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Kapitel 3.
Die Expedition nach dem Kingua-Fjord, deren Verlauf und Rückkehr.

Unter Vorbereitungen der verschiedensten Art nahte endlich die Zeit heran, welche für die Abreise der »Germania« nach dem Norden festgesetzt worden war. Nach und nach hatte sich das Schiff in einem Maaße gefüllt, daß es schien, als sollte kaum noch ein Raum für das Personal übrig bleiben, um sich wenigstens einigermaaßen behaglich an Bord einrichten zu können. Die Bauhölzer für das Wohnhaus und die Observatorien mußten an Deck gestaut werden und es blieb fast Nichts mehr für eine freie Bewegung übrig. Obgleich nun das Schiff als ein sehr stark gebautes und segeltüchtiges bekannt war, so erschien es dem Exekutiv-Ausschusse doch rathsam, von bewährten Fachleuten ein Gutachten über die so tief beladene »Germania« einzuholen. Die Herren Marine-Inspektor Möller, Schiffs-Ingenieur A. Timm und Kapitän C. Koldewey hatten die Güte, sich der Aufgabe zu unterziehen, die segelfertige »Germania« zu besichtigen und zu prüfen, ob sie in dem Zustande, in welchem sie sich befand, die weite Reise nach dem Cumberland-Golf und durch das Eis unternehmen könne. Das Gutachten dieser Herren lautete durchaus günstig, und so wurden denn guten Muthes alle Anordnungen für die Abfahrt der Expedition getroffen. Nachdem die ganze Expedition mit allem Zubehör sich an Bord befand – es war dies am 27. Juni 1882 – wurde ohne Verzug das Verlassen des Hafens von Hamburg angeordnet.

Es mag hier erwähnt werden, daß dem Schiffe ein Fäßchen Oel mitgegeben wurde, damit einestheils in schwerer See dem Schiffe durch den Gebrauch des Oels Erleichterung verschafft werden könnte, andererseits Versuche angestellt werden möchten über die Art und Weise der Verwendung des Oels, ebenso wie über die erzielte Wirkung. Diese Thatsache verdient um deßwillen Erwähnung, weil erst mehrere Jahre nachher die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit des Oeles in schwerer See allgemeiner anerkannt und in Schriften anempfohlen wurde. Leider ist aus irgend einem nicht bekannt gewordenen Grunde eine Anwendung des Oeles während der Expedition nicht erfolgt.

Dienstag, den 27. Juni Vormittags, lichtete endlich die »Germania« unter Kapitän Mahlstede die Anker. Wenn auch den wenig in Seefahrt geübten Mitgliedern der Expedition das Scheiden von der Heimath nicht leicht geworden sein mag, so traten sie doch alle, erfüllt von der hohen ihnen gestellten Aufgabe und voll Vertrauen auf die Erfahrung Kapitän Mahlstede's und seines tüchtigen Steuermanns Wencke, die mühevolle Fahrt nach dem hohen Norden an. Das Wetter war trübe und regnerisch, als die »Germania« von einem Schlepper die Elbe hinabgebracht wurde, was nicht dazu beitrug, die Stimmung der Scheidenden besonders zu heben. Allein unter stetem Ordnen der Effekten und Einrichten der kleinen Kajüte flossen die ersten Stunden dahin, bis man bei Brunshausen einige Zeit ankerte, um eine Anzahl von Herren aus Hamburg zu erwarten, welche der Expedition noch bis zur Elbemündung das Geleite zu geben wünschten. Nachdem dieselben – unter ihnen der Vorsitzende der Deutschen Polar-Kommission, Dr. Neumayer, der mit der Mission nach Labrador betraute Dr. Koch, sowie der bewährte einstige Führer der im Eise untergegangenen »Hansa«, Kapitän Hegemann, – an Bord gekommen waren, wurde die Fahrt bei unterdessen gut gewordenem Wetter fortgesetzt und in der Nacht um 1 Uhr, also am 28. Juni, Cuxhaven passirt. Hier verließen die begleitenden Herren das Expeditionsschiff, noch manchen Gruß und schnell verfaßten Brief für die Lieben in der Heimath mit zurücknehmend. Nachdem auch gegen 4 Uhr Morgens der Bugsirdampfer die »Germania« verlassen hatte, war dieselbe nunmehr gänzlich auf sich selbst und ihr gutes Glück angewiesen.

Mancher der jungen Gelehrten mochte nun seinen Gedanken nachhängen und den Lauf der nächsten Jahre zu ergründen suchen, so weit das geistige Wohlbefinden vom körperlichen Unbehagen, welches der erste Tag auf See hervorbrachte, unberührt geblieben war. Am fernen Horizonte verschwand allmählich auch das vielbesuchte meerumspülte Eiland der Göttin »Helge« und mit seinem Verschwinden sagte man der heimathlichen Erde Lebewohl – auf wie lange? – Wer wagte das heute mit Bestimmtheit vorher zu sagen?

Routenkarte der Reisen des Deutschen Expeditionsschiffes »Germania«

Für das weitere Verfolgen der Reise der »Germania« wird sich das, diesem Bande beigegebene Routenkärtchen nützlich erweisen. Dasselbe enthält die Hin- und Rückreise des Expeditionsschiffes sowohl im Jahre 1882, als im Jahre 1883. An der Hand desselben wird man die in der Erzählung gegebenen Besteckfahrten und wesentlichsten Wendepunkte in jeder der Routen leicht erkennen können.

Die weitere Schilderung des Verlaufes der Reise solle von hier an in der Form eines Tagebuches gegeben werden, und demgemäß die Mitglieder als die Erlebnisse selbst erzählend erscheinen.

Mit günstigem Winde machte die »Germania« gute Fahrt durch die leicht gekräuselten Fluthen des deutschen Meeres, um dem fernen Ziele, den eisbedeckten Gewässern des Nordens, entgegen zu ziehen. – Mit dem guten Fortgange der Fahrt erheiterte sich ganz von selbst die etwas melancholische Stimmung immer mehr. Neptun war fast mit Allen von uns gnädig verfahren und schien auch die kleinen Unbilden jetzt durch sanftere Behandlung wieder vergessen machen zu wollen. – Die Lust zur Arbeit erwachte wieder und bald hatte sich für fast jeden eine geeignete Thätigkeit gefunden. Hier wurde die »Koje« in wohnlichen Zustand gebracht, dort die Instruktionen studirt.

Der Leiter der Expedition schreibt in diesen Tagen: »Nachdem wir uns in unseren Kojen eingerichtet, erweist sich die Kajüte als geräumig genug. Die Kajütenthüre ist entfernt worden, so daß der Koch einen Theil des Treppenraumes für seine Zwecke mitbenutzen kann und sogar sich schon mit seinem Schicksale ausgesöhnt hat.«

Nach den ersten Einrichtungen an Bord wurde das Leben daselbst ein sehr regelmäßiges, zumal in den nächsten Tagen Windstille oder nur eine sehr flaue Brise herrschte.

Am 4. Juli machte die »Germania« wieder gute Fahrt und lief die schottische Küste gegen Abend in Sicht. Leider wurde der Wind Abends wieder sehr flau, und die Hoffnung, in der Nacht den Pentland Firth zu passiren, mußte wohl aufgegeben werden; trotzdem machten sich fast alle Herren daran, nochmals Briefe in die Heimath zu schreiben, die mit einem Bericht über den bisherigen Fortgang des Unternehmens dem an Bord kommenden Lootsen mitgegeben werden sollten. – Erst am 7. Juli Morgens zwischen 3 und 5 Uhr segelten wir durch den engen Kanal zwischen den Orkney-Inseln und der Nordspitze Schottlands. Um 3-3/4 Uhr kam ein Lootse an Bord, dem die bereitliegenden Schriftstücke übergeben wurden.

Nun waren wir in dem atlantischen Ocean und unsere Fahrt konnte direkt nach der Davisstraße gerichtet werden. Eine langgezogene Dünung, welche bei schwachem Winde das Schiff arg zum Schlingern brachte, machte uns die Aukunft im freien offenen Ocean recht unangenehm bemerklich. Am folgenden Tage Nachmittags sahen wir das letzte europäische Land, die Inseln Roma und Sulicker, hinter uns verschwinden.

Die Reise ging zunächst nicht sehr rasch von Statten, da die »Germania« häufig vom Kurse abhalten mußte, um bei den flauen Gegenwinden doch einigen Fortgang zu machen. Häufig hatten wir auch für längere Zeit gänzliche Stille. Diese Zeiten wurden dazu benutzt, Lothungen und Temperaturmessungen in verschiedenen Tiefen zu machen. Die Resultate derselben sollen später im Zusammenhang gegeben werden. Siehe Anhang.

Während der ganzen Reise wurde von den wissenschaftlichen Mitgliedern in Gemeinschaft mit Kapitän Mahlstede und dem Steuermann Wenck ein vollständiges meteorologisches Journal geführt.

Auch an der seemännischen Thätigkeit betheiligten sich einige der Herren der Expedition mit größerem oder geringerem Eifer, um im Falle der Noth der schwachen Besatzung hülfreich beistehen zu können; zunächst war da natürlich von Hülfe nicht viel zu bemerken, denn gewöhnlich wurde immer ein Tauende erfaßt, welches zweckmäßiger an Ort und Stelle verblieben wäre. Der Thätigkeitstrieb machte sich aber namentlich auch durch energisches Vorgehen mit Angelhaken und Büchse gegen jedwedes jagdbare Individuum im und über dem Wasser bemerkbar. Ein ab und zu erzieltes Resultat in dieser Richtung bot eine willkommene Abwechselung für unseren Speisezettel. Vom 13. bis 17. Juli hatten wir stärkere Winde, welche nach einer kurzen Pause am 20. und 21. sogar zu einem gelinden Sturm anwuchsen, der manche heitere und ernste Scene infolge unseres äußerst beschränkten Aufenthaltsortes hervorrief. Dr. Giese schreibt über diese Tage im Expeditionstagebuche:

»Sturm, wenn auch nur einen ganz kleinen, so haben wir doch einen Sturm! Der Morgen brachte Regen und dieser zwang uns alle, uns in der Kajüte zu waschen, das ließ uns deutlich erkennen, eine wie große Wohlthat es bei unseren beschränkten Räumlichkeiten gewesen war, daß wir uns bisher hatten auf Deck waschen können. Erst nachdem dieses Geschäft nach und nach unter vielfachen Unannehmlichkeiten, namentlich für die jederzeit unbetheiligten Herren hatte vollendet werden können, konnte daran gedacht werden, Kaffee zu trinken. Nach dem Kaffee beschäftigten wir uns in der Kajüte, und zwar hauptsächlich damit, die Bücher, Chronometer und manche andere Dinge, welche in einer einen Kasten bildenden Bank untergebracht waren, durch Wachstuchüberzüge gegen das durch die Skylights in Menge hereinkommende Wasser zu schützen.

Wir waren zuerst einigermaaßen erstaunt, von Herrn Mühleisen zu hören, daß »Sturm« sei, denn die See war noch ziemlich ruhig. Natürlich fuhren wir alle bei dieser Nachricht in unsere Oelanzüge, um den Sturm in der Nähe zu besehen.

Als wir an Deck kamen, segelte die »Germania« bei steifer Brise vor dem Winde, eine Stunde später lag sie beim Winde doch noch im Kurse und machte etwa 4-5 Knoten. Die Mannschaft war dabei, einen Theil der Segel zu bergen.

Wir blieben ziemlich lange an Deck, einige bis zum Mittagessen, während andere das in ihnen aufkeimende Unbehagen durch ein improvisirtes Frühstück (für gewöhnlich nehmen wir kein zweites Frühstück) zu bekämpfen suchten, freilich ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen. – Zu Mittag wurde es etwas ruhiger, so daß wir ziemlich behaglich bei Tische saßen, und nach Tische einige sogar an Schreiben und Arbeiten dachten. – Von vier Uhr an nahm der Seegang aber schnell zu, und während ich mit dem Studium einiger Instruktionen beschäftigt war, fuhren Tintenfaß und Bücher in bedenklichem Durcheinander auf dem Tische herum.

Als ich um 1/2-7 Uhr wieder ans Deck kam, war die See sehr hoch und der Wind stürmisch.

Der Eindruck des Sturmes auf die Expeditionsmitglieder ist sehr verschiedenartig: Dr. Schliephake und Herr Abbes wurden nach dem Essen akut seekrank; appetitlos und verstimmt war Herr Mühleisen, unsicher Herr Seemann. Die drei übrigen schienen sich noch wohl zu befinden, wenigstens zeigten sie lebhaftes Interesse für das Schauspiel, welches die Wellenberge boten und für die mancherlei humoristischen Episoden, welche der Tag mit sich brachte, eine angemessene Auffassung. Die Wellenberge dürften nach dem Abendessen durchschnittlich 4 Meter Höhe gehabt haben, einzelne besonders hohe sogar 5 Meter erreicht haben.«

Am 21. Juli berichtet das Tagebuch:

»Die letzte Nacht war für uns Alle recht unerquicklich, das Schiff schwankte derart, daß an ein Schlafen nicht zu denken war, denn man mußte fortwährend auf der Hut sein, um nicht aus den längsschiffs liegenden Kojen herausgeschleudert zu werden. Dazu nahm es sehr viel Wasser über, welches in Strömen durch das Skylight von der Backbordseite her eindrang; Dank der Bedeckung mit Wachstuch blieben wenigstens die Chronometer trocken.

Da es erst gegen Mittag etwas ruhiger wurde, hatten wir alle große Neigung, in den Tag hinein zu schlafen und auf die Wohlthat des Waschens verzichtete der größte Theil der Mitglieder, zumal es heute nur Salzwasser zu diesem Zwecke gab.

Die nächsten Tage hatten wir auffallend ruhiges Wetter und häufig völlige Windstille, so daß wir nur langsam vorwärts kamen, am 24. und 25. Juli wurden Tiefseetemperaturen gemessen.

Am 27. Juli hatten wir das erste Eis. – Zunächst zeigten sich in größerer Entfernung einige Eisberge, bald darauf kamen wir aber auch durch eine Menge treibender Eisbrocken von geringer Größe.

Expeditionsschiff »Germania«

Schon am Morgen dieses Tages hatte sich die Nähe des Eises durch die ungewöhnlich niedrige Oberflächentemperatur des Wassers +3.8° angekündigt.

Nachmittags segelten wir zwischen zwei recht ansehnlichen Eisbergen hindurch, welche nur in etwa 1-1/2 Meilen zu beiden Seiten blieben, auch viel Treibeis fand sich wieder ein.

