Johann Nepomuk Nestroy
Die beiden Nachtwandler
Johann Nepomuk Nestroy

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Neunte Szene

Howart, Faden

Howart Die Schurken fliehen, Gott sei Dank! Diese sonderbare Erscheinung hat mich gerettet. (Faden ist, ohne von allem, was um ihn her vorging, etwas zu bemerken, in seinem somnambulen Zustande ruhig nach vorne gewandelt.) Das ist – ja, ja, ich täusche mich nicht, ein Nachtwandler. Einer der feigen Schufte hielt ihn für ein Gespenst.

Faden (im Schlafe sprechend und so spielend, als ob er wirklich alle die Gegenstände, von denen er spricht, vor sich sähe oder in den Händen hätte) Ich bin ein reicher Mann – seine Pfeifen, das is meine Hauptpassion – hier hab' ich eine – wie sich die anraucht, das is eine Pracht! – Ein wenig verstopft is s' (Tut, als ob er Feuer schlage.) Der Schwamm fängt so schlecht.

Howart (für sich) Armer Schelm, du hast es wohl auch in deinem Leben zu keiner Meerschaumpfeife gebracht.

Faden (nachdem er immer pantomimisch Feuer schlug) Endlich! (Fängt, ohne etwas in Händen zu haben, zu rauchen an.) Daß ich verheiratet bin, das g'fallt mir, wenn einem nur die Kinder nicht so viel Gall' macheten! – Rauft's schon wieder, ihr Bankerten! (Als ob er ein Kind von dem andern abwehrte.) Ob's du's gehn lassen wirst! Wart', ich will dich folgen lernen! (Tut, als ob er einem Kinde einen Schilling gäbe.) Du Nickel, du schlimmer! O, Vaterfreude, du bist süß!

Howart (für sich) Er belustigt mich in seinem unheimlichen Zustande.

Zehnte Szene

Wirt (rechts hereineilend); die Vorigen

Wirt Euer Gnaden! Der Wächter und ein Kellner haben ein Bandel Spitzbuben g'fangt, die da hereinsteigen haben wollen. (Faden erblickend.) Alle guten Gei- (Faden erkennend und sich sammelnd.) Das is ja –

Howart Wer ist der Mensch?

Wirt Ein armer Seilerer, der da 's dritte Haus von da logiert.

Howart Vermutlich zahlreiche Familie und nichts zu leben?

Wirt Nein, das is das beste, daß er noch Jungg'sell is. Daß er aber nachtwandelt, das is das ärgste.

Faden Bildschöne Madeln das – adieu, Peppi – adieu, Nettel adieu! – Ich muß mein' Paraplui aufspannen, es regnet. (Wandelt während leiser Musikbegleitung des Orchesters zum Fenster hinaus.)

(Mit dem letzten Ton der Musik vernimmt man von außen ein Posthorn.)

Wirt Noch ein Postzug? – Das is mir noch nicht g'schehn, solang ich hier Wirt bin. (Eilt rechts ab.)

Howart Mit der ersehnten Nachtruhe wird es in diesem Hause übel aussehen. Nun, was tut's –!

Wirt (hereinstürzend) Nein, das ist unglaublich! Ganz England kommt heut' in meinem Hotel zusammen.

Howart Ein Landsmann?

Wirt Der reiche Lord is es, dem sechs Meilen von hier die Herrschaft Liliental gehört.

Howart (freudig überrascht) Wär's möglich?

Elfte Szene

Wathfield, Malvina; die Vorigen

Wathfield (etwas altmodisch gekleidet, mit einer Zopfperücke, rasch eintretend) Seh' ich recht? Er ist's!

Howart Lord Wathfield! (Malvina erblickend.) Meine Malvina! (Umarmt sie.)

Malvina Eduard!

Wirt Die kennen sich allerseits!

Howart Herr Wirt, Sie sprechen keine Silbe von dem, was Sie hier gesehen, hier im voraus der Lohn Ihrer Verschwiegenheit.

Wirt O, ich bitte –!

Howart Lassen Sie uns allein!

Wirt Untertänigst! (Geht mit einem tiefen Bückling rechts ab.)

Zwölfte Szene

Wathfield, Malvina, Howart

Wathfield Jetzt vor allem, lieber Howart, erklären Sie uns Ihr früheres Eintreffen; nach ihrem letzten Schreiben sollten Sie erst in zwei Tagen –

Howart (mit einem Blick auf Malvina) Die Liebe wird meine Eile auch ohne Erklärung begreiflich finden, Ihnen aber, Mylord, kann ich noch den Grund beifügen, daß ich in meinem neuen Besitztum unerkannt so manches erforschen will.

