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ABENDWIND, BIBERHAHN
BIBERHAHN Vor allem muß ich Ihnen sagen, daß mein Sohn Arthur heißt und daß seine Geburt mich um so mehr erfreute, als ich bei der Pechschwärze meiner Haare gar nicht hoffen konnte, je ein so lieblich lichtblondgeschneckeltes Söhnlein zu bekommen. Ein europäischer Schiffskapitän, der zu der Zeit gerad' einige Zeit auf meiner Insel war, gab mir den Rat, das Söhnlein in Europa erziehen zu lassen; bald darauf reiste er ab. Als das Söhnlein ein Jahr alt war, schickte ich es mit einem Mechanikus, der vom Schiff dieses Kapitäns zurückgeblieben war, fort in die Zivilisation hinaus. Dieser Mechanikus hat mir nebst andern ausgezeichneten Sachen auch eine Spieluhr angefertigt, und diese hab' ich ihm für meinen Sohn mitgegeben, damit ich ihn, weil er mir schon einmal nicht so gleichsieht, als er mir von Rechts wegen gleichsehen sollte, an dieser Spieluhr erkenne, wenn er als blonder Jüngling zurück in meine Arme kehrt.
ABENDWIND (stutzend) Blonder Jüngling –!? (Für sich.) Merkwürdig! Grad' wie der junge Fremde –-! (Laut.) Und wird er national gekleidet sein, wenn er hier ankommt?
BIBERHAHN Nein, sondern stockeuropäisch in Frack –
ABENDWIND (erschreckend) Frack –!? (Beiseite.) So heißt man wahrscheinlich das Kulturg'wand.
BIBERHAHN Pantalon –
ABENDWIND (mit steigendem Entsetzen) Pantalon –!?
BIBERHAHN Stiefeln.
ABENDWIND (wie oben) Stiefeln –!? (Beiseite.) Ich fall' in eine indianische Fras!
BIBERHAHN Ich weiß das genau, weil mir sein Begleiter seine Photographie g'schickt hat. Da schaun Sie s' an. (Zieht eine photographische Visitkarte hervor und gibt sie Abendwind.)
ABENDWIND (bei Anblick der Photographie ganz vernichtet)
Uije! Uije! Uije!
Das prackt mich völlig nieder.
BIBERHAHN (Abendwinds Ekstase für Übermaß von Wohlgefallen haltend)
's G'sicht fesch und schlank die Glieder!
ABENDWIND (sich mühsam etwas fassend)
Also wirklich? Das is Ihr Herr Sohn?
BIBERHAHN
Der Erbe von mein' Inselthron.
ABENDWIND
Uije! Uije! Uije! (Sich mit beiden Händen den Kopf haltend.)
Es wirbelt mir der Südseeplutzer –
BIBERHAHN
Was schaun Sie denn gar so verzwickt?
ABENDWIND (für sich)
Sein Sohn war jener Stutzer,
Von dem 'r a paar Pfund hat g'schlickt.
BIBERHAHN
Auf dem Weg, kaum zu bemessen,
Drohn ihm nicht nur Stürme bloß,
s' kann ihn auch ein Haifisch fressen,
Denn sein Rachen is gar groß.
ABENDWIND (für sich)
So nach mein' Privatermessen
Wird er rächen sich heillos,
Weil sein' Thronerb'n er hat g'fressen
Hier in einer sauern Soß.
BIBERHAHN
Doch bin ich nicht allein von Ängsten
Um meinen Sohn Arthur erfüllt,
Mir is noch banger, fast am bängsten
Um meine Uhr, die Stückeln spielt.
Begleit'rin war sie ihm auf Reisen,
Sie ruft ihm jede Stunde zu
Die süßen nationalen Weisen,
Das Kriegslied der Papatutu.
Schad' wär', so wie um meinen Sohn,
Von dieser Uhr um jeden Ton;
Drum, Schicksal, wenn du nicht bist z'wider,
Gib mir den Sohn und d' Spieluhr wieder!
ABENDWIND (beiseite)
Was sag' ich ihm? Wie rett' ich mich?
BIBERHAHN (sich den Bauch frottierend)
Mich druckt's im Magen fürchterlich.
ABENDWIND (für sich, resignierend einen Entschluß fassend)
Ich werd' ihn schön stad vorbereiten. (Laut zu Biberhahn.)