Schon bei Annäherung an die Eisbrocken war mir ihre reihenweise Anordnung aufgefallen, ferner bemerkten wir, daß die Oberfläche des Wassers zu beiden Seiten dieser Streifen verschiedenes Aussehen hatte, da sie auf der einen »rauh«, auf der anderen glatt war. – Es machte den Eindruck, als ob diese Streifen von Eisbrocken die Grenzen zwischen zwei verschiedenen Strömungen markirten, denn wir beobachteten in ihrer Nähe, als wir sie kreuzten, verschiedene trichterförmige Vertiefungen in der Wasseroberfläche, die kleine Wirbel in dem Wasser anzeigten. – (Vom Schiffe konnten dieselben nicht herrühren.)«

Die nächsten Tage brachten wenig Abwechselung, das Wetter schwankte zwischen Windstille mit Nebel und leichtem N und NW, bei dem wir einigermaaßen Fortschritte machten.

Die Eisberge wurden immer häufiger, und kamen wir denselben namentlich im Nebel oft unliebsam nahe.

Wir durchquerten am 30. und 31. Juli die Davisstraße und kamen, nachdem eine Strecke eisfreien Wassers passirt war, in den an der Westseite der Davisstraße herabsetzenden kalten Strom, welcher wieder viel und dichtes Eis mit sich führte. Am 1. August liefen wir die Südostspitze der Cumberland-Halbinsel, Kap Mercy, in Sicht, das erste Land nach vielen Wochen.

Es heißt an diesem Tage: »Wir sind in Sicht des Landes Kap Mercy.«

Das Eis liegt aber so dicht gepackt, daß Kapitän Mahlstede an diesem Abend (wir kamen etwa um 4 Uhr an die eigentliche Eiskante) bei dem unsicheren Wind keinen Versuch zum Eindringen in den Golf glaubte mehr machen zu dürfen. Da der Wind vom Lande absteht, so dürfen wir hoffen, daß sich das Eis etwas auflockere.

Die uns umgebenden Eisberge sind von ziemlicher Größe, einige davon über 200 Meter lang, ebenso breit und weit höher als die Masten der »Germania« (26 Meter).«

Nun beginnt der bei weitem langweiligste Theil unserer ganzen Fahrt. Das Eis erwies sich viel dichter, als mir erwartet hatten, der Wind äußerst unbestandig. Wir kreuzten auf demselben Flecke in engen, bald sich öffnenden, bald sich schließenden kleinen Wasserflächen herum bis zum 14. August.

Jeden Tag wurde die Hoffnung, nun endlich in den Golf zu gelangen, getäuscht, so daß die Frage, ob wir nicht dieses ewige Warten aufgeben und uns nach Upernivik begeben sollten, welcher Fall in unseren Instruktionen vorgesehen worden war, schon mehrfach erörtert wurde. Am 13. August wurde eine diesbezügliche ernste Berathung gepflogen, zumal unsere Reisevorräthe gänzlich zur Neige gingen und die Zeit, in der die Beobachtungen begonnen werden sollten, schon nahe bevorstand. – Die Verhandlungen hatten das Resultat, daß wir vorläufig doch noch an der Eiskante ausharren müßten und erst bei gänzlicher Hoffnungslosigkeit auf ein Eindringen in den Golf uns nach Upernivik wenden dürften. – Nun der nächste Tag schon sollte die Geduld belohnen!

Endlich nach wochenlangem Kreuzen und Bugsiren sollte es uns gelingen, am Montag, den 14. August, in den Cumberland-Golf einzudringen. Diesen wichtigen Tag schildert das Stationstagebuch wörtlich wie folgt:

»Wir sind im Sunde! Ein trüber Tag empfing uns, als wir am Morgen zum Waschen auf Deck kamen. Das Land war gänzlich den Blicken entzogen. Doch steuerte der Kapitän bei verhältnismäßig frischer Brise auf die Stelle zu, wo wir das letzte Mal das Eis am meisten locker gefunden hatten. Gegen 10 Uhr wurde es empfindlich kalt, es fiel etwas Schnee und fing dann an aufzuklären. Bald wurde das Land sichtbar und wir erkannten, daß wir auf der Höhe von Coburg Rock (einer vorliegenden Felsinsel) uns befanden.

Gegen Mittag waren wir schon etwas über unseren bisher fernsten Punkt vorgedrungen und noch immer lauteten die Berichte vom Maste aus über die Lage des Eises vor uns günstig. Erschien auch manchmal von Deck aus der ganze Horizont vom Eise umschlossen, so fand sich doch stets wieder völlig genügend freies Wasser für die »Germania«.

Von Mittag an hatten wir Sonnenschein und damit schönes, warmes Wetter, das unsere Freude über das glückliche Vordringen noch wesentlich erhöhte. Um 4 Uhr flaute der Wind ab, es herrschte kurze Zeit völlige Windstille, dann aber führte uns eine mäßige Brise, die vom Lande (Nordostufer) herwehte, mit einer den Verhältnissen gut angepaßten Geschwindigkeit vorwärts. Wir sind jetzt (10 Uhr Abends) etwa auf der Höhe von Queens-Kap und der letzte Bericht des Steuermannes besagt, daß wir, so viel vom Maste aus zu sehen ist (etwa 15 Meilen), schiffbares Wasser vor uns haben. – Danach dürfen wir hoffen, in dieser Nacht, falls die Brise anhält, den halben Weg nach den Kekkerteninseln zurückzulegen. – Die breite und ununterbrochene Straße im Eise, die sich uns heute geöffnet hat, ist kein eigentliches Küstenwasser, vielmehr findet sich überall am Lande noch ein breiter Eisgürtel, der an manchen Stellen kapartige Vorsprünge weit in die Straße hineinschiebt, welche dann für den auf Deck stehenden Beobachter die Straße ganz zu verschließen scheinen.

In Wirklichkeit hat aber die »Germania« während des ganzen Tages keine ernstlichen Schwierigkeiten zu überwinden gehabt und auch nicht eine einzige größere Scholle berührt.

Interessant war die Wirkung des Tages auf die Mitglieder der Expedition.

Als die ersten Nachrichten, es sei Land zu sehen, wir seien jetzt weiter als das letzte Mal, in die Kajüte hinabgedrungen, hielten die meisten es nicht für der Mühe werth, sich von der Thatsache selbst zu überzeugen. – Ach, wir hatten das in den letzten zwei Wochen so oft gehört und waren doch immer wieder gezwungen worden, umzukehren, warum sollte es gerade heute anders sein; sah doch der Tag gerade so trübe und traurig aus, wie der gestrige auch.

Als aber immer von Neuem die Meldung kam: »Wasser voraus«, da verbreitete sich die erwartungsvolle Stimmung nach und nach über die ganze Gesellschaft, einige gaben bereits den Nachmittagsschlaf auf, den wir uns in den letzten thatlosen und trüben Tagen fast alle trotz verzweifelter Gegenwehr angewöhnt hatten.

Nach dem Kaffee hielten es nur noch zwei der Herren in der Kajüte aus, aber auch ihre Lethargie wurde bald durch den schönen Sonnenschein und die nicht zu leugnenden beharrlichen Fortschritte überwunden, und sie erschienen ebenfalls auf Deck. Da blieben wir denn alle bis zum Sonnenuntergang in freudiger Stimmung, waren wir doch endlich erlöst von der Last des resultatlosen Wartens, das in uns die fröhliche That- und Arbeitslust sehr geschwächt hatte.«

So schnell, wie eben angedeutet, sollte nun das nächste Ziel noch nicht erreicht werden, denn wir hatten noch viel Windstille und auch noch eine Eisbarrière zu passiren, aber doch konnte am 16. Abends die Höhe von Kekkerten erreicht werden. Der letzte Tag war noch ein sehr hübscher und sonnig, so daß wir fast stets an Deck waren.

Um ½5 Uhr aber belustigten uns die mannigfachsten Gebilde der Luftspiegelung, oft mit mehreren spiegelnden Flächen, so daß wir ferne Landstreifen und das unter der Kimm liegende Eis, welches wir gestern durchfahren hatten, mehrfach übereinander geschichtet sahen. – Sehr lebhaft scheint im Golfe das niedere Thierleben zu sein; es wimmelte förmlich von Quallen und den kleinen fischartigen Mollusken, welche wir schon früher mehrfach bemerkt hatten. Auch riesige Tange fischten wir aus dem Wasser, sie bestehen aus langem, runden Stiel, an dem sich auf der einen Seite ein breiter blattförmiger Körper von etwa gleicher Länge wie die des »Stieles« ansetzt, während das andere Ende desselben eine Verästelung trägt von der Form eines Quastes. Ein Exemplar war 8,5 Meter lang.

Die Sonne schien Tags über so warm, daß in einem Blechgefäß das Wasser bis zu 18,4° sich erwärmte, bei einer Lufttemperatur von etwa 8,0°.

Am 17. August ging die »Germania« den Kekkerteninseln gegenüber vor Anker und Kapitän Mahlstede, Dr. Giese, Ambronn, Mühleisen und Seemann nebst Mannschaft gingen mit dem Boote nach der etwa 5-6 Meilen entfernten Ansiedelung. Nach etwa 1¼stündiger Fahrt landeten wir und Kapitän Mahlstede wurde von den beiden Leuten des Herrn Noble, Mr. Mutch und Mr. Hall, als alter Bekannter herzlichst begrüßt. Alsbald begab sich Kapitän Mahlstede, Dr. Giese und Mühleisen mit in das Stationsgebäude, um die Verhandlungen wegen eines Stationsplatzes und wegen event. Unterstützung einzuleiten, während Ambronn und Seemann eine Anhöhe bestiegen, um die geographische Lage der Insel nach Möglichkeit festzulegen. Es fand sich eine Breite von 65° 51', während die Britischen Admiralitätskarten 66° 20' N. Br. geben; die Länge scheint nahezu mit der am letzteren Orte gegebenen übereinzustimmen.

Die Verhandlungen betreffs des Stationsortes wurden verhältnismäßig schnell erledigt, man gelangte zu dem Beschluß, die Etablirung der Station an der von Herrn Noble bezeichneten Stelle zu versuchen, nämlich in dem nordwestlichen engen Fjorde »Kingua-Fjord« genannt. Die Erfüllung unserer weiteren Wünsche betreffs der Unterstützung traf auf größeren Widerstand. Mr. Mutch, der das Kommanbo auf der Niederlassung hat, lehnte zunächst sowohl die Herleihung von Booten (von denen sie 5 haben), als auch die Begleitung eines der Herren ab. – Die Boote seien für sie ein zu kostbarer Besitz, als daß der Verlust eines solchen durch irgend welche Geldentschädigung aufgewogen werden könne, und sie selbst könnten von der Station nicht abkommen. – Doch wurde dieses Thema immer von Neuem aufgenommen und behandelt, und endlich nach 3stündiger Verhandlung, welche viel mit einem afrikanischen Palaver gemein hatte und während welcher zwischendurch immer wieder die verschiedenartigsten nicht zur Sache gehörigen Dinge besprochen wurden, erreichten wir, daß Mr. Hall einwilligte, uns zu begleiten, daß uns zwei Boote und zwei Eskimos mitgegeben werden sollten.

Dieser geschäftliche Theil der Sache hatte noch eine unangenehme Seite insofern, als die ganze Unterstützung als eine Gefälligkeit Seitens der Mr. Noble'schen Leute angesehen wurde, was in solchen Fällen gewöhnlich theurer zu stehen kommt, als eine hohe direkte Forderung. In diesem Falle konnten wir allerdings auch späterhin mit unserer Abmachung zufrieden sein. Beim Verlassen der Station zahlten wir für alle uns geleistete Hülfe mit Ausnahme der Entlohnung der Eskimos, die direkt bezahlt wurde und ausschließlich in Naturalien bestand, die durchaus nicht hohe Summe von 20 Lstr., wozu noch der Austausch theils officieller, theils persönlicher Geschenke und Gegengeschenke kam. Unsere Geschenke bestanden zumeist aus wollenen Kleidungsstücken aller Art, aus Tabak und anderen Kleinigkeiten, während wir dafür Felle und namentlich sehr hübsch ausgeführte Elfenbeinschnitzereien der Eskimos erhielten. Namentlich über die letzteren wird wohl an anderer Stelle noch eingehender berichtet werden. (Band II, Seite 55).

Zur Entschädigung der Eskimos gehörte es auch, daß während der Abwesenheit der Männer die ganze Familie von uns unterhalten werden mußte, doch war das immer noch besser, als wenn in ähnlicher Weise, wie bei den Bewohnern der Ostküste der Davisstraße, die ganze Familie hätte mit an Bord genommen werden müssen, denn das würde bei den Raumverhältnissen der »Germania« auf ernstliche Schwierigkeiten gestoßen sein.

Nach geschehener Berathung machten wir uns sofort an die Ausführung der gefaßten Beschlüsse. Zwei Boote werden zu Wasser gebracht, und während wir mit unserem großen Walboote den Rückweg antraten, nahm Mr. Hall das kleinere seiner beiden Boote ins Schlepptau.

Während unserer Anwesenheit auf Kekkerten hatte sich die »Germania« dem Hafen bedeutend genähert, da eine ziemliche Brise aufgekommen war. So konnten wir denn von unseren Segeln guten Gebrauch machen, wobei sich zeigte, daß unser Boot die Seen vortrefflich nahm und sich überhaupt ausgezeichnet bei dem hohen Seegang bewährte.

In ¾ Stunden waren wir an Bord, während Mr. Hall erst nach längerem Bemühen mit seinen beiden Booten, welche bei weitem nicht so gut manöverirten, empfangen werden konnte; die »Germania« kam dabei der Küste recht bedenklich nahe, doch endlich hing auch das kleinere der beiden Boote in der Takelung, während das größere von der »Germania« ins Schlepptau genommen wurde.

Bei all diesen Arbeiten mußten die Herren der Expedition fast alle tüchtig mit zufassen, da die äußerst geringe Bemannung der »Germania « (Kapitän, Steuermann, Koch und 3 Matrosen) zu schweren Arbeiten nicht genügte. Wir halfen aber zumeist sehr gerne, da die körperliche Unthätigkeit, zu der wir nun schon Monate lang verurtheilt waren, nachgerade sehr lästig zu werden begann.

Mr. Hall hat sich bei Kapitän Mahlstede einquartirt, die beiden Eskimos logiren im Vertrauen auf ihre wasserdichten Anzüge im Kabelgatt.

Am folgenden Tage näherten wir uns dem Eingange in den Kingua-Fjord soweit als es ohne Gefahr geschehen konnte, da aber am Nachmittag Windstille eintrat, konnten wir keinen Versuch machen, in denselben einzulaufen, denn durch die engen Felsthore läuft ein ganz außerordentlich reißender Gezeitenstrom, der zu Zeiten eine Geschwindigkeit von 7 Knoten erreicht. – Der Nachmittag wurde daher Seitens einiger Herren zu einem Jagdausflug in Begleitung unseres neuen Freundes Mr. Hall benutzt. Eine Lothung, welche auf dieser Fahrt in der Nähe der »7 Inseln« vorgenommen wurde, ergab bei 221 Meter keinen Grund und eine Temperatur von -1,0 °C., bei 50 Meter -1,1 °C.