Wathfield Der Gedanke ist gut.

Howart Wäre mir aber bald übel bekommen. Wissen Sie, daß hier vor wenig Minuten meine Geldschatulle, vielleicht auch mein Leben in Gefahr gewesen?

Malvina Ist's möglich?

Howart Spitzbuben stiegen hier ein, das Messer war schon über mich gezückt, da erscheint ein Nachtwandler, die Diebe halten ihn für einen Geist und fliehen.

Wathfield Ein Somnambül?

Howart So ist's. Ohne es zu wissen, war er mein Lebensretter, dafür sei es aber auch morgen mein erstes Geschäft, ihn glücklich zu machen.

Wathfield Glücklich machen – was ist das wieder für ein übertriebener Ausdruck? Sie werden Ihren Retter belohnen, aber glücklich machen – wie können Sie wissen, ob Sie das imstande sind?

Howart Sehr leicht. Ich bin reich, er ist ein armer Teufel!

Wathfield Das sagt noch nichts. Sie sind noch immer der, der Sie waren, der glaubt, mit seinem Gelde alles auszuführen, der seine Worte nicht mißt, sondern sie unbesonnen in den Tag hineinwirft.

Howart Und Sie, Mylord, verzeihen Sie, sind noch immer so pedantisch, so rechthaberisch, als Sie waren.

Wathfield Ich Wollte, Sie wären ein Pedant. Unbesonnene Menschen taugen nicht für die Welt, nicht für das Leben, nicht einmal für den Eh'stand.

Howart Sie reizen mich zum Widerspruche.

Wathfield So versuchen Sie's, öffnen Sie der Begierde eines Menschen das Tor der Erfüllung, und Sie werden sehen, welch unabsehbares Heer von Wünschen er hineinsendet, und dann ist es erst noch die Frage, ob er sich dabei glücklich fühlt.

Howart Sie halten der menschlichen Genügsamkeit eine schlechte Lobrede. Doch was den Vorwurf der Übereilung anbelangt, den geb' ich Ihnen zurück und beharre jetzt erst fest auf meinen Worten: ich will, was mir das Höchste ist, Malvina nicht eher meine Gattin nennen, bis ich meinen Retter vollkommen glücklich gemacht.

Wathfield Unbesonnener Mensch! Hüten Sie sich, daß ich Sie nicht beim Wort nehme.

Howart Ich will', Sie sollen es.

Wathfield Malvina, begib dich zur Ruhe, meine Leute bewachen das Haus, du hast nichts zu fürchten.

Malvina (mit einem mißbilligenden Blick) Gute Nacht, Eduard! – Sie setzen mich sehr leicht aufs Spiel. (Geht mit einem Lichte in die Türe links ab.)

Howart (ihr nachrufend) Es ist kein Spiel, Malvina, ich bin meiner Sache gewiß.

Wathfield (zu Howart) Wir haben noch manch Ernstes zu besprechen. Kommen Sie, wir wollen sehen, ob hier die Ingredienzien zu einem ordentlichen Punsche aufzutreiben sind. (Beide ab.)

Verwandlung

Ein Teil des Marktfleckens, im Hintergrunde ein ärmliches Haus mit einem Giebeldache, nämlich das Wohnhaus des Meister Faden, an das Haus schließt sich eine halbeingefallene Gartenmauer. Rechts mehr im Vordergrunde das Haus, in welchem die Kräutlerin Schnittling, links das Haus, in welchem der Bandelkramer Pumpf wohnt. Es ist früher Morgen.

Dreizehnte Szene

Strick (allein)

Mit der Verwandlung beginnt das Ritornell des folgenden Liedes. Strick kommt arbeitend rückwärts aus der Kulisse, spannt die Schnur über die vor dem Hause stehenden Pflöcke und tritt dann, indem er eine Pause in der Arbeit macht, vor.

Lied

1.
    So viel is einmal wahr und g'wiß
Daß für ein' Seilerer kein' Aussicht is,
Auch von Vorwärtskommen is ka Red',
Weil ein Seilerer allweil rückwärts geht,
Auch ist der Umstand noch dabei,
Ein Seiler find't nix fehlerfrei,
Denn worauf sein Blick gerichtet is,
Da hat's ein' Faden, so viel is g'wiß.
2.
Zu was – die Frag' möcht' ich erheb'n –
Hat uns d'Natur ein G'sicht gegeb'n?
's is traurig, jeder Seilerer siecht
Die Welt in ein' verkehrten Licht;
Kommt d' größte Schönheit der Natur,
Wir wenden ihr den Rücken zur.
Nur das hab'n wir voraus vor all'n,
Unsereins kann nie auf d' Nasen fall'n.

