Johann Nepomuk Nestroy
Häuptling Abendwind
Johann Nepomuk Nestroy

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Die Bühne stellt eine Gegend mit australischer Vegetation vor. Links um einen Baumstrunk, der als Tisch dient, Rasenbänke. Rechts eine zwischen Bäumen befestigte Hängematte. Im Hintergrunde ein Käfig, in welchem sich ein weißer Bär eingeschlossen befindet.

Erste Szene

ABENDWIND, ATALA, HO-GU, MEHRERE WILDE vom Stamme der Groß-Lulu

(Man hört in der Ferne den Donner eines sich verziehenden Gewitters rollen.)

ATALA (eine in der Hängematte liegende Puppe schaukelnd) Ach, Papa! Was war das für ein garstiges Wetter!

ABENDWIND Ich g'spür's schon seit drei Täg; d' Sandalen haben mich druckt, daß ich völlig krumm geh'.

ATALA Endlich scheint aber der Donner verstummen zu wollen.

ABENDWIND Die Sonn' tut wieder ihre Schuldigkeit. Ich hab' ihr aber auch durch die Priester meine Meinung kurios sagen lassen; für was brächt' ich ihr denn die schönsten Opfer? Na, aber sie scheint jetzt wieder ganz ordentlich scheinen zu wollen. (Sich zu den Wilden wendend.) Und nun einige Worte zu euch, ihr Großen meines Reiches, die ihr eigentlich die größten seid in meinem ganzen Reich. (Eine Anrede beginnend.) Meine Herrn! – (Mit Mißvergnügen bemerkend, wie alle ihn bewegungslos anglotzen.) Na, werd'ts euch verneigen, oder nit? (Alle verneigen sich.) Das is ja nix Kleins, wenn man zu die Wilden »meine Herrn« sagt. Lernts doch a Art; es is ja a Schand', wenn wir heut' oder morgen entdeckt werd'n; die benachbarten Inseln sein schon entdeckt; die Zivilisationsverbreiter kommen überall hin; wo's noch was Unentdeckts gibt, das stieren s' auf. Also, meine Herrn! Ich, Abendwind der Sanfte, befehle euch, als meinen Vasallen, daß ihr dem schneeblühweißen Bären, der dort in seinem Rohrpalast (den Schluß der Rede suchend) was hab' ich denn eigentlich sagen wollen –?

ATALA (für sich) Wie sich der Papa plagt, bis er eine Rede zusamm'bringt!

ABENDWIND (fortfahrend) Dieser weiße Bär nämlich, der als Sohn der Sonn' mir Glück bringt und gewissermaßen mein Uraundl is – so will ich auch (wieder den Faden der Rede verlierend) Teuxel, jetzt weiß ich nicht, was ich will – (fortfahrend) da er gewissermaßen mein Uraundl is –

ATALA Papa, das sagst du jetzt schon zum zweitenmal – »gewissermaßen mein Uraundl is«.

ABENDWIND Geht's dich was an? Mit dem Madl hab' ich a G'frett! Solang deine Mutter g'lebt hat, hab' ich nicht g'schaut auf dich, und da hab' ich glaubt, ich hab' ein' Engel von einer Tochter; als Witiber aber muß ich schaun auf dich, und da seh' ich a Menge, was mir nicht recht is. Du bist jetzt sechzehn Jahr' –

ATALA Is dir das auch nicht redet, Papa? (Geht an die Hängematte und schaukelt wieder ihre Puppe.)

ABENDWIND O ja! Und da das wilde Jahr um a paar Monat' mehr hat als das zivilisierte, so bist du erwachsen genug, um ein festes Reproment zu ertragen. Is das schön, daß du mich da hofmeisterst vor meine Wilden?

ATALA Wegen denen sollt' ich mich genieren?

ABENDWIND Still! Und wirst hergehn, wenn ich dir gute Lehren gib?!

ATALA Da bin ich ja. (Ist nähergetreten.) Also –?

ABENDWIND (böse werdend) Das sag' ich dir, wenn du nicht bald anders wirst, so riskierst du, daß ich dir gelegentlich droh', daß ich dir vielleicht einmal was tu'. Ich bin zwar der Sanftmütige, aber ich hab' meine grantigen Stunden, und da kann ich so z'wider sein – und du bist jetzt einmal sechzehn Jahr', und drum –

ATALA Papa, das hast du jetzt auch schon zweimal gesagt.

