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Der alte Hafenkapitän Kruse war von jeher für einen guten Erzähler gehalten worden, und jedermann hatte ihm gern gelauscht, wenn er beim dampfenden Grog, die Tonpfeife im Munde, die goldverbrämte Dienstmütze auf das eine Ohr geschoben, seine Schnurren in dem bärbeißigen Ton und mit den derben Scherzen des alten Seemanns ausplauderte. Aber so geläufig seine Zunge war, so schwer war seine Hand. Trotzdem er eine ganz gute Fundamentalbildung besaß, hatte er sich doch nie dazu »herabgelassen, zu federfuchsen«, wie er zu sagen pflegte. Um so erstaunter war man daher, als man nach seinem Tode in seinem Nachlaß mehrere kleine Erzählungen fand, die zwar aus einer mehr als dreißig Jahre zurückliegenden Zeit stammten und für die Gegenwart nicht mehr anwendbar waren, dafür aber die Periode, in der sie spielten, um so deutlicher kennzeichneten. In einem bei den Manuskripten gefundenen Zettel bestimmte Kruse, daß die Erzählungen erst fünf Jahre nach seinem Tode veröffentlicht werden dürften –, niemand zum Schaden, niemand zum Vorteil, aber manchem, um zu lernen aus einer rauheren Vergangenheit. So folgt denn hier eine seiner Erzählungen, für die wir bei dem gütigen Leser wegen des teilweise etwas seemännisch-barocken Stils ein freundlich entschuldigendes Wort einlegen möchten.
*
So leicht war die Arbeit nicht gewesen, aber endlich hatte er sie doch fertig gebracht, denn nun stand im Wochenblatt mit fetten Lettern zu lesen: »Auf gerichtlichen Antrag wird die spanische Schonerbrigg »Confidentia« am kommenden Ersten verauktioniert.« Mit wohlgefälligem Lächeln auf seinem breiten Gesicht betrachtete er die große Anzeige, an deren Spitze in fünf Zentimeter hohen Typen stand: »Schiffs-Auktion!« Er überdachte, während er sich seinen »Nasenwärmer« stopfte, wie das alles so gekommen war.
Und das war so passiert!
Er – Jürgen Hinrich Toms der Jüngere – gehörte nämlich zu jener Kategorie von Menschen, welche sich freuten, wenn draußen auf See ein mächtiges Ungewitter losbrach; nicht etwa, weil er sich über die Lebensgefahren, welche so und so vielen seiner Mitmenschen drohten, freute – Gott bewahre! Jürgen Toms war ein frommer Mann und ging jeden Sonntag mit seiner großen Ulmer Dogge zur Kirche, d. h. er ging hinein, und Nero blieb auf den Treppenstufen vor der Kirche liegen. Regelmäßig schliefen beide ein. Nero vor der Tür, Toms in seinem Gestühl – das tat ihrer Frömmigkeit aber keinen Abbruch, denn Jürgen Hinrich gehörte auch mehreren vorzüglichen Vereinen, Suppenanstalten und Asylen für Gefallene an. Weshalb er sich aber freute, wenn es auf der wilden See stürmte und wetterte, das lag in seinem Geschäft, und welcher Christ setzt nicht alle Menschenliebe beiseite, wenn es sich um einen guten Profit handelt? So dachte auch Jürgen Hinrich, der seine hin und wieder murrende Seele immer aufs neue mit seinem kirchlichen Lebenswandel und seinem frommen Mittagsschlaf im Gotteshaus besänftigte.
Damals aber, als unsere Geschichte spielte, war sein Herz noch nicht ganz so verderbt; er hatte sich zwar schon manchmal leise gewünscht, daß so ein alter Kasten von Russen, Finnländer oder Norweger, die doch so wie so nur in Gräten zusammenhängen und mit Kitt verklebt sind, die hervorragende Liebenswürdigkeit haben möchte, vor dem Eingang oder in unmittelbarer Nähe des Hafenortes zu stranden, welcher die Ehre genoß, ihn seit seiner Geburt zu seinen Mitbürgern zu zählen. Zwei Jahre war er nun an Stelle seines verstorbenen Vetters in das Geschäft des alten Dirk Toms eingetreten, aber während dieser ganzen Zeit war noch kein Schiff der Nationen mit Havarie eingelaufen, welche er als Vizekonsul, Konsularagent oder Vizekonsularagent vertrat. Und war einmal solch eine schöne Strandungsprise von einem Staate vorgekommen, der in Z. nicht vertreten war, so hatte ihn immer der Konkurrent, der ein paar Häuser weiter nach dem Hafen hin wohnte, um einige Nasenlängen geschlagen und die sichere Beute weggeschnappt. Und was das schlimmste dabei war, er mußte mit dem – Kerl noch immer gut Freund tun, denn sonst hätte er ihn noch auf andere Weise schikanieren können. Wie er den dickwanstigen Eibe Mangels haßte, wenn er ihn beim Skatspielen neckte:
»Na, Toms, beim Ramsch bist immer Jungfer, grad' so wie bei den Havarieschiffen.«
Wenn dann der alte Hafenmeister seinen Priem in die andere Ecke schob und so höhnisch zu ihm 'rüber griente, so kannte seine Wut keine Grenzen, und wütend war er schon mehrmals aufgesprungen, um hinauszustürmen.
