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X. In Erwartung des Winters.

Die Bauarbeiten wurden beendet. – Unsere wissenschaftlichen Arbeiten. – Unser Wohnhaus und seine Einrichtung. – Unsere Ernährung. – Die Schlittenfahrt nach der Seymour-Insel.

 

Es war ein grosses Glück, dass wir uns nicht hatten verleiten lassen, länger draussen zu bleiben, denn auch die nächsten Tage brachten schlechtes Wetter, und irgendwelchen Nutzen hätten wir daher nicht schaffen können. Hier auf der Station setzten wir unsere Einrichtungen für den Winter fort, aber das wichtigste an äusseren Arbeiten war jetzt vollendet. Jonassen baute aus Brettern ein Haus für die Hunde, was in diesem Klima, wenigstens für die Falklandshunde notwendig war; dann ging er an die Einrichtung des astronomischen Observatoriums und an das Ordnen unserer Sachen, wobei ich ihm half. Um unsern Vorplatz zu verwerten, bauten wir eine Reihe Brottonnen auf, die wir durch Proviantkisten ergänzten, so dass wir eine Art äusseren Korridor gewannen, obwohl wir kein hinreichendes Material besassen, um etwas herzustellen, was nur einigermassen mit der vollständigen äusseren Mauer vergleichbar gewesen wäre, mit der Peary sein Wohnhaus umgeben hat. Auf diese Weise erhielten wir aber eine kleine, geschützte Ecke, die in Zukunft den Namen »Laube« erhielt. Der Platz wurde hauptsächlich von den Hunden beschlagnahmt, die dort vorzüglichen Schutz gegen die Stürme fanden.

Im übrigen wurde das hauptsächlichste von unsern Vorräten auf der nördlichen, der Leeseite des Hauses aufgestapelt. Aber um im Falle einer Feuersbrunst nicht alle Mittel zu unserer Unterhaltung einzubüssen, errichtete ich in einiger Entfernung zwei Depots, das eine aus unserm ganzen, gesondert verpackten Schlittenproviant bestehend, während das andere eine Menge zu diesem Zweck ausgewählte Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände enthielt. Auch der Vorrat an Petroleum ward in einiger Entfernung vom Hause aufgestapelt.

Unter diesen Beschäftigungen verging ein Tag nach dem andern, und immer näher rückte der erste Winter heran, den menschliche Wesen in diesen Gegenden verleben sollten. Immer kürzer wurden die Tage, immer niedriger stand die Sonne um die Mittagszeit am nördlichen Himmel, es wurde draussen immer kälter. Wohl war der Breitengrad, auf dem unsere Station lag, zu nördlich, als dass wir unter der eigentlichen Polarnacht zu leiden haben würden, denn selbst in der Mitte des Winters musste sich die Sonne noch fast vier Stunden über dem Horizont befinden. Hatten wir aber jemals geglaubt, dass wir aus diesem Grunde nicht dieselben Empfindungen durchleben würden, die eine Überwinterung in den nördlichen Polargegenden wachruft, so dämmerte uns doch schon lange die Ahnung, dass die Natur, mit der wir hier kämpfen sollten, uns in anderer Beziehung ausserordentlich grosse Schwierigkeiten verursachen sollte.

Wir begannen nun nach allen Richtungen mit den wissenschaftlichen Arbeiten, um derentwillen wir soviel Anordnungen getroffen, uns so viel Opfer auferlegt hatten, und die eigentlich die Veranlassung zu der Errichtung unserer Winterstation gewesen waren. Eigentlich sollte man in diesem Zusammenhang niemals von Opfern reden, denn wer es nicht selber versucht hat, kann sich kaum vorstellen, mit welchem Eifer und Interesse man seine Arbeiten ausführt, wenn man weiss, dass es zum erstenmal auf Gebieten geschieht, die so gross sind wie ein kleiner Weltteil. Alles ist neu, alles ist interessant, die Witterungsverhältnisse, der Gang der Instrumente, das Leben der Organismen in ihrer Entwicklung während der verschiedenen Jahreszeiten, und man braucht nicht auf lange Entdeckungsreisen auszuziehen, um dies alles kennen zu lernen, nein, auch hier auf der Station weiss man nicht, was der morgende Tag an neuem und überraschendem bringen wird.

Mit Eifer gingen wir auch alle an unsere Arbeiten. Am wichtigsten waren die magnetischen und meteorologischen Observationen, die nach dem internationalen Programm ausgeführt werden sollten. Dies war Bodmans Revier, und Sobral schloss sich ihm als Assistent an. Die magnetischen Arbeiten hatte indes Bodman für die nächste Zeit allein übernommen, und während des ganzen Monats März war er zum grössten Teil durch die Aufstellung der Variationsinstrumente in Anspruch genommen.