ABENDWIND Zweimal sechzehn Jahr'? Warum nicht gar! Das verschweigst ich g'wiß. Ich bin eigentlich f roh, daß du noch mit der Docken spielst, es gibt dir so einen jugendlichen Anstrich, und man verzeiht dir's eher, daß du so ein indianischer Schnabel bist.

ATALA Ach, Papa, ich möchte so gerne noch eine zweite Puppe haben.

ABENDWIND Woher nehmen? Die is nur per Zufall in einem benachbarten Inselreich gestohlen und an mich verkauft worden; und Niklomarkt kann man auf einer unentdeckten Insel keinen prätendieren. Möglich, daß einmal – (es donnert in der Ferne).

ATALA Ach, es donnert noch immer.

ABENDWIND Das bedeut't weiter nix als ein Wetter, nix weiter als ein Wetter. In meiner Jugend haben uns die Götzenpriester g'lernt, das Donnern bedeut't, das s' im Himmel Kegel scheiben; unsere Gelehrten aber sagen, da müßte man auch dann und wann bei »Alle Neune« das Juchezen hören, da aber das nicht der Fall ist, so ist die alte Theorie durch den Fortschritt in der Wissenschaft geschlagen. – Jetzt aber zu den brennenden Fragen der Gegenwart. Is der Ho-Gu da, mein Koch?

HO-GU (vortretend und sich tief verneigend) Untertänigst, submissest, zu devotestem Befehl.

ABENDWIND Zu was dieser servile Kaschkanat? Solange du keine Speis' verdalkst, kannst du frei und offen zu deinem Herrscher sprechen. (Zu den Groß-Luluerern sich wendend.) Es is nämlich heute, meine Herrn, ein in politischer sowie in astrologischer Bedeutung gleich hochwichtiger Tag. Die Sonne tritt heut' in das Sternbild des Großen Bären, und am selben Tag erhalte ich den Besuch des benachbarten Inselbeherrschers, des großen Biberhahn, Häuptlings der Papatutus. In kalten Ländern könnte dieses Zusammentreffen Schnee bedeuten – in unserm Klima bedeutet es großartigen politischen Um- und Aufschwung. Biberhahn, genannt »der Heftige«, hat auch a wildes Königreich wie ich da; nur mit dem Unterschied, er is schon entdeckt worden und kommt schon seit längerer Zeit mit einem Volk in Berührung – ich weiß nicht gleich, wie's heißt – 's is a Volk, was eine schnoflete Sprach' red't und sich einbild't, an der Spitze der Zivilisation zu stehn – sie sind auch Erfinder der Diplomatie –

DIE WILDEN Zur Genesung!

ABENDWIND Danke! (Lachend, für sich.) Wir haben in unserer Sprache kein Wort, was auf »atzi« ausgeht, drum haben s' glaubt, ich hab' g'niest. Es sind übrigens recht manierliche, höfliche Wildlinge, meine wilden Höflinge. (Laut.) Mit diesem König Biberhahn also hab' ich eine Konferenz. Da gibt es Empfangsfeierlichkeiten, nachher plauschen wir a bissel, erst über dieses und jenes, nacher von allen möglichen, und eh' wir auf den eigentlichen Gegenstand kommen, sitzen wir beim Essen und denken an gar nix mehr; das heißt man Konferenz. (Zum Koch sich wendend.) Alsdann, Ho-Gu!

HO-GU Ich möchte nur untertänigst bemerken –

ABENDWIND Daß in die Speis'- und Vorratskammern wenig oder gar nix zu bemerken is.

HO-GU Früchte lieben Euer Herrlichkeit nicht? –

ABENDWIND Nein! Mein Obstgarten is die Fleischbank. (Zu dem Gefolge.) Das is euere Sach'; warum schafft ihr kein Wildbret herbei? Für was habts denn die Pfitschipfeil'?

ERSTER GROSS-LULUERER Wir schießen fleißig, aber das Wild will sich nicht treffen lassen.

ABENDWIND Fisch' sind auch keine da.

ZWEITER GROSS-LULUERER Wir angeln fleißig, aber wir kriegen zu wenig.

