Max Nordau
Mahâ-Rôg
Max Nordau

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II.

Nach den ersten Tagen des Honigmonds verlangte Udschli nach Kutsch zu fahren. Dasa hatte einen starken Widerwillen gegen die Reise und wußte sie mit immer neuen Vorwänden hinauszuschieben, bis der Zustand seiner jungen Gattin ihm das Recht gab, ihr jede Unklugheit zu verbieten. Er beschwor sie, auch alle Anstrengungen zu machen, um in dieser Zeit möglichst wenig an die sieche Mutter zu denken, ihr Bild aus ihrer Vorstellung zu verscheuchen, bei inneren Gesichten der Schönheit zu verweilen. Udschli, ganz im Banne der ihrer harrenden Mutterpflichten, gehorchte ergeben und begnügte sich damit, dem Vater auf seine monatliche Fahrt nach Kutsch einen mit besonders liebevoller Sorgfalt gebackenen Honigkuchen für die Mutter mitzugeben.

Das süßeste kleine Mädchen, das man seit Menschengedenken in Masrapur gesehen hatte, erfüllte die Erwartung der jungen Eltern und vollendete das Glück des neuen Heims. So schön war das Kind, so köstlich in seiner rundlichen Fülle, mit dem winzigen Mündchen und den strahlenden schwarzen Äuglein, den strammen Strampelbeinchen und den Puppenhändchen, daß der Vater nicht daran dachte, eine enttäuschte Miene zu machen, und Udschli zärtlich die lieblose Rede verwies, als sie seufzte: »Warum ist es kein Knäblein!« Für die Welt nannte man das Kind Tschandni, für die nächsten Angehörigen aber hieß sie Kali, die Schwarze. Dieser vertraute Name war in kosender Gegensätzlichkeit zu dem der Mutter und zu ihrer eigenen Schönheit gewählt und er sollte durch seine zärtliche Geringschätzigkeit auch den bösen Blick und den Neid boshafter Götter abwenden.

Alle alten und jungen Frauen des Dorfes, denen ihre Kaste das Recht dazu gab, besuchten nach den zehn Tagen der strengen Absonderung und nach der Verbrennung des Zebu-Dunges und des Krautes Darba die glückliche Mutter und verlangten das Kind zu sehen und wunderten sich über die elfenbeinweiße Atlashaut und das entzückende Gesichtchen und die Vollkommenheit der Leibesbildung. Und als Udschli wieder ausging, sammelten sich die Nachbarinnen um sie, wenn sie auf der Schattenseite der Straße den weißen Schleier vom glänzenden Gesichtchen des Säuglings entfernte, damit es Kühlung bekomme und besser atme. »Ein richtiges Aryakind!« »O die kleine Fürstin!« »Keine Lotosblüte ist so schön!« hörte die glücklich lächelnde Mutter um sich murmeln und sie hatte zudringliche Hände sanft abzuwehren, die das Würmchen zu streicheln verlangten.

Alle ihre Gedanken waren jetzt bei ihrem Kinde und nur in der Ermüdung des Abends, im Halbtraum vor dem Entschlummern stieg manchmal auf Augenblicke schattenhaft undeutlich die vermummte Gestalt der Mutter vor ihr auf, um mit dem Erlöschen des Bewußtseins zu verschwinden.

Die Wochen und die Monde schwanden rasch, Tschandni lächelte längst und faßte auch schon lange mit den Händchen nach dem vorgehaltenen Finger der Mutter, seit einiger Zeit zwitscherte sie »Amma!« und »Ah! ah!« und nun war auch schon das erste Zähnchen durch. Es war an einem Tage gegen das Ende der Regenzeit. Udschli saß auf der Schwelle ihres Hauses und nährte Kali. Das Kind zog kräftig und schmatzte von Zeit zu Zeit laut vor Vergnügen und seine schwarzen Äuglein hafteten dabei unverwandt auf den Augen der Mutter, deren Antlitz über den Säugling geneigt war. Diese stumme Zwiesprache zwischen Mutter und Brustkind, diese geheimnisvolle, gegenseitige Anziehung der Blicke hielt Udschlis Aufmerksamkeit so vollständig gefangen, daß sie etwas Sonderbares nicht wahrnahm, was sich in diesem Augenblicke mit ihr zutrug. Auf den Rücken ihrer rechten Hand, die das Kind gegen die Brust hielt, hatte sich eine Hornisse von der großen räuberischen Gattung gesetzt, die bei der kleinsten Regung sofort lossticht. Dasa stand an die Wand gelehnt neben seiner Frau und erfreute sich an dem Anblick der säugenden Mutter mit dem Kinde. Da sah er die auf dem Handrücken hin- und herkriechende, mit den Fühlern und dem Rüssel tastende Hornisse und machte eine leichte Bewegung, um sie zu verscheuchen. Das Tier summte laut, stach mit Wut in die Hand, auf der sie stand, und schwirrte davon. Die Stiche der indischen Hornisse sind sehr schmerzhaft. Gleichwohl zuckte Udschli nicht und schien gar nicht zu bemerken, daß sie gestochen war.

»Hat sie dir nicht weh getan?« fragte Dasa erstaunt.

»Wer?« gab Udschli zurück, wie aus einem Traum auffahrend.

»Die Hornisse.«

»Ich habe nichts gespürt.«

Da wurde Dasa unter seiner Bronzefarbe fahl, er ergriff hastig Udschlis Rechte, betrachtete sie scharf, bemerkte die ein wenig aufgelaufene Stichstelle und ließ sie langsam sinken. Nun besah auch Udschli ihren Handrücken und bemerkte unbefangen: »Sie hat mich wirklich gestochen. Sonderbar. Ich habe es nicht gefühlt.«

Dasa blieb eine kleine Weile lautlos, dann trat er in die Hütte, während Udschli fortfuhr, den Säugling zu pflegen. Nach einiger Zeit kam er mit seinem Stocke heraus. Udschli blickte auf: »Wohin gehst du, mein Dasa?«

»Ich habe etwas zu besorgen,« murmelte er, strich ihr rasch mit der Hand über die schwere Seidenhaarfülle, berührte mit kosenden Fingern das Köpfchen des Kindes und ging.

Sowie er ihr aus den Augen war, beschleunigte er seinen Gang fast bis zum Lauf und war in weniger als einer halben Stunde im Nachbardorf bei einem im ganzen Kreise berühmten Vaëdya, den er mit dem Ordnen getrockneter Pflanzen beschäftigt fand.

»Sei gegrüßt,« sagte Dasa mit keuchender Brust, »du bist mir Vater und Mutter. Ich bin Dasa aus Masrapur, der Gatte Udschlis, der Tochter Ganapats. Du weißt, daß Udschlis Mutter Rani im Siechenhaus von Kutsch ist.«

Der Vaëdya nickte.