In magnetischer Beziehung bieten gerade die Polargegenden das grösste Interesse, aber die südlicheren Teile waren nur sehr wenig studiert. Von den hervorragendsten Autoritäten der Wissenschaft war wieder und wieder darauf hingewiesen worden, dass ohne genaue Forschungen hier unten ein gründlicher Fortschritt in Bezug auf die Theorie des Erdmagnetismus unmöglich, alle Versuche, auf längere Zeit die Lage der magnetischen Kräfte auf der Erdoberfläche zu berechnen vergeblich seien. Und die Kenntnis hiervon ist doch, insofern als sie die Missweisung des Kompasses betrifft, von ausserordentlicher praktischer Bedeutung. Die internationale Übereinkunft umfasste Beobachtungen über die Änderungen der Deklination, Inklination und der magnetischen Horizontalintensität. Mit einer Reihe von Variationsinstrumenten sollten diese Beobachtungen am 1. und 15. eines jeden Monats ausgeführt und 24 Stunden lang mit stündlichen Ablesungen genau auf den Glockenschlag nach Greenwicher Zeit fortgesetzt werden. Wenn wir uns hier unten mit Beobachtungen dieser Art beschäftigten, wussten wir also, dass im selben Augenblick nicht nur von unsern beiden Schwesterexpeditionen und auf den Kerguelen und der Staaten-Insel, sondern auch auf allen Observatorien der südlichen Halbkugel und auf einigen der nördlichen ähnliche Beobachtungen angestellt wurden.

Die deutschen und englischen Expeditionen führten ausser den gewöhnlichen Variationsinstrumenten eine Reihe selbstregistrierender Apparate mit sich, mittels deren sie bei massiger Arbeit eine ununterbrochene Folge von Beobachtungen anstellen konnten. Gern hätte auch ich eine ähnliche Ausrüstung angeschafft, aber unsere Mittel erlaubten uns das nicht. Es handelte sich übrigens nicht allein um den Ankauf der Instrumente, sondern auch um verschiedene andere, damit verbundene Anordnungen. Aber statt dessen hatten wir infolge spezieller Verabredung mit dem Observatorium auf der Staaten-Insel beschlossen, unsere Tätigkeit dahin zu erweitern, dass wir jeden dritten Monat, mit dem April beginnend, ausser an den zwei vorgeschriebenen Tagen noch jeden Dienstag und Freitag Observationen machen wollten.

Das magnetische Observatorium

Eigentlich brauchte jede Observation nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch zu nehmen, aber da wir anfangs nicht ganz sicher in Bezug auf unsere Greenwich-Zeit waren, mussten wir sie vorderhand auf acht Minuten ausdehnen.

Vielleicht wird man hier in der Heimat der Ansicht sein, dass es keine besonderen Schwierigkeiten haben kann, selbst wenn man gleichzeitig von andern Beschäftigungen in Anspruch genommen ist, jeden dritten Tag während 25 Stunden einmal stündlich am Tage, wie auch während der Nacht einige Minuten lang sich dem Ablesen der Instrumente zu widmen. Wer sich aber in das Leben hinein versetzen kann, das wir führten, wer vor allen Dingen das antarktische Klima kennt, in dem nicht selten eine Wanderung nach dem Magnethause hinab ein Kampf ums Leben war, der wird die Energie, die Bodman in dieser Beziehung an den Tag legte, verstehen und genügend zu schätzen wissen. Während des ganzen ersten Winters lehnte er alle unsere Anerbietungen, ihm hierbei zu helfen, ab, denn er wollte niemand erlauben, sich mit den Instrumenten zu beschäftigen, ehe er nicht alle Bestimmungen und Vergleichsarbeiten vollendet hatte. Nur ein paarmal im Mai und Juni half ich bei den sogenannten freiwilligen Observationen.

Von weit grösserem allgemeinem Interesse waren in dieser Zeit die meteorologischen Beobachtungen, an denen alle Gelehrten teilnahmen. Ein paar Thermometerhäuser waren auf dem Hügel vor dem Hause aufgestellt, in dem einen wurde ein selbstregistrierender Thermograph und Hydrograph für die Bestimmung der Temperatur und der Feuchtigkeit der Luft aufgestellt, in dem andern befanden sich einige Thermometer verschiedener Art. In unserm Wohnzimmer auf einem Wandbrett stand der selbstregistrierende Barograph, und auch ein Quecksilberbarometer hing hier. Eine 70 m oberhalb der Station gelegene Bergspitze war zum Platz für das Anemometer Da sich dieser Platz als ungeeignet erwies, wurde das Anemometer später auf einem kleinen Hügel unterhalb unseres Wohnhauses aufgestellt. ausersehen. Dieser Apparat verzeichnete mittels einer elektrischen Leitung die Windstärke auf einem Papierstreifen, der um ein Rad herumlief, das von einem an der Essstubenwand hängenden Uhrwerk getrieben wurde.