Und regelmäßig hatte der halb taube Oheim Dirk, als wenn er auf diesen Augenblick nur so gewartet hätte, sein dampfendes Grogglas erstaunt niedergesetzt und mit dem ehrlichsten Gesicht von der Welt gefragt:
»Jürgen, hest en Schipp?« worauf jedesmal ein brüllendes Gelächter ausbrach.
»Jungfer-Makler« war nun sein ständiger Beiname.
Aber auch für Toms jun. sollte die Erlösungsstunde schlagen. Es war ein stürmischer Tag zu Rüste gegangen; trübe Regenwolken hatte der Wind unaufhaltsam über den Horizont gejagt, Hagel und Schnee, vermischt mit Regen, hatten gegen das einzige Fenster von Jürgen Hinrichs »Comptoir« geknattert. Trotzdem hatte sich der »Jungfer-Makler« nach der äußersten Hafenmole gewagt und seinem Clerk mehrmals eingeschärft, genau aufzupassen.
»Jo, Herr,« hatte der gesagt, »de Wind is good, de weiht uns de Scheepen grod' rin in de Haw'. Wenn hei von de ander Sid kumt, brukt wi gar nich uptopassen. Jo, 't is en rechten schönen Storm!«
Jürgen Toms war mit der Auskunft zufrieden.
»Dien Schoden schallt nich sien!« sagte er zu dem Clerk und wandte sich heimwärts, während ein Bootsmann dem ersteren zuraunte:
»Ick gönn' em woll so'n schönet Havareeschipp, damit he endlich denn verdammten Namen los ward.«
Die Dunkelheit war inzwischen hereingebrochen. Die Schlepper, die im Hafen lagen, hatten ihre Topplichter gesetzt und rauchten aus den Schloten; am Wachtgebäude war eine rote Laterne aufgezogen, das nächtliche Sturmwarnungszeichen. Die Straßen am Hafen waren menschenleer, und selbst Jürgen Hinrich empfand die Einsamkeit schaudernd. Schrecklich war es hier schon am festen Lande, wie furchtbar mußte es draußen auf den sturmgepeitschten Wogen sein. Und er wünschte, daß solch ein Schiff stranden sollte! Einen Augenblick kam es ihm so vor, als wenn es unrecht sei, was er wünschte, dann aber schlug er sich die Gedanken wieder aus dem Kopfe, hatte doch ihm Dirk selbst erzählt, daß in seiner Jugend der Pastor von der Kanzel herab um »Strandsegen« gefleht hatte. Warum sollte jetzt unrecht sein, was früher recht und gottesfürchtig war? Recht und Unrecht sind Begriffe, die sich nicht mit dem Menschen verändern, sondern ewig dauern, und wenn, so dachte er, in meinem Wunsche wirklich ein Unrecht ist, so gebe ich nächstens in der Kirche einen Goldfuchs, und die sich öffnende Hand segnet der Pfarrer, mag auch Unrecht an ihr haften.
In solchen Gedanken war er daheim angelangt, hatte den Ölrock und den triefenden Südwester an die Wand gehängt, die verschlissenen Vorhänge des Fensters herabgelassen und die Lampe entzündet. Er schlug seine Rechnungsbücher auf und blätterte darin; zu einer richtigen Arbeit kam er aber nicht. Seine Gedanken waren auf der See, und seine Phantasie malte sich mit wollüstigem Schauer die Schrecken eines Schiffbruchs aus: den Jammer der Passagiere, die splitternden Masten, das Ächzen und Krachen des Schiffsrumpfs, und mittendrin das unermüdliche Arbeiten der Pumpen, die Kommandoworte des Kapitäns, den Sturm übertönend. Daß die Bilder nicht weichen wollten, sonderbar – er wollte ja keinen Schiffbruch, sondern nur eine Strandung, ein leckes Schiff, aber kein Wrack, er wollte ja nur einen Teil der Ladung erhalten dafür, daß er das Ganze rettete, er, der »Jungfer-Makler« ...
Krachend fiel seine Faust auf das Pult; oh, er wollte ihnen den »Jungfer-Makler« schon beweisen, diesen spöttischen Hohlköpfen; hatte er erst ein Havarieschiff, diesmal wollte er nicht nur einen Teil der Ladung haben, ganz wollte er sie haben, das Schiff ganz und gar, mit allem, was dazu gehörte. Ja, sie sollten ihn kennen lernen und sich in Zukunft hüten, mit ihm anzubinden!
Da lief jemand am Fenster vorbei, die Tür wurde aufgerissen und herein stürmte Toms' Clerk:
»Doa sitt een,« rief er atemlos.
Wie erleichtert atmete Jürgen Hinrichs auf.
»Wo?«
»Up de Zuckerbült.«
Die Zuckerbült war ein Sand, welcher sich erst kürzlich gebildet hatte und auf den Karten vieler Seefahrer noch nicht verzeichnet war; seinen Namen hatte er davon erhalten, daß ein Schiff, welches nebst anderen Kolonialwaren auch Zucker geladen hatte, zuerst darauf gestrandet war.
Der Jungfer-Makler hatte seinen Ölrock umgeschlagen und den Südwester aufgestülpt.