»Udschli wurde soeben von einer Hornisse gestochen und sie hat es nicht gefühlt. Was bedeutet das? Bei allen Göttern, sage mir die Wahrheit, Balarama.«

Das Gesicht des weisen Alten war noch ernster geworden als gewöhnlich. »Wo ist deine Frau gestochen worden?«

»Am rechten Handrücken.«

»Ist an der Hand etwas Krankhaftes zu bemerken?«

»Ich habe nichts bemerkt.«

Der Vaëdya stützte das Kinn in die Hand, schloß die Augen und dachte nach. Dasa starrte ihn unverwandt mit flehenden Blicken an. Nach kurzem Schweigen sprach er: »Ich muß es selbst sehen. Ich werde kommen. Erwarte mich morgen früh.«

»Warum nicht heute? Warum nicht gleich?« bat Dasa angstvoll. »Meine Udschli nährt.«

»Wie alt ist das Kind?«

»Sieben Monate.«

»Ein Knäblein?«

»Ein Mädchen. Aber so köstlich,« fügte er hastig hinzu, »so schön, wie du nie eins gesehen hast.«

Der Vaëdya dachte wieder nach. Als er sah, mit welcher schmerzlichen Spannung Dasa seiner Entscheidung harrte, da sprach er: »Laß uns gehen.«

Udschli saß am Bettchen des eingeschlafenen Kindes und sang leise ein schwermütiges Schlummerlied, als die beiden Männer auf der Schwelle erschienen. Sie stand überrascht auf und eilte, sich in das Nebengelaß zurückzuziehen. Dasa hielt sie jedoch mit den Worten zurück: »Bleibe, Geliebte. Du kennst ja unseren Gast, es ist der Vaëdya Balarama, der unsere armselige Hütte mit seinem Besuch ehrt.«

Udschli stand still, verneigte sich leicht und schlug bescheiden die Augen nieder. Der alte Heilkünstler maß mit bewundernden Blicken ihre königliche Gestalt und ihr schönes Antlitz und ein unwillkürlicher Seufzer hob seine Brust.

»Zeige dem Vaëdya deine gestochene Hand,« fuhr Dasa fort, ohne in seiner folternden Ungeduld an schonende Übergänge zu denken.

»So viel Wesen mit einem Wespenstich, den ich gar nicht gefühlt habe!« rief Udschli und zwischen ihren lächelnden Lippen blitzten die kleinen weißen Zähne. Sie streckte aber dem Alten die Rechte entgegen und folgte ihm auf seinen schweigenden Wink zuerst ans Fenster, dann vor die Tür auf die Veranda. Im Freien betrachtete er lange die Hand und verglich sie mit der Linken. Zum erstenmal fiel es Dasa auf, daß die Rechte deutlich weißer war als die Linke.

»Schließe die Augen,« gebot der Vasdya.

Udschli gehorchte.

Er wickelte seinen rechten Zeigefinger in den Saum seines baumwollenen Gewandes und strich ihr über den Handrücken.

»Was fühlst du?«

»Nichts,« erwiderte Udschli und öffnete neugierig die Lider.

»Schließe die Augen!« rief der Alte herrisch, zog eine stählerne Nadel mit Carneolkopf aus seinem Turban und stach sie kräftig in Udschlis Hand. Sie zuckte nicht. Da ließ er sie sinken und sprach: »Meine Tochter, setze dich und zeige mir deine Füße.«

Udschli blickte errötend Dasa an, der ihr zuflüsterte: »Tue es, Geliebte.«

Der Vaëdya kauerte vor ihr nieder und seine knöchernen braunen Finger tippten da und dort auf die edelgeformten hochgewölbten Füße, die Udschli bei der Berührung unwillkürlich unter den Kleiderrand zurückzog.

Der Heilkünstler erhob sich mühselig, von Dasa unterstützt.

»Hast du in der letzten Zeit ziehende Schmerzen im Vorderarm gefühlt?«

Udschli stutzte, besann sich und antwortete stockend: »In der Tat – aber – es war wirklich nicht der Rede wert.«

Der Vaëdyll ging langsam in die Hütte zurück, trat an das Bettchen des süß schlummernden Kindes und sagte: »Kleide das Kleine ganz aus, damit ich es betrachte.«

Da stand Udschli mit einem Satz am Bettrand, faßte ihn rücklings mit beiden Händen, drängte den Vaëdya weg und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Warum? warum?« entrang es sich heiser ihrer zugeschnürten Kehle. Ihr Blick wanderte vom verschlossenen Antlitz des Vaëdyas zu dem ihres Gatten, der furchtbar fahl war. Wie ein Blitz schoß es ihr durch den Kopf, in dem jäh eine grauenhafte Helle aufflammte. Ihre Beine zitterten sichtbar. Ihre Sprache wurde tonlos:

»Ist es – habe ich – die Krankheit?«

Der Vaëdya faßte Dasa am Arm und murmelte: »Komm, laß uns draußen sprechen.«

»Nicht draußen, nein, nicht draußen!« kreischte Udschli. »Balarama, du bist mir Vater und Mutter. Sage mir die Wahrheit! Ich muß sie doch wissen!«

Da sammelte sich der Vaëdya, schloß die Augen und nach einer qualvollen Pause sprach er dumpf:

»Die Götter seien euch und uns allen gnädig – Mahâ-Rôg

»Râm! Râm!« war das einzige, was Udschli röchelte, dann sank sie leblos zu Boden. Der Alte beugte sich mitleidig über sie und trug sie mit Hilfe Dasas zur Matte in der Stubenecke. Sie schlug alsbald die Augen auf, blickte verwirrt umher, die Erinnerung kam ihr wieder, mit einem Ruck setzte sie sich auf und fragte händeringend und mit bebender Stimme, während ein Tränenstrom hervorbrach: »Balarama, irrst du dich nicht? Es ist doch nichts zu sehen und ich fühle mich doch ganz gesund?«

Der Vaëdya schüttelte den Kopf. »Ach, meine Tochter, ich kann mich leider nicht irren. Du hast zurzeit erst den Khor, aber er wird sich später unabwendbar zum Raktapiti verschlimmern.«

»Und du weißt keine Heilung, du, der so viel weiß?«

»Wohl weiß ich viel, aber den Mahâ-Rôg haben die Götter unserer Kunst entzogen.«

Sie war ganz in sich zusammengesunken und Dasa hatte sich auf die Schwelle gesetzt und weinte bitterlich. Plötzlich schnellte sie wieder empor: »Und mein Kind?«

»Du mußt dich davon trennen.«

Ein wilder, fürchterlicher Schrei entrang sich ihrer Brust, der Notschrei der zu Tode gemarterten Kreatur. Er weckte die kleine Tschandni, die laut zu weinen begann. Udschli war im Nu auf den Beinen und schoß zum Bettchen hin, aber im Augenblicke, wo sie das Kind aufnehmen wollte, sanken ihr die Arme wie kraftlos herab und sie wich langsam zurück. Tschandni hatte die Mutter erblickt, schrie immer heftiger, streckte beide Ärmchen nach ihr aus und ließ klägliche Laute vernehmen, die wie: »Ma – ma – ma – da – dda – dda!« klangen. Udschli kämpfte grausam mit sich, aber der Säugling schrie jämmerlich, die Milch schoß ihr in die Brust, ihr Wille brach zusammen, ehe die beiden Männer ihr nahekommen konnten, hatte sie das Kind von seinem Lager gerafft, zur Matte getragen und angelegt. Es nahm sofort gierig schmatzend die Brust und seine Händchen spielten mit unbewußt liebkosenden Streichelbewegungen an seinem Labequell. Udschli beugte sich auf den Säugling nieder und ihre reichlich quillenden Tränen troffen dem Kinde schwer und häufig aufs Gesichtchen. Es ließ die Brust fahren, seine glänzenden Äuglein blickten erstaunt und mißvergnügt auf und es stieß eine Reihe kleiner, unwilliger Schreie aus. Udschli wischte sich mit dem Handrücken hastig die Tränen ab, trocknete dem Kinde mit dem Kopftuch die Wängelchen und die Stirn und wiegte es sanft, um es zu beruhigen.