Ausserdem hatten wir einen selbstregistrierenden Sonnenscheinmesser, und jede Stunde wurden Observationen über Windrichtung und Wolkenbildung ausgeführt. Im Anfang, als wir zu viel anderes zu tun hatten, begnügten wir uns damit, diese Beobachtungen nur während des Tages auszuführen. Da hatten Bodman und Sobral abwechselnd jeder seinen Tag mit vier vollständigen Ablesungen aller Instrumente, nämlich um 7 und 8 Uhr des Morgens und um 2 und 9 Uhr nachmittags. Aber von Mitte April an begannen auch die Nachtobservationen, und alsdann musste einer von uns abwechselnd bis 2 Uhr auf sein, von 2-3 schliefen wir alle und von 4-6 führte ein anderer die Ablesungen aus. Dann begann das Tagewerk.

Sobald das Haus in Ordnung gekommen war, stellte Ekelöf seine bakteriologischen Apparate auf und begann seine Untersuchungen. Diese drehten sich hauptsächlich um die Bakterienflora der Erdschicht, ein Gebiet, das bisher selbst in den nördlichen Polargegenden niemand zu studieren versucht hatte. Gleich von Anfang an erzielte er interessante Resultate, die zeigten, dass die Erde in diesen Gegenden wohl als Ursprungsort der Bakterien betrachtet werden kann, und, die verschiedenen Arten Erde in den verschiedenen Jahreszeiten verfolgend, gewann er eine ganz neue Auffassung über die Lebensverhältnisse der Bakterien in den Polargegenden.

Derjenige, der auf die schwersten Hindernisse in Bezug auf seine Arbeiten stiess, war ich selber. Versteinerungen hatte ich freilich in zahlreicher Menge rings um mich herum und legte auch in dieser Zeit eine Sammlung an. Es war indes meine Absicht gewesen, eine sorgfältige Untersuchung der Gegend im Zusammenhang mit einer vollständigen Kartenaufnahme vorzunehmen, und ich hatte gehofft, über viele schöne Tage im Herbst und, auf diesem nördlichen Breitengrad, vielleicht auch während des Winters verfügen zu können. Dass dies keine Unmöglichkeit war, hat unsere zweite Winterkampagne bewiesen, aber so wie das Wetter jetzt war – ich werde es im nächsten Kapitel ausführlicher schildern – bot sich wirklich nicht viel Gelegenheit zu solchen Arbeiten. An Kälte kann man sich gewöhnen, so dass man trotzdem seine Messungen ausführen kann, Sturm ist aber ein unüberwindliches Hindernis dafür, und schon eine unbedeutende Windstärke im Verein mit Kälte macht fast jede wissenschaftliche Arbeit ausser dem Hause völlig unmöglich.

Den übrigen Teil des März trafen keine bemerkenswerten Ereignisse ein. Es war im allgemeinen kalt, und schon kurze Zeit nach unserer Rückkehr von der Bootfahrt fing der Sund an, allen Ernstes für den Winter zuzufrieren. Bereits am 19. März konnte ich eine Strecke auf das Eis hinaus gehen nach dem Gletscherrande zu. Freilich hatte ich kein anderes Ergebnis von diesem Ausflug zu verzeichnen, als dass das Eis brach und ich ein kaltes Bad nahm, so dass ich mich im Hause halten musste, um meine Kleider zu trocknen. Als dann der Sturm kam, brach das Eis wieder auf. Der Monat schloss mit einigen bösen Sturmtagen und einer Temperatur von -20°. Bisher hatten wir gutes Wetter gehabt, aber am Ostersonnabend wurde ich gegen Morgen durch das wohlbekannte, dumpfe Brausen des Südweststurmes geweckt. Das Haus erbebte, die Pfosten und die Pappe klapperten, und ich lag da mit jenem eigentümlich gemischten Gefühl, das man hat, wenn man auf der einen Seite froh ist, gegen alles Unwetter geschützt zu sein, während man sich auf der andern mit Besorgnis fragt, wie lange dieser Zustand der Sicherheit wohl noch währen wird. Ein Beweis für die Heftigkeit des Sturmes war, dass ich, als ich später aufstand, eine grosse, mit Fossilien vollgepackte Kiste, die neben der Treppe gestanden hatte, vom Abhang herabgeweht fand, so dass alle Proben zerstreut umher lagen. Das Barometer war unter 715 mm gefallen, tiefer, als wir es je hatten stehen sehen, und es währte länger als ein Jahr, bis wieder ein annähernd so niedriger Luftdruck eintrat. Sand und kleine Steine hagelten gegen den Giebel des Hauses, und die Luft war, wie gewöhnlich, dick von Schneestaub. Das Haus hielt sich indes gut, und wir fingen allmählich an, uns sicher darin zu fühlen.

