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III. Die ersten Tage in der Antarktis.

Die Süd-Shetlandsinseln. – Unsere erste Bekanntschaft mit den Pinguinen. – Der Orléans-Kanal. – In unbekanntem Fahrwasser. – Wir kehren wieder nach Osten zurück.

 

Am 10. Januar war die Luft wieder klarer, und wir waren alle auf Deck versammelt, eifrig nach dem ersten Schimmer der Süd-Shetlandsinseln ausspähend.

Endlich, um 1 Uhr 10 Minuten nachmittags erschallte von der Kommandobrücke der sehnlichst erwartete Ruf: »Land in Sicht!« Und wirklich, an dem scharf beleuchteten südlichen Horizont, der sich später als der Eisschimmer des schneebedeckten Landes erwies, hoben sich etwas Schwarzes, sowie einige dunkle Schatten ab. Es war der erste Anblick der König Georgs-Insel, unseres ersten Zieles in den antarktischen Regionen.

Ehe wir soweit gekommen waren, dass man Einzelheiten unterscheiden konnte, wurde unsere Aufmerksamkeit von etwas anderm in Anspruch genommen, das wir ebenfalls zum ersten Male sahen, – von dem antarktischen Eis. Da draussen auf dem grünen Wasser kam eine schimmernd weisse, viereckige, flache Eismasse geschwommen, ein Eisberg, der nicht zu den grössten gehörte, uns in unserer Unerfahrenheit jedoch gross und gewaltig erschien. Dieser Anblick, der uns unter andern Umständen höchlich interessiert hätte, vermochte unsere Aufmerksamkeit jetzt jedoch nicht lange zu fesseln. Alle unsere Gedanken, unser ganzes Interesse, waren auf die kolossale, glänzende Masse gerichtet, die sich vor uns aus dem Meere aufzurollen begann und bald den ganzen Horizont einnahm. Es war der wunderbarste Anblick, den ich jemals gehabt habe. Ich habe Grönland acht Breitengrade nördlich von dem Polarkreise besucht, aber der Unterschied zwischen dem, was man dort sieht, und dem Panorama, das sich hier entfaltet, ist grösser als zwischen dieser selben grönländischen Landschaft und einem Landstrich des mittleren Schwedens. In Grönland hat man doch weite Küstenstriche, die im Sommer eisfrei sind und dann in der Nähe gesehen eine grünende, ja oft eine üppige Vegetation aufweisen. Dort kann man am Sommertage im weichen Gras unter vielfarbigen Blumen liegen, umgeben von grasenden Herden, und ist man nur gegen den Angriff der Milliarden von Mückenschwärmen geschützt, so hindern einen die schneebedeckten Gipfel im Hintergrunde nicht daran, sich ungestört in südliche Himmelsstriche zu versetzen.

Wie ganz anders ist die Landschaft, die hier unsern Blicken begegnet! Die ganze grosse Insel besteht aus einer wilden Gebirgslandschaft mit scharfen Zinnen. Überall in den arktischen Regionen trifft man die stärksten Kontraste, die wechselndsten Szenerien, hier aber ist alles in Schnee und Eis begraben; Eis, das aus den Schluchten und den tiefer gelegenen Tälern bis zu den höchsten Spitzen hinaufreicht, ohne auch nur einen einzigen schneefreien Fleck zu lassen, und das eine unendliche, zusammenhängende Decke bildet, so dass das Land wie eine einzige schimmernde Eiswölbung erscheint. Nur an einigen ganz vereinzelten Stellen scheinen an den schroffsten Abhängen dunkle Felspartien hervorzulugen. Den eigentümlichsten Gegensatz zu dieser zusammenhängenden Eismasse bilden einige kleine, vor der eigentlichen Insel befindliche, dunkle, völlig schneefreie Felseninseln mit zerklüfteten, zackigen, bizarren Formen. Nach dem Meere zu wird das Land von einer hohen, senkrechten und schimmernden Eiswand begrenzt, die wir jedoch erst bemerken, als wir unserm Ziele näher gekommen sind. Zwischen den Inseln liegen einige Eisberge, die indes in dieser gigantischen Umgebung ziemlich unbedeutend erscheinen.