Etwas näher den Inseln bei 36 Meter Grund und Temperatur 0,0°. Die Oberflächentemperatur betrug zur selben Zeit + 1,0 °C.

Am Morgen des nächsten Tages – wegen der vielfachen Schwierigkeiten, welche sich der Einfahrt in den Kingua-Fjord noch entgegenstellten, mag hier eine etwas größere Ausführlichkeit Entschuldigung verdienen – versuchten wir bei ziemlicher Brise in den Fjord einzudringen, doch unmittelbar vor der Enge überfiel uns Nebel und wir mußten schleunigst unser Heil in der Flucht suchen, wobei wir nur mit knapper Noth den vielfachen Klippen entgingen.

Nachmittags, nachdem es wieder aufgeklärt war, wurde der Versuch wiederholt; da es an Wind fehlte, wurde das Schiff mit zwei Booten bugsirt, wobei wir wieder tüchtig rudern mußten. Später kam wieder Wind auf, derselbe war aber konträr und wir mußten wieder umkehren. Es wurde nun mit dem Boote ein Ankerplatz gesucht, der sich fand, aber der mit dem Schiffe nicht erreicht werden konnte, da während dessen wieder Wind aufgekommen war. Das Kommando rief wieder alle Hände an Deck und die riemenfähige Mannschaft in die Boote. So ging es, zwei Boote voraus, in fröhlichster Stimmung trotz der harten Arbeit des Tages, die »Germania« im Tau, den Fjord hinauf, plötzlich faßt der aus den Engen kommende Ebbestrom das Schiff und da hilft kein Rudern mehr, unwiderstehlich werden die Boote mit zurückgerissen und die »Germania« treibt gegen die Felsen! – Der Anker geht nieder, – er hält nicht! – der zweite Anker rasselt hinab – auch er schrammt auf den Felsen mit unheimlichem Geräusche nach, was an Kette an Bord, wird nachgesteckt – endlich, endlich, fast handbreit vom steilen Felsenufer, kommt das Schiff zum Stehen!

Noch eine Minute und die »Germania« wäre verloren gewesen. – So mußten wir in äußerst gefährdeter Lage die Nacht verbringen, noch um 2 Uhr Nachts brachten wir den Reserveanker im Boot an die gegenüberliegende Küste und holten, so weit möglich, die »Germania« mit einer starken Trosse vom Felsen ab, dem wir aber immer noch so nahe waren, daß wir mit langen Bootshaken denselben erreichen konnten.

Das war die unangenehmste Nacht während der ganzen Dauer der Expedition.

Die Erlebnisse der letzten Nacht ließen es geboten erscheinen, mit Mr. Hall noch einmal die Frage zu erwägen, ob sich denn an der freien Küste des Golfes kein geeigneter Platz für unsere Station finden lassen würde. Das Ergebniß war das, daß der einzige geeignete Punkt, »Annactu Harbour«, keinen ausreichenden Platz für die Baulichkeiten der Expedition bieten würde, daß wir ihn außerdem mit einer zahlreichen Eskimokolonie würden zu theilen haben, und daß die von einer solchen unzertrennliche Unreinlichkeit für unsere Gesundheitsverhältnisse während eines Sommers möglicherweise ernstliche Unzuträglichkeiten mit sich bringen dürfte.

Somit wurde doch beschlossen, im Kingua-Fjord selbst einen geeigneten Stationsort aufzusuchen.

Nachdem am Nachmittag jede Hoffnung geschwunden war, noch heute den Ankerplatz zu verlassen, gingen wir theilweise an Land, um uns etwas Bewegung zu verschaffen. Auch wurde die erste photographische Aufnahme gemacht, welche die »Germania« und ihre gefährliche Umgebung zum Gegenstand hatte.

Kingua-Fjord

Nach einem regnerischen trüben Tage hatten wir einen hübschen Abend und sahen zum ersten Male eine große Menge Seehunde in der Nähe des Schiffes; obgleich von unseren Schützen ein lebhaftes Feuer auf sie unterhalten wurde, wurde doch nur einer derselben getroffen, da sie immer nur ein sehr kleines Ziel (den oberen Theil des Kopfes, der über Wasser kommt) darbieten; aber auch dieser eine verschwand in der Tiefe bevor er erlangt werden konnte.

Um sechs Uhr Morgens mußten wir fast alle an die Ankerwinde, denn es war ein hartes Stück Arbeit, zweimal 60-70 Faden Kette und beide Anker hereinzuholen, es kostete manchen Tropfen Schweiß.

Aber es gelang uns nun diesen Morgen leicht die »Narrow passage« zu passiren. Mr. Hall bezeichnete im Fjorde zwei Punkte als für unsere Station geeignet. Etwa um 10½ Uhr befanden wir uns gegenüber dem ersten. Dr. Giese, Ambronn, Mühleisen und der Steuermann gingen an Land, die ersteren den Ort zu besichtigen, der letztere um den Ankergrund für das Schiff zu untersuchen. – Wir entschieden uns später für diesen Platz, da der zweite, den wir am anderen Morgen im Boot aufsuchten, sich als ganz ungeeignet erwies wegen der großen Schwierigkeit, mit der er erreicht werden konnte. Schon auf weiter als eine Meile davon entfernt war das Wasser so wenig tief, daß man auch mit dem leichten Boote nur bei Hochwasser hätte herankommen können, mit beladenem aber schon gar nicht. Außerdem waren die Unzuträglichkeiten des ersten Platzes an dem letzteren mindestens eben so stark vorhanden, namentlich die nahe Umgebung der Berge.

Da der so gewählte Stationsort nun der Schauplatz unserer Thätigkeit während eines Jahres sein soll und es also der Ort ist, an welchen alles Das, was in den nachfolgenden Abhandlungen mitgetheilt, mehr oder weniger eng anknüpft, so ist es wohl gerechtfertigt, wenn hier die Gesammtörtlichkeit an der Hand des hier beigegebenen Planes etwas eingehender beschrieben wird, indem wir die im wissenschaftlichen Theile dieses Werkes bereits gegebene Beschreibung wiederholen:

Der Thalboden hat eine verhältnißmäßig reiche Vegetation an Flechten und Moosen, und an besonders günstigen Stellen findet sich ein Graswuchs, der selbst für europäische Gegenden noch als üppig bezeichnet werden könnte. Hiernach schien auch die Anwesenheit von Wild wahrscheinlich, welche Vermuthung allerdings später schmählich getäuscht wurde. In wirthschaftlicher Beziehung ist aber der Platz außerordentlich günstig gelegen. Für die magnetischen Beobachtungen bietet er kein Bedenken, das anstehende Gestein der benachbarten Berge ist Granit mit geringen Quarzgängen, der Boden unter den Observatorien Sand. Auch für die nöthigen astronomischen Beobachtungen ist freier Ausblick in genügendem Umfang vorhanden. In meteorologischer Hinsicht liegt aber der Ort nicht günstig, da die Lage der steilen Thalwände ohne Zweifel wesentlichen Einfluß auf Windrichtung u. s. w. haben wird. Diesem Mangel wurde dann später durch Errichtung einer meteorologischen Zweigstation auf dem westlich gelegenen Bergrücken (dem Wimpelberg, siehe Abbildung) 214 Meter über der Station selbst einigermaaßen abgeholfen.«

»Von dem etwa in ostwestlicher Richtung verlaufenden und nicht ganz 6-7 Kilometer breiten Fjorde, der rings von steilen und absolut kahlen Felswänden eingeengt ist, zweigt sich nordwärts ein nahe 2 Kilometer breites, von 200-300 Meter hohen Bergen umgebenes Thal ab, dessen Sohle von einem starken Gebirgsbache durchflossen wird. Der unterste Theil des Thales bildet einen Hafen, in welchem die »Germania« einen günstigen Ankerplatz fand. Neben dem ziemlich breiten Iundationsgebiete des Baches finden sich auf beiden Seiten des Thales starke, gegen den Bach steil abfallende Sandlager, von welchen sich an der Mündung das auf der westlichen Seite gelegene, zu einem verhältnißmäßig ebenen Terrain von etwa ¼ Quadratkilometer Fläche und 3-4 Meter durchschnittlicher Erhebung über der Hochwasserlinie erweitert. Diese Stelle ist für den Aufbau der Häuser gegenüber den sonst im Fjorde herrschenden Verhältnissen ganz ungewöhnlich günstig, sie ist eben, es bedarf daher keiner zeitraubenden Axt- und Steinarbeiten zum Planiren des Grundes; sie ist in ihrem größten Theile trocken, geschützt und auch an frischem Wasser kann bei der Nähe des Baches kein Mangel sein.«

Der Wimpelberg (Kingua-Fjord) von Süden gesehen.

Nachdem nun die Entscheidung über die Wahl des Stationsortes getroffen war, machten wir uns sogleich an die Ausschiffung der Ladung. Zu diesem Zwecke wurden das große Walboot und das von der Nobel'schen Station entliehene größere Boot Seite an Seite zusammengekoppelt und auf diesen großen Prahm zunächst die Decksladung, welche die großen Holztheile des Wohn- und Beobachtungshauses umfaßte, gelöscht. Noch am Nachmittage gelang es, eine solche Ladung an Land zu bringen. Dem kräftigen Zufassen aller Hände verdankten wir so einen recht erfreulichen Anfang unserer Stationsthätigkeit. Spät am Abend langte man wieder nach harter Arbeit an Bord an, aber mit dem erhebenden Gefühle, nun endlich der Qual des Harrens und Schwankens überhoben zu sein.

Es ist wohl hier am Platze, auf die Nützlichkeit eines solchen Prahms für Landungszwecke bei solchen Expeditionen hinzuweisen und es sollte stets dafür gesorgt sein, zwei Boote von nahezu gleicher Größe mitzuführen. In den beiden folgenden Tagen konnte die Decksladung gänzlich gelöscht werden und der Aufbau der Häuser begann.

Am 24. August wurden die ersten astronomischen und magnetischen Bestimmungen an Land gemacht. Dr. Giese fand für die magnetische Deklination und Intensität die Werthe:

Dekl. 72° 13' West. Intensität 0,667 Einh. n. Gauß.

Ambronn für die geographische Breite und Länge:

Breite 66° 36' Nord u. Länge 67° 13' West v. Greenw. Vergl. Beiträge zur Bestimmung der Refraktionskonstanten von Dr. L. Ambronn. (Aus dem Archiv der D. Seewarte 1886.)

Am folgenden Tage wurde auch eine Inklinationsbestimmung erhalten und ergab dieselbe: 83° 53'.

Unsere Station befand sich somit fast genau auf dem Polarkreise und in großer Nähe des magnetischen Poles, ja, sie ist thatsächlich die nächste an demselben von sämmtlichen Polarstationen gewesen.

Die nächsten Tage bis zum 5. September, an welchen wir das Wohnhaus der Station beziehen konnten, verliefen in gleichförmiger Weise. Zwei- bis dreimal am Tage wurde unser Landungsprahm mit den Vorräthen der Expedition beladen und nach einem der Landungsplätze der Station, hie und da schwer gegen den starken Gezeitenwechsel ankämpfend, gebracht. Dort hieß es dann immer » all hands on deck «, um mit möglichster Schnelligkeit die Güter aus dem Bereich des Hochwassers auf das hohe Vorland zu bringen, öfters eine recht schwere Arbeit. Bei all dieser Thätigkeit leistete nicht unbedeutende Hülfe eine Anzahl von Eingeborenen, welche sich gegen ein entsprechendes Aequivalent zur Hülfe bei den Landungsarbeiten und dem Bau der Station bereit erklärt hatten. Die Bezahlung dieser Eskimos war allerdings nach unseren Begriffen eine recht kärgliche; sie erhielten pro Mann und Tag 1 Pfund Brod, etwas Kaffee und eine geringe Quantität Syrup; außerdem als Extravergütung noch ein kleines Stückchen gepreßten Tabak. Eine Hauptschwierigkeit bei der Einrichtung der Station bereitete uns die Herstellung eines Ersatzes für das in Hamburg zurückgebliebene astronomische Observatorium. Es sollte dafür ein roher Steinbau hergestellt werden, was aber erst nach vieler Mühe in recht dürftiger Weise ausführbar wurde; allerdings hat er seinem Zwecke nachmalig recht wohl entsprochen. Eine Tagesschilderung des Stationsvorstandes aus jener Zeit mag hier folgen: 28. Aug. »Heute wurde die erste Bootsladung früh am Morgen an Land gebracht, um 4 Uhr Morgens fingen die Leute an die Boote zu beladen und zum Frühstück waren sie wieder zurück. Das Haus ist unter Dach, aber es bleibt noch sehr viel zu thun, noch heute Vormittag, den ich an Bord verblieb, um die Beobachtungen zur Bestimmung der magnetischen Elemente und die Ablenkungswinkel für die Variationsinstrumente zu berechnen, hatte ich die Hoffnung, die Terminbeobachtungen am 1. Sept. beginnen zu können; als ich aber am Nachmittag an Land ging, fand ich jedoch die Arbeiten noch so wenig vorgeschritten, daß wir von den Beobachtungen am 1. Sept. werden absehen müssen.

Unsere Eskimokompagnie ändert sich in ihrer Stärke und Zusammensetzung von Tag zu Tag, heute zählte ich bei der Rückkehr der Boote um Mittag zehn Eskimos. Diese Gesellschaft zu unterhalten ist zwar nicht kostspielig, der Werth ihrer Hilfe aber auch ein sehr verschiedener. Wenn man bei ihnen steht und ihnen genau vorschreibt oder vormacht, was sie arbeiten sollen, arbeiten sie recht tüchtig, ohne Aufsicht aber thun sie so gut wie gar nichts. Unser Zimmermann wird heute zum ersten Male im Wohnhause übernachten, um morgen recht frühzeitig mit der Arbeit beginnen zu können.« An einem der nächsten Tage heißt es weiter: »Heute kamen die Steine und die letzten Proviantkisten an Land. Der erste Anstrich der Wohnräume wurde beendigt, und da das Wetter trocken war, das Dach getheert. Die Kombüse und der Ofen in der Werkstatt wurden gesetzt und geheizt. Auch für die Kombüse erwies sich das Drahtgewebe des Funkenfängers zu eng, sie rauchte, weil, wie bei unserem Zimmerofen, das Gewebe durch den wahrhaft kolossalen Ruß unserer Kohlen verstopft wurde; beide mußten entfernt werden. Der Zimmermann hatte gestern Abend noch die Schwellen zum Variationshause gelegt und heute Morgen konnten die Pfeiler für die beiden Systeme der Variationsapparate und die Lloyd'sche Wage gesetzt weiten; ebenso wurde der Pfeiler für die Hauptuhr und der des Passageninstruments, welche beide in ihren oberen Theilen von Hamburg fertig (in Cementgnß) mitgeführt worden waren, aufgemauert.«

Bis zum 4. September hatten wir unsere Gebäulichkeiten so weit gefördert, daß wir das Schiff verlassen und definitiv an Land übersiedeln konnten. Wenn auch unser nunmehriges Quartier uoch Vieles zu wünschen übrig ließ, so war es doch Allen eine große Erleichterung, aus den fürchterlich beengten Verhältnissen der »Germania«, in denen wir 70 Tage zugebracht hatten, heraus zu kommen.

