Max Nordau
Mahâ-Rôg
Max Nordau

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IV.

Wie das Schicksal der schönen Tschandni sich entwickelte, das erzählt ein Lied, das im ganzen Lande zwischen Brahmaputra und Ganges von den Lippen des Volkes tönt und das sich anhört wie ein Sang des Mahâbhârata.

Von dem Augenblicke, wo Tschandni in den Palast des Radschas Raghunathe Tschakrawortti eingetreten war, bestrickte ihr Zauber den Gatten völlig und machte ihn zu ihrem willenlosen Sklaven. Seine älteren beiden Frauen und seine Dienerinnen waren aus seinem Herzen und Gedächtnisse verdrängt, sie wurden in einen abgelegenen Flügel des Palastes verbannt und sie sahen das Antlitz ihres Gebieters nicht mehr vor sich. Da verschworen sie sich gegen die glückliche Nebenbuhlerin, bestachen die assamischen Dienerinnen und ließen durch sie Tschandni und ihren Bhai mit einem schleichenden Gift aus zerstoßenen Diamanten vergiften.Die Hindus halten Diamantenstaub für ein unfehlbares, langsam wirkendes und nicht nachweisbares Gift. Nach der schwarzen Tat entflohen die Verräterinnen unter dem Schutze ihrer Anstifterinnen, der Bhai starb und Tschandni wurde sehr krank. Das Verschwinden der Assamerinnen, der Tod des Pandits, die Erkrankung Tschandnis, unkluge Worte der Frauen erweckten Verdacht, der Vaëdya des Radschas erkannte die Vergiftung, es fanden Folterungen und geheime Hinrichtungen statt und durch den Palast erging das Wort des Herrschers: »So soll es allen ergehen, die sich gegen meine Herzenskönigin verfehlen.«

Tschandni erholte sich, aber sie war nun allein, von fremden Gesichtern umgeben, schaudernd bei der Erinnerung an das Blut, das um ihretwillen vergossen worden, und ihre purpurnen Lippen verlernten das Lächeln, das Helligkeit verbreitete wie die lichte Sonne selbst.

Kaum war sie wieder gesund geworden, als Prinz Maksudan, der jüngere Bruder des Radschas, von einem Aufenthalt im Lande der Feringi heimkehrte und den Befehl über das Heer seines Bruders übernahm. Er war heißblütig und gewalttätig, ein richtiger Kschatria. Als er Tschandnis zum erstenmal ansichtig wurde, entbrannte er sofort in verbrecherischer Leidenschaft zu ihr und wagte es alsbald, ihr seine Gefühle zu erkennen zu geben. Sie floh ihn voll Grauen und wünschte sich den Tod. Prinz Maksudan fand Gelegenheit, bis zu ihr zu gelangen, und er ließ nicht ab, sie zu bedrängen. Eines Tages sagte er ihr frech heraus, sie müsse sein werden, denn er könne ohne sie nicht leben. Da stellte sie ihn vor die Wahl: entweder er ging ungesäumt unter einem Vorwand auf Reisen und kehrte erst wieder, wenn er sich von seinem Wahnsinn geheilt fühlte, oder sie entdeckte alles seinem königlichen Bruder und suchte Schutz bei ihm.

Er verneigte sich stumm und entfernte sich aus ihrer Gegenwart, er ging aber nicht auf Reisen, sondern zettelte unter den Führern der Leibwache eine Verschwörung an und überfiel des Nachts seinen Bruder in dessen Schlafgemache.

Es war eine Schreckens- und Mordnacht. Der Radscha setzte sich zur Wehr, seine Diener und ein Teil seiner Krieger blieben ihm treu, der Kampf dauerte lang und wurde unerbittlich geführt, das Blut floß in Strömen durch die Gänge und über die Treppen des Palastes, die Leichen lagen zu Hauf in den Gemächern und Höfen, der Sieg blieb dem Prinzen Maksudan und dem Radscha Raghunathe Tschakrawortti schnitt der Oberst der Leibwache, der Vertraute des Prinzen, mit eigener Hand den Kopf ab. Als aber der Sieger seine Beute suchte, da erfuhr er zu seiner namenlosen Wut, daß sie im Palast nicht zu finden war.

Das Ende des Liedes voll Greuel und Entsetzen lautet:

»Beim Morgengrauen pochte eine zagende Hand an die Tür des Tempels der Karmadêvata Udschli.

»Wer fordert so früh Einlaß? Wer will so früh beten und opfern?«

»Tschandni, die Königin, Tschandni, eure Tochter, verlangt zu ihrer Mutter!«

Die Tür ging weit auf. Die Königin trat ein. Sie schwankte zum Grab und sank darauf.

Ihr Haar war gelöst. Ihr Kleid war taudurchnäßt. Ihre Füße waren staubig und wund.

Sie schluchzte und stöhnte: »O Mutter! Du bist für mich gestorben. Warum ließt du mich nicht mit dir sterben?

Meine Schönheit ist der Preis deines Lebens. Warum hast du mir Schönheit gekauft?

Sie ward zum Fluche für dich, für mich, zum Fluche für alle, die mir nahten.

O Mutter, heilige, göttliche, du bist für mich gestorben. Warum ließt du mich nicht mit dir sterben?«

Sie schluchzte und stöhnte. Fieberschauer schüttelte ihren Leib, den Leib von göttlicher Vollendung.

Der Arya nahte sich erschrocken und demütig: »Herrin, woher dein schwarzer Kummer?«

Er schrie auf, als er die Herrliche berührte. Der Saft der Mandragora hatte sein Werk getan.

Von Pferdehufen erbebte der Grund. Schwerthiebe dröhnten gegen die Pforte.

»Die Königin verbirgt sich hier! Ihr seid des Todes, wenn ihr sie verheimlicht.«

Der Priester wies die tobenden Krieger ins Heiligtum, an das geweihte Grab.

Fahl wurden die Lippen, stumm war das Entsetzen, am Boden klirrten die glänzenden Helme.

Was frommte dem Kinde die Mutterliebe, die mächtig besiegte den Mahâ-Rôg?


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