Am Hafen dampften und stampften die Schlepper. Rasch hatte Jürgen Hinrich zwei, welche in der vordersten Reihe lagen, engagiert, und gleich darauf fuhren sie zum Hafen hinaus, alsbald verfolgt von zwei anderen Schleppern, welche ihnen den Vorrang abzuringen suchten. Aber der Jungfer-Makler ließ »volle Kraft« setzen, und gegen Sturm und Wellen arbeiteten die kleinen, aber stark gebauten Steamer an. Toms stand am Bugspriet des größeren der beiden und spähte mit seinem Fernrohr bald nach dem gestrandeten Schiff aus, welches Notsignale zeigte, bald blickte er zurück nach den beiden anderen Schleppern, welche den seinigen dicht auf den Fersen waren. Jene fuhren im Kielwasser der ersten beiden Dampfer und hatten deshalb nicht so schwer zu kämpfen, weshalb sich die Distanz zwischen dem kleineren Tomsschen Schlepper und dem großen seines Konkurrenten Mangels immer mehr verringerte.
»Verdammt,« murmelte Toms zwischen den zusammengekniffenen Lippen, »de Düwel schall di holen!«
Als wenn sein Wunsch in Erfüllung gegangen wäre, blieb plötzlich der große Mangelssche Schlepper zurück, er hatte das Ruder gebrochen und trieb, ein Spiel der Wellen, hin und her, bis sein kleinerer Kollege ihn ins Schlepptau nahm und in den Hafen zurückkehrte.
Ein Jubelruf entrang sich dem Makler, dessen scharfem Auge jener Vorgang sofort klar wurde. Der Feind war aus dem Felde geschlagen, er blieb der Sieger auf dem Meere.
Unaufhaltsam strebten die Schlepper dem gestrandeten Schiffe zu; die Schlote rauchten, als wenn in den Kesselfeuern die ganze Hölle entflammt wäre, pfeifend fuhr der Wind um den Signalmast und den Schornstein, wild schlugen die Wogen über Bord, bald die Dampfer in einem Wellental begrabend, bald sie auf eine weißschäumende Spitze hebend, die gespenstisch durch die Nacht heranbrauste. Unerschütterlich, das Auge unverwandt auf das immer näher rückende Ziel gerichtet, stand wie aus Erz gegossen Jürgen Toms am Bug des ersten Schleppers.
Am Bord des Havarieschiffes hatte man inzwischen die herankommende Hülfe bemerkt; der Kapitän hatte einen Teil seiner Mannschaft auf das Vorderdeck beordert, um schnell die Verbindung zwischen Schiff und Schlepper herstellen zu können. Er selbst stand vorn, als Toms' Schlepper herankeuchte und beidrehte. Die Verhandlungen begannen: in dem tosenden Meere, zwischen Leben und Tod schwebend, fingen die Menschen an, um den Preis zu feilschen, für den sie die Hülfe, die nur Menschenpflicht gewesen wäre, leisten wollten. Eine hohe Summe war »verakkordiert«, und nun ging es an die Arbeit.
Die Schonerbrigg saß brillant! Sie mußte am Kiel mindestens einen großen Leck haben, kalkulierte Toms, denn sie saß so ziemlich ihrer ganzen Länge nach auf dem Sand, der sich an ihrer Backbordseite noch ausdehnte, an Steuerbordseite aber schroff abfiel und genügend Tiefe für den Schlepper ließ. An einer Leine war die schwere dicke Trosse des Schleppers an Bord der Brigg gebracht und dort befestigt. Ein Pfiff – und der Dampfer zog an. Vergeblich! Die Brigg krachte in allen ihren Fugen, blieb aber unverändert an ihrem Platze. »Noch einmal!« donnerte der Jungfer-Makler von vorn; mit ganzer Kraft setzten die Maschinen an – ein Krach, ein lauter Schrei, der Schlepper schießt vorwärts, das Havarie-Schiff weicht nicht von der Stelle – die Trosse war gerissen und hatte beim Springen einem Mann von der Besatzung das Bein zerschmettert.
»Ins Logis mit ihm!« rief Toms und gab ein Signal, daß der zweite Schlepper heranrückte. »Kost' es, was es will, wir schleppen ihn ab!«
Die Reservetrosse, aus Stahl hergestellt, wurde an Bord der Brigg gehißt, der zweite Schlepper wurde auch vorgespannt, und nun mit vereinter Kraft gelang es, das havarierte Schiff frei zu bekommen. Einen Augenblick schwankte die schwere Brigg, dann senkte sie sich in die aufschäumenden Fluten und folgte den beiden Schleppern in der Richtung nach dem Hafen, von dessen Leuchtturm den Schiffbrüchigen das Blinklicht Rettung verhieß.
»Fahrt, was ihr halten könnt!« rief der Kapitän der Brigg auf englisch nach den Schleppern hinunter, »wir haben Wasser im Raum!«
Die herrschende Dunkelheit verbarg das dämonische Lächeln, das nach diesen Worten das Gesicht Toms' überflog, – oho, der Bursche konnte also englisch, das war wichtig, dann konnte er um so leichter mit ihm fertig werden, denn Vizekonsul und Konsularagenten an kleineren Orten verstehen in der Regel von der Sprache der Nation, welche sie vertreten, kein Sterbenswörtchen. Wasser im Raum! Hm! wenn er den »Kahn« nur noch so weit kriegte, bis er im Hafen an seinem Liegeplatz war, dann mochte passieren, was da wollte.