Unser Leben in den vier Wänden war keineswegs düster. Am Tage lag ich in meiner Koje und las, unser Verhältnis untereinander war gut, und aus allen vier Ecken wurde quer durch das Haus hindurch geschwatzt. Der Osterabend wurde mit Reisbrei und einem eigens komponierten Eierkuchen mit Eingemachtem und Obstsauce gefeiert. Dann kam Kaffee mit Punsch und Grog, sowie kohlensaures Wasser und allerlei aufgetischte Süssigkeiten. Wir vergassen Sturm und Unwetter, während wir uns von vergangenen Osterabenden erzählten und von allem möglichen schwatzten, was uns in den Sinn kam.

Bodman arbeitet am Essstubentisch. An der Wand erblickt man den Barograph, den Abdunstungsmesser, Registrier-Apparate für die Windstärke, Papier für den Sonnenscheinmesser, ein Aneroid-Barometer usw.

So ging denn ein Tag nach dem andern hin von den vielen, die wir hier unten verbringen sollten. Die Einrichtung unseres Hauses war längst fertig; was noch fehlte, waren nur kleine Verbesserungen von der Art, wie sie sich allmählich aus den Verhältnissen ergaben. Wir hatten den Raum so eingeteilt, dass Sobral und ich das eine der beiden Nordzimmer, Bodman und Ekelöf das andere bewohnten, während Jonassen und Aakerlund der Raum neben der Küche angewiesen wurde. Wenn es auch nicht möglich war, jedem sein besonderes Zimmer zu geben, so war es unleugbar ein grosser Vorzug, dass während der Nacht in jedem Raum nicht mehr als zwei zu sein brauchten. Auf die Weise war es viel leichter, seinen eigenen Geschmack zu befriedigen und um sich her ein wenig von seiner eigenen Individualität zu erblicken. Gerade wenn man sich am einsamsten und isoliertesten fühlt, hat man einen Platz nötig, an dem man sich aus seiner Umgebung herausträumen und sich in das fast verlernte Gefühl hineinträumen kann, dass es ausser uns eine grosse, reiche Welt gibt, für die wir kämpfen, und dass wir einstmals sehen werden, wie unsere Bemühungen Frucht tragen.

Wir fingen an, alles um uns her so gemütlich wie möglich zu ordnen. Ich hatte für mich persönlich, wie auch für die Expedition eine Menge Kleinigkeiten mitgenommen, Bilder, einzelne Zierrate, Decken, kleine gestickte Tücher und Kissen, und vor die Fenster hatten wir einfache, rot gewürfelte Gardinen gehängt, die wir mit bunten Bändern und golddurchwirkten Schnüren befestigten. Farben sind etwas, wonach man sich hier, wo die Natur von der Art so wenig bietet, sehr sehnt. Aber alle diese Versuche führten leider nur zu dem jämmerlichsten Fiasko, und es währte nicht lange, bis wir uns entschlossen, das Interesse für diese Sachen vollständig aufzugeben. Da waren drei Feinde, die uns zu dieser traurigen Erkenntnis zwangen: der Bratendampf, die Feuchtigkeit und der Schimmel. Mochten wir mit Kohlen oder mit Speck heizen, die Folge war allemal dieselbe, es waren offenbar die Speisen selber, die den Ursprung zu dieser russigen, klebrigen Masse bildeten, die sich auf alle unsere Sachen setzte und selbst in die innersten Winkel drang. Alle Gegenstände nahmen allmählich eine graue Farbe an, die Wände und das Dach, die Photographien und Gardinen, die Bücher auf dem Bort, und die Kleider an unserm Leibe. Man merkte das für gewöhnlich wenig, denn es ging ganz allmählich vor sich und war so gleichmässig verteilt, dass es im ganzen Hause nichts gab, was zum Vergleich hätte dienen können, alles war gleich schmutzig. Ausgenommen etwas, was wir ein paarmal zu sehen bekamen, nämlich neue, unbenutzte Kartenspiele, wenn wir sie aus ihrem Aufbewahrungsort in der Tiefe des Koffers holten. Da erinnerte man sich wieder des Begriffes Reinheit, man sass da und schwelgte in der Betrachtung der farbigen Figuren, als seien es Meisterwerke von einem der grössten unter den Malern.

Die Winterstation mit dem Thermometerhaus und dem astronomischen Observatorium.