Es war aber auch höchste Zeit für das Schiff geworden, wenn es seine Rückfahrt unbehelligt vom Eise antreten wollte, denn schon bildete sich in den klaren Nächten Jungeis auf dem Fjorde.

Eiligst wurde Ballast eingenommen und am 7. September lichtete die »Germania« die Anker, um uns zu verlassen. Ein Theil der Mitglieder gab dem Schiffe noch ein Stück Weges das Geleite, aber bald mußten wir von unserem lieben Freunde, dem Kapitän Mahlstede, Abschied nehmen, was mit dem hoffnungsfreudigen Wunsche auf ein glückliches Wiedersehen im nächsten Jahre aus das herzlichste geschah. Auch Mr. Hall und die Eskimos bis auf einen, der für uns engagirt war, verließen uns mit dem Schiffe.

So waren wir denn allein, abgeschnitten von der civilisirten Welt ans die Dauer von mindestens einem Jahre; was konnte sich während dessen nicht Alles ereignen in der fernen Heimath? Hatte doch gerade die »Germania« schon einmal die ereignisreichsten Tage für das Vaterland im hohen Norden zugebracht!

Die »Germania« mußte widriger Winde halber noch einige Tage im Golfe zubringen, erreichte aber dann nach einer nicht zu langen Fahrt, die aber meist bei stürmischem Wetter zurückgelegt wurde, am 18. Oktober 1882 Hamburg und entging somit mit genauer Noth dem schweren Orkane, welcher in den nächsten Tagen in der Nordsee wüthete.

Für uns begann nun eine Zeit angestrengten und vielseitigsten Schaffens, sollten doch zum mindesten bis zum fünfzehnten September die sämmtlichen Apparate aufgestellt sein, damit nicht auch dieser Termintag noch verloren gehen möchte.

Zunächst wurden mit vereinigten Kräften die Häuser unter Dach gebracht, sodann deren innere Einrichtung in Angriff genommen, da erwies sich denn Manches, was sich auf dem Papier recht gut ausnahm, als in Wahrheit ungeeignet; die mitgegebenen Instruktionen stimmten nicht immer genau mit den dazu bestimmten Materialien überein, und was dergleichen unangenehme Kleinigkeiten mehr waren. Die Ausrüstung der 3 Expeditionen hatte eben in staunenswerther Kürze beschafft werden müssen, und da war die eine oder andere Ungleichförmigkeit unvermeidlich.

Nachdem das Wohnhaus und die Observatorien glücklich unter Dach und Fach gebracht waren, mußte zur Aufstellung der verschiedenartigsten Instrumente geschritten werden. In dem Observatorium für absolute magnetische Beobachtungen wurde der magnetische Theodolit aufgestellt, außerdem die Einrichtungen für den Erdinduktor zur Bestimmung der magnetischen Inklination und für das Bifilarmagnetometer von Kohlrausch getroffen. Im Variationsobservatorium wurden die beiden Systeme von Variationsinstrumenten nach Lamout'scher Konstruktion, die Lloyd'sche Wage, sowie ein Galvanometer zur Messung von Erdströmen aufgestellt. Das Passageninstrument fand seinen Platz auf einem sorgfältigst fundirten Pfeiler im astronomischen Observatorium, und für das große Universalinstrument von Pistor und Martius wurde etwa zwanzig Schritte nach Süden hin ein besonderer im Freien stehender Pfeiler auf Betonfundament aufgemauert. Zu den beiden letzten Pfeilern waren die Obertheile in 3 Stücken fertig von Hamburg mitgenommen worden. Vergl. Bd. I die Beobachtungsergebnisse d. D. Polarexpeditionen p. XX u. ff.

Deutsche Station Kingua-Fjord (Cumberland-Golf) 1882-1883.

Den vereinten Bemühungen ist es gelungen, mit der Aufstellung der Instrumente rechtzeitig vor dem 15. September fertig zu werden.

Bevor wir zu der Eintheilung der Beobachtungen und der Schilderung ihrer Ausführung, sowie des Lebens an der Station übergehen, mag hier noch Einiges zur Erläuterung der Instrumente und ihres Zweckes gesagt werden.

Wie die wesentlichsten Beobachtungen, welche an der Station ausgeführt werden sollten, sich einestheils auf die Untersuchung der magnetischen Elemente, anderntheils auf die der meteorologischen bezogen, so waren natürlich auch die zur Verfügung stehenden Instrumente namentlich zu diesem Zwecke gebaut.

Der magnetische Theodolit ist derartig konstruirt, daß man mit demselben sowohl die magnetische Deklination, als auch die Intensität bestimmen kann, während für die Inklination zweierlei Instrumente aufgestellt wurden; nämlich erstens ein Inklinatorium von Casella, ein Instrument, bei welchem eine um eine horizontale Axe schwingende Magnetnadel im magnetischen Meridian sich frei bewegen kann und deren Neigung gegen die Horizontale dann unmittelbar dieses Element angiebt. Zweitens war zu dessen Bestimmung, wie schon erwähnt, ein Erdinduktor vorhanden. Dieses Instrument, im Princip zuerst von Weber angegeben, besteht aus einer Rolle von isolirtem Kupferdraht, welches senkrecht zum magnetischen Meridian bald horizontal, bald vertikal gestellt werden kann. Das Verhältniß der in diesen beiden Lagen in den Drahtwindungen erzeugten galvanischen Induktionsströme zu einander giebt dann auf rechnerischem Wege ebenfalls die magnetische Inklination. Der erwähnte Apparat von Kohlrausch, welcher die magnetische Intensität angeben sollte, kam bei uns nicht zur Ausstellung, da es dazu an Zeit für den einzigen, diese Beobachtungen durchführenden Theilnehmer der Expedition durchaus gebrach. Es kann daher auch von einer Beschreibung desselben hier wohl abgesehen werden.

Wie die eben geschilderten Instrumente dazu dienten, die Konstanten des Erdmagnetismus für den Ort unserer Station zu bestimmen, so waren die in dem Variationsobservatorium aufgestellten dazu bestimmt, die kleinen Schwankungen dieser Konstanten (die Variationen), dauernd zu verfolgen. Bezüglich der Konstruktion dieser Apparate entnehmen wir dem Band I. der Beobachtungsergebnisse der deutschen Polarstation die folgende Beschreibung, während bezüglich der eingehenden Konstruktionsprincipien auf die diesbezügliche Edelmann'sche Schrift, »Die erdmagnetischen Apparate der Polar-Expeditionen im Jahre 1883 u. s.  w.« verwiesen werden muß.

Diese im wesentlichen nach Lamont'schen Principien gebauten Apparate besaßen sämmtlich hufeisenförmige mit leichtem Spiegel versehene Magnete, welche in der Ausbohrung eines dickwandigen vertikalen Kupfercylinders aufgehängt waren. Aus einer mit Fußschrauben versehenen Marmorplatte befestigt, trug dieser am oberen Ende die Suspesionsaxe mit Torsionskopf. Ein Spiegelgehäuse mit Glasfenster umgab den oberhalb des Magnets befestigten Spiegelrahmen mit aufgekittetem Spiegel.

Der eine Satz dieser Instrumente besaß noch einen zweiten, festen sogenannten Mirenspiegel, welcher dicht oberhalb des ersten noch innerhalb des Rahmens lag. Derselbe reflektirte ein zweites Bild der Skala in das Fernrohr, dessen Unveränderlichkeit von der Stabilität des Instrumeuts, sowie des Fernrohres –, welches zu jedem Instrumente gehörte – Kunde gab. Das zweite System besaß nur ein Fernrohr, in dem nach Professor Neumayers Vorschlage die drei Skalen zugleich abgelesen werden konnten, da das Bild einer Skala direkt, die anderen von zwei total reflektirenden Prismen gespiegelt erschienen: die Bilder der drei Skalen lagen übereinander, und es war daher das Ablesen einer Mire in der Art wie bei den Instrumenten des ersten Satzes ausgeschlossen, deshalb fehlten den letzteren Apparaten die Mirenspiegel, im übrigen war die Konstruktion der beiden Systeme die gleiche, nur besaß das Deklinationsinstrument des ersten Satzes oberhalb des Spiegelgehänses einen Ring zum Aufsetzen einer Ablenkungsschiene bei den Konstauten-Bestiinmungen, der bei dem anderen Satze fehlte. Die beiden Instrumente für Horizontalintensität hatten einen um die Axe des Instrumentes drehbaren zweiarmigen Träger, auf welchem ein Ring mit einer Glasschiene zum Befestigen der ablenkenden Magnete auflag. Letztere bestanden aus kompensirten Magnetsystemen, welche durch einen vertikalen Arm an einer über die Schiene geschobenen Hülse befestigt waren.

Die Vertikalinstrumente besaßen, auf der Marmorplatte aufliegend, einen horizontalen Arm, welcher in seinen Enden Vorrichtungen zum Befestigen der vertikalen Eisenstäbe hatte, dieselben befanden sich somit in unveränderlicher Entfernung von der Magnetnadel.

Das erste System mit drei Fernrohren war zum Hauptsystem bestimmt und wurde bei den Termin- und stündlichen Beobachtungen benutzt, das zweite, das sogenannte Kontrollsystem mit dem Neumayer'schen Fernrohre, diente zu täglichen Vergleichen beider Systeme und zu den Störungsbeobachtungen.

Die Lloyd'sche Wage bestand aus einem Röhrenmagneten, der auf einer Stahlschneide balancirte und dessen Enden sich behufs Dämpfung in zwei hohlen Kupfercylindern bewegten.

Der Spiegel befand sich auf einem oben auf dem Magnet befestigten Träger, seine Ebene war horizontal und er war umgeben von einem ringförmigen festen Mirenspiegel.

Ueber beiden war ein total reflektirendes Prisma derart befestigt, daß mit Hülfe desselben das Bild einer horizontalen, über dem Fernrohr befestigten Skala, im Fernrohr von beiden Spiegeln reflektirt erschien.

Dieses Instrument war mit einem besonderen Thermometer versehen, welches in den Hohlraum, in dem der Magnet sich bewegte, hineinragte.

Für die Temperaturbestimmung der übrigen Instrumente war für jedes System ein Thermometer an je einem der Fernrohrpfeiler aufgehängt.

Bezüglich der meteorologischen Apparate mag hier, da deren Einrichtungen ja allgemein bekannt sind, nur die Aufzählung der der Expedition mitgegebenen Instrumente genügen:

2 Kontroll-Barometer nach Fueß-Wild.
2 Marine-Barometer.
2 Aneroid-Barometer.
2 Normalthermometer von Fueß.
3 Maximalthermometer und 4 Minimalthermometer von Fueß.
9 Psychrothermometer von Fueß.
3 gewöhnliche Thermometer mit Papierskala.
4 Weingeistthermometer.
3 Thermometer mit Holzfassung.
3 Schleuderthermometer.
2 Solar-Radiationsthermometer mit schwarzer Kugel im Vacuum.
1 Psychrometergehänse. 3 Regenmesser nach Aßmann.
2 Koppe'sche Haarhygrometer.
1 großes Spektroskop mit Geißler'schen Röhren von Schmidt und Hänsch.
1 Handspektroskop von Browning.
1 Barograph und 1 Thermograph von Hipp.
1 Anemograph mit 2 Recknagel'schen Anemometern (Robinson'sches Schalenkrenz).
1 Windfahne mit Übertragungsapparat.
1 Meteorograph (nach Neumayer) mit Einrichtung zur Messuug der Polarisation des reflektirten Sonnenlichtes.
1 Wolkenspiegel.
1 Aspirator von Zinkblech für absolute Feuchtigkeitsbestimmungen.

Da es wegen der Simultaneität der gesammten Terminbeobachtungen von wesentlicher Bedeutung war, daß die geographischen Koordinaten, namentlich die Länge, mit möglichster Genauigkeit bekannt wurden, war die Expedition auch mit einem Passageninstrumente (gebrochen) von Bamberg mit 55 Millimeter Objektivöffnung, 530 Millimeter Brennweite und etwa 50 und 80facher Vergrößerung ausgerüstet. Daneben war von der Großherzogl. Regierung zu Schwerin mit großer Zuvorkommenheit ein großes Pistor & Martin'sches Universalinstrument hergeliehen worden. (Kreise von 10 Zoll mit mikroskopischer Ablesung, 18 Zoll Brennweite und 21 Linien-Oeffnung).

Die Einteilung unserer Thätigkeit an der Station war selbstverständlich gänzlich abhängig von den auszuführenden Beobachtungen und Arbeiten. – Das, man möchte sagen, Gerippe der ganzen Eintheilung, bildeten die stündlich vorzunehmenden Ablesungen der magnetischen und meteorologischen Instrumente. Diese Ablesungen geschahen nach Ortszeit, wie es die Instruktion vorschrieb, und zwar in der Weise, daß 15 Minuten vor der vollen Stunde die meteorologischen Beobachtungen begonnen wurden mit der Notirung des Barometerstandes, dann die Temperatur, Feuchtigkeit, Windrichtung und Windstärke, Wolkenform und Zug, Niederschlag und was sonst noch an bemerkenswerthen meteorologischen Vorgängen stattfand, folgte. Diese Aufzeichnungen nahmen meist reichlich 10 Minuten in Anspruch, so daß es dann gerade Zeit war, daß sich der Beobachter in das Variations-Observatorium verfügte, um dort, wenn nöthig, die die Skalen der Instrumente beleuchtenden Lampen anzuzünden und sich zu der 2 Minuten vor der vollen Stunde beginnenden Ablesung der Variations-Instrumente bereit zu machen. Diese Ablesungen geschahen in der Weise, daß sie an den drei Instrumenten nach folgendem Schema durchgeführt wurden.

Horizontal-Intensität n h 58 m 0 s
Deklination n 58 m 30
Vertikal-Intensitat n 59 m 0
Vertikal-Intensität (n + 1) 1 m 0
Deklination (n + 1) 1 m 30
Horizontal-Intensität (n +1) 2 m 0

Später, als auch die Lloyd'sche Wage mit abgelesen wurde, geschah dies immer 3 Minuten vor und nach jeder vollen Stunde (von Anfang Februar an).