Dasa kam langsam an ihre Seite: »Geliebte, du sollst ja nicht.«

Udschli schien nicht zu hören.

»Balarama, sprich du zu ihr. Es schadet ja dem Kinde.«

Udschli warf den Kopf zurück und ihre Augen funkelten. »Hat es meiner Kali sieben Monate nicht geschadet, so wird es ihr auch heute nicht schaden.«

Der Vaëdya schüttelte das Haupt und sagte mit tiefem Mitleid in der Stimme: »Ich weiß nicht, ob es dem Kinde diese sieben Monate nicht geschadet hat, aber ich weiß, daß du es gefährdest, wenn du es weiter stillst.«

»Wie!« zischte sie mit kaum verhaltener Wut, »soll ich mein kleines Kind nach mir schreien lassen? Soll ich mein Fleisch und Blut leiden lassen? Soll ich es vor mir verschmachten sehen? Hast du ein Menschenherz, hast du ein Tigerherz in der alten Brust? Töte uns doch gleich, das Kind und seine Mutter! Das ist das beste.«

Der Heilkünstler blieb stumm und blickte nur den gelähmt dastehenden Dasa ausdrucksvoll an.

Tränen erstickten wieder Udschlis Stimme und während sie mit abgewandtem Kopfe ihr Kleines schaukelte, das im Begriffe war, wieder einzuschlafen, wimmerte sie: »Was soll aus meinem Blümchen werden, wenn ihr es jetzt von mir reißt?«

»Wir werden ohne Zweifel in Masrapur oder in der Umgegend eine gute Frau finden, die dem Kinde Amme sein kann,« suchte der Alte zu trösten.

Sie trug das eingeschlafene Kind zu seinem Lager zurück, bettete es zärtlich und fiel dann mehr, als sie sich setzte, auf ihre Matte. Die Bilder des Siechenhauses von Kutsch, ihrer Mutter und ihrer Führerin, der kauernden und schleichenden Leichname ohne Menschenantlitz und Hände stiegen vor ihr auf und sie preßte verzweifelt die Augenlider zusammen, um sie nicht zu sehen. Aber die inneren Gesichte wichen nicht und in ihre Ohren hallten dumpf die Rassellaute der hölzernen Glocken. Auch sie sollte diese schauerliche Klapper schütteln, auch sie alsbald ein antlitzloser, verstümmelter lebender Leichnam werden. Und nicht nur sie. Auch die süße Lotosblumenknospe, das köstliche Geschöpfchen, das dort so ahnungslos schlief, so schön, so weich, so kleinodartig – ah –

Sie schüttelte schaudernd den Kopf so heftig, daß die Silberkettchen in ihrer schweren schwarzen Haarfülle klirrten, als wollte sie die fürchterlichen Vorstellungen aus dem Gehirn schütteln.

Der Alte und Dasa waren mittlerweile über die Schwelle getreten und flüsterten miteinander.

»Was ist zu tun, mein Gönner? Herr, was ist zu tun?«

»Du mußt die arme Frau in das Krankenhaus schicken.«

»Nie und nimmer.«

»Du weißt, daß deine Leute dir nicht erlauben werden, sie hier zu behalten.«

»Aber so lange sie es nicht wissen.«

Der Vaëdya machte eine vielsagende Kopfbewegung. »Wenn du es nicht länger verheimlichen kannst, dann ist es vielleicht zu spät.«

»Wieso?«

»Ich meine für dich.«

»Dann gehe ich mit ihr. Wo Udschli ist, da will ich auch sein.«

»Und das Kind? Willst du es nicht retten? Soll es werden wie seine Mutter und Großmutter?«

Als hätte sie gehört, was die beiden außer ihrem Hörbereich sprachen, erhob hier Udschli die wehklagende Stimme.

»Vaëdya, Guter, Weiser, willst du meine Tschandni nicht retten?«

Der Angerufene trat wieder in die Hütte: »Ich kann es nicht. Du allein kannst es.«

»Wehe mir! Was muß ich tun?«

»Du mußt dich von dem Kinde trennen.«

»Wehe mir! Wehe mir! Aber wir sind ja so lange beisammen gewesen! Tag und Nacht! Bist du denn sicher, daß ich sie nicht schon angesteckt habe?«

Der Vaëdya blieb stumm.

Udschli schleifte sich auf den Knien zu ihm und wiederholte händeringend: »Vaëdya, du bist mir Vater und Mutter. Sage mir die Wahrheit. Bist du sicher, daß ich sie nicht schon angesteckt habe?«

»Was ist sicher?« murmelte er ausweichend. »Alles ist Sinnentrug. Alles ist Schein. Wir leben in der Welt des Scheins.«

Udschli sprang auf. »Ich will wissen,« rief sie, »ob ich meine Kali rette, wenn ich sie verlasse.«

Der Alte vermied ihren Blick. »Ich glaube es. Ich hoffe es.«

»Aber du weißt es nicht?«

Er schwieg.

»Du weißt es nicht. Nun denn: höre mich, Balarama, höre mich, Dasa, wenn ich nicht sicher bin, daß mein Kind heil ist, so will ich sie lieber mit eigener Hand erwürgen. Besser einen Tod sterben als tausend Tode wie ihre arme Mutter und wie die meine.«

Sie bedeckte ihr Antlitz mit dem Kopftuch und schluchzte dahinter herzbrechend.

Der Vaëdya griff nach seinem Stock, der am Türpfosten lehnte, und sagte halblaut zu Dasa: »Sorge für eine Amme, mein Freund.«

»Wer wird meiner Tschandni die Brust reichen wollen, wenn man im Dorf erfährt, daß ihre Mutter ins Siechenhaus gebracht wurde?« jammerte Udschli, ihr Gesicht enthüllend. Da sie auf diesen Einwand keine Antwort erhielt, sagte sie entschlossen: »Dasa, schicke mich weg, wenn du mußt und wenn der Vaëdya es befiehlt. Aber merke wohl auf: von jetzt an bin ich tot. Ich will nicht leben wie meine arme Mutter. Ich will nicht so lange sterben wie meine arme Mutter. Ich will es kurz machen.«

»Du willst dich töten?« fragte Dasa bang.

»Das will ich,« erwiderte Udschli fest.

»Dann tust du es nicht allein,« sprach Dasa und blickte sie tief an.

Udschli faltete die Hände: »Aber Kali? Unsere Kali?«

»Die Blüte mit dem Baum. Das Kind mit den Eltern,« gab Dasa mit düsterer Ruhe zurück.