Weit unangenehmer aber waren die Feuchtigkeit und der Schimmel. An den Wänden verdichtete sich der Wasserdampf, und wenn man des Morgens erwachte, waren sie oft mit glitzernd weissen Schnee- und Eismassen bekleidet, die von jedem kleinen Nagelkopf in der Pappe ausstrahlten. Am Tage schmolzen diese, und das Wasser saugte sich in die Pappe ein, die allmählich in eine schlüpfrige Masse verwandelt wurde. Ebenso erging es allen Gegenständen, die an den Wänden hingen. An ihrer Rückseite setzte sich die Feuchtigkeit fest, und gleichviel ob es Kleider oder Bilder waren, sie fühlten sich ganz nass an, wenn man sie berührte. In einigen Räumen rissen wir ganz einfach die Pappe herunter, in der Hoffnung, dass die Feuchtigkeit dadurch weniger fühlbar werden möge, ich schlug den entgegengesetzten Weg ein und suchte sie mit allem zu bekleiden, was mir zur Verfügung stand. Linoleum half nicht im geringsten, Filz und Decken hingegen fand ich nützlich, auch verliehen sie dem Zimmer ein wärmeres, gemütlicheres Aussehen. Leider hatten wir von diesen Sachen nicht genug, um sie zu diesem Zweck verwenden zu können.

Waren die Verhältnisse schon an den freiliegenden Wänden so ungünstig, so war es leider in den Winkeln und auf dem Fussboden weit schlimmer. Dort sammelte sich alle die Feuchtigkeit, die von den Wänden herabtropfte und gefror; sie taute lange Zeit hindurch nicht wieder auf. So bildete sich eine dicke Eismasse, die sich immer weiter ausdehnte, und in die fast alle Gegenstände, sei es ein Paar Schuhe, eine Kiste mit Instrumenten, eine Tintenflasche, allmählich eingeschlossen wurden, um aus unserm Bereich zu verschwinden. Wenn man sie dann gebrauchen wollte, musste man sie mit einer Hacke loseisen. Am schlimmsten war es unter den Betten und unter den sogenannten Schreibtischen, wo schliesslich ganze Berge von Eis entstanden. Damit dies nicht überhand nahm, musste man es von Zeit zu Zeit zerschlagen und in grossen Eimern hinaustragen.

Die rundgedrechselten Eisblöcke am Strande

Trotz alledem muss man aber nicht glauben, dass es während des Tages hier drinnen bei uns kalt war. Der Herd brannte vom frühen Morgen bis zum späten Abend und bildete unsere hauptsächliche Wärmequelle. Im Wohnzimmer hatten wir einen kleinen eisernen Ofen, aber den fanden wir nicht praktisch, es war schwierig, ihn anzuheizen, hatte man ihn aber zum Brennen gebracht, so wurde er bald glühend heiss und wärmte zu sehr. Sobald er erloschen war, wurde es gleich wieder kalt. Deshalb benutzten wir, wenn wir die Temperatur in unsern Zimmern auf das bequemste erhöhen wollten, meistens den grossen Primusbrenner, den Ekelöf für seine Sterilisierungsarbeiten mitgenommen hatte. Auf diese Weise zeigte das Thermometer bei uns am Tage in der Regel 14-17°. Indessen gibt es verschiedene Ansichten darüber, was warm und was kalt ist. Ich für meinen Teil muss sagen, dass mich während der ganzen Zeit im Hause äusserst selten fror; selbst wenn die Temperatur während der Nacht bis auf 6 und 8° sank, wurde es mir nicht schwer, am Tisch zu sitzen und zu arbeiten. Eine Voraussetzung hierfür ist freilich, dass man warm gekleidet ist, und angenehm ist allerdings eine so niedrige Temperatur nicht, aber in dem eingeschlossenen Zimmer ist es auch nicht behaglich, wenn die Wärme durch Einheizen bis auf 20° oder mehr hinaufgetrieben wird, so dass man sich versucht fühlt, ein Kleidungsstück nach dem andern abzuwerfen, und sich nach einer kleinen Weile gezwungen sieht, sie wieder in Gnaden anzunehmen, um sich gegen die Kälte zu schützen.