Diese stündlichen Beobachtungen regulirten auch das ganze Leben an der Station, indem die Anzahl der Stunden, während welcher jeder Beobachter den Dienst zu versehen hatte, bestimmend auf die Tageseintheilung einwirkte.

Um 7 Uhr des Morgens gab der eine Arbeitsmann durch Reinigen des Zimmers das Signal zum Aufstehen für sämmtliche Herren der Expedition.

Bald darauf erschien auch der Koch mit dem Kaffee, zu welchem es regelmäßig eine warme oder kalte Zuspeise gab. – Hatte man des Nachts Wache gehabt, so war das Aufstehen manchmal schwierig, aber es konnte im Interesse der namentlich unter unseren Verhältnissen dringend notwendigen Ordnung nicht für Einzelne die Mahlzeit verschoben werden, und es mußte durchaus der Grundsatz festgehalten werden, daß Derjemge, welcher nicht zur rechten Zeit erschien, seine Ansprüche verwirkt hatte, sofern nicht der Dienst als Ursache der Abhaltung ins Feld zu führen war.

Dieser Dienst war nach Anhörung sämmtlicher Teilnehmer an der Expedition, um nach Möglichkeit etwaige Wünsche berücksichtigen zu können, so geregelt worden, daß an jedem Tage immer zwei Herren ganz dienstfrei waren, bis auf den Spaziergang, den der eine von Beiden nach der meteorologischen Zweigstation anf dem Wimpelberge des Morgens um 9 Uhr auszuführen hatte, um daselbst um 9 h 45 m gleichzeitig mit dem Beobachter an der Station selbst die meteorologischen Elemente zu notiren.

Es war sonach der Tag in 5 Wachen eingetheilt, welche aber nicht von gleicher Dauer waren, sondern zum Theil 4 Stunden, zum Theil 6 Stunden währten. Während dieser Wachen hatte der betreffende Beobachter alle vorkommenden »laufenden Geschäfte« zu besorgen.

Nur an den Termintagen mußte eine andere Anordnung des Dienstes eintreten, da dann immer mehrere Beobachter gleichzeitig in Thätigkeit sein mußten.

Die beste Anschauung über diese Vertheilungsweisen wird die Mittheilung einer Liste gewähren, wie sie jeden Sonntag Nachmittag im allgemeinen Wohn- und Arbeitszimmer angeschlagen wurde:

Auf diese Weise waren die regelmäßig auszuführenden Beobachtungen gleichmäßig auf die Mitglieder der Expedition vertheilt. Anders war es mit demjenigen Theil der Beobachtungen, welcher sich auf die rein astronomische und physikalische Thätigkeit bezog, zu welch letzterem auch sämmtliche feinere magnetische Beobachtungen (absolute Bestimmungen der magnetischen Elemente) zu rechnen waren. Diese Beobachtungen fielen ausschließlich dem Physiker resp. dem Astronomen zu und wurden von diesem neben dem regelmäßigen Dienste noch erledigt.

Die absoluten magnetischen Bestimmungen geschahen, sobald es die Ruhe der Nadeln zuließ, alle 14 Tage, während die astronomischen Beobachtungen, welche aus regelmäßigen Zeitbestimmungen, Ermittelung der Länge und Breite des Stationsortes bestanden, so oft als nur irgend möglich ausgeführt werden mußten.

Damit war aber das Programm der obligatorischen Beobachtungen noch nicht ganz erschöpft, denn es kam dazu auch die Verfolgung der nicht gar seltenen magnetischen Störungen und der Nordlichterscheinungen.

War schon durch diese hier skizzenhaft geschilderten Arbeiten die Thätigkeit der 7 betheiligten Beobachter eine ziemlich angestrengte, so kamen doch ab und zu noch bedeutende Mehranforderungen hinzu, wenn es sich darum handelte, noch Beobachtungen auszuführen, welche zwar nicht absolut erforderlich aber doch immerhin wünschenswerth waren.

Zu diesen gehörten namentlich die Erdstromuntersuchungen, die Wasserstandsbeobachtungen und die nöthigen geodätischen Arbeiten sowie eine Reihe von Beobachtungen über die Refraktionsverhältnisse.

Da es sich hier nur um die Mittheilung der allgemeinen Züge, welche den Aufenthalt an der Station schildern sollen, handelt, kann füglich auf ein näheres Eingehen auf die Details und die Ergebnisse dieser Beobachtungen hier verzichtet werden und muß dieserhalb auf den betreffenden Theil der wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die deutschen Polarunternehmungen von 1882/83 verwiesen werden. Wurden sonach also bedeutende Anforderungen an die Arbeitskraft der Mitglieder gestellt, so war andererseits aber auch für das leibliche Wohl derselben in sehr ausgiebiger Weise gesorgt, und ist nur zu sagen, daß die Verproviantirung, welche zum weitaus größten Theil durch die Firma Wilhelm Richers in Hamburg besorgt worden war, eine ganz vorzügliche gewesen ist. – Leider, und es soll das hier auch nicht ganz verschwiegen werden, konnte die Vertheilung des mitgegebenen Proviantes nicht ganz so erfolgen, wie es für uns alle am zweckmäßigsten gewesen wäre, da die Ansprüche einiger der Herren durchaus nicht immer mit den Umständen in Einklang zu bringen waren, wie es vernünftiger Weise hätte der Fall sein sollen. – Abgesehen von diesen »kleinen« Mißhelligkeiten, die sich immer da einfinden werden, wo eine Reihe von etwas heterogenen Elementen auf lange Dauer zu gemeinsamem abgeschlossenen Leben sich zusammen zu finden haben, muß das Leben an der Station als ein durchaus angenehmes bezeichnet werden.

Eine regelmäßige, wenn auch ab und zu etwas angestrengte Thätigkeit, namentlich für den nicht »mißvergnügten« Theil, und eine gute leibliche Pflege bei vorzüglichen klimatischen Verhältnissen, wirkte auf alle Theilnehmer äußerst gesundheitsfördernd. Schon nach wenigen Monaten unseres Aufenthaltes in Kingua-Fjord ergab eine vorgenommene Wägung eine durchschnittliche Zunahme des Körpergewichtes von 2-4 Pfund pro Mann.

Es darf hier wohl daran erinnert werden, daß im ersten Kapitel dieses Bandes die Ausrüstung der beiden Expeditionen an Proviant näher besprochen und im Anhange Seite 88 und 89 eine ins Einzelne gehende Liste dieser Ausstattung gegeben ist, auf welche hier füglich verwiesen werden mag.

Auch mag sich hieran zu Nutz und Frommen weiterer Polarfahrten, falls ihnen ebenfalls die nöthigen Ingredienzien zur Verfügung stehen, der Küchenzettel für eine beliebig herausgegriffene Woche anschließen, da uns in den theilweise allerdings etwas hieroglyphisch gehaltenen Aufzeichnungen des Koches das nöthige Material dazu noch vorliegt.

1882.

Nov. 6. Morgens: Schinken, Kaffee und Butterbrot.
Mittags: Weiße Bohnensuppe, Texas-beef, Kartoffeln und türkische Erbsen.
Abends: Suppe und Pudding, Bier obder Grog.

Nov. 7. Morgens: Buchweizengrütze, Kaffee und Butterbrot.
Mittags: Grünkohlsuppe, Ochsenfleisch geschmort, dicke Linsen und Schneidebohnen.
Abends: Rauchfleisch, Thee und Butterbrot.

Nov. 8. Morgens: Corned-beef, Kaffee und Butterbrot.
Mittags: Grüne Erbsensuppe, gesalzenes Ochsenfleisch, Sauerkohl, Pudding mit Fruchtsauce.
Abends: Perlgraupensuppe und Lapskaus, Thee.

Nov. 9. Morgens: Hummer, Kaffee und Butterbrot.
Mittags: Linsensuppe, Kalbskarbonade mit jungen Erbsen und Carotten, Kartoffeln. Birnencompot.
Abends: Marinirte Heringe, gebratener Seehund, Thee und Butterbrot.

Nov. 10. Morgens: Reis und Curry, Kaffee und Butterbrot.
Mittags: Backobstsuppe mit Klößen, Texas-beef, Weißkohl und Kartoffeln.
Abends: Reste vom Mittag. Griessuppe. Grog.

Nov. 11. Morgens: Ochsenzunge, Kaffee und Butterbrot.
Mittags: Graupensuppe mit Pflaumen. Hammelfleisch mit Kohl.
Abends: Milchreis mit Zucker uub Zimmt. Thee und Butterbrot.

Nov. 12. Morgens: Schinken, Kaffe und Butterbrot.
Mittags: Weinsuppe mit Sago. Kalbsfricandellen, geröstete Kartoffeln, rother Kohl und Compot.
Abends: Leberwurst. Thee und Butterbrot.

Dazu jeden Tag eine halbe Flasche Rothwein und Sonntags eine Extra-Auflage von 4 Flaschen besseren Weins für 7 Mann.

Die Verköstigung der Mannschaft war ganz dieselbe, wie die der Gelehrten der Expedition und ist daher in obigem Speisezettel mit enthalten; wie uns die Wirtschaftsbücher weiter melden, wurden Seitens des Proviantmeisters für die betreffende Woche verausgabt:

27 Pfd. Texas-beef.
8 Pfd. Kalbskarbouade.
12 Pfd. Hammelfleisch.
8 Pfd. Kalbsfricandelle.
4 Pfd. Corned-beef.
15 Pfd. gesalz. Ochsenfleisch.
4 Pfd. Schinken.
4 Pfd. Rauchfleisch.
2 Dosen Hummer,
1 Ochsenzunge.
3 Pfd. Leberwurst.
2 große Dosen (etwa 10 Pfd.) Butter
6 Pfd. weiße Bohnen.
1 Dose türk. Erbsen.
3 Pfd. Perlgraupen.
2 Pfd. Buchweizengrütze.
1 Pfd. Hafergrütze.
5 Pfd. Linsen.
1 Dose Schneidebohnen.
4 Pfd. grüne resp. präserv. Erbsen.
4 Pfd. Sauerkohl.
2 Dosen Maulbeeren.
2 Pfd. Rosinen und Korinthen.
1 ½ Pfd. Birnen.
2 Pfd. Aepfel.
3 Pfd. Pflaumen.
4 Pfd. Reis.
1 Pfd. Sago.
11 Portionen gepreßter Kohl.
25 Fl. Tischwein.
8 Fl. besserer Wein.
1 Fl. Kochwein.
2 Fl. Rum.
4 Fl. Portwein.
1 Fl. Sherry.
2 Fl. Cognac.
1 Fl. Generver.
1 ½ Fl. Kümmel.
Kaffee.
Thee.
1 Pfd. Griesmehl.
2 Dosen Teltower Rübchen.
1 große Dose Kartoffeln.
2 Pfd. Zwetschen.
2 Dosen Spargel.
1 ½ Pfd. Käse.

Wenn auch abgeschlossen von jedem Verkehr mit der civilisirten Welt, waren wir doch nicht ganz einsam auf unserer nordischen Station, denn zu den Zeiten, in denen entweder die Kommunikation zu Schlitten oder im Boote möglich war, hatten wir sehr häufig den Besuch von Eingeborenen, welche sich einige Male sogar längere Zeit in unserer nächsten Nähe niederließen.

Für die ganze Dauer unseres Aufenthaltes war schon in Kekkerten dnrch Vermittelung von Herrn Nobel's Leuten ein Eskimo engagirt worden, um uns mit seinen Hunden und mit den Resultaten der Jagd hülfreich zu sein. Derselbe hatte diese Verpflichtung für die Gewährung freier Verpflegung für sich und seine Familie, sowie für die Überlassung einer Mauserbüchse nebst Zubehör übernommen; und es kann im Allgemeinen mir gesagt werden, daß er seine Pflichten gut erfüllt hat. Dieser Eingeborene diente auch in den meisten Fällen als Dolmetscher, da er einigermaaßen sich in englischer Sprache verständlich machen konnte. Abgesehen von der Hülfeleistung beim Aufbau der Station hat uns ab und zu immer ein Theil der Eingeborenen bei verschiedenen Geschäften, wobei ihre Erfahrung eine Rolle spielte, unterstützt. Z. B. erlernten wir durch sie den Aufbau der Schneehäuser, und verschiedenes mehr. Namentlich die Kenntniß der Behandlung des festgefrorenen Schnees kam uns sehr zu Statten, als es sich als nöthig erwies, vom Wohnhause aus einen Gang nach dem Variationsobservatorium zu bauen. Dieses Bauwerk aus zwei etwa 1 Meter von einander entfernten parallelen Wänden bestehend, war als Decke mit einer Lage großer prismatischer Schneeblöcke versehen, welche trotz der Breite des Ganges eine große Festigkeit hatten. Erst nach lange anhaltendem Thauwetter wurden dieselben so weich, daß wir den Gang abtragen mußten.

Betreffs der Eigenthümlichkeiten der Eingeborenen, ihrer Sitten und Gebräuche, welche wir kennen zu lernen allerdings nur sehr geringe Gelegenheit hatten, muß an dieser Stelle auf die dem II. Bande beigegebene specielle Skizze, in der Hauptsache aber auf die eingehenden Arbeiten von Dr. Boas verwiesen werden, welch Letzterer sich speciell zu solchen Studien über ein Jahr lang in den Baffinsbailändern aufgehalten hat. Eine andere Unterbrechung der Einförmigkeit unseres Lebenswandels waren die beiden Schlittenreisen, welche im Mai des Jahres 1883 von einigen Mitgliedern der Expedition ausgeführt wurden. – Dieselben hatten in erster Linie den Zweck, die nächste Umgebung unserer Station kennen zu lernen und dieselbe, soweit möglich, kartographisch aufzunehmen.

Die erste Reise wurde am 4. Mai angetreten und es heißt darüber an diese» und den vorhergehenden Tagen im Stationstagebuche:

»2. Mai: Das Hauptinteresse des Tages nahm die Ausrüstung der Schlittenexpedition in Anspruch, welche unter Ambronn's Leitung fjordaufwärts gehen will, um dort die Gegend aufzunehmen. Sie ist berechnet auf etwa 10 Tage, soll am Freitag abgehen und zum nächsten Termintage wieder hier sein. Es werden an der Reise noch theilnehmen Böcklen und Hevicke, außerdem unser Eskimo »Okeitung«, dessen Hundegespann den Schlitten mit Proviant und Instrumenten zu ziehen hat.