Es ist unmöglich zu schildern, welch einen gewaltigen Eindruck dies langersehnte Land in mir wachrief, das sich jetzt plötzlich vor meinen Blicken entrollte. Der Übergang geschah so plötzlich, dass mein erster unwillkürlicher Gedanke war, hier müsse eine Öde, eine Wildnis herrschen, wie sie wohl kaum eine andere Gegend der Erde aufzuweisen hätte; mich überkam dasselbe Gefühl der Hilflosigkeit, das man empfindet, wenn man einsam und verlassen zwischen mächtigen Naturkräften dasteht. Obwohl ich selber nie etwas Ähnliches gesehen habe, dürften wohl in dem inneren Teil der nördlichen Polargegenden, z. B. an der Nordseite des Franz Joseph-Landes, Striche vorkommen, die an diese erinnern; wenn man aber bedenkt, dass wir jetzt vor dem allernördlichsten Ausläufer des antarktischen Landgebietes stehen, dass wir dem Äquator näher sind als z. B. eine Stadt von der Grösse von Trondhjem oder Sundsvall, und dass wir uns ferner schon auf dem Höhepunkt des südlichen Hochsommers befinden, so wird man leicht den im Tagebuch aufgezeichneten Eindruck verstehen, dass »ich nicht erwartet hatte, so viel Eis und Schnee zu finden.«

Ich habe vorhin die Gegenden, die wir jetzt besuchten, mit Grönland verglichen, aber ein anderer Vergleich liegt noch näher. Auf der andern Seite des Drakesundes haben wir nämlich vor erst vier Tagen mit unserm keineswegs schnellfahrenden Schiff das Feuerland mit seinen undurchdringlichen, immer grünen Wäldern verlassen, in denen man Baumformen von fast tropischem Charakter findet, eine Wohnstätte grüner Papageien und kleiner schimmernder Kolibris und mit einem Klima, das den Ureinwohnern gestattet, fast ohne Bekleidung zu leben. Es gibt wohl auf der ganzen Welt kaum einen krasseren Übergang zwischen zwei benachbarten Ufern, als zwischen jenem Lande und der Einöde, die vor uns liegt; einer Eiswüste, in der jedes Tier- oder Pflanzenleben ausgeschlossen scheint.

Sobald das Land deutlicher in Sicht kam, bogen wir nach Westen zu ab und dampften langsam nach der König Georgs-Insel. Als wir der Küste näher kamen, merkten wir, dass an dem Fusse der hohen Eismauer zuweilen ein schmaler Strandstreif hervorlugte. Hier und dort sahen wir einige Seehunde und eine vereinzelte Pinguinkolonie, im übrigen war die Aussicht überall dieselbe, und nur die dunkeln Felseninseln mit ihren unregelmässigen Formen verliehen dem Bilde einige Abwechslung. Unwiderstehlich schweiften die Gedanken zu jener Zeit zurück, wo auch die nordischen Länder, ja selbst Skandinavien, in eine ähnliche Eisdecke gehüllt waren. Wenige Fragen sind wohl interessanter als die, die uns einen Einblick in diese eigentümliche Phase der Entwicklungsgeschichte der Erde geben. Hier unten im äussersten Süden kann man nun eine Landschaft sehen, die eine deutlichere Vorstellung davon gibt, als sonst irgend eine der arktischen Gegenden sie uns bietet. Genau so, wie heute die König Georgs-Insel, war z. B. einstmals Norwegen mit Eis bedeckt, dessen Masse im Vorwärtsschreiten das ganze niedrigere Land abschliff und abrundete, während die höchsten Spitzen, wenn auch schneebedeckt, ihre Konturen bewahrten. Aber ganz weit draussen am Meeresrande lagen eine Menge Inseln und Schären, die schon damals in schroffen, scharfen Formen aufragten, gleich hohen Türmen, mit Zinnen und Vorsprüngen. Alle diese Klippen, die von den Touristen bewundert werden, und denen der Gelehrte wegen ihrer Verschiedenheit von den inneren Inseln besondere Aufmerksamkeit widmet, finden ihr Gegenstück in diesen schneefreien Felseninseln vor der antarktischen Küste und bezeichnen wenigstens auf lange Zeit die Grenze für die Ausbreitung des Eises.