Wenn die Wärme erdrückend wird

Aakerlund draussen bei der Laube

Im übrigen hatte es wenig zu sagen, welche Zahl von Graden das Thermometer aufwies, denn unten am Boden hatten wir, wie gesagt, immer etwas Eis, während es gleichzeitig unter der Decke zum Ersticken heiss sein konnte; wenn man aufrecht stand, betrug der Temperaturunterschied zwischen Kopf und Füssen im allgemeinen 10-12°. Deshalb galt es vor allen Dingen, sich warm an den Füssen zu halten, dies ist eine Erfahrung, die den Teilnehmern jeder Expedition gar nicht kräftig genug eingeschärft werden kann, falls sie unter denselben Verhältnissen zu leben gezwungen sind, wie wir. Ich benutzte als Pantoffeln ein Paar Schuhe aus Seehundsfell, an dem die Haare noch fest sassen, und mit dicken hölzernen Sohlen. Es waren in den Ecken und um die Fenster herum, gar nicht zu reden von den Wänden selber und dem Hausboden, unzählige Spalten und Öffnungen, durch welche die Wärme hinausdringen konnte. Verhältnismässig selten war jedoch das Thermometer selbst am Morgen bis auf den Gefrierpunkt gesunken, die grösste Kälte, die wir im Hause hatten, nachdem wir völlig in Ordnung gekommen waren, betrug –5°; diese Temperatur wurde während des heftigen Junisturmes beobachtet. Dass wir es des Nachts so ziemlich warm hatten, beruhte hauptsächlich auf dem Wachtdienst, der es erforderlich machte, auch zu dieser Zeit auf irgend eine Weise die Wärme aufrecht zu halten, was gewöhnlich durch Anheizen des Primusbrenners geschah.

Unsere Ernährung ist ein Kapitel, das nicht des Interesses ermangelt. Aakerlund besorgte die Küche ganz selbständig, und damit hatte er wirklich nicht wenig zu tun. Der ursprünglichen Einteilung folgend, nahmen wir das Frühstück um 8 Uhr, das Mittagessen um 1 Uhr und das Abendbrot um 8 Uhr ein, aber im Laufe des Winters verspäteten sich bald die beiden ersten Mahlzeiten beträchtlich. Die Speiseordnung während der ersten Hälfte dieses Winters lautete:

Sonntag.

Frühstück: Grütze;
Mittagessen: Konservenfleisch mit Kartoffeln und Gemüse, Fleischsuppe, Dessert;
Abendessen: Labskaus.

Montag.

Frühstück: Heringe und Kartoffeln;
Mittagessen: Schweinefleisch und braune Bohnen, Hafersuppe oder Schokolade;
Abendbrot: Pfannkuchen.

Dienstag.

Frühstück: Konservenfleisch und Kartoffeln;
Mittagessen: gedörrter Fisch mit Kartoffeln, Konservensuppe, Dessert;
Abendbrot: Grütze.

Mittwoch.

Frühstück: Heringe und Kartoffeln;
Mittagessen: Konservenfleisch mit Gemüse, Obstsuppe;
Abendbrot: Labskaus.

Donnerstag.

Frühstück: Grütze;
Mittagessen: Erbsensuppe und Speck, Pfannkuchen;
Abendbrot: Labskaus.

Freitag.

Frühstück: Heringe und Kartoffeln;
Mittagessen: Blutpudding oder Wurst, Konservensuppe;
Abendbrot: Maccaroni.

Sonnabend.

Frühstück: aufgebratener Blutpudding;
Mittagessen: Salzfleisch mit Kartoffeln und Gemüse, Obstsuppe;
Abendbrot: Fruchtcreme.

 

Ausserdem des Nachmittags wie auch zum Frühstück Kaffee und am Abend Tee oder Schokolade.

An Spirituosen gab es des Mittags für den, der es wünschte, einen Schnaps, jedoch nur während der eigentlichen Winterzeit, ausserdem gab es Sonntags zu Tisch Rotwein und des Donnerstags zu den Erbsen warmen Punsch. So oft sich eine Veranlassung bot, und Veranlassungen sind leicht zu finden, wenn man danach sucht, gab es während dieser Zeit Festmahlzeiten, oder auch es wurde am Abend ein extra Glas Punsch oder Grog getrunken. Man mag Anstoss daran nehmen, dass ich zu oft von unserm Punschtrinken erzähle, aber derjenige, der das tut, möge sich zuerst da hineinversetzen, was es bedeuten will, ein solches Leben zu führen, wie wir. Wer ruhig in der Heimat sitzt, umgeben von den nur zu grossen Abwechslungen des Kulturlebens, von Zeitungen und Büchern, neuen Menschen, Theatern, Reisen und tausenderlei andern Dingen, die so gewöhnlich sind, dass man sie gar nicht mehr beachtet, – der kann sich nicht vorstellen, welch einen Reiz diese kleinen Veranlassungen zu einem ungezwungenen Zusammenleben nach beendetem Tagewerk für uns besassen. Wenn man sonst auch schweigend umhergeht oder für sich sitzt, mit Lesen oder andern Arbeiten beschäftigt, so kommt jetzt doch eine Unterhaltung zu stande, Geschichten und Erinnerungen aus der Welt da draussen werden erzählt, Pläne und Fragen, unser Leben und unsere Arbeit betreffend, werden erwogen. Ich will damit nicht sagen, dass man den Alkohol und namentlich dessen stärkere Formen, auf einer Polarexpedition nicht sollte entbehren können. Von uns allen war Leutnant Sobral der einzige, der nichts dergleichen genoss, und er fühlte sich sehr wohl dabei; auf alle Fälle ist es besser, zu wenig als zu viel Spirituosen mitzunehmen. Dann aber ist es absolut nötig, etwas anderes statt dessen bieten zu können. Surrogate anzuwenden, die an Ort und Stelle aus Spiritus, der zu andern Zwecken bestimmt war, bereitet werden, kann unmöglich ein Vorteil sein.