Es klang solcher Ernst aus seiner Stimme, daß der Alte sich bewogen sah, in strengem Tone zu sagen: »Man darf kein Leben zerstören, um Leid von sich abzuwenden. Solchen Frevel müßtet ihr in siebenmal siebenhundert noch qualvolleren Wiederverkörperungen büßen. Wenn du am Leben nicht hängst, meine Tochter, dann gibt es ein Mittel, das Verhängnis von deinem Kinde abzuwenden.«

Ein langer Schrei entfuhr der Brust Udschlis. »Ah! es gibt ein Mittel! Und du hast es mir nicht gleich gesagt!«

»Es ist ein grausames Mittel.«

»Ist es sicher?«

»Ganz sicher.«

»Dann sprich! Sprich! Was ist es? Soll ich mir meine Hand abhacken? Soll ich mich den Gavialen zum Fraße hingeben? Soll ich mich Krischna Dschagannath opfern?«

Das Gesicht des Vaëdya nahm einen fremden, durchgeistigten Ausdruck an, seine Stimme bebte und seine Rede fiel in den eigentümlich singenden Ton, worin man vedische Hymnen und Mahâbhârata-Slokas zu rezitieren pflegt: »Leben kauft Leben. Der Tod löst vom Tode. Fährst du lebend zur Grube, mit Liebe im Blick und lächelndem Munde, so bist du gereinigt und rein ist dein Kind. Du bist dann den Arya gleich, selbst eine Arya, Mutter einer glänzenden Arya, und der Mahâ-Rôg ist überwunden, ist abgespült vom silbernen Leibe deines Kindes.«

Udschli war dem Alten zu Füßen gesunken und hatte mit weitgeöffneten Augen zugehört. »Balarama, verstehe ich dich recht? Mein freudiger Tod für das Kind ist seine Rettung?«

»Das ist er, meine Tochter.«

»Wie soll es geschehen? Wo? Wann? Fürchte nicht, mich zu betrüben. Deine Worte sind klare Butter und Honig.«

»Bei Neumond muß deine Sippe dir an drei Wegen an einer Stelle, die nie der Pflug geritzt hat, ein Grab schaufeln und darin mußt du dich betten. Und dein Mann muß dich mit der Erde bedecken.«

Dasa stöhnte dumpf. Udschli wandte sich mit weichen Schmeicheltönen zu ihm. »Geliebter, was ist da so Großes? Ist es nicht besser so? Wenn ich schon lebendig begraben sein soll, dann lieber gleich in der Erde, umgeben von den Meinen, als im Siechenhause inmitten des fremden Elends.«

Ihre Stimme verriet keine Aufregung mehr und keinen Schmerz. Der Gedanke des nützlichen Opfers schien ihr Frieden und einen Anflug innerer Freudigkeit zu geben.

»Darf ich dann aber meine Tschandni weiter nähren bis zur Entwöhnung?«

»Das darfst du.«

Udschli stieß einen Jubelschrei aus und sprang auf. »Dasa! Dasa!« war alles, was sie hervorbringen konnte. Ihre Augen leuchteten und ihre Wangen flammten.

»Ja,« fügte der Alte rasch hinzu, »aber du darfst sie nicht so lange nähren wie eine Radschatochter. Nur noch drei Monate, bis sie zehn Monate alt ist.«

»Kann sie mich denn aber dann wirklich entbehren?«

»Sie steht im besondern Schutz von Sabhadra und allen Göttern.«

Udschli warf auf den in sich versunkenen Dasa einen Blick und fragte etwas zögernd: »Und – den anderen um mich – schade ich ihnen nicht?«

Der Vaëdya dachte nach. »Darüber,« sprach er nach einer Pause, »steht in den Büchern nichts. Doch wirst du durch deinen Entschluß zur heiligen Büßerin und die Heiligen verbreiten Segen um sich, keinen Fluch.«

Die Nacht war inzwischen völlig hereingebrochen. Der Alte griff wieder zu seinem Stock und wandte sich zum Gehen.

Dasa raffte sich aus seinem wortlosen Brüten auf. »Mein Herr! Mein Gönner!« sagte er, »es ist zu spät geworden, um heimzukehren. Willst du nicht für die Nacht mit der armen Hütte deines Dieners vorlieb nehmen?«

»Nein,« erwiderte der Vaëdya etwas hastig, »nein, mein Sohn, ich gehe zu einem Freunde, den ich im Orte ganz nahebei habe. Der wird mich schon beherbergen.«

Er schritt rasch mit aufstoßendem Stock den Pfad hinab und verschwand bald an der Wegeskrümmung. In die Dunkelheit tönte ihm aus der Hütte ein Schlummerlied nach, das Udschli ihrem Püppchen sang, ein Stegreiflied von einer weißen Arya, einer Radschatochter mit silbernem Leib.

Am nächsten Morgen sah Dasa aus, als wäre er in der einen Nacht um zwanzig Jahre gealtert. Udschli dagegen zeigte helle Augen und eine unbewölkte Stirn. Sie hatte gegen ihre Gewohnheit ihr kleines Mädchen auf ihr Lager genommen und die ganze Nacht in ihren Armen schlafen lassen.

»Geliebter,« sagte sie sanft, nachdem sie das Frühmahl bereitet hatte, »ich will heute nach Kutsch fahren.«

Dasa blickte sie bestürzt an. »Nicht doch, Udschli. Wozu denn? Weshalb dir Kummer holen?«

»Es macht mir keinen Kummer. Nichts macht mir mehr Kummer, außer daß ich euch verlassen werde. Nichts anderes.«

»Du bist fast anderthalb Jahre nicht in Kutsch gewesen.«

»Gerade deshalb. Ich will meine arme Mutter noch einmal sehen.«

Da Dasa sich nicht gleich rührte, bat sie eindringlich: »Dasa, Geliebter, hole die Ochsen aus dem Stall. Ich habe recht. Und du darfst mir ja auch nichts mehr abschlagen.«

Bei dieser Anspielung zuckte es über Dasas Gesicht, er ließ den Kopf hängen und ging.

Udschli machte ein Körbchen mit den Gaben der Jahreszeit zurecht und hüllte ihr Kind, das sie aus dem Bettchen nahm, in weiche, bunte Tücher. Als Dasa wiederkam, berieten sie sich noch kurz darüber, ob Udschli ihrem Vater etwas sagen sollte. Sie kamen überein, daß dies besser unterblieb.

In der frischen Luft, vom Dache des zweiräderigen Karrens vor dem Regen geschützt, schlief das Kind mit geschlossenen Fäustchen und erwachte nur einmal während der Fahrt, um die Brust zu nehmen. Ans Ziel gelangt, bedeutete Udschli ihrem Manne, wo er zu halten habe, drückte das schlummernde Kleine fest an sich, hielt es eine Weile gegen ihre Brust gepreßt und legte es dann sanft ihrem Gatten in die Arme.

»Halte sie, bis ich wieder komme, Geliebter. Und wenn sie erwachen will, so wiege sie ein wenig, aber nicht stark, und sage nur nichts.«

»Bleibe nicht lange, Geliebte,« bat Dasa.

»Sei ruhig,« erwiderte Udschli mit einem langen Blick auf das Kind. »Nur so lang, wie Kali es zuläßt.«

Sie stieg ohne Hilfe ab und entfernte sich mit ihrem Körbchen.