Landschaft auf der Nelsoninsel

Bis tief in die Nacht hinein waren wir auf Deck versammelt; es war unsere erste antarktische Nacht, hell und still. Es wurde mir schwer, mich von diesem Bilde loszureissen, aber ich hatte beschlossen, in der Frühe des nächsten Morgens an Land zu gehen, und musste versuchen, vorher eine Weile zu schlafen. Ich konnte ein Gefühl der Unruhe und Enttäuschung nicht völlig unterdrücken; wenn die Natur in dieser nördlichen Gegend, dort, wo sie am wenigsten ungastlich sein sollte, so war wie hier, wie würde es da in den südlicheren Gegenden aussehen, in die ich einzudringen beabsichtigte? Und doch erfüllte mich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und Freude darüber, endlich unser Ziel erreicht zu haben, endlich unsere Arbeit in Angriff nehmen zu können; als ich mich, völlig angekleidet, auf ein paar Stunden in meiner Koje zur Ruhe begab.

Die erste Landung auf antarktischem Boden

Schon um 2 Uhr am nächsten Morgen stand ich wieder auf der Kommandobrücke, gerade als wir zwischen der Nelsoninsel und der Robertinsel in den Sund einbogen. Die erstere dieser beiden Inseln springt hier mit einem breiten, schneefreien Ufer vor, auf dem wir mit dem Fernrohr Seehunde und Pinguine erkennen konnten. Dort beschloss ich, an Land zu gehen. Vor einer kleinen Bucht, die auf der Karte mit dem Namen Harmony Cove bezeichnet ist, gingen wir vor Anker und setzten drei Boote aus. Während nämlich die Gelehrten mit ihren Untersuchungen beschäftigt waren, sollte die Mannschaft die Gelegenheit benutzen, einige Seehunde zu fangen. Zusammen mit Duse, Andersson, Bodman, Ekelöf und Skottsberg ruderte ich in dem Nordlandsboot in die kleine Bucht hinein, die einen geschützten Hafen für kleinere Fahrzeuge bilden musste. Wir landeten an einem offenen, kiesbedeckten Strand am Fusse einer hohen Felsenpartie und betraten so zum ersten Male den antarktischen Boden.

Ein Weddellseehund (Leptonychotes Weddelli)

War uns dieser gestern in Gestalt einer wüsten Eisinsel entgegengetreten, so sollten wir nun erfahren, dass hier auch ein wimmelndes Leben herrschen kann. Der ganze Strand war mit grossen Seehunden bedeckt, die wir wegen ihres eigentümlichen Aussehens gern näher betrachten wollten. Sie waren graugrün mit helleren Flecken und gehörten sämtlich zu den Weddell-Seehunden (Leptonychotes Weddelli), der gewöhnlichsten Art dieser Gattung. Aber bald fesselte eine andere Tierart unsere Aufmerksamkeit in so hohem Masse, dass wir zunächst auf nichts anderes achten konnten, – nämlich die Pinguine, eigentümliche Geschöpfe, Vögel, die nicht fliegen können, die aber so gut wie Fische im Wasser schwimmen. Ich hatte früher schon häufiger Pinguine auf dem Feuerland und auf den Falklandsinseln gesehen, sie kommen auch an der Südküste von Südamerika und an der Westküste Afrikas vor, sogar ganz nördlich, in der Gegend des Wendekreises. Dort trifft man jedoch überall nur die Zwergarten, hier unten in ihrer eigentlichen Heimat zwischen den Eismassen des Südpols lernt man sie in ihrer vollen Entwicklung kennen, diese eigentümlichsten Repräsentanten der antarktischen Tierwelt. Schon draussen im Wasser begegnet man den sonderbaren Geschöpfen, von denen niemand, der sie nicht kennt, sagen könnte, zu welcher Tiergattung sie gehören. In langen, regelmässigen Reihen kommen sie zu Hunderten und aber Hunderten geschwommen, einer nach dem andern wälzen sie ihre glänzend schwarzen, walzenförmigen Leiber aus dem Wasser heraus, um wieder hinab zu tauchen und wie Fische ihren Weg unter der Oberfläche fortzusetzen. Bei dem Anblick dieser Scharen muss man zunächst an fliegende Fische denken, deren Scharen wir in den tropischen Gewässern so oft beobachtet haben; dass es Vögel sind, die hier dahineilen, sollte man nicht denken, sähe man nicht hin und wieder eins dieser Geschöpfe auf dem Wasser schwimmen, wobei wenig mehr als der runde, schwarze Kopf über der Oberfläche emporragt. Man kann von den Pinguinen sagen, dass sie in gewissem Sinne ein Bindeglied zwischen Vogel und Fisch bilden, hier dieselbe Stellung einnehmend, die den Seehunden unter den Säugetieren zuerteilt ist.