Jürgen Hinrichs Wunsch ging in Erfüllung – die »Confidentia« lag an der Hafenmole, der Makler schritt mit dem Kapitän dem ersten Gasthaus an der »Wasserkante« zu. Es war ein schlanker Bursche, dieser Kapitän Sorano, mit dunklem Schnurrbart, schwarzen Augen und gebräunter Hautfarbe; er war gleichzeitig Reeder und Führer seiner Brigg, die er erst vor zwei Jahren von seinem Vater übernommen hatte.
»Um so besser,« dachte Toms, als der Seemann ihm das erzählte. »Gib du dich mir nur ganz hin, auf dem Schiff fährst du bestimmt nicht wieder. – Armer Bursche!« fügte er bedauernd hinzu, und fast mitleidsvoll streifte sein Blick die schlanke, jetzt von Müdigkeit etwas gebeugte Gestalt seines Begleiters, »du hast Pech, warum mußt du auch g'rad dem Jungfer-Makler in die Hände fallen ...«
Sie betraten die Gaststube des Hotels; Toms ließ Speisen und Getränke anfahren und zeigte sich überhaupt von der liebenswürdigsten Seite. Der Wein mundete dem Spanier vortrefflich, und er äußerte, er hätte nicht gedacht, daß es hier im Norden so feurige Sorten gäbe.
»Für solch' seltene Gäste,« meinte der Makler gut gelaunt, »ist nichts zu gut; so einen kriegen wir so leicht nicht wieder.«
Man konnte das nun auf den Wein oder den Gast beziehen, wie man wollte.
Als Sorano sich zu Bett begeben hatte, eilte Toms in ein benachbartes Wirtshaus, nicht so vornehm wie jenes, das er eben verlassen hatte, sondern mit einer verräucherten Gaststube und fluchenden und Karten spielenden Gästen.
»Dam,« schrie eben der griesgraue Kapitän Cordt Olde und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Grog- und Schnapsgläser tanzten und klirrten, »ick heff genau soveel Glück im Kartenspeel, as Jungfer-Makler mit sin Scheepen«.
»Denn hest woll grot' Swien?« fragte Toms, der unbemerkt eingetreten war, und um seinen Zweck zu erreichen, diesmal nicht gekränkt.
Als wenn ihm Beelzebub erschienen wäre, so schrak Cordt Olde zusammen; er ließ die Karten unter den Tisch fallen und starrte den Makler an.
»Du wullt en Schipp hemm? Mak dat anner Lüt wies,« rief er dann.
»Wenn dat aber doch so is!«
»Denn kannst 'ne Rund betalen!« platzte einer der Skatgenossen Oldes heraus.
»Warr' ick ok dohn, wenn ji mi morgen nich so genau upp de Finger kiekt, ji weet ja!«
Jürgen Hinrich bestellte Wein, und wenn eine Flasche leer geworden war, ließ er immer mehr anfahren für diese durstigen Kehlen. Dabei erzählte er ihnen die Geschichte seines Havarieschiffes, übertrieb schauderhaft und taxierte, daß das Leck so groß sei, daß die Brigg – zum Kondemnieren schien sie noch zu gut zu sein – mindestens ihre ganze Ladung löschen müßte, um zu reparieren. Seine lieben Freunde würden sich morgen ja von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugen.
»Aber, Berndt, dien Glas is ja leddig,« rief er dazwischen, »Cordt, drink ut, is ja mehr da; Piccolo, noch en Buddel! Ja, as ick seggt hew' ...«
Und nun fuhr er wieder fort, seinen »lieben Freunden« seine Wünsche auseinander zu setzen, versäumte auch nicht, durchblicken zu lassen, daß, wenn die Besichtigung nach seinem Wunsche – der arme Kapitän Sorano täte ihm zwar leid – ausfiele, er dem Havarieschiffer zum Trost ein kleines Frühstück ausgeben würde, wozu er so frei sein würde, einige seiner Freunde einzuladen.
Olde und Berndt gingen zusammen nach Hause; ganz leicht wurde das den alten Seebären nicht.
»Wi seilt bannig oft öber Stack,« meinte Olde lallend, »nee, ober disse Jungfer – – Makler, versteiht sien Sook doch beeter as ick dacht harr ...«
»Loot man good sien«, beschwichtigte Berndt, »mit uns hebbt se dat früher ook nich beeter makt, as Toms mit sien »Cohnvieh« ...«
*
Am nächsten Morgen fand die Besichtigung der spanischen Schonerbrigg »Confidentia«, Kapt. Sorano, statt; der Spruch lautete: Schiff muß, um zu reparieren, seine ganze Ladung löschen; dann findet abermalige Besichtigung statt.
Der Spanier war sehr betrübt über diesen Ausfall; auch beim perlenden Champagner, den Toms zum Frühstück reichte, konnte er zuerst seine Fröhlichkeit noch nicht wiedergewinnen. Dann aber erwachte in ihm die leicht ins Gegenteil umschlagende Jugend, das feurige südliche Blut, und bald war er der Ausgelassensten Einer.