ABENDWIND Ja, ja! ös kriegts z' wenig Fisch'; dem kann abgeholfen werden. Zum Glück is bei uns Südseeinsulanern die Menschenfresserei en vogue.

HO-GU Es sind auch keine Gefangenen in Vorrat.

ABENDWIND (zu dem Gefolge). Wißts ihr, daß ich jetzt einen von euch abstechen lassen könnt'? Ihr seids Groß-Luluerer, g'hörts also alle mein, und es is nur zarte Schonung –

DIE WILDEN Gnade!

ABENDWIND Na ja, 's is schon gut. Aber bei der nächsten Nachlässigkeit spaziert gleich einer in die Kuchel. (Zu einem mageren Wilden.) Du warst schon vorg'merkt, aber der Koch hat g'sagt, du bist nicht geeignet; das hat dich gerettet. (Für sich): Ich bin zu sanft für das Volk; zu selten, daß ich einen friß. Aber heut' – mein großer Alliierter, der Biberhahn, is auch Menschenfreund, das heißt – er verspeist sie gern. – Ho-Gu!

HO-GU Herrlichkeit –

ABENDWIND Wenn vielleicht ein Paßloser hier herumgeht von einer fremden Insel –

HO-GU Meine Küchenjungen sollen nachforschen.

ABENDWIND Überhaupt, was du halt aus 'n Ausland find'st. (Deutet pantomimisch das Abfangen.)

HO-GU Sehr wohl, nur die Einheimischen werden g'schont.

ABENDWIND (leiser, nachdem er ihm gewinkt, näherzutreten): Entre nous – wir haben auch im Inland viele, die wegen ihrer Roheit ungenießbar sind, also brat't man s', man kann nix G'scheiters tun. Die Zubereitung – das verstehst du – richtet sich immer nach der Verschiedenheit des Naturells. Is einer zäh, muß er gebeizt werd'n; wennst ein' Aufgeblasenen erwischst, die sind nur zu vertragen, wenn s' in a rechte Soß kommen; und spicken, ordentlich spicken, is bei alle Naturen gut, weil es alle feiner und milder macht. Mit einem Wort: Sapienti pauca!

HO-GU Sehr wohl! (Verneigt sich und geht rechts im Vordergrunde ab.)

ABENDWIND (zu dem Gefolge): Und ihr folgt mir mit meinem weißen Glücksbären in den Tempel der Sonne, ich verlange ja weiter nichts von ihr als ein Bärenglück. (Geht mit dem Gefolge nach rechts ab, zwei Groß-Luluerer haben den Käfig des Bären geöffnet und führen denselben Abendwind nach.)

Zweite Szene

ATALA

ATALA (allein): Der Papa sagt immer, ich wär' unartig, während ich doch gewiß eine wohlerzogene Wilde bin. Er hält mich auch für dumm, weil ich so gern mit der Puppe spiele. Ich hör', in dem weit entfernten gebildeten Europa tun sie das auch, nur haben dort die erwachsenen Mädchen ganz andere Puppen, mit denen sie spielen. Ich aber bin mit dieser zufrieden; ich bilde mir ein, sie ist mein Kind, und wünsche nur, daß mir der Papa recht bald ein zweites kauft. (Schaukelt die Puppe in der Hängematte.)

Romanze

1.
            Als süße Last,
Geliebtes Kind,
Trägt dich der Ast,
Schlaf ein geschwind!
Mein Kindchen schläft in süßer Stille,
Es ist gar müd',
Ich soll es wiegen, war sein Wille,
Und es geschieht.
Nun schlummert's unter Blumenhülle
In Ruh' und Fried'.
Ihm zirpt sein treuer Freund, die Grille,
Ein Schlummerlied.
Im süßen Traum,
Geliebtes Kind,
Wiegt dich der Baum,
Schlaf ein geschwind!
2.
Wozu wär' mir ein Gatte nötig?
Bin lieber frei;
Man sagt: nicht gut ist's, wenn man ledig,
Mir einerlei!
Mein Kind und ich in dieser Matte
Ruhn unser zwei;
Doch käm' dazu auch noch ein Gatte,
Reißt sie entzwei.
In süßen Traum,
Geliebtes Kind,
Wiegt dich der Baum,
Schlaf ein geschwind.

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