Am interessantesten aber sind Pinguine auf dem Lande, dort wo wir ihnen jetzt begegnen. Sie leben in grossen Kolonien von vielen tausend Individuen, so dicht nebeneinander, dass man kaum einen leeren Fleck erspähen und sich kaum einen Weg zwischen ihnen hindurch bahnen kann. Sie verhalten sich ganz gleichgültig hiergegen, so lange man sie nicht stört, kommt man aber ihrem Nest zu nahe, so entsteht ein Getümmel und Geschnatter, das nicht enden will. Nach Guano stinkend, das gleich einem dicken Teig das Feld bedeckt, liegt eine solche Vogelkolonie da, und nur zögernd wagt man sich in diese lebende Masse hinein, wo einem von allen Seiten die deutlichste Unzufriedenheit entgegengebracht wird. In jedem Nest sieht man ein, zwei, zuweilen auch drei struppige, schmutzige, beflaumte Junge, die kleinen, grauen, unförmlichen Lehmklössen gleichen, und diese werden von ihren Vätern und Müttern mit Eifer gegen die neuen Eindringlinge verteidigt, die sie wahrscheinlich für bisher unbekannte, riesenhafte Anverwandte halten.

Denn, so wunderbar es auch demjenigen erscheinen mag, der diese Tiere bisher nicht kennen gelernt hat, die Ähnlichkeit zwischen den Pinguinen und dem Menschen ist so auffallend, dass sie niemand, der ihre Bekanntschaft draussen in der freien Natur macht, auch nur einen Augenblick entgehen kann. Merkwürdig ist auf alle Fälle ihr Aussehen. Man stelle sich ein kleines, völlig aufrecht stehendes Wesen vor, ein wenig über einen Fuss hoch, auf zwei Beinen, mit einem fast ganz gleichmässig dicken Körper, grossem runden Kopf und zwei schmalen, verkümmerten Flügeln, die, wenn sich der Vogel an Land bewegt, sehr wohl für zwei Arme gehalten werden können, deren Hände in dem weiten Rock verschwinden; der Rücken ist glänzend schwarz und verläuft in einen langen Schwanz, der lebhaft an die Form erinnert, in der ein gewöhnlicher Leibrock endet. Die Brust ist blendend weiss mit einem schwarzen Band über dem Halse, und der Bauch steht ein wenig vor. Die ganze Erscheinung bildet die komischste Karikatur eines älteren, eleganten, korpulenten Herrn, der in schwarzem Frack, weisser Weste und schwarzer Binde, mit etwas wiegendem Gange und einem etwas eingebildeten, aber zugleich sehr würdigen Ausdruck am Strande umhertrippelt.

Die Art, die ich hier beschrieben habe, die gewöhnlichste hier am Platz, trägt den Namen Pygoscelis antarctica, aber daneben kommt noch eine andere, grössere Form mit breitem roten Schnabel, Pygoscelis papua, vor. Es war dies fast das einzige Mal, dass ich diese beiden Arten zusammen sah, die an der Ostküste des Grahamlandes nicht vorkommen, und ich fürchte daher, dass meine Bekanntschaft mit ihnen zu flüchtig war, um ihre Lebensweise schildern zu können. Daneben tritt als Seltenheit noch eine andere, viel schönere Form mit grossem gelben Federbüschel auf dem Kopfe auf, eine Art aus der Familie der Catarrhactes.

Um die Boote herum hatten sich Tausende von Kaptauben gesammelt.