»Den schönen deutschen Frauen!« rief er einmal begeistert und hob den schlanken Kelch. Toms lächelte verständnisinnig und stieß laut mit ihm an, so daß Soranos Glas zerbrach. »Das bringt Glück!« lachte er übermütig. »Wie sollte ein so schöner Mann wie Sie bei den Frauen nicht Glück haben,« beeilte sich der Makler gewandt hinzuzufügen. – –
Jürgen Hinrich entwickelte an den folgenden Tagen eine fieberhafte Tätigkeit, wie er stets hervorhob, für seinen Klienten. Er hatte zur Aufbewahrung der aus Stückgütern bestehenden Ladung der »Confidentia« einen Speicher gemietet – natürlich im Zollinlande, obgleich im Freihafen mehrere dazu freistanden, damit auch ja immer ein Zollwächter beim Transport zugegen sein mußte und die Sache so recht verteuert wurde. Da lagerten nun die Sachen, die »Confidentia« wurde auf den Helgen gezogen, und die Reparatur konnte beginnen. Zur Deckung der Havarieunkosten sollten die durch Seewasser beschädigten Teile der Ladung meistbietend verkauft werden. Der Kapitän hatte sich auf Toms' Zureden damit einverstanden erklärt.
Aber ehe all' das vollendet werden konnte, vergingen Wochen, ja Monate; seine Mannschaft hatte Sorano abgemustert, und er war nun fast ausschließlich auf seines »Konsuls« Gesellschaft angewiesen, der sich keine Gelegenheit entgehen ließ, um sie seinen Zwecken dienstbar zu machen. Er führte den jungen, noch ziemlich unerfahrenen Seemann von einem Vergnügen zum andern; bald war ihm jede Gastwirtschaft im Ort bekannt, und überall fand er neue gute Freunde, welche sich von dem liebenswürdigen Kapitän nur allzugern traktieren ließen. Es war merkwürdig, kaum war Sorano in einer Wirtschaft erschienen – sie mochte vorher noch so leer gewesen sein, daß man das Summen der Fliegen hören konnte, – flugs füllte sich das Lokal und sein Tisch mit guten Freunden, allen voran Olde und Berndt, welche schon am Tage der Besichtigung Duzfreundschaft mit ihm geschlossen hatten. Er hatte damals nicht so recht gewußt, was das eigentlich bedeuten sollte, und dabei die Vorstellung gehabt, als wenn er bei den Indianern die Friedenspfeife mit ihnen geraucht hätte, – vorläufig hielt er sich aber für verpflichtet, seine Freunde zu traktieren. Vielleicht hätte er es nicht getan, wenn er gewußt hätte, daß Toms ihm überall nachschlich und ihm die Kneipkumpane überall nachsandte in der edlen Absicht, den Kapitän zu Ausgaben zu verleiten.
Eines Tages kam er auf das Kontor des Maklers; der hatte ihn kommen sehen und klappte deshalb schnell seine Rechnungsbücher zu. Als Sorano eintrat, las sein Konsul in einer Zeitung und rauchte seine Zigarre. »Ah, Señor,« machte Toms, »guten Morgen! Eine Zigarre gefällig?« Er reichte ihm eine Kiste. »Kolonialkraut!«
»Deutsche oder spanische Kolonien?« fragte der Kapitän heiter.
»Spanische! unsere Zigarren wachsen am Rhein!« Beide lachten. Sorano zündete seine Zigarre an. Nach einer Weile fragte er:
»Sind die von der See beschädigten Waren schon verkauft?«
Ein freudiges Aufleuchten in seinen Augen konnte Toms nur mit Mühe unterdrücken; er verstand die Frage, der Spanier hatte sein bares Geld verausgabt.
»Nein,« sagte er ruhig und blickte den Ringen nach, welche er kunstvoll mit dem Zigarrenrauch erzeugte, »noch nicht! Um dabei möglichst viel Gewinn herauszuschlagen – und die Havarie kostet bedeutende Summen, vielleicht mehr, als die Waren wert sind – dazu muß man, wie gesagt, lange vorher annonzieren ...«
» Well, so muß ich mir a conto der übrigen Güter Vorschuß geben lassen ...« »Wenn es weiter nichts ist, lieber Freund, wie viel wünschen Sie?« Der Spanier nannte eine ziemlich hohe Summe; Toms zahlte sie ihm aus und reichte ihm die Verschreibung zur Unterschrift hin. »Der Ordnung wegen!« sagte er. Sorano unterschrieb und entfernte sich; Toms war allein.
Gedankenvoll blickte er ihm nach. »Armer Kerl! Du dauerst mich!« Mit diesem Mitleid betrog er sein Herz immer wieder und arbeitete rastlos weiter am Ruin seines Jungfer-Schiffes. Wollte er einen tüchtigen Gewinn für sich aufs Trockene bringen, so mußte er äußerst umsichtig handeln. Hatte er daher Tage und Abende, ja manchmal auch Nächte mit dem Spanier zusammen verjubelt und durchzecht, so setzte er sich oft noch in später Nachtstunde hin und schrieb und rechnete. Mit den Aufgebern, den Empfängern der Ladung, mit den Assekuradeuren des Schiffes hatte er Verbindungen angeknüpft und von ihnen weitgehende Vollmachten erhalten. Alles wurde rechtlich abgemacht, alles ordentlich gebucht und eingetragen, kein Mensch konnte ihm den Vorwurf machen, daß er sich mehr angerechnet hatte, als ihm zukam; seinen Büchern nach zu urteilen war er der rechtlichste Mann von der Welt. Und er war es in der Tat auch, so suchte er sich einzureden, denn was konnte er dafür, daß dieser junge Sorano mit blinden Augen in sein Verderben rannte? Was verpraßte er sein Hab und Gut, der Müßiggänger?! Ja, ja, Müßiggang ist aller Laster Anfang, hatte der Pastor noch in der letzten Sonntagspredigt kurz vor dem Augenblick gesagt, als Toms anfing einzuschlafen.