Ein grosses Vergnügen bereitete uns ständig der Phonograph, um so mehr, als niemand von uns ein Instrument spielte. Die alten, bekannten Melodien ertönten wieder und wieder, nie aber ermüdete das Interesse daran, und knüpfte sich dann irgend eine Erinnerung an den Spender der Rolle, so waren diese um so teurer. Es war freilich ein Glück, dass wir hier keine Gelegenheit hatten, Vergleiche anzustellen, denn die Feuchtigkeit hatte auch in diesem Lall einen sehr schädlichen Einfluss, und längst bevor wir schliesslich diesen Platz verliessen, war der Phonograph für immer verstummt.

Ende April unternahmen wir unsere erste Schlittenfahrt. Einen ganzen Monat waren wir nun völlig auf unserer Insel abgeschlossen gewesen, an Bootfahrten war nicht zu denken, aber auf der andern Seite trug das Eis noch nicht. Auch brachen Wind und Strömung selbst in unserm Sund grosse Stellen auf, aber um den 20. hatten wir eine Reihe schöner, windstiller Tage mit ein wenig Nebel und Kälte, die das Eis band. Ich wollte nach der Seymour-Insel hinüber, teils um nachzusehen, ob unser Wahrzeichen in Ordnung war, teils um nach Versteinerungen zu suchen, jetzt, wo ich unsere Insel einigermassen kannte. Wir machten uns am 24. zum Aufbruch bereit, waren jedoch glücklicherweise noch nicht fortgekommen, als einer der gewöhnlichen Orkane losbrach, der heftigste in diesem ganzen Monat, der ohne Unterbrechung drei Tage und drei Nächte tobte. Erst am 27. konnten wir uns auf den Weg machen.

Auf der Schlittenfahrt

Wir hatten allerlei Vorbereitungen für diese Fahrt getroffen. Seit Jim gleich nach der Rückkehr von der Bootfahrt tot gebissen war, hatten wir die Falkländer ausprobiert, um zu sehen, welcher von ihnen der beste war. Nach den gesammelten Erfahrungen hatten wir Kastor, einen grossen, zahmen, schwarzgelben Hund gewählt. Jonassen sollte mitkommen, und ich hatte auch Ekelöf aufgefordert, der Interesse daran hatte, an einigen Schlittenfahrten teilzunehmen, namentlich zwecks biologischer Studien, falls wir irgendwelche Repräsentanten der Tierwelt antreffen sollten. Wir packten unsere Sachen, im ganzen ungefähr 120 kg, auf einen Schlitten und machten uns um 9 Uhr auf den Weg. Es war sehr zu merken, dass dies unsere erste Schlittenfahrt war, denn wir fühlten uns recht ermüdet, als wir am Abend unser Zelt in einem kleinen Tal an der Ostküste der Seymour-Insel aufschlugen, in einer Entfernung von der Station, die wir später, als wir mehr Übung in diesen Fahrten besassen, als ein wahres Kinderspiel betrachteten.

Ekelöf, der kein Tierleben antraf und infolge dessen nichts hatte, womit er sich beschäftigen konnte, beschloss, am nächsten Morgen auf Schneeschuhen nach der Station zurückzukehren. Jonassen schickte ich in nördlicher Richtung aus, um nach dem Wahrzeichen zu suchen, das wir im Januar errichtet hatten, von dort die Briefe wiederzuholen, die ich damals niedergelegt hatte, und statt dessen ein in eine Blechdose eingelötetes Schreiben mit Nachrichten von unserer Winterstation zurückzulassen. Ich selber machte mich auf die Wanderung, um die Gegend zu studieren und nach Versteinerungen zu suchen. Meine Landung von der »Antarctic« aus war in der Hinsicht wenig einträglich gewesen, jetzt hingegen war ich in eine reichere Gegend gekommen. Hierüber schrieb ich in mein Tagebuch: »Die Seymour-Insel ist unleugbar ein wunderbares Land, und es ist höchst beklagenswert, dass unsere Station nicht hierher verlegt wurde.« Die Insel ist niedriger und vielmehr von Tälern durchschnitten, als die Snow Hill-Insel, sie besteht aus losem Sandstein, der an vielen Stellen zahlreiche und ausserordentlich gut erhaltene Muscheln, Schnecken, Ammoniten usw. umschliesst. Überraschend war für mich das Vorkommen dieser letzteren, das ich auf Snow Hill beschränkt geglaubt hatte. Jetzt wurde es mir klar, dass auch wenigstens ein Teil der Seymour-Insel zu der mesozoischen Formationsreihe gehört.

