte sie nicht, hatte sie sich doch in ihrer Unbedachtsamkeit schon längst in einem ungezwungenen Verkehr mit ihm gefallen. Ferdinand neigte sich jetzt zu ihr hinab und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich liebe dich!«
Wie ein erhellender Blitzstrahl fiel dieses Duzen in die Dunkelheit ihrer im Augenblicke getrübten Sinne. Sie erinnerte sich des Geschehenen und erhob sich voll Bestürzung. »Gehen Sie,« schrie sie zornig, »gehen Sie! . . . Sie sind ein Elender! . . .«
Und als er sich dennoch mit bittendem Blicke und gezwungenem Lächeln ihr nähern wollte, verbarg sie ihr Antlitz in den Händen und brach in Thränen aus. Er hatte schon häufig genug Frauen weinen sehen, heute verlor er die Fassung. Angesichts dieses Schmerzes, den er als wahr und tief empfunden erkannte, blieb er regungslos, ohne zu wissen, was er beginnen solle. Sein einziger Wunsch war jetzt, sich als Mann von Bildung zu benehmen und dieses Abenteuer regelrecht zu beenden.
Er staunte über diese Verzweiflung, diese Thränen, die sich in kein Lächeln auflösen wollten. Ein »Ungeheuer« hatte man ihn sonst genannt, einen »Elenden« nie. Einer so völlig neuen Sachlage gegenüber suchte er nach neuen Ideen, denn für diesen unerwarteten Fall mangelte es ihm an Erfahrung. Aber er war stark genug, um erfinden zu können. Er nahm eine gerührte Miene an und sagte mit trauriger, bewegter Stimme: »Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich doch . . . Wenn Sie wüßten, wie tief mich Ihr Kummer berührt! . . .«
Sie schüttelte den Kopf, ohne die Hände von ihrem Gesicht zu entfernen; der traurige Ton in Ferdinands Sprache war ihr zu Herzen gedrungen und sie fing an, noch heftiger zu schluchzen.
»Was verlangen Sie von mir?« fuhr er fort. »Ich stehe zu Ihren Diensten, Sie haben nur zu befehlen. Ich habe der Heftigkeit meiner Liebe zu Ihnen nachgegeben und habe Sie damit grausam beleidigt . . . Ich bin durch die Qual, die ich beim Anblick Ihrer Thränen empfinde, hart genug bestraft . . . Regine, ich beschwöre Sie, sagen Sie mir nur ein Wort, geben Sie mir ein Zeichen, das mir zu glauben gestattet, Sie hätten mir verziehen! . . .«
Sie blieb stumm und regungslos, als hätte sie ihn nicht verstanden. In großer Bestürzung schritt er auf und ab und blieb endlich am Fenster stehen. Der Regen fiel noch immer schnurgerade herab, das eintönige Grau, das den Horizont wie mit einer Decke umspannt hielt, vermischte sich mit dem Dunkel der hereinbrechenden Nacht. Im Hofe wartete der Wagen, den er anzuspannen befohlen. Ferdinand kehrte zu der Gräfin zurück, ließ sich vor ihr auf die Knie nieder und bat: »Um des Himmels willen, blicken Sie doch nicht gar so verzweifelt umher! Sie brechen mir das Herz! Was glauben Sie denn von mir befürchten zu müssen? Meine Achtung für Sie kommt meiner Liebe gleich . . . Ich lege beide zu Ihren Füßen . . . Durch meine Zärtlichkeit und Ergebenheit werde ich Sie vergessen lassen . . .«
Und so fuhr er fort, ihr alle jene Gemeinplätze zu spenden, die bei derlei Fieberanfällen gewöhnlich als Linderungsmittel angewendet werden. Er hatte endlich den Leitfaden wiedergefunden, der ihn bei solchen Scenen stets zum Ausgange zu führen pflegte. Sein Ziel, dem er jetzt nachstrebte, war, Regine zu bewegen, sofort nach Hause zurückzukehren, damit der Schein gewahrt bleibe. Er suchte ihr beizubringen, daß er um ihre Ehre mehr besorgt sei, als sie selbst, und er sie demnach aufmerksam machen müsse, daß sie sich vergesse und die Zeit verstreichen lasse, in der sie auf ihrem Schlosse zurückerwartet werde.
Sie erhob sich, ohne ein Wort zu sagen, und er sah, wie ihre Augen angeschwollen und ihr Antlitz tief erbleicht war. Aus dem Blick, welchen sie ihm jetzt zuwarf, blitzte ihm der ganze Zorn ihres verletzten Stolzes entgegen, und Ferdinand konnte über ihre Gefühle nicht im unklaren bleiben. Mit einer Handbewegung wies sie ihn hinaus, und als sie allein war, warf sie das unheilvolle Gewand ab und trat es mit Füßen, sowie sie demjenigen Fußtritte hätte versetzen mögen, der sie bewogen, es anzulegen.
Als sie ihr noch nicht völlig trockenes Reitkleid wieder angezogen hatte, durchschritt sie die Gemächer, welche sie von der Vorhalle trennten. Hier wartete Herr von Ayères mit dem Hute in der Hand. Er half ihr in den Wagen, nahm rasch an ihrer Seite Platz, ergriff die Zügel und setzte das Pferd in starken Trab. Regine hatte während ihres kurzen, aber verhängnisvollen Verweilens auf dem Schlosse La Vignerie bloß den Stallburschen, der das Thor geöffnet hatte, zu Gesicht bekommen. Ferdinand hatte alle seine Leute ferngehalten, damit sie keinem unberufenen Blick ausgesetzt sein sollte. Die Fahrt auf der einsamen Heerstraße dauerte eine halbe Stunde. Als sie Croix-Mort erreichten und bei der kleinen Parkthür anlangten, berührte Regine den Arm des Barons. Sie wünschte, daß er hier halte, denn sie mochte nicht mit ihm allein im Wagen von ihren Leuten gesehen werden. Ehe er sich's versah, war sie rasch ausgestiegen, und ohne ein Wort, ohne einen Blick entfernte sie sich von ihm, wie von einem Todfeinde.