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Beherzigungen

Dieses war's, was der deutsche Ritter in den Blättern lesen konnte, zu welchen er auf so wunderbare Art gekommen war. Dem, was wir dem Leser davon vorgelegt haben, folgte noch ein Anhang, von welchem wenig leserlich war. In einer Zeichensprache geschrieben, mit Willen undeutlich gemacht, oder schon im Taumel tötender Fieberhitze aufs Papier hingeworfen, enthielten diese Zeilen vielleicht nichts, als Ergießungen eines Herzens, welches nicht wusste, was es aus sich selbst und seinen Gefühlen machen sollte, eine Seele, die an schwärmerischer Liebe und Andacht krank lag, und durch körperliche Schwäche in noch verwickeltere Labyrinthe geleitet wurde.

Es ist unmöglich, das auszudrücken, was Conrad bei Lesung dieser Blätter empfand. Welches männliche Herz hätte sich nicht für die unglückliche Schreiberin interessieren sollen? und wie musste ihm zu Mute sein, dem diese Adelheid viel näher anging, als jedem andern? Die Schwärmerei, mit welcher sie ihr Herz vom ersten Anblicke an ihn gehängt zu haben schien, war nicht das Einzig, was das seinige unruhiger für sie schlagen machte; in ihrem Namen, in ihren Jugendschicksalen lag viel, was ihn auf die sonderbarsten Mutmaßungen leitete. Wer war sie? wer ihre Mutter? wer jener Hermann? War es bloße Täuschung eines durch Liebe irre geleiteten Gedächtnisses, daß sie dem Freunde ihrer Kindheit den Zunamen Feuchtwangen gab? – Fand er nicht vielmehr in diesen Dingen unversehene Fingerzeige eines spielenden Verhängnisses, wohin er seine Nachforschungen nach einem Bruder richten sollte, der, wenn man die Sache aufs genaueste nahm, die einzige Ursache seiner orientalischen Reise war?

»O Montfaucon! Montfaucon!«, rief er; »du warst mir, so heiß du es wünschtest, nicht durch Blutsfreundschaft verbunden, mir nicht durch jene Sympathie verwandt, die nun nach deinem Tode erst für dich in meinem Herzen erwacht; aber verflochten in meine Schicksale bist du auf die wunderbarste Art: die, welche dir die Liebsten waren, waren es sicher auch mir. Sie wieder zu finden, wirst du mir ein leitender Engel, dessen Wink ich verehre, und ihm blindlings zu folgen gedenke.«

Der deutsche Ritter las die Aufsätze des so genannten Montfaucon mit immer neuer Überzeugung, jener Hermann sei auch der seinige, und in Orient müsse er ihn suchen: was Adelheid von Wälschneuenburg betraf, die er gern für die Mutter seiner verstorbenen Freundin gehalten hätte, so konnte er auf keine Weise mit sich einig werden; Irrtümer in Zeit und Charakter hätten hier angenommen werden müssen, die er sich nicht als möglich denken konnte.

Während Ludwigs Tod den schnellen Rückzug der christlichen Völker aus diesen tödlichen Regionen verursachte; während Joinville und die andern Freunde des geliebten Königs für seine teuersten Überreste sorgten, erwog Conrad, daß für ihn nun nichts mehr in diesen Gegenden sei; daß er die Geschäfte seines Ordens weiter tragen, und dabei das Geschäft seines eigenen Herzens, die Wiederfindung des Verlornen, nach Möglichkeit betreiben müsse. – Nie hat wohl ein irrender Ritter seinen Zug mehr auf das Ungewisse richten müssen, als er in Ansehung des letzten. Er hatte keinen andern Wegweiser, seine Mutmaßungen zu leiten, als Montfaucons Nachrichten; und wie ungewiß waren dieselben! Welches waren die Gegenden, wo sie zuerst in den Armen ihrer Mutter jenen Hermann kennen lernte? befand sich dieser Hermann auch noch daselbst? Wo sollte man ihn suchen? – In Orient? O fürwahr, die Gegenden, welche man unter diesem Namen begriff, waren weitläuftig genug, einen Forscher das ganze Leben hindurch zu beschäftigen, und ihm am Ende mit nichts, als der Entdeckung zu lohnen, daß man einem Hirngespinste nachgejagt sei!

Von all den Wegen, welche der deutsche Ritter nahm, von all den Abenteuern, welche ihm auf demselben aufstießen, nichts! wir sehen uns nahe am Ende des ersten Teils einer Geschichte, in welche so viel unvermeidliche Episoden sich einflochten, daß der Vorwurf der Weitschweifigkeit schwer zu vermeiden ist, noch schwerer der, daß einer der Helden, die wir Anfangs unsern Lesern nannten, sich noch gar nicht gezeigt hat, und zu wenig Raum behielt, seine Rolle zu spielen.

Von den sonderbaren Dingen, die unserm Conrad auf seiner Fahrt begegneten, dürfen wir jedoch eins nicht übergehen: oft führt nach langem Herumirren ein einziger Zug, ein einziger Nebenpfad uns ans Ende wunderbar verschlungener Wege. Die Reise durchs Leben geht in dichten Schatte zwischen Gebüschen und Hügeln hinweg; wir sehen wenig mehr von unserm Pfade, als den Schritt, welchen wir eben tun. Das Ziel der mühsamen Wanderschaft bleibt uns oft bis ans Ende verborgen; doch zuweilen tritt es schnell aus dem Nebel hervor: eine kleine Anhöhe, ein unbedeutendes Gesträuch verbarg es uns, und wir sind eher am Ende, als wir meinten.


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