4. Mai: Morgens 5 Uhr weckte ich (Dr. Giese) unsere Reisenden, die zum Theil allerdings nicht sehr eilig waren, aufzustehen, um 6 Uhr tranken sie ihren Kaffee und kurz vor 7 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Bis ans Ende des Eisfußes gab ich dem Schlitten das Geleite, kaum war ich aber umgekehrt, so kamen mir auch Hevicke und Okeitung nach; es hatte sich herausgestellt, daß Okeitung's 7 Hunde nicht stark genug waren, den ziemlich schweren Schlitten zu ziehen. Okeitung lieh sich noch 6 Hunde von einem gerade zum Besuch anwesenden Eskimo und bald, nachdem auch diese vor den Schlitten gespannt waren, verschwand dieser hinter der westlichen Hafenbegrenzung.

Natürlich wird die kleine Gesellschaft, mit ihren Vermessungsarbeiten beschäftigt, nicht sehr weit gekommen sein, und von den 13 Hunden stellten sich Abends drei wieder aus der Station ein. – Diese waren den Reisenden durchgegangen, obgleich die bei den Eingeborenen gebräuchliche Vorsichtsmaaßregel gebraucht worden war, den ausgespannten Hunden ein Vorderbein in die Höhe zu binden, um sie am weiteren Laufen zu verhindern.«

Der Zweck dieser Schlittenreise, die Aufnahme des Fjordendes, konnte völlig erreicht werden und es wurde konstatirt, daß der von der Station aus noch weiter landeinwärts gehende Theil sich mehr nach Westen hinwendet und nur noch auf etwa 8 bis 10 Meilen (geogr.) hin sich in der Form eines Fjordes erstreckt. Weiterhin bildet er eigentlich mehr das Ende eines Flußlaufes, der von Nordwesten kommend in den Golf mündet. Da zu dieser Jahreszeit die Reise über Land wenig praktikabel, wurde von einer weiteren Verfolgung des Flusses abgesehen, zumal auch die Dauer der Fahrt nicht weiter ausgedehnt werden durfte.

Nach der Rückkehr dieser Expedition vom oberen Ende des Fjords wurde an die Ausrüstung einer zweiten gegangen, welche die dem Cumberlandgolfe näher liegenden Theile unseres Fjords untersuchen sollte. Unter Leitung Dr. Giese's nahmen daran Theil Herr Seemann und der Zimmermann Weise, sowie wieder der Eskimo Okeitung mit seinem Gespann. – Da in der zweiten Hälfte des Mai der Schnee auf dem Eise schon ziemlich feucht und weich wurde unter dem Einfluß der Sonne, so wurde auf dieser Reife meistens die Nacht zum Marsche gewählt, da dann die Schneedecke wieder gefroren war. Die Ausrüstung zu der letzteren Fahrt war ganz dieselbe, welche sich schon aus der ersten Reise bewährt hatte. – Die Reisenden hatten zumeist Eskimoanzüge, da sich die mitgenommenen Pelze als für die Wanderung viel zu warm herausgestellt hatten und auch außerdem bei diesen Anzügen Beinkleider und Fußbekleidung in einem Stück gearbeitet waren, was für die Bewegung als gänzlich unpraktisch sich erwies. Als Schlafraum wurde ein schon in Hamburg fertiggestelltes Zelt aus Segelleinen mitgeführt. Dasselbe war in Form eines großen Sackes gearbeitet, der zwischen vier Zeltstangen ausgespannt werden konnte. Das Zelt war für 4 Mann eingerichtet, für welche es reichlich Platz bot.

Wenn auch das Zelt einen Boden ans Segelleinen hatte, so wäre das Schlafen direkt auf demselben von Nachtheil gewesen, da während der Ruhezeit der Schnee – auf dem man ja doch lag – aufthaute und sich so eine Lache von Schmelzwasser unter dem Körper bildete. Wir hatten daher für zwei Theilnehmer große Schlafsäcke aus Pelz, in die man ganz und gar hineinschlüpfen konnte, während für den begleitenden Arbeitsmann mehrere wollene Decken mitgeführt wurden.

Wenn auch namentlich die erste Reife noch bei erheblicher Kälte 10°-12° unter Null ausgeführt wurde, so war der Marsch doch ein nicht sehr strapaziöser. So lange es hell war, wurde gemessen und dann das Zelt an einem geeigneten Orte aufgeschlagen, den der vorausfahrende Eskimo aussuchte; sodann wurde auf einem Spiritusofen das Hauptmahl bereitet, welches so eingerichtet war, daß im Wesentlichen das Büchsenfleisch nebst Zubehör nur erwärmt zu werden brauchte. Eine gute Flasche Wein vervollständigte die Mahlzeit. – Nachdem sodann die Ereignisse des Tages kurz niedergeschrieben waren, begaben wir uns zur Ruhe. – So verfloß ein Tag wie der andere, nur ab und zu wurde die Gleichförmigkeit durch ein Rudel Wölfe, welches uns in größerer Ferne umkreiste oder durch die großen Unbequemlichkeiten, welche die Schneeblindheit mit sich brachte, unterbrochen.

Die wissenschaftlichen Resultate der beiden Ausflüge sind in den Karten, welche dem ersten Bande des Hauptwerkes über die Ergebnisse der deutschen Stationen beigegeben sind, niedergelegt, und es kann hier wohl füglich auf dieselben verwiesen werden.

Außer diesen größeren Ausflügen wurden noch mehrfach kleinere Touren unternommen, welche meist zur Sammlung botanischen oder zoologischen Materials dienten, lieber die Erfolge dieser Sammlungen wird in den betreffenden Abschnitten dieser Publikation die Rede sein.

Ende Mai wurde auf der der Station entgegengesetzten Seite des Fjordes eine Mire in Gestalt einer großen Scheibe mit rothem Kreuz angebracht, um später zur Messung von Zenithdistanzen zu dienen, welche zum Zwecke der Bestimmung der Konstante der terrestrischen Refraktion verwandt wurden. – Die durch diese Beobachtungen, welche, so oft es die Zeit und das Wetter erlaubten, von dem Astronomen der Expedition angestellt worden sind, erzielten Resultate fanden ihre eingehende Bearbeitung in einer Publikation der Deutschen Seewarte in »Aus dem Archiv d. D. Seewarte 1886«; dort sind auch einige andere mit diesen Messungen im Zusammenhang stehende Beobachtungsreihen gegeben, von denen namentlich eine hier Erwähnung finden mag. Die Höhenunterschiede zwischen der Hauptstation und der Zweigstation auf dem »Wimpelberge« sind sowohl trigonometrisch als auch barometrisch vielfach gemessen worden. Aus diesen Reihen ergiebt sich, daß in weitaus dem größten Theile des Jahres die das Thal der Station erfüllende Luftschicht kälter gewesen ist als die Temperatur in der Höhe und in der Tiefe. Nur im Sommer findet das umgekehrte Verhältniß statt, denn dann ist diese Schicht wärmer als die Temperaturmessungen oben und unten angeben. Diese Thatsache stimmt auch ganz gut mit den direkt gemachten Erfahrungen, welche beim Besteigen des Wimpelberges täglich gewonnen wurden.

Eine weitere Reihe von kurzen Ausflügen wurde veranlaßt durch die Auslegung zweier Kabelstränge, welche zur Beobachtung der Erdströme dienten. Während im Winter das der Expedition zur Verfügung stehende Kabel in der Länge von etwa 12 Kilometer in einem großen Polygone, dessen Flächeninhalt sorgfältig bestimmt wurde, auf dem Eise des Fjordes ausgelegt war, würde dasselbe, nachdem das Eis aufgethaut war, in Gestalt eines nahezu rechten Winkels, dessen Scheitel sich an der Station befand, in zwei Strecken ausgelegt, von denen die eine sich nahezu magnetisch Nord-Süd, die andere Ost-West erstreckte.

Da die Entfernung der am jenseitigen Fjorde befindlichen Refraktions-Mire genau bestimmt werden mußte, bestand die Absicht, diese Entfernung gleichzeitig als Grundlinie für Höhenbestimmungen von Polarlichterscheinungen zu benutzen. Leider ist diese Arbeit aber nicht zur Ausführung gekommen, denn als die nöthigen Vorbereitungen zum Signalisiren, Messen der Höhen u. s. w. getroffen waren, war die Jahreszeit so weit vorgeschritten, daß die Nächte schon zu hell wurden, um scharfe Contouren der Polarlichterscheinungen wahrnehmen zu können.

Während des Winters war dieses Phänomen bei uns in großer Pracht zu sehen gewesen und ist auch in der eingehendsten Weise beobachtet worden. (Vergl. die betreffende Abhandlung von Dr. K. R. Koch in dem Hauptwerke d. D. Polarkommission und in diesem Bande.)

Es gewährten uns die Polarlichterscheinungen häufig einen wundervollen Anblick. Ringsum die tiefe Ruhe der Polarnacht, höchstens unterbrochen durch das ferne Krachen des berstenden Eises, und am sternenklaren Himmel fort und fort wechselndes, scheinbar regelloses Dahinfluthen der prächtigen Lichtentwickelungen. – Bald scheint ein aus den feinsten Strahlen gewebter Vorhang anmuthig drapirt von den Sternen herab zu wallen, dessen leichter Faltenwurf wie von sanftem Winde bewegt, in jedem Momente einen anderen Anblick gewährt. – Kaum ist die eine Erscheinung über dem Haupte dahingezogen, so verschwindet sie ebenso lautlos, wie schon vorher wieder eine andere entstanden. – Bald ist der ganze Himmel wie mit wehenden Elfenschleiern bedeckt und die wogenden Lichtstreifen vereinigen sich dann häufig zu fächerförmigen Strahlenkronen um den Ort des magnetischen Poles. – In Kingua-Fjord waren die Polarlichter ausschließlich von weißer Farbe, während in südlichen Gegenden z. B. Labrador die lebhaftesten Farbenspiele dabei auftraten. – Während des intensiven Polarlichtes wurden sehr häufig auch erhebliche magnetische Störungen wahrgenommen, so daß auch in diesem Falle ein inniger Zusammenhang beider Erscheinungen wohl außer allem Zweifel stehen dürfte.

Die noch in Aussicht stehende Bearbeitung des auf allen Stationen des internationalen Systems in dieser Richtung gesammelten Materials wird darüber ohne Zweifel noch recht interessante Daten zu liefern im Stande sein.

Haben mit nun in kurzen Worten die Thätigkeit an der Station in ihrem täglichen einförmigen Verlaufe sowohl, als auch in Hinsicht aus die außergewöhnlich hinzukommenden Beschäftigungen zu schildern versucht, so müssen mir uns jetzt der Zeit zuwenden, die dem Abbruche der Station unmittelbar vorherging. Die Erlebnisse, über welche bisher zu berichten war, sind ja nicht in dem Maaße anziehend und spannend für deu Leser, wie das der Fall ist bei der Beschreibung einer Expedition, welche die Aufgabe hat, die geographischen Forschungen in den Vordergrund zu stellen, welche mit Schwierigkeiten der Reise in den unwirthlichcn Gegenden des hohen Nordens und eventuell mit der Gefahr für Leben und Gesundheit der Reisenden in jedem Augenblicke zu kämpfe» hat.

Von solchen Unbilden haben wir ja als gewissermaaßen »seßhafte« Bewohner jener Gegenden nichts zu leiden gehabt.

Einigermaaßen allerdings kamen dergleichen Fragen in Betracht, als das Ende des August 1883 herannahte und wir von unserer »Germania« noch keine Spur entdecken konnten und das Eis vor dem Eingang in den Fjord sich unter dem Einfluß ungünstiger Winde mehr und mehr zu häufen begann. Da mußte die Frage, »was hat zu geschehen, wenn ein Schiff nicht in den Fjord gelangen kann, wenn wir noch einen Winter in dem Cumberland-Golfe zubringen müssen?« doch in Betracht gezogen werden.

Wenn auch diese letztere Aussicht durchaus keinerlei ernstliche Gefahr in sich schloß, so knüpften sich doch Erwägungen ernster Natur daran, zumal die Ansichten einiger Theilnehmer über die Ausdehnung der eingegangenen Verpflichtungen ans eine längere Zeit abweichender Natur waren.

Die Lage der Expedition war, wie schon bemerkt, aber keineswegs eine kritische, obwohl die Proviantvorräthe, denen etwas stark zu Leibe gegangen worden war, nicht mehr lange in so ausgiebiger Weise würden vorgehalten haben. Es war nämlich Ende Juli ein im Golfe den Walsischfang betreibender amerikanischer Schooner durch das Eis in den Kingua-Fjord getrieben worden und hatte denselben noch nicht wieder verlassen können wegen der herrschenden südöstlichen Winde. Dieses Schiff hätte uns also auf alle Fälle später aus dem Fjord hinausgebracht; ob aber dann unsere Instrumente und sonstigen mit zurückzunehmenden Dinge nicht zurückgelassen werden mußten, war damals noch unentschieden, auch konnte der Schooner, sobald günstiger Wind aufkam, uns verlassen, und wären wir dann allein auf unser Walboot angewiesen gewesen, falls die »Germania« nicht in den Fjord gelangen konnte. Vorerst wußten wir aber noch gar nichts von derselben; und es war daher zunächst unsere Absicht, uns Gewißheit darüber zu verschaffen, ob wir überhaupt auf dieselbe rechnen konnten, d. h. ob dieselbe schon in Kekkerten angekommen sei.

Aus diesem Grunde wurde die Absendung eines Mitgliedes der Expedition nach der schottischen Station beabsichtigt. Derselbe sollte sich einem Boote des erwähnten Schooners anschließen, welches die aus diesem Schiff bediensteten Eskimos wegen Brotmangels nach Kekkerten bringen füllte.

Im Expeditionstagebuche heißt es über diesen Punkt am 5. September 1883: Ein Mitglied der Expedition war an Bord des Schooners gegangen, um wenn möglich Salz, welches bei uns zur Neige geht, einzuhandeln; das war allerdings nicht zu erhalten gewesen, doch brachte er die Nachricht mit, daß Kapitän Roach die Hoffnung ausgebe, mit seinem Schiffe in der nächsten Zeit in den Fjord zu kommen, und er deshalb die Absicht habe, mit seinen gesammten Booten nach Kekkerten zu gehen ... Da sich hier nun die beste Gelegenheit bietet, einen von uns nach Kekkerten zu befördern, so sprach ich sofort mit H. Mühleisen, ob er bereit sei, mit Kapitän Roach nach dort zu gehen, um unsere Interessen wahrzunehmen. – Natürlich ist es mißlich, daß von den noch übrigen vier Beobachtern noch einer weggeschickt werden muß, jedoch durfte keinem der unzufriedenen Herren diese Mission zugemuthet werden.