Sonntag! Richtig, ja am nächsten Sonntag, da wollte er den Hauptcoup ausführen; er wollte doch nicht versäumen, dem Nachbar Fuhrmann nochmals einzuschärfen, ja gleich nach der Kirche seine beiden Braunen vor die Kalesche zu spannen. Jochen sollte fahren.
»Wo schall't denn hengoahn?« fragte der Nachbar.
»Na Vadder Schepp in't Holt,« antwortete Jürgen Hinrich und blinzelte verschmitzt nach dem Fuhrmann hinüber.
»Ole Sünder!« sagte der und drohte mit dem Finger.
Das »Holt« war ein kleiner Hain, welcher sich an einen Hügel anlehnte und diesen etwa bis zu dreiviertel Höhe mit Laub bedeckte; oben hatte der Nordwind, der vom Meere herbrauste, keine Bäume mehr wachsen lassen, so daß man den kleinen Hügel ganz richtig mit einer Glatze vergleichen konnte, welche unten noch einen Kranz Haare besaß.
In diesem Wäldchen wohnte Vater Schepp mit seiner einzigen Tochter Stine. Der Alte, welcher die Stelle eines Waldaufsehers versehen sollte, aber nicht versah, war vollständig taub, so daß es schließlich kein Wunder war, wenn sein blondes Töchterlein bald nach dem Tode seiner Frau die Mutter sich zum Beispiel nahm und ihren Vater als die große Nebensache im Hause zu betrachten begann. Sie pflegte ihn in den Wald, in ein benachbartes Dorf zu schicken, oder gar ihm anzuraten, er möge doch seinen Strohsack aufsuchen, wenn sie ihre Liebhaber empfing. Sie war nämlich ebenso hübsch wie wetterwendisch, die blonde Stine, und wechselte ihre Liebsten fast so häufig, wie der Mond am Himmel ab- und zunahm. Sie konnte nichts dafür, das gute Ding, daß sie so geartet war; das lag an ihrer Mutter. Von der hatte sie es geerbt, und die Erbsünde ist kein Fehler, denn nach der Bibel leiden alle Menschen ohne Ausnahme daran, und das, was alle als Fehler haben, ist eben deshalb, weil es alle haben, kein Fehler. Daraus folgte für Stine mit unumstößlicher Gewißheit, daß ihr Taubenschlagherz eigentlich das beste an ihr war. Und danach handelte sie.
Auch Jürgen Hinrich Toms hatte einst für die Zeit eines Mondwechsels im Zauberbann dieser »Hexe«, wie er sie zu titulieren pflegte, gelegen, er wußte daher aus eigener schmerzlicher Erfahrung, wie diese Kirke es verstand, zu bezaubern, wen sie wollte, und wie weh es tat, wenn sie jemanden ungnädig entließ. Kurz, Toms war hier ein guter Bekannter, und wurde, als er mit dem Spanier am Sonntag hier ausstieg, auch als solcher empfangen.
Stines Augen blieben gleich an Sorano hangen; wie gebannt folgte sie jeder seiner Bewegungen und lauschte entzückt den Aufmerksamkeiten, welche er in seinem gebrochenen Deutsch, das er in den wenigen Wochen seines Aufenthalts gelernt hatte, ihr darbrachte.
Man trat in die Stube rechts der Diele ein. Toms entkorkte einige der mitgebrachten Flaschen und schenkte ein. Bald war ein heiteres Gespräch im Gange, Scherzworte, keck und leicht geschürzt, flogen herüber und hinüber, und Stine erwartete schon ungeduldig die Zeit, zu der sie mit dem Spanier allein sein konnte. Schon wollte sie ihren Vater zu einem Gang in den Wald ermuntern, als Toms, den Finger auf den Mund legend, ihr Schweigen gebot.
Gleich darauf gab er dem neben ihm sitzenden Alten einen Rippenstoß. »Schepp,« brüllte er ihm ins Ohr, »hest Du noch Dannen to verköpen?« Der Vater nickte.
»Se will mi woll rut hemm, nich?«
»I wo,« schrie Toms, »ick will de Dannen beseh'n.«
»So, so,« seufzte Schepp und stand auf, »dat arme junge Blot!«
Als Toms an dem Abend mit dem Spanier heimfuhr, war er überzeugt, daß der größte Teil seines Werkes nunmehr getan sei, denn sein Fahrgenosse seufzte viel, sprach wenig und blickte den eben aufgegangenen Mond schwärmerisch an. Um diese Liebestat hätte er es Stine fast verzeihen können, daß sie ihn dereinst so schnöde hatte ablaufen lassen.
Die Dinge gingen denn auch genau so, wie der Jungfer-Makler es berechnet hatte; nach einigen Tagen kam Sorano, der in letzter Zeit wenig im Hafenort gesehen worden war, zu Toms und erkundigte sich abermals, ob die Havarieauktion schon stattgefunden hätte.