Es wurde uns schwer, uns von dieser interessanten Gesellschaft zu trennen, aber es gab ja noch so viel anderes zu sehen. So lernten wir z. B. hier ebenfalls zum ersten Male die interessante antarktische Vogelwelt kennen, die sich in der Nähe der Pinguinkolonie abgesondert ansiedelt und zum grössten Teil von deren Abfall lebt. Da haben wir den kleinen frechen Chinois, dem Aussehen nach eine schneeweisse Taube, an welche Vogelgruppe er auch in seinem anatomischen Bau erinnert, der aber von Fleisch und Eiern lebt und den man oft auf den toten Pinguinleibern sitzen und daran hacken sehen kann. Ferner bemerkt man Kaptauben, obwohl diese hier nicht nisten. Besondere Aufmerksamkeit erregt die grosse, braune Megalestris, ein möwenähnlicher Vogel mit scharfem Schnabel und raubvogelartigen Klauen. Um die erlegten und abgezogenen Seehunde sammelten sich grosse Scharen dieser Vögel, und erst wenn wir ihnen so nahe waren, dass man mit einem Stock auf sie einschlagen konnte, zogen sie sich widerwillig zurück, jedoch nur, um unsere Köpfe zu umflattern, ohne die geringste Furcht zu bekunden. Es kam ein Tag, an dem diese Vögel fast unsere Haustiere werden sollten, unsere hauptsächlichste Jagdbeute, vorläufig aber konnte ich mir kaum die Möglichkeit vorstellen, das Fleisch dieser unangenehmen Tiere zu essen.

Nach einer Weile begab ich mich landeinwärts, um die geologischen Erscheinungen zu studieren und das Pflanzenleben in Augenschein zu nehmen. Das Gestein besteht überall aus einem grünen Porphyrit, der mich an gewisse Bergarten in den Schären des Feuerlands erinnerte und sehr wohl von mesozoischem Alter sein kann, obwohl es schwer ist, Beweise dafür zu schaffen. Leider sind die auf dieser Insel genommenen Proben, wie alle meine übrigen geologischen Sammlungen aus diesem ersten Sommer, mit der »Antarctic« verloren gegangen. Das Gestein bildet schroffe, zerklüftete Felspartien, und an ihren Abhängen treffen wir die meisten Repräsentanten des Pflanzenlebens der Insel, bedeutend reicher, als ich sie an irgend einem unserer Landungsplätze gesehen habe, obwohl man nur grüne Moosbüschel und ziemlich üppige Flechten findet, während jede Spur von Gras oder andern Pflanzenorganen fehlt.

Zur Frühstückszeit kehrten wir von unserm Ausflug an Bord zurück und nahmen unsern Kurs wieder südwärts. Der Wind frischte bald auf und ging am Nachmittage in einen vollständigen südlichen Sturm über, der die ganze Nacht anhielt. Es ging nur langsam vorwärts, und wir sahen keine Möglichkeit, jetzt etwas mit den Seehundbälgen zu machen, die auf Deck lagen und uns sehr hinderlich waren.

Als ich am nächsten Morgen aufstand, stürmte es noch ebenso sehr, aber wir waren so weit vorwärts gekommen, dass wir nun wieder von Landstrecken umgeben waren. Eben hatten wir die Astrolabe-Insel passiert und vor uns lag das Ludwig Philippland, eine echt antarktische Landschaft in echt antarktischem Wetter, eine hohe wilde Alpenkette mit isolierten scharfen Zinnen, unter denen namentlich der Mt. d'Urville hervortritt. An der Steuerbordseite hatten wir eine mittelgrosse Insel, der in einiger Entfernung eine zweite, grössere folgte. Diese beiden Inseln sind alles, in das sich das von alters her bekannte Trinityland in Wirklichkeit auflöst. Ich werde in einem späteren Kapitel noch auf diese interessante historisch-geographische Frage zurückkommen.

Schneelandschaft aus dem Ludwig Philipp-Lande.

Wir befanden uns nun an der Mündung des Orléanskanals, wie d'Urville die breite Bucht genannt hat, die er zwischen dem Festlande und dem Trinityland liegen sah. Die erste Aufgabe unserer Expedition bestand in der Untersuchung dieser Bucht. Nach Larsens Auffassung, die auch später von den deutschen Gelehrten, die das geographische Material seiner Reise bearbeitet haben, angenommen worden ist, sollte dieser Kanal eine südliche Richtung haben und das Ludwig Philippland von dem Grahamland trennen. Andere waren der Ansicht, dass es nur eine kleinere Bucht sei, und wiederum andere hielten die Gewässer für einen Kanal mit südwestlichem Lauf. Die letzte Ansicht erwies sich dann später als die richtige.