Wegen des Regens waren keine Kranken am Straßenrand und am Ufer des Teiches, worin das Wasser hoch stand. Ohne Begegnung gelangte sie an das Türgatter des Hauses, stieß es mit ruhiger Entschlossenheit auf und trat ein. Ihren raschen Schritt bannte ein Schrei, der sie aus einem Gelaß neben dem gedeckten Flur anrief. Zugleich stürzte aus der sich auf den Flur öffnenden Tür ein Mann hervor. »Zurück! Zurück! Man tritt hier nicht ein!« Der dies sagte, war ein anderer als der Türhüter, den Udschli bei ihrem vorigen Besuche gesehen hatte. Er war noch jung und schien auf den ersten Blick gesund. Nur aufmerksamere Betrachtung ließ auf Stirn und Wangen helle, fast weiße, höckerig erhöhte Flecken an der dunkeln Haut wahrnehmen.

»Ich gehe zu meiner Mutter Rani, der Gattin des Ganapat aus Masrapur.«

»Du darfst nicht, Herrin. Kein Gesunder darf hier eintreten.«

»Ich bin nicht gesund,« erwiderte Udschli ruhig.

Der Torwart starrte sie einen Augenblick an, verschränkte seine Arme vor der Brust und neigte schweigend sein beturbantes Haupt.

»Willst du mir sagen, wo ich meine Mutter finde?«

Der Torwart trat über seine Schwelle, faßte ein mit dem Rücken gegen die Wand am Boden hockendes, anscheinend noch rüstiges Weib an der Schulter und gab ihr halblaute Anweisungen. Die Kranke erhob sich ohne Mühe und winkte Udschli, ihr zu folgen.

Der Weg führte unter Bogengängen, die einen weiten offenen Hof einrahmten, zu einer niedrigen, ziemlich großen Stube, die ihr Licht bloß durch die geöffnete Tür empfing. Bis dahin hatte Udschli nicht rechts noch links geblickt und sich nur triebhaft in acht genommen, die Bewohner des Heims nicht zu streifen, die einzeln, paarweis oder in größern Gruppen unter den Lauben hockten oder lagerten, die Vorgeschritteneren unbeweglich und lautlos, die leichter Erkrankten miteinander plaudernd oder in Brett- und Knöchelspiele vertieft.

Am Eingang der Stube hielt Udschli unwillkürlich still. Ihre Führerin wies mit einer Hand, an der, wie Udschli erst jetzt bemerkte, einige Fingerglieder fehlten, in eine dunkle Ecke und sagte: »Dort ist die Rani, die du suchst. Schenke mir etwas, Herrin, ich bin arm und verlassen.«

Udschli holte aus einem Beutelchen in ihrem Busen eine kleine Münze heraus und reichte sie der Kranken, die sich, einen Dankspruch murmelnd, entfernte.

Aus der Stube schlug Udschli ein fast unerträglicher Geruch entgegen, der sie zaudern ließ. Sie überwand jedoch tapfer ihre inneren Widerstände und trat in das Halbdunkel, woran ihr Auge sich allmählich gewöhnte. Die Wände entlang erhoben sich einige gemauerte Lagerstätten ein wenig über den gestampften Lehmboden, dessen Schmutz Udschli entsetzte. Einige der Lager waren leer, auf anderen saßen und lagen vermummte Gestalten. Auf die eine, die ihr bezeichnet worden war, ging Udschli langsam zu, blieb an ihrer Seite stehen und betrachtete sie lange.

Die Gestalt lag ausgestreckt auf dem Teppich, der die kahlen Mauersteine des Lagers bedeckte. Sie war in reinliche Stoffe gehüllt. Vom Kopfe, der auf eine kleine Schlummerrolle gestützt war, sah man unter dichten Binden nichts als Mund und Kinn. Am Boden standen neben dem Kopfende einige Näpfe, Schüsselchen und ein flachgedrücktes, vierbeiniges tönernes Wassergefäß. Es regte sich nichts an der Liegenden. Sie konnte eben so gut eine Leiche wie ein lebendes Wesen sein. War das denn auch ihre Mutter, die Udschli da vor sich hatte? Einen Anhaltspunkt, sie zu erkennen, gab es nicht.

Sie kauerte neben dem Lager nieder und berührte sanft die Schulter der Kranken. Diese rührte sich nicht. Sie rüttelte sie ein wenig und fragte mit bebender Stimme: »Bist du auch Rani, die Gattin Ganapats?« Sie erhielt keine Antwort. Eine alte Frau, zwei Lagerstätten weiter, rief ihr mit heiserer Stimme zu: »Sprich lauter, wenn sie dich hören soll, mein Blümchen.«'

Udschli wiederholte ihre Frage so laut, wie es ihre Bewegtheit zuließ. Da rollte die Kranke langsam ihren verhüllten Kopf seitwärts, ihr Unterkiefer begann zu beben und ein fast unhörbar schwacher röchelnder Laut summte: »Rani. Ich bin Rani. Wer ruft mich an?«

In demselben Augenblick hatte Udschli sich der ganzen Länge nach auf das schmale harte Lager geworfen, das arme Menschengetrümmer in ihre Arme genommen und an sich gezogen und ihr, am ganzen Leibe bebend, ins Ohr gerufen: »Dein Kind, deine Udschli.«

Zuerst blieb die Kranke völlig unbeweglich, wie gelähmt. Dann begann sie schwache Anstrengungen zu machen, um sich den Armen ihrer Tochter zu entwinden, ihr Unterkiefer zitterte heftig und sie zischte: »Rühre mich nicht an! Du darfst nicht!«

»Ich darf, Mutter, ich darf alles,« gab Udschli zurück und ihre Arme schlangen sich fester um die Kranke, deren Kraftlosigkeit keinen weitern Widerstand gestattete. Sie überließ sich mit einer Wonne, die das Zittern ihres Unterkiefers und das Zucken ihrer weißen Lippen verrieten, der unbekannten Empfindung des Gehätscheltwerdens und suchte mit ihren jämmerlichen Armstummeln in schwachen, unsicheren Streichelbewegungen Udschlis Körper zu betasten. So ruhten Mutter und Tochter Brust an Brust und wurden nach lebelanger Trennung wieder eins.

»Warum bist du gekommen, Kind? Mein Ganapat ist doch nicht gestorben?« hörte Udschli endlich ganz nahe an ihrem Ohr.

»Nein, Mutter,« erwiderte sie schnell. »Mein Vater ist wohl und alles ist wohl. Ich habe ein Kind bekommen, ein kleines Mädchen. Wir haben es für uns Kali genannt und Tschandni für die anderen.«

»Ist es heil?« kam die ängstliche Frage aus der tonlosen Kehle.

»Ganz heil, Mutter, und schön wie der Vollmond. Ein Aryakind. Eine Radschatochter.«

Die Halbtote blieb nun ganz ruhig und sagte nichts mehr. Ihre Unbeweglichkeit und Stille ängstigten nach einiger Zeit Udschli und sie erhob sich vom Lager.

»Mutter, ich habe dir Gi und Früchte gebracht.«

Die Alte blieb still.

Udschli rüttelte sie sanft, doch ohne Erfolg.

»Mutter, Mutter, ich muß jetzt gehen.«

Keine Antwort, keine Regung.