»Ja,« antwortete Jürgen Hinrich, »doch deckt das erzielte Geld kaum die Strandungskosten.«
»Das begreif' ich nicht.«
»Werdet's schon lernen,« meinte der Vizekonsul und schlug ein großes Buch auf. »Seht her! Schlepper, Trosse, Beinbruch, Warentransport, Zollaufsicht, Miete für den Liegeplatz im Hafen, Lagermiete und dann die Kleinigkeit, welche ich euer Wohlgeboren zu borgen die besondere Ehre hatte.«
Nur unaufmerksam hatte der Spanier den Aufzählungen gehorcht.
»Aber ich muß Geld haben, Señor Toms ...«
»Läßt sich schon drüber reden; seid ja ein betagter Mann.«
Und wieder rollten die Goldfüchse in Soranos Hand, die eben den kleinen weißen Zettel unterschrieben hatte, um bald darauf in Stinas kleiner Hand ein lustig Spielzeug zu bilden. Ja, Manrico Sorano war bis über die Ohren in die »Waldsibylle«, wie er Schepps holdes Töchterlein zu nennen pflegte, verliebt und verschwendete große Summen, um ihre Liebe zu erhalten. Er war sich wohl bewußt, daß es nur ein Rausch war.
Seine Geschäfte glaubte er ruhig seinem Makler überlassen zu können, der sie denn auch eifrig genug betrieb – freilich nicht zu Soranos Gunsten, sondern zu seinen.
Aber alles ging höchst rechtlich zu; um den Geldforderungen des Spaniers Genüge leisten zu können, hatte er sich von diesem eine Vollmacht ausstellen lassen, daß er Teile der Ladung verkaufen könnte. Um das recht vorteilhaft zu können, machte er mit Anzeigen in allen möglichen Blättern Reklame, zeigte Auktionen an und widerrief sie wegen irgend eines plötzlich eingetretenen Hindernisses. Auch die kleinen Schulden, welche der Kapitän hier und dort gemacht hatte, wußte er an sich zu bringen, so daß Sorano schließlich nur noch ein Spielwerk in seinen Händen war, während er noch ahnungslos Unsummen für seine blonde Geliebte verschwendete.
Zum Staunen des ganzen Ortes dauerte diese Liebesaffäre länger als einen Monat, so daß Olde eines Tages in der Gaststube der »Guten Hoffnung« sagte:
»Se holt dat dütmol mol lang ut!«
»Jo,« hatte da Toms gerufen, » se hollt dat wull ut, aber sien Schipp nich.«
»Is he all lenz?«
»Jo, de arme junge Mann,« hatte der Makler gesagt und sein Glas Grog ausgetrunken.
Er pfiff seinem Hund, bot die Tageszeit und ging.
»Nu hett he em,« sagte Berndt, »also, min lewe Cordt, Piek sticht.«
Die ganze Gesellschaft, wie sie da saß, wußte wohl, was für ein teuflisches Spiel Jürgen Hinrich mit dem Spanier getrieben hatte, aber eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus; sie wünschten sich vielmehr nur, daß ihnen auch demnächst eine solche herrliche Gelegenheit erblühen möge.
»Geld ist Trumpf!« sagte Olde, und damit hatte er Recht.
Nero war heute Morgen besonders ungnädig; während er vor der Kirchentür lag, hatte ihm die Sonne den Pelz auch zu warm gemacht, und er hatte deshalb schon mehrmals versucht, sich in den kühlen Windfang des Gotteshauses zu flüchten, aber ein derber Fußtritt des Kirchendieners hatte ihn immer gleich wieder belehrt, daß innerhalb dieser Mauern nur zweibeinige Neros ihren Vormittagsschlaf halten dürften.
Auch sein Herr war furchtbar ungnädig. Was der Kerl sich eigentlich gedacht hatte, dieser pomadisierte Reisende, der sich keck auf seinen Kirchensitz, an dem mit großen schwarzen Buchstaben »Jürgen Hinrich Toms« angeschrieben stand, plaziert hatte, so daß er selbst mit einem Platze neben seiner werten Base Mathilde Wilhelmine Reimers zufrieden sein mußte. Und diese fromme Dame hatte ihm jedesmal, wenn er einen bescheidenen Versuch machte, einzuschlummern, einen sanft-christlichen Puff gegeben, so daß er mehrmals in Versuchung kam, laut das nach Schluß der Predigt übliche »Amen« anzustimmen.
Wie gesagt, Toms war in fürchterlicher Laune, die durchaus nicht gebessert wurde, als ein kecker Bengel auf der Straße ihm nachrief:
»Kiek, Jungfer-Makler un sien Nero makt beide en scheebet Mul!«
Wütend warf er sich auf das Kanapee seines Kontors und war gerade im Begriff, den in der Kirche versäumten Schlummer nachzuholen, als es an die Tür pochte und nach Toms mürrischem »Herein!« Sorano eintrat.
Der kam ihm gerade recht! Heiliger Sankt Nikolaus, Patron aller Schiffer und Fischer, der sollte heute noch die Engel im Himmel pfeifen hören!
»Euer Wunsch,« brummte Toms, ohne sich aus seiner bequemen Lage aufzurichten.