Wir waren jetzt auf einem Wasser, das noch kein Mensch befahren hatte. Wie durch einen Zauberschlag hatte sich das Wetter verändert, es schien, als bereue die antarktische Welt den unfreundlichen Empfang, den sie uns bereitet hatte, oder wollte sie uns nur tiefer in ihr Inneres hineinlocken, um uns dann um so sicherer zu vernichten? Auf jeden Fall eilten wir nun vorwärts, von dem fast fieberhaften Eifer erfasst, den nur ein Entdecker, der an der Schwelle des Grossen, Unbekannten steht, empfinden kann. Alle wollten sehen, alle photographischen Apparate waren in Tätigkeit, und Stokes war unablässig mit seinen Malereien beschäftigt. Das Land erhebt sich in hohen, wilden Gipfeln, von breiten, in der Regel kurzen Gletschern getrennt, die gewöhnlich am Strande zu einem Eissockel zusammenschmelzen, aus dem nur einzelne Vorgebirge aufragen. Es waren nicht nur neue Bilder, die sich vor unsern Blicken entrollten, sondern es war eine fremde, schwer zu beschreibende Welt, gänzlich verschieden von allem, was ich bisher gesehen hatte.

Waren wir an Land von den Pinguinen empfangen worden, so hiessen uns hier die Walfische willkommen. Zu Hunderten konnte man diese Riesen des Meeres unser Schiff umkreisen sehen, das sie offenbar auf dieselbe Weise auffassten, wie die Pinguine uns selber. In der Regel hört man an der Seite des Schiffes ein Schnauben, eine Wassersäule steigt auf, und einen Augenblick später taucht der dunkle, unförmliche Rücken eines mächtigen Walfisches aus dem Wasser auf; vermutlich betrachtet dies Riesentier uns mit Verachtung, sobald es merkt, dass wir ihm nicht auf seiner schnellen Fahrt durch das Wasser oder in die Tiefe hinab zu folgen vermögen. Nach dem Ausspruch eines Sachverständigen gehörten alle diese Wale einer Gattung an, die dem nordischen Buckelwal (Megaptera) gleicht oder mit ihm identisch ist. Hätten wir Zeit dazu gehabt, so würden wir gern unsere Ausrüstung an einem von ihnen erprobt haben, um, wenn möglich, diese Tiere ein wenig genauer zu studieren. Später beobachteten wir in dieser Gegend auch noch zahlreiche Blauwale und Finnwale.

Rings um uns war alles still, und die grossartige Schneelandschaft, die sich zu beiden Seiten ausbreitete, schimmerte hell in dem bleichen Mitternachtslicht der antarktischen Sommernacht. Jetzt befanden wir uns nicht nur auf einem Wasser, das noch kein Mensch vor uns besucht hatte, sondern wir kamen auch mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass wir nicht mehr wussten, wo wir waren, dass wir bereits Gegenden erreicht haben mussten, wo es keine Landmarken mehr zu erkennen gab. Dass wir mit diesem südwestlichen Kurs nicht in den Atlantischen Ozean hinausgelangen würden, das hatten wir schon lange eingesehen, und im Grunde wurde es uns bereits klar, dass das Ludwig Philippland mit dem Grahamland zusammenhängen müsse. Man kann also wohl sagen, dass wir schon jetzt das vielleicht wichtigste geographische Resultat erzielt hatten, das unsere ganze Expedition ergeben hat. Wo aber konnte dieser sonderbare Kanal nur münden? Konnte er innerhalb des Sundes gelegen sein, den die Belgier entdeckt hatten? Hörte er vielleicht schon auf, ehe wir an das Ende desselben gelangten? Oder bildete unser Sund selber den Anfang des Gerlache-Kanals? Das alles waren Fragen, die der morgende Tag lösen sollte.