Die Nachbarin krächzte: »Sie wird ohnmächtig geworden sein. Flöße ihr etwas Wasser ein.«

Udschli nahm den flachen Tonkrug auf, näherte seinen Hals den entfärbten Lippen der Mutter und fragte angstvoll: »Wer pflegt denn meine Mutter, wenn sie etwas braucht?«

»Wir alle pflegen sie, die wir uns noch rühren können. Ihr Mann bringt uns allerlei mit. Sie ist eine der glücklichsten unter uns.«

Das vorsichtig eingeträufelte Wasser rief eine Schlingbewegung und ein kaum hörbares Ächzen hervor.

Udschli schoß der Gedanke durch den Kopf, sie solle den Verband der Mutter erneuern und bei dieser Gelegenheit ihr Antlitz sehen. Sie gab ihm jedoch nicht nach, wie sie glaubte, weil sie ihre Ungeschicklichkeit fürchtete, auch keinen frischen Leinewandstreifen bei der Hand hatte; in Wirklichkeit, weil sie unbewußt vor dem Anblick zurückschrak, der entsetzlich sein mußte.

Sie näherte sich der Nachbarin, die ihr entgegen krächzte: »Bist du die Tochter der Rani?«

»Ja.«

»Fürchtest du dich nicht, in dieses Haus der Qual zu kommen und deine Mutter zu berühren?«

»Nein.«

»Du hast wohl ein kräftiges Amulett?«

»Das kräftigste,« erwiderte Udschli und ein geheimnisvoll wehmütiges Lächeln huschte über ihr Gesicht.

»Die Götter können wirklich nicht zugeben, daß der Mahâ-Rôg solche Schönheit zerstöre. Du zierst ihre Schöpfung, mein Blümchen.«

»Sei gütig gegen meine Mutter,« erwiderte Udschli bloß und reichte ihr einige Kupfermünzen.

»An uns soll es nicht fehlen,« rief die Kranke erfreut und verbarg das Geld unter ihren zerlumpten Gewändern. Leiser fügte sie hinzu: »Sie wird uns nicht lange mehr brauchen. Sie steht nicht mehr auf. Sie ißt nicht mehr. Nimm Abschied von ihr, sie wird wohl bald erlöst sein.«

Udschli kehrte zu ihrer Mutter zurück und versank in ihre Betrachtung. Plötzlich nahm sie sie, einem unwiderstehlichen Drange gehorchend, vom Lager auf und drückte sie zärtlich an ihre Brust. Die Todkranke wog nicht viel schwerer als ihr Säugling und ihre Arme wiegten sie in der gewohnten Schaukelbewegung. Die Mutter ließ sonderbare, ganz schwache Laute vernehmen, die Udschli auf den Gedanken brachten, daß sie unter ihren Binden weinte. Sie bettete sie wieder behutsam, brachte ihr Antlitz ihrem verhüllten Kopfe ganz nahe, zog einigemale die Luft durch die Nase ein – das Küssen kennt der Hindu nicht – und verließ die halbdunkle Stube.

Als sie unter den Lauben nach dem Ausgange hinschritt, regte sie die stumpfen Kranken zu keinem Blick an. Nur wenige jüngere Insassen des Heims hatten noch Neugierde genug, den Kopf nach ihr zu wenden. Sie aber sah jetzt mit klarem Auge das ganze Grauen der Verstümmelungen, Entstellungen und Zerstörungen und sie schauderte.

»Wie lange du geblieben bist!« sagte Dasa vorwurfsvoll, als sie im Karren ihren Platz neben ihm einnahm.

»Ist Püppchen wach geworden?« fragte Udschli, während sie ihm das Kind aus den Armen nahm.

»Sie hat sich nicht gerührt. Geliebte, es war kein guter Gedanke, hierherzukommen.« Er hatte sich, vielleicht ohne es selbst zu merken, ein wenig von ihr weg ganz an den Wagenkorb gerückt.

»Es war ein guter Gedanke, Geliebter.« Nach einer Pause fügte sie, mehr zu sich, als zu ihrem Manne sprechend, hinzu: »Es hat mich ruhiger und fröhlicher gemacht.«

Ob wirklich auch fröhlicher? Sie blieb auf der Heimfahrt wortlos. Der stärker gewordene Regen klatschte laut auf die Wagendecke. Ihre Tränen tropften leise auf das verschleierte Kind in ihren Armen.

Etwa drei Wochen später kam Ganapat nach der Rückkehr von der monatlichen Fahrt nach Kutsch zu Dasas Hütte und berichtete ohne sonderliche Betrübnis, Rani sei tot und begraben. Sie war es für ihn ja längst gewesen und was er an Trennungsschmerz hatte empfinden können, das hatte er längst empfunden. Auch Udschli bereitete die Nachricht keinen eigentlichen Kummer. Es war ihr im Gegenteil, als löste sich ihr ein immer anwesender, immer beklemmender, wenn auch nicht immer bewußt wahrgenommener Druck vom Herzen und als atmete sie leichter. Das Bild der erlösten Mutter im Grabe war ihr unvergleichlich weniger grauenhaft als das der verlassenen, antlitzlosen Siechen im Krankenhause. Sie pries sich selbst wegen ihres Entschlusses glücklich, ein solches Dasein, ein solches Ende von sich und besonders von ihrem Püppchen abzuwenden.

Das Kind gedieh wunderbar. Sein rundes Gesichtchen war schön wie der leuchtende Tag und aus seinen groß geöffneten Augen lachte die ganze Herrlichkeit des Lebens. Mit acht Monaten richtete es sich ganz allein auf den strammen Beinchen auf und setzte unter jauchzenden kleinen Schreien ein Füßchen vor das andere. Mit neun Monaten griff es sich an den Wänden entlang und plumpste nur hin, wenn die Händchen die Stütze losließen. Es verstand alles, was man ihm sagte, rief seine Mutter: »Am! Am!«, begrüßte die aufgetragenen Speisen mit einem freudigen »Hö! Hö!«, lachte laut, wenn die Mutter es hinter dem Öhrchen kraute, und hob die Händchen hoch, wenn man es fragte: »Wie groß ist Kali?«

Udschli trennte sich von dem Kinde keinen Augenblick bei Tag und Nacht. Sie pflegte es, sie nährte es, sie belustigte es, sie trug es, sie hielt es während seiner drei Tagschläfchen unbeweglich in den Armen und sie fühlte es in der Nacht gegen ihre Brust. Die ganze Dorfschaft bewunderte Udschli. Sie hatte nie eine derartige mütterliche Hingebung gesehen. Und je mehr die junge Mutter sich selbst und alles ringsum vergaß, um so schöner wurde sie, um so prächtiger erblühte sie selbst, so daß ihre Schönheit im Orte sprichwörtlich wurde. Als bei einem Aschtunfeste in einer Frauengruppe wieder von Udschlis Schönheit gesprochen wurde und die schwarze Tschamardirne,Tschamar, eine der niedrigsten Kasten, hauptsächlich im Pendschab verbreitet, doch auch im Osten vertreten. die einzige Feindin, die sie hatte, grinsend auszurufen wagte: »Ja, ja! Und all das ist doch nur für den Mahâ-Rôg,« da erregte diese Lästerung solchen Unwillen, daß die Weiber über sie herfielen und sie blutig züchtigten. Alles pries Dasa glücklich und man wußte es sich nicht zu erklären, daß er sich scheu von allem Verkehr zurückzog, verfallen aussah und wie von Zentnerlasten gedrückt einherschlich. Man kam auf die Vermutung, daß er an einer zehrenden Krankheit litt, und wurde darin durch die Wahrnehmung bestärkt, daß der berühmte Vaëdya aus dem Nachbarort von Zeit zu Zeit herüberkam und die Schritte nach Dasas Hütte lenkte.