Wir sind Herrscher zwar mit Szepter und Kron',
Doch 's Schicksal hat zu g'wissen Zeiten
Auf unserein' grad' sein' Passion.
BIBERHAHN (etwas unruhig werdend)
Mir bleibt er schon z' lang aus, mein Sohn.
ABENDWIND
Das machet eigentlich noch nix,
Kommt er jetzt nicht, kommt vielleicht er später;
Doch am Horizont unsres Glücks
Da machen oft die Götter a Wetter.
BIBERHAHN (mit wachsender Ungeduld)
Mir bleibt er schon z' lang aus, mein Sohn!
ABENDWIND
Ungeduld steht nicht gut an,
Moderier'n Sie sich ein wenig!
Sich beherrschen dann und wann
Muß ein braver, gescheiter König.
BIBERHAHN
Arthur, mein Sohn, o komm zu mir!
ABENDWIND (dumpf und bedeutungsvoll)
Ich glaub', er is schon hier.
BIBERHAHN
Warum nicht gar! Wo wäre er?
ABENDWIND
Auf Ehr',
Ganz nah' bei Ihnen, fürcht' ich schier.
BIBERHAHN
Wie heißt »ganz nah' bei mir«?
ABENDWIND
Viel näher wohl, als es Ihr Wille!
BIBERHAHN (horchend)
Halt – halt! Ich hör' da was in mir –
Horch! Horch! Ich bitt' Sie, sein S' stille!
(Beide lauschen, man hört plötzlich die Spieluhr sechs Uhr schlagen, Biberhahn hält die Hand erschrocken auf seinen Magen.)
ABENDWIND Sechse, soviel muß's jetzt sein.
BIBERHAHN Hab'n S' g'hört? Es schlagt die akkurate Stund' in mir – bei Ihnen hab' ich g'speist, und das Harte, was mir vorhin in Schlund –'s is klar, ich habe eine Repetieruhr g'schlickt!
ABENDWIND So was kommt doch selten unter a Speis.
BIBERHAHN Die Uhr muß dem g'hört haben, an dem wir uns hier auf gut karaibisch delektiert – halt – (sich den Magen reibend) da rodelt's jetzt – (die Uhr fängt an, in ihm das Schlachtlied der Papatutus zu spielen.) Million Element –! (Nach dem Liede der Spieluhr.) Das ist unser südpolischer Nationalgesang. Den spielt nur eine Uhr auf dieser Welt, und diese Uhr hat nur einer bei sich, und der is mein Sohn – und folglich, wo die Uhr is, da is auch er, die Uhr war in der Schüssel, und folglich – schauderhafte Gewißheit! – das Diner war mein Sohn!
ABENDWIND Man kann wohl nie wissen, was aus die Kinder wird –
BIBERHAHN (grimmig) Antwort! Direkte Antwort!
ABENDWIND Ich hab' nicht die Ehre gehabt, den Herrn Sohn zu kennen – und wann uns ein unterspickter Fremdling in die Händ' lauft –
BIBERHAHN (wie oben) Keine Umschweife! Zur Sache!
ABENDWIND (auf die verschiedenen Schüsseln zeigend) Die Speis' und die Speis' und diese auch, diese aber hingegen ebenfalls – das war alles Ihr Arthur, und es bleibt mir nix zu sagen übrig, als – ich wünsch', daß's wohl bekommt.
BIBERHAHN (desperat) Mein Sohn, mein guter Arthur –! Das kann ich im strengsten Sinn des Wortes sagen –
ABENDWIND (ihn tröstend) Er ist im Schoße seiner Familie, folglich gut aufgehoben.
BIBERHAHN (nachdem er sich wieder gefaßt, im Tone der Courtoisie) Jetzt werden Sie aber entschuldigen – Sie sind selbst Indianer und werden wissen, was in solchen Fällen – ich werde müssen so frei sein, Rache zu nehmen an Ihnen.
ABENDWIND Ich kann es Ihnen nicht verbieten – aber –
BIBERHAHN (ruft nach rechts in die Szene) Heda! Gefolge, Krieger, Suite und Wilde! Was zu mir gehört! Ergreifet die Waffen, schwingt die Speere, Schleudern, Keulen und erhebts ein Rachegeschrei. (Man hört in der Szene rechts im Hintergrunde die Wilden schreien.)
PAPATUTUANER (von innen) Rache! Rache! Rache!