Durch ein unerwartetes Ereignis; wurde diese Reise aber unnöthig, nämlich durch die Ankunft des Herrn Dr. Boas. Da dessen Erscheinen eine wichtige Etappe in unserer Expedition bildet, mag auch hier die in frischer Erinnerung niedergeschriebene Stelle des Tagebuches das »große« Ereigniß schildern:

»Alle Vorbereitungen für Herrn Mühleisen's Abreise waren getroffen, und Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr kam das Boot von Kapitän Roach in Sicht, zu meiner Verwunderung (berichtet Dr. Giese) gefolgt von einem zweiten Boote, in welchem wir bei weiterer Annäherung mir Eskimos erkannten. Als die Boote gelandet waren, ging ich dem Kapitän entgegen, links von ihm drängte sich ein anderer, mir nicht bekannter Mann in der landesüblichen Tracht, doch am Gange sofort als Europäer keuutlich, heran und rief mir schon von weitem »Grüße von der Germania!« zu – Dr. Boas. – Also die »Germania« in Kekkerten! Damit ist entschieden, daß wir morgen mit dem Abbruch der Station beginnen.

Nach weiterer Besprechung mit Dr. Boas, der ja nun die Eisverhältnisse zwischen hier und Kekkerten kennt, habe ich mich entschlossen, uns und unsere Effekten für die Ueberfahrt nach Kekkerten dem Schooner des Kapitän Roach anzuvertrauen, denn es erscheint bei den gegenwärtigen Verhältnissen sehr fraglich, ob und wann die »Germania« bis zu uns vordringen kann, noch fraglicher aber, ob sie die Rückfahrt würde ermöglichen können. Ich handelte hierbei in Uebereinstimmung mit Kapitän Mahlstede, dessen Ansichten ich allerdings nur durch die Mittheilungen des Dr. Boas kenne.

Sehr erleichtert wird mir der Entschluß, die Rückkehr aus diese komplicirte Weise zu bewirken, auch durch die bestimmten Weisungen des Herrn Präsidenten der deutschen Polar-Kommission, der mir die pünktliche Rückkehr in einem Schreiben, welches Dr. Boas überbrachte, zur besonderem Pflicht macht.

Der Abend dieses Tages war für uns ein Feiertag, hatten doch die Beobachtungen nun ihr Ende erreicht, und hörten wir doch nach 15 Monaten wieder die ersten Nachrichten aus der Heimath. Unser Landsmann hatte viel zu thun, alle Fragen und Erkundigungen zu beantworten und mußten doch auch die gegenseitigen Erlebnisse nach Möglichkeit ausgetauscht werden. Die Hauptsache, eine große Kiste mit Briefen und Zeitungen, hatten wir allerdings noch in Aussicht, denn die hatte natürlich auf der »Germania« zurückbleiben müssen. Wie freuten wir uns alle, unseren alten braven Kapitän Mahlstede wiederzusehen, der so gut Wort gehalten hatte, und mit seinem Steuermanne Wencke, der uns auch schon im vorigen Jahre begleitete, bereit lag zur Heimfahrt.

Der Abbruch der Station, der sofort am 8. September begann, dauerte nur drei Tage, obgleich noch vielerlei Arbeiten auszuführen waren. Viele Eskimos leisteten bereitwilligst Hülfe.

Am 8. September reiste Dr. Boas wieder nach Kekkerten, um den Kapitän der »Germania« von unserem Vorhaben in Kenntniß zu setzen. Am 11. September heißt es dann: »Wir sind heute noch nicht an Bord gegangen, da dort, nachdem die Stationseffekten heute mit zwei weiteren Bootsladungen völlig an Bord gebracht worden sind, noch zu viel zu thun war, um unter Segel gehen zu können. Abends, als sie mit Allem fertig waren, kamen Kapitän und Steuermann noch einmal an Land und wir verabredeten, daß das Personal der Station mit Bett und Privatgepäck morgen am frühen Vormittage an Bord kommen solle, wenn der Wind günstig sei. Sollte aber die Abfahrt nicht möglich sein, so wollten wir noch in unserem Hause verbleiben.

Es sah heute Abend recht kahl und öde in unserem Zimmer aus, zu thun war Nichts mehr, bei einem auf eine Flasche gesteckten Lichte spielten wir den letzten Skat in Kingua-Fjord, der aber, als ein günstiger NNW-Wind aufkam, jäh abgebrochen wurde, um noch ein paar Stunden der Ruhe zu pflegen.«

Am nächsten Morgen wurden wir frühzeitig mit der Nachricht geweckt, daß der günstige Wind angehalten habe und daß Kapitän Roach beabsichtige, diesen Morgen noch unter Segel zu gehen. Sofort wurde alles noch im Hause Befindliche ins Boot geschafft und sodann den Eskimos der Eintritt in die Häuser gestattet, damit sie sich überzeugen konnten, daß Nichts mehr für sie werthvolles darin sei. Auf diese Weise hofften wir die Häuser am besten vor Zerstörung zu schützen. Hierauf wurden Fenster und Thüren zugenagelt.

Um 10 Uhr ging der Anker des Schooners »Lizzie P. Simmonds« in die Höhe und um 4 Uhr Nachmittags waren wir im Golfe. – Die mm folgende Nacht war keine angenehme, da der Raum ganz außerordentlich beschränkt war und daher an Schlafen kaum gedacht werden konnte, soweit nicht die Wachthabenden des Schiffes uns abwechselnd ihre Ruhestätten überließen.

Am Morgen des 13. September befanden wir uns Kekkerten gegenüber und sahen, das; die »Germania« und noch eine Brigg im Hafen lagen; die letztere hatte die Walerstationen mit Proviant versehen und nahm auf der Rückreise die Resultate des Fanges mit nach der Heimath.

Der Steuermann der »Germania« kam an Bord gefahren und begrüßte uns und wir ihn auf das herzlichste; hatten wir doch nun die Gewißheit, bald auf unserm Schiffe nach gelöster Aufgabe in Deutschland erscheinen zu können.

Die »Lizzie P. Simmonds« lief gleich nach Ankunft des Steuermanns in den Hafen und legte sich längsseits der »Germania«, um sofort mit der Umladung der Effekten zu beginnen. Nun gelangten wir auch in den Besitz der Briefe und Zeitungen aus der Heimath! Jeder hatte auf einige Zeit jetzt mit sich selbst zu thun, um alle die Grüße und Berichte der fernen Lieben wieder und wieder zu lesen.

Freilich waren nicht Alle mit froher Kunde erfreut worden, Herrn Seemann war während seiner Abwesenheit die Mutter, und Hevike der Vater entrissen worden. – Von allgemeinen Neuigkeiten aus der civilisirten Welt erregte am meisten unser Interesse der große vulkanische Ausbruch des Krakatau, der ja nachmals in der wissenschaftlichen Welt noch so viel » Staub aufgewirbelt« hat.

Zwei Tage nach unserer Ankunft in Kekkerten, nachdem noch ein reger Tausch- und »Geschenk«-Handel stattgefunden und der Kapitän Noach für die Ueberführung von Kingua-Fjord nach Kekkerten als ein »Geschenk« für seine Rheder, für sich und die Mannschaft 55 Lstr. erhalten hatte, gingen wir ans der »Germania« unter Segel und verließen, begleitet von einem großen Theile der Besatzung der anderen Schiffe, den Hafen von Kekkerten. Die mit uns gleichzeitig in Kekkerten anwesende Brigg »Katharine« nahm eine Kopie unserer Beobachtungsbücher, welche in den letzten Monaten auf der Station angefertigt worden war, mit nach Schottland, um so für den Fall eines Unglücks wenigstens die wichtigsten Resultate gesichert zu wissen.

Als private Anerkennung für Kapitän Roach bekam dieser nochmals auf Kosten der gesammten Theilnehmer an der Expedition ein leichtes Jagdgewehr übersandt, wie er ein solches sich so sehr wünschte, da er schwere Gewehre, nachdem ihm durch ein ablaufendes Tau ein Arm abgerissen worden, nicht mehr handhaben kann.

Ziemlich schweres Wetter empfing uns im unteren Theile des Golfes und mußten wir fast Alle wieder Neptun unseren Zoll entrichten. Am 18. September Abends passirten wir ausgehend aus dem Golfe Cap Mercy und kehrten nun dem Lande unserer Thätigkeit den Rücken; nach den aufregenden Erlebnissen der letzten Tage waren wir froh, wieder uns selbst überlassen zu sein, wenn auch das Dasein auf der »Germania« namentlich bei schwerem Wetter keinerlei Annehmlichkeiten bot, sondern eher einen recht tristen Eindruck machte.

Die nächsten Tage machten wir gute Fahrt bei steifem Winde und konnten am 29. konstatiren, daß wir die Länge von Kap Farewell passirt hatten. Das mildere oceanische Klima brachte allerdings größere Wärme, aber nicht das erwartete gleichmaßigere Wetter, denn die um diese Zeit im Atlantischen Ocean beginnenden Stürme machten sich schon ziemlich fühlbar.

Bei theils schwerem Wetter und schlechtem Fortkommen durchschnitten wir doch in 11 Tagen den Atlantischen Ocean und liefen am 8. Oktober die schottische Küste bei Dunnet Head in Sicht.

In der Nacht vom 8. zum 9. Oktober fuhren wir durch den Pentland Firth und konnten dort durch den an Bord kommenden Lootsen die ersten Nachrichten nach Deutschland gelangen lassen. Die spärlich bewaldeten grünen Höhen Nordschottlands wurden mit Freude begrüßt, es waren seit 1½ Jahren die ersten Bäume wieder, die wir zu Gesicht bekamen.

Jetzt wurde der Kurs direkt auf die Elbe gesetzt und bei gutem Wetter konnten wir mit unseren Briefen zugleich in Hamburg eintreffen. Das sollte aber nicht der Fall sein. Schlechtes Wetter und widrige Winde empfingen uns in der Nordsee, sodaß uns unsere gute »Germania« noch zum Schlusse recht tüchtig hin und her warf, denn auf jeder der kurzen Wellen dieser Gewässer machte das kleine Schiff die heftigsten Bewegungen.

Endlich am späten Abend des 15. Oktober sahen wir das Feuer von Helgoland und noch des Nachts kam ein Lootse an Bord und brachte uns glücklich am Mittag des 16. Oktober vor Cuxhaven zu Anker. Die Expedition hatte Ordre erhalten hier zu warten, bis der Vorsitzende der Deutschen Polarkommission von Hamburg eintreffen werde, um uns nach dort zu geleiten.

Am Abend desselben Tages kam denn auch Herr Dr. Neumayer in Begleitung einiger anderer Herren. Nach freundlicher Begrüßung ging die Fahrt im Tau eines kleinen Dampfers elbaufwärts. Um 4 Uhr am Morgen des 17. Oktober ging die »Germania« vor St. Pauli zu Anker und alsbald begab sich der größte Theil der Herren an Land, um den heimathlichen Boden nach langer Abwesenheit zum ersten Male wieder zu betreten.

Alle waren wir gesund und munter wieder daheim angelangt, hatte doch auch während unserer Anwesenheit auf der Station ein irgendwie ernstlicheres Unwohlsein Niemanden befallen. Um das gute Glück, welches die Expedition während des ganzen Unternehmens begleitet hatte, noch zu krönen, entging die »Germania« durch ihr zeitiges Einlaufen in die Elbe einem schweren Sturme und möglicherweise ihrem Untergange. Gegen Mittag am 17. Oktober frischte der Wind an der deutschen Küste bis zum mäßigen Sturme auf und wuchs im Laufe des Nachmittags und während des 18. Oktober orkanartig an, so daß dieses Sturmphänomen zu den schwersten gerechnet werden kann, welche in den letzten Jahren die Gestade der Nordsee heimgesucht haben.

*

Die Geschichte der Nord-Expedition würde unvollkommen sein, wenn nicht die Fahrt der »Germania« im Sommer 1883 zum mindesten in allgemeinen Zügen nachträglich noch angefügt werden würde. Wir geben dieselbe nach den Berichten des Herrn Dr. Boas, welcher an Bord der »Germania« die Fahrt mitmachte, um später unabhängig von dem deutschen Unternehmen im Baffin-Lande Reisen zum Zwecke geographisch-ethnographischer Forschungen zu unternehmen.

Nach einigen, seinen Bericht einleitenden Bemerkungen schildert uns Dr. Boas die Fahrt der »Germania« nach dem Kingna-Fjord, wie folgt. Dr. Franz Boas. Baffin-Land. Geographische Ergebnisse einer in den Jahren 1883/4 ausgeführten Forschungsreise. Ergänzungsheft Nr. 80 zu »Petermann's Mittheilungen«.

»Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, schiffte ich mich am 20. Juni 1883 mit meinem Diener Wilhelm Weike an Bord der »Germania«, Kapitän Mahlstede, ein. Am 28. erreichten wir Pentland Firth und sagten hier Europa für lange Zeit Lebewohl. Bald verschwanden die hohen Küsten unseren Blicken und wir verfolgten unseren einsamen Weg nach der eisumlagerten Küste des hohen Nordens. In ungemein glücklicher Fahrt durchsegelten wir den Ocean und befanden uns am Abend des 8. Juli auf der Höhe von Kap Farewell, das wir in einem schweren Sturme passirten. Am 9. fanden wir uns in der Davis-Straße und segelten langsam nach Norden. Noch hatten wir kein Eis erblickt und Nichts verkündete seine Nähe, bis wir am 11. in dichtem Nebel vor uns das Brausen der Brandung hörten. Lauter und lauter wurde der Schall und nun sahen wir das erste Eis, einen losen Streifen kleiner Brocken, der bald umsegelt war und fast ebenso rasch, wie er aufgetaucht, den Blicken und dem Gehör entschwand. Wiederum breitete sich offenes Wasser ringsum aus, und wir verfolgten ungehindert den Kurs auf Kap Mercy, die Südspitze der Cumberland-Halbinsel. Am 15. Juli bekamen wir die ersten Eisberge in Sicht, bald folgten einzelne Schollen und am 16. sahen wir uns endlich vor dem geschlossenen Packeise.

»Nun begannen wahrhaft peinigende Wochen für uns. Wo wir auch immer versuchten, die Schranke, welche uns von dem nahen Lande trennte, zu durchbrechen: überall wurden wir zurückgeschlagen, überall stand das Eis uns mauergleich entgegen. Oft hofften wir, eine Einfahrt gefunden zu haben, mußten aber, nachdem wir unseren Weg durch loses Eis erzwungen hatten, vor der festgeschlossenen Küste umkehren. Dazu wechselten unaufhörlich Windstillen und Nebel ab, die tagelang anhielten und die Schifffahrt oft sehr gefährlich machten, denn häufig sahen nur erst im letzten Augenblicke die Eismauern, welche vor dem Schiffe im Nebel auftauchten, und kaum gelang es, denselben ungefährdet aus dem Wege zu gehen. Drei Wochen trieben wir so anfänglich in einer Entfernung von etwa 200 Kilometer vom Lande umher: wo wir auch durchzudringen versuchten, überall in Nord und Süd fanden wir unseren Weg versperrt. Mitunter erschien in duftiger Ferne die Küste, durch Luftspiegelung gehoben über dem Eise. Besonders in den frühen Morgenstunden verursacht sie die schönsten Erscheinungen. Dann leuchtet oft das Land im zartesten Violett, die durch die Strahlenbrechung mauerartig erhöhte Eiskante erschien hellblau, und davor lag das hellgrüne Meer: ein Anblick, der uns oft für viele Enttäuschungen entschädigen mußte.