Er kam oft, der alte Balarama, doch immer nur bis an die Schwelle. Er sprach in die Hütte hinein, ohne einzutreten. Udschli erbebte, so oft sie ihn erblickte, denn sie fürchtete immer aus seinem Munde das Schicksalswort zu vernehmen: »Es ist Zeit.« Er begnügte sich aber damit, sich ihre Hand zeigen zu lassen, das Kind zu betrachten und dessen Schönheit anzustaunen. Nach zwei Monaten bemerkte er, daß das Kind schon sechs Zähnchen hatte, und er empfahl, es an Reis zu gewöhnen. Es war ein stechender Schmerz für Udschli, nicht mehr die einzige Lebensquelle ihres Püppchens zu sein, und als sie ihm den ersten Löffel gekochten Reises zum Mündchen führte, da schien ihr, als beginne die Entfremdung und Trennung zwischen ihnen. Sie gehorchte aber ohne Murren den Anordnungen des Heilkünstlers.

Das Kind gewöhnte sich rasch an die neue Nahrung und blühte wunderbarer denn je. Und als wieder ein Monat verstrichen war und der Vaëdya wieder kam und sich wie gewöhnlich von Udschli die Hand zeigen ließ, da verweilte sein Blick länger als sonst auf dem schmalen, langen Handrücken, sein in den Saum des Gewandes gehüllter Finger fuhr langsam einigemal darüber und fühlte deutliche Verhärtungen, die auch schon dem Auge als Knötchen wahrnehmbar wurden, und er sprach mit feierlicher Stimme: »Meine Kinder, bereitet euch für den nächsten Neumond.«

Udschli konnte einen bangen Schmerzenslaut nicht unterdrücken und Dasa verhüllte sein Gesicht in beide Hände. Die junge Frau faßte sich indes rasch und fragte nur leise: »Herr, Gebieter, muß es so bald sein?«

Er nickte und sagte mit tiefer Stimme: »Es muß.«

»Sei gütig! Sei gnädig! Denk an meine Tschandni! Kann sie denn die Mutter schon ohne Schaden entbehren?«

»Sie hat sechs Zähnchen, sie ißt Reis, sie läuft. Du kannst an ihr schon leibhaftig die Wirkung deines heiligen Entschlusses sehen.«

Da wischte Udschli sich ergeben die Tränen, die unaufhaltsam hervorgequollen waren, aus den Augen, faßte Dasa am Arm und sprach weich: »Geliebter, sei nicht betrübt. Denke an das Grauen des Krankenhauses. Freue dich über die Schönheit unseres königlichen Kindes.«

Statt aller Antwort sank Dasa vor seiner jungen Gattin auf den Boden, ergriff den Saum ihres Kleides und murmelte schluchzend die Formel der Anbetung.

Udschli hatte sich völlig überwunden und fragte den Vaëdya nach den Einzelheiten. Dieser bestand darauf, sie nur mit Dasa zu besprechen.

Die Sache sollte nicht länger geheim gehalten werden. Sie konnte es auch nicht. Denn da sich in der Dorfflur kein dreigeteilter Pfad mit anliegendem Ödland vorfand, so mußte er im Ried erst angelegt werden und das konnte nicht unbemerkt geschehen. Überdies waren bei der heiligen Handlung die Gebete und Opfer der Brahmanen und die Teilnahme der Kaste unentbehrlich. Man mußte nur verhüten, daß dies Vorhaben außerhalb des Ortes ruchbar wurde und etwa dem englischen Residenten in Kutsch zu Ohren kam, da der »Political«Political, Abkürzung für »political resident«, ist die Bezeichnung des Beamten, der an den Höfen der indischen Vasallenfürsten die englische Regierung vertritt. es sonst würde verhindern wollen.

Auf Dasas Bitte unterzog der Vaëdya sich der Aufgabe, den Brahmanen des Ortes und dem Vater Udschlis die erforderlichen Mitteilungen zu machen. Die sorgten dann dafür, daß die ganze Dorfschaft in den folgenden zwei Tagen erfuhr, was bevorstand. Das erste, was der Dorfälteste im Einverständnis mit seinen Beigeordneten tat, war, sich der dunkeln Tschamardirne und ihrer Mutter zu versichern und sie in Gewahrsam zu halten, bis das Opfer vollzogen sein würde. Denn nur von ihnen konnte man sich eines Verrats versehen. Die ganze übrige Dorfschaft, in der es keinen einzigen Mohammedaner gab, war zuverlässig. Das nächste war, daß alle arbeitsfähigen Männer und selbst halbwüchsige Jungen die drei Pfade durch das Ried bis zur Straße herstellten, die der Vaëdya für nötig erklärte. Eine tiefe Erregung herrschte im Orte, wo von nichts anderem gesprochen wurde. Die Brahmanen erklärten Udschlis Handlung für noch verdienstlicher als ein Sati. Sie besuchten täglich Dasas Hütte, verrichteten umständliche Bräuche davor und darin, und sagten Udschli, sie sei nunmehr eine Heilige, ja eine zur Göttin beförderte Sterbliche, eine Karmadêvata. Wenn sie sich in der Dorfstraße zeigte, knieten die Nachbaren nieder und streckten beide Hände mit aufwärts gekehrter Fläche nach ihr hin. Das war ihrer Demut so peinlich, daß sie ihre Dorfgänge aufgab und nur noch im Weizenfelde hinter ihrer Hütte ihren Säugling die Morgen- und Abendkühle genießen ließ. Sie konnte aber nicht verhindern, daß die Dorfbewohner täglich Blumen, Früchte und Reiskörbchen vor ihre Schwelle legten. Nicht ihr allein, auch Dasa und ihrer Sippe wurden große Ehren erwiesen und ihre ganze Kaste erfuhr eine hohe Rangsteigerung in der Schätzung der Dorfgenossen.

Die Opfernacht war endlich da. Bei Sonnenuntergang erschienen die Frauen ihrer Familie in der Hütte, wuschen Udschli und kleideten sie in neue weiße Gewänder, während die Brahmanen mit dem ganz vernichteten Dasa draußen standen und ihm ernst zuredeten, sich durch Fassung seiner selig zu preisenden Gattin würdig zu machen.

Das junge Weib, sehr bleich, doch ruhig und wunderbar schön, ließ alles mit sich geschehen, ohne den Blick von ihrem Kinde im Bettchen abzuwenden. Als sie angezogen, parfümiert und mit Kleinodien und Blumen geschmückt war, meldete ihre Großmutter der Versammlung vor der Tür, daß alles bereit sei.