ATALA; DIE VORIGEN
ATALA (von rechts aus dem Vordergrunde zurückkommend) Er ist verschwunden, als hätte ihn das Meer verschlungen!
BIBERHAHN (wild auslachend) Das Meer!? Hahaha!
ATALA Und was bedeutet dieses Kriegsgeheul?
BIBERHAHN Mein Sohn! Mein Arthur!
ATALA (freudig erstaunt) Wie, Arthur Ihr Sohn –? Er, der Fremde, der uns zu Mittag die Ehre gab – Ihr Sohn?
BIBERHAHN
Im blutigen Tanze
Kriegt er sein' Tee,
Schwing' ich die Lanze,
Schreit 'r Ach und Weh!
Statt mich z' traktieren,
Mich z' delektieren,
Tut er als Speis'
Mein' Sohn mir servieren –
's is aus der Weis'!
ABENDWIND
Drohend mit der Lanze
Will er Rache statt Kaffee,
Und es is doch 's Ganze
Nix als ein verdalkts Diner.
Ihn zu traktieren,
Mußt' ich studieren
Auf a gute Speis,
Sein' Arthur z' transchieren
Geschah nicht mit Fleiß.
ATALA
Schwingend die Lanze
Hoch in der Höh',
Im Waffentanze
Rufen sie Weh!
Wo mag er irren?
Das zu entwirren
Streb' ich mit Fleiß.
Ihn zurückführen –
Lohnender Preis!
BIBERHAHN
Den Gastfreund zu spießen, die Pflicht is fatal –
Doch räche ich mich nicht, das wär' ein Skandal!
(Die Papatutuaner treten auf und schleppen Waffen herbei.)
ABENDWIND
Aushalten noch! Mir fallt was ein –
Muß es denn gleich gekämpfet sein?
(Einen Augenblick nachsinnend.)
Der Sohn der Sonne – holt ihn her geschwind!
Unser weißer Bär tut's prächtig als Orakel;
Vermieden sei das Kriegsspektakel!
Zeig'n wir, daß wir Wilde bess'rer Gattung sind!
Wenn er auch nix red't als Bär, so brummt er
Viel gescheiter, als wenn uns'reins spricht,
Ich lass' ihn hol'n, unfehlbar kummt er,
Er orakle, und die Streitigkeit is g'schlicht't.
ABENDWIND (spricht zu den Groß-Luluerern, welche mittlerweile herbeigekommen) Für gewöhnlich tragt er ein' Maulkorb, der Sonnenbär, den nehmt's ihm herab. (Ein paar Groß-Luluerer gehen ab, dann spricht Abendwind für sich.) Vielleicht schnappt er auf mein' königlichen Kollegen und beißt ihn z'samm'- das wäre das einfachste.
BIBERHAHN (für sich) Mir is nicht recht im Magen.
DER BÄR; DIE VORIGEN
BIBERHAHN, ABENDWIND, ATALA
Während des Ensembles wird der Bär von den Sonnenpriestern vorgeführt.
Erleucht' uns, o Bär, Das dunkle Gehirne Hier unter der Stirne, Dir ist das nicht schwer. O schauerliche Wonne, Es naht der Sohn der Sonne! |
(Der Bär besinnt sich eine Weile schwankend, ob er Abendwind oder Biberhahn umarmen soll, endlich stürzt er brummend auf Atala los und küßt ihr die Hand.)
ATALA (erschreckt) Papa, Papa! – Das garstige Tier!
ABENDWIND Freigeistin! Das is ja der heilige Bär!
ATALA (dem Bären ausweichend) Ein zudringliches Beest ist er –!
BIBERHAHN (zu Abendwind) Glauben S' nicht, daß er s' zerreißt?
ATALA Zurück! (Stößt den Bären von sich, so daß dessen Kopf herabfällt.)
ARTHUR (welcher in der Bärenhaut steckt, sie umarmend) Ich bin's!
ATALA (mit Staunen) Wie, er – mein Arthur, der Fremde – ein Bär!?
ABENDWIND (aufs höchste erstaunt) Der Fremdling –! Wunderbar! Sonderbar! (Zu Biberhahn.) Das is der Herr Sohn!
BIBERHAHN Wer!? Der Bär!? Das geht nicht zusamm'! Wir haben den gegessen mit der Uhr, und der mit der Uhr war mein Sohn; dieser ist noch nicht gegessen, folglich kann er auch mein Sohn nicht sein.