Die Hunde waren vor uns nach dem Zelt zurückgelaufen, hatten sich hineingeschlichen und unsern ganzen Buttervorrat aufgefressen. Um 6 Uhr mussten wir wieder in unsern Schlafsack kriechen, der nicht wärmer dadurch wurde, dass wir jetzt nur zu zweien darin waren.

Am nächsten Tage ging ich in Jonassens Gesellschaft in der Richtung auf das Depot zu. Es war nicht meine Absicht, es zu besuchen, ich wollte nur die Lage auf meiner Karte bestimmen, als wir aber dem Platz ganz nahe gekommen waren, ging ich doch hin. Das Wahrzeichen stand da noch in derselben Form, in der wir es errichtet hatten, ohne irgend welchen Schaden durch die Stürme erlitten zu haben. Alles war tot und still, so unähnlich wie möglich dem Eindruck von unserm letzten Besuch, als wir zu einem Dutzend Personen an Land waren und uns von Tausenden von Pinguinen umgeben sahen. Die Hunde spürten einige tote Junge auf, die sie auffrassen. Das war alles, was noch an jene Zeit erinnerte.

Wir kehrten nach dem Lagerplatz zurück. Da ich nun den wichtigsten Zweck meiner Fahrt erfüllt hatte und das Wetter trotz Sonnenschein und Windstille wenigstens für wissenschaftliche Detailarbeiten fast zu kalt war, gab ich Befehl zum Aufbruch. Wir trugen unsere Sachen durch das Schraubeis, das sich am Strande aufgetürmt hatte, und machten uns auf den Weg. Nach einem gehörigen Marsch langten wir in der Dämmerung wieder auf der Station an.

Diesmal hatten wir wirklich Glück mit dem Wetter gehabt, denn schönere Tage konnte man sich in diesen Gegenden zur Winterzeit wirklich nicht wünschen. Der Sonnenuntergang am 27. war wundervoll, nicht zum mindesten auch sein Wiederschein im Osten, wo die lange Reihe von mächtigen Eisbergen in dem letzten Strahlenglanz schimmerte, weissen Schlössern einer Zauberstadt vergleichbar, während ein breites Band aus Wolken in tief gesättigten, abwechselnd violetten und dunkelroten Farben sich wie der dicke Rauch einer mächtigen Feuersbrunst darüber legte.

Als dann die Dunkelheit hereinbrach und die Sterne angezündet wurden, während ein mehr und mehr erblassender Schimmer noch im Südwesten sichtbar war, mit wechselnden Farben, zuerst in Purpur und Gold, dann in Silber, ging ich einsam eine Strecke auf das Eis hinaus, bis ich nichts mehr von dem Lager sehen konnte, sondern nur noch die dunkle Silhouette des steilen Ufers, die weitgedehnten Schneetäler und die hohen Eisblöcke um mich hatte. Kein Windhauch rührte sich, kein Laut war vernehmbar, kaum dass ein fernes Hundebellen die Stille unterbrach, – da fühlte ich so recht, eine wie unendlich kleine Rolle dieser zufällige Besuch von ein paar Menschen und ihrem Gefolge in dieser unermesslichen Eiswüste spielte!

Aber so tot das Land auch daliegt, so wenig Leben in den ungebrochenen Eismassen zu wohnen scheint, – ganz still ist es doch nicht immer hier draussen; hin und wieder hört man, wie es kracht und berstet, und das Eis unter den Füssen rührt sich. Das ist der mächtige Pulsschlag des Meeres, der sich fühlbar macht, des Meeres, das gefesselt, aber nicht tot ist, und das sich oft von seinen Ketten zu befreien weiss. Unten im Wasser, tief unter uns, herrscht Leben, davon können wir überzeugt sein. Käme man nur an die offenen Stellen und an das freie Meer, das die Eisberge umgibt, so würde man mehr als einen Beweis erhalten für das Vorhandensein einer Tierwelt, auch in dieser Eiswüste.

Wenn man von einem Herbst in diesen Gegenden reden kann, wo eigentlich das ganze Jahr hindurch Winter ist, so muss man wohl annehmen, dass der Herbst für uns mit dem eben geschilderten Ausflug sein Ende erreicht hatte. Unsere Schlittenausrüstung wurde wieder auf den Boden hinaufgetragen, und die Hunde durften ganze drei Monate ruhen, ehe abermals die Rede davon war, sie zur Arbeit hinauszuführen.


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