Die Welt is ab'draht als wie ein Strick – das is sehr natürlich, die Welt besteht aus einer Unzahl von Leben, jedes Leben is ein Faden und viel Faden machen ein' Strick. Wenn aber die Welt ab'draht is, warum soll ein Mensch, und noch dazu ein Seilerer, nicht auch ab'draht sein? Man will meinen Lebensfaden, mit Liebesgarn vermankelt, einfadeln und den Eh'standsknopf dranmachen, daß er gar nicht mehr auskann. Das wollen wir uns erst überlegen. Die Lieb' is a Spagat, der die Herzen, der Eh'stand ein Strick, der die Händ' zusamm'bind't. Der Spagat, der läßt sich noch zerreißen, aber der Strick – nein, nein! – da soll sich eher die schiefrige Rebschnur meines Herzens um den einschichtigen Spul'n der Junggesellenschaft wickeln, eh' mich in einer unüberlegten Heirat das Schiffseil der Desperation festhält. – Wo nur wieder der Meister bleibt! Der muß vor Tagesanbruch schon ausgegangen sein. Er vagiert immer herum, und auf mich kommt hernach der Verdacht. Der Meinigen hab'n d' Leut' schon g'sagt, daß s' mich öfters begegnen bei der Nacht – das war offenbar der Meister und nit ich. Sie hat mich einen Nachtschwärmer geheißen. Das ist wohl eine Schwärmerei! Ein Mensch, wie ich, der kaum in drei Wochen das Kapital auf eine Halbe Bier zusammenbringt, der liegt g'wiß immer um acht Uhr einundvierzig Minuten schon eine geraume Zeit im Bett. (Man hört im Hause links einen Lärm.) Was ist denn das für ein Gepolter im Bandelkramerquartier?

Vierzehnte Szene

Faden, Pumpf, Hannerl, dann Frau Schnittling; der Vorige

Pumpf (mit seinem Kram und den Hut auf dem Kopf, wirft Faden, welcher noch ganz in dem Anzug wie in der vorigen Szene, wo er als Nachtwandler erschien, zur Türe seines Hauses heraus) Solche Stückeln werd' ich mir ausbitten in mein' Haus.

Faden Aber, lieber Pumpf, ich weiß gar nicht, wie mir g'schieht.

Hannerl Ich kann mich gar nicht erholen von dem Schrecken.

Pumpf Wenn ich nach Haus komm', werd' ich dir ein' Balsam geben.

Frau Schnittling (mit Butten und Körben, tritt von den übrigen unbemerkt aus ihrer Haustüre)

Hannerl Aber, Bruder, du wirst doch nicht glauben –

Pumpf Nein, nix werd' ich glauben, wenn ich in der Fruh ein Mannsbild in dein' Zimmer find'.

Hannerl Ich bin aufg'standen, zieh' mich an, schau' mich eher gar nicht um, auf einmal kommst du ins Zimmer und schreist: »Donnerwetter! Wer sitzt denn da im Schlafsessel drin?« – Ich schau' und seh' den Seilerermeister fest schlafend sitzen.

Faden Ich hab' mich gestern um halber Neune z' Haus ins Bett g'legt, da is eine Hexerei vorgegangen.

Pumpf Redt's eng nit so dumm aus, sonst red' ich mit der Ellen drein.

Hannerl (halb weinend) Wenn das mein Geliebter hört!

Strick (mit einem strafenden Blick vortretend) Der weiß's schon.

Hannerl (erschrocken) Ach!

Faden Wenn das meine Geliebte erfährt!

Frau Schnittling Der werden wir's gleich sagen. (Geht in das Haus zurück.)

Faden Ah, jetzt is's recht!

Pumpf (zu Hannerl) Der Mussi Strick hat recht, wenn er dich plantiert.

Strick So a Partie könnt' ein' glücklich machen.

Hannerl (zu Strick) Aber, Fabian, ich bin unschuldig.

Strick Ja, ungeheuer, ich g'spür's!

Pumpf Von mir wirst aus 'n Haus g'jagt.

Strick Und von mir wirst du sitzen gelassen.

Pumpf Der ganzen Welt sag' ich's, was du für ein nichtsnutziges Ding bist.

Strick Dem Zartgefühl deines Bruders verdank' ich meine Rettung.

Hannerl Ich bin eine unglückliche Person! (Weint.)


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