Erst nach Mitternacht ging ich in meine Koje hinab, und um halb fünf Uhr war ich schon wieder auf Deck. Duse stand noch auf der Kommandobrücke, zeichnend und messend, ohne während der Nacht geschlafen zu haben. Der Kurs war während der ganzen Zeit unverändert geblieben, und noch immer befanden wir uns in demselben langen, zusammenhängenden Kanal, wo an der Steuerbordseite eine Insel der andern folgte. Es war unmöglich, zu bestimmen, wo wir waren, soviel aber stand fest, dass wir entweder in einen Sund gekommen waren, der parallel mit dem Gerlache-Kanal lief, oder wir waren, ohne es zu merken, auf sonderbare Weise in diesen Kanal selber hineingelangt. Es handelte sich nun darum, zu bestimmen, wie es sich hiermit verhielt, und ich ging hinab, um Dr. Cooks Schilderung der belgischen Expedition heraufzuholen und zu sehen, ob die Beschreibung stimmte. Zuerst verglich ich eine konische Berghöhe mit seiner Abbildung des Mt. Allo, die Ähnlichkeit stimmte aber nicht ganz. Dann schlug ich sein Bild von Kap Murray und der Brialmont-Bay auf. Plötzlich überraschte mich die Ähnlichkeit mit einer dunkeln, vorspringenden Landzunge an der Backbordseite, und ich überzeugte mich bald davon, dass wir uns im Gerlache-Kanal oder, wie er früher genannt wurde, im Belgica-Kanal befanden.

Ich teilte sofort Duse meine Vermutungen mit, und obwohl er sie nicht mit der belgischen Karte in Einklang bringen konnte, so stimmte er doch vorläufig meiner Ansicht bei. Für denjenigen, der daran gewöhnt ist, im Hochgebirge oder in den Polargegenden seinen Weg zu finden, bietet es ein besonderes Interesse, die Schneeflecke zu beobachten, die man an den Bergabhängen sieht, und die in der Regel Jahr für Jahr ihre oft eigentümliche Form wiederholen, um sie dann den ganzen Sommer über zu bewahren. Es ist kaum denkbar, dass man an zwei Stellen eine Kombination von ganz gleichen Schneeflecken finden kann, und genau so wie der Verbrecher durch den Abdruck der feinen Linien des Daumens identifiziert wird, so erkennt man an den Schneeflecken einen dieser Berggipfel unter Tausenden wieder.

Das erste wiedererkannte Vorgebirge, Kap Murray

Kap Murray hatte ich identifiziert, und die grossen Züge unserer Umgebung stimmten wohl auch mit der belgischen Karte überein, weiter kamen wir aber nicht. Alle Gelehrten hatten sich allmählich wieder auf Deck versammelt, es ward nun allgemein und eifrig beratschlagt, wo wir uns befanden. Wir beschlossen, unsere Fahrt fortzusetzen, in der Hoffnung, weiterhin andere Punkte wiedererkennen zu können. Anfangs ging dies auch ganz gut, die Charlotte-Bay war ihrem Bilde auf der Karte so ziemlich ähnlich, dann aber bogen wir in die Wilhelmina-Bucht, und hier wurde ich selber zweifelhaft, denn nun war es nicht mehr möglich, uns mit der Karte in der Hand zurechtzufinden.

Wir setzten unsern Kurs auf Kap Anna fort und fuhren dann über den Sund auf Kap Ryswyck zu, den Schollaert-Sund vor uns. Noch immer herrschte derselbe allgemeine Zweifel an Bord: sind wir im Belgica-Kanal oder nicht? Duse, der bisher von ersterem überzeugt gewesen war, meinte jetzt, es sei doch sonderbar, dass die Karte so grosse Abweichungen aufweise. Es war allerdings sehr verlockend, eine gründliche Untersuchung anzustellen, um einige unumstössliche Beweise zu erzielen, aber es gebrach uns an Zeit, und wir waren schon weiter südwestwärts gelangt, als ich beabsichtigt hatte. Für mich lag die Sache so: auf der einen Seite Abweichungen in Bezug auf Einzelheiten von der ursprünglichen belgischen Karte, Abweichungen, die allerdings oben bei der nördlichen Einfahrt ziemlich schwer zu erklären waren, die aber ganz üblich sind bei Kartenskizzen, die von Expeditionen herrühren, deren Hauptzweck nicht im Kartenaufnehmen bestanden hat; auf der andern Seite Übereinstimmung in den grossen Zügen, die Unmöglichkeit, sich einen Sund, so gross und so breit wie diesen, mit mehreren Querkanälen, östlich vom Belgica-Kanal gelegen, vorzustellen, ohne dass die Belgier darauf aufmerksam geworden sein sollten, und dann vor allen Dingen die völlig identischen Schneeflecke auf Kap Murray. Ein Zweifel erschien mir unter solchen Umständen kaum noch möglich. Völlig aufgeklärt konnte aber die Frage erst im nächsten Sommer werden, wo wir eine Kartierung der Gegend bis in die Einzelheiten vornehmen wollten. Ich erteilte also den Befehl, umzukehren und den Kurs nach unserm eigentlichen Arbeitsfeld an der Ostküste des Landes zu lenken.