Der Spanier war höchst erstaunt über den unanständigen Ton, den der »Konsul« gegen ihn anschlug, deshalb sagte er ebenso lakonisch:
»Geld, Señor!«
»Tut mir leid, müßt eine Tür weitergehen!«
»Señor Toms, Euer Benehmen ...«
Mit einem Ruck stand der Makler auf den Füßen und trat vor den Kapitän.
»Ist genau so eingerichtet, wie es mir beliebt einem jungen leichtsinnigen Menschen gegenüber, der all' sein Geld und Gut mit liederlichen Dirnen verpraßt ...«
Des Spaniers Fäuste ballten sich, und seiner selbst nicht bewußt, wollte er sich an dem Makler vergreifen, in demselben Augenblick sprang aber Nero unter dem Sofa hervor und wollte sich auf den Kapitän werfen. Ein geschickter Faustschlag, und das Tier flog heulend gegen den Ofen, hinter dem es sich alsbald verkroch.
Das Intermezzo hatte dem Kapitän seine Besinnung zurückgegeben.
»Was soll das heißen?« fragte er.
»Das bedeutet, mein lieber junger Mann,« sagte Toms gedehnt und jedes Wort betonend, »daß euch von eurem Schiff »Confidentia« kein Nagel und keine Planke, von seiner Ladung kein Stearinlicht mehr gehört. Das übrige könnt ihr am Gericht einsehen, wo die Akten für den gerichtsseitigen Verkauf deponiert sind.«
Ächzend sank Sorano auf einen Stuhl und schlug die Hände vors Gesicht.
Der Makler wandte sich um und trommelte an der Fensterscheibe einen Marsch, indem er dazu pfiff. Als er wieder nach der Tür hinblickte, war der Stuhl leer.
Der Spanier war nach der Schreckensbotschaft nach dem Holz hinaus geeilt; Stine saß unter den Bäumen vor dem Hause auf einer Bank. Sie hatte kokett die Füßchen mit den schwarzen Schuhen und weißen Strümpfen vorgestreckt und auf einen Holzschemel gelegt. Neben ihr saß ein junger Mann, seiner Tracht nach ein Matrose, ein hübscher blauäugiger Bursche mit blondem Haar und frischen Manieren.
»Noch einen Kuß, Stinchen,« sagte er, »dann will ich auch gehen.«
»Nein, keinen mehr,« wehrte sie ab, »mein schwarzer Señor könnte uns überraschen, und den muß ich noch eine Zeitlang am Gängelbande führen, ehe ich dir ganz angehören kann. Seine Goldquelle muß noch etwas fließen, – und dann bin ich dein.«
Sie lachte hell und sorglos auf. In den Büschen raschelte es, und es hörte sich an, als ob jemand sich leise entfernte. Stine hörte es nicht, denn ihr Schatz hatte ihr trotz ihres Verbotes rasch noch einen Kuß geraubt und war dann in den Wald geeilt.
Stine trat ins Haus, um dem Vater das Abendbrot herzurichten, dann ging sie einen Waldpfad entlang, den sie mit Sorano zum Rendezvous verabredet hatte. Da trat er ihr schon entgegen. »Geliebte!« Feurig umschlang sie der Spanier. Sie verfolgten den Waldrand weiter und eilten einem kleinen Dörfchen zu, das am Südabhang des »Kahlkopfes« lag. Dort war Erntefestball. Toller als sonst noch ließ der Spanier Geld springen, wilder denn je schwang er die Geliebte im Tanze, glühender als zuvor bohrten sich seine dunklen Augen in die ihren. Als sie heimkehrten, beschien der Mond ihren Pfad. Im Gegensatz zu vorhin war Manrico schweigsam, nur hielt er das Mädchen fest umschlungen. Sie traten in den Wald ein, und nur hin und wieder fielen die Mondstrahlen durch die leise rauschenden Bäume. Plötzlich strauchelte Stine, etwas Glänzendes blinkte in Soranos Hand, lautlos sank das Mädchen nieder. Er bettete sie an einen Eichenstamm und wandte ihr bleiches Antlitz dem Monde zu. Dann hing er den Dolch an die Korallenkette, die um ihren Hals hing, – sein Geschenk – und ging weiter in den Wald hinein.
*
Am nächsten Morgen erfuhr der Hafenort drei wichtige Neuigkeiten: Stina Schepp war ermordet im Holz aufgefunden worden, Kapitän Sorano war spurlos verschwunden, die spanische Schonerbrigg »Confidentia« sollte auf Antrag Jürgen Hinrich Toms' gerichtlich an den Meistbietenden verkauft werden.
Der Mörder Stinas wurde nie gefunden, der Mörder der »Confidentia« war ein gerechter Mann, dem niemand auch nur eine Spur von unrechtlicher Handlungsweise nachweisen konnte, und der vollkommen Recht hatte, als er seinen Bericht über diese Vorfälle an das spanische Generalkonsulat mit den Worten schloß: »Ob das Verschwinden Soranos mit der Ermordung der Stina Schepp zusammenhängt, ist hier nicht der Ort zu erörtern; wenn den jungen Mann sein Leichtsinn zum Verbrecher gemacht hat, so wird ihn sein Gewissen hier auf Erden und der Richter, vor dem nicht einmal der Gerechte bestehen kann, im Jenseits mehr strafen, als es irdischer Gerechtigkeit möglich gewesen wäre.«