Der Vaëdya trat ein, näherte sich Udschli mit einer Metallphiole und sprach: »Trinke dies, Herrin.«

Mißtrauisch blickte sie ihn an: »Was ist es?«

Er zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Es ist ein wohltätiger Schlaftrunk, Herrin.«

Sie wehrte mit einer sanften Handbewegung ab. »Ich will wach bleiben. Zum Schlafen finde ich dort unten Zeit genug. Ich will meine Tschandni sehen, so lange ich kann.«

Der Vaëdya kreuzte die Arme vor der Brust, verneigte sich schweigend, steckte die Phiole in den Gürtel und sagte: »So wollen wir denn aufbrechen.«

»Nur noch einen Augenblick,« bat Udschli, nahm das Kind vom Lager, setzte sich auf die Matte und legte es an die Brust. Der Säugling erwachte nur halb, trank aber herzhaft.

»Sie schmeckt zum letztenmal die Milch ihrer Mutter,« flüsterte Udschli den Frauen zu, die sie umstanden. Alle vergossen heiße Tränen, so daß Udschli bat: »Weint nicht, seht, ich bin fröhlich.«

Als das Kind die Brust hatte fahren lassen und wieder eingeschlafen war, kämpfte Udschli ein wenig mit sich selbst, wand aber schließlich den Säugling in eine Decke und sagte: »Laßt mir sie noch; bis zuletzt; ich werde sie nicht wecken.«

Von den Frauen geführt trat sie vor die Tür. Da stand ein Palki, das die Brahmanen sich verschafft und die Nachbaren mit Decken und Kissen ausgestattet und mit Blumen geschmückt hatten. Udschli wurde mit dem Kinde, das sie nicht aus den Armen ließ, hineingehoben und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Männer des Ortes drängten sich dazu, das Palki zu tragen. Sie mußten häufig wechseln, damit möglichst jeder seinen Anteil an der verdienstlichen Handlung habe. Zur Rechten schritt Dasa, von einem Brahmanen gestützt, zur Linken der Vaëdya; Brahmanen folgten, Fackelträger umgaben den Zug, die Frauen gingen hinterher.

Unterwegs flüsterten die Brahmanen in »upamçu« oder lautloser Andacht unablässig leise Gebete.

Nach wenigen Schritten sprach Udschli mehr zu sich als zu Dasa: »Wehe mir! Sie wird ihre Mutter nie gekannt haben. Nicht den Schatten einer Erinnerung an mich wird sie bewahren.«

Dann nach einer Pause: »Dasa, mein Geliebter, sage ihr, wenn sie groß ist, wie sehr ich sie geliebt habe; o, wie sehr! Mehr als alles in der Welt.«

Dasa schluchzte laut.

»Aber sage ihr nicht,« fügte sie hinzu, »daß ich für sie gestorben bin.«

Die Brahmanen beteten leise, Dasa weinte, in der stillen Nacht war das Zirpen der Grillen hörbar.

Nach einer Weile ließ Udschli sich wieder vernehmen: »Ach, daß ich sie niemals werde sprechen hören!«

Die Vorstellung überwältigte sie und sie brach in Tränen aus. Der Vaëdya faltete bittend die Hände zu ihr, aber sie bemerkte es nicht.

»Wer wird dir die Brautkleider anziehen, mein Schätzchen, mein Püppchen?« sagte sie leise zum schlafenden Kinde und beugte sich zu seinem Köpfchen hinab, um dessen Duft einzuatmen.

Der Zug war im Ried, das im Nachtwind rauschte. Der Tursafluß plätscherte dumpf gegen seine flachen Ufer. Eine ganz schmale Mondsichel hob das eherne Dunkel des sternbesäten Himmels hervor. Die flackernden Fackeln zogen den Feuerkreis enger. Die Träger des Palki hielten und setzten es behutsam nieder.

»Ist es hier?« fragte Udschli bang.

Der Vaëdya nickte. Die Frauen traten heran, um sie herauszuheben.

»Laßt mich!« schrie sie auf und drückte das Kind an sich. Es bewegte sich unruhig im Schlafe.

»Du wirst es wecken, Herrin,« mahnte der Vaëdya ernst.

Udschli wiegte es mit einigen Schaukelbewegungen, dann hielt sie inne, schloß die Augen und ließ sich von den Frauen das wieder gleichmäßig atmende Kind aus den Armen nehmen, die wie gelähmt herabsanken. Die Schwäche dauerte nur einen Augenblick. Sie schüttelte sich, richtete sich auf und stand wieder fest.

»Dasa,« sagte sie, als auf die Weisung des Brahmanen ihr Gatte sie an der Hand faßte, um ihr Führer auf dem letzten Gange zu sein, »gib Kali keine Stiefmutter.«

»O Herrin, wie kannst du glauben!« schluchzte er.

Sie tat einen Schritt, dann wandte sie sich plötzlich um. Die Frauen waren mit dem Kinde zurückgetreten und hielten es außer dem Kreise der Fackelträger.

»Das Kind!« rief sie heftig,, »bringt mir das Kind her! Ich will es sehen! Ich will es nicht aus den Augen verlieren!«

Auf einen Wink der Brahmanen gehorchten die Frauen. Den Blick starr auf den schlafenden Säugling geheftet tat Udschli einige Schritte und stand am Rand einer gähnenden Grube. Einige Fackelträger leuchteten in die Finsternis hinab. Fromme Hände hatten am Grunde Teppiche ausgebreitet. Das Grab war ein weiches Ruhelager.

Die Brahmanen faßten Udschli rasch unter den Armen, hoben sie vom Boden und senkten sie sacht in die Tiefe. Während sie in den Händen der Männer war, schrie sie: »Haltet mir das Kind über den Rand!« Sie fiel unten mit einem Schmerzlaut auf die Kniee, blieb so eine ganz kurze Zeit unbeweglich, dann legte sie sich langsam auf den Rücken, streckte sich aus und faltete die Hände, die Augen weit offen nach oben gerichtet.

Die Gebete der Brahmanen wurden dringender und heißer, ein Regen von Blumen prasselte in den Schacht hinab und der Vaëdya stieß den völlig geistesabwesend und knieschlotternd dastehenden Dasa an: »Bedecke sie!«

Seine erste Bewegung war, zu Udschli hinabzuspringen. Zahlreiche Fäuste hielten ihn jedoch zurück und der Vaëdya wiederholte, seine Hand erfassend und zu einem losen Erdhaufen führend: »Bedecke!«

Die zitternden Finger griffen zu und ließen einige Krumen am Fußende in das Grab rieseln. Gleichzeitig hatten aber alle anderen Erde hinabzuwerfen begonnen.

Mit einem Ruck setzte Udschli sich auf, wehrte heftig die herabkollernden Schollen von sich ab und schrie durchdringend: »Zeigt mir mein Kind!«

Ihr Schrei feuerte die Betenden an. Wie von plötzlicher Raserei ergriffen raffte alles nach Erde und Gras, im Nu war die dem Tode Geweihte bedeckt, ihr Kopf sank zurück und verschwand unter der Erde. Noch zweimal drang ein ersticktes: »Kali! Kali!« kaum hörbar herauf, dann wurde es im Grabe still. Fast augenblicklich war es gefüllt und die immer noch niedersausende Erde erhob sich zu einem schwachen Hügel darüber. Die Brahmanen murmelten Gebete, die Frauen schluchzten laut und um den bewußtlosen Dasa beschäftigte sich der Vaëdya.


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