Szenerie aus dem Gerlache-Kanal

Selber sollte ich freilich nie wieder in diese Gegend zurückkehren, aber wir werden in einem späteren Abschnitt dieser Arbeit von dem zweiten Besuch der »Antarctic« hören, bei dem sich meine oben dargestellte Ansicht bestätigte, dass nämlich der Gerlache-Kanal wirklich nur eine Fortsetzung von d'Urvilles Orléans-Kanal ist. Bei dieser Gelegenheit wurde durch zahlreiche Landungen, Lotungen und Dredschzüge die Beschaffenheit dieses Gebiets gründlich studiert, und wir dürfen deswegen den Begebenheiten nicht vorgreifen, sondern wollen bis auf weiteres eine genauere Schilderung dieser Gegend hinausschieben.

Kap Roquemaurel

So ging denn unsere Fahrt denselben Weg zurück, den wir soeben gekommen waren, was zur Folge hatte, dass man eine Weile ausruhen durfte und gewissermassen in Ruhe den Plan für die neue Arbeit machen konnte. Der nächste Morgen brach mit demselben strahlenden Sonnenschein an, in dieser Hinsicht wollten offenbar die antarktischen Gegenden nicht gegen die nördlichen zurückstehen.

Danco-Land in der Nähe der Wilhelminen-Bucht

Der Bransfield-Berg von Norden aus gesehen

Um die Mittagszeit unternahmen wir zum dritten Male eine Landung bei Kap Roquemaurel, wie d'Urville das östliche Vorgebirge bei der Einfahrt in den Orléans-Kanal benannt hat. Dies ist eine vorspringende, fast schneefreie Felsenpartie mit zerklüfteter, unregelmässiger Oberfläche, aber ohne scharfe Spitzen. Drinnen befindet sich ein wirklicher kleiner Hafen, eine tiefe Talschlucht, in der das Boot anlegen kann. Wir landeten an einem flachen Felsenstrand mit kleinen abgeschlossenen Teichen voll Seewasser und mit einer dichten Algendecke, die das Entzücken des Botanikers erregte. Die schlüpfrigen Felsen waren gefährlich, Stokes fiel und verletzte sich einen Finger, was ihn während der ganzen Zeit, die ich auf dem Schiff war, sehr in seiner künstlerischen Tätigkeit hinderte. Dort am Strande lagen einige Seehunde und sonnten sich, einer davon war beinahe silberweiss, wahrscheinlich ein »Krabbenfresser« (Lobodon). Diesmal liessen wir sie indes in Ruhe, wir hatten denen, die wir auf den Shetlandsinseln töteten, noch kaum die Haut abgezogen.

Das Gestein hier drinnen besteht aus einem grauen Granit von ziemlich eigentümlichem Aussehen, stark zerklüftet und mit einer Menge Adern von dunklem Eruptivgestein durchsetzt, das an den Seiten festere Ränder hat und zahlreiche Bruchstücke von Granit enthält. Man bemerkt dasselbe Gestein an mehreren der umgebenden Hügel, in der Regel aber bestehen die vorspringenden Bergpartien, die diesen Teil des Kanals umgeben, aus einem dunkleren Gestein, dessen Beschaffenheit ich diesmal nicht zu bestimmen vermochte.

Da es hier nicht besonders viel für uns zu tun gab, kehrten wir schon nach Verlauf einiger Stunden wieder an Bord zurück. Dort hatte man inzwischen eine Temperaturserie bis zu einer Tiefe von 200 Metern genommen. Wir setzten die Fahrt jetzt an der Küste des Ludwig Philipplandes entlang fort, zwischen einem Archipel von Felseninseln und unterseeischen Felsenriffen hindurch, was die Aufmerksamkeit des Kapitäns aufs äusserste in Anspruch nahm. Es ist natürlich keine leichte Sache, ohne Karte in einem solchen Gewässer zu fahren, aber dank den günstigen Witterungsverhältnissen verlief alles glücklich.

Auch dieser Abend war wunderbar schön, namentlich bei Sonnenuntergang, der violettblaue Tinten über die hellen Schneegipfel mit ihrem grellen Widerschein breitete.


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