ABENDWIND Das is ein indianisches Labyrinth ohne Faden.
ARTHUR (zu Abendwind) Keineswegs, ich habe Ihren Koch bestochen, und statt meiner wurde der weiße Bär geschlachtet. Nun wissen Sie alles.
ABENDWIND Bestochen? Meinen Koch? Mit was? Und wie?
ARTHUR Ich hab' ihn frisiert, wie Sie hier sehen. (Auf einen Wink Arthurs tritt Ho-Gu auf.)
HO-GU, MEHRERE GROSS-LULUERER; DIE VORIGEN
HO-GU (tritt mit mehreren Groß-Luluerern, welche ihn alle mit wohlgefälliger Neugierde anstaunen, aus dem Vordergrunde rechts auf; er ist mit hohem Toupet à la Louis XIV. frisiert) Erhabener Gebieter –! (Verneigt sich vor Abendwind.)
ABENDWIND (von Bewunderung ergriffen) Ah, das is eine Schönheit –!!
ARTHUR Gekräuselt, gelockt, gebrannt, tapiert!
ABENDWIND Da is es freilich schwer, zu widerstehn. (Zu Biberhahn.) Also nicht Ihren Sohn, den Sohn der Sonne haben wir gespeist.
ATALA (zu Biberhahn) Ja, ja, mein Arthur ist Ihr Sohn.
BIBERHAHN O, hören Sie auf! Ich glaube so was nicht so leicht.
(Man hört im Magen Biberhahns ein Viertel auf sieben Uhr schlagen und gleich drauf das Kriegslied der Papatutus spielen; er greift sich mit beiden Händen auf den Magen.)
ARTHUR (zu Biberhahn) Was hör' ich –?! Meine Uhr! An der Stell' geben Sie mir sie zurück!
BIBERHAHN Geduld! Geduld! Sie is derweil versetzt in mir. Aber wenn das deine Uhr is, dann bist du ja mein Sohn, und ich bin dein Vater – Sohn! Arthur! (Umarmt ihn.)
ARTHUR Papa –!!
BIBERHAHN (zu Abendwind, auf die Schüssel zeigend) Aber Sie, das Tier war delikat!
ABENDWIND Ja, ein Sonnenbär, ein heiliger Bär –
BIBERHAHN Larifari! Ich parier', es schmeckt einer wie der andere, jedenfalls werd' ich von nun mich ganz auf das Bärenfleisch verlegen.
ABENDWIND (leise zu ihm, mit Wichtigkeit) Hätten Sie diesen Entschluß vor Jahren gefaßt, ich wär' kein Witiber geword'n.
BIBERHAHN (betroffen) Wie meinen Sie das?
ABENDWIND (ihn an der Hand nach vorne führend, leise) Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, vielleicht wären auch Sie kein Witiber, wenn ich stets nur Bärenfleisch –
BIBERHAHN (leise) O, meine Ahnung! (Zu Abendwind.) Wir haben beide gegenseitig –
ABENDWIND (leise zu ihm) Es war eine schauderhafte Reziprozität.
BIBERHAHN (sich entschuldigend) Karaibisches Naturell –
ABENDWIND Ein gacher Gusto, appetitus spurius.
BIBERHAHN Verzeihn wir uns als edle Männer! –
ABENDWIND Und die Erinnerung an die Affäre sei ausgelöscht!
(Beide reichen sich feierlich und würdevoll die Hand.)
ATALA (zu Arthur) Sie reichen sich die Hände –
ARTHUR (zwischen Abendwind und Biberhahn tretend) Also Einwilligung von beiden Seiten?
BIBERHAHN Is alles abgemacht!
ABENDWIND Sie sei die Ihrige.
ARTHUR Dann jubelt, ihr Völker der Inseln! Nach meinem künftigen Residenzwigwam führ' ich sie heim, die schöne Wilde als Braut!
ARTHUR
Glück, wie gut bist du,
Führst die Braut mir zu,
Die doch das Bijou
Aller Groß-Lulu.
Friede, Heil und Ruh'
Den Papatutu,
Jubelt immer zu:
Heil den Groß-Lulu
Und Papatutu,
Atala, und du,
Bist jetzt mein Bijou!
(Während die Groß-Luluerer sich zu beiden Seiten gruppieren, defilieren die Papatutuaner, Biberhahn und Arthur mit Atala an Abendwind vorüber.)
Der Vorhang fällt.