»Während all dieser Wochen bildete das Eis südlich vom Kap Mercy eine tiefe Bucht, so daß wir stets hier dem Lande am nächsten kamen. Allmählich wurde das Packeis loser und wir durften hoffen, nun bald in den Sund einzudringen. Als sich endlich ein frischer Ostwind aufmachte, wich das Eis weit zurück und wir gelangten nahe an das Kap heran. Aber hier wurde unseren Fortschritten ein neuer Einhalt gethan, denn wieder lag eine dicht geschlossene Mauer vor uns und fast verzweifelt kehrten wir wieder zurück, um vor dem Eise zu treiben, bis die Verhältnisse sich besser gestalteten.

»So hofften wir von einem Tage zum anderen, aber nichts, gar nichts änderte sich in unserer Lage. Greifbar nahe lag der Eingang des Sundes vor uns, aber nie konnten wir auch nur einen Schritt Raum gewinnen. Endlich um Mitte August öffnete sich das Eis so weit, daß wir hoffen durften, vorwärts zu kommen, aber nun hatten wir eine volle Woche Windstille und wir trieben willenlos mit dem Eise hin und wieder.

»Erst am 25. August, also nach 41tägigem vergeblichen Mühen wurden wir endlich aus dieser Pein erlöst. Ein leiser Luftzug trieb uns langsam voran. Wir fanden das Eis zwar noch recht dicht, aber doch offen genug, um durchsegelt zu werden, und so verloren wir endlich die steilen Höhen, welche wir sechs lange Wochen immer und immer wieder in derselben Lage gesehen hatten, aus dem Auge.

»Das Eis, welches diesen Gürtel zusammensetzte, bestand fast durchweg aus Schollen von höchstens einigen hundert Schritten Durchmesser, und nur so lange wir uns weit außerhalb des Sundes befanden, trafen wir auch ausgedehntere Felder. Dort waren die Massen durchweg schwerer, als nahe dem Lande, und einzelne Stücke erreichten wohl eine Dicke von 6 Meter. Unzweifelhaft war dieses Eis aus der Hochsee gebildet, und die hohen Zacken und Spitzen, welche von der See unterwaschen waren, können nur als Reste von Höckern gedacht werden. Die Dicke der größeren Felder schien nach meiner Schätzung 2 Meter nicht zu überschreiten. Dabei legten die zahllosen ausgepreßten Schotten und die hohen Höcker Zeugniß ab von den heftigen Pressungen, denen dieses Eis ausgesetzt war. Es steht zu vermuthen, daß anfänglich, als der Eisgürtel noch mehr als 200 Kilometer breit war, sich ausgedehnte Felder im Innern befanden; später, als wir die Massen durchsegeln konnten, sahen wir nirgends Stücke von nennenswerther Ausdehnung. Schon von Anfang an trugen die Schollen die Spuren starker Schmelzungen, so daß es bei dem leichteren Eise, welches wir im Eingange des Sundes trafen, und dessen Oberfläche aus Wassertümpeln und niederen rundlichen Erhebungen bestand, schwer war, eine Ansicht über den Ursprung zu gewinnen.

»Nach der Anschauung, welche ich im folgenden Sommer von dem Küsteneise der Davis-Straße gewonnen habe, halte ich es für das durch das Aufbrechen dieser Massen entstehende Treibeis. Hierfür spricht auch die Abwesenheit von Eisbergen in dieser Zone.

»Am Morgen des 26. August fanden wir uns nahe der Warhams-Insel, wo noch einmal Nebel und Sturm unseren Fortschritt hemmten. Es war die letzte rauhe Begegnung mit dem von hohem Seegange bewegten Eise, welche die »Germania« auf jener Reise haben sollte. Am Morgen des 28. klärte es sich auf, wir gelangten in offenes Wasser und sahen nun zur Rechten die Insel Miliakdjuin. Nun trat auch Kekkerten aus dem Nebel hervor und gegen Mittag fanden wir uns vor dem Eingange des Hafens, von dem uns noch ein breiter Eissaum trennte. Im Norden bot das Meer und der Himmel einen wenig versprechenden Anblick, denn Nichts als schweres Eis war hier zu sehen und kein dunkler Schimmer verkündete fernes Wasser.

»Als mir noch wenige Meilen vom Hafen entfernt waren, trafen wir auf ein Boot der schottischen Station, welches von der Jagd zurück kam. Wir erfuhren nun, daß noch vor wenigen Tagen hier undurchdringliche Eismassen gelegen hatten und – für uns die erfreulichste Nachricht – daß auf der deutschen Station in Kingua Alle munter und gesund seien.

»Da vorläufig keine Aussicht war, weiter nach Norden vorzudringen, liefen wir in den Hafen ein, welcher an der Nordseite der Insel gelegen ist. Bald erblickten wir die amerikanische Station, welche sogleich ihre Flagge hißte. Mit lautem Geschrei liefen die Eskimofrauen zum Strande herunter, ließen ein Boot ins Wasser und fuhren uns entgegen, um die »Germania« mit in den Hafen zu bugsiren. Mit Hilfe von drei Booten gelangten mir glücklich gegen Wind und Eis in den Hafen.

»Erst jetzt konnten mir mit Muße unsere Umgebung betrachten. Die mäßig hohen Inseln steigen meist in sanften Abhängen aus dem Meere empor. Kein Strauch schmückt das fahle braune Gestein, welches in gewaltigen Quadern und gerundeten Blöcken die Berghänge bildet. Wie tobt, wie öde erscheint diese Landschaft!

»Doch heute zeigte sich am Strande reges Leben. Da standen neugierig die Eingeborenen umher, vergnügt lachend und lebhaft schwatzend. In der Nähe der Zelte wimmelte es von Hunden, die zur Sommerszeit müßig herumlungern. Dort sahen mir das freundliche Wohnhaus der Station des Herrn Noble nebst seinen Lagerhäusern und näher der Küste die Häuser der amerikanischen Station von Williams & Co. aus New London.

»Gegen Abend betraten der Kapitän und ich endlich das Land, um mit Herrn Mutch, dem Vorsteher der schottischen Station Rücksprache zu nehmen. Ich fand bei ihm das bereitwilligste Entgegenkommen, und so waren wir bald beschäftigt, Kisten und Kasten, Kohlen, Fässer und Instrumente an Land zu schaffen.

»In wenigen Tagen waren diese Arbeiten vollendet, und wir hatten nun Muße genug, die Insel und ihre Bewohner zu betrachten. Denn noch immer war der Golf mit Eis bedeckt und keine Möglichkeit vorhanden, nach Norden vorzudringen. Das Jahr 1883 war ein außergewöhnlich ungünstiges, denn fast nie ist der Golf so weit mit Eis erfüllt, wie damals, und selten wehen so andauernde Südwinde, die das Packeis aus der Davis-Straße in den Sund treiben. Wir waren gezwungen, unthätig im Hafen zu verweilen und mit Schrecken sah ich, wie die kostbare Sommerszeit ungenutzt vorüber ging. Auch für die Whaler war der Sommer 1883 kein glücklicher gewesen. Im Frühjahr, der Hauptfangzeit, war so viel Eis im Cumberland-Sunde, daß sich kein Boot hinauswagen durfte, und Kapitän Roach, welcher das Schiff der amerikanischen Station, die »Lizzie P. Simmonds«, führt, wurde, als er am 7. Juli versuchte Kekkerten zu verlassen, unmittelbar vor dem Hafen besetzt und willenlos fortgetrieben. Man hoffte in Kekkerten, daß er Kingua (-Fjord) erreicht habe, wußte aber nichts Gewisses über ihn.

»So vergingen acht Tage in ungeduldigem Warten auf eine Besserung der Verhältnisse. Am 3. September kam ganz unerwartet ein Boot mit Eskimos in Kekkerten an, welche Nachrichten von Kapitän Roach brachten, der sich glücklich nach Kingua gerettet hatte, aber in großer Proviantnoth war. Zugleich erhielten wir einen Brief von Herrn Dr. Giese, dem Leiter der deutschen Station, in welchem er um Auskunft bat, ob die »Germania« angekommen sei oder nicht. Leider war die Jahreszeit schon so weit vorgerückt, daß wir ernstlich befürchten mußten, auf große Schwierigkeiten auf dem Wege nach Norden zu stoßen. Die engen Passagen, welche in den Fjord führen, können nur bei Südwind passirt werden, besonders weil daselbst eine sehr heftige Strömung zu überwinden ist. Das Eis kann aber nur bei Nordwind sich entfernen, so daß immerhin vorauszusetzen war, daß erst nach Wochen die »Germania« die Station erreichen konnte. Ob das Schiff dann wieder aus dem Sunde hinausgelangen konnte, war mindestens fraglich.

Aus diesem Grunde war es wünschenswerth, eine Besprechung mit Herrn Dr. Giese zu haben, und so erbot ich mich, mit den eben angekommenen Eskimos nach Kingua (-Fjord) zu gehen, um der Station und Kapitän Roach so bald als möglich Nachricht zu bringen. Durch einige Geschenke waren die Eskimos leicht gewonnen, wieder hinauf zu fahren, doch verlangten sie einen Tag Ruhe, so daß wir Mittwoch, den 5. September, bereit waren, aufzubrechen. Morgens um 8 Uhr verließen wir den Hafen und sahen vorläufig noch freies Wasser vor uns. Gegen Mittag kamen wir indeß an so dichtes Eis, daß es nöthig war zu landen, um von einem hochgelegenen Punkte aus einen Einblick in die Lage zu gewinnen.

»Während ich mit meinem »Bootskapitän« Signa, einem prächtigen, gutwilligen Eskimo, hinaufstieg, bereiteten die übrigen den Mittagskaffee. Glücklicherweise zeigte sich das Eis nirgends so dicht, daß wir es nicht hätten passiren können, so daß wir um 1 Uhr – wenn auch langsam – weiter fahren konnten. Gegen Abend zog sich das Eis mehr und mehr zusammen, und mit Dunkelwerden waren wir genöthigt, unsere Reise zu beendigen. Die Eskimos schlugen das Bootssegel als Zelt auf, das Boot wurde aufs Land gezogen, und Alle überließen sich der wohlverdienten Ruhe. Da ich große Eile hatte, vorwärts zu kommen, stieg ich mit Tagesgrauen auf die höchste Spitze der Insel, um zu sehen, ob wir weiter rudern könnten. Unerfreulich genug sah es aus! Unter dem Lande lag ein breiter Eisstrom, den wir durchbrechen mußten, um das freie Wasser zu gewinnen. Als wir gegen 6 Uhr versuchten hindurchzudringen, wurde unser Boot besetzt, doch trieb bald das Eis wieder weit genug auseinander, um einen Ausweg zu gestatten. Erst nach zweistündiger mühseliger Arbeit gelangten wir in offenes Wasser und konnten nun ungehindert nach Norden segeln.

»Schon am Ende der nächsten Stunde hatten wir die kleine Wake durchsegelt und durften uns glücklich schätzen, ohne Unfall die Küste wieder zu erreichen, da das schwere Eis hier durch heftige Strömungen hin und her getrieben wurde. Wir befanden uns auf der Höhe von American Harbor (Ugssualung) , von wo aus eine tiefe Fjordstraße nach Kingua (-Fjord) führt, die wir eisfrei zu finden hofften. Wir ruderten daher um 11 Uhr Morgens hinein, mußten uns aber sehr beeilen voranzukommen, da der größte Theil des Fjords bei Niedrigwasser trocken läuft. Endlich gegen 3 Uhr Nachmittags sahen wir uns vor einem Riffe, welches den Fjord quer durchsetzt, und mußten, um es zu überschreiten, warten, bis das Wasser wieder stieg.

»Wahrhaft unheimlich ist hier das Landschaftsbild. Plötzlich verengt sich der etwa 500 m breite Fjord bis auf 100 m . Die Berge werden höher und steiler, und als das Wasser zu wachsen begann, schoß es in einer schäumenden und brausenden Stromschnelle durch den engen Weg. Mit großer Mühe ließen wir das Boot die Schnellen hinab, um dann durch einen herrlichen Anblick überrascht zu werden. Ganz plötzlich verbreitert sich der Fjord zu einem seeartigen Becken, in welchem zahlreiche kleine Inseln liegen. Die sinkende Sonne ließ die Berge in tiefem Purpur erglühen, und erleichtert athmet der Beschauer nach dem Schrecken der Schnellen auf.

»Als wir eben im Begriffe waren, das Becken zu verlassen und in einen schmalen Arm des Fjordes einzulaufen, hemmte uns wieder schweres Eis, das uns auf dem starken Fluthstrom entgegentrieb. Wir waren genöthigt, an einem steilen Abhange anzulegen, wo es unmöglich war, das Boot an das Land zu ziehen. Die ganze Nacht hindurch mußte eine Wache zum Schutze gegen das heftig treibende Eis gehalten werden. Endlich gegen 8 Uhr Morgens wurde das Wasser wieder klarer. Sofort brachen wir auf, waren aber nach zweistündigem Rudern leider gezwungen, wieder umzukehren, da die enge Straße zwischen Kekertelung und Kangidlielung durch schweres Eis verstopft war. Nur mit großer Mühe konnten wir durch den ebenfalls dicht mit Eis gefüllten östlichen Arm des Fjordes gelangen. Endlich um 10 Uhr liefen wir in den Kingna-Fjord ein und nach weiteren 2 Stunden anstrengenden Ruderns gegen Strom und Wind trafen wir den Schooner »Lizzie P. Simmonds«, der nahe einer kleinen Insel vor Anker lag. Sobald man uns zu Gesicht bekam, segelte ein Boot derselben auf uns zu, um zu fragen, wer wir seien und wohin wir gingen. Die Besatzung des Schiffes war im Begriffe, dasselbe zu verlassen, da sie keinen Proviant mehr hatte, und war sehr glücklich, über die Eisverhaltnisse Auskunft zu erhalten, daß ein Schiff in Kekkerten sei und daß Proviant für sie auf einem von Peterhead ans abgesegelten Schiffe unterwegs sei. Bald fuhren wir mit Kapitän Roach und dem ersten Steuermann weiter zur deutschen Station, wo wir gegen 3 Uhr ankamen. Mit welcher Freude man uns empfing, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, daß die »Germania« schon seit einem Monat erwartet wurde.«

Das Weitere ist aus der vorhergegangenen Erzählung bekannt.


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